Burger, C. H. A. - Vierundzwanzigste Predigt. - Am Reformationsfest 1855.

Burger, C. H. A. - Vierundzwanzigste Predigt. - Am Reformationsfest 1855.

Text: Offenb. Joh. 3,7-13.
Und dem Engel der Gemeine zu Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel David's, der aufthut, und Niemand zuschließet, der zuschließet und Niemand aufthut: Ich weiß deine Werke. Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Thür, und Niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft, und hast mein Wort behalten, und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde geben aus Satanas Schule, die da sagen, sie sind Juden, und sind es nicht, sondern lügen. Siehe, ich will sie machen, daß sie kommen sollen und anbeten zu deinen Füßen, und erkennen, daß ich dich geliebet habe. Dieweil du hast behalten das Wort meiner Geduld, will Ich auch Dich behalten vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die da wohnen auf Erden. Siehe, ich komme bald. Halte, was du hast, daß Niemand deine Krone nehme. Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und soll nicht mehr hinaus gehen. Und will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes, und den Namen des neuen Jerusalems, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel hernieder kommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt.

Der Festtag, den wir heute begehen, geliebte Christen, hat das besondere, daß ihn nur unsre Kirche feiern kann, ja daß er denen, die nicht zu uns gehören, eher ein Anstoß ist, als daß sie unsre Freude an demselben theilten. Wird uns schon dieß von mancher Seite entgegen gehalten als ein Grund, auch unsererseits die Feier dieses Tages möglichst wenig zu betonen, so fehlt es auch nicht an Widersachern, die uns höhnend jeden Flecken und Gebrechen ausrücken, den sie an uns finden können, und wie sich selbst, so auch uns überreden möchten, weß wir uns freuen, das sei gar keiner Feier werth. Aber wir müssen den einen wie den andern gegenüber unser gutes Recht behaupten, den heutigen Gedenktag festlich zu begehen; denn unsere Schuld ist es nicht, daß nicht die ganze Christenheit ihn mit uns feiert; ein Gut verliert darum noch nichts an seinem Werthe, wenn es auch solche gibt, die es verschmähen. Der Werth des Gutes aber, das uns heute zum Danke und zum Lobe gegen Gott erhebt, wird durch die Bemängelungen, welche Andere daran versuchen, im Geringsten nicht vermindert. Denn all ihr Tadel, selbst wenn er gerechter wäre als er ist, trifft doch nur das äußere Gefäß der zeitlichen Erscheinung dieses Gutes bei uns, von dem wir selbst bekennen, daß es gebrechlich und irdisch ist. Aber den Schatz, das Kleinod, das wir darin tragen, sollen sie wohl ungescholten lassen, und diesem Kleinod gilt unsre Freude, unser Preis und Lob. Der auf das Niedrige sieht im Himmel und auf Erden, Er hat uns einen Auftrag gegeben, den es Ihm gefällt durch unsre schwachen Kräfte auszuführen; wir stehen in Seinem Dienst mit Seinem Wort, mit Seinen heiligen Gnadenstiftungen gerüstet; wir sind Seine Zeugen und Seine Noten an die Welt, und eher werden wir das dankbare Gedächtniß des Reformationswerks zu begehen nicht aufhören können, bis unserm Freudenruf das Halleluja der ganzen Christenheit entgegen tönt, und alle Kniee sich dem Herrn Jesu Christo beugen einfältig, ohne Vorbehalt und Seitenblicke, und alle Zungen Ihm bekennen: In dir, unserem Herrn, haben wir Gerechtigkeit und Stärke!

Wenn darum uns Jemand fragt:

Warum hört ihr nicht auf, das Reformationsfest zu begehen, an dessen Namen sich so viele ärgern?

so geben wir die Antwort, welche unser heutiger Text uns in den Mund legt:

  1. weil wir den Herrn selbst verleugnen würden, wollten wir ablassen Seines Gnadenwerks in unsrer Kirche uns zu freuen;
  2. weil unsre Zuversicht nur steigen kann durch die Macht der Bekämpfung und Bedrohung, welche wir erfahren;
  3. weil wir wissen, nur der standhafte Kämpfer und Bekenner wird gekrönet mit dem Lohn der Treue.

Herr Gott, der Du Dein Zion fest gegründet und Deinen König eingesetzt hast auf Deinem heiligen Berge, daß Er herrsche mitten unter Seinen Feinden: erhalte uns bei dem Bekenntniß Seines Namens; laß Sein Zeugniß unter uns nicht aufgehen, und beweise, daß Deine Kraft und Gabe mächtig ist auch das gebrechliche Gefäß zu schützen, in welches Du sie hast aus lauter Gnade niederlegen wollen. Laß unsre Freude geheiligt sein durch die Furcht Deines Namens; erhebe uns, indem Du uns demüthigest, und mache uns getrost in Deiner Stärke, wenn uns unsre Schwachheit anficht. Davon gib uns auch heute einen Eindruck, die wir gläubig auf Dich hoffen. Amen.

1.

Wir würden den Herrn verleugnen, wollten wir aufhören, Seines Gnadenwerkes in unsrer Kirche uns zu freuen; denn wir wenden getrost das Wort auf uns an, mit dem unser Text beginnt: „Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der aufthut und Niemand zuschließt, der zuschließt und Niemand aufthut: Siehe, Ich habe vor dir gegeben eine offene Thüre, und Niemand kann sie zuschließen.“ Beleg dazu ist die Geschichte. Wäre das Werk, das vor bald viertehalbhundert Jahren anhub, von menschlichem Vornehmen und Gedenken ausgegangen, es wäre längst dahin gefallen; denn an Feinden und Widerwärtigkeiten aller Art, die seinen Anfang umdrängten und seinen Fortgang hinderten und trübten, hat es wahrhaftig nicht gefehlt. „Sie haben mich oft gedränget von meiner Jugend auf,“ so kann auch unsre Kirche von sich sagen, „sie haben mich oft gedränget von meiner Jugend auf; aber sie haben mich nicht übermocht.“ Nicht bloß die Gewalt der Machthaber in dieser Welt und der Grimm der großen Anzahl, die in ihrem Vortheil und Genusse sich bedroht sahen, waffnete sich wider das zarte Reis, welches aus dem alten Stamm der Kirche in Wittenberg einst aufging, um es zeitig zu ersticken, ehe es zu Kräften käme. Es gab auch kaum irgend eine unlautre Regung aus dem Schoße der gärenden Zeit, die nicht zudringlich mit dem frischen Hauch des Lebens aus dem erwachten Evangelium sich zu vermischen strebte; beide, die offenen Feinde und die selbstsüchtigen falschen Freunde scharten sich um die Wiege des Reformationswerks, um das neugeborne Kindlein aufzunehmen und in ihren Armen zu erdrücken. „Aber sie haben es nicht übermocht.“ Es rang sich durch in schweren Kämpfen, oft am Unterliegen, aber immer, wenn es gebrochen und verloren schien, zu neuer Kraft des Lebens sich erhebend. Es war ein Kämpfen, wie es die Kirche außer in den ersten Tagen ihres Ursprungs nicht erlebt hat, nicht mit Fleisch und Blut allein, sondern mit allen Ränken und Tücken der Macht der Finsterniß, die in wechselnder Gestaltung, bald mit Fußtritten, bald mit süßer Schmeichelrede versuchte die Väter und die Lehrer unsrer Kirche von der Einfalt in Christo zu verlocken auf unrechte Bahnen. Aber es sollte nicht gelingen; denn der Heilige, der Wahrhaftige hatte die Thüre Seinem Worte aufgeschlossen; darum vermochte Niemand seinen Lauf zu hindern. Und wir, die Enkel jener Kämpfer, die Erben ihres Segens, die Inhaber ihres Schatzes sollten unser Kleinod aufgeben und aufhören uns daran zu freuen? Das wäre Abfall von dem Herrn, das wäre Lüge und Verleugnung. Die Rolle des Petrus in der Stunde seiner Schwachheit, da er sprach: Ich kenne den Menschen nicht! weil die Angst dieser Welt ihn faßte und das Aergerniß der niedrigen Gestalt des Herrn auf ihn eindrang, - diese Rolle laßt uns nicht ihm nachspielen! um euretwillen hütet euch davor! Das Werk des Herrn würde darum nicht untergehen, aber die Thüre, die mit dem Schlüssel Davids aufgeschlossen wird, würde sich für andre Zeugen öffnen, uns zur Beschämung und uns zum Gericht.

Aber es gibt Leute, die nun einmal nicht lassen können zu richten nach dem ihre Augen sehen, und jedes Ding zu messen nach der Außenseite. Von denen erwarten wir kein günstiges Urtheil. Sie stoßen sich an der unscheinbaren Gestalt und äußeren Schmucklosigkeit der Kirche, der wir angehören; sie messen und vergleichen in ihrem Sinn, und finden bei uns, was der Prophet im Namen seines Volkes einst von einem größern Herrn und Haupte sagte: Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte! Alle Blößen und Unvollkommenheiten, die wir nicht in Abrede stellen können noch es wollen, liegen bei uns offen; schadenfroh schaut der Feind auf unsre Kämpfe, zählt unsre Wunden, rechnet schon die Zeit aus, binnen welcher wir verbluten müssen, wie er meinet. Aber es wird mit unsrer Kirche gehen nach dem Wort des Psalmes: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen“ (Ps. 118,17). Denn was in unserm Text steht, gilt von ihr: „Du hast eine kleine Kraft, und hast mein Wort behalten und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ So viel fehlt, daß die Kleinheit unsrer Kraft uns Bange machen dürfte, daß wir in ihr nur Gottes Kraft sich um so herrlicher verklären sehen. Wer zählt die Geistesfrüchte alle, welche schon erwachsen sind aus diesen schwachen Wurzeln und haben die Welt erfüllt mit ihrem Glanze, daß selbst die Widersacher immer wieder kommen, um von unserem Licht zu borgen! Das aber schafft das Wort, das wir behalten, der Name, den wir nicht verleugnet haben. Mögen die Gegner immer spotten, daß dieses Wort bei uns sei wie ein Weinstock, von dessen Reben jeder Wandrer pflücke, was ihm gut deucht, weil ihm der schützende Zaun einer festen, wohl gegliederten, in sich vollendeten Verfassung fehle, die der Willkür wehre. Der Willkür ist auch bei uns wohl gewehrt, wie wir alle wissen. Sie aber haben mit der Willkür ihrerseits die Freiheit selbst getödtet, und vor dem stattlichen Gehege, welches sie umher ziehen, verkümmert und verdirbt die edle Pflanze drinnen, weil sie mit ihrem hohen dichten Zaune die Nahrung ihr entziehen und sie überschatten und bedecken. Aber wir achten das Wort unsers Herrn für eine Kraft, die unseres Schutzes nicht bedarf, sondern vielmehr uns schützt, und den Namen unseres Gottes, das lautere Bekenntniß unsres Herrn und Hauptes Jesu Christi, für eine Flamme, welche selber das Unheilige entdecket und verzehret, und aus ihrem Licht und ihrer Wärme uns Kraft und frisches Leben immer wieder zuführt. Sollten wir Gottes Wort und lebenskräftige Gabe vertauschen mit den prächtigen Zurüstungen der Menschen, die gleich dem Putz des Weihnachtbaumes doch ihre Träger nicht vermögen dem Gerichte des Verdorrens zu entziehen, weil ihnen die Wurzel fehlt, ohne die der Baum dahinsiecht? Nein, meine Theuern, bisher haben wir das Wort des Herrn behalten und Seinen Namen nicht verleugnet; wir wollen es auch fernerhin nicht thun, da sei Gott vor in Gnaden! sondern unser Reformationsfest wollen wir begehen um Gottes willen, der den Anlaß dazu uns geschenkt hat, um Seiner Ehre willen, welche mächtig sich erweist in unsrer Schwachheit, um unsers Herrn und Hauptes willen, der zu allen Zeiten nicht siegt durch Heer oder Kraft, sondern Seine Schlachten schlägt und Seine Triumphe feiert durch Seinen Geist, und dieser wird durch die irdischen Gefäße nicht gebunden, verklärt sie vielmehr zu Werkzeugen Seines Sieges.

2.

So kann denn unsre Zuversicht auch nicht beirrt und niedergedrückt werden durch die Größe der Gefahr und durch feindselige Bedrohung, welche uns begegnet, sondern sie muß durch dieselbe wachsen. Je mächtiger der Feind, um so viel herrlicher der Sieg; je tiefer das Bewußtsein unsrer Schwachheit, um so viel völliger und lauterer das Vertrauen zu dem Herrn, der nicht zu Schanden werden läßt, die auf Ihn hoffen. Wie tröstlich ist die Verheißung unseres Textes, die nicht bloß der einst vor Jahrhunderten bestandenen Gemeinde in Philadelphia gilt: „Siehe, ich werde geben aus Satans Schule, die da sagen, sie seien Juden und sind es nicht, sondern lügen; siehe ich will sie machen, daß sie kommen sollen und anbeten zu deinen Füßen und erkennen, daß ich dich geliebt habe.“ Wer sind die, welche sagen, sie seien Juden, aber daran lügen? Es sind die, welche sich stützen auf ein vermeintes Anrecht, das sie von ihren Vätern her bekommen haben wollen; die sich rühmen ihres Erbrechts, und als die von Alters her bestimmten Inhaber der der Welt verliehenen Gnadenschätze den jungen Pflanzungen des Herrn das Leben streitig machen, und hoch herfahrend schmähen, was nicht von ihnen anerkannt ist und sich ihrem Richterspruch nicht beuget. Die sind es, deren drittes Wort ist die Berufung auf ihre Legitimität und ihr ehrwürdiges Alter; welche die Wahrheit messen nicht nach ihrem Inhalt, sondern nach ihrem Ursprungszeugniß, welches sie allein den Anspruch machen gültig aufzustellen. Mit solchen Waffen haben sie der jungen Christengemeinde einst das Recht des Daseins bestritten; mit denselben, wenn sie auch jetzt sich selber anders nennen, bekämpfen sie das neu erwachte Leben der Kirche Gottes seit der Reformation. Müssen wir ihrem Anspruch weichen? Müssen wir vor ihrer Forderung die Waffen strecken? Nein, denn in Seiner Kirche ist Einer der Herr, und das ist Jesus Christus, welchen wir bekennen. Auf Seinem Namen und dem Bekenntnisse zu Ihm steht unser gutes Recht, und Er führt unsre Sache aus. Daß Er uns geliebt hat, davon haben unwillkürlich schon die Widersacher vielfach Zeugniß geben müssen, wenn sie schöpfen aus der Gabe, die Er uns verliehen hat. Wir bleiben bei dem Einen, welcher Macht genug besitzt, was Sein ist, zu rechtfertigen vor allem Widerspruche und die Lästerung zurückzuschlagen. Nicht im Nachgeben und im feigen sich Zurückziehn vor Menschenmacht und Ansehen steht der Weg des Friedens; es gibt einen Frieden, den der Herr nicht will, einen faulen Frieden, da man sich einwiegt in Sicherheit und mit Pilatus fragt: Was ist Wahrheit? wenn ich nur Ruhe habe, weil ich noch hienieden lebe! Wider solches furchtsame oder aus Bequemlichkeit entsprungene Aufgeben der uns anvertrauten Wahrheit stärkt uns der Zuspruch unsers Textes. Darum halte nur still und schaue hoffend auf den Herrn, und lasse nichts die Zuversicht zu Ihm dir trüben. Himmel und Erde vergehen, aber Sein Wort bleibet; und wenn sich noch immer besser offenbaren wird, was jetzt schon für jeden, welcher Augen hat und sehen will, unablässig an den Tag kommt, daß alles Fleisch wie Heu ist und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume: dann werden die Enttäuschten ihre trügerische Stütze fallen lassen, und werden den Herren suchen, wo Er ist, da, wo Sein Wort geliebet und gelobt, wo Sein Name bekannt wird in mancher Schwachheit, aber mit unwandelbarer Treue. Dann wird auch unsre oft und viel geschmähte Kirche den Lohn der Treue ernten, den der Herr in unserm Text verheisset: sie werden kommen und anbeten zu deinen Füßen und erkennen, daß ich dich geliebt habe.

Aber zuvor kommt eine Zeit und ist bereits im Anzug, auf welche der Herr die Gemeinde in unserem Texte vorbereitet, wenn Er ihr sagt: „Dieweil du hast behalten das Wort meiner Geduld, will ich auch dich behalten vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über der ganzen Welt Kreis, zu versuchen die auf Erden wohnen.“ Die Stunde der Versuchung wird sein, wenn die Herren dieser Welt den Rathschlag, der schon lange im Stillen gehegt wird und der Reise näher rückt, an's Werk gehen werden auszuführen; wenn ihnen wird Macht gelassen werden an ihrem Theile zu vollbringen ihren Vorsatz wider Gott und Christum: „Laßt uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.“ Ein Geist der Losgebundenheit und Zügellosigkeit macht nicht seit gestern her, doch mit gesteigerter Anstrengung und Erfolg sich immer weiter Platz in dieser Welt; ein Geist, der nicht bloß gegen diese oder jene Form des Christenthums, nicht bloß gegen diese oder jene Kirche, wie sie in der Erscheinung jetzt sich darstellt, sondern gegen Alles, was christlich ist und heißt, gegen die Wurzel unsers Glaubens und die Wahrheit Gottes selbst sich empöret. Ihm wird unzweifelhaft heimfallen, was von dieser Welt ist; er wird mit seiner Wucht bedecken und verschlingen alle Truggebilde, in deren Scheine sich jetzt die geborgen dünken, die Holz, Heu, Stroh und Stoppeln bauen auf den Einen festen Grundstein, Christum. Wie Vielen wird der Halt zerrinnen unter ihren Händen, durch den sie ihrer Seelen Heil gedeckt und sicher aufgehoben wähnten; wie schlecht wird jede angelernte Ueberzeugung dann bestehen, die nicht auf festem Grunde göttlicher Gewißheit sich erbaut hat; wie äfft schon jetzt der Aberglaube die vermeintlich starken Geister, denen noch unlängst nichts gewiß schien, als was ihre Augen sehen und ihre Hände greifen konnten. Und doch ist Alles, was bisher aus dem unheimlichen Gebiete der Geisterwelt und der in ihrem Dienste stehenden unheimlichen Naturkraft bei uns angeklopft hat wie zur Probe, nur als ein Kinderspiel zu achten gegen das, was der Apostel uns zur Warnung schreibt von den lügenhaften Zeichen und Wundern der Verführung zur Ungerechtigkeit unter denen, die verloren werden, dafür daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, daß sie selig würden; denen Gott kräftige Irrthümer senden wird, daß sie glauben der Lüge, auf daß gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glauben, sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit. Das ist dann die Stunde der Versuchung, von der unser Text spricht. Sie ist längst geweissagt; sie rückt raschen Schrittes näher; ihre Vorboten regen sich bereits. Darum, theure Kirche, halte was du hast und freue dich deiner Gabe. Nicht umsonst nennt sie Christus das Wort Seiner Geduld. Denn Geduld ist noch, um es treulich zu bewahren auch unter Schmach und Trübsal und Verkennung und Verleumdung, unter allgemeinem Abfall, unter übermüthigem Hohn, unter eigner Schwachheit. Aber der Herr will uns behalten, wenn wir an Seinem Worte bleiben, und der kleinen Herde ist das Reich verheißen; sie wird dennoch groß sein; sie wird von allen Seiten ihre Reihen füllen; es werden alle frommen Herzen ihr zufallen; es wird die Hitze der Anfechtung läuternd und schmelzend ihr Gold von den Schlacken scheiden; und die Eine Herde, von welcher unser Heiland spricht, daß ihre Einheit sich zeigen werde in den letzten Tagen, die wird gewißlich bestehen aus den erprobten Scharen, die das Wort des Herrn behalten und Seinen Namen nicht verläugnet haben. Aber nur Er, Er ganz allein hilft durch. Wer Ihn hat, hat das Leben; und solches Leben ist geoffenbart in Seinem Worte, ist geknüpft an Seinen Namen, an keine Anstalt, keine menschliche Gemeinschaft oder Bürgschaft, so hoch sie stehe, so gewaltig sie erscheine. Darum freue dich, du evangelische Gemeinde, daß du zu deinem Herrn geführt wirst auf offenem geradem Pfade, ohne Umschweif, ohne Irrweg. Im Kampfe steige deine Zuversicht; und wenn er heiß wird, stärke dich das Wort des Psalmes: Herr, die Wasserströme erheben sich; die Wasserströme erheben ihr Brausen; die Wasserströme heben empor die Wellen; die Wasserwogen im Meere sind groß und brausen greulich; der Herr aber ist noch größer in der Höhe. Dein Wort ist die rechte Lehre. Heiligkeit ist die Zierde Deines Hauses ewiglich.

3.

Und so laßt uns denn endlich auch noch reden von dem Gnadenlohne, der nur dem standhaften Kämpfer und Bekenner vorgehalten wird am Ziele: „Siehe,“ spricht unser Herr, „ich komme bald! halte was du hast, daß Niemand deine Krone raube.“ Das Wort: Ich komme bald! hat schon mit seiner alle ihre Kräfte belebenden und spannenden Gewalt in manchem heißen Kampf die Kirche seit Jahrhunderten gestärket. Es hat an seiner Wahrheit nichts verloren noch an der Macht seines Eindrucks für die Jünger Christi, und wir wissen, Sein Kommen ist allein entscheidend für alle Ewigkeit. Wie mögen wir im kurzen Kampf ermatten, die Geduld aufgeben, deren Ziel wer weiß wie nahe ist, und die Krone uns entwinden lassen, von der uns nur ein Zwischenraum noch weniger gezählter Schritte trennt? Nichts ist dem standhaften Bekenntniß Christi mehr hinderlich als die Vorstellung, welche alles Grundes bar ist, Er sei von Seiner Kirche fern, und habe die Gewalt im Himmel und auf Erden, die in Seine Hand gelegt ist, abgegeben. Aber hat Er sie noch, wie Er sie denn wahrhaftig stets bewährt hat, und nicht am wenigsten in den entscheidungsvollen Tagen, an welche uns das heutige Fest erinnert: dann kann es auch nicht fehlen, Er wird kommen, gewißlich, ohne allen Zweifel, wann es noth ist, und bis dahin vermögen wir auch das Feld zu behaupten. Die Standhaftigkeit gewinnt den Sieg. Wer blöde und verzagt ist, möge immerhin umkehren und die Wahlstatt räumen; Christus der Herr ist unser Gideon, und Seine Ehre ist, mit Wenigen zu siegen; denn Sein ist die Kraft; aber hoch und herrlich ist der Preis der Treue.

Denn so spricht Er davon in unserem Texte: „Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes und soll nicht mehr hinausgehn.“ Seiner Standhaftigkeit entspricht der Lohn. Er stand wie eine Säule im Gedränge des Kampfes und wich nicht vom Panier des Herrn, dem er die Nachfolge zugeschworen hatte. So soll er auch im Reich der Herrlichkeit als eine Säule stehen, an die das schwächere Geräthe des Heiligthums gelehnt wird, und von dieser Stelle soll ihn kein Schmerz und keine Noth mehr treiben; denn das Alles ist vergangen und hingesunken mit der Zeit; aber unvergänglich bleibt die erstrittene Frucht und der Kranz der Ehre. „Und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes,“ fährt der Herr fort, „und den Namen des neuen Jerusalems, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel hernieder kommt von meinem Gott, und meinen Namen den neuen.“ Wie ein Herr sein Eigenthum bezeichnet, daß es jedem kenntlich sei, wo er es antrifft; wie ein König seine ausgewählten Diener damit ehret, daß er die Züge seines Namens an sie heftet, damit jeder wisse, wer sie seien und wer der sei, der sein Vertrauen auf sie setzet und sie mit seiner Vollmacht schmückt: so tragen die Erlösten Christi, die als Sieger erfunden werden, Seinen Namen, nicht als ein todtes Zeichen, sondern als den Inbegriff und Quell der Freude und des Hochgefühles, das sie innerlich durchströmt. Darum daß sie von Seinem Namen nicht gelassen haben, wo es noth war an Sein Bekenntniß Alles zu setzen, was sie hatten, darum soll dieser Name auch ewiglich ihr Theil und Erbe sein sammt aller seiner Herrlichkeit und Kraft und Lebensfülle. Hoch ist der Preis; darum ruft unser Herr am Schlüsse mahnend: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“ O daß Sein Wort in unsern Ohren das laute Geräusch übertönete, womit die Eitelkeit der Welt und ihr verlockendes Geschwätz sie füllen möchte, O daß die edle Einfalt bei uns eine Stätte fände, die nur nach Einem hört und fragt und nur nach Einem ausschaut, nach dem Willen Gottes, nach Seiner Verheißung, Seiner Offenbarung, Seiner Weisung. Jahrhunderte und Jahrtausende sind vorbeigegangen mit ihrem bunten Füllwerk, ihren wechselnden Verirrungen, ihrem Glanz und Schimmer, ihrem Druck und ihrer Armuth. Das Alles ist dahin und seine Stätte kennt es nicht mehr. Aber rein und klar und immer heller strahlet das Panier der Wahrheit, das Wort unseres Gottes. Daran hat keine Zeit etwas verändert, kein Wechsel nur ein Tüttelchen von seinem Inhalt weggenommen, kein Zweifel auf die Dauer Recht behalten. So lasset auch uns wählen, was gewiß ist. Je ernster die Gegenwart ist, und je drohender die Zukunft hersieht, desto gewichtiger erscheint das eine, das gute Theil, das jedem noth thut, soll er nicht verloren gehen. Dieß gute Theil zu retten aus der Fluth, die es schon fast verschlungen hatte, war die Aufgabe und das Ziel der Mühe unsrer frommen Vater, an deren Namen wir mit Ehrfurcht heute gedenken. Es zu behalten und an seiner Kraft die müden Hände zu stärken und die strauchelnden Kniee zu erquicken, das ist unsre leichtere Pflicht. Aber ob sie auch schwerer werden dürfte und noch viel ernstere Anfechtung einbrechen, als die wir schon kennen: der eine offene Thür vor uns gegeben hat, Er wird sie nimmermehr verschließen lassen. Klein ist auch unsre Kraft; aber was der Herr verlangt, ist nur die dankbare Hingebung, die auf Seine Gnade trauet. Wir können freilich Ihn nicht halten durch die Stärke unsers Glaubens; aber Er hat uns ja gesagt, daß schon ein Senfkorn Glaubens Ihm genug ist, Wunder Seiner Allmacht aufzurichten. So löschet nur nicht selber das Lämpchen eurer Zuversicht aus; Er gießt Oel zu, und wird zur Flamme es anfachen, wenn es noth thut. Aber wer von Seinem Worte läßt und folgt der Stimme menschlicher Beredung, der hat von seinem Frieden sich losgesagt; Ihn kann der Herr auch in der Stunde der Versuchung nicht behalten. Darum wohlan, der Herr ist bei uns drinnen; Sein Name ist unser Feldgeschrei. In Seinem Namen wollen wir das Feld behaupten. Siehe, Ich komme bald! ruft Er uns zu. So laßt uns halten an dem Bekenntniß zu Ihm, bis Er erscheint und Seine Herrlichkeit uns aufnimmt. Amen.

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