Bräm, Andreas – Israels Wanderung von Gosen bis zum Sinai – Einleitung

Bräm, Andreas – Israels Wanderung von Gosen bis zum Sinai – Einleitung

Zur heiligen Geschichte

1. Das Wort Gottes ist unsers Fußes Leuchte und das Licht auf unserm Wege und wir wissen von göttlichen Dingen nur, was er selbst und sagt. Wir müssen Gott und seinem Worte glauben, wenn wir die Wahrheit erkennen wollen, und versichert sein, daß es nicht unsere eigenen Gedanken oder Menschensatzungen sind, die uns leiten. Wir haben aber von Jugend auf unvermerkt so viele fremde Gedanken ungeprüft in uns aufgenommen, die wir jetzt ohne weiteres als Wahrheit voraussetzen. Diese vermengen wir so leicht mit dem Worte Gottes, oder es kann uns geschehen, daß sie uns hindern, das Wort einfach so zu verstehen, wie es wirklich lautet und wir deßhalb das Wort auf allerlei Weise schwächen oder verändern. Darum müssen wir darnach trachten, diese störenden Gedankenfremdlinge auszuscheiden und wirklich biblisch denken zu lernen, damit das Wort Gottes unser Lehrmeister und wir seine Jünger werden.

2. Das Wort Gottes redet nicht nur durch Lehren zu uns, sondern auch durch Geschichte. Unser Herz muß auf das merken lernen, was Gott thut. Darum müssen wir uns in die Geschichte still und achtsam einlassen und alle ihre Umstände wohl erwägen, damit wir eine wahre und klare Vorstellung davon bekommen, wie sich Alles zugetragen hat. Dann können wir auch zu einer richtigen Anwendung kommen.

Allein hierin ist man oft zu ungeduldig. Manchem Leser der heiligen Schrift dünkt es zu kalt und trocken, sich so still und sorgfältig um alle Umstände der Begebenheiten zu bekümmern, und er hätte lieber gleich einige herzbewegliche Gedanken dabei. Er weiß nicht, daß er irrt und daß es ihm mehr um sein Gefühl als um des Herrn Wort zu thun ist, und so macht er allerlei Anwendungen, die keinen Grund haben, sondern in der Luft stehen. Das ist auch eine Art von Rationalismus und kann viele Verirrung anrichten. Die Hochachtung vor der Wahrheit des Wortes Gottes muß uns leiten.

3. Bei der Geschichte kommt der Ort, das Land, die Natur, die Volkssitte und Aehnliches in Betracht, was ein erklärendes Licht auf die Geschichte wirft. Das Verlangen nach Wahrheit begehrt auch diese Dinge, zu kennen, damit man Gottes Wort desto besser verstehe. Ist doch so manches Wort, ja manches Kapitel in der heiligen Schrift, woran man nichts hat, weil man diese Verhältnisse nicht versteht.

„Aber ist dieß Verhältniß wirklich so nothwendig? Kann denn ein einfältiger Bibelleser nicht so viel vom Worte Gottes verstehen, daß es seines Fußes Leuchte und das Licht auf seinem Wege wird, ohne daß er den gelehrten Apparat nöthig hat?“

O es braucht darum kein gelehrter Apparat zu sein! In andern Dingen trachtet man nach Kenntnissen und freut sich der Bildung. Man weiß viel und thut Blicke in alle Welt hinaus. Man, kann das auch für seinen Beruf und für's tägliche Leben wohl brauchen. Und wir, wir sollten uns so gar nicht um diejenigen Kenntnisse bekümmern, die uns helfen, das theure Wort Gottes besser zu verstehen? Wäre das recht? Wäre das Einfalt oder nicht vielmehr Geringschätzung des Wortes Gottes?

Wenn ich in Christo bin, so ist Himmel und Erde mein, denn sie sind das große Vaterhaus, wo der Vater waltet und die Kinder sind Erben und Christi Miterben. Auch preisen Himmel und Erde des Vaters Werk und Christi Ehre. Bin ich aber Kind, so darf und soll ich das Alles kennen lernen, denn es ist mir keine fremde Sache; auch ist das Gottes erster Unterricht an die Menschen gewesen (1. Mos. 2,19.20).

Es ist nicht Gottes Willen, daß wir unwissend bleiben. Der Mensch kann sich nichts nehmen, es werde ihm gegeben von Gott. Aber Gott hat nicht vergebens unserer Zeit so vieles an Kenntnissen und Mitteln gegeben und er läßt nicht vergebens die Geheimnisse des Orients immer mehr offenbar werden. Was er gibt, das gibt er zum allgemeinen Besten. Es ist Zeit, daß eine christliche biblische Bildung, eine Bildung für die heilige Schrift und nach derselben immer mehr überhandnehme. Es ist Zeit, daß der scharfe Unterschied zwischen dem Layen und dem Gelehrten aufhöre. Aber wie sehr sind manche gebildete Menschen in den Dingen der heiligen Schrift und des Reiches Gottes noch Layen! Es muß für die biblische Bildung der Layen mehr gethan werden und diese müssen selbst es fühlen und begehren und bei dem Gelehrten darum anklopfen, daß ihnen ihr Recht widerfahre und ihnen in gemeinverständlicher Sprache die für die heilige Schrift und das Reich Gottes nöthigen Kenntnisse gegeben werden.

Dem Gerechten ist verheißen: Deine Augen werden ein weites Land schauen (also nicht mehr so engsichtig sein). Daß dein Herz erstaunen wird und sagen: Wo sind nun die Schriftgelehrten? Wo sind die Abwäger? Wo sind die Thurmschreiber? Du wirst das starke Volk nicht sehen, das Volk von tiefer Sprache, die man nicht vernehmen kann, und von undeutlicher Zunge, die man nicht verstehen kann (Jes. 33,17-19).

Nach 1. Cor. 1,20 ist das in Christo erfüllet. Aber der alte heidnische Sauerteig ist wieder darein gefahren und die Sache ist nicht zur rechten Entwicklung gekommen. Doch die Liebe wird machen, daß unter Anderm die Gelehrten nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an die Layen, und daß sie die tiefe Sprache, die man nicht verstehen kann, für ihren Verkehr unter sich behalten und mit Ernst suchen, gemeinverständlich zu sein. Es ist so leicht nicht und wird nur allmählig gelingen, aber es wird gelingen.

Und so wird denn auch der Bibelleser ermuntert werden, Fleiß zu thun und zu forschen in Allem, was geschrieben steht. Aber bei allen guten Kenntnissen wird er es erfahren, daß der Herr es ist, der ihm das Wort offenbart zu seiner Zeit und daß er des Geistes Gottes und der Erfahrung und Uebung dabei bedarf, und daß der Vater die Geheimnisse seines Reichs den Unmündigen offenbart. Das ist das rechte Verhältniß. Dabei bleibt's.

4. Bei der Anwendung des Werks denkt man mit Recht zunächst an seine Anwendung auf das innere leben. Dieß ist nicht nur bei der Lehre, sondern auch bei der Geschichte in seinem Rechte; denn das Menschenherz ist überall dasselbe, und es walten bei der Führung der Völker dieselben Gesetze der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe, wie beim Einzelnen. Und da die Natur überall ein Bild des geistigen Lebens ist, so findet sich auch bei der Anschauung der Naturverhältnisse eine reiche Zahl berechtigter Anwendungen aufs innere Leben.

Aber soll das äußere Leben nicht auch im Namen des Herrn stehen? Die Erde ist des Herrn und was darauf ist, und das Wort Gottes sagt uns, daß wir auch unser Essen und Trinken, unsern Beruf und was wir mit Worten oder Werken thun, im Namen des Herrn und zu seiner Ehre thun sollen. Also müssen wir das Wort Gottes auch auf das äußere Leben anwenden, oder die Wege Gottes bleiben uns in dieser Beziehung unbekannt.

