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Anselm von Canterbury - Gebet 5

Anselm von Canterbury - Gebet 5

O Herr, mein Gott, gib meinem Herzen, daß es nach dir verlange, voll Verlangen dich suche, im Suchen dich finde, im Finden dich liebe, im Lieben von Sünden frei werde, und, frei geworden von ihnen, nicht wiederum sündige. Mein Herr und Gott, gib meinem Herzen, daß es Reue spüre, meiner Seele, daß sie Buße empfinde, meinen Augen, daß sie von Thränen quellen, meinen Händen, daß sie reichliche Almosen spenden. Du, mein König, lösche aus in mir die Lüste des Fleisches, entzünde in mir das Feuer deiner Liebe. Mein Erlöser, treibe hinaus aus mir den Geist des Hochmuthes, verleihe mir in Gnaden den Geist der Demuth. Lieber Heiland, laß ferne von mir weichen die Wuth des Zornes, rüste mich nach deiner Güte mit dem Schilde der Geduld. Mein Schöpfer, reiße aus meinem Herzen allen Haß und Groll, und schenke ihm mildiglich einen sanftmüthigen Sinn. Gib mir, du erbarmungsreicher Vater, einen festen Glauben, eine lebendige Hoffnung, ausharrende Liebe

Du bist mein Regierer, nimm du meiner Seele alles eitle Wesen, meinem Geiste die Unbeständigkeit, meinem Herzen den zerstreuten Sinn, meinem Munde die leichtfertige Rede, meinen Augen den stolzen Blick, meinem Gaumen die Lüsternheit, nimm hinweg das Afterreden und Verläumden, unruhige Neugier, Geldgier, das Trachten nach Macht, das Verlangen nach eitler Ehre, das Laster der Heuchelei, das Gift der Schmeichelei, die Geringschätzung gegen Geringe, die Lust Schwache zu unterdrücken, gierigen Geiz, nagenden Neid, todbringende Lästerung. Du hast mich gemacht, so tilge aus in mir alle Voreiligkeit, falsche Hartnäckigkeit, Friedlose Rastlosigkeit, faule Schläfrigkeit, geistige Stumpfheit, des Herzens Blindheit, Gefühllosigkeit, barsches Benehmen, Abneigung das Gute zu thun, Widerspruch gegen guten Rath, Zügellosigkeit der Zunge, Beraubung der Armen, Gewaltthätigkeit gegen Machtlose, Schmähworte gegen Unschuldige, Nachlässigkeit gegen Pflegebefohlene, Unfreundlichkeit gegen Hausgenossen, Lieblosigkeit gegen Familienglieder, Hartherzigkeit gegen den Nächsten.

Herr Gott, mein Erbarmer, ich bitte dich um deines lieben Sohnes willen, gib mir Werke der Barmherzigkeit, Thaten der Liebe, gib, daß ich Mitleid empfinde mit den Heimgesuchten, Unterstützung reiche den Dürftigen, Hülfe leiste den Elenden, Rath ertheile den Irrenden, Trost spende den Traurigen, daß ich den Unterdrückten Erleichterung, den Armen Erquickung schaffe, Beklagenswerthen Theilnahme biete; daß ich Schuldnern ihre Schuld erlasse, gern vergebe denen, die sich an mir versündigen, liebe, die mich hassen, Böses mit Gutem vergelte, Niemand verachte, sondern Jedermann seine Ehre gebe, den Guten nacheifere, die Bösen meide, aller Tugenden mich befleiße, alle Laster verabscheue, im Unglück Geduld, im Glücke Mäßigung erweise, meinen Mund mit einem Schlosse und meine Lippen mit einer Thür verwahre, das Irdische unter mich trete und nach dem, was himmlisch ist, sehnlich verlange.

