Calvin, Jean - An die Lausanner Pfarrer in Bern.

Nr. 228 (C. R. – 1012)

Calvin, Jean - An die Lausanner Pfarrer in Bern.

Der Konflikt zwischen den zwinglischen Pfarrern in Bern unter Führung Jodocus Kilchmeiers und ihren lutheranisierenden Kollegen Sulzer, Beat Gerung und Konrad Schmidt wurde immer schärfer. Da auch Viret und sein Kollege in Lausanne von zwinglischen Eiferern lutherischer Anschauungen angeklagt waren, wurden sie im April nach Bern zitiert zur Entscheidung. Sie sandten den Waadtländer Pfarrer Jean Raimond Merlin zu Calvin, um ihn zu bitten, er möge sie begleiten. Der Berner Schultheiß Hans Franz Nägeli, mit dem Calvin sich wieder ausgesöhnt hatte, (vgl. Nr. 213) weilte in der Nähe Genfs in Thoiry.

Viret wegen der Sakramentslehre in Bern verklagt.

Als gestern unser lieber Merlin kam, fand er mich bettlägerig; ich litt an Kopfweh. Schon drei Tage hatte ich dagegen angekämpft, aber nun hatte die Krankheit den Sieg davongetragen. Ich stand trotzdem gleich auf und ritt zum Schultheißen, von dem ich Tags zuvor gehört, er sei in Thoiry. Als ich kurz vor sieben Uhr heimkam, spürte ich, dass das unangenehme Schütteln des Pferdes und das zu lange Fasten mir geschadet hatten; das Kopfweh kam wieder und zwar viel stärker. Ich konnte nur mit großer Anstrengung [heute morgen] predigen und legte mich dann gleich wieder zu Bett. Ich glaubte, Euch das darum melden zu müssen, damit Ihr die lange Verzögerung der Antwort entschuldigt. Ihr seht, es ist aus Not und nicht aus Faulheit so gekommen, dass Merlin heute noch hier sitzt. Übrigens, was meine Reise angeht, so wollte ich, obwohl es ja nichts nützte, Euch gerne den Gefallen tun, da Ihr dazu ratet und darum bittet, wenn mir nicht teils gewichtige Gründe in großer Zahl im Wege stünden, teils meine Kollegen mir davon abrieten. Der Schultheiß hat mich auch in jeder Weise davon abzubringen versucht. Doch hätte mich niemand von meinem Vorsatz abgebracht, riete mir nicht die ganze Sachlage selbst davon ab.

Gestern werdet Ihr in Bern angekommen sein, nach meiner Berechnung. Heute gibt’s jedenfalls privater Unterredungen, morgen wird die öffentliche Verhandlung wohl beginnen. So hätte ich erst ankommen können, wenn alles vorbei gewesen wäre. Dazu kommt, dass Ihr in dem ersten Ratsbeschluss auch schon einen Verweis erhaltet. Denn ohne Unterschied ist da von unsern Brüdern Sulzer, Beat und Konrad und von Euch gesagt, Ihr würdet Eures Amtes entsetzt, wenn Ihr nicht bekennet, geirrt zu haben. Das gilt mir so viel, wie wenn die Abdankung schon geschehen wäre, denn die angegebene Bedingung [des Widerrufs] kann bei Knechten Christi nicht statthaben. Nun denkt Euch einmal, was ich denn tun könnte, ihren Sinn zu erweichen. Schon wenn ich ihnen vor Augen komme, entflamme ich eher ihre Wut noch mehr, als dass ich durch mein Zureden Leute, die mir so ungünstig gesinnt sind, zur Milde stimme. Ferner wäre der Schultheiß nicht da, dessen Hilfe vor allem unsere Sache stützen sollte. Ist er aber abwesend, so scheint es nicht geraten, das Äußerste zu wagen. Wohl sehe ich auch, welche Gefahr im Verzug liegt; es könnten vielleicht gleich andere an Eure Stelle kommen, und dann wäre uns der Zugang überhaupt abgeschnitten. Aber wenn ich alles erwäge, so halte ich doch nichts für besser, als dass Ihr jetzt standhaft antwortet, die Wahrheit Gottes, deren Diener Ihr seid, sei Euch mehr wert, als selbst die Kanzel und Euer Pfarrgehalt. Ich möchte Euch freilich die Grundzüge einer Rede andeuten, durch die Ihr die aufgebrachten Geister zu menschlicherem Fühlen bewegen könntet. Aber ich bin töricht, Euch da Rat zu erteilen, da Ihr doch wahrscheinlich die Sache bereits durchgeführt habt. Ich hoffe aber, das Mittel komme wenigstens nicht zu spät, dass alle Pfarrklassen, die das Reich Christi heil und unversehrt erhalten wollen, an den Rat gelangen mit der Vorstellung, wie schädlich Eure Absetzung wirken müsste. Ich will nicht im Einzelnen aufzählen, was man dabei auseinandersetzen müsste; ich deute nur die Hauptsachen jetzt an. Unterdessen müssen wir bei den Zürchern probieren, ob sie denn ganz unverbesserlich sind. Erreichen wir bei ihnen etwas, so werden sie durch ihr Eingreifen die Gegenpartei unschädlich machen. Das muss dann aber alles gleichzeitig geschehen. So wird man sich beeilen müssen, d. h. nur wenns in Bern anders geht, als wir wünschen, dass wir uns an einem bestimmten Tag besprechen und nach Zürich reisen, ehe die Pfarrklassen sich ins Mittel legen. Wenn in Zürich, von woher die böse Geschichte ja ausgegangen ist, keine Hilfe zu finden ist, so wollen wir darum doch nicht aufhören, zu tun, was unsere Pflicht ist. Aber meines Erachtens müssen wir es mit diesem Bündnis versuchen, ehe wir allein einen Angriff unternehmen, der den Schaden sehr verschlimmern könnte, ohne Nutzen.

Ich brauche mich weiter nicht zu entschuldigen, besonders bei Euch, die meine Gesinnung kennen. Dass ich den Hass der Gegner nicht fürchte, würde mein Vorgehen offen kund tun, wenn ich, wie ich wünschte, mit Euch nach Bern zitiert worden wäre und es mir nicht den Ruf der Unverschämtheit zuzöge, wenn ich käme. Freilich gilt das Gerede der Leute nicht so viel bei mir, aber die Furcht, ich könnte der Sache schaden, hält mich gebunden. Ich bin der festen Zuversicht, dass Ihr mich gut kennt und mich in dieser Sache nicht der Menschenfurcht verdächtigt. Mahne ich Euch nun zur Standhaftigkeit, so erscheint das wie ein Unrecht, das ich Euch antue. Ihr wisst, unter welcher Bedingung wir dem Herrn dienen. Noch weit schwerere Angriffe müssten wir aushalten können, obwohl ich wohl weiß, wie gefährlich dieser Schlag nicht nur vielen Gemeinden, sondern der ganzen christlichen Welt wäre. Aber wir wollen den Ausgang, wie er auch sei, dem Herrn überlassen. Was uns persönlich angeht, so wäre es doch mehr als schmählich, wenn wir Pfarrer, die wir unsere Gemeinde auffordern, ihr Leben zu lassen um Christi willen, furchtsam wankten. Was müsste man von uns sagen, wenn wir, um unsere ehrenvolle Amtsstellung zu behalten, Christum und sein Evangelium verließen? Mögen nun für einen Augenblick die Gegner frohlocken, wenn Ihr Euer letztes Bekenntnis abgelegt habt, so wird doch Eure Treue, auch wenn Ihr selbst schweigen müsst, wirksamer sein als alles leere Gerede der Gegner, auch wenn sie lärmen wie verrückt. Ich streite ja dabei nicht vom sichern Ort aus. Gemeinsam werden wir kämpfen; nur soviel Unterschied ist, dass Euch der Herr in die vorderste Reihe gestellt hat, wir aber im Hintertreffen stehen, aber nicht wie der Bramarbas bei Terenz, sondern bereit zum Kampf, sobald das Signal gegeben wird.

Nun könnt Ihr besser sehen, was nützlich zu tun ist. Nur meldet mir, was Ihr tun wollt; ein Wink von Euch wird mir an Stelle jeder Beratung genügen. Ich wollte Euch eröffnen, was mit mir auch alle meine Kollegen meinen, bevor ich soweit ginge, dass ich mich des Rückzugs schämen müsste, und zwar nicht so sehr vor mir als vor Euch. Unsern Berner Brüdern schreibe ich nicht besonders, da ich Euch alle angeredet zu haben meine, wie auch der Brief nicht bloß von mir, sondern von allen meinen Brüdern ist; denn wie wir alle gleich besorgt sind um Eure Sache, so wünschen wir einmütig, Euch zu helfen. Lebt wohl, liebste Brüder. Der Herr Jesus stehe Euch bei in der Verteidigung seiner Wahrheit, leite Euch mit dem Geist der Klugheit, rüste Euch aus mit Kraft und segne Euer frommes Wirken. Amen.

Morgen früh reist Merlin ab.

29. April [1548].
Euer
Johannes Calvin.
Ich musste diktieren.

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