Beck, Johann Tobias - Rede am Grabe einer zur Unzufriedenheit geneigten alten Frau.
Mergentheim, den 19. März 1836.
„Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben von Mutterleibe an, bis sie in die Erde begraben werden, die unser Aller Mutter ist. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod, sowohl bei dem, der in hohen Ehren sitzet, als bei dem Geringsten auf Erden. Da ist immer Zorn, Eifer, Widerwärtigkeit, Unfriede und Todesgefahr, Neid und Zank.“ Diese Worte des weisen Sirach (40,1 ff.) hält der Mensch selten für Wahrheit, m. Geliebte, so lange er selbst noch jung ist und leichten Sinns durch die Welt wandelt; aber wenn Einer älter wird, da verliert das Leben seinen guten Schein und Geruch wie eine Blume; da heißt es vom Schönen und Angenehmen: es war - ich war einmal fröhlich, hatte gute Ruhe und frisches Blut - aber das ist nicht mehr; geblieben dagegen ist mir, was schon in jungen Tagen mich belästigte und mir mißfiel in dieser Welt; ja so manche Last und Unruhe in meinem Leib und Hause ist noch dazu gekommen, die ich vorher gar nicht kannte. Wie oft konnte man Klagen hierüber ans dem Munde unsrer Verstorbenen hören, besonders während ihres Wittwenstandes, und wahrlich es wird Niemand sagen wollen, daß sie es besonders hart gehabt habe - aber so geht es mit dem Menschen: so lange er jung ist, will er nur recht alt werden und seiner Tage viel machen in der Welt; geht es ihm aber nach diesem Wunsche und er ist wohl betagt: da will ihm der Tag nicht mehr gefallen, der sonst ihn anlachte, und auch so möchte er doch keinen einzigen von den Tagen, die er noch ferner sich verspricht, abgeben an den Tod. Blick einmal um dich, der du schon durch manche Last hindurch gedrungen bist zum reiferen Alter, wenn auch noch nicht zum hohen Alter - in deinem Amt, deinem Hause, deinen persönlichen Umständen drückt dich bald diese bald jene Last; du kommst in immer mehrere Verbindungen hinein gegen vorher, hast desto mehr Gelegenheit, die Herzen und Wege der Menschen kennen zu lernen, aber was lernst du damit kennen? Ungerechtigkeiten, Falschheiten, böse Tücke der Menschen, von denen du vorher nichts wußtest! und was hast du davon? immer mehr Verdruß, Zorn, Eifer, Neid und Zank! Du denkst oft: endlich, endlich will ich einmal mehr zur Ruhe kommen; aber wie deine Jahre zunehmen, häufet sich auch deine Unruhe; deine Haushaltungs- und Familien-Sorgen werden größer, deine Munterkeit und Gesundheit schwächer; deine alten Freunde sterben weg, neue findest du schwerer; täglich finden sich neue Schwachheiten bei dir ein, und den Deinigen wirst du immer mehr zur Last; die Welt wird dir bitter und du wirst der Welt bitter, und - immer stärker predigt dir deine Erfahrung, was du früher gar nicht glauben wolltest: Alles unter der Sonne ist eitel!
Das ist's, m. L., was die Weisen der heiligen Schrift uns verkündigen, und was auch am Ende die bestätigen müssen, die Etwas nicht glauben, bis sie durch bitten, Schaden klug werden. Was gedenkst du nun zu thun, du, der du noch zu den Jüngeren gehörst und das gewöhnliche Menschenleben noch nicht für ein elend jämmerlich Ding ansiehst, sondern für ein gar süßes und liebenswerthes? Denkst du etwa: nun ich kann's schon erwarten, bis mir das Leben in der Welt bitter schmeckt - indeß will ich's genießen, so lange es mir gut schmeckt. Das Probiren steht allerdings bei dir, wenn du anders dir nicht helfen lassen willst; aber das wisse nur zum voraus: stirbst du, ehe du alt wirst, so ist dir der bittere Kelch damit nicht geschenkt, welchen die Menschen gewöhnlich im Alter müssen austrinken; dort drüben wartet noch ein bittrerer auf dich bei dem, der da sagt: du hast dein Gutes in der Welt empfangen, nun ist's billig, daß auch deine Plage kommt. Wirst du hier aber alt, dann ist's dir gewiß keine Versüßung der Altersbeschwerden, wenn du dir sagen darfst: ich habe mein Gutes in der Welt genossen - sondern nur um so verwöhnter ist dein Herz, um so herber nur ist nun der Abstand gegen die besseren Tage: du wirst ein grämlicher Mensch, murrst wider die Menschen und wider Gott, bist wie ein Rohr, das vom Wind hin- und hergeblasen wird, und indem der Docht deines Lebens verglimmt, verglimmt auch deine Freude, dein Gut, deine Hoffnung: nackt fährst du in die Grube, wie du von Mutterleib gekommen, und fürchtest dich vor dem Gott zu erscheinen, den du über der Welt um dich her vergessen hast, hast wenigstens keine Freudigkeit zu Ihm, welche in seinem Gericht bestehen kann, das auf dich wartet.
O besinne dich eines Besseren, meine Freunde, so lange du noch Zeit hast! bedenke, was zu deinem Frieden dient, und schaffe deine Seligkeit; denn dazu bist du in der Welt, nicht daß du nur eine Zeitlang das Leben hier für ein recht liebes und anmuthiges ansehest, und am Ende es kennen lernest als ein elend jämmerlich Ding, sondern daß du durch dasselbe bereitet werdest zu einem ewigen, seligen Leben, und hier schon unter all' den falschen Gütern und dem wahren Elend und Jammer dieses Lebens, hier schon dich selig machest in Hoffnung! Nicht dazu bist du jung und wirst alt, daß du am Ende Nichts davon habest als leere Hoffnungen und verwelkte Lust, Sorge und Furcht, Zorn und Unfriede, Neid und Zank, graue Haare und runzliche Haut; der Wille deines Gottes und Heilandes ist vielmehr das, daß du unter all' den Widerwärtigkeiten und Süßigkeiten dieses Lebens reich werdest an Glaube, Liebe, Hoffnung, an Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist. - Aber, sagst du, wie komme ich dazu? Wollten wir darüber erst mit einander selbst rathschlagen, und auch noch andere kluge Leute dazu nehmen, wir würden wohl allerlei Meynungen vorbringen und darum streiten; aber zum Einen Notwendigen, das für Leben und Sterben, für Jugend und Alter, Zeit und Ewigkeit Stand hält, würden wir's nicht bringen! Es gibt einen viel kürzeren und köstlicheren Weg für uns, der versiegelt ist, so alt die Welt ist - das Wort Gottes soll uns weisen, und das spricht: Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze, zum Jungseyn und Altseyn, und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. Uebe dich selbst in der Gottseligkeit; bist du auch noch jung, übe dich darin; frühe säe den Samen der heiligen Propheten und Apostel in dein Herz hinein und warte sein; denn du weißt nicht, ob du sonst in deinem Leben noch Zeit findest, und ob das auch wäre, so hast du nur desto größeren Segen davon! Bist du schon bei reifen Jahren, m. Z., siehe dein Gott, der den Jünglingen und Männern, den Jungfrauen und Weibern nachgeht in ihre Wege, daß Er sie in sein Reich sammle, Er ruft dir auch in der Abendstunde noch: gehe hin in meinen Weinberg, weihe dein Herz und deine Glieder meinem Dienste und thue, was ich dir sage in meinem Worte; bestelle dein Haus, damit es auf dem Fels meiner Gnade erbaut sey, wenn der letzte Stoß kommt; damit du zu den Sünden, die du in deiner Jugend begingst im Leichtsinn und Uebermuth des Vergnügens, damit du zu diesen nicht auch noch neue häufest durch Murrsinn und Unzufriedenheit unter den Beschwerden des Alters!
Unsre Verstorbene gehörte gewiß nicht zu den schlechten Personen, und hat sich immer einen guten Namen bewahrt - aber in ihren letzten Tagen hat sie sich mit Thränen noch angeklagt der Versündigungen, die sie gegen Gott und Menschen begangen durch Grämlichkeit und Unzufriedenheit im Alter, und hat Vergebung dafür gesucht mit Seufzen - möge Er, der das Herz erforscht, seiner Vergebung und Gnade es würdig gefunden haben; uns aber predigt Er auch durch diesen Todesfall die wahre Klugheit, daß wir unter dem Haschen und Jagen der Welt nach falschen und vergänglichen Gütern, unter ihrem Lachen und Weinen, Blühen und Verwelken das gute Theil erwählen, von dem Er sagt: es soll von denen, die es haben, nicht genommen werden. Amen.