Bugenhagen, Johannes /Jonas, Justus - Ein Leidensjahr.

Bugenhagen, Johannes /Jonas, Justus - Ein Leidensjahr.

Johannes Bugenhagen erzählt: Am Sonnabend Visitationis Mariae [den 9. Juli] hat Dr. Martinus Lutherus, unser lieber Vater, eine schwere Anfechtung gehabt, denen gleich, welcher oft in Psalmen gedacht wird. Er hat zwar zuvor wohl mehr solche Anfechtung erlitten, aber nie so heftig, als auf dieses Mal, wie er am folgenden Tage Dr. Jonä, Dr. Christiano und mir bekannte, sagt: Sie wäre viel härter und gefährlicher gewesen, denn die leibliche Schwachheit, die ihn desselben Sonnabends auf den Abend um 5 Uhr angestoßen hatte; wiewohl er hernach sich hören ließ, daß auch dieselbe leibliche Schwachheit nicht natürlich wäre gewesen, sondern vielleicht dergleichen Leiden, wie St. Paulus erlitten hatte vom Satan, der ihn mit Fäusten geschlagen. 2. Kor. 12. - Da nun dieselbe geistliche Anfechtung des Sonnabends frühe vorüber war, besorget der fromme Hiob, wo die Hand Gottes so stark wieder käme, würde er sie nicht ertragen können, hatte vielleicht auch eine Beisorge, es wäre nun an dem, daß ihn unser Herr Jesus Christus wollte von hinnen rufen, schickt derhalb seinen Diener Wolf zu mir um 8 Uhr Vormittage, ließ mir durch ihn sagen: Ich wollt eilend zu ihm kommen. Da er eilend sagt, entfaßt ich mich etwas drüber, fand doch den Doctor in gewöhnlicher Gestalt bei seiner Hausfrauen stehen, wie er dann konnte mit stillen, eingezogenen Gemüthe Gott Alles heimgeben und befehlen. Denn er pflegt seine Anliegen nicht Menschen zu klagen, die ihm nicht helfen können, denen er mit seinen Klagen nicht kann nützlich seyn, sondern er pflegt sich also gegen die Leute zu stellen, wie sie ihn begehren zu haben, die bei ihm Trost suchen. Thut er ihm unterweilen über Tisch mit fröhlich seyn zu viel, hat er selbst keinen Gefallen daran, und kann solchs keinem gottseligen Menschen übel gefallen, viel weniger ärgern, denn er ist ein leutseliger Mensch, und aller Gleißnerei und Heuchelei feind. - Aber, daß ich fortfahre, fraget ich den Doctor, warum er mich hätte lassen rufen? Antwortet er: Um keiner bösen Sache willen. Da wir nu hinaufgegangen waren, und beiseits traten an einen sonderlichen Ort, befahl er sich und Alles, was er hatte, mit großem Ernst Gott, hub an zu beichten und bekennen seine Sünde, und der Meister begehrte vom Schüler Trost aus göttlichem Wort, item eine Absolution und Entbindung von allen seinen Sünden, ermahnet mich auch, ich sollte fleißig für ihn bitten, welches ich desgleichen von ihm begehrete. Weiter begehret er, ich wollte ihm erlauben, daß er des folgenden Sonntags möchte empfahen das heilige Sacrament des Leibes und Bluts Christi, denn er hoffte, er wollte auf denselbigen Sonntag predigen, besorgte sich nicht, soviel ich merken konnte, des Unfalls, so ihm Nachmittag widerfuhr und sagt doch gleichwohl: Will mich der Herr jetzt rufen, so geschehe sein Wille. Ueber diese und andere Rede entsatzt ich mich. - Da er gebeichtet hatte und hernach geredt von der geistlichen Anfechtung, die er desselben Morgens mit solchem Schrecken und Zagen gefühlet hatte, daß ers nicht ausreden konnte, sprach er weiter: Viele denken, weil ich mich unterweilen in meinem äußerlichen Wandel fröhlich stelle, ich gehe auf eitel Rosen; aber Gott weiß, wie es um mich stehet meines Lebens halber. Ich habe mir oft fürgenommmen, ich wollte der Welt zu Dienst mich etwas ernstlicher und heiliger (weiß nicht, wie ich es nennen soll) stellen; aber Gott hat mir Solches zu thun nicht gegeben. Die Welt findet, Gottlob, kein Laster an mir, das sie mit Wahrheit mir könnte aufrucken; gleichwohl ärgert sie sich an mir, vielleicht will Gott die blinde, undankbare Welt über mir zur Närrin machen, daß sie durch ihre Verachtung verderbe und nicht werth sey, daß sie sehe die schönen Gaben, die er sonst viel tausend Menschen versagt, damit er mich begnadigt hat, daß ich damit dienen soll, die er wohl kennet, auf daß, weil die Welt nicht groß hält vom Worte des Heils, das ihr Gott durch mich, sein schwach geringe Gefäß, anbeut, sie an mir finde, daran sie sich ärgere und falle. Was Gott durch solch sein Gerichte meine, stelle ich ihm heim. Ich bitte und rufe ihn täglich an mit Ernst, daß Er mir Gnade verleihe, daß ich durch meine Sünde Niemand Ursach geben, daß er sich an mir ärgere. Solches habe ich aus dermaßen gerne von ihm gehöret.

