Baur, Wilhelm - Jesus Christus, unsere Versöhnung - Sonntag Lätare.

Baur, Wilhelm - Jesus Christus, unsere Versöhnung - Sonntag Lätare.

Wer hat dich so geschlagen
Mein Heil, und dich mit Plagen
So übel zugericht'.
Du bist ja nicht ein Sünder,
Wie wir und unsre Kinder,
Von Übeltaten weißt du nicht.

Ich, ich und meine Sünden,
Die sich wie Körnlein finden
Des Sandes an dem Meer,
Die haben dir erreget,
Das Elend, das dich schläget
Um das betrübte Marterheer. Amen.

Geliebte, unter dem Kreuz versammelte Gemeinde! Das Leiden und Sterben unsers Heilands gibt der gegenwärtigen Zeit des Jahres ihre eigentümliche Stimmung: einen tiefen Ernst der Selbstbetrachtung durch die Betrachtung des einzig Sündlosen, der den Sold der Sünde, den Tod, in einzig schwerer Weise bezahlt hat. Wir sehen ihn in Gethsemane, auch von den liebsten Menschen im Todeskampfe allein gelassen, und fragen uns, wie weit denn unsere Liebe geht, mitzuleiden mit den Leidenden und auszuharren, wenn die Fluten des Jammers, hier eine Tiefe und da eine Tiefe, daherbrausen. Wir sehen, wie der Hass des Verräters sich in das Gewand der Liebe kleidet, wie der Jünger, der sich für den Meister mit Leib und Leben dahingeben sollte, ihn für irdischen Gewinn in die Hände der Feinde liefert, und fragen, wie die Jünger vor der unseligen Tat getan haben: Bin ich's? Bin ich's? Ist in mir nichts mehr von dem Judassinn, der das Höchste für das Gemeinste opfert? Petrus Verleugnung tritt uns vor die Seele - ach, sollten nicht auch wir bitterlich weinen? - Vor dem hohen Rat, vor den Hohenpriestern, Ältesten und Schriftgelehrten steht Christus, und die vor ihm die Knie beugen sollten, stoßen ihn aus dem Volke hinaus als einen Übeltäter. Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf - gilt das nicht auch uns? - Pilatus und Herodes schließen Freundschaft am Tage seiner Schmach, sie reichen sich die Hände über dem Opfer, das sie nicht als das Lamm Gottes zu ihrer Sünden Versöhnung erkannt haben, und wir sehen durch diese Freundschaft mit Beschämung gebrandmarkt auch gar manche heutige Verbindung, welche der Unglaube kalter Köpfe und die Lüsternheit heißen Blutes eingeht, um den Herrn Preis zu geben. Und wenn er dann hinaufschreitet nach Golgatha, auf dem von der Geißel zerschlagenen Rücken das Kreuz, die Stirn von Dornen verwundet, das Antlitz voll Gnade und Wahrheit zerschlagen und zur Erde gebeugt, das Herz matt und krank in leidender Liebe es ist so natürlich, dass die Töchter Jerusalems anfangen zu klagen und zu weinen. aber gilt uns nicht wie ihnen die Mahnung: weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und eure Kinder! - Und wenn er zuletzt nach unsäglichen Qualen sein Haupt neigt und verscheidet - es ist ganz billig, dass die Erde bebt und die Sonne ihren Schein verliert, aber sollte unser innerstes Wesen nicht auch erschüttert werden und ein Trauerflor sich über unsere Seele breiten, dass der Heiland also leiden musste! Es ist heilsam, liebe Christen, in des Herrn Leiden und Sterben uns selbst zu spiegeln. Aber je länger wir hineinschauen, desto gewichtiger drängt sich uns die Frage auf: warum Christus solches leiden musste? warum der Einzige, der von keiner Sünde wusste aus eigener Erfahrung, doch durch eigene Erfahrung der Sünde Folgen in ihrer furchtbarsten Gestalt kennen lernen sollte? Wir begreifen, warum Gott einen Joseph Angst, Knechtschaft, Schmach, Gefängnis erdulden, warum er einen Hiob seine Hand schwer fühlen lässt, warum er auch an uns die Rute nicht spart, denn wir bedürfen der Züchtigung, der Läuterung, aber was sollte die Züchtigung dem, über welchen der Vater ausrief: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe? Die Läuterung dem, welcher nie eine Sünde getan und in des Munde nie ein Betrug erfunden worden? Und wenn der von Gott auf die Erde Gesandte, so lange er hier wallte, Teil nehmen musste an dem Wesen dieser Welt, wenn nicht in Sünde, doch in Elend, warum hat ihn der Vater nicht ohne Tod zu sich zurückgenommen, wie Henoch und Elia? Und wenn er sterben sollte, warum gab er ihm nicht jene Heiterkeit, mit welcher viele vor ihm und nach ihm den Todeskelch ausgetrunken haben? Warum hat ihn ein Zittern und Zagen erfassen müssen, wie keinen andern, warum hat der Vater trotz dem beweglichen: Abba, mein Vater, ist's möglich, so nimm diesen Kelch von mir! den Kelch ihn dennoch trinken lassen bis auf den letzten Tropfen? Warum, liebe Freunde, warum? Wir stehen hier vor einer Tiefe, in welche oberflächliche Menschen nicht hineinschauen mögen, auf deren Grund auch die tiefsten Geister bis heute nicht haben blicken können, in die wir aber unsere Gedanken immer wieder versenken müssen, vor der schauerlichen Tiefe unserer Sünde, vor der geheimnisvollen Tiefe der Liebe Gottes. Es ruft aus der einen heraus: Wir sind Kinder des Zornes von Natur! Es ruft aus der anderen: Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber. Versöhnung, das ist die Antwort auf das Warum, das uns bei der Betrachtung der Leiden des Heilandes sich aufdrängt. Davon haben wir heute zu reden. Wir singen zuvor:

Lamm Gottes, unschuldig
Am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
Allzeit funden geduldig,
Wiewohl du warest verachtet.
All Sünd hast du getragen,
Sonst müssten wir verzagen,
Erbarm dich unser, o Jesu. Amen.

Text: 2. Kor. 5, 17-21.
Darum, ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit ihm selber versöhnt hat durch Jesum Christum, und das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christo, und versöhnte die Welt mit ihm selber, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott. Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.

Auch heute, meine lieben Freunde, wie an den letztvergangenen Sonntagen, sagt uns die Epistel, dass das neue Leben, das wir vor Gott führen sollen, eine Gabe Gottes ist. Der Apostel Paulus, nachdem er sich eben erinnert, wie es sonst mit ihm gestanden, ruft fröhlich aus: Ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden. Und sogleich fährt er fort: Aber das alles von Gott, der uns mit ihm selber versöhnt hat durch Jesum Christum. So beruht also unser gottgefälliges Tun auf einer Tat Gottes und indem diese Gottestat Versöhnung genannt wird, wird all unser gottgefälliges Tun auf einen gottgefälligen Herzenszustand zurückgeführt. Das ist aber der gottgefällige Herzenszustand, dass zwischen uns und unserm Gott keine Kluft früherer Verschuldung, keine Scheidewand ungöttlichen Strebens, dass zwischen ihm und uns alles im Reinen ist, dass wir unser ganzes Wesen offen vor ihm ausbreiten und wir mit offenem Kindesauge sein Wesen anschauen. Und dass das so sein könne, dazu haben nicht wir, dazu hat Gott den ersten Anstoß gegeben, das haben nicht wir, das hat Gott zu Stande gebracht. Und darum bekennen wir mit Paulus: Das alles von Gott, Wollen und Vollbringen, die Erregung unserer Sehnsucht zu ihm zurück, der mächtige Ruf seiner Gnade, die Zusicherung, dass alle Sünde uns vergeben sei, die Herstellung einer Kindschaft, in der wir, sonst durch Furcht des Todes und Gerichtes Knechte, ganz zutraulich rufen dürfen: Abba, lieber Vater! Wollen wir also von der Versöhnung reden, so haben wir nur Gottes Liebe zu preisen, die an uns getan, was wir nicht tun konnten. Lasst uns denn heute betrachten:

Gottes Liebe in der Versöhnung der Welt mit ihm selber.

Wir werden diese Liebe erkennen, zuerst darin, dass sich Gott mit der Welt hat versöhnen wollen, sodann in dem Opfer der Versöhnung, das er selbst gegeben hat und zuletzt darinnen, dass er, nachdem er eine über alles Verstehen herrliche Versöhnung bereitet, uns bitten lässt: wir möchten sie doch annehmen. - Ach, dass das Wort, welches die Versöhnung predigt, durch des Geistes Wirkung uns heute recht innerlich zur Versöhnung stimmen möchte!

I.

Gottes Liebe erkennen wir darin, dass er sich mit der Welt hat versöhnen wollen. Darauf lasst uns zunächst unsere Gedanken richten. Was sind das doch für Offenbarungen der Liebe in unserer Epistel! Gott versöhnte die Welt mit ihm selber; er rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu; er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Warum hat er die Welt nicht Welt sein und als Welt zu Grunde gehen lassen? Warum hat er den Sündern ihre Sünden nicht aufgerechnet und hat sie den Sold dafür bezahlen lassen, den ewigen Tod? Warum hat er die Ungerechten in ihrer Ungerechtigkeit nicht verkommen lassen und hat sich ein Geschlecht, das heilig wäre, nicht aus dem unheiligen hergestellt, sondern ganz neu geschaffen? Die Liebe war zu mächtig. Oder dünkt es dir keine besondere Liebe, dass Gott die Sünder nicht von sich stieß, sondern an sich zog? Lasst uns doch bedenken, was die Schrift sagt: Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht und die Sünde ist das Unrecht. Die Sünde ist nicht etwa nur eine Krankheit, die dem Menschen ankäme, ohne dass er dafür verantwortlich wäre. Die Sünde ist nicht etwa nur eine Torheit, über welche der Mensch sich selbst durch ein klügeres Verhalten hinweg helfen könnte. Nein, die Sünde ist ein Unrecht gegen Gott, eine Empörung wider Gott, der Sünder nimmt Gott die Ehre, die ihm allein gebührt und setzt die Kreatur an des Schöpfers Stelle; er vergeudet die von Gott ihm anvertrauten Güter, ja, sich selbst, der Gottes Eigentum ist, will er dem rechtmäßigen Eigentümer entwenden. Wer sündigt, lässt sich mit Gott in einen feindseligen Kampf ein und muss sehen, wie er auskommt. Was wird Gott tun? Wird er seine Ehre, sein Recht, seinen Besitz, wird er seine Persönlichkeit nicht wahren? Wird er sagen und nicht halten, reden und nicht tun? Wird er seine Ehre den Götzen geben, sein Recht mit Füßen treten lassen, sein Eigentum nicht zurückfordern? Sagt nicht, dass das müßige Fragen seien, aus leeren Gedanken hervorgegangen, denn zwei Gedanken sind es doch gewiss, die in unser Leben eingreifen: der Gedanke von uns selbst und der Gedanke von Gott. Der Gedanke von uns selbst, die Selbsterkenntnis, deckt uns unsere Sünde auf; der Gedanke von Gott, die Gotteserkenntnis, zeigt uns einen Gott, der nicht Gott wäre, wenn er die Sünde nicht hasste. Darum finden wir, dass diese beiden Gedanken die Geister, die recht zu denken verstehen, bis aufs Mark des Wesens erschüttern. Wehe mir, ich vergehe, ruft Jesaia aus, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen, denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen (Jes. 6,5). David klagt von der Zeit, da der heilige Gott nur als heiliger Gott vor seinen Augen stand und die Sünde ihn drückte: Da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird (Ps. 32,3 u. 4). Paulus ruft in Angst der Sünde aus: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leib dieses Todes (Röm. 7,24). Luther beschreibt den Zustand, da er noch unter dem Zorn Gottes stand: „Mein guten Werk, die galten nicht, es war mit ihn'n verdorben; der frei Wille hasste Gotts Gericht, er war zum Gut'n erstorben, die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts, denn Sterben bei mir blieb; zur Hölle musst' ich sinken.“ Und aus neuerer Zeit haben wir das Zeugnis des Knechtes Gottes Ludwig Harms, welcher von sich sagte: „Ich habe mich niemals in meinem Leben gefürchtet, aber als ich zur Erkenntnis meiner Sünde kam, da habe ich gebebt vor dem Zorn Gottes, dass mir die Glieder zitterten.“ Das kommt daher, dass wir Unrecht getan haben gegen Gott, dass wir durch die Sünde seine Person, ihre Ehre, ihr Recht, ihr Eigentum angetastet haben. Was wird er tun? Wird er die Sünder gehen lassen, als wäre ihre Sünde nicht Unrecht gegen ihn? Das hieße sich selbst aufgeben! Wir hätten dann keinen Gott, der in Heiligkeit des Wesens nach einem heiligen Volk Verlangen trägt! Das wär' ein Gedanke, den wir nicht ertragen könnten! Wird er den Sündern die Sünde zurechnen? Das hieße uns aufgeben! Wir wären dann dem ewigen Tod preisgegeben! Das wär' ein Gedanke, der uns in Verzweiflung stürzen müsste, in des Todes Schrecken bei lebendigem Leib! Gibt's denn kein Drittes? Bleibt denn nur die Wahl, dass Gott entweder sich aufgibt oder uns aufgibt? Gibt's denn keinen Weg, auf dem die Person bleibt, was sie ist und sich dennoch hingibt? Ja, einen solchen Weg gibt's, er heißt Liebe. Und Gott ist die Liebe. Er ist nicht die Gerechtigkeit, er ist die Liebe. Die Gerechtigkeit ist eine einzelne Eigenschaft an ihm, die Liebe ist sein ganzes Wesen. Die Liebe weist das kalte Recht an ihr warmes Herz zu drücken, dass es von ihrer Glut durchdrungen und gemildert werde. Die Ehre Gottes, das Recht seiner Person verlangt eine Sühne für die Sünde, ein Opfer für das Unrecht. Die Liebe Gottes, sein sich hingebendes Wesen spricht: ich will die Sühne selber schaffen, ich will das Opfer selber stellen. Die Sünde hasst er, die Sünder liebt er. Darum erfindet er eine solche Versöhnung mit den sündigen Menschen, dass die Sünde getilgt wird und der Sünder lebt. Seht da, liebe Christen, wie groß die Liebe Gottes zu uns ist, wie er sich nach uns sehnt, wie er erbarmend zu uns sich niederneigt, wie er uns lockt und zieht, um uns wieder bei sich zu haben! Warum denn das? Warum lässt er mich nicht im Verderben? Seine Liebe ist zu stark. Warum schafft er sich nicht ein anderes Geschlecht? Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in diese Hände hab' ich dich gezeichnet, spricht der Herr. Ich hatte Gottes Zorn verdient und soll bei Gott in Gnade sein. Er hat mich mit sich selbst versühnet und macht durchs Blut des Sohns mich rein. Warum? Ich war ja Gottes Feind? Erbarmung hat's so treu gemeint!

II.

Gottes Liebe erkennen wir ferner in dem Opfer, welches er für unsere Versöhnung selber dargestellt hat. Martin Luther fährt fort, nachdem er die Angst und Verzweiflung seiner Seele geschildert hat: „Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen. Er dacht' an sein Barmherzigkeit, er wollt' mir helfen lassen. Er wandt' zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz, er ließ sein Bestes kosten.“ Und wir sprechen mit Paulus: Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selbst und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu. Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. O Wunder der Liebe, das kein Mensch fassen kann! Denen, die voll Sünde sind, wird keine Sünde zugerechnet, und dem, der keine Sünde getan, wird alle Last der Sünde aufgeladen! Das hat die Liebe so ausgedacht, so ausgeführt, damit wir leben dürften! Lasst uns doch ein wenig bei diesem Wunder betrachtend, anbetend stille stehen! Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selbst. Von Gott war Christus auf die Erde gesandt, eine Versöhnung zu Stande zu bringen. Und da er auf Erden wandelte, niedrig, gering, in Knechtsgestalt, ganz wie ein anderer Mensch und auch an Gebärden wie ein Mensch erfunden, war allezeit Gott in ihm. Nicht einen Engel hat Gott gesandt, nicht einen Propheten, wie die andern Propheten, sondern sein eigenes Wesen, sein innerstes Herz, seinen Sohn, den Abglanz seiner Herrlichkeit, der die Fülle der Gottheit leibhaftig in sich trug, der sprechen konnte: Ich und der Vater sind eins; wer mich sieht, der sieht den Vater. Gott war in ihm und Gott blieb in ihm. Denn er wusste von keiner Sünde aus eigner Erfahrung. Er sah die Sünde in den Gräueltaten der Menschen seine Speise war, den Willen des Vaters zu tun; er hörte die Sünde in den Worten, welche die Fülle des argen Herzens ausströmten - sein Wort war lauter Gnade und Wahrheit; er sah als Herzenskündiger in dem Menschen das wüste Gemenge sündlicher Regungen - er wusste von alledem nichts. Nun war endlich einmal ein Reiner auf Erden. Was der erste Adam gesollt, Gottes Wesen in einem Menschenleben rein abspiegeln, das leistete der zweite. Die Liebe Gottes, die jedes Menschenherz erfüllen sollte, hatte doch endlich einmal ein Herz bis zum Brechen voll gemacht. So lange Menschen auf Erden wandelten, hatte Gott vom Himmel auf ihre Wege herabgeschaut, ob Jemand klug sei und nach Gott frage. Aber sie waren alle abgewichen und alle untüchtig geworden. Da war keiner, der Gutes tat, auch nicht Einer. Nun aber war der gekommen, den Gott selbst gesendet, und sein Auge ruhte mit Wonne auf ihm und er rief es über der Erde aus: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!

Bis hierher, meine Lieben, klingt alles klar und lieblich, aber was muss ich weiter verkündigen? Hat nun dies reine Leben des Lebens Lieblichkeit auf Erden ungetrübt geschmeckt? Wir hielten ihn für den, der von Gott geplagt und gemartert wäre. Fielen ihm die Menschen zu als ihrem König? Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Sie sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die ihnen gefallen hätte! Breiteten sich die Güter dieser Erde vor ihm aus? Er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegte. Schlang sich um seine Stirn der Kranz der Ehre? Eine Dornenkrone trug er als der Allerverachteste und Unwerteste. Ging er, wie er ohne Sünde war, ohne Schmerz durchs Leben? Es war kein Schmerz wie sein Schmerz. Gott ließ es zu, dass an seinem Sohn, dem Gerechten, die Sünde völlig Sünde ward, die völlige Sünde hat nicht gerastet, bis sie die völlige Liebe an's Kreuz geschlagen. Und nachdem die Sünde am Sündlosen vollendet worden war, ward nicht der Sünder mit der Sünde Strafe belastet, nein! der Sündlose trug die Strafe. Gott hat den, welcher von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht! O wunderbare Wege Gottes! Da liegt er im Staub des Gartens Gethsemane wie ein Missetäter, den seine Schuld niederdrückt - und ist doch Gottes lieber Sohn! Da geht er durch alle Dornen und Spieße und Nägel und Schläge des Gerichts hindurch, als ob an ihm die Sünde einmal gründlich gezüchtigt werden müsste und er weiß von keiner Sünde! Da hängt er zwischen den Übeltätern als der Übeltäter größter, der Gott gelästert und ist doch der Abglanz Gottes! Und Gott reißt ihn nicht heraus - er selbst macht ihn zur Sünde! Er will, dass er leide, dass auf seine Schulter das Holz des Fluches drücke, dass durch seine Seele die Todesangst und Höllenqual gehe, die dem Sünder zukommt, dass er in den letzten Stunden sich von Gott verlassen fühle! Seht, welch ein Mensch! wie ist er doch zu Schanden geworden! Wie verdient ist doch der Spott aus dem Munde des Übeltäters: Bist du Gottes Sohn, so hilf uns herab! Das Kopfschütteln der Vorübergehenden und ihre Rede: Er hat andern geholfen und kann sich selbst nicht helfen! Wie verdient alle die Last, die auf ihm liegt! So sieht es aus, aber Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt! Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber. Wir sind in Christo versöhnt, wir haben in Christo Frieden, wir sind in Christo gerecht und haben in Christo Freudigkeit für die Erde und den Himmel. Das also ist der Liebe Meisterwerk gewesen, dass sie, um uns Sünder zu schonen, die Sühne selbst stellte, dass der Vater den Sohn für uns dahingab, dass der Sohn willig für uns der Sünden Sold im qualvollsten und schmählichsten Tod bezahlte. Nun ist dem heiligen Ernste Gottes Genüge geworden, und doch hat die Liebe triumphiert. Nun sind wir in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, Gottes liebe Kinder. O wunderbarer Wechsel! Unserer Sünden Kleid hat Christus getragen, wir gehen im Gewand seiner Unschuld. Unserer Sünden Schmerzen hat er gelitten, wir schmecken die Freuden seines Gehorsams. Der Sohn war wie ein von Gott Verstoßener und wir von Gott Verstoßenen werden Gottes liebe Kinder! Es ist alles im Reinen zwischen Gott und uns. Das Missfallen Gottes wird ein Wohlgefallen, weil er uns in Christo ansieht. Und unsere Angst vor Gott wird Vertrauen, weil wir in Christo zu ihm kommen. Das hat die Liebe getan. Willst du bemäkeln das Werk der Liebe? Willst du dich sträuben, es anzuerkennen? So sprichst du dein eignes Todesurteil. Es bleibt uns nichts, als anzubeten: O Wunder ohne Maßen, wer es betrachtet recht! Es hat sich martern lassen der Herr für seine Knecht. Es hat sich selbst der wahre Gott für uns verlorene Menschen gegeben in den Tod. Es bleibt uns nichts, als die Versöhnung anzunehmen!

Lasst uns ferner

III.

Die Liebe Gottes in der Weise erkennen, wie er uns die Versöhnung in Christo darbietet. Der Apostel sagt: Gott hat das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt; Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott vermahnt durch uns: so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott. Drei neue Beweise der Liebe Gottes gegen uns. Er hat das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Das Erbarmen, das er gegen uns hat, weil wir, unversöhnt mit ihm, auch unversöhnt sind mit den Menschen, unversöhnt mit unserem Geschick, mit unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, treibt ihn dazu, eine besondere Fürsorge für unsere Versöhnung zu veranstalten. Es gibt ein Amt, einen Dienst der Versöhnung. Der Herr beruft Menschen, denen er den Frieden gegeben durch Vergebung der Sünden: die sollen, nachdem sie selbst die versöhnende Gnade des Herrn geschmeckt, davon zeugen und ihre Brüder locken, dass sie derselben Gnade sich hingeben, sich versöhnen lassen und Frieden gewinnen für ihre Seelen. Ein Amt und einen Dienst der Versöhnung hat Gott errichtet, dass der Mensch auf seinem Erdenwandel nicht in Angst sei oder gar in Verzweiflung gerate, damit ihm, wenn die Sünden ihn anklagen, gesagt werden könne: deine Sünden sind dir vergeben, damit der Mensch, der in widrigem Geschick an der Liebe Gottes verzagen möchte, es immer wieder höre: Gott ist dennoch die Liebe und wirds wohl mit dir machen, damit die Seele, welche von geheimnisvoller Angst gefoltert wird, als ob ihre Sünde zu groß sei, um vergeben werden zu können, als ob der Fürst der Finsternis schon alle Gewalt über sie erlangt habe, wisse: auch für mich gibt es Versöhnung! Wenn meine Sünde blutrot wäre, soll sie doch schneeweiß werden. Und damit das Amt, das die Versöhnung predigt, in Gottes Wegen gehe, hat er unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Es soll ein Jeder, der das Amt hat, es nach dem Wort verwalten. Es soll in der Christenheit der Leichtsinn nicht aufkommen, der da spricht, eine Versöhnung mit Gott sei nicht nötig. Nicht die oberflächliche und törichte Meinung soll in ihr gelten, dass der Mensch durch sich selbst, durch sein Werk und Verdienst sich in das richtige, gottwohlgefällige Verhältnis zu Gott setzen könne. Auch soll kein neues Priestertum errichtet werden. zur Vermittlung zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen, nachdem der rechte Hohepriester Jesus Christus ein für allemal das Opfer, nämlich sich selbst, sein heiliges Leben, am Kreuz dargebracht hat. Das Wort von der Versöhnung, wie es Gott aufgerichtet hat, das soll bleiben. Es soll verkündigt werden die Sünde in ihrer ganzen Größe und Verantwortlichkeit, damit der Mensch das Verlangen nach Versöhnung empfinde. Der Zorn Gottes, der wie eine verzehrende Flamme aus der heiligen Liebe Glut emporloht, soll denen nicht verhehlt werden, die Gottes Gnade auf Mutwillen ziehen, aber denen, welche seufzen und schreien, beten und verlangen nach dem Frieden mit Gott, soll es mit der vollen Zuversicht göttlicher Botschaft verkündigt werden: Christus ist der Friede, am Kreuz hat er ihn gestiftet, gehe hin mit Frieden und sündige hinfort nicht mehr. - Und auch in der Weise, wie das Wort von der Versöhnung ausgerichtet wird, offenbart sich Gottes Liebe. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, so spricht der Apostel. Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott. Damit die Liebe ganz Liebe bleibe, legt sie sich aufs Bitten. Die Liebe zwingt nicht, sie zieht. Sie lässt ihren Sonnenschein in die Herzen fallen, ob sie endlich weich und warm werden. Sie lässt ihre Stimme erschallen in wunderbarer Lieblichkeit, ob Jemand darauf hören will. Sie malt vor die Augen der Menschen, was sie für sie getan, ob Jemand spricht: Nun endlich ists durch dich geschehen, dass ich dich hab' ersehen! O liebe Brüder und Schwestern! Wir Prediger von der Versöhnung wissen wohl, dass wir uns als Christi Diener aufs Bitten legen müssen. Und eins bitt' ich euch darum zu beherzigen: wir bitten an Christi Statt, Christus bittet durch uns. Wisst ihr, was sein Bitten bedeutet, und könnt ihr ihm eine Bitte abschlagen? Seht, euer Heiland hat euch durch sein heiliges Leben und sein unschuldiges Leben einen Schatz bereitet, ohne den ihr nicht sein könnt - nun bittet er euch, geschenkt zu nehmen, was ihr durchaus haben müsst. Euer Heiland hat euch durch seine gekreuzigte Liebe eine Heilung bereitet, ohne die ihr sterben. müsstet - nun bittet er euch, dass ihr euch doch euer Heil gefallen lassen möget. Er will nichts von euch haben, ihr habt ja nichts - aber er bittet euch, aus seiner Fülle zu nehmen. Er will nicht, dass ihr etwas Besonderes tut, ihr vermögt ja nichts - aber er bittet euch, dass ihr ihn tun lasst. Er will euch gerne einen gnädigen Gott, Frieden, eine gewisse Hoffnung, ein ewiges Leben ins Herz. geben - er bittet euch um die Erlaubnis, euch das geben zu dürfen. Wollt ihr ihm die Bitte verweigern? Seid ihr versöhnt? Bedarf euere Versöhnung mit Gott nicht der Vertiefung? Wär' euch nicht heilsam eine versöhnlichere Stimmung gegen die Menschen? Tät' es euch nicht gut, wenn ihr mit der Weise, wie Gott euch im Leben geführt hat, einmal gründlich ausgesöhnt würdet! O ihr lieben Seelen, alle bestimmt ewigen Frieden zu schmecken - seht über Golgatha hinauf zum Himmel, hinein in die Ewigkeit: dort lasst euren Frieden mit Gott und mit den Menschen machen, so lange das Wort von der Versöhnung euch auf Erden trifft. Christus bittet euch mit der Stimme, die gerufen: Abba mein Vater, ists denn nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, so geschehe dein Wille, mit der Stimme, die gebetet: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun, mit der Stimme, mit welcher er dem Übeltäter verheißen: Heute wirst du mit mir im Paradies sein, mit der Stimme des mitleidigsten Hohenpriesters bittet Christus! O dass ihr die Bitte gewährtet: Lasst euch versöhnen mit Gott! Amen.

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