Beecher, Henry Ward - Der Segen der Trübsal

Beecher, Henry Ward - Der Segen der Trübsal

Text: Ebr. 12,11.
Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht die Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind.

Die Frage über das Leiden ist nicht neu, so wie das Leiden selbst nicht neu ist. In vieler Hinsicht lag die menschliche Denkfähigkeit in alten Tagen noch in der Wiege; aber was die Untersuchung über das menschliche Leiden betrifft, scheint sie tiefer eingedrungen und zu einem bestimmteren Abschluss gekommen zu sein, als nach irgend einer anderen Richtung hin. Die Betrachtungen, die man im Buche Hiob über diesen Gegenstand findet, sind so tiefgehend und das Sinnen und Klagen Salomons ist eben so klar und deutlich als dasjenige, welches wir in Byrons Poesien wiederklingen hören. Dies scheint also einer von jenen Gegenständen gewesen zu sein, an welchen sich der menschliche Geist mit mehr Kraft übte, als an irgend welchen anderen.

Die Theorien über das Übel, die Gründe, warum es in der Welt ist, diese Fragen haben die Theologie und Philosophie aller Zeiten beschäftigt. Mir erscheinen sie so nutzlos, wie nur Fragen möglicher Weise sein können. Die Frage: „Warum lässt Gott das Übel zu?“ ist nur eine andere Form für die Frage: „Warum ist die Welt geschaffen, wie sie ist?“

Wenn die Welt wie ein musikalisches Instrument geschaffen wäre mit vollkommen reingestimmten Saiten, dann möchte es am Ort sein zu fragen: Wie ist es so verstimmt worden und in Unordnung gekommen? Aus welcher Quelle hat sich das Übel in die Welt ergossen? Aber da der Schöpfungsplan darin bestand, dass der Mensch sich vom Niedrigsten bis zum Höchsten in stetigem Fortschreiten entwickeln sollte, und zwar auf dem Weg eigener persönlicher Erfahrung: so ist „Übel“ einfach ein anderes Wort für Schmerz, der mit jedem Wachstum, mit jeder Arbeitsanstrengung verbunden ist. Es gehört notwendig zu dem Verhältnis, in welchem sich der Mensch während dieser Zeitlichkeit zu dem Ganzen befindet, in dem er lebt. Wer da fragt: „Warum hat Gott das Übel zugelassen?“ der könnte eben so gut die Frage aufwerfen: „Warum hat Gott die Bäume so geschaffen, dass sie einen Schatten werfen? Warum hat er nicht gemacht, dass das Licht durch die grünen Blätter wie durch Glas scheint?“ Und andere närrische Fragen der Art. -

Die Lehrsätze und Theorien über die Quelle oder den Ursprung des Bösen sind in regelmäßiger Folge entstanden, indem sie sich in einer oder der anderen Form immer wiederholt haben. In alter Zeit meinte man, dass das Gute und Böse von zwei entgegengesetzten Geistern ausginge. Man nahm eine geteilte Herrschaft über die Welt an: dies ist die orientalische Lehre bis zum heutigen Tag. Dieser Lehre zufolge regieren die bösen Geister, wo sie nur können und zwar in beständigem Streit mit dem göttlichen Geist; so wurde es angenommen.

Das Böse wurde also, wenn ich so sagen darf, für ein Eingriff von außen gehalten. Man meinte, es sei ein heilloses Etwas, was nur den höllischen Geistern angehöre und durch sie in die Welt gebracht würde. Weiter wurde das Übel als ein Gericht Gottes betrachtet. Es war dies ein Fortschritt. Man sah es als eine Strafe für die Sünde an. Dies war die herrschende Ansicht zur Zeit unseres Herrn und daraus folgte als notwendiger logischer Schluss, dass diejenigen Menschen, die zu leiden hatten, gesündigt haben mussten, und diejenigen, denen es wohl erging, gerecht waren. Freilich hatte Hiob, obwohl er selbst in großer Not und Zweifel wegen dieses Punktes war, fortwährend das Gegenteil bewiesen. Er hatte viel zu leiden und wurde von eigentümlichen Tröstern heimgesucht. Er verfiel dem größten Elend, aber nicht wegen seiner Ungerechtigkeit, denn er ruft Gott und Menschen zu Zeugen seiner Rechtschaffenheit an und beweist, dass das Leiden aus der Hand eines erziehenden Gottes kommt. Dennoch glaubte man allgemein, dass das Leiden der Einzelnen eine Folge ihrer Sünde sei. Wie ich bemerkt habe, fand unser Herr zu seiner Zeit diese Ansicht vor. Wenn ein Mensch blind war, so sagten seine Jünger zu ihm: „Wer hat gesündigt? Er ist blind, folglich muss Jemand gesündigt haben. Wer hat es getan, er oder seine Eltern?“ Der Heiland antwortete aber: Weder der eine, noch der andre. Blindheit und das daraus entstehende Leiden sind nicht die notwendigen Folgen von moralischer Verworfenheit.

Die neuere Anschauung scheint die zu sein, dass alles Leiden von der Verletzung von Natur- oder Sittengesetzen herrührt. Dies ist aber ebenso einseitig, eine ebenso unvollkommene Philosophie, ein ebenso unreifer Gedanke, wie die andern Meinungen. Ja, dieser Satz ist im Grunde nur eine Modifikation des vorhergehenden, denn die Naturgesetze wie die Sittengesetze sind nur ein Ausfluss des göttlichen Willens. Diese Meinung kann daher nur als eine neue Ausdrucksweise von dem alten Satz angesehen werden, dass das Leiden eine Folge des Ungehorsams gegen Gott sei. Nun, jede dieser Ansichten enthält etwas Wahrheit; keine jedoch deckt sich mit der ganzen Summe der menschlichen Erfahrung. Das Leiden entsteht bis zu einem gewissen Maße aus der Übertretung der natürlichen; gesellschaftlichen und bürgerlichen Gesetze, denen die Menschen unterworfen sind. Wo wir wissentlich oder unwissentlich uns gegen die Gesetze auflehnen, welche sich auf die organischen Bedingungen unseres Daseins beziehen, werden wir bestraft und wir leiden. Unzuträgliche Nahrung, ungeeignete Bekleidung bringt Leiden und Krankheit hervor, in tausendfach verschiedenster Art und Weise leiden wir durch die Nichtbeachtung der Gesetze. Wir leiden fortgesetzt in unsern gesellschaftlichen und bürgerlichen Beziehungen, indem wir feststehende Bestimmungen und Gesetze übertreten.

Allein es gibt auch Leiden, zu denen wir durch Erbschaft oder Übertragung von Anderen kommen. Es gibt viele, die kaum einen gesunden Tag ihr Leben lang haben, obgleich sie selbst nicht gegen natürliche Gesetze gesündigt haben. Sie haben eine Körperbeschaffenheit geerbt, welche eine fortdauernde Ungesundheit zur Folge hat. Sie sind dazu bestimmt, zahllose Leiden zu ertragen. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie mit einer Anlage zum Leiden geboren wurden. Alle Dissonanzen und Reizungen ihres Nervensystems haben sie den Übertretungen andrer Menschen, nicht ihren eigenen zu verdanken. Es ist nicht unsere eigene Schuld, wenn wir einen durchaus kranken Magen geerbt haben, der zur Quelle unzähliger anderer wirklicher oder eingebildeter Leiden wird. Ja, ich meine, dass unsere empfindlichsten Leiden nicht von dem herrühren, was wir selbst durch die Übertretung der Gesetze sündigen, sondern vielmehr von dem, was Andere an uns sündigen. Wenn ich meine Hand ins Feuer halte, so leide ich durch die Übertretung eines natürlichen Gesetzes, aber wenn ein Anderer mich mit glühenden Kohlen wirft, so ist es nicht meine, sondern seine Schuld. Ich leide von Schlägen, die Andere mir geben und von der Not, die Andere hervorgerufen haben, wenn ich selbst auch allen natürlichen Gesetzen Gehorsam geleistet habe. Es liegt in der Macht Anderer, Leiden über mich zu bringen. Daher würde es eine sehr unvollkommene Vorschrift für das irdische Glück sein, wenn man sagen wollte, dass das Leiden durch den Gehorsam gegen die natürlichen Gesetze vermieden werden könnte.

Unsere Leiden rühren ferner von unseren geselligen Neigungen her. Ich meine nicht jene Neigungen, deren ich soeben Erwähnung getan habe und denen eine physische Strafe folgt. Die empfindlichsten Leiden, welche wir Menschen zu tragen berufen sind, entstehen aus unsern gegenseitigen Herzensbeziehungen. So lange die Liebe für uns eine Quelle von unzähligen Genüssen ist, birgt sie in sich die Möglichkeit von großem Leid. Es ist unmöglich, dass Du Dich einem Anderen in Herzlichkeit anschließt, ohne von seinem Glück oder Unglück mit betroffen zu werden. Wir alle weinen mit den Weinenden und freuen uns mit den Fröhlichen. Wir alle sind so mit unsern Freunden verbunden, dass wir nicht umhin können, auch ihre Last mit zu tragen. Eltern sind so eins mit ihren Kindern, dass, wenn sie selbst auch gegen kein natürliches Gesetz verstoßen, doch leiden, wenn diese ihre Kinder auf falschem Wege sind. Es ist nicht der Wüstling allein, der leiden muss, sondern diejenigen, die ihn lieben, aber keine Teilnehmer seiner Ausschweifungen sind, leiden am meisten von seinen Vergehungen. Wenn man sich bei der Erforschung und Untersuchung des Leidens auf wirkliche Tatsachen und Verhältnisse einlässt, wird man finden, dass die Schmerzen, welche von Scham, von verletztem Stolz, von gekränkter Liebe, von verkannter Freundschaft herrühren, sehr oft Folgen sind von dem Missgeschick, den Sünden und Fehltritten derjenigen, mit denen man in geselliger und geistiger Beziehung steht. Hier aber findet keine Verletzung der natürlichen Gesetze statt. Man sagt: „Alle Leiden würden verschwinden, wenn keine Übertretung der natürlichen Gesetze stattfände.“ Aber welcher Gehorsam gegen Naturgesetze kann einen Vater oder eine Mutter schützen vor Leid, wenn sie ihr Kind leiden sehen? Das Kind mag gegen ein solches Gesetz verstoßen haben, und muss dafür leiden, aber das daraus entstehende Leiden oder der Rückschlag, der auf die Eltern fällt, ist schlimmer als das ursprüngliche Leiden, welches das Kind trägt. Häufig leidet der, welcher dem Verbrecher verwandt ist, mehr, als der Verbrecher selbst. Die Angehörigen des Spielers und Verschwenders sind es, die am meisten leiden. Je reiner, empfänglicher, Gott ähnlicher Jemand ist, desto tiefer leidet er in Folge der Sünden Anderer. Wenn die Schrift sagt, dass Christus die Sünden der Welt getragen hat, so behaupten Viele in ihrer Unwissenheit, dass dies im Widerspruch stehe mit der Gerechtigkeit Gottes. Aber gerade im Gegenteil; eben darin gipfelt die sittliche Entwicklung des Menschen, gerade dies ist die sittliche Höhe unseres Heilandes, dass er die Sünden der Welt tragen konnte: denn nur in dem Verhältnis, in welchem ein Mensch rein, gerecht, edel, zartfühlend ist, wird er überhaupt fähig, mehr und mehr zu leiden, nicht in Folge seiner eigenen Sünde, sondern um der Sünde derer willen, mit denen er in sympathischer Beziehung steht. Sünde ruft Leiden hervor, aber so wie nicht die Taste von leblosem Elfenbein, welche der Finger anschlägt, klagt oder jubelt, sondern die Saite, welche mit der Taste in Berührung steht; so macht sich im Leben das Leiden nicht notwendiger Weise an der Stelle fühlbar, von welcher das Unrecht ausging, sondern vielmehr in den zart besaiteten Herzen derer, die edler und besser sind als die, von denen das Unrecht begangen wurde vermöge der geselligen Berührungen, durch welche die Menschen unter einander verbunden sind.

Aber auch abgesehen von diesen geselligen Beziehungen können wir sagen, dass auch das allgemeine Wohlwollen, die allgemeine Menschenliebe eine Ursache mannigfachen Leidens ist. Unsre edlere Natur, unser von Gott geläutertes Wesen ist wie ein Baum des Lebens. Dieser Lebensbaum ist voll duftender Blüten, voll saftiger Früchte, zu gleicher Zeit aber trägt er auch bittere Früchte der Schmerzen. Der Anblick z. B. von großer Unwissenheit in dieser Welt und von den Übeln, die davon herrühren, das ist ein Anblick, welcher jedem mitfühlenden Herzen Schmerz bereiten muss. Wenn Du selbstsüchtig genug bist, Dich solch einem Anblick zu entziehen, so sparst Du Dir den Schmerz, aber wenn Du wohlwollend bist und Dich ihm nicht entziehst, sondern hingehst, diese Ungewissheit ins Auge fasst, sie untersuchst und ihren Folgen nachspürst, so wirst Du leiden. Gerade im Verhältnis zu Deiner Gottähnlichkeit wird Dein Wohlwollen Dir Leiden bereiten. Wenn wir einem von uns erkannten Übel durch unsere Anstrengungen steuern können, dann hören wir freilich auf zu leiden. Wenn ein Wundarzt im Anfang noch unerfahren ist, so empfindet er viel Ängstlichkeit, aber wenn er anfängt sich bewusst zu werden, dass er Geschicklichkeit in seiner Hand und Wissen in seinem Kopf birgt, durch welche er dem Kranken helfen kann, dann lernt er ruhig sein, während er Schmerzen bereitet, weil er weiß, dass er durch die Bereitung von Schmerzen Erleichterung zu gewähren im Stande ist. Und im Leben, wenn wir auf die Menge von Menschen blicken, und sie in ihrer Entartung sehen, uns aber bewusst sind, dass wir die Macht und Fähigkeit besitzen, Licht in ihre Dunkelheit zu bringen und Vernunft in ihre unvernünftigen Leidenschaften, dann leiden wir nicht mehr. Aber unter den Toten zu wandeln, als wären sie lebendig, die schrecklichen Erschütterungen, die vulkanischen Ausbrüche zu sehen, da zu leben, wo Du diese Dinge sehen musst, und sie nicht vor Deinem Auge verbergen kannst, ohne doch helfen zu können, das muss notwendigerweise Leiden in Dir hervorrufen.

So wie also das Leiden einerseits eine göttliche oder natürliche Strafe sein kann, so kann es andrerseits, wie schon erwähnt, eine Folge unserer Lebensverbindungen sein, welche zunimmt mit der Zartheit und Innigkeit der Zuneigung. Aber nicht dies allein. Der Mensch ist so geschaffen, dass die edleren Bestandteile seines Wesens auf den gröberen, niederen ruhen. Er ist dazu bestimmt, sich von einem niederen, sinnlichen, selbstischen Leben aus zu einem höheren Leben zu entwickeln. Man kann solche Entwicklungen von niederen zu höheren Stufen ja oft genug im Leben wahrnehmen, wenn z. B. ein stolzer Mensch demütig wird, und in ähnlichen Fällen. Diese Übergänge aber können sich nur durch Schmerzen und Leiden vollziehen. So wie der Mensch nur unter Geburtsschmerzen und unter Schreien zur Welt kommt, so finden sich auch später noch aufeinanderfolgende Geburtsstadien bei einzelnen Fähigkeiten des Geistes oder im Gesamtwesen des Menschen, je nachdem er sich zur höheren Stufe der Entwicklung aufschwingt. Der neue Mensch muss innere Konflikte und ernste Kämpfe durchmachen, ehe er zur Verwirklichung gelangt. Er gelangt zum Genuss der höheren Freude nur durch das Höllentor des Leidens. Und kein Mensch bleibt vom Leiden ausgeschlossen, wenn er von einer niederen zur höheren Stufe aufsteigt. Doch davon später.

Wir wollen uns also von allen unreifen und ungegründeten Ansichten über das Leiden frei machen, als ob das Leiden von bösen Geistern herrührte, oder lediglich die Strafe für die Übertretung irgend eines natürlichen Gesetzes wäre, oder endlich als ob es gar keinem höheren Zweck zu dienen hätte. Das Leiden muss zunehmen, bis wir in ihm eine Macht erkennen, die da fördert, erzieht und Freude in sich birgt. Denn die edelsten Arten des Leidens sind nicht jene niederen Erfahrungen, welche der Erde und den irdischen Leidenschaften entspringen. Die erhabensten Leiden sind jene, welche die Menschen in der Höchsten Entwicklung ihrer Natur zu ertragen haben. Lasst uns also das Leiden als einen Teil der ewigen Weisheit betrachten, durch welche Gott höhere Ziele verfolgt, durch welche er allerdings straft; durch welche er aber auch die ganze menschliche Natur fördert, erweitert, reift und sie mächtig und sieghaft macht.

Indem ich die tatsächliche Erfahrung des Leidens in dieser Welt ins Auge fasse, bemerke ich erstens, dass es selten dauernd ist. Wenn man von weiter nichts als vom Leiden predigt, so entsteht leicht der Eindruck, als ob das Leiden keine Unterbrechung hätte. Es kommt einem dann vor wie ein Gewand, das man anlegt und trägt, ohne es wieder abzulegen, wo hingegen das Leiden sich tatsächlich nur gelegentlich geltend macht und diejenigen, die leiden, längere Zeiten der Unterbrechung haben. Nach der allgemeinen Erfahrung hat der weise Ratschluss Gottes das Leiden nur in sehr geringem Verhältnis den Freuden des Lebens beigemischt. Wahrscheinlich würde das Leiden, wenn es dauernder, beständiger und feststehender wäre, einen krankhaften Zustand hervorbringen. Aber das Leiden hat in der Tat lange Pausen und wird durch mancherlei und viele Freuden unterbrochen. Gewöhnlich sehen wir, dass das Maß von Leiden, welches Menschen zu tragen haben, nur gering im Verhältnis zu den vielen kleinen Freuden am Morgen, Mittag und Abend ist. Die ruhigen Freuden des geselligen Verkehrs, die Befriedigung, die uns die Übung aller unserer Fähigkeiten gewährt, die Freude und die geistige Beweglichkeit, die mit der Geschäftigkeit verbunden ist, die Frucht des Denkens, das Vergnügen Kenntnisse zu sammeln, das Glück, welches aus den einfachen, geselligen Verbindungen erwächst, die Freude, die aus tausend nebensächlichen Umständen ihr Licht auf uns ausstrahlt, in unserm Verkehr mit andern Menschen, wie erleichtern alle diese Dinge, wie erfüllen sie uns mit Kraft, so dass, wenn hin und wieder ein trüber Tag kommt, wir fähig sind, das uns auferlegte Leiden zu tragen.

Zu oft geschieht es, dass die Menschen ihres Kummers gedenken, aber ihre Freuden vergessen. Und doch gibt es selbst mitten im Unglück liebliche Klänge, die, wenn die Menschen nur darauf lauschen wollten, die Klagelieder wohl zu übertönen vermöchten. Es gibt Lichtstrahlen, die ihre Dunkelheit erhellen könnten. Die Menschen verfallen in eine Art Trübsinnswahn, der Kummer wird krankhaft und nährt und schärft sich selbst; ja er gärt und strömt über. Er gibt schließlich dem ganzen Geist und Gemüt eine dunkle Färbung und so wie nach einem Regenguss jeder Zweig des Baumes mit Tropfen bedeckt ist und jedes Blatt zu weinen scheint, so dass bei einem Windstoß der Baum von neuem zu regnen anfängt, als ob er eine Wolke wäre, so sind auch wir geneigt, bei traurigen Erfahrungen unbarmherzig mit uns selbst zu verfahren und unsere eigene Empfänglichkeit für Leiden zu missbrauchen. Wir stellen der Verzweiflung nicht die Hoffnung, der Verzagtheit nicht die Freudigkeit entgegen. Darin liegt der Grund von vielem Leiden, welches die Menschen erdulden und von so manchem Druck, unter dem sie seufzen; sie gehen eben unverständig mit sich selbst um.

Bei Vielen, die zu mir kommen, nehme ich eine krankhafte Vorliebe für das Leiden wahr. Sie sehnen sich danach, den nach meiner Meinung unnatürlichen, ja abstoßenden Vorzug für sich in Anspruch zu nehmen, dass sie mehr als Andere zum Leiden bestimmt seien. Ja man kann solche Personen häufig nicht mehr beleidigen, als wenn man ihnen zu ihrer Gesundheit, ihrem Gedeihen und Wohlergehen Glück wünscht. Denn sie halten sich für Märtyrer und gehen dahin unter dem Schleier der Trübsal und wenn man dies nicht anerkennen will, so beraubt man sie des größten Genusses ihres Lebens. Denn sich elend fühlen zu dürfen, das ist eben ihre Freude.

Zweitens. Das Leiden, wenn es aus sittlichen Ursachen entspringt, birgt auch ein überwindendes Element in sich. Wenn man das, was wir Leiden nennen, betrachtet, so ist es wie schon bemerkt, nicht ein ununterbrochenes Weh, nicht eine Wolke, welche fortwährend, Tag für Tag, die Sonne verbirgt. Selbst in den kleinen Verhältnissen des Lebens kommen Pausen vor und die Freude bricht durch. Es hat seine Nacht und seine bewölkten Stunden, aber im Ganzen ist der heitere Himmel häufiger, als der bedeckte und dunkle. Und wenn Du von den geringeren Leiden zu den höheren, sittlichen Leiden blickst, so wirst Du in den letzteren stets ein überwindendes Element finden.

Nichts ist sicherer, als dass Leiden, die der sittlichen Natur des Menschen entspringen, große Freude in sich bergen. Zum Beispiel, ist das nicht ein freudiges triumphierendes Gefühl, wenn mit dem Leiden Selbstverleugnung verbunden ist und wenn diese Selbstverleugnung so viel heißt, als Befreiung der edleren Triebe von der Knechtschaft der niederen?

Das, was im Menschen gut ist - sein Gewissen, sein Glaube, sein Wohlwollen, seine Reinheit - kämpft mit den Neigungen und Leidenschaften, welche bis dahin im Steigen gewesen sind, stößt sie zurück, wirft sie nieder und erhebt sich triumphierend aus der Entwürdigung, welche durch die niederen Gefühle entstanden - und so ist das Rechte und Gute wieder im Steigen. Wenn solch ein Sieg stattgefunden hat, wenn das Gute über das Böse bei einem Menschen die Oberhand gewonnen hat, dann entsteht ein Schmerz, aber der Schmerz betrifft die niedere Natur, die Freude dagegen, welche damit Hand in Hand geht, ist der höheren Natur in uns eigen.

Der scheinbare Widerspruch der Freude in der Trübsal, von dem die heilige Schrift redet, tritt uns überall im Leben entgegen. Der Apostel spricht von Freuden in der Traurigkeit und von den Tröstungen, durch welche er in seiner Trübsal gestärkt wurde, damit er wiederum diejenigen trösten könne, die sich in Trübsal befinden. Dasselbe sehen wir im menschlichen Leben, und wir verstehen, woher es kommt, dass Leiden und hohe Freude vereinigt sein können. Sowie die Dissonanzen sich in die lieblichsten Harmonien auflösen und sowie der ungestüme Klang von rauschender Musik der Stille während der Pausen einen zauberischen Reiz verleiht, sehen wir in den tatsächlichen Erfahrungen des Lebens, dass jene Trübsale, die am schwersten ertragen werden, doch mit den Schwingen der Freude versehen sind und dass die Seele, wenngleich sie in dunkler, bewölkter Atmosphäre schwebt, sich singend erhebt und höher und immer höher den wolkenlosen, klaren Regionen zufliegt. Daher ist die edlere Art des Leidens nicht bloß Leiden, sondern zugleich auch Freude.

Drittens wird das Leiden bei allen edleren, sich weiter entwickelnden Naturen ein Mittel, um zur endlichen Harmonie in sich selbst zu gelangen. Auf diese Weise erschöpft es sich. Das Leiden muss nach und nach abnehmen, die Freude dagegen zunehmen und wachsen. Wenn ihr je beobachtet habt, wenn Jemand ein Piano stimmt, so werdet ihr verstehen, was ich meine. Wenn die richtige Stimmung durch die Stimmgabel angegeben ist, so wird erst eine Saite in diese Stimmung gebracht, um als Maßstab für die andern zu dienen. Dann kommt der nächste Ton daran und wenn der Schlüssel an die Saite angesetzt und gedreht und wieder gedreht wird, so ist diese Saite zwar immer noch verstimmt, während die erste rein klingt. Aber nach und nach, je nachdem man dreht, wird auch sie rein. Eine Zeit lang macht sie einen abscheulichen Lärm, wie Katzengewinsel; trotzdem nähert sie sich der Harmonie; mit der Zeit hört man nur noch eine kleine Dissonanz in der Luft und endlich hört auch diese auf und die Saite ist völlig rein gestimmt.

So auch ist es mit unserer Natur. Wo das Leiden die rechte Wirkung hat, bringt es unsere widerstreitenden Gefühle endlich zu einem Punkt, wo sie sich in Harmonie auflösen. Von Natur sind wir geneigt, auszuarten und unter günstigen Umständen werden wir leicht gleichgültig und sorglos. Was wir daher mehr als irgend etwas bedürfen, das ist Zucht und Beschränkung. So wie das Füllen, ehe es zugeritten ist, keinen Wert hat, so tut dem Menschen, der auch ein wildes Füllen ist, viel Zucht, viel Zügelung und viel harte Arbeit not, um so nützlich zu werden, als er zu werden bestimmt ist. Nicht, wenn der Mensch im Wohlstand ungehindert dahin lebt, nicht wenn er sich so zu sagen am Hafer mästet, nicht dann ist er innerlich harmonisch gestimmt, und für die Gesellschaft fruchtbringend, sondern gerade Unglück und Trübsal erzieht den Menschen und bringt seine Gefühle und Neigungen in Harmonie.

Wenn ein Mensch bei seinem Eintritt in das öffentliche Leben nicht allerlei Hemmungen erfährt, wenn es ihm vielmehr nach allen Seiten hin gelingt und gut geht, dann lernt er sich selbst nicht kennen. Selbsterkenntnis kommt hauptsächlich durch die Zucht des Leidens und das Leiden ist ein strenger Zuchtmeister - häufig barmherzig, aber immerhin doch ein Zuchtmeister. Ein Mensch, der durch die Schule des Leidens gegangen ist, kann nicht unwissend über sich selbst sein, besonders wenn sein Leiden höherer Art gewesen ist.

Wir müssen leiden, um Frucht zu bringen. Ein Weinstock, der in einen fetten Boden gepflanzt ist, läuft Gefahr auszuarten und keine Frucht zu tragen. Er wuchert und rankt sich bis über das Gitter. Dann kommt der Weingärtner mit seiner Schere und beschneidet ihn. Er will nicht, dass der Weinstock nur Blätter treibe, sondern er zwingt ihn auch Trauben hervorzubringen. Und so, wenn wir unsern natürlichen Neigungen zufolge ausarten und zwar Blätter die Fülle, aber keine Frucht bringen, wird auch an uns Zucht geübt; wir werden beschnitten und in ein richtiges Verhältnis gebracht. Das Beschneiden tut uns not und Leiden und Trübsal ist die Schere, welche die Arbeit vollbringt.

Viertens. Das Leiden wird eine Quelle der Kraft. Wir kennen im Leben keinen Charakter, der so bewunderungswert ist als der, welcher durch Leiden gestählt worden ist. Dr. Spurzheim hat unter vielen andern weisen Aussprüchen auch den getan, dass kein weibliches Wesen sich verheiraten sollte, als nachdem es das Leiden kennen gelernt hat und ich möchte diesen Ausspruch noch erweitern, indem ich hinzufüge, dass auch kein Mann heiraten sollte, der nicht mit Leiden bekannt geworden ist. Gerade auf männliche Charaktere hat das Leiden einen erziehenden Einfluss. Es trägt dazu bei, Geduld und Innerlichkeit zu erzeugen. Es dient dazu, uns vor Oberflächlichkeit zu bewahren. Es trägt endlich dazu bei, uns in jene Quellen des Lebens zu versenken, die nicht allein die innerlichsten, sondern auch die tiefsten sind. Bei Bächen, die von den Bergen herabkommen, wird man bemerken, wie langsam, ruhig und lieblich sie im Anfange fließen; aber wenn sie zu einem Abgrund gelangen, so stürzt das Wasser sich plötzlich und unaufhaltsam bis auf den Grund und wenn es. keinen Ausweg findet, so wirbelt es um und um, ergreift Felsenstücke und wühlt sich beständig tiefer und immer tiefer, so dass an Austrocknen nicht zu denken ist; die Trübsale gleichen solchem Wassersturz. Sie vertiefen die Seele; sie sorgen dafür, dass es nicht in ihr dürre wird. So arbeitet die Trübsal an der Seele.

In unserm Text heißt es: „Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude. -“

O nein! Wenn du mir einen Apfel weisen kannst, der reif ist, sobald die Blüten gefallen sind, dann will auch ich ein Leiden zeigen, das sofort Freude bereitet. Auch das Leiden hat sein Wachsen und Reifen, und so lange es sich im Zustand des Reifens befindet, ist es sauer.

„Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit.“ Und sie ist gerade so traurig, als sie uns dünkt, aber sie ist es nicht so ausschließlich, wie sie uns dünkt. Denn es gibt noch etwas anderes in dieser Welt, als unsern Kummer und unsere Traurigkeit. Wenn du am späten Abend dich hinsetzen wolltest und nur auf das Kreischen der Eule hören, dann würdest du alles übrige, besonders die lieblichen Laute, mit denen die Luft erfüllt ist, überhören. Auch das Heimchen ist in den Feldern und die Nachtigall im Hain. Es gibt eben noch etwas anderes, als die Eulen; aber wenn du nur auf sie hörst, so wird ihr Geschrei in Deinem Ohr sich allein geltend machen, aber nicht, weil keine andern Laute vorhanden sind.

Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sie dünkt uns nicht allein, nein sie ist keine Freude; sie ist Traurigkeit.

„Aber danach!“ Dies danach schien mir immer wie ein goldenes Tor für denjenigen geöffnet, der in einem dunklen, schmutzigen Gang steht, um in einen weiten Saal voll Licht und Herrlichkeit eingelassen zu werden.

„Danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit, denen die dadurch geübt sind.“

Die Trübsal soll kein stumpfes, träges und gedankenloses Dulden sein. Sie soll ein Leiden sein, welches den Menschen aufrüttelt. Sie will uns den Brunnen des Heils erschließen. Sie will wie die Gartenschere den Saft des Weinstocks in Bewegung setzen, damit er besseres als nur Blätter hervorbringe. Sie will wie die Rute bei einem Kind wirken, welche es an seine Sünde erinnert, es aber auch zum Handeln in der rechten Weise anspornt. Sie will wirken, wie Alles was im Leben fördert und zur Entwicklung beiträgt bei denen, „die dadurch geübt sind.“ Aber bei denen, die ihre Hände aufheben und rufen: Alles ist verloren, für diese wird das Leiden zum Übel. Für diejenigen, die sich abwenden und sprechen: „Lasst uns essen und trinken und fröhlich sein, denn morgen müssen wir sterben,“ für sie gewährt das Leiden keinen Segen. Das Leiden ist nicht heilsam, wenn wir im Leiden, wie einst die Kinder Israel in der Wüste, sprechen: „In Ägypten hatten wir Zwiebeln und Melonen zu essen und hier müssen wir Hungers sterben.“ Ist es nicht besser als freie Menschen in der Wüste zu hungern, ja zu sterben, als geknechtet in Ägypten Zwiebeln zu essen? An manche Menschen kommt das Leiden und sie wissen nichts anderes damit anzufangen, als zu weinen und zu klagen und jammernd zu fragen, wie sie es loswerden könnten. Legt den Sattel der Geduld auf Euren Rücken und sprecht zum Leiden: „Steig auf und reite mich“ und dann nehmt das Zaumstück in euren Mund - und lasst euch leiten. Lasst euch zügeln und nehmt das Joch auf euch und duldet die Zucht Gottes. Tragt das Leiden bis ihr es bezwungen habt, so wie es euch zuerst bezwungen hatte.

Es kommt eine Zeit, nach dem Zorn, nach der Verzagtheit und nach dem Trübsinn, wo man anfängt sich dem Leiden unterzuordnen. Wie eine Taube, die meint, in den Krallen des Adlers zu sein und sich daher sträubt und sich zu befreien sucht; wenn sie aber aufblickt und merkt, dass es nicht der Adler ist, sondern die Hand ihres Herrn, welche sie hält, wenn sie weiß, dass ihr kein Leid geschehen wird, dann hört sie auf sich zu sträuben; ebenso erhebt sich der menschliche Geist gegen das Leiden und sträubt sich mächtig, bis eine Zeit kommt, wo die göttliche Gnade und Versöhnung im Leiden verwirklicht erscheint und dann hat sich das vollzogen, was im Text unter den Worten „geübt werden“ gemeint ist. Das Leiden fängt an sich in Freude, und der Kummer in Frieden zu verkehren.

Gesegnet sind die, welche dazu gelangen; wie weit sind trotzige Naturen davon entfernt! Zwischen dem jetzt, wo uns Züchtigung Traurigkeit zu sein scheint und dem danach, wo sie eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit wird, liegt ein langer mühevoller Weg für viele Menschen. Es könnte ein kurzer Weg sein, wenn wir schon in der Kindheit in Bezug auf geistige Forderungen vernünftig geleitet würden. Gottes Geist ist ein Geist der Freude, und lässt das Leiden nur zu, um durch dieses uns zu einer höheren Freude, zu einer größeren Kraft, einem edleren Dasein, zu einer reineren Harmonie und einer himmlischeren Liebe zu führen.

Lasst uns sehen, was Paulus über diesen Gegenstand sagt:

„Nicht allein das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt.“

Ein Mensch, der sein Leben lang wie auf glattem Strom dahinfährt, der ein glänzendes herrliches Leben führt, und sich unter schützenden Zweigen auf und nieder wiegen lässt, immer ruhig und gleichmäßig; ein Mensch, der eine solche Lebensweise hat, der ist nicht fester als ein Blatt und auch nicht mehr wert. Aber Menschen, die aufgerüttelt worden sind, die hundert mal in ihrem Leben nicht aus noch ein gewusst haben; Menschen, die gegen die Verzweiflung angekämpft haben, die wissen, was es heißt, Lasten tragen, unter denen sie beinahe unterliegen mussten, und die trotzdem ihre Bürde immer wieder auf sich genommen, und sie ohne Murren weitergetragen haben; solche Menschen haben Erfahrung gemacht.

Manche meinen, dass Erfahrungen uns wie wohlschmeckende Gerichte fertig auf den Tisch gelegt werden, aber nein, die Erfahrung ist das Kind der Trübsal; sie ist wie ein erstgeborener Sohn, der dazu bestimmt ist, den Segen zu ererben.

Aber was sagt Paulus? „Wir rühmen uns der Trübsal, weil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt; Geduld aber bringt Erfahrung.“ Warte nur, und leide Trübsal, dann wird auch die Geduld kommen. Und diese Geduld bringt Erfahrung. Wir gehen ein zum Leiden durch das Tor der Verzagtheit und kommen heraus durch das Tor der Hoffnung. Und durch diesen Weg werden die Menschen fester und zuversichtlicher. Das Vertrauen ist oft sehr fern, aber es kommt da, wo Geduld in Trübsal ist. Und wenn ich um mich schaue und unter meinen Bekannten edle Menschen sehe, die durch die Erfahrung der Trübsal erzogen sind, und auch schon Früchte gewonnen haben, dann ist mein Herz von Freude und Dankbarkeit erfüllt.

Gibt es Jemanden, der sich mehr über die kleinen Kinder der Stadt freuen kann, als ich? Sie sind ein fortwährender Preis Gottes in meinen Augen. Ich danke Gott in jedem neuen Lebensjahr, dass so viel Liebliches und Schönes in der Kindheit liegt. Kinder sind für mich wie liebliche Melodien und nicht, weil es meine eigenen, oder meiner Nachbarn Kinder, sondern weil sie Gottes Kinder sind. Die Straße ist voll von ihnen und es erscheint kein Gemälde und wenn es noch so schön gemalt wäre, meinen Augen so lieblich, als der Anblick, den mir Kinder gewähren. Und wenn sie dann aus der Kindheit in das jugendliche Alter getreten sind, ist mein Interesse für sie nicht geringer geworden. Es ist ein freudiger Anblick, ihr Wachsen und ihren Übergang in das Mannes- und Frauenalter zu beobachten. Und wer sollte nicht ein unaussprechliches Gefühl der Sympathie für diejenigen empfinden, die an den Altar treten, um den ehelichen Schwur zu leisten. Wenn ich Personen zur letzten Ruhe geleite und die letzten Liebesworte über ihrem Grab spreche, ist mein Herz nicht so bewegt, als wenn ich diejenigen zu segnen habe, die im Begriff stehen, gemeinschaftlich ihr Leben zu beginnen. Und doch, weder die Kindheit noch die Jugend, noch die, welche in der vollen Kraft und dem Genuss des Mannesalters stehen, erscheinen mir nur halb so schön, als diejenigen ehrwürdigen Personen, deren Antlitz von Sorge gefurcht ist, und die doch, nachdem sie durch Trübsal und Leiden gegangen sind, freundlich und lieblich anzuschauen sind. Blicken wir auf solche Menschen, die da aufgewachsen, in der Ehestand getreten und Vater oder Mutter geworden sind, die dann ihre Kinder verloren haben oder lange Krankheiten, Irrtümer, ja Verbrechen ihrer Kinder tragen und mit durchleben mussten, die die Last des Lebens oft drückend empfunden, die aber doch in der göttlichen Kraft sich aus ihrer Trübsal erhoben haben und nun, wenngleich die Linien in ihrem Antlitz von ihrem Leiden Zeugnis ablegen und ihre Wangen und Lippen ihre ursprüngliche Rundung und Fülle verloren haben, in ihrem Alter vor uns stehen in ihrem grauen Haar, das sie wie ein Heiligenschein umgibt, meint ihr wohl, dass es etwas Schöneres auf Erden gibt, als ihre hoffnungsvolle ruhige Heiterkeit? Wir fragen uns, warum die Engel sie nicht heimtragen. Solche Menschen sind für mich das höchste Ideal irdischer Schönheit. Und sie geben uns ein Beispiel, was Leiden wirken kann, wenn man ihm Zeit zum Wirken lässt.

Doch das Leiden ist nicht allein eine Erfahrung, die also segensreich wirkt, sondern nach dem göttlichen Ratschluss wird es ein Prüfstein der Liebe, der Selbstüberwindung und der Ähnlichkeit mit Jesus. Nicht sowohl in wie weit wir bereit sind, für Andere zu handeln, sondern inwiefern wir willig sind, für Andere zu leiden, ist der Prüfstein unserer Liebe zu ihnen. Du liebst je nach dem Du willig bist, lieber selbst zu leiden, als Andere leiden zu lassen. Du liebst nicht je nach dem Du Dich in der Gegenwart Anderer glücklich fühlst, auch nicht je nach dem Du sie selbst glücklich machst. Du kannst durch sie glücklich gemacht werden, oder sie mögen durch Dich sich glücklich fühlen, auch wo keine große Liebe vorhanden ist. Je nachdem Dir das wahre Wohl eines Menschen und sein edelstes Sein am Herzen liegt, je nach dem Du um seines Heiles willen selbst zu leiden bereit bist, je nachdem bewährt sich Deine Liebe zu ihm, und führt Dich sofort in die Reihen der Nachfolger dessen, „der, obwohl er reich war, um unsertwillen arm wurde, damit wir durch seine Armut reich würden.“

Zum Schluss dieser Betrachtung noch einige Bemerkungen.

1. Das Leiden darf nicht aufgesucht werden, als ob es an und für sich gut wäre. Alles wahre und segenbringende Leiden wird, sittlich betrachtet, aus den Notständen des Lebens entstehen und wird sich nach Deinem tatsächlichen Seelenzustand gestalten. Es besteht ein großer Unterschied zwischen der wahren Selbstverleugnung und der selbstquälerischen Askese. Viele Leute meinen, dass, weil Leiden unter gewissen Verhältnissen gut ist, es unter allen Verhältnissen gut sein muss; sie versagen sich passende Vergnügungen und vermeiden zweckmäßige gesellige Verbindungen. Aber das ist nicht Gottes Wille. Gottes Wille ist es, dass die Menschen Freude und Glück aufsuchen, und auf ihrem Lebensweg alles was das Leben bietet, sich zu Nutzen machen sollen, insofern es mit ihrem höchsten Wohl verträglich ist. Wenn dann das Leiden kommt, das aus sittlichen Notständen und geselligen Verhältnissen herrührt, dann ist es Zeit, es aufzunehmen, es zu tragen und seinen Charakter dadurch zu veredeln.

2. Man soll aber andrerseits das Leiden auch nicht fliehen, als ob es das größte aller Übel sei, weder mit Rücksicht auf uns selbst, noch auf unsere Kinder. Wir sollen unser Leben so gestalten und solche Pläne für uns und unsere Kinder machen, dass wir weder auf uns noch auf unsere Kinder Leiden durch die Übertretung eines Gesetzes bringen; aber wenn wir für unsere Kinder eine Burg errichten möchten, in die sie im Augenblick der Gefahr sich zurückziehen könnten, so würden wir aus ihnen nicht vielmehr als Muscheltiere erziehen. Wenn Du so gestellt bist, dass Du nicht zu leiden vermagst, das ist beinahe dasselbe, als wenn Du nicht erzogen werden kannst. Wir müssen unsere Kinder lehren, im Leben die edelsten Ziele auf die edelste Weise zu erreichen, ganz abgesehen davon, was für Gefahren damit verbunden sein mögen, dann werden unsere Kinder für jede Not und jede Trübsal, die ihrer harren könnte, gewappnet sein. Es ist nicht weise, sie durch zerklüftete Pfade zu leiten. Wenn Gott sie durch solche Pfade führt, gut; wenn er sie auf gefährliche, den Angriffen ausgesetzte Pfade führt, auch dann ist es gut. Der junge Offizier trägt, wenn es nötig ist, die Befehle seines Generals mitten durch das offene Schlachtfeld, auch wenn es von Gewehr- und Kanonenfeuer bestrichen wird. Am besten ist es, in unsern Kindern Mut und Kraft zu stärken, und nicht daran zu denken, wie wir sie am besten vor dem Leiden bewahren können, denn das Leiden hat eine göttliche Mission.

3. Ich bemerke weiter, dass es nicht weise ist, während wir leiden, zu viel nach dem Grund unseres Leidens zu forschen oder zu fragen, warum ist es uns gesandt und warum handelt Gott also mit uns?

Schau auf die Trübsal einer jungen Mutter. Ihr Leben war nur ein Gefühl der Freude, so lange die Wiege für sie eine Pforte des Himmels war; aber die Wiege ist leer und sie sitzt allein, und fragt: Was habe ich getan? Ich bin nicht schlechter, als jene Anderen, und ich habe mein einziges Kind verloren und sie haben fünf oder sechs Kinder und Gott hat ihnen keins genommen. Und sie erziehen ihre Kinder nicht wie ich meines erzogen haben würde.

O, törichte Mutter! glaubst Du, dass Leiden nur nach Verdienst kommt? Das Leiden kommt wie der Sommer. Es ist nicht klug, beim Herannahen des Sommers zu fragen: Ist es darum Sommer geworden, damit ich hundert Mandel Weizen und hundert Mandel Roggen ernte? Denkt Gott an solche Dinge? O nein, es war sein Wille, dass es von Dir abhängen möge, was Du für Nutzen aus dem Sommer ziehst.

Nun, Gott hat Dich unter die Zucht der Trübsal gestellt, nicht, damit Du fragen sollst: „Woher kam die Trübsal?“ sondern „was soll ich damit anfangen?“ Du musst nicht fragen „Warum wurde ich krank?“ sondern, „Da mich Krankheit befallen hat, was soll ich damit tun?“ Wir sollen nicht fragen: „Warum verlor ich solch einen Freund?“ Sondern: „Da ich solch einen Freund verloren habe, wie kann ich selbst nun ein eben so tüchtiger Mann werden?“ Frage Dich, wie Du das helle Licht unter der dunklen Wolke erkennen kannst; in andern Worten, suche das Leiden durch die Linse der Hoffnung zu erkennen. Sieh vor Dich und nicht hinter Dich.

Das Leiden kann eine Zuchtrute sein, es kann aber auch ein Szepter zum Herrschen werden. Mache es zu einem Szepter; herrsche damit und beherrsche es, so wird Gott in Dir herrschen.

4. Noch ein Wort. Alles Leiden liegt in der Hand dessen, der für uns gelitten hat. Es ist eine göttliche Fügung, aus vielen Teilen bestehend und geheimnisvoll, da wir nur einen Teil davon kennen. Wir erkennen es nur stückweise, aber dann werden wir es erkennen, so wie wir erkannt sind. Und dann wissen wir, dass Gott, Natur, Vorsehung und Gnade bestimmt, wie ein liebender Vater, und wie Jesus Christus, der Gekreuzigte, der sich selbst dahin gab, auf dass wir den Tod nicht sehen möchten.

Wir führen unser Leben unter dem Ratschluss eines Gottes, der da weiß, wozu das Leiden dient und was es wirken kann. Es gibt ein Herz im Universum, welches für Dich in warmer Liebe und unendlicher Sympathie schlägt.

Und selbst, wenn er tadelt, so tröstet und hebt er Dich, wie nur je eine Mutter ihr weinendes Kind getröstet hat, nämlich wenn Du es willst.

An Dir liegt es also, ob Du die Tröstungen, welche Gott für Dich bereit hält, annehmen willst; Deine Sache ist es, Dir die Gnade, die er Dir anbietet, anzueignen und Dich des Friedens teilhaftig zu machen, welchen er für Dich bereit hält. Deine Sache ist es, den Sieg über Dich selbst und Deine Verhältnisse zu erringen und dann Dich zu erheben und Zeugnis vor der Welt abzulegen, dass es Christus war, der Dich gelehrt hat zu leiden und den Sieg über das Leiden davon zu tragen. Es ist Deine Pflicht, Zeugnis abzulegen, dass Deine Kraft, Geduld und Weisheit Gaben von Gott waren durch die Herrlichkeit eines Leidens, welches, ob es gleich nicht Freude, sondern Traurigkeit war, doch danach die friedsame Frucht der Gerechtigkeit gewirkt hat.

Wenn Du alt bist und auf Dein Leben und die Trübsal, die Du durchgemacht hast zurückblickst, wirst Du dich freuen, dass Du sie durchgemacht hast. Wenn Du zurückschaust auf den unebenen Boden, über den Du gewandelt bist, und den dornigen Pfad, der Dich zu Reinheit, Glauben und Hoffnung geführt hat, dann wirst Du sprechen: Gott sei Dank dass ich leiden musste.

Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurückblicke, so halte ich nicht jene Perioden, wo ich mein Leben am meisten genoss, für die glücklichste, sondern diejenigen, wo ich viel zu leiden hatte, aber das Leiden zu tragen fähig war. Ich erinnere mich vieler Niederlagen, vieler Beschämung, vieler Demütigung im Leiden, aber bei alle dem sind die Zeiten, in welchen Gott mir Kraft gab es zu tragen, mich darüber zu erheben, und es zu einem Fittig zu machen, auf welchem ich mich über die Oberfläche dieser schmutzigen Erde hinweg zu schwingen vermochte, die kostbarsten Erfahrungen meines Lebens.

Möge Gott Dir Gnade geben zu leiden, wenn Trübsal für Dich gut ist. Und wenn Du auch durch Feuer und durch Wasserfluten zu wandeln hättest, so wird er mit Dir sein. Er führte sein Volk durch Wasser und durch Feuer und durch die Wüste in das verheißene Land und er wird auch Dich hinführen, wenn Du Dein Vertrauen auf ihn setzt. Führe Dein Leben hienieden in Liebe und Glauben, dann wirst Du eingehen in das ewige Leben.

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