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Aurelius Augustinus - Psalm 109

Aurelius Augustinus - Psalm 109

Ps. 109.1.

Eure Seele möge leben und wachsam sein zu Gott hin. Gott hat nämlich eine Zeit für seine Verheißungen festgelegt und eine Zeit, in der sich die Verheißungen erfüllen sollen. Die Zeit der Verheißungen war die Zeit der Propheten bis zu Johannes dem Täufer. Von Johannes an bis zum Ende ist die Zeit der Erfüllung dessen, was verheißen ist. Getreu ist Gott, der sich zu unserem Schuldner machte, nicht dadurch, dass er etwas von uns empfangen, sondern dadurch, dass er uns so Großes verheißen hat. Nicht genug war ihm die Verheißung, er wollte sich auch durch die Schrift binden und mit uns gleichsam einen Schuldschein seiner Verheißungen aufstellen, damit, wenn er anfinge einzulösen, was er verheißen hat, wir in der Schrift die Reihenfolge des Einlösens ablesen könnten. Die Zeit der Prophetie war die Zeit der Voraussage, wie wir schon oft gesagt haben, die Zeit der Verheißungen. Verheißen hat er das ewige Heil und das selige Leben mit den Engeln ohne Ende, das unverwelkliche Erbe, die ewige Herrlichkeit, die Schönheit seiner Gegenwart, sein Heiligtum im Himmel und nach der Auferstehung der Toten keine Todesfurcht mehr. Das ist gleichsam seine endgültige Verheißung, auf die all unser Streben zielt. Wenn wir dorthin gelangen, suchen wir nichts anderes mehr. Wie man aber zu diesem Endzustand kommt, auch das verschweigt er nicht bei seiner Verheißung und Vorherverkündigung. Er hat den Menschen Vergöttlichung verheißen, den Sterblichen Unsterblichkeit, den Sündern Rechtfertigung, den Verworfenen Verherrlichung. Was immer er verheißen hat, das hat er Unwürdigen verheißen, damit es nicht scheint, als ob den Werken Lohn verheißen würde, sondern Gnade sollte - wie der Name sagt - umsonst gegeben werden. Auch wenn einer gerecht lebt, insofern ein Mensch überhaupt gerecht zu leben imstande ist, so ist das nicht menschliches Verdienst, sondern göttliches Geschenk. Keiner lebt nämlich gerecht, außer er wird gerechtfertigt, d.h. zu einem Gerechten gemacht. Durch den aber wird der Mensch gerecht, der niemals ungerecht sein kann. Wie nämlich eine Leuchte nicht durch sich selbst angezündet wird, so kann auch die menschliche Seele sich nicht selber Licht schenken, sondern sie ruft zu Gott: „Du gibst meiner Leuchte Licht, o Herr!“ (Ps. 17,29).

Ps. 109.2.

Den Sündern ist das Himmelreich verheißen, denen, die nicht in der Sünde verharren, sondern von den Sünden befreit der Gerechtigkeit dienen. Damit sie das können, hilft ihnen - wie wir sagen - die Gnade, und er, der immer gerecht ist, rechtfertigt sie. Gott hat sich in unglaublicher Weise um die Menschen gekümmert, und da gibt es heutzutage Leute, die an der göttlichen Gnade zweifeln und sich nicht von ihrem schlechten Lebenswandel zu Gott bekehren wollen, um von ihm gerechtfertigt zu werden und durch seine Vergebung all ihrer Sünden ein gerechtes Leben anzufangen in dem, der niemals ungerecht lebt. Sie haben solche verkehrten Gedanken, dass sie behaupten, Gott kümmere sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten, der Schöpfer und Herr dieser Welt könne nicht daran denken, wie irgendein Sterblicher auf dieser Erde lebt. So glaubt der Mensch nicht, dass er von Gott durchschaut wird, er, der doch von Gott erschaffen wurde. Wenn wir einen solchen Menschen ansprechen könnten, wenn er uns zuerst sein Ohr leihen würde, und dann auch den Zutritt zu seinem Herzen geben würde, wenn er sich nicht dem, der ihn sucht, widersetzen würde und sich als verlorenes Schaf finden ließe, dann könnten wir zu ihm sagen: „O Mensch, wie sollte Gott deine Existenz nicht genau kennen, der doch dafür sorgte, dass du die Existenz erhieltest? Warum glaubst du nicht, dass auch du zur Ordnung der Schöpfung gehörst? Glaube nicht dem Verführer, „deine Haare sind sogar gezählt“ vom Schöpfer (Mat. 10,30) Das sagt schließlich der Herr im Evangelium zu seinen Jüngern. Sie sollen den Tod nicht fürchten und nicht meinen, durch den Tod irgendetwas von ihrem Eigentum zu verlieren. Sie fürchten im Tod für ihre Seele, er gab ihnen aber sogar die Sicherheit für ihre Haare. Soll denn die Seele dessen verlorengehen, von dem nicht ein Haar verloren geht? Wahrlich, Brüder, Unglaubliches schien Gott den Menschen zu verheißen. Aus sterblichen, vergänglichen, verworfenen, kranken Menschen, aus Staub und Asche sollten die den Engeln Gottes gleichen Menschen werden. Gott gab den Menschen nicht nur die Schrift, damit sie glauben sollten, sondern er setzte einen Mittler ein, der seine Treue beglaubigen sollte, nicht irgendeinen Fürsten oder irgendeinen Engel oder Erzengel, sondern seinen einzigen Sohn! Er wollte uns auf diesem Weg zu dem Ziel führen, das er verheißen hatte. Sein Sohn sollte uns diesen Weg zeigen und gewähren. Es war Gott zu wenig, dass sein Sohn nur den Weg zeige, ihn selbst machte er zum Weg, damit du auf ihm gehen könntest, wobei er dich führt und ihn selbst geht.

Ps. 109.3.

Er hat verheißen, dass wir zu ihm kommen werden, d.h. zu jener unaussprechlichen Unsterblichkeit und zur Gleichheit mit den Engeln. Wie weit waren wir entfernt von ihm, in welchen Höhen war er, in welchen Tiefen wir, wie war er erhaben, wir dagegen lagen verzweifelt in der Tiefe. Ohne Hoffnung auf Heil waren wir krank. Da wurde der Arzt gesandt, den der Kranke nicht erkannte. „Wenn sie ihn nämlich erkannt hätten, hätten sie niemals den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt“ (1 Kor 2,8). Aber auch dies war ein Heilmittel für den Kranken, daß der Kranke den Arzt tötete; er kam um ihn zu besuchen, er ist getötet worden, um ihn zu heilen. In die Herzen der Glaubenden ist er eingegangen als Gott und Mensch, als Gott, durch den wir geschaffen sind, als Mensch, durch den wir neu geschaffen worden sind. Das eine trat in ihm in Erscheinung, das andere war in ihm verborgen. Aber was verborgen war, war weit wichtiger als das, was in Erscheinung trat, und was weit wichtiger war, konnte man nicht sehen. Der Kranke wurde geheilt durch das, was er sehen konnte, damit er befähigt würde zur Schau, die durch die Verborgenheit noch verzögert, aber nicht verweigert wurde. Der einzige Sohn Gottes wollte also zu den Menschen kommen, Menschengestalt annehmen und dadurch Mensch werden. Er wollte sterben, auferstehen, in den Himmel auffahren und zur Rechten des Vaters sitzen. Er wollte an den Völkern erfüllen, was er verheißen hatte, und nach der Erfüllung seiner Verheißung an den Völkern auch erfüllen, dass er kommen werde. Dann würde er zurückfordern, was er gegeben hatte. Dann würde er die Gefäße des Zornes von den Gefäßen der Barmherzigkeit scheiden, den Bösen vergelten, was er angedroht hatte, und den Gerechten geben, was er verheißen hatte. Dies alles mußte von den Propheten vorhergesagt, verkündet werden, sie mußten vom Kommenden Zeugnis geben, damit wir nicht bei seinem plötzlichen Kommen erschreckt zurückweichen, sondern im Glauben ihn erwarten.

Ps. 109.17.

Wozu ist Christus geboren? „Der Herr hat geschworen, nie wird's ihn reuen: 'du bist Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech'„. Dazu bist du nämlich aus dem Schoß vor dem Morgenstern geboren, um Priester zu sein auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech. Dazu ist er aus dem Schoß geboren, als von der Jungfrau geboren vor dem Morgenstern in der Nacht, wie durch das Evangelium bezeugt wird. Ohne Zweifel deshalb vor dem Morgenstern, damit er Priester sei in Ewigkeit. Insofern er vom Vater geboren ist und Gott bei Gott ist, gleichewig mit dem, der ihn gezeugt hat, ist er nicht Priester. Priester ist er durch die angenommene Menschennatur und aufgrund der Opfergabe, die er von uns nahm und für uns darbrachte. Was heißt das? Der Herr schwört also, der dem Menschen das Schwören verbietet. Vielleicht verbietet er dem Menschen das Schwören, damit dieser keinen Meineid leistet, und er schwört selbst, weil er keinen Meineid ablegen kann. Denn wenn ein Mensch gewohnheitsmäßig schwört, kann er leicht einen Meineid leisten. Darum ist es gut, wenn ihm das Schwören untersagt wird. Je weiter er nämlich vom Schwören entfernt ist, desto weiter ist er auch vom Meineid. Wenn der Mensch schwört, kann er das Falsche oder das Wahre beschwören; wenn er aber nicht schwört, kann er auch nichts Falsches beschwören, weil er ja überhaupt nicht schwört. Warum aber sollte der Herr nicht schwören, da sein Schwur die Sicherung des Versprechens ist. Natürlich kann er schwören. Was tust du, wenn du schwörst? Du machst Gott zum Zeugen. Schwören heißt: Gott zum Zeugen machen. Das ist deshalb bedenklich, weil du Gott vielleicht für etwas Falsches zum Zeugen machst. Wenn du aber Gott zum Zeugen machen kannst, warum sollte dann nicht Gott sich selbst zum Zeugen machen?

„So wahr ich lebe, spricht der Herr“ das ist ein Schwur Gottes. So hat er den Nachkommen Abrahams geschworen: „So wahr ich lebe, spricht der Herr: Weil du auf meine Stimme gehört und deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast, will ich dich reichlich segnen und deine Nachkommen zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meere. Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde“ (Gen 22,16-18). Der Nachkomme Abrahams ist nämlich Christus, jener Nachkomme Abrahams, der aus dem Samen Abrahams Fleisch annahm. „ Er wird Priester sein auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech“. Dem Priestertum nach der Ordnung des Melchisedech galt das Schwören des Herrn, und es wird ihn auf ewig nicht gereuen.

Wie steht es nun aber mit dem Priestertum nach der Ordnung des Aaron? Bereut etwa Gott wie die Menschen bereuen oder gerät er gegen seinen Willen in etwas, was er tut? Gleitet er nichts ahnend in etwas hinein, so dass ihn das Hineingleiten später reut? Er weiß, was er tut, er weiß, bis wohin etwas gehen soll. Wodurch etwas verwandelt werden kann, all das liegt in der Hand des Herrschers. Seine Reue bedeutet die Umwandlung der Dinge. Wie du nämlich, wenn dich etwas reut, über die Tat, die du getan hast, Schmerz empfindest, so spricht Gott von seiner Reue, wenn er etwas verwandelt außerhalb der Hoffnung der Menschen, d.h. außerhalb dessen, was Menschen erwarten. Das geht so weit, dass es ihn auch reut, uns zu strafen, wenn wir unser schlechtes Leben bereuen. Also: „Geschworen hat der Herr; „geschworen“, d.h. bekräftigt, „und nie wird´s ihn reuen“, d.h. er wird es nicht ändern. Was? „Du bist Priester auf ewig.“ Deshalb in Ewigkeit, weil es ihn nicht reut. Priester gemäß welcher Ordnung? Wird es denn jene Gaben noch geben, die von den Patriarchen dargebrachten Brandopfer, die blutigen Altäre, das Zelt und die Mysterien des Alten Bundes? Nein! Sie sind aufgehoben, der Tempel ist zerstört, das Priestertum beseitigt, Brand- und Speiseopfer haben ein Ende, auch die Juden haben sie nicht mehr.

Ps. 109.18.

Der Herr zu deiner Rechten. Der Herr hatte gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten“. Nun ist der Herr zu seiner Rechten, als hätten sie die Sitze vertauscht. Oder ist es vielleicht auch so: „Der Herr hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen, du bist Priester in Ewigkeit“. Ist das zu Christus gesagt worden? „Du bist Priester in Ewigkeit“, hat der Herr geschworen. Wer ist der Herr? Der, der zu meinem Herrn gesagt hat: „setze dich zu meiner Rechten“, er selbst hat auch geschworen: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech“. Und an den Herrn selbst, der auch geschworen hat, richtet sich jetzt: „Der Herr zu deiner Rechten“! O Herr, der du geschworen und gesagt hast: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedek“, derselbe von dem du das im Schwur gesagt hast, ist auch Priester in Ewigkeit, er ist der Herr zu deiner Rechten. Denn zu diesem meinem Herrn hast du gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde als Schemel dir zu Füßen gelegt habe.“ Dieser Herr also, der zu deiner Rechten ist, dem dein Schwur galt und dem du geschworen hast: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedek“, „zerschmettert Könige am Tag seines Zornes“. Christus selbst ist der Herr zu deiner Rechten, dem du geschworen hast, ohne dass es dich reut.

„Quelle: Augustinus, Erklärung zu Psalm 109. CCL 40 (Turnhout 1956)“

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