Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Sechsundzwanzigster Vortrag. Tod und Grab.

Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Sechsundzwanzigster Vortrag. Tod und Grab.

Wenn ein Mensch, der seine Stelle in der Welt mit dem Wirken seines Geistes in seinem Maße erfüllt, aus dem Leben scheidet, so ist dies für seine Umgebung ein Moment von ergreifender Wirkung und dies um so mehr, wenn der Tod dem Leben entsprechend war. Es tritt dann das Bild des Geschiedenen vor die Seele Aller, die von dem Hauch des Lebenden berührt worden sind, in einer Klarheit und Fülle, wie nie zuvor, und die Wirkung dieses Bildes ist die Besiegelung des Wirkens dessen, der von hinnen gegangen. Es ist der Größte unter allen Lebenden, den wir haben scheiden sehen, und sein Sterben hat eine Tiefe des Leidens und eine Höhe der Kraft, wie kein anderes, ja das Leben, das sich vor unseren Augen vollendet hat, ist das einzige wahre Menschenleben, im Vergleich mit welchem alles andere Leben nur uneigentlich so zu nennen ist, und das Sterben dieses Lebens ist der Tod in seiner vollen Wahrheit, von welcher alles andere Sterben nur ein Schattenbild ist. Wir werden es demnach ganz in der Ordnung finden, wenn das Scheiden dieses Lebens auf die Welt einen sehr bestimmten und unvergleichlichen Eindruck macht. Das Sterben Jesu Christi ist von bedeutsamen Zeichen begleitet, welche am Himmel, auf Erden und unter der Erde geschehen, von Wirkungen und Veränderungen, welche in der Menschenwelt auftreten.

