Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Erste Predigt. Die Versuchung.

Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Erste Predigt. Die Versuchung.

Der ersten Unschuld reines Glück,
Wohin bist du geschieden?
Du flohst und kehrest nicht zurück
Mit deinem süßen Frieden.
Dein Edensgarten blüht nicht mehr,
Verwelkt durch Sündenhauch ist er,
Durch Menschenschuld verloren. Amen.

Text: 1 Mose III., V. 1.
Und die Schlange war listiger, denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?

Es gibt drei Kapitel in der heiligen Schrift, und zwar in dem betreffenden Buche, in welchem sie enthalten sind, jedes Mal die dritten Kapitel, welche man die wichtigsten Kapitel des ganzen geschriebenen Wortes Gottes nennen kann. Das ist 1 Mose 3, oder die Geschichte vom Sündenfall, das ist Joh. 3, oder das Gespräch mit Nikodemus über die Wiedergeburt, das ist Röm. 3, oder die Lehre des Apostels Paulus über die Rechtfertigung des Sünders vor Gott. Sünde, Wiedergeburt, Rechtfertigung: dreht sich darum nicht die ganze göttliche Offenbarung, die Geschichte der Menschheit und des einzelnen Herzens? Schon längst hatten wir den Plan gehabt, diese drei Kapitel einmal einer besonderen gründlichen Betrachtung zu unterwerfen und damit die wichtigsten Lehren unseres allerheiligsten Glaubens zu erläutern: lasset und dieses Jahr mit dem ersten Gegenstande beginnen, und, wenn Gott leben und Gesundheit fristet, die beiden andern für die Sommerbetrachtungen der nächsten Jahre uns vorbehalten.

Die Sünde ist da, in jedem Menschen: wie ist sie in die Welt gekommen? Hat Gott die ersten Menschen schon als Sünder erschaffen? Oder ist die Sünde erst später im Menschen selbst entstanden? Oder ist sie in den Menschen durch Verführung hineingekommen? Lauter Fragen, die jeden menschlichen Geist interessieren und in allen Zeiten die Denker beschäftigt haben und noch immer beschäftigen. Jeder Ursprung, das wissen wir, hat etwas Verborgenes und Rätselhaftes, jedes erste Werden entzieht sich dem beobachtenden Blicke; wenn der Mensch es wahrnimmt und beobachten kann, ist es schon geworden und vorhanden: ihr sehet das an den ersten Keimen der Pflanzen und Bäume, wie der neugeborenen Kinder. So ruht auch auf dem Ursprung der Sünde eine dunkle Wolke, die kein menschlicher Geist erforscht durch sich selbst und die allein durch die Sonne des göttlichen Worts erhellt und durchbrochen wird. -

Und wie hat Gottes Wort dieses Dunkel gelichtet! Wenn wir die Geschichte des Sündenfalls lesen, wieviel auch der grübelnde und scheidende Verstand fragen oder einwenden mag, wir müssen doch im innersten Herzen jedes Mal bekennen: „Das ist auch meine Geschichte, und ist mir dabei zu Mute, als läse ich nicht von Asams und Evas, sondern von meiner eigenen Sünde; gerade ebenso handle ich noch immer, so oft ich Gottes Gebot übertrete; trägt irgend eine Darstellung den unwidersprechlichen Charakter der inneren Wahrheit an sich, so ist es diese.“ Jede Sünde, die wir heut zu Tage begehen, ist noch fortwährend Wiederholung und Fortsetzung der ersten Sünde, und ist wiederum die erste Sünde der ersten Menschen die Mutter und das Muster aller nachfolgenden Sünden ihrer Kinder.

Geliebte! was gibt es Wichtigeres für uns gefallene Wesen, als Selbsterkenntnis und Sündenerkenntnis! Nur durch die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis gelangen wir zur Himmelfahrt der Gottes- und Christuserkenntnis. Lasst uns denn gemeinsam dieses Jahr diese Höllenfahrt anstellen, und ob uns auch oft bange werden und grauen wird vor uns selbst, wie uns graut, wenn wir durch das Vergrößerungsglas in einem Wassertropfen plötzlich lauter Schlangen und Ungeheuer erblicken, lasst uns dies Bangen und Entsetzen nicht scheuten, sondern Gott bitten, dass Er uns die volle, ungeschminkte Wahrheit über unser innerstes Herz aufschließe und den Kern aller Weisheit, ohne welchen es keinen Weg zum Heile gibt, das große „Erkenne dich selbst!“, uns zu unserm inneren und ewigen Segen enthülle. Ergründen werden wir die Geschichte des Sündenfalls nicht, sie hat eine Tiefe und einen Abgrund, in welchen kein Mensch hineindringen kann, tiefer als das tiefste Meer; aber, soviel der heilige Geist uns Aufschlüsse geben wird, sie können uns nur heilsame Früchte bringen. Wir betrachten heute, nach Anleitung des ersten Verses, 1) den Versucher, 2) die Versuchung

1.

Es ist das allertraurigste Stück der heiligen Geschichte, mit dem wir es zu tun haben; wie gern möchte man sagen: „Wollte Gott, sie stände nicht in der Bibel, sie hätte sich nie zugetragen!“ Aber geschehene Dinge sind einmal nicht ungeschehen zu machen; dass sie sich nur nicht immer wieder erneuerten und wiederholten! -

Nicht von innen heraus, aus dem Menschen selbst, als seine allereigenste Tat, ist die Sünde entstanden, von außen ist sie in den Menschen hineingekommen. Der Mensch ist nicht der Urheber der Sünde, sondern nur der Verführte, - und das ist das einzig Tröstliche bei dieser traurigen Geschichte, weil durch diese Gewissheit sich und die Hoffnung auf Erlösung von der Sünde und dem Tode wieder eröffnet.

Von außen also kam die Verführung, und Gott ließ sie zu. Ohne Seine Erlaubnis kann uns kein Teufel anfallen, kein Mensch verlockend in den Weg treten. Und Gott lässt die Versuchung nur immer zu bis zu einer bestimmten Linie, die darf sie nicht überschreiten; sowie sie diese Grenze berührt, ertönt es vom Himmel: „Bis hierher, und nicht weiter!

Der Teufel kann uns daher wohl reizen, aber nicht bezwingen; kann uns locken, aber nicht verführen, wenn wir ihm widerstehen. Jakobus sagt ausdrücklich: „Seid nun Gott untertänig und widerstehet dem Teufel, so flieht er von euch.“ Er hat nur soviel Macht über uns, als wir ihm einräumen. Er kann nur dann unsere Hand ergreifen und uns mit sich fortreißen in seine Hölle, wenn wir selbst den Finger ihm reichen. Gott lässt endlich die Versuchung immer nur zu, um dadurch einen bestimmten Zweck zu erreichen, nämlich offenbar zu machen und ans Licht zu bringen, was im Menschen verborgen ist. Er versuchte daher Abraham, indem Er ihm seinen Sohn abforderte, um Abrahams Glauben zu verherrlichen; Er versuchte Hiob, als ein Unglück über das andere über ihn hereinbrach, um seine Geduld zu bewähren; Er versuchte Moses, indem Er ihn zum Geplagtesten unter allen Menschenkindern machte, um seine Liebe zu Israel an den Tag zu bringen; Er versuchte das kananäische Weib, um ihre Demut und Inbrunst vor den Jüngern und dem Volke recht köstlich zu entwickeln; Er versuchte Christum, um seine völlige Sündlosigkeit und Erlösungskraft uns für immer unzweifelhaft zu machen. So ließ Er auch hier die ersten Menschen versuchen, um ihren Gehorsam zu prüfen und zu bewähren, wenn es möglich wäre.

Die Versuchung kam an die ersten Menschen durch eine Schlange. Es haben manche Ausleger der heiligen Schrift keine wirkliche Schlange annehmen, sondern unter der Schlange nur ein Bild, eine Allegorie oder symbolische Bezeichnung des Bösen überhaupt, oder des bösen Geistes insbesondere, verstehen wollen. Allein wer unbefangen und ohne Vorurteil die Darstellung unseres Textes liest, muss die Erscheinung der Schlange für ebenso geschichtlich halten, wie der Zustand des Paradieses, das Auftreten Adams und Evas, der tief in unserer Natur liegende Abscheu vor der Schlange, die Arbeit im Schweiß des Angesichts, das Schmerzgefühl bei der Geburt der Kinder, der Tod und das Verwesen aller Menschen etwas Wirkliches und nichts Bildliches ist. Im Neuen Testament wird die Geschichte des Sündenfalls als eine wirkliche Geschichte dargestellt und besprochen, z. B. 2 Kor. 11,3. 1 Tim. 2,13.14. Röm. 5,12.

Dass es aber gerade eine Schlange war, deren der Versucher sich als Werkzeug bediente, hatte einen bestimmten Grund; unser Text deutet ihn an: „Und die Schlange war listiger, denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte.“ Die Schlange ist von Natur ein scheckiges, instinktmäßig listiges und kluges Tier; wo wir sie vorfinden, schleicht sie im Verborgenen und kommt dadurch unvermerkt dem Gegenstand nah, den sie verderben will; bald versteckt sie sich auch leise und schießt plötzlich aus ihrem Schlupfwinkel hervor, um ihre Beute zu erhaschen. Wenn die Schöpfung vor dem Sündenfall in einem erhöhteren, geistigeren Zustande sich befand, so können wir uns wohl denken, dass namentlich die Schlange ein ungemein begabtes Tier gewesen war. Noch jetzt wissen die Morgenländer von ihr viel Wunderbares zu erzählen: sie soll sich im Alter verjüngen, das Gesicht sich wiedergeben können, Geheimnisse der Kunst und Wissenschaft besitzen, Kranke gesund machen, auf Musik horchen, und der Stimme der Priester folgen, wobei wir natürlich dahingestellt sein lassen, wieviel Wahres und Falsches bei diesen und ähnlichen Sagen des Morgenlandes sich vermischt. Vielleicht erhielt sie bei der Versuchung unserer Ureltern durch Einwirkung des Satans noch besondere Kräfte und Begabungen, die kein anderes Tier besaß und die auch sie als Tier nicht gehabt haben würde, nämlich jene unheimliche höhere Klugheit, deren bloßes Abbild die instinktmäßig niedere List der gewöhnlichen Schlange ist. Beide Eigenschaften, die tierischen und die satanischen, erschienen dann den ersten Menschen in unmittelbarer Einheit, so dass sie sie nicht trennen, noch unterscheiden konnten, was die Schlange als Tier und was sie durch Satans Einwirkung war. Nahte aber die erste Versuchung unter dem Deckmantel der Schlange, Brüder, Schwestern, dann lasst uns vor jeder Sünde noch immer wie vor einer Schlange fliehen; sie haben ja beide das miteinander gemein, dass sie unbemerkt uns nahen, und allerlei vorspiegeln, und uns, wenn wir arglos uns hingeben und ihren Einredungen trauen, hinterlistig überfallen und vergiften. Lasst uns aber namentlich davor uns bewahren und durch Gottes Gnade uns bewahren lassen, dass wir nicht selber an anderen zu Schlangen werden und als Schlangen handeln, indem wir sie durch Unglauben und Sünde ärgern, zur Sünde reizen und verführen.

Wenn es aber auch eine wirkliche Schlange war, mit der es Eva im Paradies zu tun hatte, so war es doch keine bloße Schlange. Ein Tier an sich würde den Menschen, den Herrn und Gebieter der Tierwelt, nicht haben täuschen und irreführen können. Auch geht das von der Schlange im Text Gesagte weit über die Grenzen hinaus, die der Tierwelt gesteckt sind. Schon die erste Frage: „Sollte Gott gesagt haben, ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?“ ist nicht die List einer natürlichen Schlange, sondern eine höchst verfängliche Frage, die einen sehr bösen Grund und eine sehr böse Absicht hatte, und nicht von einer guten Kreatur aufgeworfen werden konnte, wie es bei der Schöpfungsgeschichte von allen Tieren, also auch von der Schlange, ausdrücklich heißt: „Gott sah an Alles, was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“. Das Neue Testament gibt uns aber vollends den Schlüssel zu dem geheimnisvollen Auftritt im Paradies. Jesus selbst, der allwissende Mund der ewigen Wahrheit, sagt Johannes 8,44.: „Der Teufel ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm; wenn er die Lügen redet, so redet er von seinen eigenen, denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben“, und Offenbarung 12,9. heißt es: „Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt“. Kann nach 2 Kor. 11,14. der Satan sich in einen Engel des Lichts verstellen, so konnte er auch wohl eine Schlange zu seinem bösen Willen gebrauchen, wenn er dadurch seinen Zweck am leichtesten und sichersten zu erreichen hoffte. Denn wäre er, als Satan, in seiner eigenen Gestalt der Eva entgegengetreten, so hätte sie gewusst, mit wem sie zu tun hatte und hätte sofort die Flucht ergriffen. Hätte er die Gestalt eines Mannes oder Weibes angenommen, so wusste Eva, dass außer Adam und ihr kein anderer Mensch in der Welt war, und hätte gegen seine Worte von vornherein Misstrauen bewiesen. Indem er aber geistig und unsichtbar ihr nahte und sich der Schlange als äußeren Werkzeuges bediente, ahnte sie auch nicht im Entferntesten, mit wem sie es zu tun hatte, dachte nur an eine Schlange und merkte von der höheren geistigen Verführung nichts. Wie nun der Teufel, dieser von Gott gutgeschaffene Geist, in vollem Bewusstsein seiner Selbstsucht und seines Sichlegenwollens an Gottes Statt, von Gott abgefallen sei und dann ein Reich von bösen Geistern in seinen Fall nach sich gezogen habe, das freilich wissen wir nicht: die Bibel schreibt ja keine Geschichte des unsichtbaren Geisterreiche, sondern bloß des Menschengeschlechts auf Erden, und wie das Reich der Finsternis, der Lüge und des Todes seine traurige Gewalt nur zu stark an uns geltend gemacht habe. Das Andere bleibt für uns so lange undurchdringliches Geheimnis, bis uns einmal die Geistesaugen in der Ewigkeit werden geöffnet sein, um zu sehen und zu erfahren, was hienieden kein menschliches Auge gesehen hat und in keines Menschen Sinn gekommen ist. Aber nachdem er einmal von Gott abgefallen war, konnte er es nicht lassen, auch die Menschen zu gleichem Abfall zu verleiten, - es ist einmal eine traurige Wirkung der Sünde, dass sie den Sünder antreibt, Andere mit sich zu verführen - und das hat noch immer der Versucher mit seinem Verfahren bei der ersten Versuchung gemein, dass er uns unsichtbar und geistig naht und seine Versuchungen eben deshalb um so gefährlicher sind, je verstellter und versteckter er handelnd auftritt, je listiger er dem Menschen weißzumachen versteht, er sei gar nicht da, er existiere nicht einmal, und es sei einfältiger Aberglaube, das anzunehmen; je unfehlbarer er uns durch solche Täuschung von der nötigen Vorsicht und Wachsamkeit, vom Worte Gottes und Gebet abbringt. Ja, dadurch hat er es sogar leichter bei uns, als bei den ersten Menschen, dass jene noch rein und unschuldig waren, im Besitz des göttlichen Ebenbildes, welches Gott ihnen anerschaffen hatte, im Zustand der ursprünglichen Gerechtigkeit und Heiligkeit, wir aber schon von Natur gefallene Menschen sind, mit der Erbsünde oder der Neigung zu allem Bösen behaftet. Von uns gilt das Wort Jakobi: „Der Mensch wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird; danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod“. An uns kommt daher die Versuchung nicht erst von außen heran, sondern sie findet schon einen Zunder und eine Empfänglichkeit in unserm Herzen, jene reizende und lockende Lust zum Bösen, die durch das Gebot nicht gehemmt und unterdrückt, sondern vielmehr erregt und ins Leben gerufen wird, wie Paulus schreibt: „Ich wusste nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Lass dich nicht gelüsten; da nahm aber die in mir liegende Sünde Anlass am Gebot und erregte in mir allerlei Lust“ (Römer 7,7.8.). O dass wir denn allezeit auf der Hut wären vor uns selbst: unser Hauptfeind schlummert in unserer eigenen Brust! Kein Mensch und kein Teufel kann uns schaden, so lange wir es fest mit dem Herrn halten und zur Versuchung weder innerlich Lust fühlen, noch darauf eingehen und einwilligen. Und wäre die Versuchung noch so vielversprechend und unwiderstehlich: so lange unser Herz dabei kalt und unempfindlich bleibt, sind alle ihre Vorspiegelungen und Zuredungen erfolglos.

II.

Nachdem wir nun wissen, mit wem es Eva unter der Schlange zu tun hatte, ist es nicht anders möglich, wir müssen für sie hoffen und fürchten zugleich. Wird sie widerstehen, wie es der zweite Adam tat in der Wüste, auf der Zinne des Tempels, und auf dem Berg in Galiläa? oder wird sie unterliegen? O, dass sie wache Augen und einen starken Mut hätte! Beides ist notwendig, denn gar schlau und überlegt fängt der Versucher sein Höllenwerk an. Er macht sich zunächst nicht an Adam, sondern an Eva, das schwächere Gefäß unter den beiden geschaffenen Menschen (1 Tim. 2,14.), an Eva, die Gottes Gebot nicht unmittelbar, sondern erst durch Adam gehört hatte, die empfänglicher für äußere Eindrücke war als ihr Mann, und ohne Arg, vielleicht mit Wohlgefallen, das unschuldige, kluge Tier ansah, durch deren Liebe endlich er den Adam zugleich mit angreifen konnte. Ist es nicht noch immer unsere schwache Seite, bei der uns der Versucher beikommt, bei der wir am meisten sündigen und Andern und uns die größten Schmerzen bereiten? War es nicht bei Judas der Geiz, bei Petrus das Selbstvertrauen, bei David die Sinnlichkeit, die sie zu Falle brachte? Singt nicht Gellert: „Dein Herz hat seine schwache Seite, die greift der Feind der Tugend an“? Wie nötig ists daher, Geliebte, dass wir unsere schwache Seite kennen lernen und dagegen am aufmerksamsten sind!

Weiter. Der Versucher macht sich an Eva, als sie allein ist und an ihrem Mann keinen Beistand hat. Die Gemeinschaft der Heiligen ist ein starker Schutz; die Einsamkeit aber und das Alleinstehen, wie trefflich sie auch sind zur Sammlung und zum Gebet, ebenso bedenklich und gefährlich sind sie für die Versuchung. Wie viele Sünden werden noch immer in der Einsamkeit und in der Nacht begangen, mit dem Gedanken: Das sieht kein Mensch! Wo und wann finden die meisten Einbrüche und Diebstähle, die meisten Laster der Trunkenheit, des Spiels und der Wollust statt? Treffend ist das Wort eines Altvaters an einen ernstgesinnten Jüngling, welcher zu seiner Besserung die Einsamkeit aufsuchte: „Wahrlich, ich sage dir: wenn du dein Leben nicht besserst in der Gesellschaft der Menschen, so wirst du es auch nicht bessern in der Einsamkeit“.

„Die Schlange sprach zum Weibe“, heißt es weiter. Wie? können denn Schlangen sprechen? Heut zu Tage allerdings nicht; aber waren nicht im Paradies auch die niederen Geschöpfe in einem vollkommneren Zustand? Sprechen nicht noch immer die Tiere, und verstehen sich untereinander? Hat nicht jede Tiergattung ihre besondere Zunge und Sprache, durch welche sie ihre Furcht und Freude zu erkennen gibt, ihre Jungen herbeiruft, ihren Hunger andeutet, ihr Futter begehrt, und vor Gefahren warnt? Und lassen sich nicht gewisse gelehrige Tiere dazu abrichten, ganze Sätze unserer menschlichen Sprache nachzusprechen? Eva wundert sich auch gar nicht, dass die Schlange mit ihr ein Gespräch beginnt; es kommt ihr dies Sprechen weder fremd, noch fürchterlich vor. Wie die Schlange gesprochen, wissen wir nicht; aber es war eine Sprache, die Eva verstand. Wir bleiben demnach auch hier einfach bei der Geschichte stehen: „und die Schlange sprach zum Weibe“.

Fürchterlicher als das Sprechen ist der Inhalt der Schlangenworte: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?“ Zunächst freilich erscheint die Schlange, oder vielmehr der Teufel, der durch die Schlange redete, viel gläubiger und wahrheitsliebender, als tausend unserer heutigen Christen. Denn, was setzt diese Frage voraus? Offenbar gibt sie zu, dass ein Gott da ist: „Sollte Gott gesagt haben?“ Jakobus schreibt auch: „Die Teufel glauben einen Gott und zittern“; - viele unserer heutigen Christen stehen tief unter dem Teufel, indem sie sogar das Dasein eines persönlichen Gottes in Abrede stellen. Sodann gibt sie nicht minder zu, dass dieser persönliche Gott sich den Menschen geoffenbart habe: „Sollte Gott gesagt haben?“ - Viele unserer heutigen Christen, die Gott noch die Ehre erweisen, Sein Dasein anzunehmen, bestreiten diese Offenbarung Gottes an die Menschen, und zwar sowohl ihre Möglichkeit, als Wirklichkeit und Notwendigkeit, und erklären Alles für Einbildung und Lüge, was die Bibel von Reden Gottes enthält. Sie gibt endlich sogar zu, dass Gott den ersten Menschen ein bestimmtes Gesetz zur Beobachtung gegeben habe, - das findet nun vollends gar keinen Anklang bei unseren heutigen Christen, sondern: „Die Menschen“, sagen sie, „haben sich diese Gesetze selbst gegeben, wie sie sich dieselben ja heute noch geben auf den Landtagen und in den Kammern“. In der Tat, soweit müssen wir vor der Schlange den Hut abnehmen und uns vor ihrer Rechtgläubigkeit beugen. Aber nur soweit! Jetzt fängt das Lügengewebe und die listige Vorspiegelung an. Es ist einmal Teufels Grundsatz, in jede Lüge etwas Wahrheit hineinzumischen, ja, die Lüge selbst als Wahrheit darzustellen, um Eingang zu finden; die offenbare, nackte Lüge, das weiß er, würde sogleich auf Unglauben und Widerspruch stoßen. Der Lügengeist hüllt daher seine böse Absicht in eine abgebrochene, nur so hingeworfene Zweifelsfrage, wie Einer redet, der sich die Miene gibt, als könne er noch viel mehr sagen, er wolle nur nicht Alles aussprechen, aus Schonung und Rücksicht; ja, in eine verfängliche Frage, als wüsste er es andererseits nicht recht und suchte erst bei Eva Belehrung. „Sollte Gott das wirklich gesagt haben: Ihr dürft nicht essen von allerlei Bäumen im Garten? Ihr habt wohl nicht recht gehört? habt Seine Worte nicht recht verstanden? Das kann Er ja unmöglich gemeint haben; das ist entschieden noch fraglich und eine genaue Untersuchung notwendig!“ Was will er mit der Frage? Offenbar den Zweifel und das Misstrauen wecken, ob es sich wirklich so verhalte, ob das Gott gemeint und verboten haben könne, und ob Gott ein Recht habe, so etwas zu verbieten. Genug, die Frage ist eine furchtbare, schlau angelegte Versuchung, Gott nicht so unbedingt zu glauben, sondern selbst zu prüfen und zu untersuchen! Kennt ihr diese Stimme der Versuchung zum Zweifel und Misstrauen nicht auch in eurem Herzen und Leben, Geliebte? Ihr lest die Bibel, ihr haltet sie für Gottes Wort, ihr findet darin eure Erbauung und die Quelle alles Lichtes und alles Trostes, - habt ihr bei diesem lesen nie den Gedanken in euch aufsteigen sehen oder durch Andere aussprechen hören: Sollte das wirklich Alles buchstäblich wahr sein? alle diese außerordentlichen Wundergeschichten und Erzählungen? dieser vielfache scheinbare Widerspruch gegen die gesunde Vernunft, gegen die Gesetze der Natur, gegen die übrigen Mitteilungen der Geschichte, gegen andere Stellen der heiligen Schrift? Haben nicht so viele gelehrte und kluge Leute sich für das Gegenteil entschieden? Ihr steckt in großer Not, eine kleine Unredlichkeit, eine Lüge, ein Betrug, eine geheime Entwendung könnte euch retten; aber ihr schaudert davor zurück, denn ihr kennt das siebte Gebot: „Du sollst nicht stehlen!“ habt ihr da nicht die Stimme der Hölle vernommen: „Sollte Gott dies Gebot dir gesagt haben, für die gegenwärtige schwere Prüfungsstunde, in welche Er dich selbst gestürzt hat? Für alle anderen Menschen und für alle anderen Tage deines Lebens hat Er es verboten, nur diesmal nicht für dich; Not kennt kein Gebot; Einmal ist Keinmal; ein wenig wird ja nicht schaden; so genau wird es Gott wohl nicht mit dir nehmen“. Ihr seid in eine düstere Stimmung und große Anfechtung hineingeraten, ihr betet, ihr greift nach Gottes Gnadenverheißungen, um euch daran wieder aufzurichten, habt ihr da nie die Schlangenfrage gehört: „Was suchst du das Angesicht Gottes, oder bildest dir ein, diese Verheißungen seien dir gegeben? Du bist zu tief von Ihm abgefallen, deine Sünde ist zu groß, als dass sie dir noch könnte vergeben werden; für solche große Sünder, wie du, hat Er keine offene Gnadentür mehr; es ist zu spät!“ Kurz, wie auch die Worte Gottes in der Bibel lauten mögen, ob sie heißen: „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist“, oder: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan“, oder: „Gib mir, mein Sohn, meine Tochter, dein Herz, und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen“, und: „Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat“, immer tönt dahinter das Schlangenwort, erst leise, dann lauter, und immer lauter: „Sollte Gott gesagt haben?“ Immer und überall beginnt die Verführung mit dem Zweifel an Gottes Wort. So oft daher Zweifelsgedanken in uns erwachen, lasst uns an die Nähe der alten Schlange glauben und uns selbst erinnern: Jetzt ist die Stunde und die Macht der Finsternis! Und so oft uns andere Menschen Gottes Wort zweifelhaft zu machen suchen, lasst uns vor ihnen, als vor lebendigen Teufeln in Menschengestalt, fliehen! Wie Gottes Wort die beste Nahrung unseres Glaubens ist, so ist es auch unser bester Schutz gegen den Zweifel. Haben nicht schon oft Juden das Neue Testament gelesen, in der Absicht, darüber zu lachen und zu spotten? Und während des Lesens des Evangeliums Matthäi ist ihnen der Spott vergangen und sie sind zum Glauben an Jesum, als den Messias, gekommen und haben sich auf Seinen hochgelobten Namen taufen lassen. Haben nicht sogar Christen die Bibel gelesen, um sie anzugreifen und zu widerlegen; und ehe sie sichs versahen, war das Wort zu mächtig geworden und hatte gewonnen, der Saulus war ein Paulus geworden, und die früheren Bestreiter der Schrift schrieben nun Verteidigungsbücher für ihre Göttlichkeit und Glaubwürdigkeit. Was man oft von der Philosophie gesagt hat, gilt noch vielmehr von der heiligen Schrift: „Oberflächlich gelesen führt sie ab von der Wahrheit, gründlich studiert führt sie immer tiefer hinein“. So lasst uns denn im Worte Gottes lesen Tag und Nacht, und auch wir werden immer frömmer und seliger werden, und mit dem heiligen Sänger bezeugen: „Nimm ja nicht von meinem Mund das Wort der Wahrheit; ich habe alles Dinges ein Ende gesehen, aber Dein Gebot währt; wenn Dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Einfältigen; Dein Wort ist nicht denn Wahrheit, alle Rechte Deiner Gerechtigkeit währen ewiglich!“ Amen.

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