Bunyan, John - Die überschwängliche Gnade - VII. Kapitel. Ueberblick über die Entstehung und den Ausgang der vorstehenden Prüfung.

Bunyan, John - Die überschwängliche Gnade - VII. Kapitel. Ueberblick über die Entstehung und den Ausgang der vorstehenden Prüfung.

Nachdem ich euch nun in wenigen Worten eine Probe von der Sorge und Traurigkeit gegeben habe, die meine Seele durch die Schuld und den Schrecken von diesen meinen bösen Gedanken erlitten hat; so wie von meiner Errettung und von dem süßen und segensreichen Trost, den ich darnach empfing, (welcher zu meiner unaussprechlichen Verwunderung etwa zwölf Monate lang in meinem Herzen wohnte): so laßt mich nun, will's Gott, ehe ich weiter gehe, auch ein paar Worte über das mittheilen, was ich als die Ursache dieser Versuchung erkenne, und dann von dem Nutzen, den sie endlich meiner Seele brachte.

Der Ursachen waren, wie ich erkannte, hauptsächlich zwei, wovon ich auch während der ganzen Dauer dieser Prüfung tief überzeugt war. Die erste war, daß ich, als ich von der, dieser vorhergehenden, Versuchung erlöset war, nicht zu Gott betete, mich vor zukünftigen Versuchungen zu bewahren. Denn obgleich, wie ich in Wahrheit sagen kann, meine Seele vorher viel betete, ehe mich diese Versuchung ergriff, so bat ich doch nur, oder meist hauptsächlich um die Wegnahme gegenwärtiger Widerwärtigkeiten und um neue Offenbarungen Seiner Liebe in Christo; welches, wie ich hernach einsah, nicht hinlänglich war. Ich sollte auch gebetet haben, daß mich der große Gott vor zukünftigem Uebel bewahren möchte. Dieses ließ Er mich durch das Gebet David's tief fühlen, der bei gegenwärtiger Gnadenerweisung doch betete, daß Gott ihn vor zukünftiger Sünde und Versuchung bewahren wolle. „So,“ betete er, „werde ich ohne Wandel sein und unschuldig bleiben großer Missethat.“ (Luther.) Psalm 19,14. Von diesem Worte wurde ich eben während dieser ganzen langen Versuchung sehr gestraft. Auch die folgende Schriftstelle bezeugte mir meine Thorheit in der Versäumniß dieser Pflicht. „Darum lasset uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf daß wir Barmherzigkeit empfahen und Gnade finden zur Zeit, wenn uns Hülfe noth ist.“ (Hebr. 4,16.) Dies hatte ich nicht gethan, und darum wurde ich so dahingegeben zu sündigen und zu fallen, nachdem geschrieben steht: „Betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet.“ Und wahrlich, eben dies liegt bis auf diesen Tag mit solchem Gewicht auf mir und hat mich so scheu gemacht, daß ich, wenn ich vor den Herrn komme, nicht von meinen Knieen aufstehen darf, bis ich Ihn um Hülfe und Gnade gegen zukünftige Versuchungen angefleht habe. Und ich bitte Dich, Leser, lerne Dich vor meiner Versäumnis hüten, durch das Leiden, welches ich Tage, Monate und Jahre lang, um eben dieser Unterlassung willen, mit Kummer zu tragen hatte.

Eine zweite Ursache dieser Prüfung war, daß ich Gott versucht hatte. Und das habe ich in folgender Weise gethan: Zu einer Zeit war meine Frau hochschwanger und ehe ihre volle Zeit kam, kamen ihr die Wehen sehr schnell und stark an, grade als ob sie gebären und von einer unzeitigen Geburt entbunden werden sollte. Dies war gerade als ich eben so schwer versucht worden war, das Dasein Gottes zu bezweifeln. Darum sagte ich möglichst leise, nur so in Gedanken, in meinem Herzen: „Herr, wenn Du dieses traurige Leiden von meinem Weibe wegnehmen und machen willst, daß sie diese Nacht nicht mehr davon geplagt werde, (in dem Augenblick lag sie grade in Schmerzen) so werde ich daran erkennen, daß Du die verborgensten Gedanken des Herzens sehen kannst.“ Eben hatte ich das in meinem Herzen gesagt, als auch augenblicklich ihre Schmerzen weggenommen wurden und sie in einen tiefen Schlaf fiel bis an den Morgen. Hierüber verwunderte ich mich sehr und wußte nicht, was ich davon denken sollte; aber nachdem ich noch eine gute Weile wach gewesen war und sie nicht mehr schreien hörte, schlief ich auch ein. Als ich des Morgens erwachte, fiel mir wieder ein, was ich des Nachts in meinem Herzen gesagt und wie mir der Herr gezeigt hatte, daß Er meine verborgenen Gedanken wisse, worüber ich mich dann mehre Wochen lang sehr verwunderte. Etwa anderthalb Jahre nachher ging der böse sündhafte Gedanke durch mein Herz, von dem ich vorhin gesprochen habe, der Gedanke: „Laß Christus gehen, wenn Er will.“ Und als ich um deswillen in Sündenschuld gefallen war, da kam auch die Erinnerung an den eben erzählten Vorfall über mich, und strafte mich auch: „Nun kannst Du sehen, daß Gott die heimlichsten Gedanken des Herzens weiß.“ Mit diesem zugleich erinnerte ich mich auch an das, was zwischen dem Herrn und Seinem Knechte Gideon vorfiel; wie nämlich Gideon, weil er den Herrn sowohl mit dem Naßwerden als auch mit dem Trockenbleiben des Felles versuchte, da er hätte glauben und auf Sein Wort bauen sollen, hernach auch von dem Herrn geprüft und gegen eine unzählige Zahl von Feinden gesandt wurde, und zwar, dem äußeren Schein nach, ohne alle Macht oder Hülfe. Richter 6,7.

So behandelte Er mich auch und das mit Recht. Denn ich sollte Seinem Wort geglaubt und nicht die Allwissenheit Gottes mit einem „wenn“ in Zweifel gezogen haben.

Aber nun will ich auch etwas von dem Gewinn zeigen, den mir diese Prüfung gebracht hat: Zuerst wurde durch sie ein beständiges, sehr wunderbares Gefühl, sowohl von dem Segen und der Herrlichkeit Gottes, als auch Seines geliebten Sohnes in meiner Seele gewirkt. In der Versuchung, die vorher ging, war meine Seele mit Unglauben, Lästerung und Herzenshärtigkeit geplagt; ich bezweifelte das Dasein Gottes und Christi, die Wahrheit des Wortes, die Gewißheit der zukünftigen Welt; ich sage, da wurde ich vom Atheismus sehr angelaufen. Aber nun war es anders, nun war Gott und auch Christus immer vor meinem Angesicht, obgleich in keiner tröstlichen, sondern in einer sehr fürchterlichen und schrecklichen Weise. Die Herrlichkeit der Heiligkeit Gottes zermalmte mich in dieser Zeit, und das Mitleiden und die Erbarmung Christi schlug mich, wie wenn ich auf dem Rade gelegen, denn ich konnte Ihn nicht ansehen, außer als einen (für mich) verlornen und (von mir) verworfenen Christus; die Erinnerung an Ihn zerbrach mir beständig meine Gebeine.

Die (heiligen) Schriften waren mir auch wunderbare Dinge. Ich sah, daß die Wahrheit und Gewißheit derselben die Schlüssel des Himmelreiche sind. Diejenigen, welche von der Schrift begünstigt werden, müssen den Segen ererben; aber die, welche von ihr abgewiesen und verurtheilt werden, müssen für immer verderben. O! dies Wort: „Und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden,“ zerbrach mir das Herz, und ebenso that es das andere: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Joh. 20,23. Nun sah ich die Apostel an als die Aeltesten der Freistadt, Jos. 20,4; diejenigen, welche sie einlassen würden, sollten zum Leben aufgenommen, aber die, welche sie ausschließen würden, sollten vom Bluträcher geschlagen werden. O, ein Ausspruch der Schrift plagte und erschreckte mein Gemüth mehr, ich meinte jene Aussprüche, die gegen mich sprachen, und manchmal schien jeder gegen mich zu sein) - mehr, sage ich, wie eine Armee von vierzigtausend Mann, wenn sie gegen mich gekommen wäre. Wehe dem, dem sich die Schrift entgegen stellt!

Diese Prüfung diente mir weiter dazu, tiefer in die Natur der Verheißungen zu sehen, als ich je zuvor gethan. Denn ich, der ich nun zitternd unter der mächtigen Hand Gottes lag und fortwährend von den Donnern Seiner Gerechtigkeit erschreckt und zerrissen wurde, wurde dadurch dahin gebracht, jedes Blatt mit sorgsamem Herzen und wachsamen Augen, mit großer Furchtsamkeit umzuwenden, und jeden Satz zusammen in seiner natürlichen Kraft und Stellung, mit viel Fleiß und Zittern zu betrachten.

Durch diese Prüfung wurde ich auch sehr von meiner früheren thörichten Art abgewöhnt, das Wort der Verheißung abzuweisen, wenn es mir in den Sinn kam. Denn nun, obgleich ich nicht den Trost und die Süßigkeit aus den Verheißungen saugen konnte, wie zu andern Zeiten, war ich wie ein sinkender Mann, der nach Allem hascht, was er sieht. Früher dachte ich, ich möchte mich nicht mit der Verheißung einlassen, außer wenn ich ihren Trost fühlte: aber nun hatte ich dazu keine Zeit; der Bluträcher verfolgte mich zu eifrig. Darum war ich froh, wenn ich ein Wort ergreifen konnte, obgleich ich doch noch fürchtete, ich hätte keinen Grund oder kein Recht dazu, froh an den Busen der Verheißung zu springen, die vielleicht ihr Herz gegen mich verschließen möchte. Nun bestrebte ich mich auch, das Wort so zu nehmen, wie Gott es niedergelegt hatte, ohne die natürliche Straft einer Sylbe davon zu unterdrücken. O! was sah ich jetzt in dem gesegneten sechsten Kapitel des Johannis: „Wer zu mir kommt, den will ich keinesweges hinausstoßen.“ Joh. 6,37. Nun fing ich an, in mir selbst zu erwägen, daß Gottes Mund zum Sprechen größer sei, als mein Herz, um Seine Rede aufzunehmen. Ich dachte auch, daß Er Seine Worte nicht in Eile spräche, oder in einem unbedachten Eifer, sondern mit unendlicher Weisheit und richtigem Urtheil, und in gewisser Wahrheit und Treue. 2 Sam. 3,28. Ich bemühte mich in jenen Tagen oft, in meinen heftigsten Kämpfen mich zu den Verheißungen zu wenden, wie die Pferde einem festen Grunde zuzuspringen pflegen, wenn sie im Schlamme stecken; denn obgleich ich war wie Einer, der vor Furcht fast von Sinnen ist, beschloß ich doch bei mir selbst: „Herr, auf dem Grunde der Verheißung will ich ruhen und bleiben, und die Erfüllung dem Gott des Himmels überlassen, der sie gegeben hat.“ O! wie manchen Kampf hat mein Herz mit Satan um das gesegnete Wort im sechsten Kapitel des Johannis gehabt! Ich sah jetzt nicht, wie zu andern Zeiten, hauptsächlich nach Trost; obgleich, o, wie willkommen wäre er mir gewesen! - sondern nach einem Worte, auf das sich eine müde Seele stützen könnte, daß sie nicht für immer untersinken möchte! Das war's, wonach ich jagte. Dennoch schien mir's oft, wenn ich mich an die Verheißung zu machen trachtete, als ob der Herr meine Seele für immer abweisen wollte. Es war mir oft, als ob ich mich auf die Spieße geworfen und als ob der Herr wie mit einem flammenden Schwerte nach mir geschlagen hätte, um mich von Sich fern zu halten. Dann dachte ich an Esther, die trotz des Verbots mit ihrer Bitte zum Könige hineinging, Esther 4,16; auch an Benhadad's Knechte, die mit Stricken um ihre Häupter zu ihren Feinden gingen, um Gnade zu erlangen, 1 Kön. 20,31; ebenso an das cananäische Weib, das sich nicht abschrecken ließ, obgleich Christus sie einen Hund nannte, Matth. 15,22-28, und an den Mann, der um Mitternacht ging, um Brod zu leihen, Luc. 11,5-8, und diese Beispiele dienten mir sehr zur Aufmunterung.

Ich habe nie die Höhen und Tiefen der Gnade, Liebe und Barmherzigkeit Gottes so erkannt, wie nach dieser Prüfung. Große Sünden erfordern große Gnade, und sie offenbart sich auch in der That dabei; und wo die Schuld am schrecklichsten und ungestümsten ist, da erscheint die Barmherzigkeit Gottes in Christo am herrlichsten und mächtigsten, wenn sie der Seele widerfährt. Als Hiob sein Gefängniß überstanden hatte, besaß er zweimal so viel wie vorher, Hiob 42,10. Gelobet sei Gott für unsern Herrn Jesum Christum! Vieles Andre könnte ich hier anführen; aber ich möchte kurz sein, und will es darum hier übergehen. Ich bitte Gott, daß meine Leiden Andre vor Uebertretung warnen möchten, damit sie nicht auch das eiserne Joch tragen müssen, wie ich es tragen mußte. Doch dieses will ich noch sagen: Zur Zeit, oder um die Zeit meiner Errettung hatte ich zwei- oder dreimal solche wunderbare Erfahrungen der Gnade Gottes, daß ich es fast nicht ertragen konnte. Diese Erfahrungen waren so überwältigend, daß ich glaube, wenn das Gefühl davon lange bei mir geblieben wäre, so hätte es mich unfähig zu meinem irdischen Beruf gemacht.

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