Bunyan, John - Pilgerreise - Neuntes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Neuntes Kapitel.

- Pilger im Thal der Todesschalten.

Am Ende dieses Thales öffnete sich aber ein anderes, es heißt: Thal der Todesschatten. 1) Christ mußte nothwendigerweise dasselbe entlang, gehen, denn der Weg zur himmlischen Stadt ging mitten durch dieses Thal hindurch. Dieses Thal nun ist eine wahre Einöde. Der Prophet Jeremia beschreibt's in folgender Weise: Es ist eine Wüste im wilden und ungebahnten Lande, im dürren und finstern Lande, im Lande, da Niemand (ausgenommen der Christ) wandelt, da kein Mensch wohnt. 2) Hier war Christ noch übler dran, als in seinem Kampfe mit Apollyon, wie sich aus Folgendem ergeben wird.

In meinem Traume sah ich, daß, als Christ an den Eingang des Thals der Todesschatten gekommen war, ihm zwei Männer begegneten, es waren dies Nachkommen derer, von welchen geschrieben steht, daß sie dem gelobten Lande ein böses Geschrei machten. 3) Diese Männer waren in aller Eile auf der Rückreise. Christ redete sie aber folgendermaßen an: „Wohin wollt ihr gehen?„

Männer. Zurück! zurück! Und wenn dir Leben und Wohlfahrt lieb sind, so thue desgleichen.

Chr. Weßhalb? was gibt's denn?

Männ. Was es gibt? Wir waren auf dem nämlichen Wege, den du gehst, und gingen so weit, als wir's wagen durften; wahrlich, bald wäre es aber um das Wiederkommen geschehen gewesen, denn wären wir nur ein wenig weiter vorgedrungen, so wären wir jetzt nicht hier, dir diese Nachricht zu bringen.

Chr. Nun, was ist euch denn begegnet?

Männ. Was? beinahe hätten wir das Thal der Todesschatten betreten, aber zum Glück sahen wir vor uns hin und wurden die Gefahr gewahr, ehe wir darin waren.

Chr. Allein, was habt ihr denn gesehen?

Männ. Gesehen? Das pechfinstere Thal selbst: auch sahen wir dort Gespenster, Feldteufel und Drachen des Abgrunds, ferner vernahmen wir in dem Thale ein beständiges Angstgeschrei und Heulen, gleich als von Menschen, die in unsäglichem Elende sind, die dort gebunden liegen in Ketten und Trübsal. Über dem Thale aber hangen die Angstwolken des Verderbens, auch breitet der Tod seine Flügel fortwährend über demselben aus. Mit einem Worte, es ist ein wahrer Schreckensort, in dem Alles wüst durch einander liegt. 4)

Chr. Aus Allem, was ihr da sagt, kann ich Nichts abnehmen, als daß das der Weg ist, der zu dem Hafen meiner Sehnsucht führt. 5)

Männ. Dein Weg mag es sein, der unsrige ist es aber nicht.

So zogen sie ab und Christ wanderte seines Weges, allein immer mit gezogenem Schwerte, denn er fürchtete, daß er möchte angefallen werden.

Nun sah ich in meinem Traume, daß zur rechten Hand, soweit sich das Thal hinzog, eine sehr tiefe Grube war. Dies ist die Grube, in welche zu allen Zeiten ein Blinder den andern hineinführt, und worin sie Beide jämmerlich umgekommen sind. Hinwiederum war zur linken Hand ein sehr gefährlicher Sumpf, in welchem sogar ein guter Mensch, der hineinfällt, keinen Grund findet. In diesem Sumpf fiel einst König David, und ohne Zweifel würde er darin erstickt sein, wenn nicht Der, welcher mächtig ist, ihn herausgezogen hätte. 6)

