Burger, Carl Heinrich August von - Am Christfest 1855.

Burger, Carl Heinrich August von - Am Christfest 1855.

Text: Hebr. 2, 14-18.
Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleicher Maßen theilhaftig geworden, auf daß er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. Denn er nimmt nirgend die Engel an sich, sondern den Samen Abrahams nimmt er an sich. Darum mußte er allerdings seinen Brüdern gleich werden, auf daß er barmherzig würde, und ein treuer Hohenpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünden des Volks. Denn darinnen er gelitten hat und versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

Unter den Festen des Kirchenjahres ist das heutige wie das erste, so durch seinen Gegenstand die Wurzel aller andern. Es preiset die Liebe des Vaters zu uns, die Er uns in Seinem Sohne bewiesen hat; es führt zur Aufschrift und zum Titel heiliger Festfreude den hohen Ausspruch: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Dieser Gabe freuen wir uns heute; um ihretwillen suchen wir auch unsrerseits mit Gaben andre zu erfreuen; als die selbst reich Beschenkten greifen wir nach solchem Ausdruck, um das uns widerfahrene Glück kund zu geben; und o daß dieses Glück und diese Freude der Grundton und die Grundlage alles zeitlichen Ergötzens wäre, mit welchem in diesen Tagen Haus bei Haus erfüllt ist. Es würde eine Wirkung davon übrig bleiben, die nicht zeitlicher Natur ist, und an die irdische Christfestfreude könnte die ewige sich reihen ohne Sprung und ohne Unterbrechung. Wir wollen wenigstens, so viel an uns ist, Zeugniß geben von dem wahren Grunde der Lobgesänge, die in der ganzen Christenheit aus allen Kirchen und aus allen Häusern, wo Kinder Gottes wohnen, heute sich erheben, damit dem Herrn die Ehre, der Wahrheit des Evangeliums ihr Recht, und unsern Seelen die Ermunterung und Befestigung gegeben werde, deren wir bedürfen, soll eine Frucht der eilends vorüberziehenden Festzeiten uns erhalten werden.

So lasset uns nach Anleitung des gewählten Textes in dieser Stunde davon sprechen, wie die Menschwerdung Jesu Christi als That der höchsten Liebe Gottes sich erweiset,

  1. bei der Betrachtung dessen, was sie an sich selbst ist,
  2. durch die Erwägung der Gründe, welche Ihn dazu bewogen haben,
  3. im Hinblick auf die Frucht, die uns daraus erwächst.

Herr Jesu Christe, der Du unsre Armuth nicht verschmäht hast, und bist zu uns gekommen, da wir fern von Dir und der Gemeinschaft Deines Lebens waren: siehe uns an, die wir allesammt nach Deinem Namen jetzt genannt sind, und erkenne Dein Eigenthum. Mehre bei uns die Erkenntniß Deiner Liebe, gib Frucht des Wortes, welches von Dir zeuget; erhalte Dir ein großes Volk bei uns, in dem Du wohnest und Gestalt gewinnst, an dem Du Deine Lust siehst als an einer Frucht von Deiner Liebesarbeit. Erhöre und segne unter uns die Predigt von Deiner Gnade und Wahrheit allezeit und auch in dieser Stunde. Amen.

I.

