Bunyan, John - Pilgerreise - Fünftes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Fünftes Kapitel.

Pilgers Erfahrungen am Kreuze.

Nun sah ich in meinem Traume, daß der schmale und steile Weg, auf dem Christ wandeln mußte, auf beiden Seiten mit einer Mauer umgeben war, und der Name dieser Mauer ist: Heil. 1) Auf diesem Pfade eilte Christ mit seiner Bürde beladen weiter, es wurde ihm aber sehr sauer, weil die Bürde so schwer war.

Er kam nun zu einer Anhöhe, darauf, stand ein Kreuz und ein wenig unterhalb desselben war ein Grab. Da ward ich in meinem Traume gewahr, daß gerade als Christ an dem Kreuze ankam, sich ihm die Last von den Schultern lösete, von seinem Rücken fiel, hinunter rollte und in das offene Grab hinabfiel und von nun an war sie verschwunden. 2)

Da ward's Christ froh und leicht um's Herz und mit freudiger Seele sprach er: „Er hat nur Ruhe gegeben durch seine Schmerzen und Leben durch seinen Tod.„ 3) Hierauf stand er eine Weile still, um anzuschauen und sich zu verwundern, denn er war voller Erstaunen darüber, daß der Anblick des Kreuzes ihn von seiner Last befreit hatte. Er blickte hin und wieder hin, bis aus den Thränenquellen seines Haupts das Wasser über seine Wangen herabströmte. 4) - Als er nun so dastand und schaute und weinte, traten zu ihm drei leuchtende Gestalten und grüßten ihn mit den Worten: „Friede sei mit dir!“ Darauf hub die erste an: Deine Sünden sind dir vergeben,5) die andere zog ihm seine schmutzigen Lumpen aus und legte ihm ein Feierkleid an,6) und die dritte setzte ihm ein Zeichen auf die Stirne7), dann gab sie ihm ein Zeugniß mit einem Siegel darauf, 8) welches er beider Fortsetzung seines Laufes ansehen und an der himmlischen Pforte abgeben sollte. Darnach verließen sie ihn. Christ aber sprang vor Freuden und zog seines Weges, indem er sang:

„So lang', so lang' ward ich beschwert mit meinen Sünden
Und konnte nirgend Trost und nirgend Rettung finden,
Bis daß ich kam zu diesem Ort, o Wonne!
Hier ging mir auf des Friedens goldne Sonne,
Ja, hier mußt' fallen mir die Last vom Rücken,
Ich los hier werden von des Satans Stricken.
Gepriesen, Kreuz, gepriesen seist du, Grab!
Allein unendlich mehr gepriesen sei der Mann,
Der durch den Tod am Kreuz das Leben mir gewann!„

Ich sah nun in meinem Traume, wie Christ weiter wandelte, bis er in ein Thal kam. Da sah er ein wenig vom Wege ab drei Männer liegen, welche fest schliefen und Fesseln an ihren Füßen hatten. Der Eine von ihnen hieß Tropf, der Andere Träge und der Dritte Dünkel. Als Christ sie so daliegen sah, ging er zu ihnen, um zu versuchen, ob er sie nicht aufwecken könnte. So schrie er sie denn an: Ihr seid gleich denen, die schlafen oben auf dem Mastbaume, 9) denn unter euch ist das todte Meer, eine Tiefe, die keinen Grund hat. Drum wachet auf und kommet hierher! Thut das, dann will ich euch aus euren Eisen helfen. Auch sprach er zu ihnen: Wenn der, welcher umher geht wie ein brüllender Löwe, über euch kommt, so wird er euch sicherlich zerreißen und verschlingen. 10) Da sahen sie ihn mit großen Augen an, und sagten ein jeglicher in seiner Art, Tropf: ich sehe keine Gefahr; Träge: Nur noch ein wenig mehr Schlaf; Dünkel: Jeder muß für sich selber sorgen. Und hierauf legten sie sich wieder hin und schliefen; Christ aber ging seines Weges weiter.

Indessen schmerzte es ihn, wenn er dachte, daß Menschen, die in solcher Gefahr steckten, so wenig auf den guten Willen dessen achteten, der ihnen seine Hülfe aus freien Stücken angeboten, und indem er sie aufweckte, ihnen nicht nur einen guten Rath gegeben, sondern sie auch aus ihren Fesseln hatte losmachen wollen. Während er sich darüber noch betrübte, ward er zwei Männer gewahr, die links vom schmalen Wege über die Mauer setzten. Der Name des Einen war Formhohl und der des Andern Heuchler. Sie nun machten sich an Christ heran und dieser fing mit ihnen ein Gespräch an.

Chr. Woher kommt ihr, meine Herren, und wohin geht die Reise?

Formh. und Heuchl. Wir sind geboren in dem Lande Eitelruhm und wollen um Ruhmes willen nach dem Berge Zion.

Chr. Warum gingt ihr nicht durch die enge Pforte, die am Anfang des Weges ist? Wisset ihr nicht, daß geschrieben steht: „Wer nicht zur Thür hineingeht, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein, Dieb und ein Mörder“? 11)

Formh. und Heuchl. Alle unsere Landsleute halten es für einen weiten Umweg, wenn man durch die Pforte geht, um hierhin zu kommen; bei uns ist's gebräuchlich, ein Stück vom Wege abzuschneiden und darum über die Mauer zu steigen, wie wir denn auch gethan haben.

Chr. Wird es aber nicht als eine Übertretung gegen den Herrn angesehen werden, zu dessen Stadt wir reisen wollen, wenn man so gegen seinen Willen handelt, den er uns offenbart hat?

Formh. und Heuchl. Deßhalb brauchst du dir den Kopf nicht zu zerbrechen, denn wir stützen uns auf den alten Brauch und können, wenn es verlangt werden sollte, Zeugnisse beibringen, daß es so schon vor mehr als tausend Jahren geschehen ist.

Chr. Aber glaubt ihr denn, daß euer Verfahren die Probe vor dem Gesetz aushalten wird.

Formh. und Heuchl. Ein Gebrauch, der schon über tausend Jahre bestanden hat, wird jetzt von einem unparteiischen Richter ohne Zweifel als gesetzlich anerkannt werden. Und, fuhren sie fort, was liegt überhaupt daran, wie wir auf den Weg gekommen sind, wenn wir nur darauf sind. Sind wir darauf, nun so sind wir darauf. Du, der du, wie wir merken, durch die Pforte kommst, bist eben auch nur auf dem Wege, und so sind wir, die wir über die Mauer setzten, gleichfalls auf dem Wege. In wiefern bist du nun besser daran, als wir?

Chr. Ich wandle nach der Richtschnur meines Meisters, ihr aber nach eurem eignen Gutdünken, in väterlicher Weise. 12) Ihr werdet jetzt schon von dem Herrn zu den Dieben des Weges gezählt, darum bezweifle ich, daß ihr am Ende des Weges als redliche Männer werdet erfunden werden. Ihr seid von selbst, ohne seine Leitung, auf diesen Weg gekommen und eben so werdet ihr durch euch selbst, ohne seine Gnade, wieder hinweggehen müssen.

Hierauf wußten sie weiter Nichts zu sagen, als nur, er möge sich um sich selbst bekümmern.

Ich sah nun, wie sie alle drei ihres Weges wandelten, ohne viel mit einander zu reden, ausgenommen, daß, die beiden Männer zu Christ sagten, was Gesetz und Ordnungen beträfe, so zweifelten sie gar nicht daran, daß sie dieselben ebenso gewissenhaft hielten, als er. Darum sehen wir nicht ein, fuhren sie fort, worin du dich von uns unterscheidest, es sei denn der Rock, den du trägst, welchen du aber von irgend einem deiner Nachbarn, wie wir denken, bekommen hast, um deine Blöße zu bedecken.

Chr. Durch Gesetz und äußere Ordnungen werdet ihr, da ihr nicht durch die enge Pforte hineinkommt, nicht selig werden. 13) Was aber den Rock anlangt, den ich trage, so ist er mir von dem Herrn des Ortes, wohin ich wandere, geschenkt worden und zwar, wie ihr richtig saget, um meine Blöße zu bedecken. Ich trage ihn als ein Zeichen seiner Gnade gegen mich, denn vorher hatte ich Nichts als Lumpen. 14) Überdem ist er mir ein Trost auf meiner Pilgerreise, denn ich 'bin der gewissen Zuversicht, daß, wenn ich an die Thoren der Stadt komme, der Herr mich anerkennen werde, weil ich mit seinem Rock bekleidet bin — einem Rock, den er mir aus freier Erbarmung an dem Tage schenkte, an welchem er mir meine Lumpen auszog. Auch habe ich außerdem noch ein Zeichen an meiner Stirne, welches ihr vielleicht nicht bemerkt habt, welches mir Einer von den Vertrautesten meines Herrn an eben dem Tage, an dem mir die Bürde von den Schultern fiel, aufgedrückt hat. Ich will euch noch mehr sagen, daß ich da auch ein besiegeltes Zeugniß empfing, das mich, so oft ich es lese, trösten wird auf dem Wege, den ich wandle. Auch ward ich geheißen, dasselbe an der himmlischen Pforte abzugeben, zum Zeichen, daß ich gewißlich eingelassen werde. All diese Dinge fehlen euch, wie ich glaube, und zwar fehlen sie euch, weil ihr nicht durch die Pforte eingegangen seid.

Hierauf sagten sie Nichts, sondern sahen sich nur einander an und lachten. Nun sah ich, daß sie Alle weiter gingen, Christ war ihnen aber immer etwas voraus. Von da an sprach er nur mit sich selbst, bald mit Seufzen und bald mit getrostem Muthe. Auch las er oft in dem Zeugnisse, das ihm eine von jenen Lichtgestalten gegeben hatte, und Solches erquickte ihn.

1)
Jes. 26,1. ; 35,8. ; 4,6.
2)
4. Mos. 21,8. f. Joh. 3,14. f.
3)
Röm. 5,10.
4)
Zach. 12,10.
5)
Mark. 2,5.
6)
Zach. 3,4.
7)
Eph. 1, 13. vgl. Ps. 86, 17. Offenb. 22, 4.
8)
Offenb. 2, 17; 2 Tim. 2, 19.
9)
Spruch. 23, 34.
10)
1 Petr. 5,8.
11) , 14)
Joh. 10,1.
12)
1 Petr. 1,18.
13)
Gal. 2,16.
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