Man wird zugeben, daß das häusliche leben hier einen gewichtigen Anspruch auf Berücksichtigung hat. Jedes Haus ist eine kleine Gemeine; wohnt der Herr darin, so ist's voll Segen für die Hausgenossen und für das Reich Gottes. Ohne das vertrocknet es und wird untüchtig, ja es kann ein Fluch werden.

Aber das Volksleben wird selten berücksichtigt und doch läge die Anwendung auf dasselbe so nahe. Israel war ein Volk, seine Gesetze und Führungen waren die eines Volks. Christus ist der Segen der Völker und wo sein Evangelium verkündet wird, da entsteht ein zu Christo berufenes Volk, das in seinen Friedenswegen zu wandeln hätte. Aber man hat es versäumt, das Wort Gottes über diese Wege zu fragen. Man verwechselt stets die Gemeinschaft der Gläubigen mit dem berufenen Volke und keins von beiden kommt zu seinem Rechte. So ist auch das Volksleben von den Grundsätzen der Welt geleitet und wir thun, als könnte das nicht anders sein. Was ist jetzt noch unsere Bildung, unser Handel und Wandel, unser öffentliches Leben, unser Armenwesen, unsere Volkssitten? Man hat angefangen, hier zu bessern und christliche Grundsätze darein einzuführen. Aber wir sind darin noch wie die Lehrlinge und machen viel Ungeschicktes. Wenn wir längere Zeit hindurch mit Fleiß das Wort Gottes darauf angesehen haben, was es über die Völkerverhältnisse sagt, dann würden wir auch darin sicherer das Rechte treffen.

Einige Worte über die Geschichte dieses Buchs.

Es sind in unserer Zeit dem Bibelleser mehrere Hülfsmittel geboten, um über die biblischen Länder, Orte, Naturgegenstände und Volkssitten sich Aufklärung zu verschaffen, wie z. B. die Schriften des Calwer Verlagsvereins, L. Völter: „Das heilige Land“ u. a., und wer nachschlagen und forschen will, kann sich. schon in Vielem zurechthelfen. Aber nicht alle Bibelleser schlagen nach, und es gibt so Manches, was die gedrängte Geographie nicht geben kann und darf, um ihr Maß nicht zu überschreiten. Da konnte denn der Wunsch entstehen, dem Bibelleser einmal ganz anschaulich vor die Seele zu führen; was in einer gewissen Gegend und Zeit geschehen ist, damit er mitwandle und mitlebe und ihm nun auch so der gegenseitige Einfluß von Natur und Geschichte an Beispielen klar werde und er einsehe, wie gut und nöthig es sei, klar zu wissen, was geschrieben und geschehen ist, und wie man es in verschiedener Hinsicht anwenden möge und er vielleicht darüber dazu komme, selber das Wort richtiger zu lesen und zu forschen, damit es allewege sein Boden und sein Licht werde.

Aber für welche Bibelleser soll diese Darstellung sein und wie steht es mit der Gemeinverständlichkeit? Die ist nun freilich so leicht nicht, wenn man geographische Verhältnisse beschreiben soll. Allerdings wird nicht jeder Ungebildete das Buch verstehen. Aber wenn man doch gerne dem Layen verständlich sein will, so wird immerhin schon etwas erreicht werden, und ich denke, daß ein Jeder, der gerne eine Reisebeschreibung liest, auch diese Wanderung Israels verstehen kann. Damit mußte ich mich vorerst zufriedengeben. Andere werden es besser machen.

Vorerst hatte ich nur den Wunsch, Einiges aus dem reichen Material in Ritter's Erdkunde Band XIV. dem Layen zugänglich zu machen. Ritter hat nicht nur dem Gelehrten die Geographie erst recht zur Wissenschaft gemacht. Diese lebendigen Grundanschauungen und der reiche Stoff sollen auch zum Layen durchdringen, daß sie ihn anregen und zum Hausgebrauch in besserm Verständniß des Wortes Gottes und der Natur dienen und „seine Augen ein weites Land schauen“.

Aber die Arbeit führte weiter. Die Anschaulichkeit und die Klarheit in manchen Einzelheiten nöthigten den Quellen nachzugehen, die man erreichen konnte.

Ist denn Gründlichkeit in populären Werken so nöthig?

Der Laye fordert Wahrheit; er muß einen festen Grund und Boden haben. Die heilige Schrift fordert bis ins Einzelne hinein Wahrheit und kleine Umstände können oft großen Aufschluß geben. Das führt zur Gründlichkeit. Die Gründlichkeit eines Gelehrten kann ich nicht beanspruchen, aber ich mußte so weit meine Augen und Hülfsmittel reichten thun, was ich konnte.

Manche Quelle blieb mir nicht zugänglich, doch konnte ich die Reisen von Burckhardt, Robinson, Schubert, Rüppell, Tischendorf, De la Borde und Einiges von Seetzen und Lepsius benutzen. Besonders schätzbar war mir die Güte meines theuern Freundes, Herrn Prof. W. Krafft in Bonn, womit er mir das Manuscript seiner Reise zur Benutzung überließ. An Commentaren waren mir nur Baumgarten, Gerlach, Richter, Hengstenberg, Rosenmüller's „Morgenland“ und sein „Handbuch der biblischen Alterthumskunde“ zur Hand.

Unter der Arbeit fand sich, daß in diesen Quellen auch über die Terrainverhältnisse noch manche Notiz enthalten sei, die keine Karte ausdrückte. Ich zeichnete daher den Quellen nach, combinierte dann - namentlich unter Anleitung der Riepert'schen Karte - die verschiedenen Zeichnungen, wobei ich wieder besonders in Krafft's Manuscript vieles schätzbare Material vorfand. In Einzelnem konnte ich die Karten von Russegger, Rüppell und Zimmermann benutzen. Auch das Panorama vom Sinai von Bernatz lieferte mehr Stoff, als man anfangs dachte. So sind denn die Karten entstanden, die dem Buche beigegeben sind. Ich hoffe, sie werden dem Bibelleser Manches veranschaulichen und auch der Gelehrte werde damit zufrieden sein.1)

Wir wissen noch sehr wenig vom Lande am Sinai und verhältnißmäßig von allen Ländern des Orients, aber die Thüren werden geöffnet und es wird uns immer mehr aufgedeckt. Mich dünkt, es sei daher noch nicht die Zeit umfassender und abschließender Arbeiten für das populäre Schriftverständniß, sondern nur die Zeit der Vorarbeiten und Anbahnungen. Eine Zeitschrift dürfte wohl am besten geeignet sein, dieselben nebst den immer neuen Entdeckungen im Orient in sich aufzunehmen. Eine solche setzt aber eine Liebe zum Forschen voraus zum Forschen für die heiligen Schrift und in derselben die vielleicht bei den meisten Layen noch erst zu wecken ist. Indessen mögen einzelne Darstellungen, wie die gegenwärtige, das Weitere anbahnen. Möge sich immer mehr die Aufmerksamkeit und der Fleiß der Bibelfreunde auf das Bedürfniß der Layen richten, damit Jeder nach seiner Gabe helfe, das theure Wort Gottes dem Leser in allen seinen Theilen immer zugänglicher zu machen.

Aber nur keine biblischen Novellen! Gottes Wort ist Wahrheit und kein Mythus! Es gibt bei aller Anschaulichkeit eine feine Grenze, welche die Ehrfurcht vor der heiligen und wahrhaftigen Offenbarung, dem wahrhaft Objectiven, herausfinden muß. Gott lasse uns das gelingen!

Er segne uns auch, daß wir immer mehr sein Wort verstehen und dessen Jünger werden!

Neukirchen bei Moers, im Mai 1857.

Der Verfasser.

1)
Da die Beifügung dieser detaillierten Karten das Buch zu sehr vertheuert hätte, so hat der Verfasser auf unsern Wunsch zur nöthigen Orientierung der Leser das beigegebene Kärtchen entworfen. Wir behalten uns vor, die Detaillierten Karten später herauszugeben und den Besitzern des Buche anzubieten.
Die Verlagshandlung.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/braem/israels_wanderung/braem_israels_wanderung_einleitung.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain