Baur, Gustav Adolph - Der heilige Geist, die köstlichste Gabe, durch welche der Vater im Himmel seinen Kindern die Erhörung ihres Gebetes bezeugen kann.

Baur, Gustav Adolph - Der heilige Geist, die köstlichste Gabe, durch welche der Vater im Himmel seinen Kindern die Erhörung ihres Gebetes bezeugen kann.

Am Sonntage Exaudi.

Gott Vater, sende deinen Geist,
Den uns dein Sohn erbitten heißt,
Aus deines Himmels Höhen!
Wir bitten, wie er uns gelehrt,
Laß uns doch ja nicht unerhört
Von deinem Throne gehen! - Amen.

Seit dem ersten Sonntage nach Ostern schon, in dem Herrn geliebte Freunde, bilden Abschnitte aus dem Evangelium des Johannes die Grundlage unserer sonntäglichen Betrachtungen. Noch über das Pfingstfest hinaus wird ihre Reihe sich forterstrecken, und nur am Himmelfahrtstage ist sie durch einen Text aus dem Evangelium des Marcus unterbrochen worden. Alle jene Abschnitte aber bewegen sich im Grunde um einen und denselben Hauptgegenstand, um die Lehre von dem Wesen und Wirken des heiligen Geistes. Durch diese fortgesetzte Wiederholung einer und derselben Hauptlehre bin ich nun wieder erinnert worden an jene liebliche und bedeutsame Geschichte, welche uns aus den letzten Lebensjahren des Jüngers, den der Herr lieb hatte, berichtet wird. Als der fast hundertjährige Apostel es doch nicht lassen konnte, in seiner Gemeinde zu Ephesus seines Amtes zu warten, da kam es endlich soweit, daß er in die Kirche sich tragen lassen und seine Predigt beschränken mußte auf die wenigen Worte: „Kinder, liebet euch!“ Und als nun Manche darüber murrten, gab ihnen Johannes den Bescheid: wenn sie nur diese Worte recht befolgten, so hätten sie ihrer Christenpflicht vollkommen genügt; denn in ihnen sei das ganze Gesetz des neuen Bundes enthalten. Auch jetzt, meine Lieben, mag es einem oder dem andern Hörer zu viel werden, immer und immer wieder die Worte des Johannes zu vernehmen über die Gnadengabe des heiligen Geistes. Und auch der Prediger mag es schwierig finden, aus dem Schatze dieser Worte zu dem Alten immer auch Neues hervorzuholen. Der Apostel Johannes aber könnte auf solche Beschwerden Aehnliches antworten, wie er damals auf die Klagen der Gemeinde zu Ephesus antwortete. Denn wie in das eine Gebot der Liebe das ganze Gesetz des neuen Lebens aufgeht, in welchem wir uns als durch den Glauben an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus Wiedergeborene und als Kinder unseres Vaters im Himmel darstellen sollen, so schließt der heilige Geist alle die Kräfte der unsichtbaren Welt ein, durch welche Gott die Gläubigen unterstützt, damit sie wiedergeboren werden und in fortschreitender Heiligung die Welt überwinden und der Seligkeit des Himmelreiches entgegengeführt werden. Und je tiefer wir in das wunderbare Evangelium des Apostels eindringen, welcher an der Brust seines Meisters selbst in die heiligsten Tiefe des göttlichen Lebens Jesu hineingeschaut hat, wie kein anderer; desto mehr thun sich uns da immer neue Schätze der ewigen Weisheit und Liebe auf, und desto klarer wird uns, wie in den mannigfaltigen Gnadenwirkungen des heiligen Geistes für alle Verhältnisse des Lebens die rechte Kraft und der rechte Segen uns bescheert ist. In dir That, meine liebe Gemeinde, wenn wir dem Rufe unseres heutigen Sonntages Exaudi folgen, und zu dem Geber aller guten Gabe beten, daß er uns erhören und unser mattes Herz erquicken möge mit dem Thau seiner Gnade; so kann er die Erhörung unseres Gebetes uns nicht kräftiger und vollständiger bezeugen, als durch die köstliche Gabe seines heiligen Geistes. Auf diese Gabe, welche der Herr ihnen verheißen hatte, da er von der Erde schied, harrten seine Jünger in der Zeit, an welche der heutige Sonntag uns erinnert, und als sie ihnen gegeben wurde am heiligen Pfingstfeste, da ist ihre Freude vollkommen geworden. Mögen auch wir denn harren und beten, wie die Jünger geharrt und gebetet haben, damit auch wir Erhörung finden, wie sie, und auch unsere Freude vollkommen werde.

Lied: 214. 1. Erhöhter Jesu, Gottes Sohn,
Der du schon längst der Himmel Thron
Als Herrscher eingenommen,
Du wirst gewiß zur rechten Zeit
In großer Kraft und Herrlichkeit
Vom Himmel wiederkommen.
Gib, daß dann froh und mit Vertraun,
Dich, Herr, auch meine Augen schaun!

Text: Joh. 15, 26. -16, 4.
Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgehet; der wird zeugen von mir. Und ihr werdet auch zeugen; denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. Solches habe ich zu euch geredet, daß ihr euch nicht ärgert. Sie werden euch in den Bann thun. Es kommt aber die Zeit, daß, wer euch tödtet, wird meinen, er thue Gott einen Dienst daran. Und solches werden sie euch darum thun, daß sie weder meinen Vater noch Mich erkennen. Aber solches habe ich zu euch geredet, auf daß, wenn die Zeit kommen wird, daß ihr daran denket, daß ich es euch gesagt habe. Solches aber habe ich euch von Anfang nicht gesagt; denn ich war bei euch.

Das „Aber“, womit Christus in diesen Worten seine Verheißung des künftigen Trösters begleitet, weist auf den Gegensatz trostloser Verhältnisse zurück. Solche hatte der Herr in seinen unserem Texte vorausgehenden Worten dargestellt. Er hatte seine Jünger vorbereitet auf die Verfolgungen, welche sie von Seiten der ihm feindseligen Welt würden zu erdulden haben. Aber, fügt er nun weiter hinzu, wenn der Tröster kommen werde, der heilige Geist, welchen er ihnen von dem Vater senden wolle, so werde der das Alles gut machen. Christus stellt uns damit den heiligen Geist als ein Gut dar, welches uns alle andern Güter ersetzen könne. Der heilige Geist ist in Wahrheit die köstlichste Gabe, durch welche der Vater im Himmel seinen Kindern die Erhörung ihres Gebetes bezeugen kann. Und daß der heilige Geist diese köstliche Gabe ist, das bezeugt der Herr selbst in unserem Texte, indem er uns zeigt, wie der heilige Geist erstens unsere lebendige Verbindung mit unserem Gott herstellt, und wie er zweitens alle Noth dieser Welt uns überwinden hilft.

Wenn wir, meine geliebten Freunde, uns getrieben fühlen, zu unserem Gott zu beten, so geschieht es in dem Bewußtsein eines Mangels, der uns bedrängt, und in dem Verlangen, daß der allmächtige und allgütige Gott uns eine gute Gabe wolle zu Theil werden lassen, durch welche dem uns bedrängenden und unser Leben hemmenden Mangel abgeholfen werde. Denn was auf irgend eine Weise eine Hemmung unseres Lebens beseitigt und dadurch unser Leben fördert, das eben nennen wir eine gute Gabe oder schlechtweg ein Gut. Hiernach wird das vollkommenste Gut dasjenige sein, welches unseren Mangel am vollständigsten und gründlichsten beseitigt und uns Alles gibt, was das Herz nur wünschen kann; dieses vollkommenste Gut aber ist nirgends anders zu finden, als in dem lebendigen Gott selbst, in welchem aller Güter und alles wahren Lebens Fülle ruhet. Das wußte der fromme Sänger des alten Bundes, wenn er in herzlichem Verlangen nach dem Gute, das alle andern aufwiegt, ausruft (Ps. 73, 25): „Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erden!“ Und weil nun der heilige Geist uns mit diesem vollkommensten Gute, mit unserem Gott, in Verbindung .bringt, darum nennen wir ihn mit Recht die köstlichste Gabe, durch welche der Vater im Himmel seinen Kindern die Erhörung ihres Gebetes bezeugen kann. Der heilige Geist mahnt uns an unsere Bestimmung, daß wir, wie wir von Gott ausgegangen sind, so auch wieder zu Gott kommen sollen, und er läßt nicht ab, uns diesem Ziele entgegenzuziehen und entgegenzutreiben. Und darum eben ist er der heilige Geist, weil er uns in Verbindung bringen will mit dem heiligen Gott. - Laßt mich nun, meine Lieben, euch vor Allem das zu Gemüthe führen, daß der heilige Geist in diesem seinem allgemeinen, zu Gott uns hinführenden Wirken keineswegs etwas Absonderliches ist, dessen Walten nicht eine jede Menschenseele inne werden könne, sondern das als eine besondere Gnadengabe nur einzelnen Bevorzugten vorbehalten sei. Seit der Schöpfer alles Lebens dem Menschen seinen lebendigen Odem eingehaucht hat und seit der Mensch dadurch zu einer lebendigen Seele geworden ist, hat in einem jeden Menschen und zu jeder Zeit der Geist Gottes sich nicht unbezeugt gelassen. Ein jeder Mensch, welcher zum Bewußtsein seiner selbst gekommen ist und gut und böse zu unterscheiden weiß, weiß auch wohl in seinem eignen Inneren von seinem eigenen unheiligen Geiste, welcher ihn herabzieht in den Dienst des vergänglichen Wesens, den heiligen Geist zu unterscheiden, welcher ihn mahnet, Gott den Herrn anzubeten und ihm allein zu dienen. Es ist keine Seele in dieser Versammlung, die nicht, wenn sie nur ein wenig hineinsehen will in sich selbst, dieses in diesem Augenblicke aus eigner Erfahrung bestätigen müßte. Und ob der Betrug der Sünde die Menschen verleitet hat, statt dem Schöpfer dem Geschöpfe zu dienen: der heilige Geist hört nicht auf, ihrem Gewissen zu bezeugen, daß sie den wahren und lebendigen Gott suchen sollten, damit sie ihn fühlen und finden mögen. Und ob sie auf ihrem falschen Wege von diesem wahren Gott immer weiter sich entfernten und ob sie sich selbst sagen mußten, daß sie seine klare Erkenntnis) verloren hatten: der heilige Geist ließ nicht ab, sie daran zu erinnern, daß sie göttlichen Geschlechtes seien, die heilige Unruhe in ihnen zu erwecken, welche nur in der Verbindung mit dem lebendigen Gott zur Ruhe kommen kann, und die Sehnsucht nach diesem Gott, wenn es zunächst auch nur die Sehnsucht auch einem unbekannten Gott war. Auch die besondere Offenbarung, welche Gott von seinem Wesen und Willen dem Volke Israel hatte zu Theil werden lassen, war verkümmert worden durch menschlichen Irrthum und menschliche Sünde. Aber ob auch so vielen der lebendige Gott zu einem äußerlichen Gesetze erstarret war, das man mit äußerlichen Werken erfüllen könne: der heilige Geist ließ nicht ab, in den Herzen die Sehnsucht nach der sie allein befriedigenden lebendigen Verbindung mit dem lebendigen Gott wach zu erhalten. - Ueberhaupt aber, meine geliebten Freunde, hat dieses allgemeine Wirken des heiligen Geistes, wie es vor dem Christenthum und außerhalb desselben stattfindet, nur eine vorbereitende Bedeutung. In der heidnischen Welt hat es bewirken sollen, daß die Menschen, wie weit sie auch von dem wahren Gott abirren, doch, um so zu sagen, seine Fühlung nicht völlig verlören. Und im alten Bunde haben die heiligen Männer Gottes, getrieben vom heiligen Geist, geredet, um von der zukünftigen vollkommenen Offenbarung der Gnade Gottes nur zu weissagen. Erfüllt aber wurde diese Weissagung, als der Geist Gottes, welcher im Anfange schaffend über den Wassern geschwebt und den Menschen zu einer lebendigen Seele gemacht hatte, seine schöpferische Kraft auf's neue offenbarte, indem er in der dem Verderben der Sünde unterworfenen Menschheit ein vollkommen reines und sündloses Menschenleben in Jesu von Nazareth erweckte. In diesem wohnte der heilige Geist in seiner ganzen Fülle. Er war der wahre und unvergleichliche Menschensohn, von welchem die Propheten verkündet hatten, daß auf ihm ruhen werde der Geist Gottes als ein Geist der Weisheit und des Verstandes, ein Geist des Rathes und der Stärke, ein Geist der Erkenntniß und der Furcht des Herrn. In ihm trat der suchenden Seele das Wesen des unbekannten Gottes in voller Klarheit entgegen. In ihm hat Gottes Gnade die Gemeinschaft mit dem heiligen Gott den bedrängten Herzen aufgeschlossen, welche sich in der durch das Gesetz erweckten Erkenntniß ihrer Sünde von ihm getrennt fühlten. In Jesus Christus war durch die Kraft des heiligen Geistes die vollkommenste Verbindung zwischen Gott und dem Menschen tatsächlich vollzogen. -

Aber ihr seht, Geliebte: in unserem Texte redet der Herr weder von dem heiligen Geiste, welcher vor der Erscheinung des Erlösers vorbereitete, noch redet er von dem heiligen Geiste, welcher in ihm war und bezeugte, daß der Sohn und der Vater Eins seien. Sondern von dem heiligen Geiste redet er, welcher nach ihm kommen und welchen er den Seinen von dem Vater senden werde. Der Geist, welcher vor Christus gewesen ist, und welcher dann in seiner ganzen Fülle in Christus gewesen ist, der entfaltet erst nach Christus, nachdem dieser sein Werk auf Erden vollendet hat, seine volle Kraft und Wirksamkeit. Er geht aus von dem Vater, um von dem Sohne zu zeugen und zu dem Sohne uns hinzuziehen; und er zeugt von dem Sohne und zieht uns zu dem Sohne hin, um uns in die Verbindung mit dem Vater zurückzuführe , denn Niemand kommt ja zu dem Vater, denn durch den Sohn. Durch das Wirken des heiligen Geistes muß der eine Christus in der Mannigfaltigkeit der Seelen eine Gestalt gewinnen, muß um den Sohn Gottes eine Familie von Kindern Gottes sich sammeln und um unseren König aus der sündigen Welt ein Volk seines Eigentums zur Bildung seines himmlischen Reiches. Und das Walten dieses heiligen Geistes, welchen der Sohn uns vom Vater sendet zur Vollendung seines Werkes, ist nun freilich von anderer Art, als jenes allgemeine Walten des Geistes, welches auf dieses Werk nur vorbereiten sollte: es ist klarer, bestimmter, reicher und nachdrücklicher. Dennoch aber muß ich auch hier wieder sagen: so wenig, wie jene allgemeine Geistbezeugung in der Menschheit, darf dieses besondere Walten des Geistes, welchen der Sohn uns sendet, in der christlichen Gemeinde als etwas Absonderliches gelten. Vielmehr gibt es keinen lebendigen Christen ohne dieses Walten des heiligen Geistes, wie denn der Apostel ausdrücklich sagt, daß wir weder in Wahrheit Christum unseren Herrn, noch Gott unseren Vater nennen können ohne den heiligen Geist. Und wiederum sage ich: es ist keine Seele in dieser Versammlung, die einmal die ewige Wahrheit aus Gottes Wort mit offnem Sinn vernommen, einmal das reine Bild des Erlösers mit offnem Auge angeschaut, einmal das Sacrament mit gläubigem Herzen empfangen hat, die nicht auch die Kraft des heiligen Geistes an sich gespürt hätte, der uns treibet, die drückende und schmachvolle Knechtschaft der Sünde und der Vergänglichkeit zu verlassen und, unserem wahren Berufe gemäß, einzutreten in das Reich der Gemeinschaft mit unserem Gott und mit unserem Erlöser. Man kann über manche einzelne Punkte unseres christlichen Glaubens verschiedener Meinung sein. Das aber bleibt das Wesentliche, daß wir an die fortwaltende Kraft des heiligen Geistes, welchen der Sohn von dem Vater uns sendet, glauben, und daß wir seinem Zuge nicht widerstreben, sondern ihm willig folgen, weil wir auf keinem andern Wege zum wahren Leben und zur Ruhe unserer Seele gelangen können. In dem heiligen Geiste nahet sich der allmächtige Gott selbst, welcher aller Güter Fülle in sich trägt, denen, welche an seinen Sohn glauben. Eine köstlichere Gabe können wir von ihm nicht erbitten, und durch keine köstlichere Gabe kann er seinen Kindern bezeugen, daß er ihr Gebet erhöret hat.

Wir haben gesehen, meine geliebten Freunde, daß wir zu unserem Gott zunächst beten um eines Mangels willen, in welchem wir durch eine Gabe der väterlichen Güte und Liebe unseres reichen Gottes Abhülfe suchen. Weiter aber beten wir auch zu ihm, um Befreiung zu finden von einer uns bedrängenden bestimmten Noth. Und auch in dieser Beziehung muß sein heiliger Geist uns als die allerköstlichste Gabe erscheinen, weil er zweitens auch die Kraft hat, alle Noth dieser Welt zu überwinden. - Darum nennt auch der Herr in unserem Texte den heiligen Geist ausdrücklich einen Tröster, und die Verhältnisse, in welchen er sein Trostamt an den Bekennern Christi werde üben müssen, damit diese sich nicht an ihm ärgerten, gibt er bestimmter an, indem er sagt: „Sie werden euch in den Bann thun. Es kommt aber die Zeit, daß wer euch tödtet wird meinen, er thue Gott einen Dienst daran.“ Zustände, wie die, auf welche Christus in diesen Worten hindeutet und in welchen seinen Anhängern um ihres Bekenntnisses willen Bann und Tod droht, die finden sich heutigen Tages wohl noch an den Grenzen der Christenheit, wo diese im Kampfe liegt mit einer ungläubigen, von dem Evangelium noch nicht berührten Welt, oder auch da. wo die römische Kirche den Druck ihrer Herrschaft einzelne evangelische Gemeinden und Christen kann fühlen lassen, damit sie dieselben in ihre nach ihrer Meinung allein seligmachende Gemeinschaft einzutreten nöthige. Sonst aber haben innerhalb der größeren kirchlichen Gemeinschaften und insbesondere innerhalb der evangelischen Kirche solche Gefahren für die Bekennet Jesu - Dank sei dem Walten des Geistes des Herrn! - zu bestehen aufgehört. Mögen auch Solche, welche durch die Taufe in seine Gemeinde äußerlich aufgenommen worden sind, in die innere Gemeinschaft des Glaubens nie zu ihm eingetreten sein, ja mögen sie ihren Unglauben laut aussprechen und mag der Name „eines Frommen“ in ihrem Munde ein Schimpfwort geworden sein: mit solchen Gefahren, wie der Herr sie in unserem Texte bezeichnet, werden darum doch gläubige Bekenner Jesu von ihnen nicht bedroht. Und so laßt mich aus dieser Betrachtung lieber einen Anlaß nehmen, davor zu warnen, daß wir nicht Aussprüche Christi und seiner Apostel, welche auf den damaligen Gegensatz der wenigen Bekenner des Evangeliums gegen eine diesem noch völlig fremde Welt sich beziehen, nicht zu unmittelbar auf unsere Zustände innerhalb der christlichen Kirche selbst anwenden und die vielen unlebendigen Glieder, an welchen sie ja leider krankt, nicht gleich selbst dieser vollkommen gottlosen und dem Christenthum feindseligen Welt zuweisen. Denn das hieße ja in der That den heiligen Geist betrüben, als ob sein Walten durch die lange Reihe christlicher Jahrhunderte hindurch völlig unfruchtbar gewesen wäre. Es ist wahr: bei gar vielen fehlt es an einer klaren Erkenntniß und darum auch an einem bestimmten und freudigen Bekenntniß unseres christlichen Glaubens; aber in ihrem Leben zeigt sich doch, daß die Gnade des Herrn auch an ihnen nicht vergeblich gewesen ist, und man muß sagen: sie sind selbst besser, als ihre oberflächlichen und verwirrten religiösen Ansichten. Andere scheinen zwar für ihre eigne Person wenig Werth zu legen auf Christenthum und Kirche; aber sie möchten doch lieber fromme, als unfromme Kinder haben, und lassen es sich angelegen sein, für deren christliche Erziehung zu sorgen. Und wieder bei Andern ist freilich gar kein innerer Zusammenhang zwischen ihnen und dem Herrn, auf dessen Namen sie getauft sind, erkennbar. Aber wenn man ihnen nun zumuthet, aus der christlichen Gemeinschaft lieber geradezu auszuscheiden, so wollen sie sich doch auch dazu nicht verstehen; und damit beweisen sie, daß doch noch ein geheimes inneres Band sie mit dem Erlöser zusammenhält und daß sie es fühlen, wie sie, wenn sie es zerrissen, damit den Zusammenhang mit dem wahren Leben selbst aufgeben würden. Wo aber ein Mensch, der durch die heilige Taufe einmal in den Gnadenbund Gottes aufgenommen ist, in irgend einer Weise noch die Verbindung mit dem Erlöser festhält, weil, wenn nicht ein klares Bewußtsein, doch ein dunkles Gefühl ihm sagt, daß dieser doch der eigentliche und einzige Grund unseres Heiles sei; da laßt uns ja auf unserer Hut sein, daß wir einen solchen Menschen nicht von dem Standpunkte unserer persönlichen christlichen Ueberzeugung aus von uns stoßen und selbst gleichsam in den Bann thun als einen, welcher nur der völlig vom christlichen Heile verlassnen Welt angehöre. Wir richten damit eine unübersteigbare Schranke auf zwischen dem Christenthum und der Welt, die doch durch das Christenthum erlöst werden soll. Und es ist wahrlich ein eitler Wahn, wenn wir glauben, damit Gott einen Dienst zu thun. Vielmehr beweisen wir damit, daß unser Christenthum ein Christenthum des Buchstabens ist, und nicht des Geistes, und uns selbst trifft das Wort des Herrn in unserem Texte, daß wir solches thun, weil wir weder den Vater, noch ihn recht erkennen. Wem der heilige Geist das Herz für diese Erkenntniß erschlossen hat, der wird auch erkennen, wie er nach dem Vorbilde seines Herrn darnach zu trachten hat, nicht daß er die Welt richte, sondern daß die Welt selig werde durch das Wort der Wahrheit und der Liebe, welches auch ihn ohne sein Verdienst durch Gottes Gnade von dem Verderben erlöst hat. - Und wie sonach der heilige Geist bewirket, daß wir nicht selbst durch falschen Eifer den Zwiespalt in der Gemeinde Christi und damit unsere eigne Noth mehren, so liegt in ihm auch die Kraft, die Noth, welche Andere uns bereiten, zu tragen und zu überwinden. Der heilige Geist gibt ja Zeugniß unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder sind, und wenn wir wissen, daß wir Gott zum Freunde haben, dann läßt sich die Feindschaft der Menschen leicht tragen. Aber der heilige Geist hilft uns auch die Feindschaft am sichersten überwinden, die Feindschaft der Menschen gegen das Christenthum und die Feindschaft gegen uns selbst. Wie ernst er uns auch das Wort unseres Jacobus an das Herz legt, daß wir sollen langsam sein zum reden und langsam zum Zorn, damit wir nicht mit vorschnellem Urtheil und Bannspruch die irrenden Brüder von uns stoßen, anstatt sie mit Reizen der Liebe zu uns herüberzuziehen', eben so eifrig mahnet er uns, laut zu zeugen von dem, was wir von der seligmachenden Gotteskraft des Evangeliums an uns selbst erfahren haben. Und nicht in vielen und hohen Worten soll dieses Zeugniß bestehen, sondern das einfache, freimüthige und freudige Bekenntniß zu Christus als dem Grund unseres Heiles und dem Quell alles wahren Lebens muß vor Allem begleitet sein von dem lebendigem Zeugniß christlicher That. Wenn wir den Herrn, welchem wir angehören, in der Kraft seines heiligen Geistes bekennen in gewissenhafter Treue und selbstverläugnendem Eifer in unserem häuslichen, oder öffentlichen Beruf; wenn aus all unserem Thun die Liebe hervorleuchtet, welche der eingeborene Sohn Gottes gegen uns bewiesen hat und welche die Frucht seines Geistes ist, die Liebe, welche nicht das Ihre sucht, darum durch keinen feindseligen Widerstand sich erbittern läßt, sondern allezeit langmüthig ist und freundlich, durch nichts sich irren läßt in ihrem heiligen Eifer, das Böse mit Gutem zu überwinden, und Alles gerne verträgt, hoffet und duldet - sollte nicht dadurch am sichersten der Widerstand gegen das Evangelium gebrochen und der Name eines frommen Christen in den herrlichsten Ehrentitel verwandelt werden? O gewiß, meine Lieben, wenn wir der Mahnung folgen, welche der heilige Geist durch den Mund des Apostels Paulus uns zuruft (Röm. 12, 10. 14, 17-20): „Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich; einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Segnet, die euch verfolgen, segnet und fluchet nicht. Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet nicht Böses, mit Bösem. Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann. Ist's möglich, so viel an euch ist, so habet mit allen Menschen Friede. Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn; denn es stehet geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr. So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet er, so tränke ihn“ - wenn wir das thun, Geliebte, so werden wir gewiß feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln und uns nicht das Böse überwinden lassen; sondern das Böse überwinden mit Gutem. - Die Noth aber, welche die Feindschaft derjenigen uns bereitet, mit welchen wir in herzlicher, wechselseitig sich unterstützender Bruderliebe vereinigt sein sollten, das ist ja von allen Nöthen die, welche unser Herz am tiefsten kränkt. Was von äußerer Noth uns trifft, das, wissen wir, ist eine Schickung unseres Vaters im Himmel, und wer mit ihm durch den heiligen Geist in lebendige Verbindung getreten ist, der weiß auch in seinen väterlichen Weisheitswillen sich zu fügen und auch dieses Böse zum Besten zu wenden, indem ein jeder neue Verlust an einem zeitlichen Gut ihm ein neuer Antrieb wird, in innigerer Gemeinschaft mit Gott des Gutes sich zu vergewissern welches in alle Ewigkeit nicht von ihm genommen werden kann. Und so laßt uns denn nicht verzagen, meine Lieben; denn es gibt ja keine Noth dieser Welt, für welche nicht der lindernde und heilende Balsam läge in der köstlichen Gabe des heiligen Geistes, durch welche der gnädige Gott von der tiefsten inneren Noth, von dem Verderben der Sünde, uns befreit und seinen Kindern auf das herrlichste bezeugt, daß er ihr Gebet erhöret, indem er sich selbst und den Reichthum seiner Gnade ihnen mittheilt.

Unser Text schließt mit den Worten: „Solches habe ich euch von Anfang nicht gesagt; denn ich war bei euch.“ Der Herr sagt uns damit, daß nun er von der Erde scheiden mußte, der heilige Geist das von ihm begründete Werk in alle Ewigkeit fortsetzen und vollenden solle. Möge denn das herannahende Fest der Ausgießung des heiligen Geistes uns alle wohlvorbereitet finden und die Gemeinde des Herrn die in ihr fortwaltende Kraft des heiligen Geistes lebendig erfahren lassen. Ja, mögen wir alle von der Gnade des Vaters und von der Liebe des Sohnes einen tiefen und kräftigen Eindruck empfangen in der Gemeinschaft des heiligen Geistes! - Amen.

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