Um nur annähernd zu verstehen, welch eine Liebesthat es war, zu welcher der eingeborne Sohn Gottes herabstieg in die Welt, um sie zu vollbringen, muß man den Anfang derselben in das Auge fassen, welcher heute den Gegenstand unsrer Feier bildet: die Menschwerdung Jesu Christi nämlich als das was sie ist. Unser Text bestätigt sie uns in seinem ersten Worte: „Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleicher Maßen theilhaftig worden,“ - und spricht damit dasselbe unergründliche Geheimniß aus, von welchem der Evangelist Johannes zeuget: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Daß Gott mündlich verkehrte mit den Menschen und auch wohl einzelnen derselben in angenommener sichtbarer Gestalt erschien, das wäre etwas Neues nicht gewesen; auch wenn wir nichts sonst annehmen dürften, als daß dieser Verkehr mit unserm Geschlecht und diese sichtbare Bezeugung bei Christo durch die Dauer sich vor allen früheren Fällen ähnlicher Art ausgezeichnet habe, weil Er ein ganzes Leben lang sich unsern Sinnen wahrnehmbar und faßbar, in liebender Gemeinschaft nach unsrer Art und unserem Bedürfniß uns genähert habe, um uns der Gnade unsers Gottes und des Reichthums Seiner Güte zu versichern: so hätten wir entfernt noch nicht getroffen, was die Menschwerdung Christi wirklich in sich schließet. Er hat Sich nicht bloß als ein Mensch erzeigt in unsrer Mitte; Er ist Mensch geworden. Er hat nicht menschliche Gestalt bloß angenommen gleich als eine Hülle und Verkleidung; Er hat die menschliche Natur mit Sich verbunden in die Einheit Seiner göttlichen Person, also daß Jesus Christus von der Stunde Seiner geheiligten Empfängniß an wahrhaftig beides, Gott und Mensch, ist und es bleibet in Ewigkeit. Viel näher als den Eltern unseres Geschlechts im Paradiese, geschweige den Vätern Abraham bis Jakob, als zu Mose, David, den Propheten, ist der Herr jetzt zu uns getreten. Er ist geworden als unser Einer, ein Mitglied unsers Geschlechts, geboren von einem Weibe, nach Leib und Seele ein ganzer, wahrhaftiger Mensch, unser Bruder wie Alle, welche Adams Kinder sind, in nichts sich unterscheidend als darin, daß die Sünde kein Theil an Ihm hat, und daß Gott der Vater mit jener ewigen unwandelbaren Liebe, die auf dem Sohne ruhte, ehe der Welt Grund gelegt ward, fortan den Mensch gewordenen umfaßt und dadurch mit einem neuen, noch nicht da gewesenen Band der Liebe sich auch mit uns, den Brüdern Christi durch die gleiche menschliche Natur, verbindet.

Viel zu wenig achten wir häufig auf die Tiefen dieser That des Herrn; viel zu leicht und oberflächlich gehen wir über das Geheimniß hinweg, das hier vor uns aufgedeckt wird. Bald schauen wir den Herrn so an, als sei Seine Menschheit nur ein Gewand gewesen, das Er wieder abgestreift habe, aus dem Er wieder von uns zurückgetreten sei in die Ferne, habe als Gott aus Gott Sich losgeschält aus der umhüllenden Gestalt des Fleisches und sei wieder worden, wie Er vorher gewesen, auf's neue von uns geschieden durch die ganze Kluft, die Gott von den Geschöpfen scheidet; - als Frucht Seiner Einkehr aber haben wir bloß die Erinnerung an Sein Wort und an Seine Lehre. Oder wir kommen zu demselben dürftigen Ergebniß, indem wir zwar den Menschen Jesus uns als verklärt und von Gott erhöhet denken, aber nicht fest behalten, daß dieser Mensch zugleich wahrhaftig Gott ist, mit dem Vater gleicher Macht und Ehre, ewig, gewaltig, herrlich, ein König aller Könige, und ein Herr aller Herren. Dann bleibt uns wiederum von Ihm nichts übrig als der weise Lehrer, als der Prophet, der Gesetzgeber, das Vorbild, der uns sagt und zeigt, was wir selbst leisten sollen und verpflichtet seien zu erringen. In beiden Fällen geht das Wesentliche, der Kern der Liebesthat des Herrn uns verloren, und der rechte eigentliche Trost derselben bleibt uns verborgen, jene Wahrheit, die das Lied preist: „Deß sollt ihr billig fröhlich sein, daß Gott ist mit euch worden ein; Er ist geboren eu‘r Fleisch und Blut; eu‘r Bruder ist das ew'ge Gut.“ Denn unser Fleisch und Blut ist Sein eigenes geworden, und mit dem gleichen Rechte, mit dem die Heerschaaren des Himmels in Ihm ihren Herrn und Gott erkennen, den sie ehren, dem sie dienen als ihrem Haupt und ihrem Fürsten, in dem sie schauen das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, den Abglanz Seiner Herrlichkeit: mit gleichem Rechte nennt Ihn der Apostel den Menschen Jesus Christus als den Einen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Denn Er ist beides, und daß Er dieses Mittleramt vollführen könne, verschmähete er die Niedrigkeit des Fleisches nicht, nicht die Bedürftigkeit der sterblichen Natur, nicht ihre Armuth, ihre Schwachheit. Er will in nichts von uns sich unterscheiden, die Er gekommen ist zu retten, als in der Macht, die uns zum Heil Ihm dienet; sonst ist Er „gleicher Maßen,“ wie wir selbst es sind, des Fleisches und des Bluts theilhaftig worden. Wir können reden von dem „Blute, mit dem Gott selber die Gemeinde Sich erworben“ (Apostelgesch. 20, 28); denn der am Kreuz Sein Blut vergossen hat, ist Gott und Mensch; Gott hat für uns gelitten, ist für uns gestorben. Aus dieser Erkenntniß steigt uns erst die Freude anbetender Verwunderung auf; nun ahnen und merken wir etwas von dem Geheimniß, darein die Engel gelüstet hat zu schauen (1. Petri 1, 12) in der Christnacht; und wenn der Apostel ausruft: „Gott aber sei Dank für Seine unaussprechliche Gabe“ 2. Cor. 9, 15, so ist uns doch nicht gar verborgen, welcher Art diese Gabe ist. Mehr könnte auch wahrlich Gott für uns nicht geben als Sich selber.