Da ich so mit ihm allein handelt, war es nu schier an der Zeit, daß man das Mittagsmahl halten sollte. Und weil wir von Etlichen vom Adel [Marr von Wellefels, Hans Löser sc.] gerufen waren, mit ihnen zu essen, erinnert ich ihn, daß er den Gästen wollte zu Willen seyn und ja nicht außen bleiben. Er aber schlugs ab, da ermahnte ich sein Gemahl, sie wollte daran seyn, daß er käme und nicht allein daheim sitzen bliebe, hoffte, es sollte ihm gut seyn, wenn er bei Leuten wäre und mit ihnen von allerlei redete sc. Da kam er zur Mahlzeit, aß und trank zwar, aber sehr wenig, welches ich unter Allen am Tische allein merkte. Gleichwohl, wie seine Weise ist, war er guter Dinge mit den Gästen, machet sie fröhlich, so viel sichs leiden wollte, denn er hatt' es noch nicht vergessen, in was großer Fahr er kurz zuvor gewesen war. Um die zwölfte Stunde aber stand er von Tische auf, ging in Dr. Jonas Gärtlein hinter seinem Hause. Ich aber, weil ich predigen mußte zur Vesperzeit, ging zu Hause.

Justus Jonas erzählt: Nach der Mahlzeit ging er in mein Gärtlein, auszuschlagen seine Schwermuth und Traurigkeit und sich etwas zu erlustigen, saß allda, redete von mancherlei Sachen mit mir bei zwo Stunden. Da er aber aus meinem Hause trat, sagt er zu mir und meinem Weibe, wir sollten auf den Abend mit ihm essen. Da es nun um 5 Uhr kam, gingen wir hinauf ins Kloster, da sagt die Frau Doctorin: Er hätte sich zu Bette gelegt, daß er ruhen und sich wieder erholen möchte, denn er wäre schwach heimgekommen und bat, ich sollt mir indeß die Weile nicht lassen lang seyn und, so sichs ein wenig verzöge, sollt ichs seiner Schwachheit zurechnen. Da ich ein Weil geharret, stund der Doctor aus dem Bette auf, der Meinung, daß er wollt die Abendmahlzeit mit uns halten, klaget aber über ein groß, verdrießlich, ungewöhnlich Brausen und Klingen des linken Ohrs (welches, wie die Aerzte sagen, vor der Ohnmacht pflegt herzugehn). Weil aber dasselbige Klingen und Sausen immer größer und heftiger ward, sagt er: Er könnte für Schwachheit bei uns am Tische nicht bleiben, ging derhalben wieder hinauf in seine Schlafkammer, daß er sich wieder ins Bett legte. Ich allein folgete ihm bald auf dem Fuße nach (weiß nicht, was die Doctorin unten an der Treppe den Mägden befiehlt, ehe sie, wiewohl nicht lange, hernach kam), da er über die Schwelle der Schlafkammer trat, ging ihm eine Ohnmacht zu, spricht hastig zu mir: O Herr Doctor Jona, mir wird übel, Wasser her oder was ihr habt, oder ich vergehe. Also erwischt ich, fast erschrocken und behend, einen Topf mit kaltem Wasser, das goß ich ihm eins Theils unters Angesicht, eins Theils in Rücken, wie ich konnte. Indeß fähet er an zu beten: „Mein allerliebster Gott, wenn du es so willt haben, daß dies die Stunde sey, die du mir versehen hast, so geschehe dein gnädiger Wille“. Weiter betet er (hube seine Augen empor), mit großer Brunst seines Herzens, das Vater Unser und den sechsten Psalm gar aus. In dem kommt auch die Doctorin hinauf, da sie nun sahe, daß er so hinfällig und schier todt war, entsetzte sie sich sehr, ruft laut den Mägden. Da er so auf den Rücken lage, hätte gerne geruhet, klagt er, er wäre sehr matt, fühlete gar keine Kraft mehr. Wir rieben und kühleten ihn, gaben ihm Labsal und thäten, was wir konnten, bis der Arzt kam. Kurz hernach hub er wieder an zu beten und sprach: „Herr, mein allerliebster Gott, ach wie gerne hätt ich mein Blut vergossen um Deines Worts willen, das weißestu, aber ich bins vielleicht nicht werth, dein Wille geschehe. Willtu es so haben, so will ich gerne sterben, allein daß dein heiliger Name gelobet und gepreiset werde, es sey durch mein Leben oder Tod; wenns aber, lieber Gott, möglich wäre, möchte ich noch gerne leben um deiner Gottseligen oder Auserwählten willen. Ist aber das Stündlein kommen; so mache es, wie dirs gefället, du bist ein Herr über Leben und Tod.“ Indem gedacht er auch des leiblichen Arztes, fragt, ob Dr. Augustin schier kommen würde? Ja, sagten wir, wie er denn nicht lange hernach kam, der legt ihm warme Kissen, Tücher auf und Anderes, was zur Sache dienet, tröstet ihn, hieß ihn hoffen, es würde, ob Gott will, auf dießmal keine Noth haben. Indem kam auch Dr. Pomeranus, der Kirchen zu Wittenberg Pfarrherr, welchen der Doctor frühe desselbigen Tages gebeichtet hatte.

Johannes Bugenhagen erzählt: Ich, der ich noch zur Zeit nicht wußte, wie es um den Doctor stünde, ward um 6 Uhr auf den Abend zu ihm gerufen, fand ihn im Bette liegend, da hörete ich ihn mit klaren Worten, jetzt lateinisch, darnach deutsch, jetzt Gott den Vater, darnach Christum den Herrn anrufen, vornämlich befahl er mit großem Ernst Gott das Amt des heiligen Evangelii, das Er ihm bisher vertrauet hatte. Da ich aber vor ihm stunde, sehr erschrocken vor Angst meines Herzens, redte ich ihn endlich also an: „Lieber Herr Doktor, bittet auch ihr sammt uns, daß ihr möget länger bei uns bleiben, uns Elenden und Andern viel zu Trost.“ Antwortet er: „Zwar für meine Person wäre sterben mein Gewinn; aber länger im Fleisch leben wäre nöthig um Vieler willen. Lieber Gott, dein Wille geschehe.“ Darnach wandte er sich zu mir und Dr. Jona und sprach: „Weil die Welt Freud und Lust zu lügen hat, werden Viel sagen, ich habe meine Lehre vor meinem Ende widerrufen; begehr derhalben ernstlich, daß ihr wollet Zeugen seyn meines Glaubens Bekenntniß. Ich sage mit gutem Gewissen, daß ich aus Gottes Wort recht gelehrt habe nach Gottes Befehl, dazu er mich auch ohne meinen Willen gezogen und gedrungen hat, ja sage ich, recht und heilsam habe ich gelehrt vom Glauben, Liebe, Kreuz, Sacramenten und anderen Artikeln christlicher Lehre. Viel geben mir Schuld, ich sey zu hart und heftig, wenn ich wider die Papisten und Rottengeister sc. schreibe und ihre falsche Lehre, gottlos Wesen und Heuchelei strafe. Ja ich bin zu Zeiten heftig gewesen und meine Widersacher hart angetastet, doch also, daß michs nie gereuet hat. Ich sey nun heftig oder mäßig, so hab ich ja Keines Schaden, viel weniger seiner Seelen Verlust gesucht, sondern vielmehr Jedermanns, auch meiner Feinde Bestes und Seligkeit.“

Justus Jonas erzählt: Nicht lange darnach sagt er zu seiner Hausfrau: „Meine allerliebste Käthe, ich bitte dich, will mich unser lieber Gott auf diesmal zu sich nehmen, daß du dich in seinen gnädigen Willen ergebest, du bist mein ehelich Weib, dafür solltu es gewißlich halten und gar kein Zweifel daran haben, laß die blinde, gottlose Welt dawider sagen, was sie will, richte du dich nach Gottes Wort und halte fest daran, so hastu einen gewissen, beständigen Trost wider den Teufel und alle seine Lästermäuler.“

Indem, da ihm warme Tücher und Kissen aufgelegt wurden, den erkalteten Leib wieder zu erwärmen, fragt er nach seinem Söhnlein: Wo ist denn mein allerliebstes Hänsichen? Da das Kind gebracht ward, lachts den Vater an, da sprach er: „O du gutes, armes Kindlein, nun ich befehle meine allerliebste Käthe und dich armes Waislein meinem lieben frommen treuen Gott: ihr habt nichts, Gott aber, der ein Vater der Waisen und ein Richter der Wittwen ist, wird euch wohl ernähren und versorgen. Darauf redete er weiter mit seiner Hausfrauen von den silbern Bechern; die ausgenommen, weißestu, daß wir sonst nichts haben. Ueber dieser und anderen Reden ihres Herrn war die Doctorin hoch erschrocken und betrübet, ließ sich doch nicht merken, daß ihr so groß Leid geschah, daß sie ihren lieben Herrn dergestalt so jämmerlich da vor ihren Augen sollt sehen liegen, sondern stellt sich so getrost und sprach: „Mein liebster Herr Doctor, ist's Gottes Wille, so will ich euch bei unserm lieben Herrn Gott lieber, denn bei mir wissen, es ist nicht allein um mich und mein Kind zu thun, sondern um viel fromme christliche Leute, die euer noch dürfen. Wolltet euch, mein allerliebster Herr, meinethalben nicht bekümmern, ich befehle euch seinem göttlichen Willen, ich hoffe und traue zu Gott, Er werde euch gnädiglich erhalten.“

Indem also der Doctor mit warmen Tüchern gerieben und ihm warme Kissen auf die Brust und um die Füße gelegt wurden, sprach er: „Ich fühle, Gottlob, Besserung, die Ohnmacht läßt nach und die Kräfte finden sich allmälig wieder; wenn ich nur schwitzen könnte, so hoffe ich, es sollte auf dießmal ferner keine Noth mit mir haben.“ Da sagte Dr. Augustinus: „Wir wollen weichen, ihn alleine lassen, ob er schwitzen und ruhen könnte.“ Also gaben wir ihm gute Nacht und gingen in Gottes Namen von ihm, hießen die, so bei ihm blieben, stille seyn.

„Da wir ihn des folgenden Tages wieder besuchten“ - schließt Bugenhagen - „erfand sichs, daß der Arzt recht geurtheilt hatte, allein daß der Kranke den Sonntag noch übrig zu Bett lag und sagte: Er wäre des greulichen Brausens und Sausens im Haupte noch nicht gar los. Auf den Abend aber desselbigen Tages stund er auf, hielt das Abendmahl mit uns, aller Dinge, Christo sey Lob und Dank, wieder zu recht gebracht.“ - Zu Dr. Jonas aber sprach er: „Jona, ich muß den gestrigen Tag merken, ich bin daran zur Schule gewesen und in einem heißen Schwitzbade gesessen. Der Herr führet in die Hölle und wieder heraus. Der Herr tödtet und machet lebendig. Denn er ist der Herr des Todes und Lebens. Ihm sey Lob, Ehr und Preis in Ewigkeit. Amen.“

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