Brockhaus, Rudolf - Gibt es ein Heilmittel zur Beseitigung der Trennungen unter den Gläubigen?

Brockhaus, Rudolf - Gibt es ein Heilmittel zur Beseitigung der Trennungen unter den Gläubigen?

“Ich bin zerschlagen werden der Zerschmetterung der Tochter meines Volkes; ich gehe trauernd einher, Entsetzen hat mich ergriffen. Ist kein Balsam in Gilead, oder kein Arzt daselbst? Denn warum ist der Tochter meines Volkes kein Verband angelegt worden?“

(Jeremia 8,21-22).

Die große Zerrissenheit unter den Kindern Gottes hat je und je viele aufrichtige, gläubige Herzen mit Schmerz und Trauer erfüllt und die Frage nach einem Heilmittel aufkommen lassen. Dabei ist das Bild von Jahr zu Jahr trüber geworden. Zahlreiche neue Trennungen sind entstanden, mancherlei „fremde Lehren“ haben die Herzen der Gläubigen beschwert und die Verwirrung noch größer gemacht. Ach! welch ein schrecklicher Gegensatz liegt darin, daß solche, die sich das Volk Gottes nennen, die Kinder eines treuen Vaters im Himmel zu sein bekennen, auf dieser Erde in fast unzählige kleinere oder größere Kreise zersplittert erscheinen, teils untereinander, teils sich sogar feindlich gegenüberstehend. Die Schar, welche einst einmütig beisammen war, hat sich in scharf voneinander getrennte Parteien aufgelöst. Das herrliche Zeugnis von dem einen Leibe, der an jenem denkwürdigen Pfingsttage durch die Ausgießung des Heiligen Geistes gebildet wurde, ist dahin, diese liebliche Einheit ist nicht mehr zu sehen.

Satans Gift hat sie zerstöret,
Sünd und Welt manch Herz betöret.
O wie sehr wirst du entehret!
Herr Jesus, komm!1)

Will Gott, daß die durch das kostbare Blut seines eingeborenen, vielgeliebten Sohnes erkaufte Schar also vor den Augen der Welt dastehe, daß sie ein solches Bild gebe den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern, denen Gott Seine gar mannigfaltige Weisheit gerade durch die Versammlung oder Gemeinde kundtun will? (Epheser 3,10). Gibt es in all dem Wirrwarr keinen Gott wohlgefälligen Ausweg? Hat Gott in unseren Tagen keinen Weg der Rückkehr, wie einst für sein irdisches Volk Israel? Ich antworte, und viele werden mit mir einstimmen: Gott sei gepriesen, doch! Da ist ein schmaler Pfad von Gott selbst in seinem ewig bestehenden, kostbaren Worte vorgesehen, auf den, wenn auch nicht alle ihn erkennen und manche ihn nicht betreten wollen, der Einzelne seinen Fuß setzen darf, um in Einfalt und Demut glücklichen Herzens die Wüste zu durchschreiten. Es ist, so seltsam es erscheinen, und so widerspruchsvoll es im ersten Augenblick klingen mag, der Pfad der Absonderung — der Absonderung sowohl von sittlich Bösem, als auch von all den Irrtümern und gutgemeinten Einrichtungen der Menschen, der Pfad der Rückkehr zu dem, „was von Anfang war“, Immer wieder ermahnt Johannes, der letzte, der neutestamentlichen Schreiber, die Gläubigen, an dem festzuhalten, was sie „von Anfang gehört hatten“. Nur so konnten sie „in dem Sohne und in dem Vater bleiben“, nur so vor Irrtum und Lüge bewahrt werden.

Wenn ich nun über diese Wahrheit einige Gedanken mitteile, so geschieht es nicht deshalb, weil über den so heiß umstrittenen Gegenstand nicht schon genug geschrieben worden wäre, auch nicht um eine umfassende Darlegung der vielen, mit dieser Wahrheit verbundenen Punkte zu geben, noch schließlich in dem Bewußtsein, hierzu besonders geschickt zu sein; nein, ich tue es einerseits, um denen, die diesen Weg bisher gegangen, aber vielleicht nicht völlig darin befestigt sind, weil sie die Wahrheit nicht persönlich erkämpft und errungen haben, noch einmal die Hauptmomente vorzustellen, und andererseits, um solchen, die nach Wahrheit suchen, mit Gottes Hilfe als Wegweiser zu dienen. Gleichzeitig möchte ich einige der am häufigsten gegen diese Stellung vorgebrachten Einwände an der Hand des Wortes Gottes auf ihre Stichhaltigkeit und Berechtigung hin untersuchen. Ich bitte daher, in diesen Zeilen nicht etwa eine Streitschrift zu erblicken. Ich hoffe vielmehr, daß der Leser den Eindruck gewinnen wird, daß es dem Schreiber mit dem angegebenen Zweck ernst gemeint gewesen ist. Möge der Herr diese erneute, schwache Bemühung zur Ausbreitung und Befestigung der kostbaren Wahrheit unter seiner teuer erkauften Herde segnen! Es gilt, die Anerkennung des Herrn „zu verdienen: „Du hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet“. (Offenbarung 3,8).

Bevor wir uns indes mit den einzelnen Fragen näher beschäftigen, mag es gut sein, daran zu erinnern, daß der Herr Jesus in Johannes 16,13 den Heiligen Geist als den „Geist der Wahrheit“ bezeichnet, der die Jünger in die ganze Wahrheit leiten würde. Er selbst konnte ihnen vieles nicht mitteilen, weil sie noch nicht imstande waren, es zu fassen. Das Wort des Herrn ist in Erfüllung gegangen. In den durch den Heiligen Geist eingegebenen Schriften des Neuen Testamentes ist die ganze Wahrheit enthüllt worden, vor allem in den Briefen des Apostels Paulus. Jeder einzelne der göttlich inspirierten Schreiber hat freilich nur stückweise prophezeit, d. h. jeder in dem Maße, wie Gott ihn für seinen Zweck zubereitet hatte. Aber durch die von dem Heiligen Geist bewirkte oder unter seiner Leitung entstandene Zusammenstellung der einzelnen Schriften ist die ganze Wahrheit in einem abgeschlossenen Ganzen ein für allemal in dem in unseren Händen befindlichen „Worte Gottes“ niedergelegt. Nichts wird mehr hinzukommen. Es ist vollendet worden durch die Offenbarung des von den Zeitaltern her verborgenen Geheimnisses an den Apostel Paulus. Dieses Geheimnis ist: „Christus und die Versammlung (Gemeinde)“, oder: „Christus in uns die Hoffnung der Herrlichkeit“, (Vergl. Epheser 5,32; Kolosser 1,24-29).

Wenn dies einwandfrei feststeht, so ist es andererseits eine bekannte Tatsache, daß wir mit dem Erfassen und Verstehen dieser Wahrheit weit, weit hinter dem Erschöpfen der Fülle und Herrlichkeit derselben zurückbleiben. Eine vollkommene Erkenntnis ist ja überhaupt ausgeschlossen, solang wir uns noch in diesem Leibe der Schwachheit befinden. Er wird stets ein Hindernis bilden, wie weit auch manche Gläubige in die Gedanken und Ratschlüsse Gottes Hineinschauen mögen. Der Apostel Paulus, der an Erkenntnis und christlicher Tugend unbestritten einzig dasteht, schreibt den Korinthern: „Denn wir erkennen stückweise, und wir prophezeien stückweise; wenn aber das Vollkommene gekommen sein wird, so wird das, was stückweise ist, weggetan werden. . . Denn wir sehen jetzt durch einen Spiegel, undeutlich, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt worden bin.“ (1 Korinther 13,9).

Wenn also jeder einzelne der inspirierten Schreiber eine seiner eigentümlichen Berufung entsprechende Seite der Wahrheit behandelt, uns sozusagen nur ein Stück davon vor Augen stellt, alle von ein und demselben Geist eingegebenen Schriften zusammengenommen aber das ganze wunderbare Wort Gottes ausmachen, so ist es einleuchtend, daß man den einzelnen Vers im Zusammenhang mit dem betreffenden Kapitel, das Kapitel mit dem Buch und das Buch mit den anderen Büchern, beziehungsweise mit dem ganzen Wort, erforschen und betrachten muß, um die Gedanken Gottes und deren Tragweite einigermaßen zu erkennen. Das Nicht- beachten dieser Regel hat schon zu den verhängnisvollsten Irrtümern geführt. Selbstverständlich kann uns ein einziger Vers, sogar nur ein einzelnes Wort ermuntern und erquicken, denn es ist Geist und Leben darin. Wenn ich aber den Ratschlüssen und Offenbarungen des Willens Gottes nachspüren will, so ist es eine unerläßliche Bedingung, das Wort in seinen: ganzen Umfang zu benutzen Selbst dann wird alles Verstehen unvollkommen bleiben, aber nichtsdestoweniger ist es die einzige Möglichkeit, um in Abhängigkeit von dem Herrn und unter der Leitung des Heiligen Geistes den richtigen Weg zu erkennen und zu gehen.

Wenn der Herr einst die Jünger auf dem Wege nach Emmaus mit den Worten tadelte: „O ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben!“ und zu den Zwölfen in Markus 4,13 sagte: „Fasset ihr dieses Gleichnis nicht? und wie werdet ihr all die Gleichnisse verstehen?“ so gibt es mancherlei Gründe, ihr mangelhaftes Verständnis zu entschuldigen. Der wichtigste ist wohl der, daß das Werk damals noch nicht vollbracht war, und die Jünger den Geist der Sohnschaft noch nicht empfangen hatten, „denn der Geist war noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“. (Johannes 7,39). Die Erfüllung der Verheißung des Vaters bezüglich der Sendung des Heiligen Geistes hing ja ab von der Rückkehr des Herrn nach vollbrachtem Opfer in den Himmel. Erst nachdem er dort verherrlicht und sein Werk so gekrönt war, wurden die Jünger angetan mit „Kraft aus der Höhe“, erst dann befähigt, die ganze Wahrheit zu verstehen.

Für uns aber gibt es keine Entschuldigung. Wir „sind versiegelt worden mit dem Heiligen Geiste der Verheißung“ (Epheser 1,13) und besitzen die ganze Offenbarung der Gedanken und Ratschlüsse Gottes in seinem Worte, und doch sind wir oft fast noch unverständiger und trägeren Herzens, als seiner Zeit die beiden Emmausjünger. Ich wiederhole: Für uns gibt es keine Entschuldigung, wenn wir so wenig in den Spuren des göttlichen Zeugnisses wandeln. Gott wolle in seiner großen Gnade geben, daß wir in diesen letzten und ernsten Tagen wieder lernen möchten, sein kostbares Wort wirklich zu lesen, es zu essen, wie Jeremias sagt: „Deine Worte waren vorhanden, und ich habe sie gegessen, und deine Worte waren mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens“! (Jeremia 15,16). Sind nicht Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit viel, ja sehr viel schuld an so manchen Unklarheiten und Mißverständnissen bei uns Persönlich und im Verkehr miteinander? O daß der Geist dieser Welt, die Luft, die uns umgibt, einen so großen Einfluß auf uns ausgeübt hat! Wie, wenig Tiefe wird heute im allgemeinen unter den Gläubigen gefunden! Man möchte zwar gern alles wissen, aber man lernt das Wenigste gründlich. Auch das Jagen nach irdischen Dingen beeinflußt neben den Sorgen des Lebens und dem Druck unserer Tage vielfach die wahren Christen so, daß sie zu einem ruhigen, ernsten, persönlichen Forschen in dem Worte Gottes kaum noch Zeit finden. Wenn wir aber diese Gefahr erkennen, so sollten wir vor ihr auf der Hut sein und dem Feinde widerstehen. Satan, dem heute noch „alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit gehören“, möchte die Schätze, die er zu vergeben hat, vor allem denen begehrlich machen, welche hier kein Bürgerrecht zu haben bekennen.

Wenn jemals, so ist heute die Ermahnung des Apostels am Platze: „Und dieser noch: Die Zeit erkennend, daß die Stunde schon da ist, daß wir aus dem Schlafe aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben: Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe. Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen!“ (Römer 13,11-12). Oder die andere: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!“ (Epheser 5,14).

Behandeln wir nach dieser kurzen Einleitung zunächst die Frage:

1. Wie stand es im Anfang um die äußere Darstellung der Einheit?

Das es von jeher in Gottes Absicht gelegen hat, das Bild eines einheitlichen Ganzen vor die Augen der Menschen hinzustellen, geht schon aus den Worten hervor, die wir in Johannes 11,51-52 lesen: „Dies aber sagte er (Kajaphas) nicht aus sich selbst, sondern da er jenes Jahr Hohepriester war, weissagte er, daß Jesus für die Nation sterben sollte; und nicht für die Nation allein, sondern auf daß er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“. Das Gleiche beweisen die wiederholten Bitten des Herrn in seiner letzten Unterredung mit dem Vater, daß die Seinigen eins sein möchten, eins in Ihm und dem Vater. Wir wissen, daß dereinst, bei der Erscheinung des Herrn mit den Seinigen in Herrlichkeit, diese Einheit in ihrer Vollendung gesehen werben wird, damit die Welt erkenne, daß der Vater ihn gesandt und sie geliebt hat, gleichwie er ihn geliebt hat. (Johannes 17,23).

Aber Gottes Wille ist, daß seine Kirche oder Gemeinde heute schon eins sei, nicht nur innerlich, d. h. in ihren Gefühlen, Interessen und Zielen, sondern auch in einem äußeren Zeugnis, so daß an jedem Orte, wo sich wahre Gläubige befinden, und im allgemeinen auf der ganzen Erde die Einheit des einen Leibes praktisch vor den Menschen dargestellt und von ihnen gesehen werde. Neben dem persönlichen Zeugnis in heiligem Wandel, für das jeder Gläubige da, wo Gott ihn hingestellt hat, verantwortlich ist, gibt es ein gemeinsames Zeugnis der Glieder der Familie Gottes, des Leibes Christi, für das wir ebenfalls eine Verantwortlichkeit tragen, der wir uns nicht entziehen können. „Denn auch in einem Geiste sind Wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden.“ (1 Korinther 12,13).

Ich möchte jedoch nicht länger verweilen bei dieser grundlegenden Wahrheit von dem einen Leibe, dessen verherrlichtes Haupt, Christus, droben weilt, - es ist schon wiederholt in ausführlicher Weise geschehen2)) - sondern die Frage untersuchen, ob es wirklich eine Zeit gegeben hat, in welcher diese Einheit nach Gottes Gedanken auf Erden zur Darstellung gekommen ist. Zur Prüfung dieser Frage müssen wir uns zu dem Anfang der Apostelgeschichte wenden. Dort lesen wir von den auf die Verheißung des Vaters wartenden Gläubigen: „Diese alle verharrten einmütig im Gebet“. (Apostelgeschichte 1,14). „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, waren sie alle an einem Orte beisammen.“ (Apostelgeschichte 2,1). Nachdem dann der Heilige Geist über sie ausgegossen war, heißt es: „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“. (Apostelgeschichte 2,42).

Aus diesen Stellen geht klar hervor, daß in jenen Tagen ein einmütiges Zeugnis vor den Blicken der Menschen dastand. Am Ende des 2. Kapitels berichtet Lukas: „Und indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten, . . . lobten sie Gott und hatten Gunst bei dem ganzen Volke. Der Herr aber tat täglich zu der Versammlung (Gemeinde) — die also als solche bekannt war — hinzu“; und im 5. Kapitel: „Und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomons. Von den übrigen aber wagte keiner sich ihnen anzuschließen“ (Apostelgeschichte 5,13) — der Unterschied und die Absonderung zwischen den Gläubigen und den übrigen wurde klar gesehen. Und damit niemand denke, daß dieses einmütige Zeugnis nur für die Zeit der ersten Kraft bestimmt oder möglich gewesen sei, möchte ich auf eine Stelle im 1. Korintherbrief hinweisen, wo der Apostel sagt: „Wenn nun die ganze Versammlung an einem Orte zusammen- kommt, . . . und es kommen Unkundige oder Ungläubige herein u. s. w.“ (1 Korinther 14, 23.) Gerade das einmütige Zeugnis sollte den Sünder überführen, das Verborgene seines Herzens offenbar machen, sodaß er, auf sein Angesicht fallend, Gott anbeten und verkündigen würde, daß Gott wirklich unter den Versammelten war. (1 Korinther 14,24-25). Auch in 1 Korinther 11,20 ist von dem Zusammenkommen an einem Orte zum Brotbrechen die Rede. Auch in Apostelgeschichte 14,27 und Apostelgeschichte 15,22 lesen wir von dem Zusammenkommen der, d. h. der ganzen Versammlung eines Ortes. Und erinnert schließlich das den Sünder überführende Zeugnis der ganzen Versammlung nicht lebhaft an die Worte des Herrn Jesus in Johannes 17,20-21: „Nicht für diese allein (Seine damaligen Jünger) bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben; auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf daß auch sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, daß du mich gesandt hast“?

Man wendet zwar immer wieder ein, daß es sich hier um eine geistige, unsichtbare Einheit handle, die immer unter den wahren Gliedern des Leibes Christi bestehen werde. Doch die Worte des Herrn: „auf das die Welt glaube, daß du mich gesandt hast,“ und die Ausführungen des Apostels in 1 Korinther 14,23 (ff) widerlegen diesen Einwand auf das bestimmteste. Für eine Welt, welche nur glaubt, was sie sieht, ist eine unsichtbare Einheit ohne jede Beweiskraft. Man vergißt zugleich auch, daß der Herr im 11. Verse von Joh. 17 [Johannes 17,11] von dieser inneren Einheit redet, wenn er sagt: „Heiliger Vater! bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, auf daß sie eins seien, gleichwie wir“. Gleichwie Vater und Sohn eins sind in Natur, Geist und Gesinnung, so sollen (and werden) auch die im Namen des heiligen Vaters bewahrten Gläubigen ein Herz und eine Seele sein. Nachher, in den Versen 21 und 23 [Johannes 17,21, Johannes 17,23], handelt es sich um eine Art der Einheit, die von außen gesehen und erkannt werden kann.

Gott hat seine Kinder zu gemeinschaftlichem Mahl, gemeinschaftlicher Anbetung, gemeinschaftlicher Erbauung und gemeinschaftlichem Zeugnis berufen. Wie könnte es auch anders sein? Denn „da ist ein Leib und ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller“. (Epheser 4,4) (ff.). Sollten da nicht alle Gläubigen auch heute noch sich befleißigen, die „Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“? Sollte man bei einer solchen Offenbarung der Ratschlüsse und des Willens Gottes in Spaltungen und Trennungen leben, sich gegenseitig beneidend oder gar befehdend? Unser aller Antwort wird sein: Wahrlich nicht! Aber dann möchte ich fragen: Haben wir auch alle die Folgerungen aus dieser Antwort gezogen, und ziehen wir sie? Dieser überaus wichtigen Frage sollte keiner von uns ausweichen.

Vor Jahrzehnten haben sich in verschiedenen Ländern Gläubige, die heute nahezu alle beim Herrn sind, mit diesen Dingen unter Selbstgericht und ernstem Gebet und Flehen zu Gott beschäftigt. Gott hat ihnen in seiner großen Gnade und Treue geantwortet und klar gemacht, daß diese Einheit in der altehrwürdigen römischen Kirche, die, wie wir alle wissen, Anspruch darauf macht, sie darzustellen, (aber es nur in einer rein menschlichen, fleischlichen Weise tut) nicht zu finden ist. Ebensowenig in den protestantischen Kirchen, noch in den von diesen abgesonderten protestantischen oder evangelischen Gemeinschaften. Denn diese, welchen Namen sie auch tragen, und so verschiedenartig sie gebildet sein mögen, gründen sich doch alle mehr oder weniger auf den Namen und die persönlichen Ansichten einzelner Führer, die anfänglich vielleicht selbst nicht daran dachten, eine neue Kirche zu gründen, deren Anhänger oder Nachfolger aber in diesen Fehler fielen. Wohin jene Gläubigen auch blicken mochten, überall gewahrten sie in schärferer oder milderer Form dasselbe traurige Bild von Zerrissenheit, Uneinigkeit und teils sogar groben Irrlehren. Die so hochbegnadigte Christenheit lag wie ein Trümmerhaufe vor ihren Augen.

Tiefer Schmerz erfüllte sie dieserhalb. Aber was sollten sie tun? Sollten sie sich in das Unvermeidliche schicken und ein jeder in der als irrig und nicht nach den Gedanken Gottes erkannten Verbindung bleiben? Sie haben im Aufblick zum Herrn, dessen Treue für die seinen nie wankt, und, der gestern und heute und in Ewigkeit derselbe ist, mit einem entschiedenen „Nein“ geantwortet; denn Gott hatte ihnen, in gnädiger Beantwortung ihres heißen Flehens, den Weg aus diesem Wirrwarr gezeigt. Es war, wie wir bereits andeuteten, die Rückkehr zu seinem Wort und zu dem, was von Anfang war. In ganz kleinen Häuflein, teils nur zu zweien oder dreien, haben sie sich, gestützt und ermuntert durch das Wort des Herrn in Matthäus 18,20: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen (eigentlich zu meinem Namen hin), da bin ich in ihrer Mitte“, um ihren geliebten Herrn geschart.

Auf diesem Wege haben sie ausgeharrt, trotz aller Feindschaft von Seiten der Welt und leider auch mancher Gläubigen Auf diesem Wege sind sie glücklich gewesen, haben den Segen des Herrn in überströmender Weise genossen. Auf diesem Boden sich zusammenfindend, haben sie angefangen, das Brot miteinander zu brechen, dem Herrn gemeinsam Anbetung darzubringen und ihm in Demut und Abhängigkeit zu dienen. Sie haben, wie einst der kleine, aus der Gefangenschaft in Babel zurückgekehrte Überrest, den Altar Gottes wieder aufgerichtet an seiner Stätte, indem sie sich einfältig, wie jene, unter den Schutz des Herrn stellten. (Vergl. Esra 3,3.) Sie haben gebetet für alle Kinder Gottes, denn sie erkannten alle als Glieder des Leibes Christi an. Sie wollten nichts anderes, als nach ihrer Überzeugung handeln und das Bedürfnis ihrer Seele auf Grund des Wortes Gottes befriedigen.

Das ihr Vorbild so weit führen würde, daß bald Tausende und aber Tausende in allen Erdteilen, wenn auch in großer Schwachheit, denselben Boden betreten würden, daran haben sie nicht im entferntesten gedacht, das konnten sie gar nicht erwarten. Was sie erwarteten, war die baldige Wiederkunft ihres Herrn. Davon zeugen ihre Schriften und viele herrliche Lieder, die von ihnen gedichtet wurden und uns heute noch erfreuen, ja, vielfach mit Beschämung erfüllen, wenn wir erkennen, wie schwach die Sehnsucht“ nach dieser Ankunft in unseren Herzen heute oft lebt. Wo ist jener Ernst geblieben, jene Freude und jener Eifer für den Herrn und seine Sache, die unsere Eltern und Großeltern an den Tag gelegt haben? Wo ist ihr Glaube und ihr Vertrauen heute zu finden? Nicht möchte ich hier der Vergangenheit als solcher ein Loblied singen, auch nicht Menschen rühmen, denn aller Ruhm gebührt ewig Gott allein, aber er ist meine tiefe Überzeugung, das es anders unter uns aussehen würde, wenn wir ihrem Beispiel mit mehr persönlicher Treue und Hingebung gefolgt wären, wenn wir, den Ausgang ihres Wandels anschauend, ihren Glauben besser nachgeahmt hätten.

Doch unsere Untreue, so folgenschwer und betrübend sie ist, ändert nichts an den Grundsätzen Gottes. Er bleibt sich selbst und seinem Worte treu. Er kann sich nicht verleugnen. Es ist ohne alle Frage tief demütigend, wenn der heutige Stand der Dinge in vielen Fällen in einen traurigen Gegensatz zu der Wahrheit von der Einheit der Kinder Gottes getreten ist; aber es ist kein Beweis dafür, wie es manche darstellen wollen, das jene Gläubigen sich geirrt hatten und wir uns nicht mehr in der Weise der ersten Christen versammeln und dieser Einheit Ausdruck geben könnten, sondern uns irgend einer Partei anschließen müßten. Die Tatsache des traurigen Verfalls innerhalb der Christenheit wie auch unsere eigene Untreue beweisen nur, das alles, was dem Menschen je und je anvertraut worden ist, von ihm immer wieder verdorben wurde — ganz gleich ob es sich um Adam im Paradiese handelt, um Noah auf der aus dem Gericht gereinigt hervorgegangenen Erde, um Israel als Träger des Zeugnisses Gottes unter den Nationen, um das Gesetz und das Priestertum, um Salomo als vorbildlichen König des Friedens, um Nebukadnezar als das Haupt der Nationen, oder endlich um die Christen in der neuen Haushaltung. Die erste Tat des Menschen hat, unter der Leitung Satans, immer wieder darin bestanden, das zu verderben, was Gott gut eingerichtet hatte.

2. Die Versammlung oder Gemeinde.

Die Ergebnisse des wunderbaren Wirkens Gottes am Pfingsttage waren herrlich und vielfältig. Wir erinnerten uns bereits daran, daß da zum ersten Male die Einheit der Gläubigen ungetrübt verwirklicht wurde. Zum ersten Male begegnen wir aber auch der „Versammlung“ oder „Gemeinde“. Nur zweimal wird sie bis dahin in der Schrift überhaupt erwähnt, und zwar beide Male im Evangelium Matthäus. Zunächst verheißt der Herr im 16. Kapitel, daß er auf den von Petrus bekannten Felsenboden Seine Versammlung bauen werde. Sie bestand damals noch nicht. Deshalb sagt der Herr auch: „Ich will (oder werde) bauen“. Dann hören wir noch einmal von ihr im 18. Kapitel. (Über diese zweite Erwähnung im nächsten Abschnitt mehr.)

Jetzt, am Pfingsttage, ist sie nun nicht länger mehr eine zukünftige, sondern eine vollendete Erscheinung. Die Versammlung ist da! Sie ist plötzlich ins Dasein getreten. Der Heilige Geist hat sie hervorgebracht, indem er von den auf die Verheißung des Vaters wartenden Gläubigen Besitz ergriff und sie mit ihrem auferstandenen und verherrlichten Herrn zu einem Leibe verband: er das Haupt, sie die Glieder. Der wunderbare, vor den Uranfängen der Erde gefaßte Ratschluß Gottes bezüglich des zweiten Menschen; „des Christus“ (1 Korinther 12,12), begann sich damit zu erfüllen. Die mit dem Heiligen Geiste versiegelte Schar, vielleicht 120 nach Apostelgeschichte 1,15, bildete zunächst die Versammlung (Gemeinde), aber noch an demselben Tage wurden ihr bei dreitausend Seelen hinzugetan, und der Herr vermehrte ihre Zahl täglich, sodaß wir im 4. Kapitel schon von fünftausend gläubigen Männern lesen. (Apostelgeschichte 2,41 und Apostelgeschichte 2,47; Apostelgeschichte 4, 4.) Zunächst waren es allerdings nur Gläubige aus Israel. Die „anderen Schafe“, die nicht aus dem Hofe Israels waren, sollten aber bald folgen. Wir hören von den ersten bereits im 8. und 10. Kapitel.

Ein neuer Mittelpunkt war den Gläubigen jetzt geschenkt. Es war nicht der Tempel zu Jerusalem und der mit ihm verbundene Dienst, auch nicht mehr ein auf dieser Erde lebender Messias. Es ist die Familie Gottes, der „Erstgeborene“ und die Kinder, die Gott Ihm gibt, Seine „Brüder“; es ist der verherrlichte Christus und die, welche der Geist um ihn schart, die Versammlung oder Gemeinde des lebendigen Gottes. Da wo sie zur Darstellung kommt, ist jetzt die Stätte für den gemeinsamen Gottesdienst der Gläubigen, für die wahre Anbetung, für das Verharren „in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“. Wohl ist es wahr, daß die ersten Christen noch mit dem Tempel in Jerusalem in Verbindung blieben, manche vielleicht nie ganz von jüdischen Einflüssen und Beziehungen frei geworden sind. Wir müssen aber bedenken, daß jene Tage eine Übergangszeit bildeten, und daß, um die „großen Taten Gottes“ in ihrer ganzen Tragweite zu erkennen, es weiterer Belehrungen und Offenbarungen des Heiligen Geistes bedurfte, besonders derer durch den Apostel Paulus. Wie schwer wurde es z. B. einem Petrus, an die Begnadigung der Heiden zu glauben! Welche Widerstände und Vorurteile mußte Gott erst bei ihm beseitigen, bevor er willig wurde, zu Kornelius, dem heidnischen Hauptmann, zu gehen! Erst nach und nach verstand man, daß Israel als Volk beiseite gesetzt war, und daß Gott den Gläubigen einen ganz neuen Platz „außerhalb des Lagers“, außerhalb der Tore Jerusalems, wo auch ihr Herr gelitten, geschenkt hatte. Und kein Wunder! wird es doch heute noch manchem Christen schwer, zu verstehen, daß „wir einen Altar haben, von welchem kein Recht haben zu essen die der Hütte dienen“. (Vergl. Hebräer 13,10-14). Wie viel Mühe hat sich der Apostel Paulus gegeben, diese Wahrheit den Gläubigen klar zu machen! Wenn man aber heute auf die Tatsache, daß die ersten Christen noch mit dem Judentum in Verbindung geblieben seien, hinweist, um ein Verbleiben in einer falschen Stellung und in nicht schriftgemäßen Einrichtungen zu rechtfertigen, so ist das doch eine Begründung, die angesichts der heute vollendeten Offenbarung der Gedanken Gottes wohl niemand im Innersten seines Herzens aufrecht erhalten kann. Freilich, der Mensch sucht, wie einst im Paradiese, noch immer nach Entschuldigungsgründen, so fadenscheinig sie sein mögen, und wähnt, sich vor Gott verstecken zu können hinter den Bäumen des Gartens.

Nun, in dieser ersten Versammlung finden wir in wunderbarer Einfachheit und Klarheit die schon angeführten vier Hauptkennzeichen einer lebendigen, heiligen, christlichen Gemeinschaft:

1. Die Lehre der Apostel,
2. Die Gemeinschaft,
3. Das Brechen des Brotes,
4. Die Gebete.

Einmütig verharrten die Gläubigen in diesen vier Stücken. Sie waren „ein Herz und eine Seele“. (Apostelgeschichte 4,32). Welch herrliches, gesegnetes Zeugnis! In der Tat, auch für uns kann es nichts Kostbareres geben, als wenn wir in derselben Stellung und Gesinnung verharren. Hier ist der Boden, die einzige Möglichkeit für ein Zusammengehen aller Kinder Gottes. Hier gibt es keine trennenden Schranken, keinen Raum für Selbstliebe und Eigenwillen. Alles unterliegt der Ordnung und Leitung durch das Wort, und darum redet auch alles von einer wahren und reinen Gemeinschaft.

Es ist gewiß nicht von ungefähr, daß die vier genannten Stücke nicht alle in derselben Weise miteinander verbunden sind, sondern daß „Lehre der Apostel und Gemeinschaft“, „Brechen des Brotes und Gebete“ zusammengehen. Wir dürfen hieraus wohl den Schluß ziehen, daß wahre Gemeinschaft in besonderer Weise mit der Lehre des Wortes in Verbindung steht, während die mit der Feier des Abendmahls verbundene große Verantwortlichkeit bei den beständig drohenden Gefahren und Anfechtungen von innen und außen die Gläubigen ins Gebet treibt, um auf dem schmalen Pfade der Abhängigkeit von Gott bewahrt zu bleiben.

Es war von der größten Wichtigkeit, daß die großen Scharen der Neubekehrten in der Gnade und Wahrheit, wie sie durch Jesum Christum geworden sind, befestigt wurden, und zwar durch solche, die mit Jesu gewandelt hatten und Augenzeugen seines Todes, seiner Auferstehung und Himmelfahrt gewesen waren, d. h. also durch, die eigens vom Herrn dazu berufenen Apostel. Schriftliches über das Leben und die Lehren Jesu besaß man in jenen frühen Tagen der christlichen Kirche ja noch nicht; aber lebendige, wahrheitstreue Zeugen öffneten ihren Mund und verkündigten in der Kraft des Heiligen Geistes das, „was von Anfang war, was sie gehört, was sie mit ihren Augen gesehen, was sie angeschaut und ihre Hände betastet hatten, betreffend das Wort des Lebens“. (1 Johannes 1,1). Für uns hat Gott „die Lehre der Apostel“ in den Schriften des Neuen Testaments niedergelegt, und wenn wir wachsen und vor Irrtümern bewahrt bleiben wollen, so kann es nur durch eine bedingungslose Unterwerfung unter dieses Wort geschehen.

„Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf daß auch ihr mit uns (den Aposteln) Gemeinschaft habet, und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus.“ (1 Johannes 1,3-4). In dieser Stelle finden wir das vorhin Gesagte bestätigt. Die Belehrung des Apostels Johannes, der das Leben durch unmittelbare Mitteilung besaß und als Augen- und Ohrenzeuge die Dinge kannte, die er verkündigte, sollte dazu dienen, die Gläubigen in eine lebendige Gemeinschaft untereinander zu führen, indem sie sie daran erinnerte, daß jeder, der durch das Zeugnis der Apostel das Leben empfangen hatte, in die „Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne“ gebracht war. So ist es auch hier das Wort Gottes, das uns mit unserer gesegneten Stellung bekannt macht und die wahre Gemeinschaft hervorbringt, ähnlich wie die wahre Liebe darin besteht, „daß wir nach seinen Geboten wandeln“. (2 Johannes 6). Wir sagen deshalb wohl nicht zu viel, wenn wir behaupten: Wenn nicht das Wort Gottes unsere alleinige Richtschnur bildet und uns um den Herrn zusammenschließt, so werden alle Bemühungen, so gut sie gemeint sein mögen, auch die stärkste Betonung der Bruderliebe, nicht imstande sein, die Gläubigen dem gewünschten Ziele näher zu bringen. Weichen wir von diesem Standpunkt ab, indem wir „die Lehre der Apostel“ mit irgendwelchen menschlichen Lehren und Meinungen verbinden oder gar durch solche ersetzen, dann können nur Verwirrung und Trennungen die Folge sein. Würden die Gläubigen, wie sie es anfangs taten, in der Lehre der Apostel verharrt haben, so würden sie auch in der Gemeinschaft geblieben sein, und das traurige Bild der Zerrissenheit der Kinder Gottes, daß unseren Herrn, der gestorben ist, um „die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln“, so verunehrt und uns solch unermeßlichen Segens beraubt, würde sich nicht der Welt und den Engeln des Himmels dargeboten haben.

„Alle aber, welche glaubten, waren beisammen und hatten alles gemein; und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie an alle, jenachdem einer irgend Bedürfnis hatte.“ (Apostelgeschichte 2,44-45; siehe auch Apostelgeschichte 4,32-35). Man begegnet bei der Besprechung dieser Stelle zuweilen recht eigenartigen Anschauungen, hört auch wohl hie und da sagen, daß, wenn man zu den Dingen des Anfangs zurückkehren wolle, man auch die Gütergemeinschaft wieder einführen müsse. Es mag deshalb am Platze sein, einige kurze Gedanken über diesen Punkt zu äußern.

Alle Ausleger sind sich wohl darüber einig, daß der Geist der Liebe damals ein Ergebnis zeitigte, das nicht schöner und lieblicher hätte sein können. Er war in jeder Beziehung das Gegenstück zu dem traurigen Bilde, das wir vorhin besprachen. Als eine große, vieltausendköpfige Familie sehen wir hier die Kinder Gottes vereinigt, in inniger Liebe durch einen Geist und durch einen Glauben zu einer gemeinsamen Hoffnung verbunden. Einer trug des anderen Lasten, und also erfüllten alle das Gesetz des Christus. (Galater 6,2). Niemand in dieser Familie sagte, daß etwas von seiner Habe sein eigen wäre, sondern es war ihnen alles gemein. Damit nun keiner Mangel leide, verkauften die Besitzenden ihre Habe und verteilten sie, „je nachdem einer irgend Bedürfnis hatte“. Fürwahr, herrlich steht die christliche Kirche in ihrem Schmuck der ersten Liebe und Jugendfrische vor uns! Gott hat ihr diesen unvergänglichen Ehrenplatz in seinem Worte geschenkt. Aber ach! nicht lange währte dieser Zustand. Der Feind brach ein und zerriß die innigen Bande. Mit dem Betrug des Ananias und der Sapphira im 5. Kapitel war der Friede gestört, und nie wieder, weder in der Apostelgeschichte, noch in den übrigen Schriften des Neuen Testaments, wird einer gleiche Erscheinung Erwähnung getan, wenn auch derselbe Geist der Bruderliebe, der damals wirksam war, für alle Zeiten die Gläubigen leiten sollte.

Die Gütergemeinschaft war eine augenblickliche, schnell vorübergehende Erscheinung, ein Ergebnis der ersten Freude und inbrünstigen Liebe der Gläubigen, und sie war auch wohl nur unter den damaligen Verhältnissen möglich, wo alle, die sich zu Jesu bekannten, an einem Orte, in Jerusalem, beisammen waren. Niemals im Worte Gottes wird eine derartige Gemeinschaft gefordert, oder auch nur empfohlen. Selbst in jenen ersten Tagen floß alles aus dem freien Triebe der Liebe hervor. „Blieb es nicht dein, wenn es so blieb, und war es nicht, nachdem es verkauft war, in deiner Gewalt?“ sagt Petrus zu Ananias. (Apostelgeschichte 5,4). Auch wurde der Erlös des Verkauften nicht etwa in fünftausend oder mehr gleiche Teile geteilt und jedem Gläubigen sein Teil ausgehändigt, wie manche vielleicht denken möchten, sondern man „legte den Preis nieder zu den Füßen der Apostel“ (Apostelgeschichte 4,35 und Apostelgeschichte 5,2), bildete also gleichsam eine gemeinsame Kasse, aus der die Gaben an die Einzelnen, „so wie einer irgend Bedürfnis hatte“, verteilt wurden. Wäre es wohl möglich, heute eine derartige gemeinsame Vermögensverwaltung einzuführen für alle, die sich als Christen ausgeben? Würden nicht sofort die größten Übel daraus entstehen? Und vergleicht man schließlich noch den von vielen Menschen heute so laut geforderten „Kommunismus“ mit der Gütergemeinschaft jener Tage, dann erkennt man sofort, welch böser Geist aus solchen Forderungen redet. Trefflich hat ein anderer Schreiber hierzu folgende Gegenüberstellung gemacht: „Damals hieß es: Alles, was mein ist, ist dein! Der unchristliche Kommunismus dieser Tage aber spricht: Alles, was dein ist, ist mein! Jene ersten Christen sagten: Nimm aller, was ich habe! Heute ruft man aus: Gib alles, was du hast! Die damalige Gütergemeinschaft ging aus der Liebe zu den Armen hervor, aber das, was heute gefordert wird, ist das Ergebnis des Hasses gegen die Reichen.“

3. Die Persönliche Gegenwart des Herrn in der Versammlung oder Gemeinde.

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“
(Matthäus 18,20).

Um den Wert dieses kostbaren Ausspruchs unseres Herrn richtig erkennen zu können, ist es nötig zu untersuchen, warum er ihn mit dem Wörtchen „Denn“ einleitet. Hier muß eine Verbindung bestehen mit etwas vorher Gesagtem. Und so ist es in der Tat. Der Herr bringt die Tatsache seiner persönlichen Gegenwart in Beziehung zu der Versammlung oder Gemeinde und deren Versammeltsein, um irgend eine wichtige Sache zu behandeln oder zum Gegenstand des gemeinsamen Gebets zu machen. Von Vers 15 an zeigt der Herr den einzuschlagenden Weg, wenn einer von zwei Brüdern gegen den anderen gesündigt hatte. Der Beleidigte sollte zunächst allein versuchen, seinen Bruder von seinem Unrecht zu überführen. Hörte dieser auf seine Vorstellungen, so hatte er ihn gewonnen; verharrte er aber in seinem bösen Zustand, so sollte der Beleidigte einen oder zwei andere Brüder mit sich nehmen, damit die Sache „aus zweier oder dreier Zeugen Mund“ bestätigt werde. Fanden die gemeinsamen Vorstellungen auch kein Gehör bei dem Betreffenden, so blieb als letzte Berufungsstelle „die Versammlung“ übrig: „er sage es der Versammlung“, d. h. der Versammlung Gottes an dem betreffenden Ort, zu welcher alle Beteiligten gehörten. Die Schrift kennt nichts anderes als Gottes Versammlung oder Gemeinde. Gemeinden oder Gemeinschaften in dem heutigen Sinne sind nichts mehr und nichts weniger als Einrichtungen und Erfindungen der Menschen. Die Versammlung bemühte sich nun ihrerseits um den Bruder. Sie teilte ihm ihr Urteil mit, suchte ihn von seiner Schuld zu überzeugen, warnte und ermahnte ihn. Hörte er aber auch auf die Versammlung nicht, erwies er sich also als ein Mensch, der in Eigenwille und Verhärtung seinen Weg zu gehen entschlossen war, so wurde der beleidigte Bruder angewiesen, ihn zu betrachten wie einen Heiden und einen Zöllner, d. h. jede Gemeinschaft, jeden persönlichen Verkehr mit ihm abzubrechen, ihn nicht mehr als Bruder anzuerkennen. Die ganze Angelegenheit, die zunächst eine persönliche zwischen den zwei Brüdern war, wurde, wenn alle Versuche, den Bruder zu gewinnen, scheiterten, zu einer Sache der ganzen örtlichen Versammlung. Der Fall mochte anfänglich nicht so schwerwiegend erscheinen wie der eines „Bösen“, eines Trinkers oder Hurers und dergl. (1 Korinther 5), aber die unmittelbar folgenden Worte des Herrn: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“, deuten doch darauf hin, daß der Ausschluß erforderlich werden konnte und erforderlich wurde, wenn der böse Zustand des Betreffenden, der zunächst in der Sünde gegen seinen Bruder, sodann in dem Nichtbeachten der Versammlung und ihrer Ermahnungen ans Licht getreten war, blieb oder gar sich noch weiter verschlimmerte.

Was gibt nun der Versammlung die Macht, ja, die Pflicht, gegebenenfalls so zu handeln? Die Antwort lautet: Die Gegenwart des Herrn! er ist in der Mitte der zu seinem Namen hin Versammelten.

Sind da aber nicht leicht Irrungen möglich? Haben nicht die aufrichtigsten Menschen, die treuesten Gläubigen bei der besten Meinung und den lautersten Absichten oft in ihrem Urteil gefehlt und zu scharf oder zu gelinde geurteilt? Gewiß. Darum fügt der Herr im 19. Verse (Matthäus 18,19) hinzu: „Wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde Übereinkommen werden über irgend eine Sache, um welche sie auch bitten mögen, so wird sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist“. Es sind also zwei Dinge, die der Herr seinen Jüngern hier klar machen will. Zunächst, daß der Beschluß der Versammlung, weil Jesus in der Mitte ist, die Verheißung der Bestätigung im Himmel hat, obwohl die Ergebnisse des Urteils sich nur auf diese Erde beschränken, und dann, daß der Vater im Himmel die gemeinschaftlichen Gebete seiner zu dem Namen seines Sohnes versammelten Kinder erhören wird, wiederum weil der Herr selbst in der Mitte ist. Das allein gibt der Versammlung die Autorität zum Handeln, und dem einstimmigen Gebet die Verheißung der Erhörung, selbst wenn die Versammlung nur aus zwei oder drei bestehen sollte — eine kostbare Ermunterung für die Zeit des Verfalls! Was also in dieser Stelle so bedeutungsvoll, ja, unerläßliche Bedingung ist, ist das Versammeltsein in dem Namen Jesu, in alleiniger Unterwerfung unter das Wort Gottes und den Willen des Herrn.

Wo irgend nun Gläubige in dieser Weise, in Unterwerfung unter das Wort Gottes allein, in Anerkennung nur dieses einen Namens, unter der Leitung des Geistes Gottes zusammenkommen, da findet sich eine vielleicht schwache und unscheinbare, aber doch wahre Darstellung der Versammlung Gottes. In den verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften gibt es ohne Frage viele wackere Kinder Gottes, treue und, soweit ihre Erkenntnis reicht, in der Lehre gesunde, gewissenhafte Gläubige, Brüder und Schwestern, die ihren Herrn und Heiland aufrichtig lieben und ihm zu dienen begehren; aber alles das – und es könnte noch manches andere Anerkennenswerte hinzugefügt werden – macht die Kirche oder Gemeinschaft, der sie angehören, nicht zur Versammlung oder Gemeinde im Sinne der Schrift. So lang man nicht, allein auf dem Boden des Wortes Gottes stehend, alle Sonderbündelei aufgibt und sich einfach und einzig dem Herrn als Haupt seines Leibes durch die Kraft des Heiligen Geistes unterwirft, kann man auf dieses Vorrecht keinen Anspruch machen.

Aber, höre ich fragen, wo gibt es denn solche Versammlungen heute? Glaubst du selbst wirklich auf diesem Boden zu stehen? Ist es überhaupt möglich, in dem großen Verfall und der unheilvollen Verwirrung unserer Tage solche Grundsätze aufrecht zu halten und praktisch in Ausübung zu bringen? Ich möchte den Fragern mit einer Gegenfrage antworten: Gibt uns das Wort Gottes nicht genaue und verständliche Anweisungen für unser Verhalten in allen anderen Dingen? Und sollte es uns gerade in dieser einen wichtigen Beziehung im Stich lassen und es dem persönlichen Ermessen eines jeden Gläubigen anheimstellen, wie er sich versammeln, wo er, wie man es nennt, „sich anschließen“, wo er Verbindung und Gemeinschaft suchen will? Hat der Herr nicht gerade im Blick auf die Zeit des Endes von den Zweien oder Dreien geredet, die in seinem Namen versammelt sein würden? Ja, mehr noch: Ist er überhaupt im Einklang mit Gottes Willen, irgend einer von Menschen gebildeten Kirche oder Gemeinschaft anzugehören? Die Schrift kennt nur die Versammlung oder Gemeinde. Wenn sie von Versammlungen redet, so meint sie einfach Gottes Versammlung oder Gemeinde an den in Frage kommenden Orten. Jeder treue Christ sollte deshalb nicht nur mit den verschiedenen Namen und Benennungen, sondern auch mit der Sache selbst, mit dem Grundsatz, auf dem sie errichtet sind, gebrochen haben und sich einfältig auf den Boden stellen, auf welchen er als Glied des Leibes Christi gebracht ist.

Daß das nicht immer leicht ist, vielmehr unter Umständen schwere innere und äußere Kämpfe kostet, gerade infolge des betrübenden und demütigenden Verfalls, an welchem wir alle beteiligt und mitschuldig sind, sei von vornherein zugegeben; auch daß die Verwirklichung stets Mängel, Schwachheiten und Unvollkommenheiten aufweisen wird. Aber wer könnte etwas anderes erwarten? Der religiöse Mensch liebt Formen und Gebräuche, und nichts erregt mehr seinen Zorn als ein Angriff auf die „von den Vätern überlieferten“ Satzungen und Einrichtungen. Und andererseits: Wann und wo hat der Mensch jemals seiner Verantwortlichkeit entsprochen? Wo das ihm Anvertraute makellos bewahrt? Aber man darf deshalb nicht sagen, daß es unmöglich sei, nach den besprochenen Grundsätzen zu handeln. Es ist möglich, und es ist geschehen und geschieht in unseren Tagen. Wo es geschieht, das in jedem Einzelfalle zu entscheiden, mag schwer, wenn nicht unmöglich sein der Herr wird es an jenem Tage, an welchem alles in das, Licht seines Richterstuhls gebracht wird, offenbar machen. Aber der Schreiber — und er weiß sich in diesem Punkte mit Tausenden von Gläubigen eins — möchte um keinen Preis in der Mitte derer fehlen, die, so schwach und unvollkommen alles bei ihnen sein mag, aufrichtig begehren, allein in dem Namen ihres teuren Herrn versammelt zu sein, und die sich befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens. Der Herr steht zu seiner Verheißung: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“; aber auch nur da, wo die Vorbedingung in Treue und einfältigem Glauben erfüllt wird, kann die Wirklichkeit der verheißenen kostbaren Tatsache genossen werden.

Doch wiederum möchte eingewandt werden: Darf man denn von einzelnen Gläubigen oder von Gemeinschaften, die, ohne jene Bedingung zu kennen oder zu erfüllen, zum Gebet, zur Wortbetrachtung etc. zusammenkommen, behaupten, daß sie das nicht im Namen des Herrn tun und deshalb nicht auf des Herrn Segen rechnen dürfen? Ich antworte darauf: Der Gläubige sollte alles, was er tut, „im Namen des Herrn“, d. h. in Abhängigkeit von Ihm, und „zur Ehre Gottes“ tun, sogar essen und trinken (vergl. Kolosser 3,17; 1 Korinther 10,31), und wenn er so handelt, darf er sicher stets auf den Segen des Herrn rechnen. Aber ein Zusammenkommen zur Erbauung oder zu irgendwelcher christlichen Tätigkeit, selbst wenn es im Aufblick zum Herrn geschieht, (wie es immer geschehen sollte), ist noch kein Versammeltsein zu seinem Namen hin.

Wo eine Versammlung von der Leitung einer oder mehrerer Menschen, eines Ausschusses oder dergl., abhängig ist, wie z. B. bei der Verkündigung des Evangeliums oder bei Zusammenkünften von Gläubigen, um den Unterweisungen irgend eines Dieners des Herrn über einen gegebenen Teil der Wahrheit zu lauschen, kann man wohl von einem „Tun im Namen Jesu“, aber nicht von einem „Versammeltsein zu seinem Namen hin“ reden. Es ist das kein „Zusammenkommen als Versammlung“. (1 Korinther 11,18). Wie könnte da von Handlungen der Versammlung als solcher, z. B. von „Binden“ und „Lösen“, die Rede sein? Ein bestimmter Bruder (oder mehrere), ob Evangelist oder Lehrer, erfüllt in beiden Fällen einen ihm vom Herrn aufgetragenen Dienst und ist für diesen Dienst allein verantwortlich. Daß er dabei die Hilfe und Nähe seines Herrn genießen kann und genießen sollte in dem Bewußtsein, in seinem Namen und Auftrag zu handeln, ist so selbstverständlich, daß es kaum erwähnt zu werden braucht. Wenn der Herr einem jeden, der ihm in Herzensaufrichtigkeit naht, freundlich entgegenkommt, wieviel mehr wird er den, der in Liebe und Lauterkeit seine Sache vertritt und den Menschen die gute Botschaft verkündigt oder das Wort auslegt, seine persönliche Nähe erfahren lassen! er wird segnen und jedes ernste Rufen um seinen Beistand reichlich beantworten. Der Herr ist immer und überall bei und mit denen, die auf ihn harren. Aber ich wiederhole: Die persönliche Gegenwart des Herrn in der Mitte derer, die in seinem Namen versammelt sind, ist etwas anderes, hat eine ganz andere Bedeutung. Von dieser persönlichen Gegenwart redet die Schrift nur in der oft genannten Stelle Matthäus 18,20. Wenn also gefragt wird: Darf man denn nicht auch da auf diese Gegenwart rechnen, wo man sich auf anderem Boden, nach menschlichen Satzungen und Einrichtungen, versammelt, so kann die Antwort nur verneinend lauten. Der Herr mag segnen und den einzelnen Seelen seine Nähe offenbaren, der Heilige Geist mag wirken, Seelen erretten oder die Herzen erquicken, aber es ist nicht eine Verwirklichung der Wahrheit von der Versammlung oder Gemeinde nach Gottes Gedanken.

Ich wiederhole nur oft und immer wieder Gesagtes, wenn ich schließlich noch darauf Hinweise, daß andererseits Gläubige, die sich, unter Aufgebung alles menschlich Errichteten und Trennenden, in dem Namen Jesu versammeln, sich niemals die Versammlung oder Gemeinde nennen können. So lang im Anfang alle Gläubige an einem Orte in herzlicher Gemeinschaft miteinander wandelten und so auch nach außen hin ihre Einheit darstellten, bildeten sie die Versammlung an dem betreffenden Orte, im Gegensatz zu den umwohnenden Juden oder Heiden; heute aber, wo die Kinder Gottes überall zerstreut sind, kann natürlich nur von einer schwachen Darstellung dieser Wahrheit die Rede sein, es sei denn daß unter der mächtigen Wirkung des Geistes alle Gläubige eines Ortes sich in dem Namen Jesu zusammenfinden würden. Aber wer würde bei der gegenwärtigen Verwirrung imstande sein, das festzustellen?

4. Der Heilige Geist in den Gläubigen und in der Versammlung.

Als der Herr Jesus nach vollendetem Werk in den Himmel hinaufgestiegen war und sich als Haupt seines Leibes, der Versammlung, zur Rechten Gottes gesetzt hatte, nachdem die Frage der Sünde geordnet war und die Gnade Gottes nun ungehindert ausströmen konnte, kam der Heilige Geist auf die Erde herab, um von diesen Dingen zu zeugen und Christum, den zur Rechten der Majestät erhöhten Menschen, zu verherrlichen. Er ist ebenso persönlich gegenwärtig, wie der Herr selbst es einst war. Zwar schauen unsere leiblichen Augen ihn ebensowenig, wie sie den Herrn heute sehen, aber nichtsdestoweniger ist der Heilige Geist eine wirkliche Persönlichkeit, die dritte Person der Gottheit, nicht aber, wie viele meinen, nur ein Einfluß, eine auf uns einwirkende göttlich-geistige Macht. Bei der Taufe des Herrn im Jordan sehen wir ihn in „Gestalt einer Taube“ auf den Herrn herabkommen, und am Pfingst-tage setzte er sich „gleich zerteilten Zungen wie von Feuer“ auf jeden der auf die Verheißung des Vaters in Jerusalem wartenden Gläubigen. Seit jenem für uns alle so wichtigen Tage wohnt der Heilige Geist, der „Sachwalter“, wie der Herr Jesus ihn nennt, auf dieser Erde, und zwar sowohl in der das „Haus Gottes“ bildenden Gesamtheit der Gläubigen, als auch in jedem von ihnen persönlich. Das ist eine Tatsache von herrlichster Bedeutung, aber auch von ernstester Tragweite.

Die Jünger Jesu sollten nach dem Weggang ihres Meisters nicht verwaist dastehen in einer feindseligen, gefahrvollen Welt. Kurz vor seiner Rückkehr zum Vater sagte Jesus zu ihnen: „Wenn ihr mich liebet, so haltet meine Gebote und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht, noch ihn kennt. Ihr aber kennet ihn, denn er bleibt bei euch und wird mit euch sein.“ (Johannes 14,16-17). Der Heilige Geist, der also jetzt hienieden wohnt, wird diese Erde nicht eher wieder verlassen, bis er die Braut Christi aus allen Nationen der Erde vollzählig gesammelt hat, um sie dann triumphierend dem himmlischen Bräutigam entgegenzuführen. Nach diesem herrlichen Augenblick sehnt er sich mit der Braut. „Der Geist und die Braut sagen: Komm!“ Aber auch der Bräutigam, der Herr selbst, wartet — wie könnte es auch anders sein? — auf diese selige Stunde und erwidert jenen Ruf mit den Worten: „Ja, ich komme bald!“ (Offenbarung 22,17-20). Bis dahin bleibt der Heilige Geist bei uns und in uns.

Damit nun niemand denke, daß diese zwiefache Offenbarung der Gegenwart des Heiligen Geistes nur für die Zeit der ersten Frische des Volkes Gottes bestimmt gewesen sei, sondern für alle Zeiten eine kostbare Wahrheit bleibt, möchte ich noch einige Stellen aus den Briefen des Apostels Paulus anführen, dem, wie keinem anderen der Apostel, die Wahrheit von der Versammlung als dem Leibe Christi durch Offenbarungen seitens des Herrn anvertraut worden war. Er sagt in 1 Korinther 6,19: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt?“ Der Apostel erinnert hier die Korinther an das persönliche Wohnen des Heiligen Geistes in dem Einzelnen, weil einige von ihnen in Gefahr standen, ihren Leib durch unreine Dinge zu schänden, anstatt Gott in ihm zu verherrlichen. Im dritten Kapitel spricht er dagegen von dem Wohnen des Heiligen Geistes in dem „Tempel“ oder „Bau Gottes“, welcher von den Gläubigen in ihrer Gesamtheit gebildet wird. „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in (oder: unter) euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr.“ (1 Korinther 3,16-17). Es handelt sich hier um das „Haus Gottes“, das etliche durch böse Lehren, durch Verwendung von unechten Stoffen, wie Holz, Heu und Stroh, zu verderben trachteten. Im Epheserbrief nennt der Apostel die Versammlung Gottes den „einen Leib“, „einen heiligen Tempel im Herrn“, „eine Behausung Gottes im Geiste“. Das Wort Gottes unterscheidet also deutlich hier und an anderen Stellen zwischen dem Wohnen des Heiligen Geistes in den einzelnen Gläubigen und seinem Wohnen in dem „Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist“.

Die wichtige Frage ist jetzt: Wie verwirklichen wir diese kostbare Wahrheit? Wie kommt sie zum Ausdruck in unserem täglichen Leben, sowohl persönlich bei jedem einzelnen, als auch bei unseren Zusammenkünften zum gemeinschaftlichen Gottesdienst, zur Betrachtung des Wortes, zum Gebet, oder was der Grund fein mag, der uns zu einmütigem Handeln vereinigt? Lebt wirklich in unseren Herzen das Bewußtsein, daß unser Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, und daß wir alle zusammen die Behausung Gottes im Geiste bilden? Müssen wir nicht mit tiefer Beschämung bekennen, daß diese herrlichen Tatsachen unter uns vielfach nur als Lehre mit dem Verstande erfaßt werden, aber gar wenig in der Praxis zur Geltung kommen? Der Apostel ermahnt die Epheser, denen er wie keinen anderen die erhabene Stellung der Gläubigen in Christo vorstellt: „Werdet mit dem Geiste erfüllt, redend zueinander in Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern, singend und spielend dem Herrn in eurem Herzen, danksagend allezeit für alles dem Gott und Vater im Namen unseres Herrn Jesus Christus, einander unterwürfig in der Furcht Christi“. (Epheser 5,18). (ff) Und: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr versiegelt worden seid auf den Tag der Erlösung“. (Epheser 4,30).

Wer vermöchte den Segen und die überschwengliche Freude auszusprechen, die unsere Herzen erfüllen würden, wenn wir diesen Ermahnungen mehr nachkämen! Wahrlich, auch aus uns würden dann „Ströme lebendigen Wassers hervorfließen“. Aber wie ganz anders sieht es oft aus! Wie vielfach haben Weltsinn und Gleichgültigkeit Eingang gefunden! Anstatt das persönliche Leben unter die heiligende, bewahrende Zucht der bewußten Inwohnung des Geistes zu stellen, läßt man der Natur und dem Fleische Raum; anstatt sich auf die Gegenwart des Geistes, der in der Versammlung alles ordnen, leiten und darreichen möchte, zu verlassen, nimmt man seine Zuflucht zu menschlichen Hilfsmitteln und Einrichtungen. Doch laßt uns nicht bei diesem demütigenden Bekenntnis stehen bleiben, sondern mit Herzensentschluß zu der Quelle wahrer Kraft und Freude zurückkehren und mit Ernst und geistlicher Entschiedenheit die kostbare, erhabene Stellung, in welche Gott uns versetzt hat, zu verwirklichen uns bemühen!

Wir haben vorhin gesagt, daß die Aufgabe des Heiligen Geistes darin bestehe, die Braut Christi aus der Welt zu sammeln und sie, wenn das letzte Glied gefunden sei, dem himmlischen Bräutigam entgegenzuführen, um dann selbst mit ihr in die Herrlichkeit zurückzukehren, wie einst Eliesers Aufgabe erfüllt war, als er Rebekka nach vollendeter Wüstenreise dem Sohne seines Herrn zugeführt hatte. Doch die Tätigkeit des Heiligen Geistes beschränkt sich nicht auf das Sammeln der Glieder. Wir wissen, daß er, entsprechend dem Worte des Herrn Jesus, die bereits Gefundenen auf ihrem Wege durch die Wüste in die ganze Fülle der göttlichen Wahrheit einleiten soll. Es ist seine Freude, die Erlösten mit der Herrlichkeit ihres Herrn und Heilandes zu beschäftigen, ihnen die unausforschlichen Reichtümer des verherrlichten Menschensohnes, die Fülle seiner Gnade und die Tragweite seines Opfers vorzustellen. „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen.“ (Johannes 16,13-14). Diese Verheißung ist in Erfüllung gegangen. Wir besitzen in den Schriften des Neuen Testamentes die ganze Wahrheit; das Wort Gottes ist vollendet, der Kreis der Offenbarungen Gottes geschlossen. Gleichwohl aber dürfen wir sagen, daß der vielseitige Dienst des Heiligen Geistes seine höchste Aufgabe auch heute noch in der Verherrlichung des Herrn findet. Das umschließt alles. Denn wenn er heute einen Sünder in das Licht Gottes führt und ihn das Knie beugen läßt vor dem Sohne Gottes, oder wenn er in dem einzelnen Gläubigen dahin wirkt, in der Wahrheit zu wandeln und viel Frucht zu bringen, wenn er warnt und straft, tröstet und ermuntert, oder wenn er in der Versammlung Lob, Dank und Anbetung wachruft, das nötige Wort darreicht und in Herzen und Gewissen lebendig macht, oder wenn er schließlich sich für die Erlösten in unaussprechlichen Seufzern verwendet, so geschieht das alles zur Ehre und Verherrlichung des Herrn.

Betrachten wir jetzt, als unserem Gegenstand am nächsten liegend, den Platz, welchen der Heilige Geist im Anfang in der Versammlung einnahm, und den er auch in unseren Tagen noch beansprucht. Denn wenn auch infolge unserer Untreue alles in großer Verwirrung sich befindet, so bleiben doch die Grundsätze und Wahrheiten, welche die Gemeinde Gottes in der ersten Zeit leiteten, für alle Zeiten und Verhältnisse allein maßgebend. Viele mögen sich kurzerhand mit den gegenwärtigen Zuständen abfinden, indem sie alles so lassen, wie es einmal ist, oder sich bemühen, die bösen Folgen menschlicher Irrungen und Untreue nach besten Kräften abzuschwächen. Aber nie wird Gott solches Tun gutheißen. Er verlangt vielmehr unter allen Umständen Gehorsam gegen sein einmal gegebenes Wort und Beugung unter seinen Willen.

Wenn wir daher verstehen, daß uns der Heilige Geist persönlich und gemeinschaftlich als Leiter und Führer von Gott, dem Vater, geschenkt worden ist, dann dürfte man billigerweise auch erwarten, daß die Gläubigen sich seiner Leitung unterwerfen, daß sie so auf seine Wirksamkeit achten und auf ihn warten, wie es im Anfang geschah, und wozu uns Gottes Wort ermahnt. Ich sage: wie es im Anfang geschah. Da lesen wir z. B. in Apostelgeschichte 2,4, daß die mit dem Heiligen Geiste erfüllten Gläubigen am Pfingsttage redeten, „wie der Geist ihnen gab auszusprechen“. Petrus sprach zu den Obersten und Ältesten des Volkes, „erfüllt mit Heiligem Geiste“. Desgleichen Stephanus. (Apostelgeschichte 4,8 und Apostelgeschichte 6,10). Ferner wird gesagt: „Der Geist sprach zu Philippus“, „der Geist sprach zu Petrus“, „der Geist hieß ihn mitgehen“; „es hat dem Heiligen Geiste und uns (den in Jerusalem versammelten Aposteln und Gläubigen) gut geschienen“; '„sie waren von dem Heiligen Geist verhindert worden“; „der Geist Jesu erlaubte es ihnen nicht“; „sie sagten dem Paulus durch den Geist“ usw. (Apostelgeschichte 8,29; Apostelgeschichte 10,19; Apostelgeschichte 11,12; Apostelgeschichte 15,28; Apostelgeschichte 16,6-7; Apostelgeschichte 21,4-11;). Der Dienst der Apostel und Jünger des Herrn, sei es der Welt gegenüber oder in der Versammlung, trug also den unverkennbaren Stempel der Wirksamkeit des Heiligen Geistes. (Vergl. Philipper 3,3).

Über die besonderen Wirkungen der persönlichen Gegenwart des Heiligen Geistes im Blick auf die Gemeinde und die Entfaltung seiner Wirksamkeit in ihrer Mitte zur Auferbauung der Gläubigen geben uns die Kapitel 12, 13 und 14 des ersten Korintherbriefes klare und deutliche Anleitungen. So heißt es in Kap. 12,7 ff (1 Korinther 12,7): „Einem jeden wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben“, d. h. zum Nutzen für die Gesamtheit der Zuhörer. „Denn einem wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben, einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geiste; einem anderen aber Glauben in demselben Geiste, einem anderen aber Gnadengaben der Heilungen in demselben Geiste, einem anderen aber Wunderwirkungen, einem anderen aber Prophezeiungen, einem anderen aber Unterscheidungen der Geister; einem anderen aber Arten von Sprachen, einem anderen aber Auslegung der Sprachen. Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie er will.“

Hieraus erhellt, daß der Heilige Geist in der Gemeinde Gottes hienieden auf die verschiedenste Weise und durch die verschiedensten Personen und Gaben wirkt zum Nutzen und Segen aller, und zwar „wie er will“. Überdies bezeichnet der Apostel seine Unterweisungen ausdrücklich als „Gebote des Herrn“, wodurch er ihre besondere Wichtigkeit hervorheben will. (1 Korinther 14,37). Es ist nicht etwas Nebensächliches, über das man verschiedener Ansicht sein könnte, wenn er so von dem Zusammenkommen der Gläubigen und der Ausübung des Dienstes in ihrer Mitte redet. Nein, es sind grundlegende Anordnungen, Wahrheiten, die für den einfältigen, von dem Geist geleiteten Christen unmittelbar von Gott kamen — „Gebote des Herrn“, welche die volle Autorität Gottes besaßen. Und diese Gebote sind unveränderlich. Zeit und Umstände haben keinen Einfluß auf sie. Wer sich also gegen sie auflehnt, lehnt sich gegen den Herrn auf, wer sie gering achtet, achtet den Herrn gering, der einst zu seinen Jüngern sagte: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was irgend ich euch gebiete“. (Johannes 15,14). Wir sollten uns daher allen Ernstes fragen, inwieweit wir persönlich und gemeinsam diesen seinen Geboten nachkommen.

Was machen wir z. B. aus dem Wort: „Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden“? (1 Korinther 12,13). Erkennen wir diese Zugehörigkeit zu dem einen Leibe, in welchem es keine Spaltungen geben sollte, an und handeln wir dementsprechend? Verwerfen wir jede andere Gliedschaft? Glauben wir, daß es heute noch wahr ist: „Gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, e i n Leib sind: also auch der Christus“? und: „Ihr aber seid der Leib Christi und Glieder insonderheit“? (1 Korinther 12,27).

Weiter: Räumen wir dem Heiligen Geist bei unseren Zusammenkünften den Platz ein, den er beansprucht und beanspruchen muß? Warten wir wirklich auf seine Leitung? Oder sind wir auf dem Plan? Ist letzteres der Fall, dann sieht es schlimm aus; alles wird dann verdorben. Die Zusammenkünfte werden kraftlos, und von dem Segen, den der Herr uns zugedacht hat, geht viel verloren. Anstatt dem Heiligen Geiste Raum zu lassen, zu wirken, wie und durch wen er will, indem er durch den einen Bruder ein Wort der Ermahnung, der Belehrung oder des Trostes an die Versammlung richtet, einem anderen Freimütigkeit zum Sprechen eines Gebets gibt, einen dritten ein Loblied Vorschlägen läßt, einem vierten einen Psalm oder sonst einen Schriftabschnitt gibt, der zum Segen der Versammlung vorgelesen wird, liegt dieser Dienst nur einzelnen Personen ob, die eigens hierzu ernannt sind. Man mag diese Personen nennen, wie man will, jedenfalls ist der freien Wirksamkeit und Leitung des Heiligen Geistes ein ernstes Hindernis bereitet. Er ist nicht, wenn ich mich so ausdrücken darf, die maßgebende Person, der allein Ausschlag gebende Faktor.

Ich rede jetzt selbstverständlich nicht von dem Dienst am Evangelium, noch von jenen besonderen Fällen, wo ein „Lehrer“ über vorher ausgewählte Schriftabschnitte oder bestimmte Teile der Wahrheit auf seine persönliche Verantwortlichkeit hin Vorträge hält, sondern von den gemeinsamen Zusammenkünften der Gläubigen zum Gebet, zur Erbauung usw. Trifft da das Obengesagte zu, so ist der Heilige Geist, wenn er anders leiten und wirken will, gebunden, sich dieser bestimmten Personen zu bedienen, ja, da wo nur eine Person der Versammlung vorsteht, nur dieser einen. Ich brauche nicht zu sagen, daß dadurch der Wirksamkeit des Heiligen Geistes geradezu Gewalt angetan wird. Wenn das aber geschieht, so muß eine solche Versammlung des größten Segens beraubt werden. Es mag besonders begnadigte, treue Diener des Herrn geben, die mehrere Gaben in sich vereinigen, aber wer von ihnen wollte zu behaupten wagen, daß er alles besitze, was zur Auferbauung der Gemeinde erforderlich ist und was der Herr ihr schenken möchte? Wer ist überdies imstande, jederzeit den Heiligen zu dienen? Und doch erfordern das die getroffenen Einrichtungen in vielen Fällen. Ein Diener des Herrn, der sich in einer derartigen Anstellung befindet, ist herzlich zu bedauern; er müßte ja gar kein geistliches Gefühl haben, wenn er es nicht empfände, daß solche Verhältnisse ihm einen Zwang und Druck auferlegen, die der Herr niemals für seine Knechte bestimmt hat. Ob er persönlich den Drang in sich fühlt, den verantwortungsvollen Dienst auszuüben, ob sein Verhältnis zum Herrn stets so ist, wie der Dienst es erfordert, ob sein Herz glücklich oder beschwert ist — alle diese Fragen können keine Berücksichtigung finden; er muß in jeder Versammlung predigen, lehren, ermahnen, trösten, zurechtweisen, beten usw. Ist das nicht in der Tat eine traurige, unwürdige Lage, die in unmittelbarem Widerspruch steht zu den in ihrer Ausübung so gesegneten „Geboten des Herrn“? Wir bestreiten nicht, daß der Geist in den genannten Personen wirken kann und es, entsprechend der Herzensstellung der Betreffenden, auch tut, — das Gegenteil zu behaupten käme einer Leugnung der Tatsache gleich, daß der Heilige Geist in den einzelnen Gläubigen wohnt. Wir sind auch überzeugt, daß infolge dieser Geisteswirkungen die Versammelten Erbauung und Segen empfangen können und das umsomehr, je einfältiger die Herzen auf Jesum gerichtet sind; aber trotzdem steht eine solche Versammlung, als ein Ganzes betrachtet, nicht unter der Leitung des Heiligen Geistes.

Wir finden hier also einen ähnlichen Unterschied wie im vorigen Abschnitt zwischen dem „im Namen Jesu“ Versammeltsein und irgend einer persönlichen Handlung im Namen des Herrn. In beiden Fällen handelt es sich das eine Mal um den Gläubigen persönlich, das andere Mal um die Gläubigen als Körperschaft, als der „Leib Christi“, das „Haus Gottes“, der „Tempel des Heiligen Geistes“ oder „die Versammlung des lebendigen Gottes“.

Hieraus geht auch hervor, daß wir nicht wirklich im Namen Jesu versammelt sein können, ohne die Leitung und Wirksamkeit des Heiligen Geistes praktisch anzuerkennen, und, umgekehrt, uns als Körperschaft ebensowenig unter der alleinigen Leitung des Heiligen Geistes befinden können, ohne im Sinne von Matthäus 18,20 im Namen Jesu versammelt zu sein. Beide Wahrheiten gehen Hand in Hand und sind unzertrennlich miteinander verbunden.

Ein wirkliches Zusammensein im Namen Jesu, unter der Leitung des Heiligen Geistes, setzt aber nicht nur eine schriftgemäße Erkenntnis über diese Dinge, sondern auch eine aufrichtige Gesinnung und Herzensstellung voraus. Gott sieht das Herz an! Und nie und nimmer haben wir ein Recht, uns auf den Herrn und den Heiligen Geist, oder auf eine dem Buchstaben des Wortes entsprechende Stellungnahme zu berufen, wenn wir in Eigenwillen und Selbstgefälligkeit oder in Gleichgültigkeit und Sünde leben. Daß hierzu Gefahr vorliegt, wird jeder zugeben müssen, der sein eigenes Herz nur ein wenig kennt. Möchten wir daher wohl auf der Hut sein und den Herrn viel bitten, daß er uns vor solch bösem Tun in Gnaden bewahre! Freiheit des Geistes ist das kostbare Teil der Kinder Gottes. Sollte aber die Freiheit im persönlichen Leben für das Fleisch mißbraucht werden, oder in der Versammlung sich in Ungebundenheit und Eigenwillen des Menschen umwandeln, dann ist es die Pflicht der Versammlung, einzuschreiten und dem Bösen zu wehren.

Es gibt also zwei Dinge, die der Wirksamkeit des Heiligen Geistes und seiner Leitung hindernd im Wege stehen können: einerseits menschliche Anordnungen und Einrichtungen, und andererseits persönliche Untreue, Eigenwille und fleischliche Freiheit. In beiden Fällen ist ernste Prüfung, Selbstgericht und Umkehr notwendig. Die bestgemeinten menschlichen Einrichtungen müssen fallen; ein anderes Mittel gibt es nicht, nichts Geringeres als das genügt. Aber ebenso schonungslos müssen Eigenwille und andere böse Erscheinungen in den Einzelnen und inmitten der Versammlung gerichtet werden. Nur ernstes Selbstgericht und wahre Reinigung können verloren gegangene Segnungen wieder herbeiführen.

5 Die Versammlung und die Zucht.

Die Gegenwart des Herrn inmitten der in seinem Namen Versammelten bedingt naturgemäß die Aufrechthaltung der Reinheit und Heiligkeit innerhalb der Versammlung, die Absonderung von allem Bösen. Dem Hause des Herrn geziemt Heiligkeit auf immerdar. (Psalm 93,5). Der Herr kann sich nicht einsmachen mit Bösem, Unordentlichem und Schriftwidrigem. Er hat Mitleid mit unseren Schwachheiten (Hebräer 4,15), d. h. mit unserer menschlichen Unvollkommenheit, mit unserem Schmerz und Kummer. Er weiß, wie uns zumute ist, wenn Hunger und Durst, Hitze und Kälte auf uns einwirken, wenn Freunde uns verlassen, wenn Mißerfolge und Enttäuschungen aller Art uns müde und matt machen wollen, denn er hat alles das auf seinem Wege durch die Welt persönlich erfahren. Aber nie hat er Mitleid mit der Sünde, nie Erbarmen mit dem Bösen. Er haßt die Sünde! Der Prophet Habakuk sagt von Jehova: „Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen“. (Habakuk 1,13). Er kann es nicht dulden, weder an dem einzelnen Gläubigen, noch an seinem Hause. Deshalb ermahnt er die Seinigen immer wieder: „Seid heilig, denn ich bin heilig“. (3 Mose 11,45 u. 1 Petrus 1,16). Und in 1 Thessalonicher 5,22 werden wir aufgefordert, uns „von aller Art des Bösen fernzuhalten“.

Wie aber hat nun eine Versammlung sich zu verhalten, wenn ein Glied oder mehrere sich nicht rein erhalten in Wandel oder Lehre? Der feierliche Ausspruch des Herrn in Matthäus 18,18: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“, hat uns gezeigt, daß die Gegenwart des Herrn inmitten der Versammlung dieser eine göttliche Machtbefugnis gibt, zu „binden“ und zu „lösen“, oder zu richten und zu vergeben. Indem die im Namen Jesu Versammelten in Übereinstimmung mit dem in ihrer Mitte sich befindenden Herrn handeln, finden diese Handlungen im Himmel Anerkennung, obwohl sie sich, wie schon gesagt, in ihrer Wirkung nur auf diese Erde erstrecken. Es ist eine böse Verirrung, wenn behauptet wird, die Kirche könne Sünden vergeben oder behalten im Blick auf die Ewigkeit, mit anderen Worten, die Kirche könne den Himmel öffnen oder verschließen. Damit setzt man in vermessener Verblendung Menschen an die Stelle Gottes. Die Pharisäer sagten einst zum Herrn: „Wer kann Sünden vergeben, außer Gott allein?“ (Lukas 5,21). Das war an und für sich richtig. Was sie vergaßen oder nicht erkannten war, daß „Gott, geoffenbart im Fleische“, in ihrer Mitte stand, daß der „Sohn des Menschen“ also Gewalt hatte, Sünden zu vergeben.

Über die praktische Ausübung des „Bindens“ und „Lösens geben uns die beiden Korintherbriefe klaren Aufschluß. In der Gemeinde zu Korinth befand sich ein Böser, der in der gröbsten Weise gegen die Heiligkeit des Hauses Gottes verstoßen hatte. Aber die Ver-sammlung trug anfänglich nicht einmal Leid hierüber, noch weniger dachte sie daran, den Anstoß aus ihrer Mitte zu entfernen. Das gab dem Apostel Veranlassung, die Korinther ernstlich zurechtzuweisen. Er schreibt ihnen: „Ihr seid aufgeblasen und habt nicht vielmehr Leid getragen, auf daß der, welcher diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte hinweggetan würde“. (1 Korinther 5,1-3). Das Offenbarwerden des Bösen sollte zunächst stets eine Versammlung zur Beugung und zum Selbstgericht bringen und schmerzliche Gefühle bei den Einzelnen wachrufen, in dem Bewußtsein der Mitschuld nicht nur, sondern vor allem bei dem Gedanken daran, wie sehr der Herr betrübt und verunehrt wird, wenn Dinge unter seinen Geliebten Vorkommen, die den Ausschluß eines oder gar mehrerer Glieder aus der Gemeinschaft der Kinder Gottes fordern. Die Versammlung trägt wohl in den meisten Fällen einen Teil der Schuld. Denn wenn sie wachsamer gewesen wäre und so, die Gefahr beizeiten erkennend, dem Betreffenden nachgegangen wäre und ihn in Liebe und Ernst ermahnt hätte, würde der Ausschluß möglicherweise vermieden worden sein. Ach! es wird viel in dieser Beziehung gefehlt. Warum wird man gar oft erst dann auf den bösen Zustand eines Gläubigen aufmerksam, wenn es bereits zur öffentlichen Verunehrung des Herrn gekommen ist, und nur noch die Ausübung der Zucht übrigbleibt. Das sollte gewiß nicht so sein. Der Ausschluß ist das letzte ernste Mittel, um einen Untreuen zur Erkenntnis seines Zustandes zu bringen, und daher sollte man erwarten dürfen, daß in den meisten Fällen Bitten, Ermahnungen und Zurechtweisungen der Zucht vorausgegangen sind. Ist das nicht der Fall, so hat die Versammlung ganz besondere Ursache, sich anzuklagen und vor dem Herrn zu demütigen. Trotzdem aber ist sie nicht weniger verpflichtet, wie der Fall in Korinth uns zeigt, sich von dem Bösen zu reinigen. In welcher Weise und unter welchen Bedingungen das zu geschehen hat, ersehen wir aus den Versen 3—5 (1 Korinther 5,3: „Denn ich, zwar dem Leibe nach abwesend, aber im Geiste gegenwärtig, habe schon als gegenwärtig geurteilt, den, der dieses also verübt hat, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus versammelt seid, einen solchen dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist errettet werde am Tage des Herrn Jesus“.

Diese Worte rufen uns zunächst die Tatsache ins Gedächtnis zurück, daß die Kraft des Herrn Jesus inmitten der um ihn gescharten Versammlung es ist, welche deren Handlungen eine solche Tragweite und Bedeutung gibt. In dem vorliegenden Falle trat noch die Kraft des Geistes hinzu, welche sich in der apostolischen Macht Pauli entfaltete, der im Verein mit der Versammlung den Bösen dem Satan überlieferte3). Der Zweck der Zucht war, den Betreffenden, fern von den Segnungen der Gemeinschaft der Gläubigen und der Gegenwart des Herrn, in dem Bereich der Macht Satans, des Fürsten dieser Welt, und durch dessen Faustschläge über das Furchtbare seiner Sünde zur Einsicht zu bringen. Das Gericht wurde auf dieser Erde an ihm vollzogen, damit er dereinst nicht dem ewigen Gericht verfalle, „sein Geist vielmehr errettet werde am Tage des Herrn Jesus“. Wie ernst und schwer die Strafe (2 Korinther 2,6) auch sein mochte, so kam doch nur die wunderbare Gnade des Herrn in ihr zum Ausbruch „Die Zurechtweisungen der Zucht sind der Weg des Lebens.“ (Sprüche 6,23).

Im 11. Verse gibt dann der Heilige Geist durch den Apostel weitere Belehrungen über die Behandlung solcher, die Brüder genannt wurden, aber sich als Böse offenbarten: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder ein Habsüchtiger, oder ein Götzendiener, oder ein Schmäher, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber, mit einem solchen selbst nicht zu essen“. Ganz am Schluß unseres Abschnittes heißt es dann noch einmal: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, wodurch der Heilige Geist ohne Frage zeigen will, daß Seine Aufzählung der einen Bösen kennzeichnenden Dinge in Vers 11 keineswegs erschöpfend ist, sondern daß es sich hier um einen Grundsatz von allgemeiner Bedeutung handelt. Wer irgend sich als ein „böser Mensch“ in der Mitte der Gläubigen offenbart und trotz treuer Bemühungen der Liebe seitens der Versammlung auf seinem bösen Wege beharrt, muß unter Anwendung des letzten Zuchtmittels aus der Mitte der Gläubigen entfernt werden. Sowohl die Heiligkeit und Ehre des Herrn als auch das Wohl des Betreffenden machen diesen ernsten Schritt zu einer Notwendigkeit.

Römer 16,17 ermahnt uns, keine Gemeinschaft zu Pflegen mit denen, „welche Zwiespalt und Ärgernis anrichten“. „Wendet euch von ihnen ab!“ sagt der Apostel dort. Den Thessalonichern schreibt er, daß sie sich zurückziehen sollten „von jedem Bruder, der unordentlich wandelt“, und daß sie, wenn jemand dem Worte des Apostels durch den Brief nicht gehorchen würde, diesen Bruder „bezeichnen“ und „keinen Umgang“ mit ihm haben sollten. (2 Thessalonicher 3,6 2 Thessalonicher 3,14-15). Im letzten Falle wurde ein solcher Bruder also nicht ausgeschlossen. Obwohl sein Zustand äußerst bedenklich war und eine ernste Behandlung nötig machte, war er doch nicht so schwerwiegend, daß der völlige Bruch der Gemeinschaft, also auch der Ausschluß vom Tische des Herrn, erforderlich gewesen wäre.

Johannes schreibt über das Verhalten einem Irrlehrer gegenüber: „Jeder, der weitergeht und nicht bleibt in der Lehre des Christus, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, dieser hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf und grüßet ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken.“ (2 Johannes 9-11); Es kann hier natürlich nicht von Ausschluß die Rede sein, weil Johannes nicht an eine Versammlung, sondern an eine einzelne Person schreibt. Ohne Frage aber hat eine Versammlung, in welcher ein solcher Irrlehrer auftreten würde, die Pflicht, ihn aus ihrer Mitte hinauszutun; sie würde sich ja sonst mit seinen „bösen Werken“ eins machen. Nicht Duldsamkeit ist in solchen Fällen am Platze, sondern ein entschiedenes Einschreiten und Handeln, allerdings im Geiste der Liebe. Die wahre Liebe besteht gerade darin, „daß wir nach seinen Geboten wandeln“. (2 Johannes 6). Wir alle neigen leider sehr dahin, menschliche Liebe und natürliches Mitgefühl für göttliche Liebe zu halten. Wir vergessen, daß die wahre Liebe sich gerade in dem treuen „Festhalten an der Wahrheit“ zeigt, und daß die natürliche Liebe, obwohl ursprünglich von Gott ins Herz gesenkt, doch ebenso durch die Sünde verderbt ist und irregeleitet wird wie unsere ganze alte Natur.

Ganz besonders beachtenswert, obwohl leider manchmal übersehen, ist ein Punkt der Belehrung des Apostels in 1 Korinther 5, nämlich der, daß die Zucht nur von der Versammlung oder Gemeinde Gottes ausgeübt werden kann, und zwar nur dann, wenn die Gläubigen, wie der Apostel es ausdrückt, „mit der Kraft des Herrn Jesus Christus versammelt sind“. Es ist keineswegs Aufgabe und Befugnis einzelner Brüder, über Zulassung oder Zucht zu bestimmen. Sicher ist es gut, wenn sich zunächst eine Anzahl einsichtsvoller Brüder, die sich um das Wohl der Seelen bekümmern und ein Herz für sie haben, mit den verschiedenen Angelegenheiten der Versammlung beschäftigt. Es gibt ja, in größeren Versammlungen wenigstens, kaum einen anderen Weg, um die vorliegenden Fragen zu prüfen und zu einer Ordnung derselben zu kommen. In der Regel mag sich die Versammlung auch dem Urteil dieser Brüder anschließen, denn: „aus zweier oder dreier Zeugen Mund soll jede Sache bestätigt werden“. (Matthäus 18,16). Aber diese Brüder stellen nicht die Versammlung dar und können daher auch keine für die Versammlung bindenden Beschlüsse fassen. Es kann ihnen nur obliegen, die Meinung oder Überzeugung, zu welcher sie nach Anhörung der betreffenden Personen und Prüfung der Verhältnisse gekommen sind, der Versammlung, wenn sie als solche versammelt ist, mitzuteilen, d. h. also die Zulassung bzw. den Ausschluß vorzuschlagen. Der Versammlung selbst muß dann genügend Zeit gelassen werden, um den Fall vor dem Herrn zu erwägen. Jedes einzelne Glied, Bruder oder Schwester, muß die Möglichkeit haben, gegebenen Falles eine abweichende Meinung zu äußern, denn alle tragen die Verantwortung für den zu fassenden Beschluß4). Wo Brüder anders handeln, greifen sie in die Befugnisse ein, die nur einer Versammlung mit dem Herrn in ihrer Mitte zustehen.

Daß eine Versammlung zunächst nur mit ihren eigenen örtlichen Angelegenheiten sich befassen darf, also kein Recht hat, sich ohne zwingenden Grund (wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen) in die einer anderen einzumischen oder gar für diese zu handeln, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, ist ein Wort, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt.

Fassen wir das Gesagte noch einmal kurz dahin zusammen, daß jede Handlung der Zucht also von der Versammlung oder Gemeinde ausgehen und geschehen muß im Namen des Herrn Jesus Christus und unter der Leitung des Heiligen Geistes, sonst entspricht sie nicht dem Worte Gottes und darf nicht auf die Anerkennung des Himmels rechnen. Derselbe Grundsatz gilt natürlich auch für die Wiederzulassung eines Ausgeschlossenen. Ein solcher soll wieder in die Gemeinschaft ausgenommen werden, wenn sich zeigt, daß die Zucht ihren Zweck, die Beugung und Wiederherstellung des Betreffenden, erreicht hat. Wenn der Schuldige über seinen Fehltritt oder Zustand „Gott gemäß“ betrübt ist, so bewirkt diese Betrübnis „eine nie zu bereuende Buße zum Heil“ (2 Korinther 7,10), und die Versammlung soll ihm, damit er nicht etwa „durch übermäßige Traurigkeit verschlungen werde“, vergeben und erneut „Liebe gegen ihn betätigen“. (2 Korinther 2,5-11).

Da nun alle Kinder Gottes auf der ganzen Erde einen Leib bilden, so ist es selbstverständlich, daß die richtig ausgeübte Zucht, auch Zulassung oder Wiederzulassung, obwohl sie zunächst Sache der örtlichen Versammlung ist, von allen anderen Versammlungen anerkannt werden muß. Viele widersetzen sich dieser Wahrheit und wollen der Zucht keine über den örtlichen Kreis hinausgehende Tragweite zubilligen. Wenn wir uns diese Ansicht einmal in die Praxis umgesetzt denken, so hätte beispielsweise der in Korinth Ausgeschlossene, der in der Kraft des Geistes und im Namen des Herrn Jesus aus der Gemeinschaft der Gläubigen entfernt worden war, gegebenen Falles an einem anderen Orte, sagen wir in Thessalonich oder Rom oder Jerusalem, die Gemeinschaft der Heiligen genießen können; mit anderen Worten: Derselbe Herr und Geist, welcher es in Korinth für nötig erachtet hatte, den Bösen aus der Mitte hinauszutun, würde damit einverstanden gewesen sein, wenn eine andere Versammlung,— die den Fall für nicht so schwerwiegend hielt, oder der Meinung war, sich an die Handlung der Versammlung in Korinth, trotzdem deren Glieder mit den ihrigen einen Leib bildeten, nicht binden zu müssen —, einen solchen nach ihrem Gutdünken wieder zugelassen hätte. Jeder einsichtige Christ wird einen solchen Gedanken unverzüglich zurückweisen; er bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die praktische Leugnung der Einheit des Leibes und des Geistes.

Vorausgesetzt ist immer, und das möchte ich nochmals ausdrücklich betonen, daß die Beschlüsse einer Versammlung unter der Leitung des Heiligen Geistes und im Namen des Herrn Jesus zustande gekommen sind. Unfehlbar ist keine Versammlung, aber wenn sie sich ihrer Abhängigkeit vom Herrn bewußt bleibt und in fraglichen Fällen von seiner Verheißung in Matthäus 18,19 im Glauben Gebrauch macht, so wird sie erfahren (manchmal in ganz ergreifender Weise), wie Gott auch in unseren Tagen des Verfalls und der kleinen Kraft treu zu seinem Worte steht und das Rufen seiner Kinder beantwortet. Das Bewußtsein ihrer ernsten Verantwortlichkeit und der Möglichkeit des Irrens und Fehlens bei den besten Meinungen und Absichten wird sie auch bereit machen, etwaigen Vorstellungen treuer Brüder aus anderen Versammlungen Gehör zu schenken, ihnen vielleicht erbetene nähere Mitteilungen zu machen oder den vorliegenden Fall mit ihnen noch einmal zu besehen. Wenn Liebe und Demut die Herzen erfüllen, wird auch die schwierigste Frage sich so regeln lassen, daß die Gewissen aller befriedigt werden.

Ich lasse zum Schluß noch einen kurzen Aufsatz aus der Feder eines uns allen wohlbekannten Schreibers (I. N. D.) folgen, in welchem er unsern Gegenstand mit der ihn« eigenen Gründlichkeit und Klarheit behandelt. Er sagt:

„Als allgemeine Grundlage des Handelns wird anerkannt, daß jede Versammlung von Christen, die im Namen des Herrn Jesus und in der Einheit seines Leibes versammelt sind, sobald sie als Körperschaft handelt, dies tut unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit gegenüber dem Herrn, wie z. B. wenn sie einen Akt der Zucht ausübt, oder auch wenn sie im Namen des Herrn diejenigen zuläßt, die in ihre Mitte kommen, um an seinem Tische teilzunehmen. Jede Versammlung handelt in einem solchen Falle» aus eigenem Antrieb und in ihrem Bereich, indem sie über rein örtliche Dinge entscheidet, die aber nichtsdestoweniger eine Tragweite haben, welche sich auf die ganze Kirche erstreckt. Die geistlichen Männer, die sich dieser Tätigkeit widmen und sich mit den Einzelheiten beschäftigen, bevor der Fall vor die Versammlung gebracht wird (damit das Gewissen aller an der Sache beteiligt sei), können selbstverständlich in sehr nützlicher Weise und mit Sorgfalt auf die Einzelheiten eingehen; aber wenn sie irgend eine Sache entscheiden wollten ohne die Versammlung der Heiligen (selbst in den gewöhnlichsten Dingen), so würde ihre Handlung nicht mehr die der Versammlung sein und könnte nicht anerkannt werden.

„Wenn solch örtliche Angelegenheiten in dieser Weise durch eine in ihrem Bereich handelnde Versammlung zur Entscheidung gebracht worden sind, so sind alle anderen Versammlungen der Heiligen, als in der Einheit des Leibes stehend, gebunden, das was getan worden ist anzuerkennen, indem sie, wenigstens solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, es für ausgemacht halten, daß alles in richtiger Weise und in der Furcht Gottes, im Namen des Herrn geschehen ist. Ich bin gewiß, daß der Himmel diese heilige Handlung anerkennt und bestätigt; ja, der Herr hat gesagt, daß es so sein werde. (Matthäus 18,18) .

„Aber wenn auch eine örtliche Versammlung wirklich in ihrer eigenen und persönlichen Verantwortlichkeit dasteht und ihre Handlungen, vorausgesetzt daß sie von Gott sind, die anderen Versammlungen binden, wie in der Einheit eines einzigen Leibes, so hebt doch diese Tatsache nicht eine andere auf, die von der größten Wichtigkeit ist und doch manchmal vergessen zu werden scheint, nämlich daß die Stimme der Brüder anderer Örtlichkeiten ebenso viel Freiheit hat wie die der Brüder des Ortes, sich in ihrer Mitte hören zu lassen, um die Versammlungs-Angelegenheiten zu besprechen, obwohl sie örtlich nicht zu dieser Versammlung gehören. Sich dem widersetzen würde tatsächlich einer Leugnung der Einheit des Leibes Christi gleich sein.

„Weiter kann das Gewissen und der innere Zustand einer örtlichen Versammlung so sein, daß sie kein Bewußtsein oder doch nur ein sehr unvollkommenes Verständnis von dem hat, was der Ehre Christi und ihr selbst geziemt. Das alles macht dann das Auffassungsvermögen so schwach, daß nicht mehr genügend geistliche Kraft vorhanden ist, um da? Gute und das Böse zu unterscheiden. Vielleicht können auch in einer Versammlung Vorurteile, Übereilung, oder auch die Geistesrichtung und der Einfluß einer oder mehrerer Personen das Urteil der Versammlung irreführen und so bewirken, daß die Zucht unrichtig ausgeübt und einem Bruder vielleicht schweres Unrecht zugefügt wird. In einem solchen Falle ist es ein wahrer Segen, wenn geistliche und einsichtsvolle Männer aus anderen Versammlungen ins Mittel treten und das Gewissen der Versammlung wieder auf den rechten Weg zu bringen suchen, wie auch dann, wenn sie kommen auf die Bitte der Versammlung hin oder auch von denen geladen, deren Angelegenheit im Augenblick die Schwierigkeit bildet. Statt daß ihr Dazwischentreten in einer solchen Stunde als ein unberechtigtes Eindringen betrachtet werden dürfte, muß es vielmehr angenommen und im Namen des Herrn anerkannt werden. Wollte man anders handeln, so würde man damit die Unabhängigkeit gutheißen und die Einheit des Leibes Christi leugnen. Nichtsdestoweniger dürfen diejenigen, welche kommen und so handeln, nicht getrennt von dem übrigen Teil der Versammlung handeln, sondern das Gewissen aller muß berücksichtigt werden.

„Sollte eine Versammlung jede Vorstellung zurückweisen und es ablehnen, die Hilfe und das Urteil anderer Brüder anzunehmen, so ist, nach Anwendung aller Geduld, eine Versammlung, die mit jener in Gemeinschaft stand, berechtigt, deren irrtümliche Handlung für nichtig zu erklären und die zurückgewiesene Person, falls man sich in Bezug auf sie getäuscht hat, zuzulassen. Doch wenn man bis zu diesem äußersten Schritt kommt, hat sich die Schwierigkeit zu einer Frage der Verweigerung der Gemeinschaft mit jener Versammlung gestaltet, die verkehrt gehandelt und auf diese Weise selbst ihre Gemeinschaft mit den übrigen, die in der Einheit des Leibes handeln, gebrochen hat. Solche Maßregeln können nur nach viel Sorgfalt und Geduld getroffen werden, damit das Gewissen aller die Handlung als von Gott kommend anerkennen könne.“

6. „Abendmahl“ und „Tisch des Herrn“.

Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, daß der Herr Jesus in der Nacht, in welcher er überliefert wurde, Brot nahm, und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen auch den Kelch nach dem Mahle und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute; dies tut, so oft ihr trinket, zu meinem Gedächtnis. Denn so oft ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündiget ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1 Korinther 11,23-26).

Unsere Blicke werden in dieser Stelle zurückgelenkt zu jener dunklen Nacht, in welcher der Herr Jesus in die Hände sündiger Menschen überliefert wurde; wo die Bosheit und der Haß des Menschen sich mit der Macht der Finsternis verbanden gegen das Licht, gegen den Sohn Gottes; wo ein Judas den Herrn für dreißig Silberlinge verriet, alle Jünger ihn verließen, und Petrus mit einem dreifachen Eide sich verschwor, den „Menschen“ nicht zu kennen. Zu jener schrecklichen Nacht, in welcher der Herr im Garten Gethsemane auf seinem Antlitz lag und angesichts des herannahenden Todes und des Verlassenseins von Gott, angesichts der furchtbaren Erwartung, an unserer Stelle zur Sünde gemacht zu werden, in ringendem Kampfe betete: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“; wo „sein Schweiß wie große Blutstropfen auf die Erde herabfiel“, und „seine Seele sehr betrübt war, bis zum Tode“. In der klar bewußten Erwartung all dieser Leiden schart der Herr seine geliebten Jünger noch einmal um sich, nicht um durch sie ermuntert oder gestärkt zu werden, nein, um ihnen Trost zuzusprechen, um ihnen zu zeigen, daß er im Begriff stand, für sie in den Tod zu gehen, damit sie dessen Schrecken nicht schmecken möchten in Ewigkeit. Bei diesem feierlich-ernsten Anlaß gibt er ihnen für die Zeit seiner Abwesenheit die kostbaren Erinnerungszeichen an seinen Tod.

„Da er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende.“ Mit diesen Worten leitet der Evangelist Johannes seinen Bericht“ über das letzte Zusammensein des Herrn mit seinen Jüngern ein. (Johannes 13,1). Könnte es eindrucksvollere, rührendere Worte geben? Wie das Passahmahl, zu dessen Feier man zusammengekommen war, an die Befreiung Israels aus Ägypten erinnerte, so ruft das Mahl des Herrn uns immer wieder das große Opfer in die Erinnerung zurück, das auf Golgatha zu unserer Befreiung dargebracht worden ist. Ein gebrochenes Brot, ein ausgegossener Kelch — siehe da die so laut und eindringlich redenden Zeichen des Todes unseres Heilandes, der uns „in dem Leibe seines Fleisches durch den Tod“ mit Gott versöhnt und „Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes“. (Kolosser 1,19-22). Als solche, die einst Gottlose und Feinde waren, nun aber mit Christo, ihren: droben verherrlichten Haupte, vereinigt sind, blicken wir dankbar auf jenes Werk der Liebe zurück. Das ist das Geringe, das der Herr von uns wünscht und erwartet. „Dies tut zu meinem Gedächtnis!“ Beachten wir das, Wort! Zweimal wird es uns zugerufen. Nicht ein Christus, wie er jetzt ist, sondern ein Christus, wie er einst war, und zwar in seinem Tode war, ist der Gegenstand, der vor unseren Blicken steht, an den wir uns erinnern.

So oft wir das Brot essen und den Kelch trinken, gedenken wir der wunderbaren Liebe, die ihn für uns in den Tod trieb, verkündigen wir den Tod, der uns Leben und Heil brachte, und wir tun es, bis der Herr wiederkommt, um uns als „Frucht der Mühsal seiner Seele“ aus der Welt in das Vaterhaus droben hinaufzuführen. Wo ist eine Liebe wie Seine Liebe? Worte vermögen die Gefühle nicht auszudrücken, die unsere Seele beim Anschauen einer solchen Liebe erfüllen. Indem wir uns in das Meer derselben versenken, richten sich unsere Blicke anbetenden Herzens nach oben, wo er jetzt weilt; auf ihn, „der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war“, nun aber zur Rechten des Vaters „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ ist. (Hebräer 2,9).

Ist es ein Wunder, daß der Apostel Paulus zu allernächst von diesem Mahle redet (über welches, beiläufig bemerkt, der Herr ihm eine besondere Offenbarung gegeben hatte), wenn er sich anschickt, den Korinthern eine Beschreibung der Versammlung Gottes, ihrer inneren Ordnung und Auserbauung zu geben? Vor all den machtvollen Wirkungen des Heiligen Geistes, den mannigfaltigen Gaben, durch welche er sich in der Versammlung hienieden offenbarte, wird dieser einfachen und an und für sich so unscheinbaren Handlung des Brotbrechens der Vorrang gegeben. Ihr gebührt der erste Platz. Bei der Ausübung der Gaben ist es der Mensch, der mehr oder weniger im Vordergrunde steht. Bei der Feier des Abendmahls ist der Mensch nichts, Christus ist alles. Herz und Gewissen kommen in Tätigkeit, denn es ist der Tod des Herrn, der verkündigt wird. Mit Recht wird denn auch das Abendmahl der sittliche Mittelpunkt der Versammlung genannt, der Ausgangspunkt, von dem aus alles andere sich ordnet und regelt. Aber ach, wie ist der Mensch in seiner Untreue und seinem Eigenwillen von dieser einfachen Wahrheit abgewichen! Was hat er aus diesem Mahle gemacht!

Der Herr hat sich einst „mit Sehnsucht danach gesehnt“, mit seinen Geliebten zum letztenmal das Passah zu essen und ihnen dann die äußeren Zeichen seiner Liebe zu hinterlassen. Für ihn war dies ein Herzensanliegen, ein brennender Wunsch seiner Liebe. Könnte nun sein heiliges Vermächtnis je seinen Wert für uns verlieren? Sollte es nicht vielmehr immer kostbarer für uns werden, je näher wir dem glückseligen Augenblick kommen, wo wir ihn sehen werden, „wie er ist“?

Ja, der Herr erwartet dankbare Herzen bei seinen Erlösten, Herzen, deren Freude es ist, ihm, dem verherrlichten Herrn, inmitten der Versammlung Preis und Anbetung darzubringen. Und wenn wir uns wirklich mit seiner hingebenden Liebe, die stärker war als der Tod, beschäftigen, wenn wir seiner gedenken in alledem, was er in den Tagen seines Fleisches für uns getan hat, und dann zugleich an seine gegenwärtige Erhöhung zur Rechten der Majestät in den Himmeln erinnert werden, dann kann es nicht anders sein, als daß Lob und Dank aus unseren Herzen zu ihm emporsteigen, und wir völlig überwältigt in das Loblied aus Offenbarung 1,5 einstimmen: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blüte, und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

Wir haben bisher von dem Abendmahl als einer Erinnerungs- oder Gedächtnisfeier gesprochen unter dem Gesichtspunkt von 1 Korinther 11. Es steht aber noch eine andere wichtige Wahrheit mit der Feier des Abendmahls in Verbindung, und das ist die Gemeinschaft, die in ihm zum Ausdruck kommt, die Darstellung des „einen Leibes“, des Leibes Christi. Alle Kinder Gottes sind durch einen Geist zu einem Leibe getauft und sollen untereinander Gemeinschaft haben und dem auch Ausdruck geben zu ihrem persönlichen Segen und zum Zeugnis für die Welt. Dies geschieht, wie uns der Apostel in 1 Korinther 10,14-22 belehrt, obwohl nicht ausschließlich, so doch in einer ganz eigenartigen, hervorragenden Weise „am Tische des Herrn“.

„Abendmahl“ und „Tisch des Herrn“ — zwei Ausdrücke für dieselbe Sache, und doch nicht dasselbe! In diesen beiden Ausdrücken wird die gleiche Sache unter zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, und es ist von großer Wichtigkeit, diese beiden Gesichts-punkte zu verstehen und auseinander zu halten. Viele wollen den Unterschied nicht machen, aber wenn Gott ihn macht, so geziemt es uns, nach der Ursache zu forschen. Beide Ausdrücke bezeichnen, wie gesagt, dieselbe Sache, aber trotzdem spricht der Apostel in zwei völlig voneinander getrennten Kapiteln zunächst von dem einen, dann von dem anderen. Der Heilige Geist vermengt nie verschiedene Wahrheiten. Er stellt alles an seinen richtigen Platz, und wenn wir an die göttliche Eingebung der Schriften glauben, so beugen wir uns unter seine Belehrung. Es bedarf in dem vorliegenden Falle auch nicht einmal besonderer Einsicht oder ernsten Forschens, um zu erkennen, daß in 1 Korinther 10 nicht von der Art des Essens und Trinkens (ob würdig oder unwürdig) die Rede ist, wie im 11., sondern von der Gemeinschaft, die sich im Brotbrechen kundgibt. Die Folge davon ist, daß im 11. Kapitel des Herrn Mahl und das eigene Mahl der Korinther zueinander in Gegensatz gebracht sind, während im 10. Kapitel der Tisch des Herrn dem Tisch der Dämonen gegenübersteht. Weiterhin hat ein unwürdiges Essen und Trinken im 11. Kapitel Gericht zur Folge, im 10. Kapitel führt eine unheilige Verbindung zu einem Verderben des Zeugnisses der heidnischen Welt gegenüber. In Kapitel 11 hören wir kein Wort von der Einheit des Leibes, bis im 10. Kapitel so stark hervorgehoben wird; dagegen heißt es zweimal: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“, und alle jene Umstände werden hervorgehoben, die so ergreifend zu den Herzen der Gläubigen reden. Mit einem Wort: In dem einen Fall (Kap. 10) handelt es sich um äußere Beziehungen, in dem anderen (Kap. 11) um innere Angelegenheiten. Beide Gegenstände finden eine durchaus getrennte Behandlung.

Bei einer näheren Betrachtung des Abschnittes im 10. Kapitel muß uns zunächst auffallen, daß der Kelch dem Brote vorangestellt ist. Nach unserer Bemerkung, daß in der Heiligen Schrift nichts von ungefähr, nichts willkürlich ist, muß der Heilige Geist auch hiermit einen besonderen Zweck verfolgen, und wir werden gleich sehen, daß es so ist. „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus?“ Unsere Befreiung von der Macht Satans und der Herrschaft der Sünde, sowie unsere Verbindung mit Christo gründen sich auf das vergossene Blut des Herrn. „Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung.“ (Hebräer 9,22). „Durch sein Blut sind wir gerechtfertigt“, haben wir „die Vergebung der Vergehungen“ und „Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum“. (Römer 5,9; Epheser 1,7; Hebräer 10,19). Ja, alles, was wir in Christo sind und haben, ist uns geworden durch sein kostbares Blut.

Erst nachdem wir in die „Gemeinschaft des Blutes des Christus“ gebracht sind, kann von einer Gemeinschaft untereinander, die in dem einen Brote zum Ausdruck kommt, die Rede sein. Wenn es sich deshalb um die Erörterung der Frage der Gemeinschaft handelt, deren Grundlage das Blut Jesu ist, so erwähnt der Geist Gottes den Kelch vor dem Brote und fährt dann fort: „Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig.“

Daß das Brot zunächst den wirklichen Leib Christi darstellt, wie er einst für uns am Kreuze geopfert wurde, ist selbstverständlich: „Dies ist mein Leib, der für euch ist“. Aber in Verbindung mit dem Tische des Herrn erhält das Brot eine den geistlichen Leib Christi darstellende Bedeutung: „Wir, die Vielen, sind ein Brot, ein Leib“. Alle Glieder des Leibes Christi gehören dazu. Die Handlung des Essens von dem einen Brote bezeugte, daß nicht nur die Kinder Gottes in Korinth, sondern auch „alle, die an jedem Orte den Namen unseres Herrn Jesus Christus anriefen“ (1 Korinther 1,2), durch die Macht des Heiligen Geistes vereinigt (1 Korinther 12,13) und deshalb notwendigerweise von Juden und Heiden abgesondert waren. Paulus machte sich daher, obwohl er in Ephesus war, völlig eins mit den Korinthern, indem er sagt: „den Kelch, den wir segnen, das Brot, das wir brechen“. Spricht er dagegen später von der Gemeinschaft am Götzentisch, so schließt er sich aus und sagt: „Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken und der Dämonen Kelch usw.“ er würde sich in dieser Sache nie mit ihnen einsgemacht haben.

Von vornherein warnt der Apostel die Korinther vor einer Verbindung mit dem Götzendienst. Die ernsten Worte: „Darum, meine Geliebten, fliehet den Götzendienst!“ leiten die ganze Auseinandersetzung ein. Im weiteren Verlauf zeigt er dann, daß das Essen und sich zu Tisch setzen so viel bedeutet wie in die Gemeinschaft dessen eintreten, dem der betreffende Tisch gehört oder geweiht ist, sowie in die Gemeinschaft derer, die sich an diesem Tisch versammeln und von ihm essen.

Das Gleiche lehrte schon der Altar Jehovas im Alten Bunde. Alle, welche von den Schlachtopfern aßen, waren in Gemeinschaft mit dem Altar. Genau so mit denen, die von den Opfern der Götzen aßen: sie kamen dadurch in Gemeinschaft mit den Dämonen. Das Geopferte an sich war nicht böse und hätte unter anderen Umständen ruhig genossen werden können. Aber weil es den Götzen geweiht war, hinter denen sich die Dämonen verbargen, sodaß das, was die Nationen opferten, sie „den Dämonen opferten und nicht Gott“ (vergl. 5 Mose 32,17), kam man in Gemeinschaft mit den Dämonen selbst und war in Verbindung mit dem „Tisch der Dämonen“. Das war etwas Furchtbares. Wie hätten die, welche durch das Essen des einen Brotes am Tische des Herrn ihre Zugehörigkeit zu dem Leibe Christi bekannten, einen derartigen Frevel begehen können! „Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken und der Dämonen Kelch; ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen-Tisches.“ (1 Korinther 10,21) — „Denn welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis? und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? …. Darum gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an!“ (2 Korinther 6,14)(ff.).

Der „Tisch des Herrn“ — ein Ausdruck, der natürlich geistlich zu verstehen ist — steht aber nicht nur im Gegensatz zu dem „Tisch der Dämonen“, sondern auch zu dem Altar Israels im Alten Bunde. Der Herr hat durch sein Werk und den Heiligen Geist etwas völlig Neues errichtet: „seinen Tisch“. Der Ausdruck „Tisch des Herrn“ kommt allerdings auch im Alten Testament vor (vergl. Hesekiel 44,16; Maleachi 1,7 u. Maleachi 1,12), und wird gebraucht sowohl für den Räucheraltar im Heiligtum als auch für den Brandopferaltar im Vorhof; aber der Tisch des Herrn im Alten Testament ist ebenso verschieden von dem Tische des Herrn im Neuen Testament, wie das irdische Volk Gottes von dem himmlischen. „Wir haben einen Altar, von welchem kein Recht haben zu essen die der Hütte dienen“, d. h. die in Verbindung mit den gottesdienstlichen Einrichtungen im Judentum blieben. Der Ausdruck weist zugleich auf die Person unseres Herrn hin, weniger auf die Erinnerungszeichen seines Todes; mit anderen Worten, er erinnert mehr an ihn, der an dem Tische, als an das, was auf dem Tische ist, mehr an den Festgeber als an das Fest. Es ist „des Herrn Tisch“. Er allein ist Herr desselben. Er gehört ihm, nicht uns. Aber er hat ihn in der Mitte seiner Versammlung errichtet und ihr damit auch die Verantwortlichkeit gegeben, über die Aufrechthaltung der Reinheit und Heiligkeit desselben zu wachen. Niemand hat schon deshalb, weil er behauptet, gläubig zu sein, ein Recht, hier teilzunehmen. Der Glaube muß sich im praktischen Wandel offenbaren, ja, der Herr muß die Einzelnen durch ein gutes Zeugnis der Versammlung empfehlen, „denn nicht wer sich selbst empfiehlt, der ist bewährt, sondern den der Herr empfiehlt“. (2 Korinther 10,18).

In unserer Zeit des Verfalls und der großen Verwirrung, wo so viele unechte Christen und böse Lehrer umhergehen, ist doppelte Vorsicht geboten. Man wird in der Regel gut tun, abzuwarten, bis mehrere sich ein klares Urteil über den um Zulassung Bittenden gebildet haben. Wenn kein unechtes Geld in Umlauf ist, brauche ich ein mir angebotenes Geldstück nicht näher zu prüfen; wenn ich aber weiß, daß falsches Geld verbreitet wird, so wäre ich ein Tor, wollte ich es nicht auf seine Echtheit hin untersuchen. In der ersten Zeit der christlichen Kirche „wagte von den übrigen keiner sich den Jüngern anzuschließen“. (Apostelgeschichte 5,13). Der Geist Gottes wirkte so mächtig inmitten der Versammlung, daß ein Ungläubiger, der sich hätte einschleichen wollen, sofort offenbar geworden wäre. Heute aber ist das Bild ein anderes. Millionen nennen sich nach dem Namen Jesu und behaupten Christen zu sein, ohne wahre Verbindung mit dem Herrn zu haben; sie nehmen auch teil am Abendmahl, obgleich sie nicht in die Gemeinschaft des Blutes des Christus, die nur durch einen lebendigen Glauben erlangt werden kann, gebracht worden sind. Da gilt es zu wachen und nüchtern zu sein, denn es handelt sich um nichts Geringeres, als um die Ehre unseres hochgelobten Herrn.

Bei dieser Gelegenheit sei noch bemerkt, daß die Empfehlung eines einzelnen Bruders (oder einer Schwester) nicht genügt, auch nicht zu einer vielleicht nur vorübergehenden Zulassung eines unbekannten Gläubigen. Zum mindesten sollte das einstimmige Zeugnis von zwei oder drei unbescholtenen Zeugen vorliegen, nach dem Worte des Herrn: „Aus zweier oder dreier Zeugen Mund wird jede Sache bestätigt werden“. (Vergl. Matthäus 18,16; 2 Korinther 13,1).

Am „Tische des Herrn“ wird also der Einheit des Leibes Christi öffentlich Ausdruck gegeben: „Wir, die Vielen, sind e i n Brot, e i n Leib“, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“. Wie klein oder groß die Zahl auch sein mag, die geistliche Einheit der Gläubigen wird durch das Essen von dem einen Brote anerkannt und ausgedrückt. Nichts anderes ist uns so wie dieses Mahl geschenkt, um von der Einheit der Glieder untereinander und mit dem verherrlichten Haupt im Himmel Zeugnis abzulegen und so dem Wunsche des Herrn zu entsprechen. Denn, nachdem er den Vater gebeten hat: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, auf daß sie eins seien, gleichwie wir“ — eine innere Einheit der Gefühle, Wünsche, Interessen usw. — fährt er fort: „Aber nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben, auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir, und ich in dir, auf daß die Welt glaube, daß du mich gesandt hast“. (Johannes 17,11 Johannes 20,21). Diese Einheit, eine Einheit in dem Vater und dem Sohne, soll hienieden geschaut werden. Die Welt glaubt nur was sie sieht. Es ist also eine Einheit, die äußerlich in die Erscheinung tritt. Nachdieser Zeit, wenn einmal das Vollkommene gekommen ist, und wir uns in seiner Herrlichkeit befinden, werden wir „in eins vollendet“ sein. Dann wird die Welt erkennen, daß der Vater den Sohn gesandt und uns geliebt hat,, gleichwie er ihn geliebt hat. (Johannes 17,23). Das geht noch einen bedeutenden Schritt weiter. Solang wir aber auf Erden sind, ist es unser Vorrecht und unsere Aufgabe, die Einheit des Leibes am Tische des Herrn darzustellen und „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“.

Nun wird zwar behauptet: Der Tisch des Herrn ist überall da, wo Gläubige zum Brotbrechen zusammenkommen, ganz gleich unter welchen Bedingungen sie dies tun. Aber ist das wahr? Ist es nicht viel mehr betrübend, Einrichtungen „des Herrn Tisch“ nennen zu hören, die nicht ausschließlich auf den Willen Gottes aufgebaut sind und sein Wort zur alleinigen Grundlage haben, wo noch irgendwie Menschenwille und Menschenmeinung zur Geltung kommen? So gern und bereitwillig man persönlichen Glauben und Frömmigkeit anerkennt, ist es doch ein Widerspruch, wenn man da, wo die Rechte des Herrn und die Ehre seines Namens nicht gewahrt werden, wo der Mensch in der einen oder anderen Weise an die Stelle des Herrn getreten ist, am Tische des Herrn zu sein behauptet. Doch wir wollen nicht weiter die Frage untersuchen, wo der Tisch des Herrn ist und wo nicht, ich möchte lieber die persönliche Frage an den Leser richten: Bist du an des Herrn Tisch? Gottes Wort, nicht dein eigenes Urteil, kann allein die wahre Antwort geben. Eins ist gewiß: der Einheit des Leibes kann praktisch nur in Verbindung mit allen Gliedern des Leibes Christi, der Versammlung oder Gemeinde Gottes, Ausdruck gegeben werden. Die wichtige Frage für Schreiber und Leser ist daher auch hier wieder: Auf welchem Boden stehe ich? Auf dem irgend einer christlichen Gemeinschaft, klein oder groß, jung oder alt? Oder stehe ich auf der alleinigen Grundlage des Wortes Gottes, wo es keine Kirchen und Kirchlein gibt, sondern nur die eine wahre Gemeinde Gottes, bestehend aus allen wahren Gläubigen, anerkannt wird? Jede andere Vereinigung von Gläubigen zum Brotbrechen hat nicht den Charakter des Tisches des Herrn. Wie könnte die Darstellung der Einheit des Leibes am Tische des Herrn mit Einrichtungen oder Zuständen verbunden sein, die diese Einheit praktisch leugnen? Das Wesen des Tisches des Herrn ist nicht nur in den großen landeskirchlichen Einrichtungen, sondern auch überall da verloren gegangen, wo man sich in einzelne Gruppen abgesondert hat und nun unter dem einen oder anderen Namen, unter diesem oder jenem Sonderbekenntnis, getrennt von den übrigen Gläubigen, das Abendmahl feiert. Das Brotbrechen mag da wohl noch den Charakter eines Gedächtnismahls haben (obwohl selbst das nicht immer der Fall ist), aber die Darstellung der Gemeinschaft und Einheit aller Glieder des Leibes Christi kommt nicht in Betracht. Vielleicht möchte der eine oder andere sagen: Die Wahrheit von der Erinnerung an den gekreuzigten und nun abwesenden Herrn beansprucht doch unstreitig den ersten Platz. Es mag sein; aber der zweite Gesichtspunkt ist für alle, die in diesen Tagen des Endes verharren möchten „in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“, kaum von geringerer Wichtigkeit. Die Beobachtung beider Seiten oder Gesichtspunkte ist wesentlich für eine den Gedanken Gottes entsprechende Teilnahme an diesem unvergleichlichen Fest. Der Herr gebe, daß es in den Herzen all der geliebten Seinigen wieder den Platz bekommen möchte, der ihm gebührt, damit wir nicht beschämt vor ihm dastehen bei seiner Ankunft!

7. Absonderung, nicht Vermengung.

Satans Bemühen hat bekanntlich von jeher darin bestanden, das Werk Gottes zu verderben, und wir haben gesehen, in wie zahlreichen Fällen, wo menschliche Verantwortlichkeit in Frage kam, ihm dies gelungen ist. Mag er auch durch das Werk unseres hochgelobten Herrn ein besiegter Feind sein und niemals die Vollgültigkeit dieses Werkes und dessen herrliche, ewige Ergebnisse antasten können, sodaß der Herr Jesus im Blick auf die von ihm zu erbauende Versammlung die unerschütterlichen Worte sprechen konnte: „Des Hades Pforten werden sie nicht überwältigen“ (Matthäus 16,18), so übt er doch unausgesetzt seine verderbenbringende Tätigkeit aus und sät Unkraut unter den Weizen, d h. er vermengt das Reine mit dem Unreinen, das Göttliche mit dem Ungöttlichen. In demselben Maße, wie ihm dies gelingt, schwinden Freude, Kraft und Segen aus dem Gemeinschaftsleben der Gläubigen. Es ist deshalb mit Recht gesagt worden: Vermengung ist der Grundsatz Satans, Absonderung vom Bösen der Grundsatz Gottes.

Es darf uns nicht wundern, wenn wir die Welt, auch die religiöse Welt, nach dem Grundsatz ihres Fürsten handeln sehen, wenn sie untereinander, ja, selbst mit offenbaren Feinden des Christentums Bündnisse schließt; aber wundern muß es uns, wenn Gläubige den Grundsatz Gottes nicht beachten, wenn sie dem klaren Worte Gottes gegenüber gleichgültig sind, welcher sagt: „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen. Denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? . . . Darum gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen; und … ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige.“ (2 Korinther 6,14) (ff.).

Viele wenden hiergegen ein: „Wir haben kein Recht über andere zu urteilen; ein jeder hat es mit sich selbst zu tun. Wie können wir außerdem wissen, ob jemand gläubig ist oder nicht? Es ist nicht unsere Sache, das zu entscheiden, und noch weniger, uns heiliger hinzustellen als andere. Die Liebe hofft immer das Beste usw.“ Aber was sind alle diese Einwendungen angesichts des bestimmten Gebotes Gottes, hinauszugehen, sich abzusondern und Unreines nicht anzurühren? Nichts mehr und nichts weniger als unmittelbare Auflehnungen gegen Gottes Willen. Wie reimen sie sich mit dem bekannten Worte des Apostels: „Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit! In einem großen Hause aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, und die einen zur Ehre, die anderen aber zur Unehre. Wenn jemand sich nun von diesen reinigt, (eig. wegreinigt, d. h. absondert) so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet. Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glaube, Liebe, Frieden mit denen, die den Namen des Herrn anrufen aus reinem Herzen.“? (2 Timotheus 2,19-22).

Es ist beachtenswert, daß in dieser letzten Stelle nicht wie in 2 Korinther 6 von Gläubigen und Ungläubigen die Rede ist. Die Aufforderung, sich abzusondern von den Gefäßen zur Unehre, ergeht hier an alle, die den Namen des Herrn nennen. Diese sind gebunden, weil sie den Namen Christi tragen, sich seinem Worte zu unterwerfen, sich fernzuhalten und sich zu trennen von allem, was den „Geboten des Herrn“ zuwiderläuft. Alle, von denen der Apostel in diesem Briefe spricht, nannten den Namen des Herrn, selbst Hymenäus und Philetus, die von der Wahrheit abgeirrt waren. Aber nicht mit allen sollte Timotheus Gemeinschaft haben, sondern nur mit denen, die diesen Namen anriefen aus reinem Herzen, d. h. die durch das Festhalten an der Wahrheit gekennzeichnet waren und inmitten des Verfalls sich rein erhielten in Wandel und Lehre. Die Übrigen mochten auch „Bekenner des Namens des Herrn“ sein, da sie aber seine Gebote nicht achteten, nicht in dem blieben, was sie empfangen und gelernt hatten, so war die Echtheit ihres Bekenntnisses nicht erwiesen. Doch „der Herr kennt die sein sind“. Das ist ein starker Trost für jede aufrichtige Seele, zugleich aber auch ein Beweis dafür, daß nicht alle, die seinen Namen nennen, sein Eigentum sind.

An anderer Stelle ist oft darauf hingewiesen worden, daß wir in dem Bilde des großen Hauses die Masse der bekennenden Christen vor uns haben, die Christenheit, in welcher es sowohl wahre Christen als auch nur Namen-Christen gibt. Daß letztere mit den ersteren verbunden und vermengt sind, mit einem Wort, daß es überhaupt eine Christenheit gibt, ist der Beweis der Untreue der ersteren. Aber die Tatsache besteht: beide befinden sich in dem großen Hause, beide sind Bekenner und nennen sich nach dem Namen Christi. Der Apostel konnte daher Timotheus nicht, auffordern, aus dem Hause hinauszugehen, denn das würde gleichbedeutend mit der Forderung gewesen sein, das Bekenntnis des Namens des Herrn auszugeben; wohl aber konnte er ihm die Pflicht auferlegen, sich von den Gefäßen zur Unehre zu reinigen und abzusondern.

Die Behauptung, das Bild von dem großen Hause stelle dasselbe Verhältnis dar, wie wir es in dem Gleichnis vom Unkraut im Acker finden (Matthäus 13), ist ebenfalls an anderer Stelle ausführlich widerlegt worden. Man sagt: Wie der Acker die Welt ist, so ist auch unter dem „großen Hause“ die Welt zu verstehen, und folgert daraus, daß es sich in dieser Stelle (wie in 2 Korinther 6) nur um Trennung von den ungläubigen Weltmenschen handle. Indem man so nur die Notwendigkeit der Absonderung von der Welt und ihrem sündigen Wesen einräumt, sträubt man sich, denselben Grundsatz auch auf das kirchlich Böse anzuwenden, welches in falschen Lehren, in eigenmächtigem Handeln und im Nichtbeachten der göttlichen Wahrheit zu Tage tritt. Aber schon der Herr hatte einst seinen Jüngern zugerufen: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Lehre!“ (Matthäus 16,6-12), und dieselbe Warnung erhebt der Apostel in so eindringlicher Weise hier. Gehen wir noch ein wenig näher auf die wichtige Belehrung des Apostels ein.

In dem ersten Brief an Timotheus nennt der Apostel die Gemeinde „das Haus Gottes, die Versammlung des lebendigen Gottes, den Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ und gibt seinem „Kinde“ Anweisungen, wie es sich in diesem Hause verhalten solle. (Vergl. 1 Timotheus 3,15). Als Trägerin der Wahrheit und des Zeugnisses Gottes sollte die Versammlung (Gemeinde) nach Gottes Bestimmung in dieser Welt abgesondert und rein dastehen. Leider hat sie ihrer Berufung und Verantwortlichkeit nicht entsprochen. Schon damals gab es etliche, die von der „Liebe aus reinem Herzen, dem guten Gewissen und dem ungeheuchelten Glauben“ abgeirrt waren und sich zu eitlem Geschwätz hingewandt hatten. (1 Timotheus 1,5-6). Andere, sagt der Apostel, würden von dem Glauben abfallen und auf betrügerische Geister und Lehren der Dämonen achten, die verbieten würden zu heiraten, und gebieten, sich von Speisen zu enthalten. (1 Timotheus 4,1-3).) Wieder andere hielten damals schon die Gottseligkeit für ein Mittel zum Gewinn. (1 Timotheus 6,5). Die verderblichen Lehren fraßen um sich wie ein Krebs. (2 Timotheus 2,17). Als der Apostel dies letztere schrieb, mußte er gleichzeitig die Tatsache aussprechen, daß alle, die in Asien waren, sich von ihm abgewandt hatten. (2 Timotheus 1,15). Demos hatte ihn verlassen und den gegenwärtigen Zeitlauf liebgewonnen. Es wird nicht gesagt, daß alle den Glauben verleugnet hatten und dem Fallstrick des Teufels zum Opfer gefallen waren. Bei manchen wird es gewiß so gewesen sein. Aber man verließ den Apostel, weil sein Weg zu eng war und keinen Raum ließ für das Fleisch und den Eigenwillen. So stand dieser treue Diener des Herrn am Ende seiner Laufbahn allein da. Das herrliche Zeugnis, welches ihm durch besondere Offenbarung anvertraut worden war, für das er gelitten und gestritten hatte, und für welches er bereit war, jederzeit sein Leben zu opfern, ging dem Verfall entgegen. Und noch schlimmere Dinge sah der Apostel kommen. Das Böse würde weitere Fortschritte machen. Die Menschen würden mehr das Vergnügen lieben, als Gott, und eine Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen. Es würde eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht mehr ertragen, sondern nach ihren eigenen Lüsten sich selbst Lehrer aufhäufen würden, indem es ihnen in den Ohren kitzelte. Sie würden die Ohren von der Wahrheit abkehren und zu den Fabeln sich hinwenden. (2 Timotheus 4,1) (ff.).

Welch eine Veränderung ist vor sich gegangen mit dem Hause Gottes, der Versammlung oder Gemeinde! Anfangs so herrlich und heilig nach innen und außen dastehend, daß „von den übrigen keiner wagte, sich ihr anzuschließen“ (Apostelgeschichte 5,13), ist sie zu einem Hause geworden, in welchem Gefäße zur Ehre und solche zur Unehre nebeneinander Platz haben, sodaß es wiederum nötig geworden ist, sich abzusondern. Ach! die Gemeinde hat ihren ersten Zustand nicht bewahrt. Sie, die einst von der Welt Verachtete und Verfolgte, ist zu einem „großen Hause“ geworden, d. h. sie hat äußerlich Macht und Ansehen erlangt, aber sie hat sich nicht rein erhalten, sie hat nicht gewacht. Sauerteig in jeder Form ist in sie eingedrungen, und dieser wird seine durchsetzende Wirkung ausüben, bis alles durchsäuert ist. Diese letzte Entwickelung wird eintreten, wenn der Herr die Treuen aus ihr zu sich gerufen hat. Dann wird das Gericht, das schon angefangen hat am Hause Gottes (1 Petrus 4,17), völlig über die Untreue Hereinbrechen, und der Herr, nach dessen Namen sie sich genannt hat, wird sie „ausspeien aus seinem Munde“.

Angesichts dieser traurigen Zustände fordert der Apostel Timotheus auf: „Halte fest das Bild gesunder Worte, die du von mir gehört hast, in Glauben und Liebe, die in Christo Jesu sind. Bewahre das schöne anvertraute Gut durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt!“ (2 Timotheus 1,13-15). Das treue Festhalten am Worte Gottes, der einzigen untrüglichen Richtschnur für alle Zeiten, die Absonderung von jeder Art des Bösen und die Gemeinschaft mit denen, die selbst ein reines Herz bewahrt haben, sind dann, wenn die Allgemeinheit den schmalen Pfad verläßt und schließlich ganz dem Verderben anheimfällt, die alleinigen Bewahrungsmittel.

Will also der „Mensch Gottes“ ein „Gefäß zur Ehre sein, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werle bereitet“, so muß er dieser Aufforderung zur Trennung von allem, was der Wahrheit des Wortes zuwiderläuft, folgen. Und im Blick auf die Menschen, die nur eine Form der Gottseligkeit haben, wird ihm zugerufen: „Von diesen wende dich weg!“ Zur weiteren Erläuterung des Gesagten und zum Beweise, daß Absonderung vom Bösen stets der göttliche Grundsatz war, möchte ich noch eine Stelle aus dem Propheten Jeremia anführen, die manche Berührungspunkte mit der soeben behandelten Stelle, 2 Timotheus 2, hat. Jeremia lebte in einer ähnlichen Zeit des Verfalls wie Paulus am Ende seiner Laufbahn. Die Untreue Israels, des irdischen Volkes Gottes, hatte zur Zeit des Propheten ihren Höhepunkt erreicht, sodaß Jeremia dem Volke Gericht über Gericht ankündigen mußte. Trotzdem blieb Israel das aus allen Nationen der Erde auserwählte, von Gott geliebte Volk, denn „die Gnadengaben und Berufungen Gotte sind unbereubar“. Dessenungeachtet wird der treue Prophet, dessen Herz wegen der Treulosigkeit seiner Brüder blutete, von Jehova aufgefordert, sich von ihnen abzusondern: „Darum spricht Jehova also: Wenn du umkehrst, so will ich dich zurückbringen, daß du vor mir stehst; und wenn du das Köstliche vom Gemeinen ausscheidest (oder absonderst), so sollst du wie mein Mund sein. Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren.“ (Jeremias 15,19).

Es ist auffallend, daß Gott von Jeremia und dem Volke wie von einer Person redet. Jeremia war nicht abgewichen. Er hatte das Wort bewahrt und sich von dem Verderben um sich her rein erhalten, sodaß er in den Versen 16 und 17 sagen konnte: „Deine Worte waren vorhanden, und ich habe sie gegessen, und deine Worte waren mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens …. Ich saß nicht im Kreise der Scherzenden und frohlockte, wegen deiner Hand saß ich allein.“ Und doch spricht Gott: „Wenn du umkehrst“. Wir lernen daraus die sehr beachtenswerte Tatsache, daß Gott sein Volk stets als ein Ganzes ansieht und. den Treuen für den Zustand desselben mitverantwortlich macht. Dessen war sich der Prophet auch bewußt. Er fühlte die Hand Jehovas auf dem Volke lasten und litt unter ihrer Schwere. Dieselbe Gesinnung finden wir bei Daniel, dem „vielgeliebten Manne“. Auch er machte sich eins mit dem treulosen Volke und bekannte: „Wir haben gesündigt und verkehrt und gesetzlos gehandelt, und wir haben uns empört und sind von deinen Geboten und von deinen Rechten abgewichen“. (Daniel 9,5). Aber dieser Umstand ändert nichts an der Wahrheit, daß der Treue von Gott unterwiesen wird, das Köstliche von dem Gemeinen auszuscheiden und sich von denen getrennt zu halten, welche nach Bekenntnis und Berufung das Volk Gottes bilden, deren Wege aber seinen Gedanken und seinem Willen nicht entsprechen.

„Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren!“ Nach menschlichem Ermessen hätte Jeremia einen weit größeren Wirkungskreis gehabt und daher auch mehr zum Segen sein können, wenn er in Verbindung mit dem Volke geblieben wäre. Aber das sind menschliche Überlegungen. Gottes Gedanken sind höher. Er weiß, wo seine Diener ihm von Nutzen sein können, und deshalb müssen diese es ihm überlassen, sie an den Platz zu stellen, welchen er für gut erachtet. Gott fordert vor allem Gehorsam, und erst in zweiter Linie unseren Dienst. Saul glaubte umgekehrt handeln zu sollen, wurde aber deswegen verworfen. „Siehe“, so läßt Gott ihm durch Samuel sagen, „Gehorchen ist besser als Opfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder. Denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und der Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst.“ (1 Samuel 15,22-23). Und der Apostel Johannes ruft uns zu: „Hieran wissen wir, daß wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn dies ist die Liebe Gottes, daß wir seine Gebote halten.“ (1 Johannes 5,2-3).

Wenn also jemand glaubt, Gott wohlgefällig dienen zu können, indem er mit irgend einer Sache in Verbindung bleibt, von der er weiß, daß sie die Zustimmung Gottes nicht hat, so ist er auf falschem Wege. Sicher kommt Gott unserem geringen Verständnis und unserer Unwissenheit entgegen und segnet überall, wo treue Herzen für ihn schlagen, ja, um seines Wortes und seiner Sache willen selbst da, wo Christus „aus Neid und Streit“ gepredigt wird. Habe ich aber irgend etwas nach Gottes Wort als unrichtig erkannt und verharre dennoch darin, so bin ich ungehorsam und sündige. Einen anderen Ausweg gibt es nicht. Und der Herr wird mich sicherlich dereinst darüber zur Rechenschaft ziehen.

8. Schlußwort.

Wir stehen am Schluß unserer Betrachtung. Fragen wir uns nun noch einmal, was von den vielen Trennungen und Parteien unter den Gläubigen zu halten sei, so wird der Leser mit dem Schreiber antworten müssen: sie sind nicht nach Gottes Gedanken, nicht in Übereinstimmung mit seinem Worte. Wenn das aber so ist, was anderes bleibt uns dann übrig, als sie aufzugeben, die trennenden Schranken zu beseitigen und zu dem zurückzukehren, was im Anfang der christlichen Kirche war? Nur so können wir die Grundlage der Einheit finden und die Weise, wie sie zu verwirklichen ist.

Aber wer wählt diesen einzigen Ausweg? Ist es nicht vielmehr so, daß, je näher wir an das Ende der Gnadenzeit kommen, die Zersplitterung wächst? Freilich wird dadurch die Verantwortlichkeit der Gesamtheit wie des Einzelnen nicht aufgehoben, und wenn die großen Kreise in einer schriftwidrigen Stellung verharren, so bleibt für den Einzelnen kein anderer Weg offen, als seiner persönlichen Überzeugung zu folgen und dem Worte der Wahrheit gemäß zu handeln, mit anderen Worten, sich abzusondern, wie schwer und schmerzlich ihm ein solcher Schritt auch werden mag. Jeremia stand allein inmitten des damaligen Volkes Gottes, und mit Paulus war es an seinem Lebensabend nicht viel besser. Welch ein Schmerz das für beide treue Zeugen gewesen sein muß, können wir einigermaßen verstehen, wenn wir uns an ihre brennende Liebe zu dem Herrn und zu seinem Volke erinnern. Aber nichts konnte sie verhindern, den schmalen Pfad der Absonderung im Vertrauen auf Gott, der alles zu ersetzen vermag, zu betreten und zu gehen. Der bestimmte Befehl Jehovas lautete: „Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren!“ und diesem Befehl gehorchten sie.

Die gleiche Treue und Entschiedenheit erwartet der Herr heute von uns. Überdies wird eine Seele, die heute den Platz der Absonderung betritt, nicht ohne Gemeinschaft sein, denn, wie wir eingangs erwähnten, Tausende haben durch die Gnade Gottes in den letzten 70—80 Jahren ihre Parteistellung verlassen und sich unter Preisgabe aller Sondermeinungen und Eigeninteressen einfach als Christen, als die Glieder eines Leibes, unter Anerkennung der alleinigen Autorität des Herrn und seines Heiligen Geistes, zu dem Namen Jesu hin versammelt. Die praktische Verwirklichung des von ihnen als richtig Erkannten mag schwach und mit vielen Mängeln behaftet sein, aber das konnte und kann sie nicht zurückhalten, eine von Gott seinen Kindern angewiesene Stellung einzunehmen.

Eine häufig vorgebrachte Entschuldigung für das Verharren in einer Sonderstellung ist die, daß Gottes Wort keine Trennung unter Gläubigen gestatte. Grundsätzlich stimmen wir dem voll und ganz bei. Es ist gewiß nicht vom Geiste Gottes, wenn Gläubige wegen Meinungsverschiedenheiten oder verschiedener Grade in der Erkenntnis göttlicher Dinge den Boden, auf welchen Gott seine Kinder gestellt hat, verlassen, um sich nur mit Gleichgesinnten oder Gleichgeförderten zu versammeln. Das Verlassen dieses Bodens ist es ja gerade, was Paulus bei den Korinthern so scharf rügt. Es ist unter allen Umständen böse. Aber wodurch sind die Trennungen unter den Christen entstanden? Nicht gerade durch das Verlassen des Bodens der Einheit und durch das Bilden von Parteien? Und wenn nun heute jemand die voneinander getrennten Gruppen anerkennt, leugnet er damit nicht gerade die Wahrheit von jener Einheit? Man übersteht eben völlig, daß nicht die Parteien zuerst vorhanden waren, sondern die die Einheit aller Kinder Gottes ausdrückende Gemeinde, welche einmütig und eines Sinnes war und hierdurch der Welt gegenüber ein machtvolles Zeugnis ablegte von den großen Taten Gottes. Der Einwand mag also gut gemeint sein, er baut sich aber auf einen Trugschluß auf. Zudem handelt es sich bei dem Verlassen einer Parteistellung und der Rückkehr zu den Richtlinien des Wortes Gottes gar nicht um eine Trennung von Gläubigen, sondern um das Aufgeben einer falschen Stellung. Man trennt sich nicht von Personen, sondern von einem System. Daß man dabei die praktische Gemeinschaft mit manchen geschätzten Geschwistern verliert, steht außer Frage, und dieser Punkt hat schon vielen treuen Kindern Gottes tiefen Schmerz und bitteren Kampf gekostet5). Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß wir Gott unbedingten Gehorsam schuldig sind. sein Wort, die Wahrheit, ist unerbittlich.

Solang die Gläubigen in schriftwidrigen Stellungen verharren, ist ein einmütiges Zusammengehen unmöglich. Viele meinen allerdings in der sogenannten „Allianz“, einer Vereinigung der verschiedenen Benennungen und Gemeinschaften, eine von Gott gewollte Überbrückung der Hindernisse gefunden zu haben. Aber so anerkennenswert diese Bestrebungen auch scheinen mögen, Abhilfe können sie selbstverständlich nicht bringen. Denn nicht nur bleiben die Parteien nach wie vor bestehen, sondern man erwartet und fordert die gegenseitige Anerkennung derselben, und die Mitglieder werden, eben weil man ihre Sonderstellung laut oder stillschweigend anerkennt, nur umsomehr bestärkt, in ihr zu verharren. Ein solches Zusammengehen ist nur auf Grund gegenseitiger Zugeständnisse möglich, wodurch notgedrungen der Wahrheit Abbruch getan wird; während das Wort solche, den menschlichen Gedanken und Meinungen gemachten Zugeständnisse verbietet, muß man, um den Frieden nicht zu stören, und niemand zu nahe zu treten, in vielen Fällen „fünf gerade sein lassen“, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen. Das mag unter den Kindern dieser Welt wohl gelten, vor dem heiligen Auge Gottes aber können solche Grundsätze nicht bestehen.

Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß Gott Seine Kinder gewiß nicht zu einer Allianz beruft, die für die größte Mehrzahl derselben unmöglich ist, die auch immer nur für Stunden oder im besten Falle für einige Tage im Jahre künstlich herbeigeführt werden kann. „Was Gott von seinen Kindern verlangt, wenn es sich um die Darstellung ihrer Einheit handelt, ist“, wie an anderer Stelle ausgeführt worden, „ein einfaches Zusammenkommen im Namen Jesu, zugänglich für alle, ohne Geräusch, ohne Aufsehen, aber wahrhaft und treu, an dem Orte und mit den Brüdern, wohin und in deren Mitte sie seine Vorsehung gestellt hat. Das ist es, was der Herr von ihnen verlangt, und was selbst die Welt von ihnen erwartet. Woher kommt es, sagt diese, daß ihr, nachdem ihr euch mit den Christen der ganzen Welt verbrüdert habt, zurückkommt und euch abgesondert haltet von den Christen in eurer Stadt oder in eurem Dorfe, und wieder wie früher anfangt, euren eigenen Gottesdienst und euer eigenes Abendmahl zu halten? Was ist das für eine Einheit? — Ach! wir müssen es bekennen, die Welt hat recht. Das ist nicht die Einheit, das Einssein, welches Jesus für Seine teuren Jünger wünschte und vom Vater erbat.“ (Johannes 17).

Gott wird und kann sich unmöglich den jeweiligen Meinungen und Wünschen der Menschen anpassen. sein einmal gegebenes Wort ist unabänderlich für alle Zeiten und Verhältnisse, „schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“. (Hebräer 4,12-13).

Dieses Wort stellt alles an seinen richtigen Platz, läßt aber dem Eigenwillen des Menschen keinen Raum. Es ist ein wunderbares Wort. Obwohl es hoch erhaben ist über allem, was in eines Menschen Herz aufkommen kann, ist es für den Glauben doch wiederum so einfach, daß der Verstand eines gläubigen Kindes genügt, um in seinen Geist und in. seine Wahrheit einzudringen. Gerade an die „Kindlein in Christo“ schreibt der Apostel Johannes: „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisset alles. Ich habe euch nicht geschrieben, weil ihr die Wahrheit nicht wisset, sondern weil ihr sie wisset… Ihr, was ihr von Anfang gehört habt, bleibe in euch. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang gehört habt, so werdet auch ihr in dem Sohne und in dem Vater bleiben.“ (1 Johannes 2,20-24). Wie überaus kostbar ist gegenüber all den krampfhaften, aber nutzlosen Bemühungen des Menschen, dem eingetretenen Übel zu steuern, diese nie trügende Quelle und nie versagende Zuflucht!

Die Zeit eilt dahin. Bald werden wir vor dem heiligen Angesicht des Herrn stehen. Dann werden die Ratschläge der Herzen offenbar werden, und einem jeden wird sein Lob werden von Gott je nach der Treue, mit der er das ihm Anvertraute verwaltet hat. O möchte denn sein herrliches Wort, welches dem Psalmisten schon kostbarer war „als Tausende von Gold und Silber“, und das wir heute in seiner ganzen Vollendung besitzen, in Wahrheit und allein unseres Fußes Leuchte sein und das Licht auf unserem Wege! Der Herr segne auch in Gnaden diese erneuten, schwachen Bemühungen zur Befestigung und Gründung unserer Herzen und zur Verherrlichung seines Namens, der über jeden Namen ist! E. B. – D.

1)
Anm. Andreas Roemer: Carl Brockhaus, Liederdichter, 19. Jahrhundert
2)
Vergl.: Die Versammlung des lebendigen Gottes. M. 1 — Christus, der Mittelpunkt. 30 Pf. — „Auf daß sie alle eins seien.“ 40 Pf. (Im gleichen Verlag erschienen.
3)
Vergl. 1 Timotheus 1,20. Hier übt der Apostel dieselbe Macht ohne die Versammlung aus.
4)
Mit Recht befolgt man deshalb wohl in den meisten Versammlungen die Regel, die betreffende Mitteilung am Tage des Herrn in Verbindung mit dem Zusammensein am Tische des Herrn zu machen und eine Woche später, falls inzwischen kein Einspruch erfolgt ist, als Beschluß der Versammlung zu verkünden.
5)
Wenn es richtig bei uns steht, wird im Blick auf die traurige Zerrissenheit des Volkes Gottes ein beständiger Schmerz uns erfüllen. Und wie betrübt muß erst der Herr über die Zustände unserer Tage sein! Gott wolle uns alle davor bewahren, daß wir leicht über diese Sache hinweggehen!
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