Die Finsterniß, welche das Land Israels während der letzten Stunden des Leidens Jesu verhüllte, währt bis zur neunten Stunde des Tages, nach deren Eintritt Jesus verscheidet. Mit dem Tode Jesu geht also das Himmelslicht des Tages wieder aus. Es ist das Zeichen eines neuen Tages, welcher der Welt durch das Werk, welches Jesus in der Finsterniß der Welt vollbracht hat, aufgehen wird. Mit dem Moment des Todes Jesu zerreißt in dem Tempel der Vorhang, welcher das Allerheiligste, die Stäte der Gegenwart Jehovas, verschließt (s. Matth. 27,51. Marc. 15,38. Luk. 23,45). Jesus ist durch den Vorhang seines Fleisches, welches er in Kraft des ewigen Geistes geopfert hat, eingegangen in das Allerheiligste Gottes (s. Hebr. 10,20), und zwar als der Christ, als der Hohepriester Israels und aller Heiden und hat damit ein- für allemal die Thür des Einganges zu dem Gnadenthron Gottes im Himmel aufgethan für Alle, welche ihr Herz mit seinem heiligen Blute im Glauben besprengt und gereinigt haben (s. Hebr. 10,22.23). Ein Erdbeben erfolgte, welches Felsen spaltete und die steinernen Gräber um Jerusalem aufthat, und nachdem Jesus auferstanden war, „gingen viele Leiber von entschlafenen Heiligen aus den geöffneten Gräbern hervor und kamen in die heilige Stadt und erschienen Vielen“ (s. Matth.. 27,52.53). Das Sterben Jesu, da es, wie wir gesehen, die Erledigung und Ueberwindung des der sündhaften Menschheit gedrohten Todes ist, sprengt die Riegel des Todes und des Grabes. Diese sich auf alle Geschlechter und Zeiten erstreckende Wirkung des Todes Jesu ist eine so über alle Maßen wichtige, daß sie sofort in einem Wunderlichen offenbar werden muß. Es ist naturgemäß, daß dieses Zeichen da seine Stäte hat, wo ein geschichtlicher Zusammenhang mit dem Leben und Sterben Jesu vorhanden ist. Die Heiligen in Israel sind diejenigen, welche für die Erlösung Israels gearbeitet und gelitten haben, welche mit heiligem Verlangen ihrer Seele ausschauten nach dem Kommen dessen, der Alles vollenden und erfüllen werde. Diese sind entschlafen, wie Matthäus schreibt, indem er die Wirkung des Todes Jesu, durch welchen das Sterben Aller, die an die Offenbarung der Gnade Gottes glauben, zu einem Versinken in Schlaf mit der Hoffnung eines neuen Tages und eine Erquickung und Erfrischung zu neuem Leben geworden ist, vor Augen hat. Diese Entschlafenen werden wach durch die in das Unterreich eindringende Wirkung des Todes Jesu und kommen in die heilige Stadt. Jerusalem ist die mit dem Blute der Propheten und nun auch mit dem Blute des Heiligen und Gerechten befleckte Stadt, aber Matthäus nennt sie deßungeachtet in diesem Zusammenhang heilig, weil er eben in diesem Zeichen die Kraft der fürbittenden Stimme des Blutes Jesu erkennt. Aber auch in der lebenden Menschheit offenbart sich die Wirkung des Todes Jesu von Stund an, zwar nicht an denen, welche in das Geheimniß des Lebens Jesu am tiefsten eingeweiht waren. Die Apostel werden später die Predigt von dem Gekreuzigten durch die Welt verbreiten und das Wort vom Kreuz als die höchste Weisheit und Lebenskraft den Völkern offenbaren; es wird also die Wirkung des Todes Jesu in ihrem Zeugniß die größte und mächtigste Offenbarung erhalten. Aber eben deshalb bedürfen diese Zeugen einer tieferen und nachhaltigeren Vorbereitung, und sie sind nicht diejenigen, an denen die augenblickliche Wirkung des großen Todes sich zeigt. In dieser Beziehung treten vielmehr Fernerstehende auf und Allen voran der römische Centurio, der bei der Kreuzigung den Oberbefehl hatte. Dieser römische Krieger, der Alles, was sich in den letzten Stunden mit Jesu ereignete, gesehen, wird nach dem Eintritt des Todes so mächtig ergriffen, daß er ausruft: „wahrlich, dieser Mensch war gerecht und ein Gottessohn“ (s. Luk. 23,47. Matth. 27,54. Marc. 15,39). Die Zeichen, welche den Tod Jesu begleiteten, insbesondere aber die Kraft der Stimme, mit welcher Jesus aus dem Leben scheidet und in welcher der Römer die unzweideutige Wirkung eines reinen Willens und guten Gewissens erkennen mochte, überwältigte den Hauptmann, er erschrak heftig, gab Gott die Ehre, wie Lukas schreibt, und spricht das Höchste aus, was er zum Lobe eines Menschen zu sagen vermag. Er ist der dritte Heide, welcher den von dem Synedrium als Gotteslästerer zum Tode Verurtheilten als einen Gerechten erkennt; darin aber geht er weiter als Pilatus und sein Weib, daß er außerdem in Jesu ein übermenschliches Wesen anerkennt, und darin ersehen wir die Wirkung der im Tode geschehenen Vollendung Jesu. Uebrigens verbreitet sich der Eindruck des Schreckens auch auf die gemeinen römischen Knechte, welche mit Ausnahme des Einen, der Jesus die letzte Bitte erfüllte, bis dahin gefühllos geblieben waren (s. Matth. 27,54). Und nach dem Bericht des Lukas werden auch die jüdischen Volkshaufen, die bis dahin Nichts als Spott und Hohn geäußert hatten, von der Macht der den Tod Jesu begleitenden Zeichen ergriffen, sie schlugen an ihre Brust und wandten um (s. Luk. 23,48). Auf gleicher Linie liegt das Verhalten des Joseph von Arimathia, dem sich Nikodemus anschließt. Joseph war ein reicher Mann, ein angesehenes Mitglied des hohen Rathes, dabei aber ein Jünger Jesu, gütig und gerecht von Charakter, und hatte keinen Theil an dem ungerechten Urtheil über Jesum (s. Matth. 27,57. Marc. 15,42.43. Luk. 23,50. Joh. 19,38). Aber sein Verhältniß zu Jesu hatte er bis dahin, wie Johannes ausdrücklich berichtet, aus Furcht vor den Juden verborgen gehalten, es hatte ihm deshalb auch an Muth gefehlt, dem Blutrath des Synedriums beizuwohnen und der Ungerechtigkeit offenen Widerstand zu leisten. Aehnlich stand es mit Nikodemus, von dem wir wissen, daß er einmal den Muth gewann, im Synedrium seine Stimme für Jesum zu erheben (s. Joh. 7, 50. 51), dann aber durch den allgemeinen Widerspruch sich zum Stillschweigen bringen ließ. Was das Leben und Wirken Jesu über diese beiden vornehmen Juden nicht vermochte, das bewirkte sein Leiden und Sterben. Marcus bemerkt daher ausdrücklich, daß Joseph einen kühnen Entschluß faßte, als er sich zu Pilatus begab. Beide nämlich bekennen sich jetzt thatsächlich zu dem Gekreuzigten, indem sie sich seines entseelten Leibes annehmen. Auch der Umstand mag hierher gerechnet werden, daß die galiläischen Weiber, die Jesu in großer Zahl nach Jerusalem gefolgt waren (s. Marc. 15,40.41), nicht bloß Stand halten unter dem Kreuze, sondern sich zur feierlichen Bestattung Jesu anschicken (s. Matth. 27,61. Luk. 23,55).

Wir gewinnen also den Anblick einer großen und hohen Todtenfeier, welche das Sterben des Heilandes rings umgibt; diese Feier geht durch Himmel und Erde, durch das Reich der Lebenden und der Todten, umfaßt den Gegensatz der Juden und Heiden. Und zwar ist diese Feier nicht sowohl Trauer und Klage, sondern entsprechend der Natur dieses Todes ist ihr Charakter Licht und Leben, Erleuchtung und Erkenntniß, Muth und Kraft,

Der Mittelpunkt aber von allen Zeichen, welche das Sterben Jesu umgeben und begleiten, ist und bleibt er selber und zwar er selber in seinem Tode. Der Leib Jesu ist das Werkzeug der göttlichen Offenbarung gewesen, als er im Leben sich frei bewegte, dieser Leib ist auch jetzt, nachdem seine Glieder erstarrt sind, der heilige Leuchter, auf welchem das Licht der Welt seine Strahlen in die Finsterniß verbreitet. Johannes berichtet ein großes Zeichen an dem entseelten Leibe Jesu. Die Juden baten den römischen Procurator, daß mit Rücksicht auf den kommenden Sabbat, der des noch laufenden Passafestes wegen besonders feierlich war, die Leichname von den drei Kreuzen abgenommen werden möchten (s. Joh. 19,31). Die Juden bleiben sich in ihrer Heuchelei immer gleich, „indem sie Kameele verschlucken, seigen sie Mücken“; aber auch jetzt müssen sie mit ihrer Heuchelei dazu dienen, auf daß die Werke Gottes offenbar werden. Den beiden Räubern werden die Beine gebrochen, um ihren Tod zu beschleunigen und die Abnahme noch vor Anbruch des Sabbats zu ermöglichen. Dabei aber wird es offenbar, daß Jesus schon gestorben ist, und deshalb werden ihm die Beine nicht gebrochen. Durch sein schnelles Sterben, welches offenbar als eine Folge und Wirkung seines rückhaltslosen Entschlusses, den ganzen ungemischten Todeskelch zu trinken, anzusehen ist, erreicht er es, daß sein Leib ungebrochen bleibt und er dadurch auch äußerlich, wie Johannes bemerkt (s. 19,36), erscheint wie das Passalamm, welches nicht gebrochen werden durfte. Damit hing aber ein Anderes zusammen, welches noch bedeutsamer war. Auf daß man des Todes Jesu in jedem Falle völlig sicher wäre, öffnete ein römischer Kriegsknecht die Seite Jesu mit einem Lanzenstich und alsbald ging Blut und Wasser heraus. Johannes bezeugt feierlich, daß er selber diese Erscheinung an dem Leibe Jesu gesehen und daß sein Zeugniß ein wahrhaftiges sei (s. Joh. 19,34.35). Diese feierliche Versicherung des Evangelisten hat keinen anderen Zweck, als um seine Leser auf das in dieser Thatsache enthaltene Wunderbare aufmerksam zu machen. Bekanntlich kommt das Blut, dieser inwendige Lebensstrom des Menschen, mit dem Eintritt des Todes sofort ins Stocken, indem die Flüssigkeit des Blutes gerinnt. In dem entseelten Leibe Jesu ist dagegen alles Blut flüssig geblieben, so daß es gänzlich verströmt und zuletzt nicht mehr Blut, sondern Wasser aus der offenen Seitenwunde fließt. Daß der Tod eingetreten ist, wird als gewiß und unzweifelhaft vorausgesetzt, wie denn die Thatsache des Sterbens von allen vier Evangelisten einfach berichtet, wird, die Flüssigkeit des Blutes nach eingetretenem Tode ist also ein Beweis, daß die sonst mit dem Tode erfolgende Verwandlung des Blutes hier nicht vorhanden ist. Also der Tod tritt hier ein, aber seine nächste und unmittelbare Wirkung auf das Blut des gestorbenen Leibes bleibt aus. Das kann nichts Anderes bedeuten, als daß dieser Tod das Ende des Todes ist und zwar zunächst innerhalb des Leibes, welcher dem Tod erlegen ist. Es stimmt dieses genau mit dem, was wir erkannt haben, daß nämlich der Tod Jesu die Erledigung und Ueberwindung des Todes ist. Ist nämlich dieses wirklich der Fall, so versteht sich von selbst, daß die sonstige Wirkung des Todes, worin er eben seine Macht und seinen Sieg behauptet, hier nicht Statt haben kann. Ist es aber mit diesem Zeichen an dem Leibe Jesu so beschaffen, dann dürfen wir dasselbe nicht ansehen als eine von außen kommende Gotteswirkung, wie etwa Mose, nachdem er gestorben war, nicht seinem Volke überlassen blieb, sondern durch Jehovas Wunderhand dem gemeinen Geschick des Begräbnisses entnommen wurde. Der wunderbare Zustand des Leibes Jesu muß dagegen als eine von innen her erfolgende Wirkung des Geistes und Lebens Jesu angesehen werden und ist somit die ewige und göttliche Kraft dieses Todes in diesem Zeichen des entseelten Leibes für alle Zeiten aufgewiesen.

Es folgt nun die Bestattung Jesu. Es gehört zur vollen Wahrheit seines Eingehens in den menschlichen Zustand, wie derselbe nach der Sünde geworden ist, durch welches völlige Eingehen allein das menschliche Elend gehoben werden kann. Nachdem die Sünde eingetreten ist, spricht Jehova dem Manne die frühere Todesdrohung in der Gestalt aus, daß er, sowie er vom Staube genommen sei, in den Staub wieder zurückkehren werde (s. l M. 3,19); der Tod hat hier also die Gestalt der Rückkehr des Menschen in den Staub. So ernst ist es Jesu mit seiner Menschheit, daß er den Weg der gegenwärtigen Menschheit bis an dieses Ziel verfolgt und auch leiblich in die unteren Oerter der Erde eingeht (s. Eph. 4,9), Aber so wie überall sein Eingehen in das menschliche Geschick nicht ein Durchgang ist, der spurlos verschwindet, sondern eine solche Erfüllung der menschlichen Formen, die in sich die Kraft hat, welche allen Anderen die Möglichkeit gewährt, ihm nach an ihrem Theile die menschlichen Aufgaben zu erfüllen, so ist es auch in dem Eingehen Jesu m die menschliche Grabesgemeinschaft. Er geht ein in das Grab, diese äußerste Finsterniß des irdischen Seins, um auch hier die Nacht zu erleuchten, und mit dem Ort des Schreckens das menschliche Gemüth vollständig auszusöhnen.

Weit verbreitet war im Alterthum die Sitte, die menschlichen Leichen zu verbrennen, um die natürliche Auflösung in Staub künstlich zu beschleunigen. Aber da, wo die Erinnerung an die Urgeschichte der Menschheit am treuesten erhalten wurde, in dem Volke Gottes, war die Sitte des Begrabens von Alters her eingeführt und mit einer tiefen Bedeutsamkeit umgeben. Wir sehen das insbesondere in der Zeit der Patriarchen, welche, da sie während ihres Lebens in dem Lande der Verheißung nur Pilgrimme waren, mit großer Angelegentlichkeit dafür sorgten, nicht bloß daß sie in dem gelobten Lande ihre Grabesstäte erhielten, sondern auch, daß wenigstens diese Grabesstäte ihr Eigenthum wurde. Daß man in Israel der natürlichen Auflösung des Leichnams durch die Verwesung ihren Lauf ließ, mochte zunächst auf der Erinnerung an jenen Ausspruch Jehovas über das Geschick des sündig gewordenen Menschen beruhen. Es lag nahe genug, das, was Gott selbst nach jenem Wort in seine Hand genommen, nicht durch eigenes Hinzuthun und gewaltsam herbeizuführen. Ohne Zweifel aber kam auch ein Anderes hinzu. In dem Volke Israel wurde durch göttliche Verheißung von Anfang her der Blick auf die Zukunft gerichtet, in welcher Alles, wozu das Volk angelegt war, sich vollenden und erfüllen sollte. Für die Einzelnen war nun der Tod die einstweilige Ausschließung von dieser Zukunft; und doch war die Zukunft immer für das Ganze des Volkes, in welches die Einzelnen eingeschlossen waren, bestimmt. Das Einzige, was von den Abgeschiedenen übrig blieb, war der entseelte Leib und so mußte der Leichnam als das Unterpfand der Theilnahme an der Zukunft des Ganzen erscheinen und darum war der Leichnam in Israel Gegenstand der Liebe und Ehre und die Grabesstäte der Sorge und Theilnahme der Ueberlebenden befohlen. Aber bei dem Allen befindet sich zunächst die unerbittliche Strenge des göttlichen Richterspruches über Adam: das Haus des Grabes ist die Stäte der Verwesung und der Würmer, des Schweigens und finsteren Oede. Jesus hat sich mit seinem Mitgefühl in dieses letzte Geschick des sündigen Menschen versenkt, als er an das Grab seines Freundes Lazarus herantreten wollte, und darum wurde er an dieser Stäte so heftig bewegt und vergoß Thränen. Aber Angesichts dieses Grabes war er sich der Kraft bewußt, nicht bloß für sich des Grabes Sieg zu brechen, sondern auch für Alle, die an ihn glauben würden, darum sagte er zu Martha: „ich bin die Auferstehung und das Leben.“ und in diesem Vollgefühl seiner Tod und Verwesung überwindenden Kraft nannte er den Tod seines Freundes einen Schlaf und verglich sein eigenes Sterben mit der Auflösung des Weizenkorns, welches in der Erde stirbt, um viele Frucht zu bringen (s. Joh. 12,24). Da er durch seinen Tod den Tod überwunden hat, so hat die Verwesung keine Macht über seinen Leib, er ist in das Grab eingegangen, aber die Verwesung hat er nicht geschaut (s. Apostelg, 2,27). Für ihn ist das Grab recht eigentlich die Ruhestätt nach vollbrachter Lebensarbeit. Während seines Wirkens hatte er keine State auf Erden, wo er sein Haupt hinlegen konnte; im Grabe hat er diese State gewonnen. Ehe der Freitag, der letzte Arbeitstag der letzten Woche zu Ende geht, hat er sein Werk vollbracht und ehe der Sabbat anbricht, ist er eingebracht in seine Ruhestatt, um an dem Sabbat des Passafestes, den die Juden auszeichneten, die erste und vollkommene sabbatliche Ruhe zu feiern, welche nach dem Sabbat Jehovas im Paradiese auf Erden gehalten ist.

Weil nun diese sabbatliche Grabesruhe des Herrn eine wahrhaft weltgeschichtliche Thatsache ist, so fehlt es auch hier nicht an der entsprechenden Begleitung. Zwar ist hier Nichts verabredet und vorbereitet, aber dadurch, daß sich Alles unmittelbar ergibt, ist es um so ernstlicher gemeint und wir werden außerdem auf eine höhere Hand hingewiesen, die hier im großen Stil ausführt, was von der größten menschlichen Anstrengung nur nothdürftig hergestellt werden kann. Voran stehen die beiden Mitglieder des hohen Rathes, Joseph und Nikodemus. Joseph erwirkt sich von Pilatus die Erlaubniß, den Leib Jesu vom Kreuz nehmen zu dürfen. Er besitzt in der Nähe der Schädelstäte einen Garten, in welchem er nach jüdischer Sitte ein Grab in Felsen hat hauen lassen, welches noch nicht gebraucht worden war (s. Matth. 27,61). Dieses Bereitstehen eines Grabes in der Nähe des Kreuzes ist deshalb ein so günstiger und wichtiger Umstand, weil der unmittelbar bevorstehende Anfang des Sabbats, der mit Sonnenuntergang anbricht, die größte Eile notwendig macht, da zwischen dem Eintreten des Todes Jesu und dem Anfang des Sabbats nur drei Stunden liegen, so haben wir hier ohnehin eine ganz ungewöhnliche Raschheit in Entschluß und Handeln anzunehmen. Jetzt nun ist es nicht die Raserei der Leidenschaft, welche treibt, sondern die Macht und Gewalt der heiligen Liebe.

Joseph und Nikodemus nehmen den Leib Jesu und schlagen ihn in Tücher von feinste r reiner Leinewand (s. Matth. 27,59. Joh. 19,40). Nikodemus bringt eine große Menge von Wohlgerüchen, einer Mischung von Myrrhen und Aloe, um die Bestattung Jesu auch nach dieser Seite hin der israelitischen Sitte gemäß zu veranstalten. Trotzdem also, daß Jesus in die Hände der Sünder fällt und sie mit seinem Leibe thun, was sie wollen, wird dieser Leib, sobald er von der Hand der Sünder den Tod erlitten, der höchsten Ehre theilhaftig, und zwar ist es die Liebe, die sich in dieser Ehre gar nicht genug thun kann. Wir haben gesehen, daß Maria von Betanien in der Voraussicht dessen, was kommen werde, Jesum bereits vor sieben Tagen mit ihrem kostbaren Nardenöl zu seinem Begräbniß eingeweiht hat. Und die treuen Weiber aus Galiläa, welche Jesum begleitet haben, die bei seinem Kreuze ausgeharrt und nun seiner Bestattung beiwohnen, können es nicht unterlassen, auch ihrerseits Hand anzulegen. Am Sabbat zwar halten sie sich still, sobald aber der Sabbat zu Ende gegangen, am Abend des Sonnabends kaufen sie Specereien und rüsten sich, die Einbalsamierung des Leibes Jesu noch vollständiger zu machen (s. Luk. 23,56. Marc. 16,1).

Aber noch von einer anderen Seite her wird für die ehrenvolle Auszeichnung der Grabesstäte Jesu gesorgt. Bei aller Herzenshärtigkeit, in welche die jüdischen Oberen verfallen sind, haben sie auch nach dem vollständigen Gelingen ihres bösen Anschlags gegen Jesum keine Ruhe. Ihnen ist das Wort Jesu von seiner Auferstehung nach dreien Tagen zu Ohren gekommen, dieses Wort macht ihnen Sorge und Angst, sie wagen es sich selber nicht zu gestehen, daß sie diesem Wort einen gewissen Glauben nicht versagen können, sie dürfen Anderen noch weniger von dem unheimlichen Eindruck, den dieses Wort auf sie macht, verrathen. Sie kleiden ihre Sorge in die Wendung, daß sie sich und Anderen vorspiegeln, die Jünger könnten den Leichnam Jesu heimlich ans seiner Grabesstäte entwenden und dann sagen, er wäre auferstanden und damit wäre dann das Schreckliche eingetreten, was sie so ausdrücken, „der letzte Betrug würde ärger sein, als der erste.“ Mit dieser Vorstellung wenden sie sich an Pilatus und sie erreichen, was sie wünschen (s. Matth. 27,62-65). Theils hatte sich der römische Procurator in Bezug auf Jesum mit dem leidenschaftlichen Ungestüm der jüdischen Oberen schon zu weit eingelassen, um jetzt Widerstand zu leisten, theils mochte er selber durch das Vorbringen der Hohenpriester in Furcht gesetzt werden, daß sich irgend eine unvorhergesehene Wendung ereignen könnte, wodurch die nun hergestellte Ruhe wieder gestört werden würde. Genug, der Landpfleger übergab den Hohenpriestern eine römische Militärwache, diese stellten sie an das Grab Jesu und außerdem versahen sie den Stein, den Joseph vor das Grab hatte legen lassen, mit ihrem hohenpriesterlichen Siegel (s. Matth. 27,66).

Liebe und Haß der Menschen haben sich vereinigt, um die Bestattung und das Grab Jesu auszuzeichnen; beide handeln blind, aber als Werkzeuge in Gotteshand, um diese Grabesstäte zu dem Denkmal der höchsten Erweisung göttlicher Kraft und göttlichen unauflöslichen Lebens zu weihen. Die Liebe ganz versenkt in die Erschütterung der augenblicklichen Gegenwart behandelt den Leib Jesu, als müsse er vor der Macht der Verwesung geschützt werden, und weiß nicht, daß wenn Jesus seinen Sabbat feiert, und zum ersten Mal den Sabbat für die Menschheit vollendet, keine Macht des Todes und Grabes seinem Leibe Etwas anhaben kann. Dem Haß liegt in seiner berechnenden argwöhnischen Kälte die Erinnerung an das große Wort Jesu von seiner Auferstehung näher, als der Liebe, aber dafür verfällt er in den Wahn, daß er mit dem Schwert römischer Soldaten und der Sicherheit eines jüdischen Siegels die göttliche Gewalt des Werkes Jesu hemmen und aufhalten könne. Beide, die Liebe und der Haß, sie müssen erfahren, daß Jesus ein weit Anderer und Höherer ist, als sie meinen. Die Liebe erfährt es zur Vervollkommnung ihrer Freude und zu ihrer Selbstvollendung, der Haß zu seiner Selbstverwirrung, zu seinem Schrecken und zu seiner Selbstvernichtung.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/baumgarten/baumgarten-die_geschichte_jesu/baumgarten_dgj_sechsundzwanzigster_vortrag.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain