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Bonifatius an Neidhard.

Bonifatius an Neidhard.

Neidhard ist ohne Zweifel ein junger Engländer von Stande, welchen Bonifatius als Benediktiner zu Muscell unterrichtet hatte. Der Brief mag in die Periode gehören, da er sich zum ersten Mal in Friesland befand.

Seinem teuren Genossen und geliebten Freunde, welchen er weder vergänglichen Goldes eitlen Gaben, noch einschmeichelnder Höflichkeit einnehmenden Reden verdankt, sondern geistiger Verwandtschaft wunderbare Übereinstimmung mit der Liebe unvergänglichen Banden ihm jüngst verknüpft hat, seinem Neidhard erfleht Winfried ewiges Heil in Christo Jesu.

In meiner Niedrigkeit demütigem Priestergewand bitte ich Deiner Jugend ausgezeichneten Geist, mein teurer Bruder, sich wohl an das Wort des weisen Salomo zu erinnern, da er spricht: was du tust, bedenke das Ende, so wirst du nimmermehr Übels tun.1) Und anderswo: Lauft, so lange es Tag ist, ehe euch die Nacht überfällt. Sintemal die ganze Gegenwart bald vorübergehen und die Ewigkeit plötzlich eintreten wird, wie alle Schätze dieser Welt, mögen sie in der Schönheit von Gold und Silber, oder in dem Schimmer strahlender Edelsteine oder der Mannigfaltigkeit köstlicher Speisen und prächtiger Kleider bestehen, wie ein Schatten vergehen, wie ein Rauch verschwinden, wie ein Schaum verlaufen, nach dem wahrhaftigen Ausspruche des Psalmisten, der da sagt2): der Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Feld; und anderswo: meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie ein Gras3), Deshalb ist an allen Geldgierigen zu sehen, dass sie, von Durst nach Schätzen und vergeblichen Kämpfen geschwächt, Wache halten und Netze gleich Spinngeweben aufgespannt haben, mit welchen sie dem leisen Lufthauch oder dem Raub nachstellen, sofern sie nach dem Psalmisten: Schätze sammeln und wissen nicht, für wen sie dieselben zusammen bringen; und während Plutos verhasster Treiber, der Tod, mit blutigen Zähnen knirschend an der Schwelle ruft, werden sie bebend und aller Hilfe beraubt eben sowohl die kostbare Seele als den trüglichen Schatz, den sie geizig Tag und Nacht kummervoll bewachten, plötzlich verlieren und, von Teufels-Händen weggerissen, in schreckliche, unterirdische Kerker geworfen werden, um ewige Strafen zu leiden. Da dieses Alles unzweifelhaft ist, so trachte ich, durch der Liebe inständige Bitten Dich zu bewegen, dass Du, in der Überzeugung von der Wahrheit dieser Vorstellungen, eilst, die Liebenswürdigkeit Deiner angeborenen Gesinnung wieder zu gewinnen, und die Kenntnis der edlen Wissenschaft und das glühende Geistesfeuer der Gotteserkenntnis nicht durch das trübe Wasser und den schmutzigen Staub irdischer Lust auslöscht, sondern eingedenk seist des heiligen Sängers, wenn er von der Seligkeit des Menschen spricht: er redet von dem Gesetz des Herrn Tag und Nacht4). Und anderswo: wie lieb habe ich, Herr, dein Gesetz, den ganzen Tag ist es mein Gedanke5)! Und Moses im fünften Buche: das Gesetz weiche nicht von deinem Mund, und du wirst es Tag und Nacht bedenken6). Entferne eintretende Hindernisse und widme Dich dem Studium der heiligen Schrift mit ganzer Seele, um daraus die Liebenswürdigkeit ruhmwürdiger und echter Schönheit zu erlangen, nämlich die gottselige Weisheit, welche an Glanz das Gold, an Schimmer das Silber, an Feine den Karfunkel, an Weiße den Kristall, an Kostbarkeit den Topas übertrifft, und nach dem Ausspruche des geistreichen Predigers mit keinem Golde aufgewogen werden kann. Denn was, mein christlicher Bruder, mag von der Jugend Schöneres erstrebt, oder vom Alter Vernünftigeres besessen werden, als Kenntnis der heiligen Schrift, welche, ohne Schiffbruch in gefahrvollen Stürmen, das Fahrzeug unsers Lebens leitet und führt an die Gestade des herrlichsten Paradieses und zu den ewigen Himmelsfreuden der Engel, von welchen der oben genannte Weise gesagt hat: die Weisheit überwältigt die Bosheit. Sie reicht von einem Ende zum anderen gewaltig und regiert Alles wohl; dieselbige habe ich geliebt und gesucht von meiner Jugend auf und habe ihre Schöne lieb gewonnen; sie ist von hohem Adel und ihr Wesen ist bei Gott, und der Herr aller Dinge hat sie lieb, sie ist der heimliche Rat im Erkenntnis Gottes und der Angeber seiner Werke7). Wenn es daher Gottes allmächtiger Wille sein sollte, dass ich, meinen Wünschen gemäß Albion wieder sehe, so gelobe ich Dir für diese Laufbahn eine aufrichtige Freundschaft und in der Beschäftigung mit den göttlichen Schriften die treueste Unterstützung. Lebe wohl.

1)
Sir. 7,10, welches Buch in der ältesten lateinischen Übersetzung der heiligen Schrift unter dem Namen Ecclesiasticus steht und von den älteren Kirchenvätern dem Salomo beigelegt wird.
2)
Ps. 103,15.
3)
Ps. 102,12.
4)
Ps. 1
5)
Ps. 40,9. 119,22.
6)
5 Mos. 30,14.
7)
Weish. 7,30 rc.
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