Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 18. Predigt

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 18. Predigt

Text: Matth. VI., V. 1-4.

Habt Acht auf eure Almosen, daß ihr die nicht gebet vor den Leuten, daß ihr von ihnen gesehen werdet; ihr habt anders keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen giebst, sollst du nicht lassen posaunen, wie die Heuchler thun in den Schulen und auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin. Wenn du aber Almosen giebst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte thut, auf daß dein Almosen verborgen sei; und dein Vater, der in das Verborgene siehet, wird dir’s vergelten öffentlich.

Die Zeit ist da, meine Lieben, daß wir den abgebrochenen Faden unserer Betrachtungen über die Bergpredigt wieder aufnehmen, um sie nunmehr mit Gottes Hülfe zu beendigen. Noch zwei lange Kapitel, das sechste und siebente Kapitel Matthäi, bleiben uns zu erläutern übrig. Seid ihr dem bisherigen Gange unserer Betrachtungen aufmerksam gefolgt, so werdet ihr euch zu erinnern wissen, daß Jesus das fünfte Kapitel mit acht Seligpreisungen begann, in denen Er die wesentlichen Erfordernisse Seiner wahren Jünger auseinandersetzte und sie im Besitz dieser herrlichen Eigenschaften berief, das Licht der Welt und das Salz der Erde zu werden. Er ging sodann über zur Auseinandersetzung ihrer Pflichten, wie sie nämlich durch das Evangelium durchaus nicht ihrer Verbindlichkeiten gegen das alttestamentliche Gesetz entbunden wären; denn Er wäre nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. Das alttestamentliche Gesetz war aber ein dreifaches: ein sittliches, ein bürgerliches, und ein Ceremonialgesetz. Das sittliche Gesetz umfaßte die sogenannten zehn Gebote. Jesus hob beispielsweise zwei derselben hervor: “Du sollst nicht tödten!” und: “Du sollst nicht ehebrechen!” und zeigte an denselben, wie der wahre Christ diese Gebote nicht nur dem Buchstaben nach durch die Enthaltung von der bösen That, sondern auch dem Geiste nach durch die Enthaltung von der bösen Gesinnung zu beobachten habe; wie, wer seinem Bruder zürne, ihn beleidige, ihn verdamme, ebenso des göttlichen Gerichts schuldig sei, wie derjenige, der ihn tödte; wie, wer ein Weib ansehe, ihrer zu begehren, schon die Ehe mit ihr gebrochen habe in seinem Herzen. – Das bürgerliche Gesetz umfaßte die äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Staatsbürger zueinander. Jesus hob beispielsweise vier Fälle heraus, die zur Beschränkung der Sünde und zur Handhabung der obrigkeitlichen Gerechtigkeit als nothwendige Uebel waren gestattet worden: die Ehescheidung, den Eid, die Processe, und den Krieg; und zeigte an denselben, wie der wahre Christ durch die Gesinnung der Liebe, die ihn durch und durch beseelt, diese Gebote dem Wesen nach mehr als erfülle, und ihre äußerliche, durch die Sünde bedingte Form, das nothwendige Uebel an denselben, überflüssig mache; wie er also durch treue, eheliche Liebe vor jeder Ehescheidung bewahrt bleibe, wie er durch stete Liebe zur Wahrheit nie in Versuchung komme, falsche Eide zu schwören, ja überhaupt zu schwören, wie er durch Selbstverläugnung und Sanftmuth jedem gerichtlichen Processe vorbeuge, und endlich durch seine Feindesliebe jede feindselige, kriegerische Stellung unmöglich mache. Jesus wollte damit die Ehescheidung, den Eid, die Processe und den Krieg nicht aufgehoben haben, denn dazu kannte ER zu gut die tiefe Sündhaftigkeit der menschlichen Natur und die argen Mißverhältnisse des Weltlebens; Er ließ sie fortbestehen als nothwendige Uebel der sündhaften Menschen untereinander, fortbestehen auch für die Christen, sofern sie noch Sünder sind in der Welt und den untergeordneten menschlichen Standpunkt der Gerechtigkeit geltend machen wollen; nicht fortbestehen für sie, sofern sie wahre Christen sind, welche alle ihre Verhältnisse ordnen und ausgleichen nach dem höhern göttlichen Standpunkt der Liebe untereinander. – Das Ceremonialgesetz endlich handelte von den gottesdienstlichen Pflichten. Jesus hebt beispielsweise die drei Hauptäußerungen desselben hervor: das Almosen, das Gebet, und das Fasten: das Almosen, als die hauptsächlichste gottesdienstliche Pflicht gegen den Nächsten; das Gebet, als die vornehmste gottesdienstliche Pflicht gegen Gott; das Fasten, als die besondere kirchliche Pflicht des Einzelnen gegen sich selbst; und Er berücksichtigt sie gerade in der Aufeinanderfolge, wie sie beim Menschen, der Sinn für das Höhere gewinnt, zu entstehen pflegen: zuerst das Almosen, als das für ihn Leichteste; dann das Gebet, als das Schwerere; zuletzt das Fasten, als das Seltenste und Schwerste. – Fassen wir Alles nochmals zusammen, so sehen wir, wie Jesus die Beibehaltung des Gesetzes zunächst in Beziehung auf das schlechthin Verbotene: Ehebruch und Mord; dann in Beziehung auf die nothwendigen Uebel: Ehescheidung, Eid, Processe, und Krieg; endlich in Beziehung auf das wesentlich Gute: Almosen, Gebet und Fasten, einschärft; bei Allem aber als die Hauptsache die christliche Gesinnung fordert und darstellt.

Laßt uns nun heute nach unserm Texte die Vorschriften des Herrn über das Almosen näher beherzigen, und hören, 1) was Er in Betreff der Almosen fordert, 2) was Er solcher Gesinnung verheißt.

I.

Die Almosen, oder die Darreichung milder Gaben an die Armen, spielten eine bedeutende Rolle im Alten Testamente. Sie setzen die Ueberwindung des Eigennutzes und der Selbstsucht voraus, um entstehen zu können; sie sind durchaus nothwendig zur Erhaltung und zum Gedeihen der menschlichen Gesellschaft und zum Wohle der Staaten, und an sich offenbar etwas Gutes und Lobenswerthes. Daher wurde Israel fleißig geübt im Almosengeben. Der Zehnte ihres jährlichen Ertrages gehörte den Leviten; die Ernte des siebenten oder Sabbathjahres fiel ausschließlich den Armen zu; jedem Schuldner, der innerhalb sieben Jahren nicht im Stande war, zu bezahlen, mußte dann die Schuld erlassen werden, und eigentliche Bettler durften nie gefunden werden und wurden auch nie gefunden in Israel. Reich ist das Alte Testament an Geboten über das Almosen und an Verheißungen des göttlichen Segens, der den Armenfreunden folgen würde. Da heißt es. “Brich dem Hungrigen dein Brod, und die, so im Elend sind, führe in dein Haus; so du Einen nackend siehst, so kleide ihn, und entziehe dich nicht von deinem Fleisch. Wer dem Armen giebt, der leihet dem Herrn, der wird ihm wieder Gutes vergelten. Wer dem Armen giebt, dem wird’s nicht mangeln; wer aber seine Augen abwendet, der wird sehr verderben. Wer sich des Armen erbarmet, der ehret Gott. Von deinen Gütern hilf den Armen, und wende dich nicht von ihnen, so wird dich Gott wieder gnädig ansehen. Er behält die guten Werke wie einen Augapfel.” (Jes. 58,7. Spr. 19,17., 28,27., 14,31. Tob. 4,7. Sir. 4,1., 7,36., 16,14., 17,18.) Auch das Neue Testament schlägt die Almosen hoch an und ermahnt an unzähligen Stellen zu dieser Pflicht, als zu einer gottesdienstlichen Uebung. Jesus selbst sagt: “Verkaufet, was ihr habt, und gebet Almosen. Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.” (Luc. 12,33., 16,9.) Paulus ermahnt: “Arbeitet und schaffet mit euren Händen etwas Gutes, auf daß ihr habet zu geben den Dürftigen. Wohlzuthun und mitzutheilen vergesset nicht, denn solche Opfer gefallen Gott wohl,” (Eph. 4,28. Hebr. 13,16. Col. 3,12.) Tabea wird gerühmt wegen ihrer guten Werke und Almosen, die sie that; von Cornelius heißt es ausdrücklich: “Er war gottselig und gottesfürchtig, gab dem Volk viel Almosen, und betete immer zu Gott.” (Ap. Gesch. 9,36., 10,2.), und die erste christliche Gemeinde in Jerusalem hatte alle Dinge gemein; ihre Güter und Habe verkaufte sie, und theilte sie aus unter Alle, nachdem Jedermann Noth war. (2,44.45.) Ja, jener reiche Jüngling war nicht geschickt zum Reiche Gottes, weil er sich nicht entschließen konnte, seine Güter zu verkaufen und sie den Armen zu geben. (Matth. 19,22.).

Das Almosengeben an sich ist also immer etwas Gutes; es kann aber böse werden durch die Art und Weise, wie die Menschen es üben, durch die Gesinnung, in welcher, durch die Beweggründe, aus welchen, durch die Absichten und Endzwecke, für welche sie es thun. Die Pharisäer thaten auch den Armen viel Gutes; aber was sagt Jesus von ihnen? Habt Acht auf euer Almosen, daß ihr die nicht gebet vor den Leuten, daß ihr von ihnen gesehen werdet. Wenn du Almosen giebst, sollst du nicht lassen vor dir posaunen, wie die Heuchler thun in den Schulen und auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gepriesen werden. Sie thaten also das Gute, nicht um Gott wohlgefällig zu sein, nicht aus Liebe zu dem Wohle ihres Nächsten, sondern lediglich, um von den Menschen gesehen, gelobt und gepriesen zu werden. Ruhm vor den Menschen, Ehrgeiz, Selbstsucht, Eitelkeit, war die trübe Quelle, aus welcher ihre Wohlthätigkeit hervorging. Sie wußten nicht nur selbst von den Mühen und Aufopferungen, die sie an Zeit und Geld bei der Ausübung ihrer guten Werke darbrachten; Andere sollten auch darum wissen und sie darüber verherrlichen. An der guten That war ihnen wenig oder nichts gelegen; in ihrem Herzen regte sich kein Mitleid mit der Noth des Bruders, kein Verlangen, seine Thränen zu trocknen, seine Seufzer zu stillen, seine Klagen in Danksagung zu verwandeln. Die Hauptsache war ihnen die Beförderung ihrer eigenen Ehre; sie gaben ihre Almosen unter Posaunenschall und machten ein großes Aufsehen damit in der Welt.

Wie oft gleicht die Handreichung, die wir den Armen thun, auch jener pharisäischen Werkgerechtigkeit und Frömmelei, meine Brüder! Wenn wir den Hülflosen, der uns um eine Gabe bittet, unterstützen, bloß aus Bequemlichkeit, um ihn los zu werden und uns nicht länger mit seinen Klagen behelligen zu lassen; oder wenn wir das Opfer bringen, weil wir auf Dank und Belohnung rechnen, und gar niedergeschlagen sind, wenn der Dank ausbleibt und wir uns mit unsern Hoffnungen verrechnet haben; oder wenn wir unsere Hände und Kassen öffnen aus Menschenfurcht und Menschengefälligkeit, um nicht von Andern getadelt zu werden, die da Zeugen und Beobachter unseres Thuns und Lassens sind, weil Anstands halber unser Name auf der Liste der Beitragenden nicht fehlen darf, und unsere Ehre auf dem Spiele stände, wenn wir uns zurückziehen wollten; oder wenn wir reichliche Beisteuern geben, um unser Gewissen zu beschwichtigen über die unerlaubten Mittel und Wege, durch die wir unser Hab’ und Gut an uns gebracht haben: ich bitte euch, ist das nicht auch ein Gutesthun durch Ehrgeiz und für Ehrgeiz? suchen wir mit dem Allen zuletzt nicht uns selbst, unsern eigenen Vortheil und Ruhm? und hat der Apostel nicht Recht, wenn er sagt, daß man alle sein Gut könne den Armen geben und seinen Leib brennen lassen, und doch sein ein tönend Erz und eine klingende Schelle?

Die christliche Wohlthätigkeit ist eine andere. Sie nimmt sich der Nothdurft ihrer Brüder an aus Liebe zu ihrem Herrn, weil sie in jedem Vertriebenen, Armen, Entblößten, Kranken, kurz, in jedem Hülfsbedürftigen ihren Herrn sieht und zu ihm sprechen muß: Herr, Du weißt, daß ich Dich lieb habe; sie hat nur einen Zweck im Auge, in der Abhülfe der fremden Noth Gott wohlgefällig zu handeln und Ihm zur Freude und zur Ehre zu leben; gewönne sie auch bei den Menschen nichts, ja, verlöre sie auch bei den Menschen Alles, wenn sie nur des Beifalls ihres himmlischen Herrn gewiß ist. Sie giebt ihr Almosen so, daß die linke Hand nicht weiß, was die rechte thut (V. 4.) Vielsagendes, inhaltschweres Wort! Was will es sagen? Die linke Hand weiß nicht, was die rechte thut, d.h. zunächst, sie handelt so still und im Verborgenen, daß sie selbst, wenn es möglich wäre, es nicht entdecken könnte, daß es also viel weniger Andere wissen. Die der Rechten so nahe verwandte Linke weiß nicht einmal darum; auch die nächsten und vertrautesten Freunde sind keine Zeugen davon. Selige Verborgenheit! Es liegt in der Natur der Gnade, daß, wie sie am liebsten mit ihrem Herrn redet ohne Zeugen, gleichsam unter vier Augen, so auch am liebsten ungesehen, unbemerkt vor Andern, Ihm thut, was sie thut. Nicht als ob sie geflissentlich vermeiden sollte, öffentlich Gutes zu thun: nein, wo sie ihr Licht kann leuchten lassen in Erweisungen christlicher Nächstenliebe, da ist es sogar ihre Pflicht, Gutes zu thun, damit Andere ihre guten Werke sehen und ihren Vater im Himmel preisen und in ihre Fußtapfen treten mögen. Auch Jesus verrichtete öffentlich die Wunder Seiner Gnade an den Hungernden und Armen, an den Zöllnern und Sündern, und benutzte die Gelegenheit zum Wirken, wo sie sich darbot, und so lange es Tag war. Aber sie sucht diese Gelegenheit nicht auf; sie zieht das Verborgene dem Oeffentlichen vor; sie findet es ihrem innersten Sinne viel entsprechender, unentdeckt und unbeobachtet zu bleiben und da zu wirken, wo Niemand ihre geschäftige Hand ahnt und vermuthet. – Die linke Hand weiß nicht, was die rechte thut, d.h. ferner: sie berechnet nicht ängstlich nach ihrem Vermögen und Ueberfluß, wie viel oder wie wenig sie geben kann. Sie giebt, wozu das Herz sie treibt; so viel sie kann, so oft sie kann. Sie giebt, wenn Noth am Mann ist, selbst über Vermögen, und entbehrt freiwillig, um nur Andern, die es bedürfen, helfen zu können. Wehe, wer nur immer geben wollte nach seinem Vermögen oder unter seinem Vermögen: er hätte seinen Lohn dahin! Die arme Wittwe im Tempel, welche zwei Schärflein in den Gotteskasten einlegte, hatte mehr hineingelegt, denn alle Reichen vor ihr; denn jene hatten Alle von ihrem Uebrigen eingelegt, sie aber hatte von ihrer Armuth Alles, was sie besaß, ihre ganze Nahrung, eingelegt. (Marc. 12,44.) – Die linke Hand weiß nicht, was die rechte thut, d.h. sie giebt schnell, ehe es zur Kenntniß der Welt gelangt, wo Hülfe Noth thut, hat sie schon gegeben; und sie giebt gern, willig und fröhlich. Wohlthun ist ihr nicht Pflicht, sondern Vergnügen. Sie tröstet, erfreut, erquickt, so viel sie kann, und bedauert nur immer das Eine, daß sie nicht mehr vermag. – Die linke Hand weiß nicht, was die rechte thut, d.h. sie weiß nichts von dem, was sie thut oder gethan hat; sie wägt nicht das Almosen berechnend hin und her, bespricht es nicht bei sich selbst, posaunt es nicht aus im eigenen Herzen, thut ihre Liebeswerke, wenn sie vor Andern nicht verborgen bleiben können, jedenfalls vor sich selbst verborgen. Sie denkt nie an das, was sie gethan, mit Eigenliebe und Selbstgefälligkeit; sie denkt immer nur an das Viele, was noch zu thun übrig bleibt, um jeden Augenblick zu neuen Liebeserweisungen bereit zu stehen. (Die Türken haben ein Sprichwort, das heißt: Thue das Gute, wirf es in's Meer, weiß es der Fisch nicht, so weiß es der Herr.) Lächerlich erscheint ihr die Thorheit, auf Wohlthaten, die man Andern erwiesen, sich etwas einzubilden; da Lust, Wille, Muth, Kraft und Vermögen dazu ihr aus Gnaden von Gott geschenkt wird, und von Allem, was auf ihre Rechnung gehört, nichts in Anschlag kommt, es müßten denn ihre Schwachheiten und Versehen sein, die selbst bei Ausübung der Wohlthätigkeit nicht auszubleiben pflegen. ist ja doch jedes Almosen für uns nur eine Abtragung einer alten Schuld; denn wir besitzen nichts, was nicht Gott gehört, und Er hat den Armen einen Theil von unserm Uebrigen vermacht, um dadurch das gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen. Auch bedarf Gott unserer gar nicht zur Erhaltung der Nothleidenden; tausend Mittel und Wege bieten sich allerseits Ihm dar, ohne unser Zuthun sogleich Wüsten voll Elend in Paradiese voll Herrlichkeit zu verwandeln; und es ist nur eine unverdiente Gnade, daß Er in den Armen, die Er uns zuführt, unser Schuldner werden will. Bei jedem Almosen tritt Er aus unverdienter Gnade an die Stelle des Menschen, und der Mensch an Gottes Stelle; Gott bittet, und der Mensch erhört; Gott fleht den Menschen an, und der Mensch gewährt Ihm; Gott setzt alle Dinge: den Himmel, die Herrlichkeit, die Seligkeit, zur Belohnung aus, und von diesem hohen Himmel, wo Er unter dem Lobe der Auserwählten wohnt, ersucht Er unsere Liebe und ruft unser Mitleid und Erbarmen an, und wir können Seinen Bitten unser Ohr öffnen, können es verweigern. Wie unnatürlich, wie unmenschlich hart müßte der Christ also sein, der bei solchen Erwägungen und Vorstellungen nicht gern geben wollte den Armen, was er hat, um Gottes und um des Nächsten willen! – Aber, das müßt ihr gestehen, nur in einer ganz demüthigen und gläubigen Seele, nur in einer Seele, die ihre geistliche Armuth erkannt, bereuet, gehungert und gedurstet hat nach Gerechtigkeit, die barmherzig, rein und friedfertig sein möchte, können solche Erwägungen aufsteigen, solche Beweggründe entzündet werden, und wie die ganze Bergpredigt für wahre Jünger Jesu Christi, nicht für Namenchristen und Glieder der sichtbaren Kirche, geschrieben ist, so erstreckt sich diese Beziehung im vollsten Sinne sogar bis in das Aeußerste, bis in die Almosen, hinein.

II.

Was verheißt nun der Herr im Texte den lohnsüchtigen Almosengebern für einen Lohn? Wahrlich, ich sage euch, spricht Er, sie haben ihren Lohn dahin. Was sie suchen und wollen, das wird ihnen zu Theil. Sie finden den Beifall und die Anerkennung bei den Menschen, wie sie beabsichtigen. Was ist das aber für ein Lohn? Zunächst, wer bürgt ihnen dafür, daß jener Beifall, jene Anerkennung ehrlich, herzlich und innig gemeint sei, daß nicht Viele in ihr Lob einstimmen, um ihnen zu schmeicheln, oder weil es einmal so Ton ist? Und wie lange wird dieser Beifall, jene Anerkennung ehrlich, herzlich und innig gemeint sei, daß nicht Viele in ihr Lob einstimmen, um ihnen zu schmeicheln, oder weil es einmal so Ton ist? Und wie lange wird dieser Beifall anhalten? Im günstigsten Falle so lange, als diejenigen leben, welche die unmittelbaren Augen- und Ohrenzeugen ihrer Wohlthaten gewesen sind; sobald sie ihre Augen schließen, verstummt auch das Lob ihrer Lippen. In der Regel aber nur kurze Zeit. Denn ihr wißt, die Menschen sind veränderlich und neuerungssüchtig; sie wollen immer neue Nahrung und Befriedigung ihrer Neugier haben. Wie schnell werden die alten Wohlthaten vergessen und durch neue Verdienste Anderer verdrängt! Die Menschen sind unzuverlässig – die heute loben, dieselben können morgen schon tadeln; die heute ein Werk bis in den Himmel erheben, verdammen morgen dasselbe bis in den Abgrund der Hölle hinein. Welch ein armseliger Lohn ist daher Menschenbeifall und Anerkennung! Und wie verdächtig, wie zweideutig ist dieser Lohn, da die Erfahrung lehrt, daß er so oft parteiisch denen widerfährt, die ihn auch nicht im mindesten verdienen, noch je verdient haben, und daß es zu allen Zeiten das Loos der Edlen und Trefflichen gewesen ist, ihre Leistungen nicht anerkannt zu sehen, vielmehr beneidet, verunglimpft, verschmähet und zurückgesetzt zu werden. Die Welt liebt immer nur den Schein und Schimmer, nicht das Wesen und die Wahrheit. Dieser zweideutige, vergängliche, nichtssagende Lohn aber, was kann er für Segen bringen? kann er auch trösten im Leiden? kann er auch kräftigen, bittere Erfahrungen mit Ergebung zu ertragen? kann er auch Seelenkummer und Gewissensrügen beschwichtigen? hat er auch Gültigkeit am großen Tage der Entscheidung in der Ewigkeit? Ach nein, unser Text sagt: ihr habt anders keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Dort heißt es: “Mein Sohn, du hast dein Gutes, die von dir gesuchte Ehre, empfangen in deinem Leben, nun aber wirst du gepeinigt.” Dort heißt es: “Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt; ich bin ein Gast gewesen und ihr habt mich nicht beherbergt; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet”; und wenn sie dann in Hochmuth und Selbstgefälligkeit erwiedern werden: “Herr, wann haben wir dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen Gast, oder nackt, oder krank, oder gefangen, und haben dir nicht gedienet? Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? haben wir nicht in deinem Namen viele Thaten gethan?” wird er sprechen: “Ich habe euch noch nie erkannt, weichet Alle von mir, ihr Uebelthäter.” (Matth. 25,41-44. 7,22.23.) Die Lohnsüchtigen waren nie Kinder Gottes gewesen, darum haben sie auch kein Erbtheil im Himmel zu erwarten. Sie haben als Tagelöhner gearbeitet, darum ist ihnen auch Tagelöhnerlohn zu Theil geworden.

Wie ganz anders lautet dagegen der Lohn derer, die Gutes gethan haben, so daß ihre Linke nicht wußte, was die Rechte that? Ein Segen ist für sie schon das süße Bewußtsein, daß Geben seliger ist denn Nehmen, daß es eine Uebung ist ihrer Gottseligkeit, und daß traurige Menschenseelen durch ihre Handreichung getröstet, drückende Lasten erleichtert, Thränen abgetrocknet und Spuren der Sünde verwischt worden sind. Noch größer ist der Segen, daß Gott, der in’s Verborgene sieht, der selber im Verborgenen ist und handelt, Zeuge gewesen ist ihrer stillen Thaten, die nach Seinem Vorgange und zu Seiner Ehre geübt worden waren. Ein dritter Segen liegt in der Wahrheit: daß Almosengeben nicht armt, daß wer dem Armen giebt, dem Herrn leihet, und darum sein Geld auf hohe Zinsen anlegt, daß dieser Herr das ihm Geliehene mit ewigen Zinsen verzinset und das Kapital nicht siebenfältig, nicht hundertfältig, sondern ewigfältig zurückzahlt. (Ap. 10,4.) Aber den größten Segen nennt uns Jesus erst im Texte: “Wenn du Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte thut, auf daß dein Almosen verborgen sei, und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich.” Welche Worte! Welche Fülle von Verheißungen! Der Vater im Himmel will vergelten – uns, nicht etwa unsere großen Verdienste um Ihn, die freiwilligen Aufopferungen unseres Lebens, unserer Ehre, unserer Güter: nein, er will uns vergelten unser unbedeutendes Almosengeben. ist das nicht eine unbeschreibliche Gnade, in deren Erweisung Gott ganz zu vergessen scheint, daß Er Gott ist und daß wir Staub sind? Vergelten will Er uns unser Almosengeben, d.h. also das, was ohnehin unsere Pflicht und Schuldigkeit, unser eigener Nutzen, unsere Seligkeit ist; dessen Unterlassung Sünde und Verbrechen, unser zeitliches Unglück und ewiges Verderben sein würde; vergelten das, was wir so mangelhaft, so unvollkommen, mit so viel Bewußtsein, daß wir doch noch nicht genug gethan, geleistet haben. Vergehen euch nicht Sinne und Gedanken über die Unbegreiflichkeit und Ueberschwänglichkeit dieser Vaterliebe? und erscheinen euch ihr gegenüber nicht alle eure Vorstellungen, selbst die kühnsten und höchsten, von Seiner Gnade in Christo wahrhaft dürftig und armselig? Noch mehr: welch ein Verhältniß! Vergelten will Er zeitliche Treue durch ewigen Lohn; einen Trunk Wassers, einem Seiner geringsten Diener gereicht, durch Ströme lebendigen Wassers, das unsterbliche Seelen labt (Lieblich ist die Legende vom heiligen Martinus. Er geht vor den Thoren von Poitiers im harten Winter spazieren. Da fleht ihn ein am Wege liegender Bettler um eine Gabe, seine Blöße zu bedecken, an. Ohne sich zu besinnen, nimmt er sein Schwerdt und theilt mit demselben seinen weiten Soldatenmantel in zwei Theile, deren einen er dem Bettler schenkt. In der Nacht darauf erscheint ihm Christus, die weggeschenkte Hälfte des Mantels tragend, und spricht zu ihm: Was du gethan hast Einem unter deinen geringsten Brüdern, das hast du mir gethan. – Der heilige Hieronymus sagt: “Ich kann mich nicht erinnern, daß ich gelesen hätte, daß einer, der die Werke der Liebe zu üben sich beflissen, eines bösen Todes gestorben wäre; denn er hat viele Fürbitter, und es ist unmöglich, daß Vieler Gebet nicht sollte erhöht werden.” König Ludwig IX., welcher täglich in eigener Person Arme speiste und bewirthete, erklärte wiederholt: “Besser, Ausgaben für Arme, als für Pracht; so viele Arme, so viele Stützen meines Throns.”) Vergelten, was hier im Verborgenen geschieht, jeden Pfennig, unbemerkt, ungesehen, Ihm in Seinen Brüdern dargereicht, öffentlich, gehört, gesehen von allen Engeln und Heiligen. Je weniger Zeugen wir für unsere Liebe und Liebesthaten hier hatten, desto mehr Zeugen sollen uns dort umringen am Tage der Vergeltung. Wahrlich, wo ist ein Gott, der größer wäre, als unser Gott? Wie lohnt Er doch ganz anders, als Menschen lohnen! Wie überwiegt Sein Lohn unsere Verdienste überschwänglich! Wer fühlte sich nicht gedrungen, in Demuth den Reichthum dieser Gütigkeit zu bewundern, die diejenigen noch belohnt, welche nichts als ihre Schuldigkeit gethan, und die mit königlicher, was sage ich? die mit göttlicher Freigebigkeit reichlich vergilt die schlechten und mangelhaften Bemühungen ihrer Kinder im Staube!

Wohlan, so laßt uns Gutes thun und nicht müde werden. An Veranlassungen zur Wohlthätigkeit fehlt es euch heut’ zu Tage nicht. Groß ist die Noth in der Nähe, größer noch ist die Noth in der Ferne. Dort, wo die verheerenden Fluthen tausend unglückliche Menschen um all’ ihr Hab’ und Gut, um ihre Häuser, Kleidungen, Geräthschaften, ihre Ernte vielleicht für viele Jahre gebracht und den Keim zu Krankheiten in ihren Körper gelegt haben, der lange noch nachwirken wird, dort giebt es viele Thränen zu trocknen und viel Elend zu stillen. (Beziehung auf die großen Ueberschwemmungen im Frühjahre 1838.) O erbarmt euch ihrer, als ständen sie in ihrer abgerissenen und abgehärmten Jammergestalt händeringend vor euren Augen, als hörtet ihr ihre Seufzer und Bitten um Gottes und Seiner Liebe willen, ihre Wünsche und Segnungen über euch, wenn ihr euch ihrer erbarmt. Viel ist schon geschehen, aber lange noch nicht genug, um nur einigermaßen zu ersetzen, was sie verloren. Keiner ist unter uns, der nicht das Seinige beitragen könnte zur Abhülfe der grenzenlosen Noth. nun, so schließe sich denn auch Niemand vom Geben aus. Niemand bleibe zurück. Niemand denke: auf seine geringe Gabe komme es nicht an. Niemand denke: er habe das Seinige gethan, so lange noch etwas zu thun übrig bleibt. Jeder gebe von seinen Einkünften, von seinem Solde, seinem Erwerbe, seinem Schmuck, seinen Vergnügungen, seinem Erbtheil, was er irgend entbehren kann; und gebe einfältiglich um des Herrn willen, aus Liebe zu seinen armen Brüdern; gebe im Verborgenen, ohne zu rechnen und zu dingen, ohne zu zaudern und zu zögern, ohne daß die Linke weiß, was die Rechte thut. – Aber gebet nicht nur dem Herrn eure Almosen, einen Theil der Güter, die im Grunde doch Sein sind und die Er auch nur geliehen hat; gebet Ihm vor Allem eure Seelen, damit ihr in der Stunde des Todes sagen könnt: “Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, daß Er mir meine Beilage bewahren wird bis an jenen Tag!” (2. Tim. 1,12.) und an euch in Allem und durch Alles der Name des Herrn gelobet werde in alle Ewigkeit. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/arndt_f/arnd-achtzehnte_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain