Burger, Carl Heinrich August von - Vierzehnte Predigt. Am Sonntage Cantate 1856.

Burger, Carl Heinrich August von - Vierzehnte Predigt. Am Sonntage Cantate 1856.

Text: Röm. 5,1-5
Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christ; Durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen; und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, dieweil wir wissen, daß Trübsal Geduld bringet; Geduld aber bringet Erfahrung; Erfahrung aber bringet Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.

„Ohne Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß Er sei und denen die Ihn suchen ein Vergelter sein werde“ (Hebr. 11, 6) Mit diesen Worten, die durch ihre Einfachheit und Kürze jede Auslegung überflüssig machen, ist die Art der geistigen Beziehung klar bezeichnet, welche wir Religion benennen, Sie ist ihrem Wesen nach ein Bauen und Trauen auf das, was jenseits unsrer sinnlichen Wahrnehmung steht; es liegt in ihrer Natur, sich zu stützen auf das Unsichtbare und sich zu halten an Den, den wir nicht sehen, als sähen wir Ihn. Eine Religion, die bloß den Sinnen nachginge, und sich vornähme zu bleiben in den Schranken dessen, was die Sinne fassen oder der Verstand erschließen mag in dem Bereich der Sinne, wäre eben keine, hätte gar kein Recht auf diesen Namen. Denn sie ist geistiger Natur; sie ist Hingebung an den Zug des Geistes Gottes, den des Menschen Geist empfindet, ist eine Gewißheit von höherer Art als die sinnliche, ein Zeugniß für unsre göttliche Natur, ein selbstbewußter Anschluß an den Urgrund, der uns trägt, eine stetige Vergegenwärtigung der Quelle, aus welcher unser Dasein ausgeflossen ist und ohne die wir nicht bestehen können. Das innerste Wesen der Religion ist Glaube, und Glaube ist vertrauende Hingabe an den lebendigen persönlichen Gott, in dem wir leben, weben und sind. Weil aber zwischen Gott und den Menschen durch die Sünde eine Scheidung erfolgt ist, die den Tod bringt, wenn sie nicht aufgehoben wird; Gott aber hat sie, so viel an Ihm ist, aufgehoben und uns den Weg der Rückkehr zu Ihm ausgeschlossen: so glauben wir an den versöhnten Gott, und trösten uns der Gnade, die in Christo Jesu uns erschienen und geoffenbart ist. Mit diesem Glauben bricht unser neues Leben an; er ist die erste, unerläßliche, und recht verstanden die einzige Bedingung alles Heils, deß sich ein Mensch, ein Christ erfreuen kann, das ihm bereitet ist von Seinem Gott, auf welchem Seine Seligkeit beruht. Diese Wahrheit legt unser Text uns vor in gedrängter Kürze, doch mit reicher Fülle. Wir folgen ihm, und lassen von ihm uns lehren: daß der Glaube der Weg zu allen himmlischen Gütern ist, die mir in Zeit und Ewigkeit bedürfen; denn

  1. er ergreift die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und setzt unser Herz in Frieden;
  2. er bewahrt die Gemeinschaft mit Gott, welche uns erhebt zur Hoffnung des Mitgenusses Seiner Herrlichkeit;
  3. er macht den Weg zu diesem Ziel uns reich an mannigfachem Segen;
  4. er genießet für das Alles jetzt schon eine Bürgschaft, welche jede Täuschung ausschließt.

Darüber wollest Du, Herr Gott, uns selbst die rechte selige Gewißheit geben, und uns dazu verhelfen, daß wir nicht bloß mit Worten zeugen von dem Glauben, der unsrer Seele Leben ist, sondern selbst ihn im Herzen tragen, seine Frucht genießen, seine Kraft bewähren. Segne dazu Dein Wort an uns auch in dieser Stunde; gib uns das Eine, was uns noth ist, den Geist des Glaubens und der Liebe zu Dir, und bewahre uns dabei, daß er uns nimmermehr verloren gehe. Amen.

I.

Der Glaube ist der Weg zu allen himmlischen Gütern, deren wir in Zeit und Ewigkeit bedürfen, und das erste derselben ist die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Sie wird durch den Glauben unser, und führt ihre Frucht, den Frieden Gottes, mit sich. Denn so sagt unser Text: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum.“ Wir sind gerecht geworden durch den Glauben! ein wundersamer Ausdruck, der bloß, weil wir ihn so gewohnt sind, uns nicht mehr überrascht. Sonst sagt man, und selbst der Apostel Johannes bestätiget es: „Wer recht thut, der ist gerecht“ (1. Joh. 3,7), und unser Heiland nennt einen klugen Mann den, welcher Seine Rede höre und sie thue (Matth. 7,24). Aber haben wir wohl Acht, meine Lieben! der Apostel redet in unserm Text nicht davon, wobei man den Mann erkenne, der gerecht sei und einhergehe in der Klugheit der Gerechten; sondern wie man dazu gelange, das zu werden; wir sind gerecht geworden durch den Glauben, spricht er; denn das gelingt uns nun und nimmermehr durch unser Thun. Dazu genügt all unser Werk und unser Mühen nicht von Weitem; wir stehen allesammt vor unserem Gotte als die bösen Knechte, die nicht gethan, was wir schuldig waren; all unsre Gerechtigkeit ist vor Ihm wie ein unfläthiges Kleid (Jes. 64,6); hat Er Lust mit uns zu hadern, so können wir auf Tausend Ihm nicht Eins antworten (Hiob 9,3). Wie wollen wir vor Ihm gerecht sein?

Vor Ihm gilt nichts als Gnad und Gunst,
Die Sünde zu vergeben!
Es ist doch unser Thun umsonst
Auch bei dem besten Leben.
Vor Ihm Niemand sich rühmen kann,
Deß muß Ihn fürchten Jedermann
Und Seiner Gnade leben!

Aber eben diese Gnade ist's, die der Glaube ergreift mit fester Zuversicht, und durch diese im Glauben angenommene und ergriffene Gnade werden wir gerecht. Denn was wir nimmermehr vermöchten, wozu uns Kraft und guter Wille mit einander fehlte, das hat der Herr für uns gethan. Er hat das göttliche Gebot erfüllt mit heiligem Gehorsam uns zu Gute; Er hat die Schuld gebüßt in Seinem Schmerzenstode, den Er für uns erduldet hat; Er ist um unsrer Missethat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen worden; die Strafe lag auf Ihm, auf daß wir Friede hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilet (Jes. 53, 5). Sein heiliges Werk und Verdienst hat, nicht unser Thun und Wohlgefallen hat uns Gott angenehm gemacht. Ich, Ich tilge eure Uebertretungen um meinetwillen, ruft Er uns zu, und gedenke eurer Sünde nicht (Jes. 43,25). Das ist nicht etwas, was wir erst erarbeiten, erwerben, selbst zu Stande bringen könnten oder müßten; das ist geschehen, Einmal für alle Zeiten; mit Einem Opfer hat Er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden (Hebr. 10,14). Aber annehmen müssen wir Sein Werk und Thun als den Grund unserer Begnadigung und unsres Lebens. Annehmen können wir es nur dadurch, daß wir von ganzem Herzen fest vertrauend darauf bauen; daß wir mit dem Apostel Paulus alle unsre eigne Gerechtigkeit und allen selbsterworbenen vermeinten Ruhm hinwerfen, ja für Schaden achten, auf daß wir Christum gewinnen und in Ihm erfunden werden; daß wir nicht haben unsere Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, d. h. durch unsere Gesetzerfüllung, sondern die durch den Glauben an Jesum Christum kommt, nehmlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird (Phil. 3,7-9). Von dieser redet unser Text; in ihr steht unser Friede. Wir haben keinen Frieden, so lange wir ihn in unsrem eignen Thun und Wesen suchen; es wankt der Boden unter unsern Füßen, so lange wir uns stellen auf eignes Werk und Verdienst und wollen damit unsre Seele stillen. Nur wenn der Herr und Heiland Jesus Christus der einige ausschließliche Grund aller unsrer Hoffnung und unsers völligen Vertrauens geworden ist, also daß wir von Allem, was unser ist und heißt, nichts geltend machen, ja an nichts gedenken, es fei denn an unsre Sünde, wenn wir vor Gott treten, sonst lediglich an Seine theure Gnade, an Christi vollgültiges Verdienst, an Sein unschuldig Leiden, Sein versöhnend Sterben; wenn unsre ganze Seele darin ruht und darin lebet, daß Er um unsertwillen Alles, Alles, von Seiner Krippe bis zu Seinem Kreuze getragen und gethan und ausgestanden und besiegt hat, und daß solch Werk des Eingebornen Sohnes Gottes nicht vergeblich bleiben kann, daß es muß vor Gott gelten, daß vor ihm alle unsre Sünde verlöschen muß wie ein Fünklein in dem Meer der Gnade: dann haben wir den rechten Grund gefunden, in welchem unsre Seele geborgen ist vor Furcht und Schrecken. Christus ist unsere Gerechtigkeit, die wir ergreifen durch den Glauben, und damit ist Er auch unser Friede. Dieß erste, nötigste, ganz unentbehrliche Gnadengut hat nur der, welcher glaubt an Jesum Christum; der Glaube ist der Weg dazu, der Glaube auch das Mittel, um es fest zu halten.

II.

Denn er bewahrt zum andern die Gemeinschaft Gottes, die uns erhebt zur Hoffnung des Mitgenusses Seiner Herrlichkeit. Es ist ein Irrthum anzunehmen, daß zwar der Glaube der Anfang unsers Heilswegs sei, aber im weiteren Verlauf desselben müsse an seine Statt die Liebe treten oder das Verdienst des eigenen Gehorsams Der Herr sagt: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben; wer in Mir bleibt und Ich in ihm, der bringt viele Frucht; „ohne Mich könnt ihr nichts thun“ (Joh. 15, 5). Aller Gewinn und Fortgang auf dem Pfad des Lebens ist lediglich bedingt von der Gemeinschaft mit dem, welcher uns das Leben zuerst erworben und geschenkt hat. Jede Erkaltung dieser Gemeinschaft ist für unser Leben tödtlich. Wir werden nicht einen Augenblick also selbständig, daß wir Christum unsern Herrn nicht mehr bedürften, daß wir ohne Ihn etwas wären, etwas könnten, woran Gott Gefallen hätte, wodurch wir vor Ihm bestehen könnten. Weil aber alle gute und alle vollkommne Gabe nur in Christo und um Seinetwillen uns zu Theil wird und auf uns ruht, so ist und bleibt der Glaube, die vertrauende Hingabe, der feste Anschluß an Ihn zu aller Zeit allein das Mittel, auch an Ihm zu wachsen und, was uns geschenkt ist, zu bewahren. Darum sagt unser Text, daß wir im Glauben „Zugang haben zu dieser Gnade, darin wir stehen.“ Es gibt keinen andern Zugang zu ihr, und wie wir diese Gnade nie entbehren können, so auch den Glauben nicht, der zu ihr führt, der sie ergreift, der sie bewahrt und fest hält dadurch, daß er täglich uns wieder zu ihr drängt und hinzieht, um aus ihr zu schöpfen. Aller Gehorsam, mit dem ein Christ Gott seinen Herrn und Heiland ehrt, ist eine Frucht des Glaubens an Ihn, hervorgelockt und gezeitigt durch die Zuversicht, daß Er ein gnädiger Gott uns sei um Christi willen, kein harter Herr, der schneidet, wo er nicht gesät hat, sondern ein milder Vater, der Seinen Kindern Seinen Geist gibt, und darnach auf des Geistes Frucht bei ihnen wartet. Alle Kraft, die wir bedürfen, alles Licht, das unsern Weg erhellt, alle Freudigkeit, die unsre Schwingen hebt, daß wir nicht ermatten, sie fließt uns durch den Glauben zu, in dem wir zu Gott nahen und das Abba, lieber Vater, sprechen dürfen. Nimm diesen Glauben weg, und du bist geistig tobt, ein abgestorbener Baum, ohne Freude, ohne Trost und ohne Aussicht. Aber im Glauben wissen wir, daß das Band, welches unser Herr mit uns geknüpft hat, nicht reißen wird in Ewigkeit; daß wir noch eine gewisse Hoffnung vor uns haben, viel größer als unsre ahnende Seele sie vermag zu fassen: im Glauben „rühmen wir uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll.“ Denn Sein angefangenes Werk läßt Er nicht liegen. Wo säet ein Ackermann den Samen auf sein Feld, der nicht die Ernte davon sehen wollte? Wie sollte der Herr der Herrlichkeit, der allwissende allweise Gott voll Macht und Gnade, den Eingebornen Sohn für uns dahin gegeben und uns im Glauben Ihm verbunden und Ihm eingeleibet haben, und sollte nicht auch die Frucht von dieser Aussaat zum Voraus beschlossen haben? sollte mitten im Lauf Sein Werk abbrechen oder fallen lassen? sollte uns mit Christo Seinem Sohne einigen in diesem Leben, und wenn der Tod die Seele von dem Leibe scheidet, das Band der Einigung mit Ihm sich lösen lassen ohne weitere Wirkung, als ob es nicht da gewesen wäre?

Das ist unmöglich, so kann Gott nicht handeln, der nicht ein Mensch ist, daß Er lüge, noch ein Menschenkind, daß Ihn etwas gereuete (4. Mos. 23,19). Was Er begonnen hat, führt Er hinaus, und wer im Glauben Zugang hat zu Christi Gnade und durch Ihn gerecht geworden ist und Friede hat auf Erden, der bleibet Christi Eigenthum und ist ein Erbe Seiner Herrlichkeit auch für die Zukunft, und er darf sich dessen rühmen; denn sie ist ihm noch viel gewisser als jede Aussicht, die die Erde bietet. Es kann kein Tod ihm dieses Ziel verrücken. Wo Christus ist, sein Herr und Haupt, da hat er seine Heimath, seine Zuflucht, den Ausgang seiner Mühen, die Stätte des Friedens und der Ehre, die ihn endlich aufnimmt. „Denn das ist der Wille des Vaters, der mich gesandt hat,“ zeugt der Treue und Wahrhaftige, der Mund der Wahrheit selber, „daß ich nichts verliere von allem, das Er mir gegeben hat, sondern daß Ich es auferwecke am jüngsten Tage“ (Joh. 6,39). „Wer Mein Wort hört und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben durchgedrungen“ (Joh. 5,24). So haben wir im Glauben nicht bloß gegenwärtig Frieden und Zuversicht zu Gott und freien Zugang zu dem Thron der Gnade und Gerechtigkeit und Stärke; wir haben in ihm auch eine Hoffnung, welcher wir uns fröhlich rühmen können; denn sie kann uns nicht trügen; und dieses Rühmen ist nicht bloß eine vergängliche Erhebung des Gemüths, ein Aufschwung, der vor der kahlen Wirklichkeit des irdischen Verkehrs und Treibens wieder einsinkt; nein, es besteht die Probe, wenn der Glaube, aus welchem solches Rühmen fließt, kein bloßer Selbstbetrug und leerer Schein ist.

III.

Denn er macht schon den Gang zu jenem Ziele der Herrlichkeit uns reich an Segen. Mag dieser Gang auch schwer sein, voll von Mühe und Entbehrung; das zeitigt nur und mehrt die Frucht und den Gewinn, zu dem der Glaube uns den Zugang öffnet. Denn nicht bloß die Herrlichkeit der Zukunft ist unser Ruhm; sondern im Glauben rühmen wir uns auch der Trübsal, die uns auf Erden trifft, „dieweil wir wissen, daß Trübsal Geduld bringt, Geduld aber bringt Erfahrung, Erfahrung aber bringt Hoffnung.“ Eine edle Stufenleiter! Gerade was für Fleisch und Blut lästig ist und der Natur zuwider, ja unerträglich dünkt, das verwandelt sich für die Gläubigen in eine Schule des Fortschritts und der geistigen Befestigung und Stärkung, die sie mit Freude und Befriedigung darauf zurückzuschauen berechtigt. Die Trübsal ist den Andern Grund der Trauer, die keinen Halt und keine Zuversicht der Noth und Drangsal, welche sie umgibt, entgegenstellen können. Den Christen ruft der Apostel zu: „Meine lieben Brüder, achtet es für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallet;“ denn er fährt fort: „und wisset, daß euer Glaube, so er rechtschaffen ist, Geduld wirkt“ (Jac. 1,3). Dieselbe Frucht nennt unser Text uns als die erste, welche in der Trübsal reiset. Die Trübsal selbst bringt sie zwar nicht hervor; der Glaube thut es in und durch die Trübsal; aber so will auch unser Text verstanden sein. Denn so ich weiß, daß alle Dinge denen, die Gott lieben, zum Besten dienen müssen; so mir gewiß geworden ist im Glauben, daß ich einen Gott und Vater habe, der über meine Wege wacht und auch die Haare auf meinem Haupt gezählt hat, von dessen Liebe kein Ungemach noch Schmerz noch Tod vermag zu scheiden: was kann mir dann die Trübsal thun, als meine Kräfte üben und von der Gefahr der Sicherheit und der Erschlaffung mich zurückziehn? als mich erwecken, daß ich alle Tage mit neuem Ernst mich auf den Boden der Verheißung stelle, welche Zeit und Ewigkeit umspannet, und also mich in sie vertiefe und mit ihr durchdringe, daß sie zu einer Kraft in mir wird, an der sich der Stachel des Wehe abstumpft, aber jede Gott wohlgefällige Gesinnung und Bewegung des Herzens einen Halt und eine Stütze findet, um nicht wieder zu vergehen und zu erliegen. Geduld ist eine Tugend ersten Ranges, sie muß allen andern Dauer und Beständigkeit verleihen. „Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker,“ sagt schon der weise Salomo (Sprüchw. 16,32); denn wenn die Stärke an der Macht des Widerstandes zerschellen will, so tritt Geduld an ihre Statt und macht die schon verlorne Sache wieder gut, und schlägt den Gegner aus dem Feld durch Stillesein und Harren. In guten Tagen wird die Seele matt und weich, in bösen rafft sie sich auf und sammelt die zerstreuten Glaubenskräfte; in guten Tagen liegt die Gefahr nahe, daß wir satt und sicher werden und des besten Theils vergessen, in bösen streckt sich der Geist nach oben und lernet an der göttlichen Geduld die eigne stärken, und in Geduld des Zieles warten, das uns nicht trügen kann. Denn „die Geduld bringt uns Erfahrung, Erfahrung, oder, was hier dasselbe ist, Bewährung bringet Hoffnung,“ wirkt neue, größere Zuversicht. Ob ich im Glauben recht begründet bin, oder ob mein Glaube vergleichbar ist den grünen Maienbäumen, die man zum Schmucke und zur Zierde je zuweilen in den Sand steckt, ohne daß sie Wurzeln darin haben: wo werde ich das erfahren, als wenn er die Probe der Trübsal zu bestehen hat? Ist er da nicht erlegen, sondern hat er Stand gehalten, dann ist er auch zugleich gemehrt und durch Erfahrung befestigt worden; dann hat er als ächt und probehaltig sich bewährt. Er muß geläutert werden in der Trübsal wie das Gold im Feuer. Aber wenn er hervorgeht aus dem Schmelztiegel solcher Läuterung und hat nicht abgenommen, sondern stehet noch fest auf dem lebendigen Gott und Seinem Worte: dann ist er eine geistige Macht geworden, die das Herz in Ruhe setzet. Gott ist mit uns! das ist dann nicht mehr bloß ein in das Gewand der Zuversicht gehüllter frommer Wunsch und Bitte, sondern ein Satz der Erfahrung; wir wissen, es ist so, Er hat es uns bewährt, wir haben es gesehen und sind es inne worden an uns selber. Er hat uns nie verlassen, immer wieder mit Seinem Troste uns gestärkt, mit Seinem Beistand ausgeholfen. Ter so viel an uns thut, Er kann Sich selbst nicht leugnen, auch nicht, wenn neue größre Trübsal kommen sollte. „Die Erfahrung bringt Hoffnung.“ Sie erinnert an Alles, was wir schon erlebt, geschaut, im Geist geschmecket und empfunden haben; sie verbindet das, was zukünftig ist, mit der Vergangenheit; sie schließt aus dem, was hinter uns liegt, auf das Folgende, was nachkommt; und weil wir hinter uns nichts sehen als Güte und Treue unseres Gottes, welche Alles wohl macht, so wissen wir, was vor uns liegt, wird uns denselben Gott in neuen Zeichen Seiner Gnade und Erbarmung sehen lassen. Der Glaube umfaßt den Anfang und das Ende unsres Weges; er lehrt die Trübsal uns bestehen und die Hoffnung ist nur seine Frucht und Wirkung; in diesem Jammerthale macht er Brunnen und verwandelt es in eine Segensstätte, in einen Schauplatz göttlicher Liebesmacht und ihrer Gnadenwunder. Durch ihn verflicht sich stets der Schmerz mit innerer Bereicherung an Kraft und Frieden. Ohne den Glauben ist das Leben hier nicht werth gelebt zu werden; im Glauben geführt ist es eine Schule für die Ewigkeit, ein Garten, da die Pflänzlein Gottes Wurzel schlagen, bis sie der Gärtner ausnimmt und versetzt in bessres Erdreich, der Acker, da die Saat in Sturm und Regen soll Kraft und Saft gewinnen, um Gottes Scheuern einst mit ihrer Frucht zu füllen.

IV.

Und für das Alles hat und genießt der Glaube eine Bürgschaft, welche jede Täuschung ausschließt. Denn so sagt unser Text: „Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den h. Geist, welcher uns gegeben ist.“ Die Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Warum nicht? Weil sie nicht ein Gemachte menschlicher Gedanken und aus vergänglichen Empfindungen gebraut ist; weil sie ein Unterpfand hat, das nicht trügen kann: die Liebe Gottes, und weil sich diese Liebe an uns selbst erzeigt hat als eine kräftige wirksame Wurzel seliger Erfahrung und Bewährung; „denn sie ist ausgegossen in unser Herz durch den h. Geist, der uns gegeben ist.“ Ein Christ, welcher nichts von dieser Liebe wüßte, weil er diesen Geist nicht hätte, ist undenkbar. Den Namen möchte er tragen; aber er würde ihn mit Unrecht führen. „Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht Sein“ (Röm. 8,9). Eine Frucht des Geistes ist jede Tugend, jede wahrhaft christliche Erweisung. Im Geiste beten wir das Abba, lieber Vater! im Geiste hoffen wir, wo nichts zu hoffen scheinet; im Geiste dulden wir und siegen; wir leiden und haben noch davon Genuß und Freude, werden gedrückt und überwinden doch die Welt. Aber den Geist empfangen wir nicht durch des Gesetzes Werke, sondern durch die Predigt vom Glauben (Gal. 3,2). „Thut Buße und laßt euch taufen auf den Namen des Herrn Jesu,“ spricht Petrus (Apost. Gesch. 2,38), wie sich von selbst verstehet: weil ihr an Ihn glaubet, „so werdet ihr empfangen die Gabe des h. Geistes.“ Als jener Hauptmann Cornelius mit den Seinen das Wort hörte: „Von diesem zeugen alle Propheten, daß durch Seinen Namen Alle, die an Ihn glauben, Vergebung der Sünden empfahen sollen“ (Apost. Gesch. 10,43), und da dieß Wort in ihre Seele drang und an- und aufgenommen ward von ihnen, da fiel der h. Geist auf sie alle. Und weh Er sie und uns versichert hat, das ist die Liebe Gottes, die in Christo Seinem Eingebornen Sohne persönlich uns erschienen ist, damit wir an ihrem Ernst, an ihrer Kraft, an ihrer Dauer nimmermehr verzweifeln sollen. Auf diese Liebesthat des Herrn führt der Apostel alle Zuversicht der Christen und alle Hoffnung, die er hat, zurück. Der Seinen Eingebornen Sohn für uns gegeben hat, sollte Er uns mit Ihm nicht Alles schenken (Röm. 8,32)? Nachdem die Liebe Ihn bewogen hat mit uns den Tod zu theilen und das Kreuz auf Sich zu nehmen, sollte es ihr zu viel sein, ja ist es nicht für sie vielmehr ein Geringes, nun auch die Herrlichkeit am Ziele uns zu geben, deren alles Leiden dieser Zeit nicht werth ist, und während dieses Leidens selbst fest zu halten und zu stärken, daß wir nicht Schaden nehmen und des Erbes, das uns zugedacht ist, nicht verlustig gehen dürfen? Ja dieß zu wissen, jene Liebe zu kennen, welche uns geliebt hat bis zum Tod am Kreuze, das ist allein schon Seligkeit und Freude. Aber wir haben mehr davon als bloß das Wissen: „sie ist in unsre Herzen ausgegossen,“ sie überwältigt und erfüllt uns selbst, sie ist uns gegenwärtig und in uns lebendig; wir kennen sie, weil sie uns immer neu erquickt, weil sie in uns ein Brunn des Lebens und der Freude geworden ist, der in das ewige Leben fortquillt und seines göttlichen Ursprunges uns gewiß macht in der täglichen Erfahrung und Ergötzung, die wir aus ihm schöpfen. Deßwegen kann ein Christ so fröhlich sterben; deßwegen haben Qual und Marter nie die Freudigkeit der Christen dämpfen können, die um ihres Meisters willen litten, ob sie auch dem Tod entgegengingen. Sie sind nicht von Natur für Schmerzen unempfindlich; sie haben nicht ihre Seele hart gemacht, das Leiden zu verleugnen, dessen Stachel sie verwundet, und ihren Stolz darein zu setzen, daß man nicht sehen solle, was in ihnen vorgeht. Im Gegentheil, sie wissen, was Wehe und Leid ist, besser noch als andre, und sind nicht darauf aus, den Schmerzen aus dem Weg zu gehen, die sie treffen. Aber sie haben ein Gegenmittel in sich, das ist Gottes Liebe, die in ihrem Herzen sich bezeuget. Die hält sie aufrecht und erquickt und stählt sie; in ihr gewahren sie das Pfand für ihre Hoffnung, die Bürgschaft ihrer Seligkeit. Sie ist mit Christi Blut erworben und mit Seiner Auferstehung besiegelt und gewiß gemacht. Im Glauben wird sie unser; unser Glaube ist unser Sieg. Er ist der Weg zu allen Himmelsgütern, welche wir bedürfen. Ihn senke Gott in unser Herz, so wird er uns nicht faul und unfruchtbar an keinem Lob und keiner Tugend lassen, welche Christi Glieder zieret, und wenn der Schrecken des Gerichts einst fallen wird auf alle, die in Sicherheit und Selbstgerechtigkeit auf Erden-wandeln, dann wird der Gläubige das Haupt erheben dürfen: denn Christus ist seine Gerechtigkeit, und Christi Herrlichkeit; sein Erbe. Amen.

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