Baxter, Richard – Selbstverleugnung - Das IX. Capitel.
Darinnen entdecket wird / wie grosse Macht die Selbheit in der Welt habe.
Daß nun die Ursach unserer Klage kund werde / so betrachte / wie groß die Tiranney der Selbheit sey in diesen besondern Puncten.
1. Betrachte / wie groß die Macht ist / die von Selbst untertretten wird. Es ueberwiget die Befehl des GOttes Himmels und der Erden: Es werden die Verheissungen des ewigen Lebens von ihme unter die Fuesse getretten: Es achtet nicht die Draeuung der unendlichen Hoellen-Pein: Es setzet den Himmel an die Seite / und wagets auf die Hoelle; Tritt das Blut JESU mit Fuessen / wil nicht hoeren die Worte der Weißheit selber / noch die Stimme der Guetigkeit und Warheit selbst: Verachtet den der vom Himmel redet: Die Liebe selbst ist nicht lieblich / wo Selbst Richter ist. Es daempffet alle Bewegungen des Geistes; Verachtet Lehrer und Prediger; Mißbrauchet der Gnade und Gaben GOttes zur Suende, und zerreisset wie Simson alle Baende / die ihme angeleget wreden / und kan die Seele darinnen es herrschet / nicht erhalten oder regieret / oder selig werden / es sey denn Selbst geschwaechet.
2. Betrachte die grosse Menge derjenigen / ueber welche Selbst herrschet. Gewißlich / wenn kein ander Beweißthum waere / daß gar eine geringe Zahl ist derjenigen / die da selig werden / so waere diß einige Beweises genug / so gar / daß es mich offt zwinget zu gedencken / es sey die Zahl der Seligen viel geringer / denn ich gerne wolte gedencken. Ach leider! Wie wenig selbst-Verlaeugnende findet man wol in der Welt! Ja auch in der Kirchen / und unter denen / die noch fuer andern Christen seyn wollen. Sihe die gantze Welt ueber / so wird sichs befinden / daß die wenigsten vor etwas anders / als fleischlich selbst rennen und arbeiten. Sihe an die Hoefe und Rath-Haeuser / und erwege / wornach man am meisten trachtet / und wessen Ehre man am meisten suchet: Sihe an die Kriegs-Heere / und bedencke / wer da regieret: Wirst du betrachten die Staat-Sachen gantzer Nationen und Staedten / die Kriege der Herren und Fuersten / und ihre Verbuendnissen / und wer dieses alles ordnet / da wird sich befinden / daß das meiste wird seyn vor Selbst. Selbst richtet Krieg an / und machet Friede, Selbst treibet alle Sachen. Gehe in die Gerichte / und sihe / wie viele Sachen dorten getrieben werden vor Selbst / seine Ehre und Gueter zu retten / wie wenig oder wol gar keine vor GOtt: Gehe aufs Land / und sihe wer es ist / der da pflueget und saeet / der Haushaelt und Acker bauet / als fleischlich Selbst? Dann / was anders / als Selbst ist ihr Ende? Es ist Selbst / das sie suchen / Selbst / das sie regieret / Selbst / oder eigen Nutz / eigen Ehre / und eigen Lust / das gesuchet wird / und darum man arbeitet. Mit einem Wort: Wie GOtt den Heiligen und Glaubigen ist alles in allen / also ist Selbst denen Ungoettlichen alles in allen. Ach wehe / wie ist derselben so eine grosse Anzahl.
3. Betrachte / es ist eine Suende / die uns ihrem Objecto nach / naeher ist denn sonsten einige: Und je naeher sie ist / je gefaehrlicher ist sie. Ach daß ein Mensch sein eigen Fleisch ihme soll zu Gifft machen / und sein eigen Verderben ernehren! wenn einer Gifft getruncken hat / der mag es wider von sich geben / oder die Natur mag viel dabey thun es auszuarbeiten; Allein wenn dein Blut / und natuerliche Feuchtigkeiten / deine Lebens-Geisterlein Gifft geworden sind / die dich ernehren / und dein Leben erhalten solten / wie mag dieser Gifft ausgetrieben werden?
4. Ferner / es ist die Selbheit die allerunvertreiblichste Kranckheit in der Welt. O wie viel Wunden kan Selbst ertragen / und doch dieselbe alle wider zusaugen und heilen / und lebendig bleiben. Wie oft ueberweisen wir einige fleischliche Menschen / daß Eins noth ist / und daß er etwas bessers suchen und erwehlen muß als Erden und Ehre und Lust / oder er ist ewig verloren; und daß je mehr er hat / je mehr er verlassen und verlaeugnen muß / wil er anders selig werden / und daß alle seine Laendereyen / Gueter / Ehre / Verstand und Klugheit / und alles Vermoegen muß allein ihrem Schoepffer und Erloeser zu Dienste seyn / und daß / wenn er alles hat in der Welt / so viel als mueglich kan erworben werden / daß er nichts / und GOTT ihme alles werden muß: Daß er seinen Schatz muß vor Koth und Dreck / ja vor Schaden achten / und GOtt muß sein Schatz werden / oder er ist verloren: Ich sage / wie offt ueberweisen wir Leute aus allen Staenden / in diesen Dingen? Und doch bleibet Selbst lebendig / und besitzet ihr Hertz / und alles was wir aufs hoechste von ihnen haben kkoennen / ist / daß sie / wie jener reiche Juengling / Luc. 18/ 23. 24. traurig hinweg gehen / daß sie den Himmel nicht leichter haben moegen / und daß Christus nicht wil Selbst zu Dienste seyn / oder daß sie nicht moegen zween Herren dienen: Sie gehen zwar betruebt hinweg / (aber doch weg gehen sie / ) dieweil sie reich sind / welches denn Christum verursachet zu sagen: Wie schwerlich werden die Reichen ins Reich GOttes kommen? Als aber die Juenger sich in diese Rede nicht finden kunten / lehret er sie / es sey Selbst / und nicht der Reichthum der toedtliche Feind. Es sind die Selbstischen / die ihr Vertrauen auf Reichthum setzen / und selbigen lieben und gebrauchen vor sich selbst / und verlaeugnen nicht sich selbst / und wiedmen alles zu GOtt und Befoerderung dessen Ehren / die durch ihren Reichthum aus dem Himmel geschlossen werden: oder in Christi Worten zu reden / Luc. 12/ 21. Wer ihme Schaetze samlet / und ist nicht reich in GOTT. Ueberwinde Selbst / so hast du alles ueberwunden.
5. Ferner: Selbst ist die bestaendige Kranckheit / eine Suende die uns immer anklebet / und zum wenigsten traege machet. Viele wuerckliche Suenden moegen abgeleget werden / und wir moegen auf eine Zeitlang von denselben befreyet sein. Allein Selbheit ist uns ans Hertze gewachsen / und lebet allezeit / und wohnet in uns; Es weichet nicht von uns / wir schlafen oder wachen: Es gehet mit uns zum Gottesdienst: Es bleibet nicht zuruecke / in den heiligen Ordnungen GOttes / es menget und drenget sich damit ein / und verderbet alles. Daß also ueber alle Suenden in der Welt / man gegen diese am allermeisten wachen muß / oder wir werden nimmer Friede davor haben.
6. Ja / diese Selbstheit lebet leider noch allzuseh auch in den rechten Heiligen / und verunruhiget deren Hertzen. Nicht daß ein Gottseliger Mann die Selbheit in sich herrschen haben kan; oder daß Selbst in dem Hertzen eines Gottseligen mehr vermoege als GOtt; Dann / das kan nicht seyn / ein solcher Mann kan nicht Gottselig seyn / es sey denn / daß die Bekehrung dazu komme: Aber / doch auch das hinterbliebene von ueberwundenem / und schier getoedtetem Selbst / was einen Dampf machet das in unsern Versammlungen / und was einen Gestanck in dem Leben der Gottseligen? Was haben wir bißweilen zu thun mit denenjenigen / davon wir hoffen / daß sie Gottselig sind / ehe wir sie bringen koennen ein unpartheyisch Urtheil zu faellen von ihnen selbst; zu bereuen ihre eigene unnuetze Reden / oder andere Fehler: Sich selbst zu demuethigen / und deme der ihnen unrecht gethan / von Hertzen zu vergeben: Insonderheit eine Suende / die ihnen Schande bringen moechte / zu bekennen ohne Beschonung oder Bemaentelung? Wie vest halten sie an irgen eigenen Duenckel? Und wie gebrauchen sie denselben so uebel zu Verachtung der Prediger / Unruhe und Trennung der Kirchen? Wie weise sind sie in ihren eigenen Augen / und wie schwerlich folgen sie einen Rath / der Selbst zu wider ist? Wie schwer sind sie zu bringen Gott den Dienst zu thun / der ihnen schwer ankommet / wie geben sie ihren Appetit und Passionibus oder Affecten so grosse Freyheit? Man weiß kaum / wie man etlichen unter ihnen gefallen soll / so Selbstisch sind sie; Entweder / daß wir ihnen zuwider sind in ihren Meynungen / oder in ihrem Wandel. Oder / daß wir sie nicht so viel respectiren und in acht nehmen / als Selbst wolte respectiret seyn: Oder / daß wir ihnen etwas versagen / das Selbst haben wolte. Wo sie unser noethig haben / und wir nicht alsobald unser Amts-Geschaeffte und GOttes Werck versaeumen / und ihnen mit unserer Zeit und Arbeit aufwarten / oder auf andere Art sie GOtt und unseren eigenen Gewissen vorziehen / so nehmen sie es uebel auf. Sie lieben sich selbst so / daß sie meynen / alles soll bey seit gesetzet werden / ihnen zu dienen.
7. Aber die Macht des fleischlichen Selbst ist noch hoeher. Ob es schon erschroecklich ist zu gedencken / daß es so grosse Krafft hat / bey jemand der Gottes Gnade hat; So ist es noch erschroecklicher / daß es so maechtig ist / bey den weisesten und gelehrtesten Obrigkeiten und Predigern / die sonsten seine groessesten Feinde seyn solten. Die Obrigkeit / als Obrigkeit / ist zu befoerdern das gemeine beste. Die Societates Politicae, die da bestehen von Ober-Herren und Unterthanen / werden daher genannt das gemeine Wesen / oder Beste von der End-Urrsach / welche ist das Beste der Gemeinen oder aller; Daß es also ein wesentlich Stueck der Obrigkeit ist / das gemeine Gut zu befoerdern. Und dennoch kriechet Selbst ein / und hat solche Krafft bey den meisten unter ihnen / daß man schwerlich wissen kan / ob sie auch noch das rechte wesentliche Stuecke der Obrigkeit an sich haben / und also werth sind / daß sie Obrigkeit moechten genennet werden. Aber noch elender und klaeglicher ist es / daß die gelehrten Gottseligen Prediger so wenig Selbst-Verlaeugnung bey sich haben / als man an den meisten sihet. Ach! daß Prediger nicht bedencken / wie uebel CHristo gefiel der erste Streit / den seine Juenger unter einander hatten / welcher der groesseste unter ihnen seyn solte; Und daß sie nicht ihren Hertzen vorstellen das Bild Christi / der ein Kind ihnen vorstellete / sich hernach selbst auffschuerzete / und ihre Fuesse wusch. Ich halte davor / die Leute die von diesem Dinge ein Heiligthum und Sacrament machen / die irren viel weniger / als die es gantz vergessen. O betruebter Zustand! darueber billich alle mitleidige Glieder der Kirchen Christi taeglich weinen moechten / daß die Gelehrten / eiferige Hirten der Kirchen / die Anfaenger / und Fortsetzer ihrer Trennungen sind / und wenn sie Gelegenheit und Mittel zu heilen haben / so mangelt ihnen der Wille; und so viel vom Selbst lebet in ihnen / daß ob schon GOtt von ihnen Fried und Einigkeit erfordert / und die blutende Kirche es gleichsam auf den Knien von ihnen bittet / dennoch so hat Selbst solche Macht ueber sie / daß Gott nicht gehoeret / und die Kirche nicht beobachtet werden mag / sondern Friede und Gottesfurcht muß alles dem eigen-Willen und selbst aufgeopffert werden. Eben als wann sie Selbstes-Priester waeren / und die Ehre GOttes neben dem Friede und Einigkeit der Kirchen waere das taegliche Opffern / daß sie selbst zu opffern schuldig waeren. Es kan kaum eine Proposition gemacht werden / Einigkeit zu befoerdern / alsobald wird ein oder ander Selbstischer Prediger der guten Meynung widerstreben / unter dem Schein es zu verbessern / und Ungelegenheit zu verhueten. O hochwuerdiges und hoch zu ehrendes Predig-Amt / wenn wir unsere Ehre suchen in der Gestalt der kleinen Kinder / und in Achtung uns vor aller Knechte! O glueckselige Kirche / und reich in Heiligkeit und Friede / wenneinmahl Seel-Sorger und Zuhoerer besser erfahren und geuebet waeren in Selbst-Verlaeugnung! Ich muß bekennen zu Ehr und Lob der Gnaden GOttes / ich habe das Glueck gehabt / mit unterschiedlichen solchen Predigern und Zuhoerern umzugehen / und haben wir allerseits nicht geringen Nutzen von solcher Vertraulichkeit gehabt: Allein / ein selbtsuchender / und ungeheiligter / unwidergebohrner Prediger ist genug / eine gantze Gesellschafft zu verwirren / und vieler gutes Vornehmen zu verstoeren. Und wie viel sind leider derselben / die schier von nichtes anders reden / als von ihren Meynungen / oder von ihren fleischlichen Sachen: und sind nicht in der Erndte Gottes / als Erndter / einzusammlen / sondern als wilde Theire / die eingebrochen sind / zu verderben / oder / wie Simsons Fuechse / alles in Feuer zu setzen / die da auf und nieder rennen mit Feuer-Braenden an ihren Schwaentzen / und Stacheln in ihrem Munde / welches sie nennen mit dem heiligen Namen Christlichen Eifer.