Mit Seinem Sohne hat Er sein eigen Herz und Seine ganze Liebe uns geschenket, und so geschenkt, daß Er ewiglich mit uns verbunden bleibet. Er kann von uns nun nimmer lassen, wie das Lied freudig jauchzend ruft: „Er will und kann euch lassen nicht, setzt ihr auf Ihn eure Zuversicht. Es mögen euch viel fechten an, Trotz sei dem, der's nicht lassen kann. Zuletzt müßt ihr doch haben Recht; ihr seid jetzt worden Gottes Geschlecht. Des danket Gott in Ewigkeit, geduldig, fröhlich allezeit.“

II.

Aber was hat zu solcher Liebesthat den Herrn bewogen? Den Grund zu dieser göttlich herablassenden Erbarmung müssen wir betrachten, um uns noch tiefer in den Staub zu beugen vor der Größe solcher Liebe. Fleisch und Blut hat Er angenommen, nachdem es die Kinder hatten, wie unser Text sagt, die Kinder nämlich, welchen Er gekommen ist Sich zu verbinden, auf daß Er in ihrem Fleisch ausrichtete, was sie nicht konnten, und als ihr Bürge und ihr Stellvertreter die Bande sprengete, in welchen sie gefesselt lagen. Nicht unsre Trefflichkeit und Tugend, nicht unser Vorzug oder unsre Ehre, nicht unsre Majestät und Würde ist's gewesen, die Ihn herabgezogen hat bis dahin, daß Er gleich geworden ist wie wir. Sondern in Seinem weiten Reiche sind wir die ärmsten, die hoffnungslosesten, elendesten gewesen, friedlos und unstet, matt gejagt und voll Noth im Leben, ohne Trost im Sterben, und das Alles durch unsre Schuld, die einem Herrn Macht über uns gegeben hatte, der nichts kann als verstören und verderben, und dessen Joch kein Mensch Gewalt hat zu zerbrechen, weil es gestützt ist auf das Urtheil Gottes über unsre Sünde. Der Feind wird uns genannt in unserem Texte, wenn uns als Grund der Menschwerdung des Herrn gesagt wird: „Auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten.“ Denn wie ein Missethäter, wenn ihm der Stab gebrochen ist, nichts vor sich sieht als das Ende, das sein wartet, und dem Nachrichter bereits heimgefallen ist, der über ihm sein Schwert schwingt: so ist der Mensch, so ferne Christus Jesus nicht sein Herr geworden ist und sein Erlöser, dem Tode und Gericht verfallen von der Stunde der Geburt an; und der des Todes Gewalt hat, den nennt unser Text: den Teufel. Denn auf die Sünde hat dieser seine Macht erbaut; die Grenzen seiner Gewalt erstrecken sich so weit, als sich der Abfall erstreckt von dem lebendigen Gott; „wer Sünde thut, der ist vom Teufel,“ schreibt Johannes, der heilige Apostel, der Prediger der Liebe, der Zeuge von der Gnade und der Wahrheit Jesu Christi. Er weiß, daß nur Ein Gott ist und Ein Licht und Leben; wer diesem Leben fremd ist, bleibt im Tode; ein Knecht der Sünde aber ist ihm fremd. Darum daß er verschmäht ein Eigenthum des Herrn zu sein und ein Bild und Spiegel der Klarheit Gottes, zu dem er erschaffen gewesen ist von Anbeginn: darum muß er nun einem andern Herrn dienen, der ihn nicht fragt: Willst du auch oder nicht? der ihn lediglich von einer Sünde in die andre stürzt und seine Schuld häuft; der Tod ist ihm als Sold gewiß. Aber was ist dann alle Lust der Welt und alle ihre Freude als ein Rausch und Taumel, auf den ein schreckliches Erwachen des Gerichts folgt? Wer also den Tod zu fürchten hat, heißt der nicht mit Recht sein Leben lang ein Knecht?

