Baur, Gustav Adolph - Ein treuer Diener des Herrn hat es gut.

Baur, Gustav Adolph - Ein treuer Diener des Herrn hat es gut.

Am 15. Sonntag n. Trinitatis.

Freuet euch in dem Herrn allewege, und .dermal sage ich: Freuet euch! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen. Der Herr ist nahe! Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Dankbarkeit vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu!
(Phil. 4, 4-7) - Amen.

Mit diesen freundlichen Worten des Apostels Paulus habe ich vor acht Tagen meine Predigt geschlossen, und heute bieten sie sich von selbst mir dar, um euch, meine lieben Freunde, in die gegenwärtige Predigt einzuführen: denn in unserem heutigen Texte spricht der Herr selbst dieselbe Mahnung aus, daß wir unser Herz nicht mit Sorgen beschweren sollen. Am vorigen Sonntag habe ich euch die Pflicht herzlicher Dankbarkeit für die reiche Gnade unseres Gottes an das Herz gelegt; und gewiß, wo diese Pflicht erfüllt wird, da muß auch vor dem festen Vertrauen auf den treuen Gott, dem man so viel verdankt und der gewiß Alles wohlmachen wird, alle quälende Sorge schwinden: wie die Dankbarkeit gegen unseren Vater im Himmel, so gehört auch das Freisein von ängstlichen und quälenden Sorgen zu den nothwendigen Kennzeichen eines rechtschaffenen Christen. Es ist wunderbar, und es ist traurig, wie das so oft verkannt wird. Wie kommt es doch dem Prediger so manches Mal vor, daß, wenn es um den christlichen Unterricht eines Kindes sich handelt, er den Wunsch vernimmt, daß doch keine finsteren und trübseligen Lehren dem Kinde möchten mitgetheilt werden. Ich weiß nicht, was die, welche solche Wünsche aussprechen, für Erfahrungen gemacht haben. Ich selbst aber habe es niemals anders gefunden, als so, daß da, wo ein christlicher Sinn lebendig waltete, auch die lebhafteste Empfänglichkeit für alles Edle und Schöne und wahrhaft Erfreuliche und damit eben die lauterste Freude ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Es ist diese Freude freilich etwas Anderes, als die laute Lust im Genusse der vergänglichen Erdengüter; aber sie weiß dafür auch nichts von der trostlosen Niedergeschlagenheit, welche an die Stelle solcher Lust tritt, wenn diese Güter als unzuverlässig in ihrer wahren Natur sich offenbaren, die freilich Jedermann bekannt sein sollte. Es ist eine stille, aber gründliche und wunderbar wohlthuende Freude von unzerstörbarer Stätigkeit, mit welcher verglichen vielmehr das, was sonst die Menschen ihre Lust und Freude nennen, als finster und armselig erscheinen muß. Ja, meine Lieben, das Christenthum ist keine trübselige Religion, sondern sie will und soll uns die Quelle der sonst nirgends zu findenden vollkommen reinen und dauerhaften Freude werden. Darum hat schon der Engel des Herrn jenen Hirten auf dem Felde verkündiget (Luc. 2, 10. 11): „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren!“ Und als der Heiland sein Werk vollendet hatte, da giengen die ersten Zeugen seiner Auferstehung aus seinem Grabe hinaus zwar in Furcht, aber auch in großer Freude Matth. 28. 8). Ja so groß und mächtig ist diese Freude gewesen, daß der Apostel Paulus aus Ketten und Banden seiner lieben Gemeinde zu Philippi das liebliche Wort des Trostes und der Ermuthigung zurufen konnte: „Freuet euch in dem Herrn allewege und abermal sage ich: Freuet euch! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen. Der Herr ist nahe!“ Und darauf kommt es freilich an, der Herr muß uns nahe sein, wenn wir uns wahrhaft freuen sollen; nicht an der Welt, sondern an dem Herrn müssen wir unsere Lust haben, denn nur in der Gemeinschaft mit ihm ist die wahre Freude zu finden.

Darum fordert er denn in unserem heutigen Texte uns auf, in seinen Dienst einzutreten, damit er die drückende Last der Sorge von uns nehme und unsere Freude vollkommen sei. Möge sein heiliges Wort in unser aller Herzen eine gute Statt finden!

Stehst du mit deiner Kraft mir bei,
So werd' ich stets mit festrer Treu'
Und einzig dir anhangen.
Nichts, was sonst Menschen wohlgefällt,
Nicht Lust der Sinne, Ehr' und Geld
Befriedigt mein Verlangen.
Ohn' dich kann mich nichts von Schätzen
Recht ergötzen,
Noch beglücken;
Du nur kannst mein Herz erquicken.

Text: Matth. 6. 24-34.
Niemand kann zween Herren dienen. Entweder er wird einen hassen, und den andern lieben; oder wird einem anhangen, und den andern verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen, und dem Mammon. Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr, denn die Speise? und der Leib mehr, denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen: und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr, denn sie? Wer ist unter euch, der seiner Länge Eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget? Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als derselben Eins. So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute stehet, und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr euch thun? O ihr Kleingläubigen! Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr deß alles bedürfet. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, und nach seiner Gerechtigkeit; so wird euch solches alles zufallen. Darum sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.

Die Worte, welche ihr vernommen habt, hat Christus in seiner Bergpredigt gesprochen, in welcher er die Gesetze seines neuen Reiches verkündigt und einen jeden, der Ohren hat zu hören, auffordert, in die Gemeinschaft dieses Reiches und in seinen Dienst einzutreten. Und ein treuer Diener des Herrn hat es gut, Geliebte! Ein treuer Diener des Herrn hat es gut - das soll der Satz sein, der uns heute beschäftigt. Und der Herr selbst sagt uns in unserem Texte, warum sein treuer Diener es gut hat. Denn erstens befreit uns der Dienst des Herrn von dem verderblichen Dienste der Welt, und zweitens befreit er uns von dem drückenden Joche ängstlicher Sorge.

I.

Ein treuer Diener des Herrn hat es gut, weil er durch den Dienst seines Herrn befreit wird von dem verderblichen Dienste der Welt. - Christus nennt in unserem Texte diesen Dienst der Welt einen Mammonsdienst, und er bezeichnet mit dem Worte Mammon zunächst das Geld, insofern es von dem Menschen zu einem Abgott gemacht wird, auf dessen Dienst sein ganzes Tichten und Trachten gerichtet ist. Nun macht aber doch nur der allerschnödeste Geist den Gelderwerb und Geldbesitz zu dem eigentlichen Zweck des Lebens. Sonst betrachten auch die Kinder dieser Welt das Geld nur als ein Mittel zum Zweck, als ein Mittel, andere Güter und Genüsse des Lebens sich zu verschaffen. Und so bezeichnet denn das Wort Mammon alle vergänglichen Güter dieser Welt, insofern der Mensch sich ihnen dienstbar macht und in ihrem Erwerb und Besitz und Genuß die eigentliche Aufgabe seines Lebens findet. Und ein solcher Dienst ist verderblich. Aber du sprichst: „Wie? das sollte verderblich sein, daß wir die Güter dieser Welt gebrauten, die doch auch Gaben der Weisheit und Liebe unseres Gottes sind? Das sollte verderblich sein, daß wir sie genießen, um Leib und Seele zu stärken und zu erfrischen zu neuer Arbeit in unserem von Gott uns angewiesenen Berufe? Ja auch das kann nicht einmal verderblich sein, daß wir sie uns zu nutze machen über das nächste und dringendste Bedürfniß des Lebens hinaus, da sie uns von Gottes Güte doch gewiß nicht bloß zur Erhaltung, sondern auch zum Schmucke unseres Lebens gegeben sind, da auch durch solchen Ueberfluß gar viele Menschen Arbeit und Nahrung finden, und da ohne ihn ein edleres geselliges Leben unter den Menschen gar nicht gedacht werden kann.“ Du hast recht geredet, mein Freund! Gewiß, du sollst die Güter dieser Welt gebrauchen, aber du sollst dich von ihnen nicht gebrauchen lassen: du sollst sie, wie der Apostel sagt, also gebrauchen, daß du sie nicht mißbrauchest. Sie sollen dir dienen, aber du sollst nicht ihnen dienen. Du sollst sie dem höchsten Zwecke deines Lebens dienstbar machen, aber dich nicht ihnen, als ob sie selbst der höchste und letzte Zweck deines Gebens wären. Und was ist denn nun dieser höchste Zweck unseres Lebens? Was sagt denn eigentlich dieses „Du“ und „Ich“, womit wir uns als selbstständige und eigenthümliche Wesen bezeichnen und von andern unterscheiden? Sehet, Geliebte, wenn ein Kind zum erstenmale das Wort „Ich“ ausspricht, so ist das ein Zeichen, daß das Bewußtsein des geistigen Lebens in ihm aufgegangen ist. Und unser Geist, unsre unsterbliche Seele, das ist in der That unser wahres Ich, das ist es, worin unser wahres Wesen besteht und worauf, im Unterschiede von den anderen Geschöpfen der Erde, die Würde des Menschen beruht. Es ist zugleich diejenige Seite unseres Wesens, vermöge deren wir in Verbindung stehen mit Gott und mit der unsichtbaren Welt. Und diese Verbindung zu erhalten, und zu stärken, so daß wir bewahrt werden zum ewigen Leben, das ist der eigentliche Zweck unseres Lebens. Läßt dagegen der Mensch von der Sünde sich verführen, daß er, dem sinnlichen Theil seines Wesens folgend, aus dem Dienste Gottes heraustritt und eintritt in den Dienst der Welt, so muß das seinem wahren Wesen verderblich werden. Während er sein sterbliches Theil pflegt, läßt er seine unsterbliche Seele elend verkommen. Und wenn dann dem an sich selbst schon so unsicheren und so leicht und oft gestörten Genusse der vergänglichen Güter der Tod ein Ende macht, so hat er seinen Lohn dahin. Für flüchtige Freude hat er das ewige Heil seiner Seele hingegeben, und mit dem zeitlichen Tode fällt er zugleich dem ewigen Tode anheim. - So, meine geliebten Freunde, geht es denen, welche dem von Gott aus vorgesteckten Ziele unserer Bestimmung völlig den Rücken zukehren und völlig eintreten in den verderblichen Dienst der Welt, die ihren treuesten Dienern am Ende so schlecht lohnt. Wir wollen von ihnen jetzt nicht weiter reden. Auch der Heiland redet in unserem Texte von ihnen nicht. Seine Worte sind eigentlich zu den Pharisäern und Schriftgelehrten gesprochen, welche ja gerade ihrer strengen Erfüllung des göttlichen Gesetzes sich rühmten.

Mit ihrem Gottesdienst aber glaubten sie doch den Mammonsdienst noch vereinigen zu können, das selbstsüchtige Trachten nach zeitlichem Gut und das eitele Haschen nach Ehre vor den Leuten. Zu solchen also spricht der Herr, welche zwischen dem Dienste Gottes und dem Dienste der Welt nach beiden Seiten hin hinken. Ihnen gilt sein Wort: „Niemand kann zween Herren dienen: entweder er wird einen hassen, und den andern lieben, oder wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Und wenn wir nun bei dem Hinblicke auf Solche, welche von dem Dienste Gottes sich völlig losgesagt und dem Dienste der Welt sich völlig hingegeben haben, uns noch versucht fühlen könnten, Gott zu danken, daß wir nicht sind, wie solche Leute, um uns zu beruhigen bei dem Gedanken, daß es so schlimm mit uns noch nicht stehe; so werden gewiß wir alle, wie wir hier vor dem Angesichte des Herzenskündigers versammelt sind, keinen Anstand nehmen, einzugestehen, daß auch uns das Wort gilt, welches der Herr zu den zwischen dem Dienste Gottes und der Welt Schwankenden geredet hat. Wehe uns, wenn unsere Gerechtigkeit nicht besser ist, denn die der Pharisäer und Schriftgelehrten! - wenn wir wähnen, mit Gott uns gleich abfinden zu können durch Theilnahme am Gottesdienste und am Sacramente, oder auch durch ein paar elende Werklein äußerlicher Barmherzigkeit, um dann um so ungestörter der Welt wieder dienen zu können. Nicht den heiligen und allwissenden Gott betrügen wir mit solchem nichtigen äußerlichen Dienst, sondern nur uns selber; und wenn unter der äußerlichen Gesetzlichkeit im alten Bunde und auch unter der Aeußerlichkeit der römischen Gesetzeskirche ein solcher Selbstbetrug eher erklärlich ist, so sollte er doch in der evangelischen Kirche niemals vorkommen, welche auf der Grundüberzeugung ruhet, daß vor Gott keine Gerechtigkeit gilt, als die des lebendigen Glaubens, durch welchen der ganze Mensch zu einem neuen Leben wiedergeboren wird, herausgehoben aus dem Dienst des vergänglichen Wesens und hineingestellt in den Dienst des heiligen und barmherzigen Gottes. So laßt uns denn gesagt sein die ernste Mahnung desjenigen, welcher gekommen ist, um zu solchem Dienst uns zu berufen. „Niemand kann zween Herren dienen!“ Wir alle würden mit einem Diener nichts wollen zu schaffen haben, welcher neben unserem Dienste noch dem Dienste eines andern Herrn abwarten wollte; und mit unserem Herrn im Himmel ist es nicht anders. Auch er ruft, wie Luther zu unserem Texte bemerkt, seinen Dienern zu: „Allein mein, oder laß gar sein!“ Und zu diesem: „Laß gar sein!“ werden wir uns doch nicht entschließen wollen. O Geliebte, nicht umsonst sagt Christus das eine Mal: „Entweder er wird einen hassen und den andern lieben,“ und das andere Mal: „Oder er wird einem anhangen und den andern verachten.“ Wer die Welt allein lieb hat, der wird Gott und den Erlöser hassen, als einen lästigen Mahner, der ihn in seinem Weltleben auf eine widerwärtige Weise stört. Aber verachten darf er ihn nicht! Denn auch das verweltlichtste Gemüth vermag den Gedanken nicht völlig auszutilgen an einen allmächtigen, heiligen und gerechten Gott, der dem Menschen vergilt, darnach er verdient hat, und trifft einen Jeglichen nach seinem Thun (Hieb 34, N). - Wer dagegen in treuem Dienste seinem Gott und seinem Erlöser, der ihn so theuer erkauft hat, anhanget und die Seligkeit solchen Dienstes geschmeckt hat, der darf die Welt, wenn Ke von seinen Gott ihn scheiden will, verachten. Aus dem Dienste ihres vergänglichen Wesens hoch emporgehoben in die Gemeinschaft mit dem ewigen und lebendigen Gott, sieht er die Welt mit ihrer Lust, mit welcher sie ihn aus dem Dienste seines Gottes herauslocken will, und mit den Schmerzen, mit welchen sie die bedrohen kann, die ihrem Dienste sich nicht fügen wollen, tief unter sich. Der Dienst seines Gottes wird ihm darum nicht eine Versuchung zu sorgloser Sicherheit; vielmehr ist er auf seiner Hut, daß er nicht wider Wissen und Willen in die Versuchung und Stricke der gottesdienstlichen Welt verfalle, denn wenn er es wissentlich und willentlich geschehen ließe, so müßte er sich selbst verachten, als einen Solchen, der die Kräfte der zukünftigen Welt geschmeckt hat und doch wieder abgefallen ist in den Dienst dieser vergänglichen Welt. Tief in das Herz hinein ist ihm das Wort seines Heilandes geschrieben (Matth. 16,26): „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Und eben weil der Dienst Gottes ihn frei gemacht hat von dem verderblichen Dienste der Welt, eben darum kann er um so freier ihrer Güter sich bedienen. Er läßt sie jetzt nicht mehr seine Herren sein, sondern läßt sie sich dienen, damit er in Wahrheit ihr Herr werde und sie gebrauche zur Ehre seines Gottes. Geld und Gut, Kraft und Gesundheit, Ehre und guter Namen, das Alles muß ihm ein Mittel werden für seinen höchsten und letzten Zweck, daß er nur selbst immer vollkommener hineinwachse in den Dienst seines Herrn und das Wachsthum seines himmlischen Reiches auch bei andern fördere. So wird je mehr und mehr sein ganzes Leben ein Gottesdienst, und ihm selbst wird es im Dienste seines guten Herrn von Tag zu Tag wohler, bis zuletzt der Ruf an ihn ergeht (Matth. 25, 21): „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen: gehe ein zu deines Herrn Freude.“

II.

Ja, ein treuer Diener des Herrn hat es gut; denn wie der Dienst des Herrn von dem verderblichen Dienst der Welt uns befreit, so befreit er uns zweitens auch von dem drückenden Joch ängstlicher Sorge. - Wie der Mensch, gemäß seiner zwischen dem Geistigen und Sinnlichen getheilten Doppelnatur, einer doppelten Lust und Liebe fähig ist, der Lust und Liebe zu der vergänglichen Welt und der Lust und Liebe zu dem ewigen und lebendigen Gott; so auch einer doppelten Sorge. Und unsere Sorge, meine geliebten Freunde, ist ein Kind unserer Lust. Findet unsere Lust an den Gütern dieser Welt nicht ihre Befriedigung, so stellt die Sorge dieser Welt sich ein; und können wir unsere Lust an unserem Gott nicht haben, weil wir uns von ihm getrennt und von ihm verlassen fühlen, so entsteht die sehnsüchtige Sorge um die Herstellung der Gemeinschaft mit ihm, in welcher unsere unsterbliche Seele allein ihre volle Befriedigung finden kann. Seit die böse Weltlust den Menschen zu einer Beute der Sünde gemacht und seine selige Gemeinschaft mit Gott zerstört hat, ist auch diese letztere Sorge in seinem Herzen erwacht, da ihn ja doch Gott nach seinem Bilde und zu seiner Gemeinschaft geschaffen hat. Wie sehr auch die Heiden versunken waren in den Dienst dieser Welt und dem Geschöpfe dienten anstatt dem Schöpfer-, ein Rest dieser Sorge für das Wiederfinden des höchsten Gutes, des ihnen unbekannt gewordenen und verloren gegangenen lebendigen Gottes, ist ihnen doch immer geblieben; und in Israel hat sich immer auf's neue die Stimme der Sehnsucht laut werden lassen, daß doch die vollkommene Liebe die Furcht austreiben und, in lebendiger Verbindung mit dem heiligen Gott, das Volk dieses seines Gottes froh werden möge. Jesus Christus aber ist in die Welt gekommen, um diese Sorge von dem Menschenherzen zu nehmen. „Selig, ruft er ihnen zu (Matth. 5, 6), selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ In ihm ist der wahrhaftige Gott selbst voll Gnade und Wahrheit zu uns herabgekommen, und denen, die ihn aufnehmen, gibt er die Macht, Kinder Gottes zu werden. Indem er aber auch spricht (Joh. 14, 8): „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“, legt uns der Herr zugleich eine neue Sorge auf, die Sorge dafür nämlich, daß wir diesen einzigen Weg zum Heile auch entschieden einschlagen. Diese Sorge will er nicht von uns nehmen, Geliebte, sondern die Frage (Apostelg. 16, 30. 31): „Was muß ich thun, daß ich selig werde?“ und die Frage, wie wir denn zu der Antwort auf diese Frage stehn: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du und dein Haus selig“ - diese Fragen müssen stets der Gegenstand unserer angelegentlichsten Sorge sein. Sagt darum doch der Apostel (Phil. 2,12): „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern,“ und auch in unserem Text legt Christus selbst diese wichtigste Sorge, die Sorge für unser ewiges Heil, uns an das Herz in den Worten: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.“ - Aber gerade je mehr diese Eine Sorge unser ganzes Herz füllt und uns treibt, immer treuere Diener unseres Gottes zu werden, desto mehr werden wir von dem drückenden Joche ängstlicher Sorge befreit. Denn was uns ängstigt und quält und zum wahren Genusse unseres Lebens uns nicht kommen läßt, das ist ja nicht die eine große Sorge um das Eine, was noth ist; sondern es sind die kleinen Sorgen um allerlei äußere Güter des Lebens, die zum großen Theil uns gar nicht eigentlich noth sind, und die, soweit sie noth sind, auch der gütige Vater im Himmel seinen Kindern zu Theil werden läßt. Mit solchen Sorgen aber soll sich der nicht plagen, welcher aus dem Dienste der Welt in den Dienst Gottes eingetreten ist; so will es das Wort unseres Herrn: „Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allen trachten die Heiden; denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürfet!“ Und fragt nur einmal eure eigne Erfahrung, meine lieben Freunde: Wenn diese Fragen: „Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?“ wirklich hervorgeht, aus dem Mangel an den unentbehrlichsten Lebensbedürfnissen, gehn sie nicht da in gar vielen Fällen von solchen aus, welchen die Frage: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?“ noch niemals eine Sorge gemacht hat? Und wird es nicht besser mit ihnen, sobald sie mit dieser Frage sich ernstlich beschäftigen gelernt haben und damit in den Dienst ihres Gottes eingetreten ,sind? Lernen sie dann nicht ihre Kräfte sammeln, in Zucht und Ordnung Zeit und Verdienst zu Rathe halten, und dem Herrn, welchem sie dienen, fröhlich vertrauen? Und bewährt sich dann an ihnen nicht oft gar herrlich die Verheißung unseres Herrn, daß denen, die nur am ersten nach dem Reiche Gottes trachten, dann auch alles Andere zufallen soll? Das Schlimmste aber ist, daß die bei weitem größte Zahl dieser kleinen und unser wahres Ziel uns verrückenden Sorgen ja erst angeht, wenn das wirkliche Bedürfniß längst gedeckt ist. Nicht darum handelt es sich, daß wir zu essen und zu trinken und uns zu kleiden haben; sondern wie wir essen und trinken und uns kleiden sollen, wie wir es anzufangen haben, daß wir darin diesem und jenem nicht nachstehen, es ihm vielmehr zuvorthun, oder wie wir von Tag zu Tag unsern Ueberfluß an Geld und Gut noch vermehren können, das sind dann die Fragen, die unser ganzes Tichten und Trachten in Anspruch nehmen. Und ist nun nicht das ein Jammer, wenn der Mensch, der für das ewige Leben geboren ist, mit solchen Nichtigkeiten eines heidnischen Weltdienstes das kurze Erdenleben hinbringt? Muß nicht der, welcher mit aufrichtiger und ernster Treue seinem Gott dienen gelernt hat, das entehrende Joch solcher kleinlichen, alles höhere Leben und allen wahren Lebensgenuß zerstörenden Sorgen verächtlich von sich abschütteln? O möchten wir doch von den Vögeln unter dem Himmel und von den Lilien auf dem Felde, auf welche Christus uns hinweist und welche Gott so wunderbar nährt und kleidet, Vertrauen lernen zu unserem Vater im Himmel, der seine Kinder gewiß nicht verlassen und versäumen wird! Möchten wir vernehmen und verstehen, wie auch sie uns predigen (1. Tim. 6, 6-9): „Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns begnügen. Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricks und viele thörichte und schädliche Lüste, welche versenken die Menschen in's Verderben und Verdammniß.“ Möchten wir in dem Dienst unseres Gottes nach dem Einen trachten lernen, was noth ist, damit wir frei werden von dem drückenden Joch unnöthiger Sorgen, das auf der Seele lastet und alle Kraft tüchtigen Wirkens in uns lähmt. - Aber unser Text schließt noch mit einer besonderen Warnung Jesu: „Sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Nun, diese Sorge für den morgenden Tag, diese Sorge für die Zukunft, die ist ja wohl von edlerer Art, als das niedrige Sorgen um die Güter dieser Welt und das gierige Jagen nach ihrem Besitz und Genuß? Denn der Mensch soll ja nicht von der Hand zum Mund leben, sondern bei allem, was er thut, das Ende bedenken. Gewiß meine lieben Freunde soll er das; nur soll auch das nicht mit ängstlicher Sorge geschehen, sondern auch die ängstliche Sorge für die Zukunft sollen wir abwerfen im Dienste des Herrn und im Vertrauen darauf, daß er ein weiser Fürst ist und Alles wohl verwalten wird. Wir sollen uns nicht durch unnützes und doch niemals zu einem sicheren Ziele führendes Grübeln über das, was morgen sein könnte, oder nicht sein könnte, Zeit und Stimmung verderben. Besser, als durch solches unfruchtbare Grübeln, werden wir für den morgenden Tag sorgen, wenn wir nur am heutigen treulich thun, was der Wille des Herrn von seinen Dienern fordert. Es hat ja, wie der Herr sagt, ein jeglicher Tag seine eigne Plage, es hat ein jeder Tag seine eigne Aufgabe und seine eigne Arbeit. Und wenn wir der im treuen Dienste gerecht werden, so dürfen wir unserem Herrn es überlassen, daß er morgen für das Seine sorgen wird, gleichwie der Ackersmann, wenn er zur rechten Zeit und mit fleißiger, sorgfältiger Hand den Samen gesäet hat, wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfahl den Morgen- und Abendregen (Jac. 5. 7).

So möge denn der treue Gott durch die Kraft seines Geistes uns hineinziehen in seinen Dienst und uns darin bewahren und von Tag zu Tage mehr befestigen; denn ein treuer Diener des Herrn hat es gut im zeitlichen und im ewigen Leben. Ihr habt es gut! Ja. glaubt es ganz gewiß. So lang' er euch als seine Diener kennet. O wohl euch, wenn anstatt der Finsterniß

Im Herzen Glauben, Fried' und Freude brennet!
So seid ihr auch im Tode wohlgemuth;
Ihr habt es gut! - Amen.

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autoren/b/baur_gustav/baur-15_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von aj
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