Bunyan, John - Unächtes Christenthum.

Bunyan, John - Unächtes Christenthum.

An jenem Tage werden manche Dinge, welche die Vielen für gut und christlich halten, unter den Füßen nachgeben wie ein Moorgrund; ja alle ihre leere Erkenntniß, ihr erdichteter Glaube, ihre vermeintliche Liebe, ihr ernstes und heiliges Aussehen, ihre Festtagsworte und auffälligen Handlungen werden alsdann nicht Stand halten. Ich nenne sie Sonntagschristen, denn ich gewahre, daß manche Bekenner es mit der Religion halten, wie die Leute es halten mit ihrem Sonntagsstaat, den sie die Woche über an die Wand hängen und nur des Sonntags anziehen. Denn gleich wie Manche eine Kleidung nur anziehen, wenn sie auf einen Jahrmarkt gehen, so wenig ist Hausreligion bei ihnen zu finden; sie heben die Religion auf, bis sie an eine Versammlung gehen, oder bis sie mit einem gottseligen Kunden zusammentreffen. O arme Religion! o du armer Bekenner! Was willst du thun an jenem Tage, am Tage der Prüfung und des Gerichtes? Dich verbergen kannst du nicht; nach einem Christen dich umthun kannst du nicht; vor dem Richter bestehen, kannst du nicht! Was willst du thun?

Es wird Manche geben, welche treffliche Bekenner waren in dieser Welt und doch am Tage, wo der Herr kommt, zurückbleiben werden; ja, manche, deren Verdammniß man sich niemals träumen ließ. Welcher von den Zwölfen hatte je gedacht, daß Judas sich als ein Teufel ausweisen würde? Ja, als Christus ihnen andeutet, daß Einer von ihnen ein Nichtswürdiger sei, so waren sie alle erschrocken, und zwar mehr über sich selbst als über ihn. - Wer stellte das Heil der thörichten Jungfrauen in Frage? Nicht die klugen; denn diese ließen sie in ihre Gemeinschaft zu. - Die Unterscheidung der Herzen, und die untrügliche Probe der Wahrheit der rettenden Gnade in einem Menschen ist dem Urtheil Christi vorbehalten, wann er kommt.

„Viele, sage Ich euch, werden trachten hineinzukommen, und werden es nicht vermögen.“ - Da ist vorerst der Meinungsheld. Ich meine damit den, dessen Religion in irgend einem Außenwerk der Religion gelegen ist. - - Diese halten alle für Irrende und Verirrte, welche nicht ihrer Art sind, während sie selbst abirren von dem Wege der Seligkeit mitten in ihrem Eifer für ihre Meinung. Auch der Formalist gehört zu denen, welche jenes Wort Christi meint. Er ist der Mann, der alles verloren hat, ausgenommen die Schale der Religion. Er ereifert sich freilich für diese Form, und kein Wunder; dies ist auch Alles, wofür er sich ereifern kann. Aber weil diese seine Form ohne Kraft und Saft der Gottseligkeit ist, so läßt sie ihn in seinen Sünden. Ja, er steht damit vor dem Angesichte Gottes, und ist einer von den Vielen, welche trachten werden hineinzukommen und es nicht vermögen.

Wir wollen zu allen diesen diejenigen zählen, welche sich selbst als Christen bekennen und dafür halten, indem sie sich mit Andern vergleichen, statt sich zu vergleichen mit dem Worte Gottes. Dieser Mensch tröstet sich selbst, weil er so fromm ist wie dieser und jener. Er hat auch eben so viel Erkenntniß als jener alte Bekenner, und daraus schließt er, er müsse in den Himmel kommen; als ob er gewiß wüßte, daß die, mit welchen er sich selber vergleicht, unzweifelhaft selig würden! - Doch wie, wenn er sich täuschte? Könnten nicht Beide zu kurz kommen? Sicherlich aber hat er Unrecht bei solcher Vergleichung, und ein unrechter Grund und Boden wird nicht bestehen am Tage des Gerichts.

Es gibt aber noch einen andern Bekenner; der ist sowohl für Gott als für Baal; er kann Alles sein, was man will, für jede Art von Gesellschaft; er kann auf beiden Achseln tragen, seine Religion ändert sich eben so schnell als seine Gesellschaft. Er ist ein Amphibium und kann im Wasser und auf dem Lande leben; er kann eben so wohl in frommer Gesellschaft leben, als ohne dieselbe. Er will es halten mit dem Hasen, und laufen mit den Hunden. Er trägt Feuer mit der einen Hand, und Wasser mit der andern. Er ist Alles was man will, nur nicht das, was er sein sollte. Der ist auch einer von denen, welche trachten hineinzugehen und es nicht vermögen.

Niemand ist kühner und verwegener, das Wagestück zu übernehmen, die dunkeln Geheimnisse und Aussprüche der Propheten und so schwerverständliche Stücke, wie das neunte Capitel des Römerbriefes auszulegen, - als die, welche kaum im Stande sind, den rechten „Grund anzugeben der Hoffnung, die in ihnen ist,“ oder welche nicht einmal Rechenschaft zu geben wissen von den ersten Grundsätzen der Religion; oder solche, die unwissend sind in den weit wichtigeren Dingen und klarsten Lehren der heiligen Schrift. Ihnen dient nichts als das Schwimmen im tiefsten Wasser, während sie noch nichts gelernt haben, durch die Untiefen der Schrift zu waten!

Es ist ein trauriges Vorzeichen einer nahenden Hungersnoth, nicht an Brot und Wasser, sondern am Anhören des Wortes Gottes, wenn die dünnen Aehren die vollen verschlingen und die mageren Kühe die fetten auffressen; wenn unsere Streitigkeiten über zweifelhafte Dinge und Dinge von geringerem Gewicht unsern Eifer für die unzweifelhaften und praktischen Dinge der Religion aufzehren. Dies gibt uns Grund zu befürchten, daß das der Charakter dieses Zeitalters und als solcher der Nachwelt bekannt sein wird, daß es das Zeitalter war, welches am meisten von Religion sprach und die Religion am wenigsten liebte.

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