Das sah der Herr und es jammerte Ihn unser. Er verließ den Thron des Vaters und Seine Herrlichkeit; es konnte Seine Liebe sich nicht genügen lassen an aller Fülle seliger Freuden, die Er wohl haben mochte und besaß von Ewigkeit zu Ewigkeit bei Seinem Vater. Wir sollen mit Ihm theilen, mit Ihm erben, und dazu unterwirft er Sich dem Fluche für uns, und löst uns aus mit Seinem Tode, daß wir in Ihm die Frucht des Lebens finden und ewiglich genießen könnten. Das hat Er gethan für uns; nicht für die Engel, die doch gewaltiger und herrlicher denn wir sind, die doch Ihm näher standen ihrer geistigen Natur nach. „Denn Er nimmt nirgend die Engel an Sich,“ sagt unser Text. „sondern den Samen Abrahams nimmt Er an sich.“ Denn wir waren die von Satans Macht Gebundenen, als Verführte des Erbarmers Bedürftigsten, und um unsertwillen vermag der Eingeborne Sohn des Vaters so weit herabzusteigen in die Tiefe menschlichen Elends, daß Er von Sich sagen darf: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks“ (Ps. 22, 7). Ist schon der heiße Trieb des Mitleids anbetungswürdig, um dem Gott sich neiget zu dem unglücklichen verlorenen Geschöpf, so steiget der Preis dieser Liebe noch viel höher, wenn wir an unsre Schuld dabei und an die Tiefe unsres Abfalls denken. Aber gerade was uns selbst am meisten beuget, ja was wir erst recht sehen und beweinen lernen, wenn unsre Heilung schon begonnen hat, die furchtbare Gewalt der Sünde und durch sie den Einfluß und die Macht des Teufels und den Todesschrecken, der das schuldbeladene Leben abschließt; gerade diese äußerste und höchste Noth, in welcher Schuld und Strafe sich durchdringen und vermischen, daß eines das andre deckt und vermehrt und stärket, sie ist der Grund, der Jesum Christum bewegt freiwillig bis zum Tode sich zu erniedrigen, ja bis zum Tode am Kreuz. Denn damit Er sterben könne für uns, darum ist Er Mensch geworden. Sem Tor war zwar das Ende Seines Lebens, aber für Ihn zugleich der Grund es anzufangen. Wir sterben, weil wir müssen und nicht anders können. Er ward ein Mensch freiwillig, aus tief eigenster Bewegung, um zu sterben. Die Bitterkeit des Todes auszukosten war von Anfang an Sein Ziel und Endzweck. Denn so kann Er nun seinen Tod darlegen und geltend machen als das Lösegeld und als den Kaufpreis unseres Lebens; und diese Liebe, die den Tod sucht, um darauf das Leben für uns zu gewinnen, die sei heute unser Preis- und Lobgesang; um ihretwillen feiern wir das Christfest.

III.

Aber der Text fährt fort die Größe dieser Liebe zu beschreiben, indem er auch die Frucht zeigt, die uns daraus erwächst für unsre ganze Wallfahrt durch dieß Leben, Denn er sagt: „Daher mußte Er allerdings Seinen Brüdern gleich werden, auf daß Er barmherzig würde, und ein treuer Hoherpriester vor Gott zu versöhnen die Sünde des Volks; denn darinnen Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die versucht werden.“ - Es ist ein merkwürdiges Wort und ein tiefer Ausspruch, daß unser Text sagt: „Er mußte Seinen Brüdern gleich werden, auf daß Er barmherzig würde.“ Ist es doch eitel Güte und Barmherzigkeit gewesen, die Ihn voraus bewogen hat uns gleich zu werden; was soll das heißen: Er sei es geworden, damit Er barmherzig würde? Geliebte in dem Herrn, laßt mich eine Begleichung ziehen. Es hat auch wohl ein reicher Mensch mit einem Armen Mitleid, und wir loben ihn, daß er es hat; der Arme freut sich seiner Liebe. Aber wie dem Elenden wirklich zu Muthe ist, weiß doch so recht nur der, der seine Lage aus eigener Erfahrung kennt; nur der trifft auch die rechten Wege ihm zu helfen sicher, und gießt sein Mitleid nicht gleichsam nur in's Allgemeine aus über ihn, sondern faßt und begreifet das Einzelne der Noth, welcher er abzuhelfen willig und bereit ist. Dessen Barmherzigkeit hat daher eine Kraft Vertrauen zu erwecken, wie es der nicht erwarten kann, der nicht die gleiche Schule kennt und durchgemacht hat. So ist es gewiß Barmherzigkeit gewesen, die den Sohn Gottes bewogen hat, Sich unser anzunehmen. Aber wie tief, wie zart, wie innig und eingehend und voll göttlich menschlichen Verständnisses für unser mannigfaltiges Bedürfen Sein Erbarmen in Wirklichkeit und Wahrheit sei, das lehrt uns unser Text ermessen aus dem Wege, den Er betreten hat zu unserem Heil, und hat, was menschliches Elend ist, gelernt aus eigener Erfahrung, hat brüderlich es selbst mit uns getheilt, so daß Ihm nichts, was uns bewegt, fremd und verborgen bleiben kann. Denn Er hat auch ein menschliches Herz im Busen, und weiß was menschlich ist; Er hat es ja als Mensch an Sich erlebt und empfunden. Dadurch ist Er „ein treuer Hoherpriester worden vor Gott zu versöhnen die Sünde des Volks.“ Er sühnt sie nicht als eine Ihm fremde, sondern als die Seines eigenen Geschlechts, die Er in Wahrheit auf Sich genommen hat und darum nun behandelt als die Seine. Denn ihren Fluch hat Er getragen, ihr Elend, ihre Bitterkeit hat Er genossen, vor keiner ihrer Folgen hat Er Sich zurückgezogen. Alles was menschliches Leiden, Schmerz und Gram genannt werden mag, damit ist Er vertraut geworden, und weil Er die ganze Tiefe dieses Jammers kennt und weiß und fühlt und durchgelebt hat, so ist Er wahrlich treu, dem Willen und der Kraft nach, und „darin Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die versucht werden.“ - O daß wir nicht selbst muthwillens durch Gleichgültigkeit und Kälte den Trost uns raubten, der uns hier geboten wird; daß wir den Herrn, der uns so nahe getreten ist, nicht selbst uns wieder in die Ferne rückten durch schmähliche Mißachtung Seiner Treue, in undankbarer, lästernder Verkennung der Barmherzigkeit, die Er als Gott von Ewigkeit gegen uns gehegt und als Mensch uns besiegelt hat, daß wir fürwahr nicht Ursache haben fürderhin daran zu zweifeln. Wie vielfach schlagen wir uns selbst fruchtlos herum mit Anfechtung und Druck der Seele, mit unsern mannigfachen Nöthen und Gebrechen, kämpfen uns müde und matt und kommen doch nicht vorwärts, verstricken uns dabei immer tiefer in die Schlingen Satans, welcher unsrer Ohnmacht spottet! Was kann dich hindern deinen Freund zu suchen, Jesum Christum, der dich kennt und liebet, welcher deine Noth zuvor weiß, dem Sein hohepriesterliches Herz bricht vor Erbarmen! Ihn laufe an, und mit der Mildigkeit, die keinen je hinausgestoßen hat, der zu Ihm kam, nimmt Er dich auf, verbindet deine Wunden, gießt darein Oel der Gnaden, heilenden und reinigenden Wein der Wahrheit, und pflegt dich als ein gefundenes Lamm bei Seiner Heerde, die Er weidet und beschützet, daß du Ihm nimmer sollst verloren werden. Kein Schmerz und keine Anfechtung ist, welche Er nicht wüßte; du brauchst nicht andre Helfer oder Mittler anzurufen, welche für dich bei Ihm bitten sollen, weil sie dir vermeintlich näher stehen. Näher als Er steht dir Niemand. Kein Mensch kennt dich wie Er, keiner liebt dich wie Er; von keinem hast du gleiche Liebespfänder je empfangen. So laß die Freude an dem menschgewordenen Herrn, deinem Bruder, heute aufgehen in deiner Seele als einen hellen Morgenglanz, der nimmer aufhört, und lerne in Seiner Liebe leben, wie Er mit dir gelebet hat und lebt kraft Seiner Liebe. Sein Herz ist nicht verwandelt, Seine Hand ist nicht verkürzt und Seine Treue nicht gemindert. Nur unser Unglaube, unsers Herzens Härtigkeit und Trägheit scheidet uns von Ihm. Wir geben Ihm Ursache zu der Klage, daß Er ein undankbares Volk umsonst geliebt hat, weil es nicht glauben und annehmen will, was ihm bezeugt wird und wovon es die Erfahrung der Millionen selig vollendeter Gerechten überführen sollte, deren Glaube und deren Liebe, und deren Kraft durch solchen Glauben und durch solche Liebe vor uns ausgebreitet liegt in der Geschichte. Wahrlich, dem Herrn mißtrauen und sich selber quälen, und ohne Aussicht auf Erfolg und ohne Hoffnung arbeiten in verzehrender Mühseligkeit voll Furcht und Zweifel, indeß die Freude in dem Herrn Berge vor uns ebnen würde: das ist kein Lob, damit wird Christus nicht geehrt, wir nicht gebessert. Sondern weil unser Herr barmherzig ist und treu, ein Hohepriester, welcher Mitleid hat mit unsrer Schwachheit und Macht hat über alles Fleisch, daß Er das ewige Leben gebe Allen, die der Vater zu Ihm weiset; und weil wir wahrlich Fleisch sind, dazu schwach und sündig und verloren, also gewiß die rechten Leute, welche Er gekommen ist zu retten: so lasset einen freudigen Entschluß uns fassen: Christo uns zu übergeben, in allen großen und in allen kleinen Nöthen unseres Lebens, täglich, alle Stunden; in Leid und Freude, im Kampfe und im Vorschmack Seines Friedens, im Leben und im Sterben! Denn unser Tod ist überwunden, und Seine Geburt im Fleische ist der Grund unsrer Neugeburt zum ewigen Leben. Was Er begonnen hat, führt Er hinaus. Wir lassen nicht von Ihm. Er hält uns fest; denn wir sind Sein, so viele unser an Ihn glauben, und unser Ziel ist Seine Herrlichkeit. Von Bethlehem und von der Krippe durch's Kreuz empor zur Rechten Seines Vaters ist Sein Siegesgang gewesen. Aus Noth und Tod, aus Fluch der Sünde zur Reinigkeit und Seligkeit in Ihm und zum Genusse Seiner Freude mit Ihm ist unser Weg. Ihn aufzuschließen für uns ist Er in das Fleisch gekommen; daß wir ihn freudig alle gehen, helfe Gott in Gnaden! Amen.

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