Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 4. Capitel.

Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 4. Capitel.

Von der Harmonie göttlicher Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

Schaue die Güte und den Ernst Gottes. Röm. 11, 22.

1. In dem göttlichen Wesen ist nichts, das nicht Gott selbst wäre: Deßhalb sind auch alle göttlichen Eigenschaften in einer so genauen Einigkeit und Gemeinschaft mit einander verbunden, daß keine der andern zuwider, noch eine von der andern abzusondern ist, sondern sie vielmehr alle einander helfen, und auf einen Zweck, zum ewigen Preise des Schöpfers, und also zum Guten zielen.

2. Insonderheit ist zwischen der göttlichen Gnade und Gerechtigkeit die allervollkommenste Einigkeit und Harmonie. Und obwohl die Vernunft des natürlichen Menschen auch hierin nicht vernimmt, was des Geistes Gottes ist, sondern trennet von einander, was in Gott ist, und meinet, eine hebe die andere auf, Gott könne nicht gerecht seyn, wo er barmherzig sey, und bei der Gerechtigkeit hätte keine Gnade Raum: so findet es doch der Glaube durch den heiligen Geist aus der Schrift und Erfahrung gar anders.

3. Denn es bezeugt Gott selbst mit Worten und mit Thaten solche tiefe Vermischung der Barmherzigkeit mit der Gerechtigkeit, und der Gerechtigkeit mit der Barmherzigkeit, daß er ausdrücklich versichert, er wolle eine sowohl, als die andere sehen lassen, und man solle ihn zugleich als einen gnädigen, aber auch als einen gerechten Herrn erkennen und anbeten. Seine Gnade sey so weislich geordnet und eingerichtet, daß sie keiner ungeordneten Creatur zu Theil werde: Sintemal auch einem weisen Manne verdacht werde, wo er seine Güte unwerthen, unerkenntlichen Leuten vorschütte. So sey auch hingegen seine Gerechtigkeit nicht so unversöhnlich, daß sie nicht auch von der Gnade könne und wolle gemäßigt werden.

4. Also sagt er Ps. 89, 32. Er wolle zwar David's Kinder und ihre Sünde mit der Ruthe heimsuchen, und ihre Missethat mit Plagen: aber seine Gnade wolle er nicht von ihm wenden, und seine Wahrheit nicht lassen fehlen: d. i. Er wolle die gerechten Züchtigungen mit Gnade lindern, daß diese von jener nicht aufgehoben würden.

5. Hinwiederum wird von ihm bezeuget: Du Herr bist gnädig, und bezahlest einem Jeden, wie er es verdient, Ps. 62, 13. d. i.: Niemand solle es mit seinen Sünden freventlich auf Gottes Barmherzigkeit los wagen. Denn so gütig er sey, so genau vergelte er auch als ein Gerechter alles Böse und Gute, und die Gnade hindere ihn bei muthwilligen Sündern gar nicht an gerechten Strafen.

6. Ist also gleich Gottes Barmherzigkeit groß und herzlich, so kann er doch genöthigt werden, daß er sie zurück ziehen und sich hart halten muß, auch also der Gerechtigkeit Raum geben zur Demüthigung, wie Israel klagte Jes. 63, 15. Hingegen obschon die Gerechtigkeit ausbrechen will über bußfertige Sünder, so wird sie doch von der Gnade zurück gehalten und gehindert, daß Gott nicht thun kann nach seinem grimmigen Zorn.

7. Wer kann aber begreifen, oder aussprechen, wie das zugehe? Oder wer hat diese Tiefe des Reichthums in Gott erkannt? Sind beide Eigenschaften, eine jede für sich, solche unergründliche Geheimnisse, so wird derselben Vereinigung und innigste Harmonie ein doppelt Geheimniß seyn, welches wir mit tiefster Scheu verehren sollen.
Wie nahe und innig diese beide Eigenschaften Gottes zusammen vereinigt sind, davon hat Luther sonderbare Gedanken über den 51. Psalm: Der Verstand (daß Gottes Gerechtigkeit seine strafende und richtende Wahrheit heiße) macht in den Herzen einen heimlichen Haß wider Gott und seine Gerechtigkeit. Denn wer sollte den lieben können, welcher nach seiner Gerechtigkeit mit den Kindern handelt und sie richtet? Darum soll Jedermann wissen, daß Gottes Gerechtigkeit nichts anders ist, denn seine Barmherzigkeit, durch welche wir von ihm zu Gnaden angenommen, für fromm und gerecht durch Christum geachtet werden, und Vergebung der Sünden erlangen. Diese Gerechtigkeit ist in Gott lieblich und tröstlich.
Eben so redet er auch in der Kirchen-Postill über das Evangelium am 1. Advent: Da er sich auch erklärt, wie er freilich auch in Gott eine strenge richterliche Gerechtigkeit, Ernst und Gericht erkenne, im Evangelischen Sinn aber auch Gottes Gerechtigkeit für Frömmigkeit halte, nämlich kraft welcher er Sünde vergibt. 1 Joh. 1, 9.

8. Es vergleichen Einige dieses Geheimniß mit den Cherubim, deren Angesichte gleich waren einem Menschen und Löwen. Ezech. 1, 10. Indem sich göttliche Majestät in ihren Handlungen bald als einen leutseligen Menschenfreund erzeiget, bald aber auch aus Noth als einen Löwen. Dieses im Zorn, jenes im Verschonen, dieses in Demüthigen und Strafen; beides aber in höchster Harmonie und Einstimmung, daß keines dem andern zuwider ist.

9. Also hat Gort gleichsam, menschlich zu reden, zwei Hände, mit der einen, als seiner Gnade, stärkt und hilft er, als durch die rechte Hand seiner Gerechtigkeit, und thut doch mit der gerechten Hand solche gnädige Hülfe. Jes. 41,10. Mit der andern, nämlich seiner Gerechtigkeit, rühret er die, so er schlägt, und darein ist es erschrecklich zu fallen, als in die Hand des lebendigen Gottes. Hiob 29, 21. Ebr. 10, 31.

10. So wunderbar ist unser Gott, und so wenig kann sich der Mensch darein finden, oder diese Wunder zusammen reimen. Mit diesem zwiefachen Wunder hat nun ein Christ vornehmlich in der Buße und hernach stets zu thun, so wohl seiner selbst als anderer wegen. Und darum thun wir wohl, wenn wir solches auch näher kennen lernen, so weit es durch den heiligen Geist geschehen kann in unserer Schwachheit, daß wir betrachten das zwiefache Wunder der vereinigten Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes, oder den Ernst und die Güte, und die mit den Zorngerichten vermengte Gnaden-Gerichte, wie sie zwar unterschiedlich, und doch so tief verbunden, und mit einander vermischt sind.

11. Als Moses Gottes Herrlichkeit zu sehen verlangte, so sprach der Herr zu ihm: Ich will vor deinem Angesichte her alle meine Güte gehen lassen, 1 B. Mose 33, 19. zeigte also, daß die Güte das erste wäre, so man an Gott zu erkennen habe. Daher wir auch von derselben allhier anheben wollen.

12. Gottes Barmherzigkeit ist zwar so ferne auch von Natur dem Menschen schon bekannt, so weit ihm offenbar ist, daß ein Gott sey. Röm. 1, 19. Wie er dann auch weiter aus Gottes Natur und dessen Verknüpfung mit seinen Geschöpfen gar wohl merken kann, daß er nichts hassen könne, was er selbst geschaffen hat, sondern sich seiner erbarmen muß. Und dieß macht eben Ruchlose unentschuldbar.

13. Inmittelst reicht doch dieser Funke des natürlichen Lichts nicht zu, Gottes Barmherzigkeit gründlich zu erkennen, sondern erfordert noch ein höheres und übernatürliches Licht des göttlichen Geistes und Wortes, solches Geheimniß nur in etwas zu erkennen.

14. So ist nun dieses am besten für, schwache Menschen zu erkennen an ihren Werken und Ausbrüchen: Gleichwie man eines Menschen Güte merket an seinen Wohlthaten. Da auch der Herr selbst zu Mose sprach, als dieser sein Angesicht zu sehen begehrte: Du wirst mir hinten nach sehen, d. i. du wirst an meiner Güte, die ich erzeige, mich erkennen, wie auch hernach vor ihm ausgerufen ward: Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue.

15. Zu diesen Werken und Kennzeichen der Barmherzigkeit gehöret nun die zuvorkommende Gnade, da sie einer Seele, die in Sünden todt ist, und also nicht zu Christo aus eigener Kraft kommen kann, in solcher Ohnmacht zuvor kommt und aufhilft, wie anderswo gezeigt ist. Denn wie etwa der Sohn Gottes zu dem verstockten Jerusalem noch zuletzt kam, da es verstöret ward, und ihm noch zuletzt gerne helfen wollte; also gehet auch noch immer göttliche Güte den Sündern vor, daß sie sich bessern sollen.

16. Jesus kam nahe hinzu zur Stadt, heißt es Luc. 19,41. welches zugleich seine innere Neigung und Näherung seinen erbarmenden Sinnes zu diesen Leuten bedeutet, da seine brünstige Liebe ihm gleichsam nicht Ruhe gelassen, bis er alles an ihnen versucht hätte, was sie bessern könnte. Nicht anders erweiset sich Gottes Güte noch immer in Christo Jesu an Personen, Familien, Städten und Gemeinen, daß seine Güte vor der Gerechtigkeit hergehet.

17. Denn wie einmal die heilsame Gnade allen Menschen erschienen ist, und sie züchtiget oder anhält zur Verläugnung aller Dinge; Tit. 2, 11. 12. also fähret sie noch fort, einem Jeden zu erscheinen, oder sich kund zu thun auf alle Weise und Wege. Es versuchts Gott mit einem Jeglichen zwei- oder dreimal, daß er seine Seele herum hole aus dem Verderben. Hiob 33, 29.

18. Nun lieber Mensch, wenn dich nun dieser Aufgang aus der Höhe besuchet, und erscheinet deiner Seele, die etwa in Finsterniß und Schatten des Todes sitzt, und will deine Füße auf den Weg des Friedens richten, Luc. 1, 78. wie er es noch bei den Juden zuletzt versuchte, o so bedenke ja mit Ernst, wie du den kommenden Heiland annehmen willst und mußt, damit seine Gnade an dir nicht vergeblich sey, weil sie hernach nicht wiederkommen, sondern die Gerechtigkeit erfolgen würde.

19. Von den Juden klagte dort der Heiland, Luc. 12, 56. daß sie zwar in äußerlichen Dingen klug genug wären, sie verstünden sich aufs Wetter und dergleichen, was ihren zeitlichen Vortheil beträfe; aber diese Heuchler prüften diese Zeit nicht, da sie nämlich heimgesuchet wurden von der Gnade, und reizten also den Zorn mit Fleiß über sich.

20. Ach, daß dieses bei keinem Menschen mehr einträfe, daß er der annahenden Gnade nicht Platz gebe, weil sie vor der Thür steht und anklopft! O daß Christo Jedermann aufthäte! Offenb. 3, 20 Wie würde sich die Liebe Gottes als ein Strom über und in alle andern Seelen ergießen. Denn was hat doch Gott anders im Sinn, wenn er anklopft, nahet, das Herz rühret, zur Buße locket, als Gedanken des Friedens und nicht des Leides?

21. Geschiehet aber dieß nicht, was kann sodann anders folgen, als daß der Zorn die Liebe abwechselt, ja desto brennender wird, je größer die Gnade war? Dieses sahe Jesus an Jerusalem zuvor, daß nichts helfen würde: Darum weinete er über sie. Luc. 19, 41. Welches aus der tiefen Einsicht, theils in ihre Verstockung, theils in die erfolgenden Strafen, herrührere.

22. Denn da Jesus die Stadt ansahe, schauete er zugleich mit einem Blick seiner Allwissenheit ihren ganzen in- und äußerlichen Zustand ein; wie der Geist Gottes annoch gar tief lehret einsehen, wie es mit solchen Orten stehet, dafür etwa mit zu sorgen ist. Des Herrn Augen sehen darauf, seine Augenliede prüfen die Menschen-Kinder. Ps. 11, 4.

23. So gar bekümmernd ist göttliche Güte, daß sie den elenden Zustand der Menschen genau besorget und forschet, ob denn Jemand klug sei. und nach Gott frage? Ps. 14, 2. Und dazu treibet den Herrn seine Liebe, und das daraus fließende Verlangen alle und jede gerne selig zu haben. Welches denn daraus erhellet, weil er über das Elend weinet und jammert.

24. Es ist sonst gefährlich genug, wenn erleuchtete Menschen, als Gottes Boten, schreien, um als Engel des Friedens bitterlich weinen müssen. Jes. 33, 7. Denn solche Thränen und Seufzer, womit sie ihr Amt thun müssen, ist den Zuhörern nicht gut; Ebr. 3, 17. sie steigen über sich, und lassen nicht ab, bis der Höchste drein sehe. Ja es ist gewißlich nicht gut, wenn Zeugen Gottes auch nur heimlich weinen, und zwar in der Seele, d. i. innerlich betrübt und kläglich sind: Jerem. 13, 17. sintemal es einen gewaltigen Zorn bedeutet, der darauf folgen möchte.

25. Aber wenn Christus selbst weint, wenn sein erbarmendes Herz mit Thränen überfließet, so bedeutet es zweierlei. Einmal, daß der Brunn voller Wasser des Lebens, voll Güte und Wohlthun sey und überfließe. Hernach, daß diese ausgeschlagene Liebe unendliche Strafen nach sich ziehe. Wie denn der Herr über die Juden weinete, weil sie über ihre Sünden nicht weinen wollten.

26. Es ruhet aber die Güte noch nicht, das Aeußerste zu versuchen, sondern bricht auch aus in Warnen und zuvor sagen, wie es hernach gehen werde, wo man nicht folgt. Denn dieß ist auch Gnade, ja große Treue Gottes, daß der Herr nichts thut, er offenbare denn sein Geheimniß den Propheten, seinen Knechten. Amos 3, 7. Gleichwie der Heiland der Stadt Jerusalem alles vorher genau benennte, wie es ihr gehen würde, um sie noch zum Nachdenken zu dringen.

27. Man muß es nicht verwerfen oder gering achten, wenn auch noch manchmal angezeigt wird durch den Geist der Wahrheit, was etwa auf die und die Sünden folgen werde. Es ist gewiß noch lauter Liebe, wo man so gewarnet wird, damit das Unglück nicht unversehens überfalle, da man sich nichts weniger vermuthend wäre.

28. Denn Lieber, zu was Ende sagt Gott den Menschen insgemein zuvor, wie es ihnen gehen werde? Wie denn gewißlich alle, die durch den Geist Gottes reden, nichts anders thun, als weissagen, was auf bös oder gut Verhalten erfolgen werde. Allein dazu geschiehets, daß er so gerne schont. Denn das ist ein Hauptwerk seiner Barmherzigkeit, was er selbst ausdrückt Jerem. 17, 7. Plötzlich rede ich wider ein Volk und Königreich, daß ichs ausrotten, zerbrechen und Verderben wolle. Wo sichs aber bekehret von seiner Bosheit, dawider ich rede, so soll mich auch reuen des Unglücks.

29. Dort befahl der Herr diesem Propheten Cap. 36, 2. f. er solle alle die Drohungen in ein Buch schreiben. Wozu denn? Ob sie vielleicht, wo sie hören alle das Unglück, das ich ihnen gedenke zu thun, sich bekehren wollten, ein Jeglicher von seinem bösen Wesen, damit ich ihnen ihre Missethat und Sünde vergeben könnte. Siehe, darum ist es Gott zu thun, wenn er von künftigen Strafen zeuget: nicht daß er es mit Lust thue, wie die hitzige Natur der Menschen gerne stehet, und Rache übet: sondern damit er schonen dürfe.

30. Gewißlich hätte Jerusalem sich noch auf Christi Zeugniß bekehret, sie stünde noch heutigen Tages, weil sein Zweck nichts anders war als ihre Rettung. Ist das nun nicht Güte genug, die auch vor dem Zorn hergehet, und zwar ernste unverstellte Güte, die nicht nur äußerlich so thut und hernach aufhörete, wenn man sich schon besserte: sondern die mit allem Ernst treulich die Schonung suchet.

31. Es dienet aber diese warnende Liebe Gottes nicht nur Bösen zur Verwahrung, wenn sie wollen besser werden, sondern auch Frommen. Denn diese werden gleichfalls dadurch auf alles künftige zubereitet und gestärkt. Wie der Herr zu seinen Jüngern von den künftigen Verfolgungen sprach: Solches habe ich zu euch geredet, auf daß ihr euch nicht ärgert, oder über den Trübsalen zurück tretet. Joh. 16, 1. 4.

32. Den Andern aber dienet es zum wenigsten zu einem Zeugniß, daß sie hernach zurück denken, wie treulich sie Gott noch gesuchet, und vor Schaden gewarnet: Da es ja in der Natur auch ein Freundstück ist, wenn man einem das Bevorstehende sein entdecket. Also macht es die Ungläubigen unentschuldbar, wie von eben den Juden Christus sagt Joh. 15, 22.

33. Hat aber Gottes Barmherzigkeit hieran genug, daß sie nur mit Worten warnet? Nein, sondern sie greift auch in der That zu, und hebet an dem Menschen oder ganzen Völkern näher zu treten, und sie auf mancherlei Art zu fegen und zu demüthigen, damit sie für größerem Uebel, oder dem äußersten Verderben bewahret werden.

34. Jesus ging nach der mündlichen Warnung zu Jerusalem in den Tempel, und fing an auszutreiben, die darin verkauften und kauften. Luc. 19, 44. Denn Gottes Haus war zum Bethaus verordnet, und sie hatten es zur Grube der Räuber und Mörder gemacht. Mit diesem thätlichen Angriff, der viel Aufsehens machen mußte, wollte der Herr sie zum Nachdenken bewegen, ob denn ihre Dinge so stünden, daß sie in allen unschuldig wären: Wie denn Gott auch noch nach dem Zeugniß des Worts mit der That zugreift, und allerhand Mißbräuche und Unordnungen abschafft, damit es in die Sinne falle, wie es nicht richtig in dem Christenthum stehe, und das ist noch lauter Gnade.

35. Denn wie kann sonst ein Mensch oder Volk von den Zorn-Gerichten frei bleiben, wo nicht Gott in Gnaden erst richtet und bestrafet, und die Menschen ihm folgen? Denn nicht eher, als wenn wir uns selbst richten, oder doch vom Herrn gezüchtigt werden, können wir nicht im Zorn gerichtet, und samt der Welt verdammt werden. 1 Cor. 11, 31. Alsdann hebt das Gnadengericht die Gerichte des Zorns erst auf. Innerlich macht es Gottes Liebe nicht anders: Das Herz soll von rechtswegen Gottes Tempel seyn, darin der Geist Gottes wohnen soll. 1 Cor. 3, 16. Weil aber die Menschen gemeiniglich eitel Scheuel und Greuel darin herrschen lassen: so muß es die Gnade angreifen und züchtigen, der Seele Angst machen, und die Käufer und Verkäufer, oder arge Gedanken und Begierden austreiben, damit das Herz rein werde. Denn Christus feget seine Tenne, er sitzet und schmelzet, wenn er zu seinem Tempel kommt, und leidet nichts Arges darin. Matth. 3, 12. Mal. 3, 3.

36. Ja auch dabei läßt es Gottes Liebe nicht bewenden, sondern sie lehret täglich, und unterweiset den Menschen im Guten. Denn was hülfe auch alle Abschaffung des Bösen, wenn nicht das Gute dagegen eingepflanzet würde? Darum ist dieß eine unschätzbare Gnade, wenn das Licht des Geistes und Worts dem Sünder immer vorleuchtet, und auf ihn zudringt, ihn zurecht zu weisen, und also von dem Verderben zu retten.

37. Der Herr ist eben darin gut und fromm, indem er die Sünder unterweiset auf dem Weg. Ps. 25, 8. Er bezeigte sich darin gegen die Juden noch so gut und fromm, indem er täglich ihnen noch den rechten Weg zeigte. Und ohne Zweifel werden es Viele noch haben zu Herzen genommen, die nicht mit hingerissen, sondern errettet worden sind. Gleichwie auch noch alle guten Lehren dazu gebraucht werden müssen, daß man am Tage des Zorns eine Freudigkeit habe, und nicht zu Schanden werde in seiner Zukunft. 1 Joh. 2, 28.

38. Es lehret aber die göttliche Gnade auch innerlich im Herzen, ohne welches die äußere Lehre nicht helfen würde. Da kommt der Herr Jesus in seinen Tempel des Herzens, wenn er es zu Buße und Glauben gebracht hat, setzet sich oder nimmt Wohnung daselbst, als auf einem Lehrstuhl, und lehret täglich, was der Seele nöthig ist zu ihrer Bewahrung. Wer nun darin treu ist, der genießt lauter Barmherzigkeit dabei, und entgehet dem Gericht. Denn er lernet glauben in Jesum, richtet sich selbst, und wird also nicht gerichtet. Diesen lieben Sohn soll man nun fleißig hören, Matth. 17, 5. wenn man will errettet werden, so behütet uns Treue und Güte allewege.

39. Sind nun alle diese Werke, die Gott an dem Menschen thut, nicht lauter Barmherzigkeit? Gehet nicht vor seiner Gerechtigkeit dieses alles her, und wird diese nicht also mit jener aufs heilsamste temperieret und vermenget? Lehret es nicht die tägliche Erfahrung auch, wie theuer diese Güte Gottes sey, und wie sie mit so vielem Verschonen trage, ehe die Gerechtigkeit ausbricht?

40. Lasset uns es noch näher beschauen, wie sich die Gnade mit dem Ernst verbinde uns Menschen zum Besten. Sehet, wenn Gott gleich aus Noth endlich muß züchtigen: Lieber, wo kommt es doch her? Ist es etwa dem Schöpfer eine Lust oder Kurzweil? O nein: 1) Er plaget und betrübt die Menschen nicht von Herzen. Es kommt nicht aus seinem Innersten oder Herzensgrund, daß er strafe. Klagl. 3, 39. Woher rühret denn aber so viel Jammers und Herzeleids auf der Welt? Nicht eigentlich und ursprünglich aus Gottes Vater-Sinn, sondern aus der Menschen Bosheit. Denn alles Strafübel ist ein fremd Werk, das Gott gleichsam nicht eigen ist, sondern er aus Noth zulassen und ordnen muß. Denn so heißt es Jes. 28, 21. Der Herr zürne, und thue sein Werk als ein fremdes, und seine Arbeit als etwas anders, wie es der Grundtext zeiget.

42. Das sehen wir weiter 2) daraus, indem er dennoch mitten unter den Plagen die Gnade noch in sich heget und behält, nur daß er von den Menschen gehindert wird, sie zu erzeigen. Denn er muß seine Barmherzigkeit für Zorn verschließen, ob er sie wohl wirklich noch im Herzen hat und daran gedenket. Ps. 67, 10. Daher ein Gedemüthigter im Glauben gewiß seyn kann, was Hiob 10, 13. auch unter seinem Kreuz sprach: Wie wohl du solches in deinem Herzen verbirgst, so weiß ich doch, daß du deß gedenkst.

43. 3) Wenn aber auch die Gerechtigkeit muß ausbrechen, und kein ander Mittel vorhanden ist, siehe, da mäßiget sie doch die Gnade auch damit, daß es sehr langsam und mit vielem Aufschub geschiehet. Denn darum harret eben der Herr oft so lange mit der Strafe, daß er uns gnädig sey, weil er es so herzlich gerne sähe, daß die Menschen der Noth mit Buße zuvor kämen, und also derselben entgingen. Jes. 30, 18.

44. Es hat zwar göttliche Majestät auch die Absicht auf ihre Ehre, indem sie nicht gerne ihren Namen will lästern lassen durch die Feinde, wenn sie sehen, daß er oft seine Kinder züchtiget. Wie er dort Ezech. 30, 13. f. gedenket: Ich gedachte meinen Grimm über sie auszuschütten, und sie gar umzubringen, aber ich ließ es um meines Namens willen, daß ich nicht entheiliget würde vor den Heiden. Und Jes. 48, 9. Ich bin um meines Namens willen geduldig.

45. Aber dieses hindert nicht, daß Gott nicht auch sein Absehen vornehmlich haben sollte auf der Menschen Besserung, indem er so schwer und ungerne an das Strafen gehet. Da wird man erfahren und sich erinnern können, wie lange Gott vorher an einem Menschen oder Volk gearbeitet habe zur Besserung, ehe er ausgebrochen, wie wir jetzt von den Juden gehört haben.

46. Befiehlt nun Gott sogar uns Menschen, wir sollen langsam zum Zorn seyn Jac. 1, 17. Müssen auch Obrigkeiten im Strafen doch ordentlich und bedächtig verfahren: So wird er es freilich selbst noch unvergleichlich mehr beweisen, und das ist eben der Tag, der eigene Tag, den Gott einem Jeden setzet, als die Gnadenzeit, darin er umkehren soll. Ja, was zeigen alle seine Handlungen mit dem Menschen an, als daß er gütig über die Undankbaren und Boshaftigen ist? Luc. 6, 35.

47. Deßwegen wird er auch immer in der Schrift also gepriesen von einem solchen Sinn und Verhalten, darin ihm keine Creatur gleich kommen mag. Da wird von ihm ausgerufen bei Mose 2 B. Mose 34, 6. f. Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue, der du vergibest Missethat, Uebertretung und Sünde. Und im B. der Weist). 11, 18. und 12, 18. stehet auch sehr schön: Du erbarmest dich aller, und überstehest der Menschen Sünde zur Besserung; du richtest mit Gelindigkeit, und regierest mit vielem Verschonen.

48. Wer dieses nicht etwa glauben kann oder will, sondern sich an solche Ausbrüche stößt, da das Ungewitter oft Manchen plötzlich übereilt; der bedenke nur dabei, wie gleichwohl nothwendig auch vor den schnellsten Fällen Gottes Langmuth hergegangen sey. Denn ist es nicht also, daß der Mensch ohne Gott keine Hand regen könnte? Nun trägt er ja den Menschen mitten in seinen Sünden, entziehet ihm seine Schöpfungs- und Erhaltungskraft nicht, daß er plötzlich dahin fallen müßte, sondern er erhält ihn mitten im Bösen nach der Natur. Ist das nicht Langmuth?

49. Weiter gibt er ihm auch noch alle seine leibliche Wohlthaten, Essen, Trinken, Kleider und dergleichen, ob sie schon der Mensch mißbrauchet. Ja er läßt ihn auch nicht jählings dahin sterben, sondern wartet auf seine Aenderung, da ist ja Gnade und Geduld.
Zum 4) wenn auch nun die Strafe da ist, so vergißt doch Gott nicht ganz und gar der Gnade, sondern da vermischt er sie am allermeisten mit Güte und Liebe, welches so viele Merkmale beweisen. Ja gewißlich, wenn der Zorn in solcher Masse ausbrechen dürfte, als es eine einzige Sünde verdient, der Mensch würde im Huy von solchem Feuer aufgefressen; sintemal sein Zorn kein Aufhören hat an sich selbst, wo nicht das Wasser der Liebe das Feuer mäßigte und verlöschete.

50. Im Jesaia C. 30, 13. sagt der Geist zu dem gezüchtigten Israel nach der Erfahrung: Der Herr harret, daß er euch gnädig sey, und hat sich aufgemacht, daß er sich euer erbarme, denn der Herr ist ein Gott des Gerichts, wohl allen, die sein harren. Woselbst auch Luther in der Glosse sein erinnert hat: Gott strafet mit Maßen und nicht zu viel, wie die Rachgierigen. Jerem. 30, 11.

51. Deßwegen wird Gott Hosea 11, 8. gleichsam bei sich selbst berathschlagend eingeführt, was er doch mit den Leuten anfangen, oder aus ihnen machen solle? Ob er ein Adam daraus machen, und sie wie Zeboim zurichten solle? Und dieses erforderte freilich die Gerechtigkeit, wenn es nach Verhältniß der Sünden gehen sollte. Allein da tritt die Barmherzigkeit zu, und mäßiget diese Gerechtigkeit mit ihrer Lindigkeit. Aber mein Herz ist andern Sinnes, meine Barmherzigkeit ist zu brünstig, daß ich nicht thun will nach meinem grimmigen Zorn.

52. Vors 5) geschiehet auch diese Mäßigung, indem Gott nach der Demüthigung sich wieder erbarmt, und wiederum gnädig zu seyn auch mitten unter den Schlägen beschließt. Wenn Trübsal da ist, so denket er der Barmherzigkeit. Hab. 3, 2. Er gedenket noch wohl daran, was er geredet hat, darum bricht ihm sein Herz, daß er sich derer erbarmen muß, die also gewitziget und bekehret sind. Jerem. II, 19. 20. Daher es lauter Güte des Herrn ist, daß wir nicht gar aus sind, und seine Barmherzigkeit hat noch unter den größten Plagen kein Ende. Klagl. 3, 31.

53. Dahin gehöret 6) daß er die Seinen darunter erhält, und nicht untersinken läßt, wie die Gottlosen. Er zeichnet sie an ihren Stirnen gleichsam, daß sie kein Würgengel noch anderer Feind schlage, wie Ezech. 9. vorgebildet wird. Und wenn schon Niemand seine Seele erretten möchte unter einem bösen Volk: so würde sie doch den Gläubigen zur Beute gegeben, und ihr Leben geschenket, wie dort von Daniel, Noah und Hiob stehet, auch dem Jeremiä zur Zeit der Noth verheißen ward, Ezech. 14, 14. Jer. 45, 4. ja auch an Israel in Egypten erfüllet wurde, das keine Plage rühren durfte. 2 B. Mose 8, 21. Ps. 91, 10. Sehet abermal eine theure Vermischung der göttlichen Gnade und Gerechtigkeit.

54. Endlich und zum 7) gehöret auch hiezu, daß Gott nur zur Besserung züchtiget und zu Nutz, daß wir seine Rechte lernen, und seine Heiligung erlangen. Solches ist ja so klar und gewiß, daß es allhier keines Beweises bedarf. Aber dieses will man in der Noth nicht glauben, daß auch hinter derselben so viel Gutes, als Friede, Trost und Erquickung verborgen sey. Da doch eben dies die allerweiseste Vermischung der göttlichen Gnade mit dem Ernst ist, daß dieser lauter Seligkeit gebäret, wenn er recht gebraucht wird.

55. Solches würde Niemand glauben, wo es nicht Gott selbst versicherte, Jes. 54, 7. wie er nach kurzer Verlassung mit großer Barmherzigkeit sammeln wollte, und mit ewiger Gnade sich erbarmen, als der eigentliche Erbarmer.

56. So gar müssen wir nunmehr wider den Sinn der zornigen Natur, die den heiligen Gott immer nach ihrem Grund urtheilt, auf ewig versichert seyn, daß niemals die göttliche Gerechtigkeit allein handle oder herrsche, wo es auch aufs Härteste mit Strafen zugeht, sondern es ist die Barmherzigkeit allezeit dabei, und ohne diese ergeht kein einiges Gerichte Gottes über seine Creatur, daß er nicht sollte dieselbe wiederum zu holen suchen aus dem Verderben. Die Barmherzigkeit rühmet sich immer wider das Gerichte. Jac. 2, 18.
Sintemal das göttliche Wesen eine Eigenschaft so wenig läugnen und verlieren kann, als die andere, sondern sie stehen alle in solchem gleichen Gewichte und allerweisesten Vermischung, daß eine der andern hilft und beisteht, eine die andere verherrlichet und groß macht.

57. Alles dieses soll uns nun mit großer Kraft zur wahren Herzens-Aenderung reizen und treiben, ja wen dieses nicht erweichet und locket, der wird nicht zu gewinnen seyn. Darum führet der heiligen Geist immer diesen kräftigsten Grund an, wenn er sagt Joel 2, 13. Bekehret euch zu dem Herrn. Warum? Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und reuet ihn bald der Strafe.

58. Aus diesem wahren Grunde nun können wir die strafende Gerechtigkeit Gottes gar mit andern Augen ansehen, als die ihr selbst gelassene Natur thut; nämlich wie sie nicht nur in dem ewigen Gut, Gott selbst ist, sondern auch mit der Gnade unzertrennlich verknüpft stehet, und nicht eher, als aus Noth hervor bricht: Gleichwie hingegen auch die Barmherzigkeit obbemeldter maßen ihre gewisse Ordnung und Schranken hat, daß sie der Gerechtigkeit keinen Eintrag thue.

59. Lasset uns zu dem Ende ansehen ihre Ursachen, warum sie strafen müsse. Diese liegen in denjenigen, die gestraft werden, und zwar sowohl in ihrer Blindheit als Bosheit. Denn es müssen wahrlich wichtige Ursachen seyn, wenn die ewige Liebe sich selbst Gewalt anthun, und strafen muß nach ihrer Gerechtigkeit.

60. Blindheit reizet die Gerechtigkeit zur Züchtigung, wenn ein Mensch nicht erkennet, was zu seinem Frieden dienet, nämlich die oben beschriebene Heimsuchung der Gnade und Langmuth Gottes, darin er uns zur Buße leitet. Röm. 2, 7.

61. Dieß ist ein starker Grund, Gottes Zorn zu erwecken, in Betrachtung es ja auch einen Menschen kränket, wenn ein Anderer nicht erkennen will, wie gut es mit ihm gemeinet werde. Es ist auch diese Unerkenntniß unseres eigenen Besten so viel strafbarer, weil uns sogar unvernünftige Thiere darin beschämen können; weßhalben Gott dort die Vögel zum Beispiel setzet, die ihre Zeit wissen, und diejenigen bestraft, die das Recht des Herrn nicht wissen wollen. Jerem. 8, 7.

62. Dahin gehöret auch, wenn man neben dem Guten selbst auch nicht einmal die Zeit wissen will, darin man heimgesuchet wird; da doch nichts Nöthigeres wäre für eine arme Creatur, als dieses, daß sie sich in des Schöpfers bestimmten Termin oder Gnadenstunde schicken lernte, und diese Zeit wohl auskaufte.

63. Es hat Gott bei und in seiner Gerechtigkeit sonderlich dreierlei Zeiten oder gleichsam Tage, die er als Termine den Menschen oder auch ganzen Völkern ansetzet: Der erste ist diejenige Zeit, da Gott wartet, ob man auch das Maaß der Sünden werde erfüllen, und die Sünde alle oder voll machen, wie 1 B. Mose 15, 16. und Matth. 23, 32. deutlich stehet.

64. Die andere Zeit ist, da er ihm gewisse Frist setzet, wie lange er noch auf Besserung warten wolle, damit er ja Niemand übereile. Also setzte er der ersten Welt 120 Jahre Frist, 1 B. Mose 6, 3. der Stadt Ninive vierzig Tage, der Stadt Jerusalem sagte es der Heiland auch ganze vierzig Jahre zuvor.

65. Aber das ziehet die arge Natur gemeiniglich auf Muthwillen, und wird nie ärger als in solcher Frist, wie die erste Welt, Sodom und Gomorrha, Jerusalem und andere Oerter es aufs Höchste brachten.
Wenn Gott Zeit und Raum den Gottlosen zur Buße gibt, auch durch sein Wort sie vermahnt, und wieder auf den rechten Weg bringen will: so hat alsdann die sichere und ungläubige Welt ihren Tag, d. i. sie achtet weder Gottes noch seines Worts - der Tag der Welt aber gehet vorüber, und gebet der Tag des Herrn an, ein finsterer Tag; sagt Luther.

66. Daher kommt endlich der dritte Tag, nämlich der Execution, da Gott endlich drein schlägt und hinreisset, daß kein Retter da sey. Wer nun in aller dieser Zeit auf Gottes Wege gar nicht Acht hat, den überfällt das Unglück endlich, wie ein Sturmwind.

67. Die andere Ursache der strafenden Gerechtigkeit ist des Willens Bosheit. Denn es wird hier nicht geredet von einer unschuldigen Unwissenheit, davor einer nicht kann, sondern von einer, die mit Bosheit verknüpft ist, da man muthwillens nicht wissen will. 2 Petri 3, 5. Da man Gottes Rath verachtet von seiner Seligkeit. Luc. 7, 30. Und also sein Herz mit Vorsatz verstocket, und seine Ohren verstopft, gleich den Juden und ihren Priestern. Ap. Gesch. 28, 25. f.

68. Diese hatten vor ihrem Untergang den Tempel, den sie doch zum Abgott machten, verunreiniget mit ihrem Kaufen und Wechseln, so sie unter dem Schein der Beförderung des Gottesdienstes trieben. Und also reizen Diejenigen alle noch Gottes Gerichte über sich, die Gottes Liebe mit Vorsatz um zeitliche Dinge vertauschen. Denn sie sind gleich dem Esau, der seine Erstgeburt um ein Linsen-Gericht verkaufte, und hernach den Segen nicht mehr mit Thränen erreichen konnte. Ebr. 12, 16.

69. Ja, was der Mensch sonst in sein Herz einläßt außer und neben Gott, daran er mit Lust und Gefälligkeit hanget, ohne dawider zu streiten, das machet den Herzenstempel zur Mördergrube. Denn das ist eben der Greuel der Verwüstung, der da stehet an der heiligen Stätte, wo Gott allein sein Werk und Wohnung haben sollte. Dan. 7, 26. Sintemal ja vor Gott nichts Abscheulicheres seyn kann, als wenn man den ungöttlichen Begierden und Reizungen nachhänget, die als häßliche Gewürme, Ungeziefer und Ungeheuer das Gemüth vergiften und verwüsten, wie es Ezech. 8, 8. vorgebildet ward.

70. Die Juden geriethen in alle ihre Sünden und Strafen durch die Weltliebe: indem auch die heuchlerischen Pharisäer geizig, hochmüthig und wollüstig waren, der Witwen Häuser fraßen, am Irdischen hingen, und also Gott hintenan setzten, ob sie sich schon anders stellten. Matth. 23. 'Sie suchten nur ihren Staat zu erhalten und verfolgten deßwegen Jesum, damit nicht die Römer kämen, und nähmen ihnen Land und Leute. Joh. 11, 48.

71. Daraus kam die Verfolgung her, daß sie aus Neid trachteten, wie sie ihn umbrächten. Luc. 19, 48. Als sie denn auch hernach wirklich thaten, und nicht weniger seine Jünger tödeten, geißelten, und also Gottes Gerichte beschleunigten, indem sie überall wider Christi Lehre auch in andern Landen Aufruhr anrichteten, und allen Menschen zuwider waren. Wie denn Satan noch immer Christi Jünger so schwärzet, und schnöde macht vor der Vernunft, daß sie auch wohl ihrer Mutter Kindern fremd und unbekannt werden. Da denn die Liebe der Feinde erst recht offenbar und geübt werden muß.

72. Dieses alles sind gewisse Ursachen und Zeichen, daß Leute und Oerter dem Untergang nahe sind, wenn sie so gar nichts Gutes leiden können, sondern im Eigensinn ohne den geringsten Grund widerstreben: Da erfolget dann Gottes Urtheil gewiß genug, es verziehe sich, so lange es wolle.

73. Denn das ist ewig wahr, daß Gott nach und bei aller seiner Barmherzigkeit auch seine Gerechtigkeit nicht läugnen kann, sondern dieselbe endlich darin beweisen muß, daß ihm gottlos Wesen nicht gefällt, und daß ein Böser nicht vor ihm bleibet. Ps. 5, 5. Dieweil er kraft dieser seiner Eigenschaft das Böse nothwendig hasset und bestrafet, so lieb er sonst die Creatur nach ihrem gut geschaffenen Wesen hat. 2 B. Mose 20, 5. Ps. 45, 8.

74. Wie denn von dieser unverbrüchlichen Gerechtigkeit auch ein Zeugniß schon im Gewissen aller Menschen liegt, darin sich die Gedanken verklagen und entschuldigen. Röm. 1, 32. So haben auch die Heiden erfahren müssen und glauben, wie Gottes Zorn vom Himmel offenbaret wird über alles gottlose Wesen. Röm. 2, 15. Wie vielmehr soll denen, die Christen heißen, solches nicht offenbar seyn, daß der Herr gerecht ist in allen seinen Wegen, und heilig in allen Werken? Ps. 145, 17. Da wir ja an allen Fußstapfen Gottes sehen, daß er noch auf Erden, Gott Lob, Richter ist, und läßt die Sünde nicht walten.

75. Der Ausbruch aller dieser Gerechtigkeit besteht darin, daß er dasjenige an der bösen Creatur verderbet, was sie verderbet und zerrüttet hat. Denn also drohet der Geist der gerechten Wahrheit Gottes. 1 Cor. 3, 17. Wer den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, der seyd ihr. Da drohet Gott zu strafen, die ihm ihr Herz nicht überlassen, sondern mit andern buhlen und ihn verachten, und, also sein Gutes verderben.

76. Demnach ist denen, die wider Wissen und Gewissen in Sünden fortfahren, ihr Untergang mehr als zu gewiß. Denn wer aufs Fleisch, Eigenwillen und Unrecht säet, oder darauf sein Vergnügen setzt, der wird schrecklich betrogen werden, und vom Fleisch das Verderben ernten. Gal. 5, 15.

77. So schaue nun die Güte und den Ernst Gottes; den Ernst an denen, die gefallen sind, die Güte aber an dir, so ferne du an der Güte bleibest, sonst wirst du auch abgehauen werden; sage ich mit Paulo Röm. 11, 22. Heute wird auch Jeglichem unter uns, Leben und Tod, Segen und Fluch, Feuer und Wasser vorgelegt: ein Jeder greife zu welchem er will. Aber es geschiehet dazu, daß ihr das Leben erwählet. 5 B. Mose 30, 19.

78. Daher sehe ein Jeder um Gottes willen zu, was er wähle oder ergreife, Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit? denn solches wird er auch haben. Niemand lasse sich doch verführen, die Gnade auf Muthwillen zu ziehen, denn es ist die Gerechtigkeit damit verbunden, wird sich verbrennen und verderben an diesem verzehrenden Feuer, wo er es mißbraucht.
Wider diesen Mißbrauch zeuget Chrysostomus also: Werden wir der Langmuth mißbrauchen, so kommt eine Zeit, da solche nicht lange währen, sondern hernach die Strafe vergrößern wird. Lasset uns also nicht so faul seyn, daß wir einen Augenblick lang unser Lust brauchten, (denn das ist dieses Leben) und uns eine Strafe von unendlichen Ewigkeiten häuften: sondern laßt uns in diesem Augenblick arbeiten, daß wir ewig gekrönet werden.

79. So warnet der Geist Röm. 2, 4. selber, man solle den Reichthum der göttlichen Güte, Geduld und Langmüthigkeit nicht verachten, sondern sich zur Buße leiten lassen. Ja freilich soll man diesen großen Schatz der Geduld Jesu Christi für seine Seligkeit achten, und also dahin brauchen, daß die Gerechtigkeit keinen Anspruch habe, 2 Petri 3, 15. sondern lauter Gnade in uns Platz finde.

80. Denn solche allein können auch versichert seyn, daß, wo sie auch der Vater züchtigen muß, so thue er es nicht als ein Richter, sondern als ein Vater, und also zum Nutzen, wie nacheinander ausgeführet wird. Ebr. 12, 6. f. Ob also schon das Gericht etwa anfanget am Hause Gottes, und der Vater seine Kinder zuerst angreift, da er indeß wohl tausend böse Buben noch frei hingehen läßt: So ist doch solch' Gnadengerichte erträglich, und nichts zu rechnen gegen das schreckliche Zorngerichte, das die Andern treffen wird. Denn was will es für ein Ende nehmen mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glauben, fragt Petrus 1 Epist. 4, 17.

81. Sollten auch Plagen kommen, die Alles überschwemmen wollten, so fürchten sich solche Kinder Gottes nicht, sondern sind getrost. Denn sie haben einen starken Schirm am höchsten und kühlen Schatten unter dem Allmächtigen, der ist ihre Zuversicht. Ps. 91. In Jerusalem und Judäa waren zur Zeit des Untergangs manche redliche Seelen, die auf die Erlösung zu Jerusalem warteten. Luc. 1, 38. Diese kamen nicht mit um, sondern der Herr versorgte sie treulich, und warnte sie zuvor, durch innerliche Offenbarungen, daß sie zusammen über den Jordan hinüber nach Pella im Lande Peräa zogen, wo sie kein Leid rühren konnte.

82. Also kann Gott noch eine Freistatt für die Seinigen ausersehen, da sie bleiben können zur Zeit der gemeinen Strafen. Und so vermenget er auch hierin seine Gerechtigkeit mit lauter Erbarmung und Vaterliehe. Also, daß sie mit Wahrheit rühmen können aus Ps. 119, 52. Herr, wenn ich gedenke, wie du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet; welcher Trost nicht seyn könnte bei so großen Gerichten, wo nicht Verschonen darunter wäre.

Gebet.

Nun Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig und geduldig, aber auch gerecht und heilig, erleuchte uns doch mit dem Licht der Lebendigen, daß wir die Tiefen deiner Herrlichkeit nur so weit einsehen, als sie zur Buße und Glauben reizen können, dich zu preisen und anzubeten, in deiner Gnade zu lieben und zu suchen, in deiner Gerechtigkeit aber kindlich zu scheuen, und uns vor deinen Gerichten zu hüten. Ach, schreibe selbst in unsere Herzen deine Güte und deinen Ernst, laß uns keines von beiden vergessen, vielweniger mißbrauchen zur Sicherheit und Zaghaftigkeit. Deine Barmherzigkeit müsse uns gnädiglich besuchen, und erfüllen mit Licht und Kraft, aus freien Herzen dir in Liebe gehorsam zu werden. Sonderlich aber wollest du durch sie verhüten, daß uns die Gerichte nicht plötzlich überfallen, und wir ohne Trost deiner Güte bleiben. Dagegen laß auch deine Gerechtigkeit uns in der Zucht halten, daß wir nicht weichen und ausschweifen, sondern in dir bleiben, und du also sie stets mit Gnade vermengest, und alles Leiden erleichterst, mitten in deinen Gerichten unser Trost bleibest, und ein Räumlein zeigest, da wir mit Lot unsere Seelen retten mögen. Nun deine Gnade behüte uns allewege, und dein Recht erhalte uns von Innen und Außen, daß uns kein Fall stürze, wie groß er ist. So werden wir zur Zeit der Noch „getrost bleiben, und in dir ewig leben. Amen.

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