Siehe, mein Schöpfer, ich habe. Vieles gebeten, obschon ich nicht das Geringste verdient habe. Muß ich doch zu meinem Herzeleide bekennen, daß mir nicht allein die Gaben nicht gebühren, die ich soeben erbat, sondern daß ich im Gegentheil vieler und ausgesuchter Strafen schuldig bin. Aber es machen mir Muth die Zöllner, Hurer und Uebelthäter, die kraft ihrer demüthigen Buße in einem Augenblicke dem Rachen des Feindes entrissen und vom guten Hirten auf die Schultern genommen wurden. Herr Gott, der du Alles geschaffen, so wunderbar du auch bist in allen deinen Werken, das Allerwunderbarste bleibt doch die Tiefe deiner Liebe. Darum hast du durch einen deiner Knechte über dich selbst gesagt: „Der Herr ist. Allen gütig, und erbarmet sich aller seiner Werke.“ Ps. 145, 9. Und gewiß gilt es nicht nur einem einzelnen Manne, sondern deinem ganzen Volke, wenn du spricht: „Aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden.“ Ps. 89, 34. Denn du verachtet, verwirft und verschmäht nur, die sich verkehrter Weise ganz von dir wenden; darum zerscheitert du auch nicht alsbald im Zorne, die dich zum Zorne reizen, sondern gibt ihnen allerlei Gutes, so sie dich bitten, mein Gott, Herr meines Heils, und mein Schutz. Wehe mir, ich habe die beleidigt, ich habe übel vor dir gethan, deinen Zorn verdient, deine Rache herausgefordert; ich habe gesündigt, und du hast es gelitten, ich habe gefehlt, und du hast es bis heute ertragen. Wenn ich Buße thue, schont du meiner, wenn ich mich zu dir kehre, nimmst du mich auf; ja selbst wenn ich zögere also zu thun, so harrest du meiner. Du ruft mich zurück, so ich irre gehe, du lockt mich, so ich widerstrebe, du erweckt mich, wenn ich wie todt daliege, du umfängt mich, wenn ich heimkehre; du belehrt meine Unwissenheit, tröstet mich in Trübsal; du hältst mich, so ich gleite, und hilft mir auf, wenn ich gefallen bin; du gibst mir, so ich bitte, lässest dich finden, so ich dich suche, thut mir auf, so ich anklopfe.

Herr, mein Heil, was könnte ich wohl noch vorwenden, womit könnte ich mich wohl noch entschuldigen; du hast mir gar keine Ausflucht, gar keinen Schlupfwinkel übrig gelassen, dahin ich mich vor dir verbergen könnte. Hast du mir doch den Weg des Lebens deutlich gezeigt, und mir gewiesen, wie ich ihn gehen soll, hast du mir doch die Hölle gedroht, und die Herrlichkeit des Paradieses verheißen. Vater der Barmherzigkeit, Gott alles Trostes, so kreuzige nun durch die Furcht vor dir mein Fleisch, auf daß ich erschrocken deinen Drohungen zu entrinnen trachte; verleihe mir in Gnaden, daß ich, fröhlich in deinem Heile, alles was du verheißest auch erlangen möge, darum, daß, ich dich lieb habe. Herr, mein Fels, meine Burg, mein Hort, auf den ich traue, und mein Erretter, leite mich, Gutes von dir zu denken, lehre mich, in rechter Weise zu dir zu beten, gib mir, daß ich thue nach deinem Wohl gefallen. Nun weiß ich, ja ich weiß. Eines, das dich versöhnet, und das Andere verachtest du auch nicht. Fürwahr ein geängsteter Geist ist ein dir wohlgefälliges Opfer, und in Gnaden nimmst du an ein zerschlagenes und gedemüthigtes Herz. Mit diesem Schätzen wollest du, Gott, mein Erlöser, mich begaben. Mit dieser Schutzwehr wollest du gegen meinen Feind mich umschirmen, dies kühle Bad mir bereiten, wenn meine Sünden mich brennen, diese Zuflucht freundlich mir öffnen, wenn ich zu leiden habe unter meinen bösen Begierden. O Herr, du meine Kraft und mein Heil, schaffe doch, daß ich nicht unter denen erfunden werde, die eine kleine Zeit glauben, darnach aber, zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Sei du meines Hauptes Schirm, wenn sich Krieg wider mich erhebt, sei du meine Hoffnung am Tage der Heimsuchung, und mein Trost in Trübsal.

Siehe Herr, mein Licht, und mein Heil, ich habe gebeten, weiß ich bedarf, ich habe dir aufs Herz gelegt meine Sorgen und Furcht; aber mein Gewissen beißt mich, meines Herzens Gedanken verklagen sich untereinander: was deine Liebe baut, reißt meine Furcht wieder ein; wozu dein Eifergeist antreibt, davon räth mein Sorgengeist ab; meine Thaten erschrecken mich, dein Erbarmen gibt mir eine gute Zuversicht; deine Güte macht mir Muth, meine Bosheit entmuthigt mich; ja, um ganz offen zu sein, es erwachen in meiner Erinnerung Lasterscenen, die zu Boden schlagen müssen die kühne Hoffnung auch des vermessensten Geistes. Wenn Einer des Hasses werth ist, mit welcher Stirn soll er um Gnade für seine Sünden bitten? Wenn sich Einer der Strafe schuldig gemacht hat, welche Frechheit gehört dazu die Herrlichkeit zu begehren? Es muß den Richter reizen, wenn Einer gar nicht an die Sühnung seines Vergehens denkt, vielmehr ehrenvolle Belohnung verlangt. Ein König muß sich beleidigt fühlen, wenn Einer, der Strafe verdient hat, ihn um unverdiente Auszeichnung angeht. Auch die zärtliche Liebe eines Vaters muß in Erbitterung umschlagen, wenn der Sohn thörlichter Weise ein schönes Erbtheil in Anspruch nimmt, ohne vorher zu bereuen, daß er jenen beschimpft hat. Wenn ichs recht erwäge, lieber Vater, habe ich denn nicht also gethan? Ich habe den Tod verdient, und begehrte das Leben; ich habe meinen König erzürnt, und nun bin ich so unverschämt seinen Schutz anzurufen; ich habe meinen Richter verachtet, und begehre ihn ohne weiteres zu meinem Helfer; ich habe frech meinem Vater den Gehorsam versagt, und mache noch Rechnung darauf ihn zum Schirmherrn zu haben.

Wehe mir, daß ich so spät zu ihm gehe, wehe, daß ich so langsam ihm zu eile, wehe mir, daß ich erst zu ihm laufe, nachdem ich verwundet bin. Da ich noch unverletzt dastand, verschmähte ich mich vor den Geschossen zu hüten, ich versäumte die Pfeile zu beachten, nun aber jetzt der nahende Tod mich in Unruhe. Ich habe mir Wunden über Wunden geschlagen, denn ich scheute mich nicht Sünden zu Sünden zu fügen. Ich habe meine Narben wieder zum Aufbrechen gebracht, denn ich habe meine alten Vergehungen in neuen Uebertretungen erneuert; sie waren unter Gottes segnender Hand geheilt, in wahnwitzigem Sinne habe ich sie wieder aufgerissen. Das Häutlein, das die Wunde überzogen hatte, verbarg das innere Verderben, aber, als den Eiter hervorbrach, vermoderte es; erneuerte Versündigung machte das mit geschenkte Erbarmen zu nichte. So habe ich an mir selber die Wahrheit des Wortes erfahren: „Wenn ein Gerechter Böses thut, so wird es ihm nicht helfen, daß er fromm gewesen ist.“ Hes. 33, 12. Wenn aber die Gerechtigkeit eines Gerechten, der zu Falle kommt, zu Schanden wird, wie viel mehr die Buße eines Sünders, der wieder umkehrt zu seinen früheren Sünden. Wie oft war ich dem Hunde gleich, der wieder fristet, was er gespeiet hat, und wie oft der Sau gleich, die nach der Schwemme sich wieder wälzet im Koth. Darum ist es mir kaum möglich ein Bekenntniß davon abzulegen, denn es ist unmöglich auch nur die Erinnerung davon zu bewahren, wie viele Einfältige unter den Sterblichen ich sündigen lehrte, je sie die Sünde nicht thun wollten, habe ich sie überredet, so sie ihr widerstrebten, habe ich sie gezwungen, so die willig dazu waren, habe ich sie bestärkt. Wie Vielen, die richtige Schritte thaten, habe ich Schlingen gestellt; sie suchten den Weg, ich grub ihnen Gruben; ich scheute mich nicht Böses zu vollbringen, ich fürchtete mich nicht der Gnadengaben Gottes zu vergessen. Aber du, der gerechte Richter, hat alle meine Sünde in einen Beutel versiegelt, du sahest alle meine Wege, und zähltest alle meine Schritte. Und doch schwiegst du beharrlich, du thatest deinen Mund nicht auf, und übtest Geduld. Wehe mir, wenn du schreien wirst wie eine Gebärerin.

O Herr, du Gott aller Götter, hocherhaben über Alles, was Bosheit heißt, ich weiß es, daß du offenbarlich wirst kommen, ich weiß es, daß du nicht immer schweigen wirst; dann wird vor dir ein Feuer anbrennen, und um dich her ein starker Sturm sich erheben, dann wirst du rufen dem Himmel oben, und der Erde unten, zu richten dein Volk. Ach, vor wie viel tausend Völkern werden alle meine Uebertretungen enthüllt, vor wie viel Legionen von Engeln werden alle meine Vergehungen offenbar werden, nicht nur die in Thaten, auch die in Worten und Gedanken. Die Zahl der Richter, vor denen ich rathlos stehen werde, wird gerade so groß sein, als die Zahl derer, die mich an guten Thaten übertrafen. So Viele mir das Beispiel eines guten Wandels darboten, gerade so Viele werden mich durch Vorwürfe beschämen. Gerade so viele Zeugen werden mich überweisen, so viele mich mahnten mit eindringlichen Worten, und mir ein Vorbild gaben durch ihre gerechten Werke. Herr, mein Gott, es fällt mir nichts ein, was ich sagen, es kommt mir nicht bei, was ich antworten könnte. Es ist mir, als ob ich schon vor jenem Gerichte stünde, mein Gewissen jetzt mir zu, es quälen mich selbst die verborgenen Sünden meines Herzens; mein Geist treibt mich in die Enge, mein Stolz verklagt mich, mein Neid verzehrt, die böse Begier brennt mich, Schwelgerei befleckt, Schlemmen entehrt, Trunkenheit schändet mich, meine Schmähsucht schilt, Ehrsucht stürzt, Habsucht fesselt, Streitsucht zerreißt mich, der Zorn verwirrt, der Leichtsinn fällt, die Faulheit erdrückt mich, meine Heuchelei täuscht, meine Schmeichelei betrügt mich, meine Gunsterweisungen heben mich empor, meine Ränke werfen mich nieder.

Siehe, Herr, der du mich erretten willst von diesen zänkischen Leuten, siehe, gerade mit ihnen habe ich mich zusammengelebt vom Tage meiner Geburt an, ihnen habe ich mich hingegeben, ihnen habe ich Treue gehalten; und gerade die, denen ich mich in Liebe zuneigte, verdammen mich, die ich lobte, machen mir Vorwürfe. Sie gerade waren die Freunde, denen ich im Schooße saß, die Lehrmeister, denen ich gehorchte, die Herren, denen ich diente, die Rathgeber, denen ich Glauben schenkte, die Bürger, unter denen ich wohnte, die Hausgenossen, mit denen ich alt wurde. Mein König und mein Gott, wehe mir, daß ich noch länger unter ihnen leben soll. Du mein Licht, wehe mir, daß ich gewohnt habe unter den Hütten Kedars. Hat der heilige David gesagt: „Es wird meiner Seele lange zu wohnen bei ihnen,“ wie viel mehr muß ich Unseliger sagen: „Es wird meiner Seele allzu lange.“ Gott, mein Hort, vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Du meine Hoffnung, wenn du nicht Gnade für Recht ergehen lassen willst, so findest du unter den Menschenkindern nicht. Einen Gerechten; wenn du nicht in Barmherzigkeit dich des Gottlosen willst annehmen, so ist kein Frommer da, den du selig machen könntest. Aber ich glaube, Gott, mein Heil, was ich gehört habe, daß deine Güte mich zur Buße leitet. Du bist meine starke Burg, deine Lippen riefen mir zu, was Noth thut: „Es kann Niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.“ Joh. 6,44.

Da du mich also gelehrt und mir in Gnaden so heilsame Unterweisung ertheilt hat, so bitte ich von Grund meines Herzens und aus der Tiefe meiner Seele dich, allmächtiger Vater, im Namen deines geliebten Sohnes, und dich, du liebreicher Sohn Gottes, rufe ich an im Namen des freudigen, des Heiligen Geistes. Ziehe mich, bis ich dir nachlaufe und erquickt werde vom Geruch deiner Salben. Wie groß, o Herr, mein Gott, ist die Fülle deiner Lieblichkeit, die du verborgen hat denen, die dich fürchten. Du hast sie verborgen, um sie zu bewahren, nicht um sie zu verbergen. Du hast sie entzogen, um sie dadurch zu verdoppeln. Man pflegt wohl, was verborgen wird, um so eifriger zu suchen, und so man es findet, um so inniger zu lieben. Die Sehnsucht nach dir wird dadurch, daß sie nicht gleich befriedigt wird, nicht kleiner, sondern größer; ist doch die Liebe zu dir nicht flüchtiger Natur, sondern ewig. Die wahre Liebe zu dir kann nicht erkalten, sie wird immer heißer erglühen. Die Liebe zu dir ist kein faul und müßig Ding, dein zu gedenken ist mir süßer denn Honig, und über dich nachzusinnen süßer denn Honigseim. Von dir zu reden ist süße Labe, dich zu kennen vollkommner Trost, dir anzuhangen ist ewiges Leben, von dir geschieden zu sein ein immerwährendes Sterben. Du bist die lebendige Quelle für die, so nach dir dürsten, eine Speise, die nicht unter Händen verzehret wird derer, die nach dir hungert. Die dich suchen rühmen sich, und die dich finden freuen sich deiner. Dein Hauch erweckt die Todten, dein Blick heilt die Kranken, dein Licht vertreibt alle Dunkelheit, deine Beiwohnung verscheucht allen Trübsinn. Bei dir gibt es keine Traurigkeit, aller Schmerz ist ferne von dir; wer bei dir ist, kennt keine Klage, keine Blöße. Wo du bist, da ist keine drückende Armuth, kein Mangel an irgend einem Gute, da ist von Finsterniß und Zähneklappen der Hölle keine Rede; bei dir gibt es keine dunkeln Nächte, keinen frechen Aufruhr; verzehrender Hunger und Durst, peinigende Hitze und Kälte, Schwachheit des Leibes finden in deiner Nähe keine Stätte; da ist keine Spur von Seelenverderben, kein Neid, kein Streit, nicht ein Funke von Ehrgeiz; ganz fern liegt die bange Erwartung des Endes, die unruhige Sorge um das Todesstündlein, Mühsal des Greisenalters, Mattigkeit und Kränklichkeit; da weiß man nichts von den Unbilden der Witterung und vom Wechsel der Jahreszeiten. Das macht die gewaltige Größe deiner Liebe, die du verborgen hat denen, die dich fürchten, aber ihnen vollkommen offenbarest, so sie auf dich hoffen.

Ach wie köstlich ist ein Verbergen, das die vollkommnere Fülle zu Wege bringt; fürwahr, es ist dies Verbergen nicht für Verlust zu achten, vielmehr für ein Bewahren, das zu vollkommenem Gewinn führt. Du König der Ehren, deine Befehle sind wahrhaftig und gerecht, sie sind mir köstlicher, denn Gold und viel feines Gold, süßer, denn Honig und Honigseim. Mein Gott, du mein Leben, ich bitte dich im Namen meines Erlösers, deines lieben Sohnes, verleihe mir in Gnaden, daß ich sie bewahre, denn ich weiß, ihre Bewahrung hat großen Lohn. Herr Gott, du mein Ruhm, du verschließest deinen Schatz, um das Verlangen darnach zu steigern; du verbirgt die Perle, um den Eifer des, der sie sucht, zu erhöhen; du zögert zu geben, um beten zu lehren; du thust, als ob du unser Bitten nicht hörtest, damit wir anhalten am Gebet. Kurzum, den Anfängern im Glauben gibst du deine Verheißungen, aber nur wenn sie beharren bis ans Ende, gibst du ihnen dein Heil. Ein glänzender Beweis dafür ist jenes Weib, das deinen Gesalbten und in Christo dich selber unter Thränen bei den Todten suchte mitten in der Finsterniß, mit der du sie umgeben hattest, auf daß sie das Suchen lernen sollte. Als sie aber suchte, verbargst du dich, um sie zur Beharrlichkeit anzuleiten. Sie beharrte im Hoffen und hoffte beharrlich, und weil sie in der Hoffnung beharrte, ward sie gewürdigt dich zu schauen. Das war ein seliges Schauen und Freude die Fülle, höchste Wonne und voll befriedigtes Verlangen. O du liebliches Antlitz, du herzerquicklicher Anblick. Du selige Hoffnung und du gesegnete Beharrlichkeit! Hätte sie nicht gehofft, konnte sie nicht ausharren; hätte sie nicht ausgeharrt, so würde sie die Frucht ihres Hoffens nicht empfangen haben. Darum also, Gott, mein Erbarmer, verbirgst du dich denen, die dich fürchten, auf daß du dich finden lässest von denen, die auf dich hoffen; darum trittst du ferne denen, die dich suchen, auf daß du ihnen deine Nähe offenbarest, so die beharren bis ans Ende. Die von dir weichen, werden umkommen, aber Keiner wird zu Schanden, der deiner harret. Alle, so dich fürchten, die hoffen auf dich, denn du bist ihre Hülfe und Schild. Die Furcht bahnt der Liebe den Weg. Du bist als Herr zu fürchten, als Vater zu lieben. Die heilige Furcht vor dir bleibt unser Geleitsmann, denn sie schafft es, daß die, in denen sie wohnt, heilig bleiben. Die dich fürchten, haben keinen Mangel, denn du hältst deine Augen offen über sie, und deine Ohren über ihrem Gebet. Du meine Zuflucht und Zuversicht, du mein Helfer und Erretter, gib mir solche Furcht, daß du mir Liebe schenken könnet; schaffe, daß ich mich also vor dir scheue, daß ich mich immer mehr nach dir sehne; und also laß mich unter denen sein, die dich fürchten, daß ich auch unter denen sei, die deine Gebote bewahren, auf daß ich würdig werde durch die Knechtschaft der Furcht zur Gnade der Liebe hindurchzudringen, und durch die selbige endlich hinanzugelangen zu deiner Herrlichkeit. Amen.

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