Arndt, Johann Friedrich Wilhelm - Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm - Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.

Predigt am 17ten Januar 1836, gehalten in der Parochialkirche zu Berlin

Gnade sey mit Allen, die da lieb haben unsern Herrn Jesum Christ unverrückt. Amen.

Text: Matth. XII, V. 30.

“Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.“

Der Herr hatte einen Tauben geheilt, der stumm war. leugnen konnten die Pharisäer das Wunder nicht, glauben mochten sie es nicht; so suchten sie es denn zu verdächtigen, und beschuldigten Jesum, er habe es durch Teufelsmacht zu Stande gebracht. Jesus Christus entgegnete ihnen nun, ihr Vorgeben sei widersinnig, denn ein jeglich Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste, und eine jegliche Stadt oder Haus, so es mit ihm selbst uneins wird, mag nicht bestehen. So denn ein Satan den andern austreibt, so muß er mit ihm selbst uneins sein, wie mag denn sein Reich bestehen? Dann erklärte er weiter, wenn Satan also nicht sein Helfer und Genosse sei, so müsse er sein Feind sein; denn im Reiche Gottes gebe es keinen Mittelzustand, wenigstens nicht auf die Dauer, da müsse man entweder die eine oder die andere Parthei ergreifen: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet.“ Mit diesen Worten belehrt uns der Herr über eine Gesinnung, die in unserer Zeit unter allen die weitverbreitetste ist, und die wir daher heute einmal näher ins Auge fassen wollen zu unserer Warnung und Heilung. Es ist nämlich der Zustand der Lauheit, der Gleichgültigkeit, der Theilnahmlosigkeit, der Unentschiedenheit, der Charakterlosigkeit in Beziehung auf das Christenthum, oder wie ihr diese Zwittergeburt sonst nennen wollet. Der Reichthum der Sprache an Ausdrücken, ihn zu bezeichnen, spricht für den weiten Umfang seiner Verbreitung. So laßt uns denn unter dem Beistände des Heiligen Geistes betrachten die Lauheit im Christenthum, l) ihre Natur, 2) ihre Gefahr.

I.

Die Gesinnung, von der wir heute sprechen, meine Geliebten, die Lauheit und Unentschiedenheit im Christenthum, und von der der Herr im Texte sagt, daß sie nicht mit ihm sei, ist offenbar zweierlei nicht, nicht offne Feindschaft, nicht warme Freundschaft. Die offne Feindschaft gegen Christum weiß, was sie will; sie will nämlich den Herrn nicht, sie kündigt ihm die Gemeinschaft auf, sie verläugnet, verräth, verspottet, verhöhnt ihn auf alle Weise, sie verachtet sein Wort, seine Kirche, seine Sacramente, und hält es mit einem andern Herrn, dem sie dient, der Sünde, der Welt, ihren Leidenschaften, dem Teufel: das sind die offenbaren Sünder und Ungläubigen, die ein für allemal Gott den Rücken und die Thür gewiesen haben, und deren Losung lautet: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Gleichermaßen weiß auch die wahre Freundschaft gegen Christum, was sie will; sie will nämlich nichts anderes als den Herrn; mit ihm täglich, stündlich, ewig in seliger Gemeinschaft zu stehen, seiner Gnade sich zu erfreuen, von seiner Erbarmung zu leben, für ihn alle Kräfte Leibes und der Seele zu verzehren, auf ihn alles, was sie leistet und was sie leidet, zu beziehen: das ist ihr Verlangen und ihr unermüdliches Streben. Ihre Losung lautet: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Theil. Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“ Zwischen beiden Partheien mitten inne sieht nun die Lauheit; sie ist nicht für, nicht wider den Herrn, hat weder Haß, noch Liebe, weder Furcht noch Hoffnung in Beziehung auf ihn, sondern hält es für gerathen, einen Mittelweg einzuschlagen, wie sie meint, über beiden Partheien zu schweben, partheilos, und darum ruhig und unbefangen zu bleiben. Das ist die Gesinnung, welche Jesus an einer andern Stelle also schildert: „Wem soll ich dies Geschlecht vergleichen? Es ist den Kindlein gleich, die an dem Markt sitzen, und rufen gegen ihre Gesellen und sprechen: Wir haben euch gepfiffen, und ihr wolltet nicht tanzen, wir haben euch geklagt, und ihr wolltet nicht weinen. Johannes ist kommen, aß nicht und trank nicht, so sagen sie: er hat den Teufel. Des Menschen Sohn ist kommen, isset und trinket, so sagen sie: „Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle!“ (Matth, 11, 16-18). Das ist die Gesinnung, von der er klagt: „Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch wann bist; ach, daß du kalt oder wann wärest!“ (Offenb. 3, 15.) Das Wesen und die innerste Natur dieser Gesinnung besteht darin, daß sie keine Gesinnung hat, keinen Charakter, keine Farbe; Niemand weiß, was sie eigentlich will, und sie selbst weiß es nicht; sie weiß wohl, was sie nicht will, aber sie weiß nicht, was sie will; ihr Wesen ist die Verneinung: „sie ist nicht mit Christo.“ Darum verhält sie sich völlig gleichgültig gegen das Reich Gottes. Es ist ihr einerlei, was für eine Lehre in der Kirche die gangbare ist; einerlei, ob Gott ein persönlicher, lebendiger Gott ist, oder das All, ob Gott nur um das Allgemeine oder ob er auch um das Besondere sich bekümmert; ob Christus der Sohn Gottes ist oder nur ein ausgezeichneter Mensch, und der Heilige Geist der Geist Gottes oder der Zeitgeist; ob der Mensch ein Sünder ist oder nur ein schwaches, gebrechliches, aber sonst gutes Wesen; ob Christus uns erlöst hat durch seine Lehre und sein Vorbild oder durch sein Blut, ob es Engel und Teufel gibt oder nicht, und in welchem Verhältnis sie zur menschlichen Natur stehen; daß sie sich die Mühe geben sollte, darüber genauere Untersuchungen anzustellen, der Sache auf den Grund zu gehen, die Beweise für und wider und vor allem die einfachen Behauptungen des göttlichen Wortes zu erwägen: das wäre zu viel von ihr verlangt. Zweierlei höchstens ist ihr gewiß: einmal, daß es keine sichere, unumstößliche Wahrheit gibt in der Welt, sondern nur Meinungen, Ansichten, Vorurtheile, Täuschungen; so viel Köpfe, so viel Sinne; so viel Kirchen und Religionen, so viel Glaubensweisen; was jeder glaubt, ist für ihn Wahrheit, aber eine allgemeine, von Allen annehmbare Wahrheit gibt es nicht; - sodann, daß die vermeinten Wahrheiten und Glaubensüberzeugungen der Menschen keinen praktischen Einfluß auf's wirkliche Leben haben, und man vollkommen ohne sie fertig werden, sich bereichern, zu Macht und Ansehn gelangen, seine Familie ernähren, seiner Pflicht genügen und der Welt wohlthun könne; einige moralische Grundsätze, so alt wie die Welt, und gewisse Lebenserfahrungen reichen ganz zu, sein Glück zu machen. - Wie es dieser Gesinnung einerlei ist, was im Reiche Gottes geglaubt wird, so ist's ihr auch einerlei, Wie der Mensch zu seinen Überzeugungen gelangt; ob in der Kirche oder im Theater; ob durch die Bibel oder die Flugschriften der Zeit; ob durch christliche Prediger oder durch weltlichgesinnte und ungläubige. Der Sonntag unterscheidet sich von andern Tagen der Woche nur dadurch, daß von der Arbeit gefeiert und uneingeschränkt das Vergnügen genossen wird. Das Abendmahl wird jährlich einmal gefeiert, weil es doch immer eine genußreiche, erhebende Feier ist, besonders am Todestage Jesu, wo man gerade nichts anders zu thun hat. Die Prediger werden dann und wann gehört, und die entschieden christlichen am Ende lieber als die andern, weil man sich bei ihnen mehr angesprochen fühlt, weil sie nicht bloß den Verstand beschäftigen, sondern auch das Herz rühren und mehr erbauen als die andern; Manche hören sie sogar gern, weil ihre Genußsucht bei ihnen scheinbar befriedigt wird, vorausgesetzt, daß sie nicht zu weit gehen, die Sünde nicht beim rechten Namen nennen und den Teufel nicht zu schwarz malen. - Es ist ihnen endlich völlig einerlei, wie es außer ihnen mit dem Reiche Gottes in der Welt sieht, ob es sich verbreitet oder stille sieht, ob die Kirchen gefüllt oder leer sind, ob der Sabbath geheiligt oder entheiligt wird, ob in den Häusern Bibeln vorhanden sind oder keine; die Anstalten zur Beförderung des Reichs Gottes auf Erden, die Bibel-, Missions- und Tractatgesellschaften zu unter stützen durch Beitrage und durch Fürbitten: wer könnte ihnen das zumuthen? Was auch geschieht in der Welt, Großes und Kleines, für das Kommen des Himmelreichs: die Gesinnung der Lauheit verhält sich zu dem Allen wie eine stille, theilnahmlose Zuschauerin; sie ist für nichts Höheres zu erwärmen und zu begeistern; sie läßt Alles gehen, wie es geht; sie vermeidet, was irgendwie aus ihrer behaglichen Ruhe sie herausbringen könnte, und hat kein Bedenken, den Mantel nach dem Winde zu hängen und mit den Wölfen zu heulen. Darum gleitet alles Heilige von der glatten Spiegelfläche ihres Herzens ab, und es kommt mit ihr nimmer zum Durchbruch.

Sagt nun selbst, Geliebte, ist diese Gesinnung, dieses stehende Phlegma in Beziehung auf das Evangelium, dieser Mangel an aller Gründlichkeit und Festigkeit nicht der Geist unserer Zeit? der Krebs, der am Mark des Volkslebens nagt, die Pest, die im Finstern schleicht und die Seuche, die im Mittage verderbet? Ist die Zahl derer nicht Legion, die im Innersten ihres Herzens weder kalt noch warm sind, und sich durchaus nicht unglücklich und elend fühlen würden, wenn nie ein Christus geboren wäre? Ist das Losungswort der Feit nicht das völlig gleichgültige: „Wir glauben all' an Einen Gott?“ Ist das Hauptbestreben der Zeit nicht, das Unvereinbare zu vereinigen und alle wesentlichen Unterschiede zu verwischen? Ist der Grundcharakter der Zeit nicht, daß sie charakterlos ist? Welche Zeitschriften und Erbauungsbücher werden denn am meisten gelesen? Die unentschiedenen. Welche Gesangbücher kommen allein zu Stande? Die alle Richtungen und Glaubensweisen unter einen Hut zu bringen suchen. Des Rationalismus und Unglaubens schämt man sich nach gerade, weil er zu inhaltleer und zu kraftlos ist; nichts desto weniger macht man keine gemeinsame Sache mit denen, die es ernst meinen mit ihrem Christenthum. Der Unterricht in allen Zweigen des Wissens wird mehr getrieben und befördert als zu irgend einer Zeit; aber wie oft geht wohl Hand in Hand mit ihm der umfassendere Unterricht in den Grundwahrheiten des christlichen Glaubens? Die Entdeckungen und Landungen in allem, was das äußere Leben betrifft, sind grenzenlos; alle Elemente sind auf die bewundernswürdigste Weise dem menschlichen Geiste dienstbar geworden, fast scheinen die Schranken des Raums und der Zeit verschwinden zu wollen; aber nehmen wir dieselben Fortschritte wahr auf dem Gebiete der Sittlichkeit und der Wahrheit? Ach nein, gerade in dieser Zeit werden die gotteslästerlichsten Bücher, die aller Sittlichkeit Hohn sprechen, gedruckt und geschrieben, werden die schmählichsten Selbstmorde vertheidigt, nimmt die Trunksucht auf eine grauenerregende Weise in allen Standen zu, und wächst die Entheiligung des Ehestands und des Sabbaths, und weil auf Sonntagsarbeit kein Segen ruht, sondern Fluch, damit zugleich die Roth und Verarmung. Pracht- und Prunkgebäude für Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Wesen steigen eins nach dem andern immer glänzender empor; aber wenn es gilt, Kirchen zu bauen oder zu erhalten, wie viel Mühe, wie viel Mangel an Geld, wie viel Hindernisse allüberall, während zu den Zeiten unserer frommen Vorfahren sogleich tausend Arme herbeieilten und jeder mit Freuden sein Scherflein auf den Altar niederlegte, wenn es galt dem Allerhöchsten Tempel der Anbetung zu errichten. Das Leben und des Lebens Güter, seine Häuser und sein Hausgeräth versichert man; aber wie Viele denken daran, das viel Wichtigere, das Heil ihrer unsterblichen Seele, zu versichern? Wenn der Leib krank ist, schreit alle Welt nach Hülfe; liegt aber die Seele todtkrank darnieder, läßt man unbekümmert eine Stunde nach der andern fortrinnen, bis sie endlich des jämmerlichsten Todes stirbt Wahrlich, Halbheit, Lauheit, Lahmheit, Unentschiedenheit, Gleichgültigkeit gegen das Höhere, das ist Deine Farbe, du neunzehntes Jahrhundert!

Woher nun diese weitverbreitete Krankheit? Sie hat einen doppelten Ursprung, meine Lieben; theils leitet sie sich ab aus der Sattheit, theils aus der Furcht. Ja, satt, übersatt sind die Menschen dieser Zeit! Sie haben genug an der Erde, sie fühlen sich wohl und behaglich in den Träbern der Welt; die Ruhe ist so süß, der Friede so still, die Genußsucht findet so viel Befriedigung, das Mitmachen gewährt so viel Vortheil, die Zerstreuung wird so mannichfach und leicht gemacht, die Bedürfnisse steigen von Tag zu Tage, das Leben wird immer bunter und reicher, und man glaubt endlich den Himmel schon auf der Erde zu finden. Ist es da ein Wunder, wenn man ihn nicht mehr im Himmel sucht? ein Wunder, wenn aller Sinn für den Herrn und sein Reich erstickt wird, und das Christenthum zuletzt auch nicht einmal mehr interessiert? Man will immer Neues, und das Christenthum ist zu alt; man will nur Oberflächliches, und das Christenthum geht in die Tiefe; man verlangt nach Fröhlichkeit und Lustigkeit, und das Christenthum macht ernst; man hascht nach dem Aparten und Pikanten, und das Christenthum gibt nichts als Gemeingut; man will bleiben, wie man ist, und das Christenthum beginnt mit Bekehrung und Wiedergeburt. Darum paßt es nicht zu der Einrichtung, zur Lebensweise, zur Tagesordnung, zu dem Zuschnitt, den einmal das Leben in der Welt erhalten hat. Erwachen aber auch manchmal Momente, in denen man die Hohlheit und Lahmheit dieses Zustandes fühlt und hülfsbedürftig die Hände nach dem Herrn ausstrecken möchte, dann wehrt wieder ein anderes Hindernis die Vollführung, das ist nämlich die Furcht; die Furcht: was werden die Menschen dazu sagen? - die Furcht, man möchte durch Ernst und Entschiedenheit verlieren, was man zu haben meint, seine Freiheit im Genuß der Sünde, seine Selbstständigkeit und Würde, und nichts gewinnen; - die Furcht vor Übertreibung, man möchte am Ende des Guten zu viel thun, ein Frommer werden und mit der Welt brechen müssen. Daher, aus dieser Sattheit und Genußsucht, Furcht und Feigheit, und aus nichts anderm entspringt die Lauheit gegen den Herrn.

II.

Doch genug von der Natur dieser Krankheit. Jetzt laßt uns ihre Gefahr in's Auge fassen. Der Herr sagt: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich. Wie, Geliebte? Haben wir recht gelesen: „wider mich?“ Man sollte meinen, es würde heißen: der ist ohne mich, fern von mir, der hält es mit einem andern; aber: „wider mich“ - ist das nicht zu viel? Wenn ich sagen wollte: was nicht weiß ist, das ist schwarz; was nicht Tag ist, das ist Nacht: wäre das wahr? gibt es nicht tausend Farben und Zustände noch zwischen den beiden äußerst und unmittelbar entgegengesetzten? wie kann der Herr sagen: „wer nicht mit mir ist, der ist wider mich?“ Geliebte, auf dem Gebiete des Reichs Gottes und der Sittlichkeit gibt es nur ein Entweder - Oder, kein Drittes in der Mitte. Was nicht Wahrheit ist, das ist da Lüge; was nicht Tugend ist, das ist Laster; was nicht Leben ist, das ist Tod; was nicht Gott ist, das ist Teufel. Alle andern Zwischen, zustände münden zuletzt in einem von beiden und tragen den Keim desselben schon in sich. So ist denn jede Lauheit im Reiche Gottes werdende Feindschaft, und wer nicht mit Christo ist, ist wider ihn; wider ihn dem Herzen und der That nach.

Der Mensch ist zum Lieben geschaffen; an Etwas muß er das Herz hängen, denn das Herz lebt nur von dem, was es liebt. Wenn es nun den Herrn nicht liebt, wen liebt es dann? Vielleicht die Welt; aber die Schrift sagt: „Wer der Welt Freund sein will, der muß Gottes Feind sein.“ (Jac. 4, 4). Vielleicht sich selbst; aber das Selbst, losgerissen von Gott, ist die Sünde, das Fleisch, und fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott. (Röm. 3, 7). So kann er denn folgerecht nur den Herrn hassen, wenn er ihn nicht liebt. - Doch ihr sagt: der laue Mensch haßt Gott nicht, er liebt ihn nur nicht, er verhält sich gegen ihn gleichgültig. Aber was heißt: gegen Gott gleichgültig seyn? Wenn ich gegen einen Menschen gleichgültig bin, so bin ich gegen ihn kalt wie Eis und herzlos wie Marmor; ich schlage, beschimpft/ beleidige, verletze ihn gerade nicht, aber ich mache mir nichts aus ihm, ich behandle ihn fremd, und thue, als kennte ich ihn nicht. Wenn nun ein Mensch euch so behandelte, würdet ihr den zu euern Freunden rechnen, dem eure Herzen öffnen, den zum Gefährten eurer Schicksale, zum Vertrauten eurer Geheimnisse machen, würdet ihr es aushalten können in dessen Nähe? Wahrlich, nein! Und wenn ihr ihm eure liebe anbötet, und er erwiderte sie mit Kälte und Fremdthun; wenn ihr mit ihm einen Weg gehen möchtet, und er ginge euch aus dem Wege; wenn ihr Freude und Leid mit ihm theilen wolltet, und er wiese eure Theilnahme zurück; wenn ihr ihn suchtet, und er flöhe euch; wenn ihr ihm zu Gefallen thätet, was ihr ihm an den Augen absehen könntet, und er legte Alles schief aus, er argwöhnte Böses dahinter: würde euer Herz da nicht bluten? euer Auge da nicht weinen? würdet ihr nicht bald inne werden, daß der mit seinem Benehmen nicht zu euch paßte? Nun denkt euch: so handelt die Lauheit gegen Christum. Er sucht sie, und sie geht an ihm vorüber; er thut Alles für sie, und sie handelt gegen ihn, als hätte er nichts für sie gethan; er läßt sich selber für sie tödten, vergießt für sie sein eignes Blut, er sieht ihr bei in allen Nöthen, macht alle ihre Schulden gut, und sie lebt in den Tag hinein, als wäre das Alles nur eine wahre Kleinigkeit und für nichts zu achten. Fürwahr, Christo seine Liebe vorenthalten, das heißt, ihm alles Böse anthun, was der erklärteste Feind ihm nur anthun kann. Offner Haß ist besser, als solche unerträgliche Kälte. „Ach, daß du kalt oder warm wärest!“ wünscht der Herr. (Offenb. 3, 15). Wer Christum nicht liebt, der ist undankbar gegen ihn: und ist die Undankbarkeit nicht Feindschaft? Wer Christum nicht liebt, der ist ihm ungehorsam: und ist Ungehorsam nicht Empörung, Auflehnung, Feindschaft? Die Lauheit ist nur eine schlafende Feindschaft; gebt ihr Gelegenheit, so bricht sie aus in That. Sie geht heute noch am Rande des Hasses; was gilt's, morgen ist sie unerbittlicher Haß? Wer nicht mit Christo ist, der ist wider ihn, nicht nur im Herzen, sondern auch in der That, wenn sie sich darbietet. Laßt einmal die Vortheile schwinden, die mit dem Namenchristenthum und mit dem äußern Bekenntnis des Evangeliums verbunden sind; laßt einmal Verführer kommen mit glänzendem Scharfsinn, hohen Ehrenstellen, beredten Zuredungskünsten und weit aussehenden Versprechungen; laßt einmal Verfolgungen ausbrechen gegen die aufrichtigen und ehrlichen Zeugen der Wahrheit: die lauen Christen fallen augenblicklich Alle ab; feil ist ihnen Ehre, Gewissen, ewige Seligkeit und was sonst dem Menschen Werth gibt; sie lassen ihre Kinder auf der Stelle nicht mehr taufen, sie gehen nie wieder zum Abendmahl, sie betreten nimmer die Schwelle der Kirche, sie werfen die Bibeln ins Feuer, lästern und fluchen Christo, und heben alle und jede Gemeinschaft mit christlichem Wesen und christlicher Erinnerung auf. Furchtbare Gesinnung! Wenn irgendwo der Herr wie verrathen und verkauft ist: so ist es bei diesen laugesinnten Menschen. Sehet ihr das nicht an Pilatus? Am Morgen fragt er noch ganz gleichgültig: „was ist Wahrheit?“ es sind Träumereien der Gelehrten, müßige Untersuchungen, Streitigkeiten verschrobener Köpfe, nichtssagende Redensarten; meine Thaten, meine Verbindungen, mein Glück, die Gunst des Tiberius, das ist meine Wahrheit;“ am Morgen kämpft er noch unentschieden, ob er Christum, den Unschuldigen, retten oder dem Volke nachgeben soll, und - einige Stunden nachher, um neun Uhr vormittags schon, verurtheilt er Jesum zum Kreuzestode. Sehet ihr das nicht bei Felix? Er war von Pauli Unschuld überzeugt, er ließ ihn oft fordern und besprach sich mit ihm, er wurde nicht einmal erbittert durch die apostolische Predigt von der Gerechtigkeit, der Keuschheit und dem zukünftigen Gerichte, er war kein unmittelbarer Feind des Christenthums, aber eben so wenig für dasselbe zu entscheiden: „gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegnere Zeit habe, will ich dich lassen rufen,“ und dennoch ließ er Paulum nicht aus dem Gefängnisse heraus, denn es war ihm, nicht um die Sache, sondern nur um Geld zu thun.

Doch es bedarf nicht einmal erst einer besondern äußern Aufforderung und Reizung, um die Lauheit zur Feindschaft gegen den Herrn zu entwickeln: die unmittelbaren Folgen und Wirkungen der Lauheit fallen schon mit denen der Feindschaft vollkommen zusammen, und unterscheiden sich von den letzteren nur durch die Allmäligkeit und durch die geringere Kraft ihrer Erscheinung, und auch insofern sind, die nicht mit Christo sind, wider ihn, denn sie hindern und vernichten sein Werk an andern und an sich selbst. Wie viel Gutes könnten sie stiften bei den Gaben, die ihnen oft der Herr verliehen, und bei der Stellung, die er ihnen angewiesen hat; wie gesegnet könnten ihre Worte, ihr Exempel, ihre Schriften, ihre Thaten wirken und sie ihr Licht leuchten lassen vor den Menschen, daß sie ihre guten Werke sähen und den Vater im Himmel priesen, wenn sie entschieden waren! Das geht nun Alles verloren. Durch ihr Schweigen hemmen sie den Glauben bei denen, die ihn suchen; durch ihre Kälte im Herzen tödten sie jeden schlummernden Liebesfunken bei denen, die in ihre Nähe treten; durch ihr Wegbleiben von den Orten, wo Gottes Ehre wohnt, spotten sie derer, welche noch halten an dem Worte des Lebens; durch ihre Achtlosigkeit, Feigheit, Schonung des Bösen wächst es rings um sie her und über ihren Kopf zusammen, daß sie endlich nicht mehr mit Ehren dagegen bestehen können. Wer dem Reiche des Teufels nicht bestimmt mit Wort und That entgegentritt, befördert es wider Wissen und Dank.

Nicht nur in Andern, sondern auch in ihm selbst; denn im Reiche Gottes gibt es keinen Stillstand, entweder vorwärts, oder rückwärts. Wer nicht besser wird, wird schlechter; wer nicht wächst in der Gottseligkeit, wächst in der Gottlosigkeit; wer dem Himmel nicht näher kommt, kommt näher der Hölle. Während der Mensch schläft, kommt der Feind und säet Unkraut, und immer stärker wächst es auf, weil kein Hüter da ist, immer dichter schlingt es sich in einander, eine verkehrte Neigung richtet sich an der andern auf, eine verwerfliche Begierde wird geschützt von der andern, bis der Grund der Seele damit überzogen ist, der bessere Sinn immer mehr erstickt und ohne Nahrung dahinwelkt. Freilich, Gott läßt sich auch an solchen Menschen nicht unbezeugt, er geht ihnen nach und führt ihnen bisweilen das Ungenügende, Drückende, Leere und Trostlose ihrer Lage recht zu Gemüthe. Es gibt Stunden, wo sie sich des Bewußtseins nicht erwehren können: Du bist doch ein unglückseliger Mensch. So oft ein Traum ihrer Kindheit, oder eine Wirkung des göttlichen Worts, oder ein Eindruck, den fromme Menschen mit ihrem Frieden auf sie machen, in ihre Seele klingt: so oft erwacht der Vorsatz, sich zu entscheiden und den Herrn zu suchen, weil er zu finden ist; aber kaum nehme sie wahr, daß die Ausführung dieses Vorsatzes die Pläne durchschneidet, die sie einmal fürs Leben entworfen haben, so stehen sie wieder still, und es bleibt Alles beim Alten. So oft ein schweres Unglück ihren Lebenshimmel überzieht, ist es ihnen, als fühlten sie den Zug des Vaters zum Sohne; sie fallen wohl auch auf die Kniee und bete“; aber indem sie beten, tritt irgend ein Ausweg ihnen vor die Seele, den sie betreten könnten; ihr Mund betet wohl noch, aber ihre Seele sinnt nach, und kaum schwebt der armen, unentschiedenen Seele der Ausweg vor, so lassen sie ab vom Gebet, stehen wieder auf, und gehen an ihr Werk ohne Christum, ohne Trost, ohne Entscheidung. Die Hand hatten sie wohl an den Pflug gelegt, aber nicht lange darauf halten sie sie wieder zurückgezogen, und nun verschieben sie die Entscheidung von einem Tage zum andern, und mit jedem Tage wird sie schwerer; nun denken sie immer: es ist noch Zeit, und darüber vergeht die rechte Zeit. Endlich sind die Tage der Gnade abgelaufen; da, unerwartet, ungerufen, Schrecken bringend tritt der Tod an ihr Lager. Er ruft, und sie müssen folgen. Sie folgen und gehen ins Gericht. Das Werk des Herrn, was in ihnen begonnen und immer wieder begonnen war, haben sie vernichtet, und Alles, was an ihnen gethan worden, ist vergebens gewesen. Vergebens, theure Mutter, hast du das Kindlein zum Herrn Jesu führen wollen; vergebens, treuer Seelsorger, hast du vor und bei seiner Einsegnung die Seele erfüllen wollen mit der Herrlichkeit des Evangeliums- vergebens, treuer Freund, hast du in stillen und in unruhigen, in glücklichen und in unglücklichen Stunden ihn ermuntert und ermahnt: es ist Alles vergeblich gewesen. „Alles vergebens?“ Großer Gott, Du hast ihm Dein Wort, Du hast ihm Glück, Du hast ihm Kreuz gesendet, auch das vergebens? Gerechter heiliger Gott, Du thatest nichts vergebens; aber was du zu seinem Heile sandtest, das verwandelte er selbst in Fluch! Schrecklich wird ihm nun droben sein die Erinnerung an die Stunden voll Rührung, die keine Frucht gebracht; anklagend wird das Bild von den Kämpfen, die er gegen das Werk des Herrn bestanden hat, vor ihn hintreten; niederschmetternd wird hallen aus dem Munde des Richters der Lebendigen und der Tobten das entsetzliche Urtheil: „Weil du nicht warm wärest, sondern lau, will ich dich ausspeien aus meinem Munde.“

Geliebte! Wer nicht mit Christo ist, der ist wider ihn, und wer wider ihn ist, der ist wider sich selbst!

Geliebte! Wer nicht mit Christo ist, spielt mit seinem Heile, und wer mit seinem Heile spielt, verspielt seine unsterbliche Seele!

Geliebte! Es ist leichter, daß ein Saulus zum Paulus wild, als daß ein lauer Mensch sich entscheide fürs Reich Gottes! Höret denn des Herrn Wort: „Du sprichst: ich bin reich und hab gar satt und darf nichts, und weißt nicht, daß du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. Ich rathe dir, daß du Gold von mir laufest, das mit Feuer durchläutert ist, daß du reich werdest; und weiße Kleider, daß du dich anthust und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße; und salbe deine Augen mit Augensalbe, daß du sehen mögest. So sei nun fleißig und thue Buße.“ (Offenb. 3, 17 -19). Und so laßt uns betend alle die Mark und Bein durchdringende Warnung des Herrn zu Herzen nehmen: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.“ Denn nicht bloß die Zeit im Allgemeinen leidet an der schrecklichen Krankheit der Lauheit: wir Alle, jeder insbesondere für sich, der Eine mehr, der Andere weniger, und der gefördertste Christ nicht minder und nicht seltener als das Kind im Christenthum, - wir Alle leiden daran. Als Kinder der Zeit haben wir auch ihre Krankheit geerbt, und weit entfernt, uns aus uns herauszuführen und auf Andere blicken zu lasse“, will die Bettachtung einen Jeden nur in sein eignes Herz hineinführen. O wie viele Stunden gibt es in unserm Leben, geliebte Mitchristen, wo auch wir lau sind! wo keine inbrünstige Sehnsucht nach dem Herrn, kein heißes, glaubensvolles Gebet, kein sich verzehrender Eifer um seine Sache, kein unermüdetes Wachen über uns selbst, keine Treue im Kleinen sich geltend macht, und die Gluth der ersten Liebe vollkommen erloschen ist. Ach, in allen solchen Stunden sind wir - o wehe! - wider Christum, wider unsern größten Wohlthäter, unsern treusten Freund, unfern alleinigen Helfer, unsern ewigen Fürsprecher im Gericht! laßt uns denn zittern vor den lauen Sünden, und den Herrn anflehen, daß er uns die Gnade verleihen wolle, ihm ganz und auf ewig anzugehören. Amen.

Quelle: Einzeldruck, Berlin 1836, Zu haben bei W. Martius, Klosterstraße No. 17

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