Auch war der Pfad hier außerordentlich schmal, und deßwegen der gute Christ um so übler dran; denn wenn er im Finstern den Abgrund auf der einen Seite zu vermeiden suchte, so konnte er sehr leicht in den Morast auf der andern fallen; suchte er dagegen dem Morast auszuweichen, so mußte er die größte Behutsamkeit anwenden, um nicht in den Abgrund zu stürzen. So ging er nun voran, und ich hörte ihn bitterlich seufzen, denn außer der vorhin erwähnten Gefahr war auch der Fußsteig hier so dunkel, daß, wenn er seinen Fuß aufhob, um weiter zu gehen, er oft nicht wußte, wohin oder worauf er ihn niedersetzte. Ungefähr Im der Mitte dieses Thals bemerkte ich den Schlund der Hölle, dicht am Wege. „Was soll ich nun thun?“ dachte Christ. Fort und fort brachen Flammen und Rauch in solchen Massen daraus hervor, mit sprühenden Funken und schauderhaftem Getöse (Dinge, die sich nicht, wie Apollyon, um Christ's Schwert kümmerten) — daß er sich genöthigt sah, sein Schwert in die Scheide zu stecken und eine andere Waffe zu ergreifen, nämlich die Waffe des unablässigen Gebets. 7) Da hörte ich ihn denn flehen: O, Herr, errette meine Seele!8) Er ging nun eine gute Strecke voran, während jedoch die Flammen ihn zu ergreifen suchten. Dabei hörte er klägliche Stimmen und verspürte ab und zu Stöße, daß er zuweilen meinte, er sollte in Stücke zerrissen, oder wie Koth auf der Straße zertreten werden. Dieser schauerliche Anblick und dieses furchtbare Getöse mußte er auf mehreren Meilen ertragen. Als er aber an einen Ort kam, wo es ihm gerade war, als wenn ihn ein Haufe Feinde verfolgt hätte, blieb er stehen und überlegte, was wohl am besten zu thun sei. Zuweilen wandelte ihn halber der Gedanke an, umzukehren; dann dachte er auch wieder, daß er wohl schon über die Mitte des Thales hinweg sei; auch fiel ihm ein, wie manche Gefahr er bereits überwunden habe, und wie er Größeres zu befürchten, wenn er zurück-, als wenn er vorwärts ginge. So beschloß er denn das Letztere zu thun; indessen schienen die Feinde immer näher zu rücken. Aber in dem Augenblick, als sie ihn beinahe erreicht hatten, schrie er mit gewaltiger Summe: Ich gehe einher in der Kraft des Herrn Herrn!9) Da weichen sie zurück und kamen nicht wieder. Eins aber möchte ich hier nicht unerwähnt lassen. Ich bemerkte nämlich, daß der arme Christ so in Verwirrung gerathen war, daß er seine eigene Stimme nicht zu unterscheiden vermochte, und das wurde ich folgendermaßen gewahr: als er gerade dein Schlund des brennenden Pfuhls gegenüber war, machte sich Einer von den bösen Geistern hinter ihm drein und schlich leise an ihn heran, derselbe flüsterte ihm viele schwere Lästerungen zu und Christ meinte wirklich, sie wären ihm selbst aus dem Herzen gekommen. Dies versetzte Christ in größere Betrübniß als irgend Etwas vorher. „Wie,„ dachte er, „solltest du nun Den lästern, den du früherhin so geliebt hast?“ das fühlte er aber wohl, er würde es nicht gethan haben, wenn er's hätte ändern können. Allein entweder hatte er nicht Überlegung genug, um seine Ohren zuzustopfen, oder zu erkennen, woher diese Lästerungen kamen.

Als Christ lange in diesem trostlosen Zustande fortgewandert war, glaubte er die Stimme eines Mannes zu hören, der vor ihm herging und sprach: Und ob ich schon wanderte im finstern Thale, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. 10)

Dadurch wurde er froh und zwar um folgender Ursachen willen:

1) weil er daraus schloß, daß noch andere Gottesfürchtige eben sowohl wie er in diesem Thale seien;

2) weil er erkannte, daß Gott auch in diesem finstern und trostlosen Zustande bei ihnen sei? „Warum„, dachte er, „sollte Er dann nicht auch bei dir sein? obgleich ich's, unter den Hindernissen, welche sich mir hier entgegenstellen, nicht so einsehen kann;“11)

3) weil er nun hoffen durfte, daß er, sobald er sie einholte, gute Gesellschaft auf diesem Wege antreffen werde.

So ging er denn weiter und rief dem zu, welcher vor ihm dahinpilgerte. Dieser wußte jedoch nicht, was er antworten sollte, denn er meinte ebenfalls, er wäre allein gewesen. Allmälig brach indessen der Tag an, da sprach Christ: Er macht aus der Finsterniß den Morgen. 12)

Als es nun Tag geworden, sah er hinter sich, aber nicht, weil er ein Verlangen gehabt, umzukehren, sondern um die Gefahren, durch welche er im Finstern hindurchgekommen, nun im Tageslichte anzuschauen. Und so sah er denn nun auch deutlicher die Grube zur rechten und den Morast zur linken Hand, ebenso auch wie schmal der Weg war, der zwischen beiden hindurchführte. Ferner bemerkte er die Gespenster, die Feldteufel und die Drachen des Abgrunds, aber alle in weiter Ferne, denn beim Anbruch des Tages kamen sie nicht in seine Nähe, allein sie wurden ihm doch offenbar, wie geschrieben steht: Er öffnet die finstern Gründe und bringet heraus das Dunkle an das Licht. 13)

Christ war sehr gerührt wegen seiner Rettung aus all den Gefahren auf seinem einsamen Wege; zwar hatte er wegen dieser Gefahren vorhin viele Furcht ausgestanden, aber jetzt waren sie ihm doch erst recht klar geworden, da er sie im hellen Tageslichte erkannte. Um diese Zeit ging die Sonne auf, und das war für Christ eine neue Gnade. Denn das müsset ihr wissen: war der erste Theil der Todesschatten gefährlich, so war der andere, welchen Christ noch zu wandern hatte, wo möglich noch viel gefährlicher. Von der Stelle nämlich an, wo er gegenwärtig stand bis zum Ende des Thales war der ganze Weg so voll von Fallstricken, Fußangeln, Schlingen und Netzen auf der einen, und auf der andern so voll von Gruben, Löchern und Untiefen, daß, wenn es hier so dunkel gewesen wäre, wie auf dem ersten Theile des Weges — er, hätte er gleich tausend Leben gehabt, sie unzweifelhaft allesammt verloren haben wurde. Allein gerade jetzt ging, wie ich vorhin sagte, die Sonne auf, und Christ sprach: Seine Leuchte scheint über meinem Haupte und bei seinem Lichte gehe ich in der Finsterniß. 14)

Bei diesem Lichte gelangte Christ bis zum Ende des Thales. Hier sah ich nun in meinem Traume viel Blut, Gebeine, Moder und verstümmelte Leichname von Pilgern, die früher dieses Weges gekommen. Während ich darüber nachsann, was die Ursache davon sein möchte, gewahrte ich vor mir in geringer Entfernung eine Höhle, worin vor Alters zwei Riesen: Papst und Heide, hauseten, durch deren Gewalt und Tyrannei aber die Pilger, deren Überreste hier umhergestreut lagen, das Leben verloren hatten. Christ kam jedoch ohne große Gefahr an diesem Orte vorbei, worüber ich mich einigermaßen verwunderte. Indessen habe ich späterhin erfahren, daß Heide schon manchen Tag todt ist, und daß der Andere, obwohl noch am Leben, wegen seines Alters und um der vielen heftigen Anfälle willen, die er in jüngern Jahren erlitten, so schwach und steif geworden, daß er jetzt fast anders nichts thun kann, als am Eingang seiner Höhle sitzen, die vorübergehenden Pilger angrinsen und sich in die Nägel beißen, weil er nicht zu ihnen herankann.

Christ ging so ohne Weiteres seines Weges voran; allein er wußte nicht, was er von dem alten Manne halten sollte, den er vor der Höhle erblickte, zumal derselbe (obwohl er nicht zu ihm kommen konnte) ihn in folgender Art anredete: „Ihr werdet nicht eher klug werden, bis noch mehrere von euch verbrannt sind!„ Christ sagte aber Nichts darauf, ging, ohne Schaden zu nehmen, ruhig seinen Weg fort und sang:

O Welt, voll Wunder! denn so muß ich's nennen —
Daß ich in solchen Nöthen ward bewahrt.
Mit Preis und Dank muß ich es laut bekennen:
Die Hand des Herrn schützt' meine Pilgerfahrt!
Es hatten Teufel, Hell und Sünde mich umgeben,
Als ich im Thal der Todesschatten war,
Es drohten Fallstrick', Schling' und Netze meinem Leben,
Und mich umringte stete Todsgefahr:
Doch hat mein Jesus mächtig mich befreit,
Ich leb' — Ihm sei die Ehr' in alle Ewigkeit!

1) , 10)
Ps. 23,4.
2)
Jer. 2,6.
3)
4 Mos. 13,33.
4)
Hiob 3,5. 10,22.
5)
Jer. 2,6. f.
6)
Ps. 69,3. 15. 15. f. 40,3.
7)
Eph. 6,18. 1. Thess. 5,17.
8)
Ps. 116,4.
9)
Ps. 71,16.
11)
Hiob 9,11. Ps. 9,11. Luk. 24,16.
12)
Am. 2,8.
13)
Hiob 12, 22.
14)
Hiob 29,3.
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