Calvin, Jean - An Melanchthon in Wittenberg (112)

Nr. 112 (C. R. – 544)

Calvin, Jean - An Melanchthon in Wittenberg (112)

Politisches und Unionistisches.

Da ich den heißen Wunsch hatte, dir zu schreiben, wenn ich nur jemand hätte, dem ich den Brief anvertrauen könnte, kamen mir heute recht geschickt nach der Predigt zwei junge Leute aus Deutschland und boten sich dazu an. Wegen des Kriegslärms kehren sie aus Frankreich in ihre Heimat zurück; einer von ihnen versprach mir, er werde nach Wittenberg reisen. Doch, um die Wahrheit zu sagen, ich weiß kaum, was ich schreiben soll. Nicht weil mir der Stoff fehlt, sondern weil ich bei einer solchen Menge der verschiedensten Dinge, über die ich ausführlich mit dir verhandeln möchte, wenn wir einmal persönlich zusammen sprechen könnten, im Schreiben nicht weiß, wo anfangen und aufhören. Vieles der Art lässt sich auch gar nicht leicht in einem Brief zusammenfassen. Weil meine Briefe erst solange nach ihrer Abfassung in deine Hände kommen, ist dazu noch umsonst geschrieben, was am ehesten die Briefe füllt zwischen Freunden, die nah beieinander wohnen und so hin und her im Verkehr bleiben können.

Wir sind hier in Genf so ziemlich wohl daran, abgesehen von sehr großer Getreidenot. Es wäre Gefahr, dass sie noch wüchse, wenn unsere Behörden nicht von allen Seiten hätten Getreide einführen lassen. Doch haben wir wenigstens Ruhe, was bei der unruhvollen Erschütterung der ganzen Christenwelt schon ein besonderes Gut ist. Der Streit, den unsere Obrigkeit mit Bern hatte, ist nämlich beigelegt. Doch wir wollen noch abwarten, wie die Dinge sich wenden. Übrigens, wenn auch der Herr uns verschont, so ists doch schon schrecklich, nur daran zu denken, welche Nöte andern drohen. Es wird dies Jahr ein fürchterlicher, grausamer Krieg zu Wasser und zu Land geführt werden. Soviel man vermuten kann, wird die Hauptlast dieses Krieges auf Italien fallen. Denn schon steht es dem Kaiser nicht mehr frei, dort untätig zu bleiben, und er wird nichts erreichen, wenn er nicht seine Hauptmacht dorthin verlegt. Man sagt, es habe schon eine Schlacht stattgefunden; es sei ein gewaltiges Schlachten gewesen; das kaiserliche Heer von 18 000 Mann sei teils gefallen, teils in die Flucht geschlagen. Und damit auch Frankreich nichts fehle am größten Elend, heißts, der König habe neuerdings mit dem Papst ein Bündnis geschlossen und durch doppelte Verschwägerung bestärkt. Er gibt seine Tochter dem Kardinal Farnese; seinen Sohn vermählt er mit einer der Nichten des Papstes. Um das zu erreichen, verschwendet der Verwalter des Petrus alle heiligen Kirchenschätze. Venedig schließt sich ihnen an. Schließlich unterlässt überhaupt unser König nichts, wodurch er dem Kaiser Italien rauben kann. So wird dieser, er mag wollen oder nicht, den größten Teil seiner Streitkräfte dort brauchen müssen. Die Türken beherrschen das ligurische Meer. Die Genuesen, die sich in ihrem Hafen eingeschlossen sehen, beginnen den König von Frankreich um Hilfe zu bitten und nehmen jedenfalls alle Bedingungen an, die er ihnen auferlegt. Wenigstens werden sie sich bereitwillig mit Geld, es mag so viel sein als es will, loskaufen. Die beiden großen Bestien werden aber nicht aufhören in ihrem rasenden Kampf, bis sie ganz Europa zerstört haben.

Unterdessen stockt unsere Ausbreitung der Herrschaft Christi selbst da, wo sich Gelegenheit böte. Was am letzten Reichstag [zu Speyer] verhandelt wurde, ist ein Zeichen vom Zusammenbruch Deutschlands. Ich hatte dazu auf Butzers Bitte ein Büchlein geschrieben, das ich dir hier schicke, weil Hoffnung war, die politische Bedrängnis könne den Kaiser dazu bringen, sich für die Religion etwas abringen zu lassen. Da nun die Mühe an ihm verloren ist, so wolle sie Gott andern zum Nutzen dienen lassen. Ich entschuldige mich nicht deswegen, dass ich dir so frech meine Schriften aufdränge. Wie sollte ich mich davor fürchten, da ich es doch schon unternommen habe, dir mein Zeug öffentlich zu widmen. So will ich auch die Bitte wagen, mir bei Gelegenheit in ein paar Worten anzudeuten, welche Aufnahme mein Büchlein in Wittenberg gefunden hat. Du weißt, was ich möchte. Neulich hat mir Bullinger geklagt, alle Zürcher seien wieder von Dr. Luther grausam heruntergerissen worden, und schickte mir dazu die Abschrift eines Briefes, in dem auch ich den Anstand vermisse. Ich beschwöre dich, halte so viel du kannst Dr. Martinus zurück, oder eher hindere ihn daran, seinem Grimm gegen die Zürcher Kirche nachzugeben. Er hat ja vielleicht Grund, ihnen zu zürnen, aber fromme, gelehrte Männer sollten doch höflicher behandelt werden. Lege dich also deiner außerordentlichen Klugheit entsprechend ins Mittel, und mach ihn ein bisschen versöhnlicher. Lebwohl, ausgezeichneter Mann, du treuester Diener Christi und hochverehrter Freund. Der Herr leite dich immer durch seinen Geist und erhalte dich noch lange uns und der Kirche unversehrt.

Genf, 21. April.

Dein

Johannes Calvin.

Grüße Dr. Martinus, Dr. Cruciger und die andern ehrerbietig von mir. Deinen Kommentar zum Daniel habe ich gelesen. Ich bezeuge dir, dass mich kein Buch unserer Zeit so gefreut hat.

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