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Anselm von Canterbury - Gebet 2

Anselm von Canterbury - Gebet 2

Zu dir, mein Gott, rufe ich; zu dir rufe ich, der du nahe bist Allen, die dich anrufen, Allen, die in der Wahrheit dich anrufen, der du die Wahrheit bist. Lehre mich, du heilige Wahrheit, ich bitte dich um deiner Güte willen, lehre mich dich anrufen in der Wahrheit, denn ich weiß nicht, wie ich das machen soll, aber ich flehe dich, du selige Wahrheit, fußfällig an, du wollest mich das lehren. Ohne dich klug sein wollen, heißt voller Thorheit sein, aber dich kennen ist vollkommene Weisheit. So leite mich denn, du göttliche Weisheit, und dein Gesetz wollest du mich lehren. Ich glaube festiglich, wen du leitet, wen du lehrest in deinem Gesetz, der wird selig werden. Meine Seele sehnet sich dich anzurufen; ach gib, daß es geschehe in der Wahrheit. Die Wahrheit anrufen in der Wahrheit, was heißt das wohl anders, als den Vater anrufen im Sohne? Fürwahr, Heiliger Vater, dein Wort ist die Wahrheit, die Wahrheit ist deiner Worte. Anfang Denn deiner Worte. Anfang ist eben dasselbige Wort, das da war im Anfang. In diesem Anfange bete ich zu dir, du ewiger Anfang; in diesem Worte der Wahrheit rufe ich zu dir, du vollkommene Wahrheit; in ihm wollest du, der du die Wahrheit selber bist, mich leiten und lehren in der Wahrheit. Was kann es wohl Gewinnenderes geben, als den Erzeuger im Namen seines Eingeborenen um Erhörung zu bitten, als den Vater durch die Erinnerung an seinen Sohn zur Barmherzigkeit zu bewegen, als den König durch Nennung seines liebsten Kindes zur Milde zu stimmen?

Oft schon wurden Schuldige dem Kerker entrissen, Gefangene der Fesseln entledigt, zu traurigem Tode Verurtheilte nicht nur freigelassen, sondern obenein mit nie erfahrenen Gnaden überschüttet, wenn sie nur den erzürnten Fürsten an ein geliebtes wohlgerathenes Kind zu erinnern verstanden. Oft schon entgingen Diener, die sich vergangen hatten, der Strafe von Seiten ihrer Herren, weil für sie die süße liebe Kinderschaar Fürbitte einlegte. Allmächtiger Vater, gleich also bitte ich dringlich, um der Liebe deines allmächtigen Sohnes willen wollest du meine Seele aus dem Kerker führen, daß sie deinen Namen bekenne; im Namen deines eingeborenen mit dir gleich ewigen Sohnes flehe ich dich an, du wollest mich von den Banden der Sünde befreien; und ob mir schon meiner bösen Werke wegen das wohlverdiente Todesurtheil droht, wollest du mir dennoch das Leben schenken, um der gewichtigen Fürsprache des Sohnes willen, der zu deiner Rechten sitzt. Was für einen andern Fürsprecher sollte ich wohl vor dich bringen, als ihn, der die Versöhnung ist für unsere Sünden, der da zu deiner Rechten sitzet und bittet für uns.

Er ist mein Sachwalter bei dir, mein Gott und Vater, er ist der vollkommenste. Hohepriester, der nicht durch fremdes Blut versöhnt zu werden braucht, denn er ist vom Strahlenglanze eines eigenen übergossen. Er ist das heilige, wohlgefällige und vollkommene Opfer, das als ein süßer Geruch dargebracht und angenommen ward. Er ist das unbefleckte Lamm, das verstummte vor seinen Scheerern, das mit Fäusten geschlagen, verspottet und verspielen seinen Mund nicht aufthat. Der von keiner Sünde wußte, hat unsere Sünde getragen, und unsere Krankheit durch seine Wunden geheilet. Siehe an, o frommer Vater, deinen allerfrömmsten Sohn, wie er für mich so Schändliches erduldet. Siehe doch, du gütigster König, wer es ist, der da duldet, und gedenke in Gnaden des, für den er duldet. O mein Herr, ist es nicht dein unschuldiger Sohn, den du dahingegeben hat, um einen Knecht zu erlösen? Ist es nicht der Ursprung alles Lebens, der wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt, und dir gehorsam bis zum letzten Odemzuge, nicht anstand den allergrausamsten Tod zu erleiden? Erwäge doch, du Spender alles Heiles, den du durch deine Kraft gezeuget hast, er ist dennoch derselbe, der nach deinem Willen meine Schwachheit getragen hat.

Fürwahr, es ist deine Gottheit, die eingehüllt in mein Wesen hinaufstieg zum Stamme des Kreuzes, und im Kleide des Fleisches schreckliche Martern ertrug. O mein Gott, wende die Augen deiner Majestät auf das Werk einer unsäglichen Barmherzigkeit; schaue doch, wie dein lieber Sohn mit ganzem Leibe ausgespannt hängt; betrachte die schuldlosen Hände, die von theurem Blute triefen, und erlaß in Gnaden die Missethaten, die meine Hände vollbrachten. Betrachte mit Fleiß seine wehrlose Seite, die mit grausamem Speere durchstochen ward, und erneuere mich in dem heiligen Quell, der aus ihr entsprang. Siehe an seine makelreinen Füße, die nicht traten auf den Weg der Sünder, sondern stetiglich in deinem Gesetz wandelten, wie sie angeheftet sind mit schauerlichen Nägeln, und laß mich gewisse Schritte thun auf deinen Steigen, laß mich hassen alle verkehrten Wege; ja den verkehrten Weg wollest du von mir wenden nach deinem Erbarmen, und mich willig machen den Weg der Wahrheit zu erwählen. Ich bitte dich, du König in Ewigkeit, um dieses meines Erlösers willen laß mich laufenden Weg deiner Gebote, auf daß ich im Geiste eins werden möge mit ihm, der nicht verschmähte mein Fleisch an sich zu nehmen.

Du Vater voll Liebe, beachtest du nicht, wie deines jugendfrischen Sohnes schneeweißer Nacken sich beugt, wie ein hochgeliebtes Haupt in theuerwerthem Tode sich neigt? Siehe doch, mildherziger Schöpfer, die menschliche Hinfälligkeit deines lieben Sohnes, und erbarme dich der Ohnmacht deines schwachen Geschöpfes. Weiß glänzt eine nackte Brust, roth seine blutige Seite, heiß glüht ein ausgespannter Leib, matt blickt sein herrliches Auge, es erbleicht sein königliches Antlitz, seine ausgestreckten Arme erstarren, schlaff hängt nieder ein marmorgleiches Gebein, seine durchgrabenen Füße überfließt ein Strom heiligen Blutes. Schaue, ruhmreicher Erzeuger, die zerfleischten Glieder deines liebsten Kindes, und denke in Gnaden an mich, dein armes Gemächte. Richte deinen Blick auf die Strafe des Gottmenschen, und lindere das Elend des, den du zum Menschen erschuft. Siehe an die Martern des Erlösers und vergib dem Erlösten seine Vergehungen. Dieser ist es, o Herr, den du um der Sünden deines Volkes willen zerschlagen hast, obschon er der Geliebte war, an dem du Wohlgefallen hattest. Er ist der Unschuldige, in dem kein Betrug erfunden ward, und dennoch ward er unter die Uebelthäter gerechnet.

Was hast du begangen, du liebes Kind, daß du also gerichtet wurdest Was hast du begangen, du Sohn, der aller Liebe werth war, daß man dich also mißhandelte? Was ist dein Verbrechen, was deine Schuld, was die Ursach deines Todes, was der Grund deiner Verdammung? Ich bin der Geißelhieb, der dich schmerzte, ich verschuldete, daß sie dich tödteten. Ich bin der Faustschlag, der dir wehe that, ich machte dir Arbeit am Kreuzesstamme. Ich bin es, der dir den Tod verdiente, meine Missethat hat über dich den Stab gebrochen. Welch wundersame Art von Urtheilsspruch, welch unaussprechlich geheimnißvolle Ordnung der Dinge! Es sündigt der Ungerechte, und der Gerechte wird bestraft; der Schuldige hat sich vergangen, und die Schläge erhält der Unschuldige; der Gottlose gab Aergerniß und verdammt wird der Fromme; was der Böse verdient, erleidet der Gute; was der Knecht verschuldet, bezahlt der Herr; was der Mensch verwirkt, nimmt auf sich Gott. Wie tief, du Sohn Gottes, wie tief erniedrigte sich deine Demuth? Wie heiß entbrannte dein Erbarmen? Wie weit ging deine Freundlichkeit? Welche Größe erreichte deine Güte, welche Höhe deine Liebe, welche Tiefe dein Mitleid? Ich bins, der unrecht gehandelt, du wirst mit der Strafe belegt; ich habe Missethat begangen, du wirst von der Vergeltung getroffen; ich habe Schweres verbrochen, du wirst der Marter unterworfen; ich habe Hochmuth geübt, du wirst gedemüthigt; ich that groß, du wirst gering gehalten; ich erwies mich ungehorsam, du, der Gehorsame, bezahlt dem Vater die Schuld des Ungehorsams; ich pflegte der Gaumenfreuden, du mußt hungern; mich riß die Fleischesbegier zu verbotener Gluth hin, dich führt die vollkommene Liebe zum Kreuze; ich erlaubte mir das Verbotene, du nahmst auf dich Folterqual; ich sitze ruhig zu Tische, du arbeitet am Holze des Fluches; ich lebe in Herrlichkeit und Freuden, du wirst von Nägeln zerrissen; ich schmecke den süßen Saft der Früchte, du die Bitterkeit der Galle; mit mir freut sich die lächelnde Eva, mit dir trägt Leid die weinende Maria.

Siehe, du König der Ehren, siehe doch meine Gottlosigkeit, aber hell strahlt daneben deine Frömmigkeit; siehe meine Ungerechtigkeit, aber licht leuchtet daneben deine Gerechtigkeit. Was, o mein König und mein Gott, was kann ich dir wohl wiedergeben für alles das, was du mir wiedergabst? Im menschlichen Herzen ist nichts zu finden, was eine würdige Vergeltung sein könnte für solche köstliche Gaben. Vermag menschliche Weisheit wohl etwas auszudenken, dem das göttliche Erbarmen zu gleichen wäre? Doch es liegt dem Geschöpfe nicht ob, sich mit dem Gedanken abzumühen, wie es etwa die Hülfe seines Schöpfers entsprechend lohnen könnte. Eins aber, du Sohn Gottes, eins vermag bei dieser deiner wundersamen Heilsordnung meine Schwachheit doch noch zu leisten, es vermag der Geist, der durch deine Gnadenwirkung zur Buße erweckt ist, sein Fleisch zu kreuzigen sammt den Lüften und Begierden. So du ihm das gewährt, fängt er gleichsam schon an mit dir zu leiden, der du nach deiner Barmherzigkeit um meiner Sünde willen gestorben bist. Hat man also unter deiner Leitung den Sieg über den inwendigen Menschen errungen, so ist man recht gerüstet auch äußerlich die Palme zu gewinnen. Mit Ueberwindung der geistigen Feinde hört die Furcht auf um deiner Liebe willen irdischen Waffen zu erliegen. Also vermag das geringe Geschöpf, das deinem frommen Herzen gefällt, den hohen Anforderungen des Schöpfers zu entsprechen, so weit das möglich ist, das Alles, lieber Herr Jesu, kraft des himmlischen Heilmittels, kraft der Heilswirkung deiner Liebe.

Um deiner von Alters her geübten Barmherzigkeit willen bitte ich dich, du wollest mein Herz mit der Kraft erfüllen, die das bittere Schlangengift austreibt und mich erneuert zur ewigen Reinheit; mit der Kraft, die da schafft, daß ich, nachdem ich einmal den süßen Wein deiner Liebe geschmeckt habe, die verführerische Freundschaft der Welt von ganzer Seele verachte, und ihre Feindschaft, die mich um deinetwillen trifft, nimmer fürchte. Eingedenk meines ewigen Adels müsse ich es immer unter meiner Würde finden, mich hinzugeben den Wogen und Wellen der Sorge um vergängliche Dinge. Ach gib doch, daß mir nichts lieblich däuchten, nichts gefallen, nichts werthvoll, nichts schön erscheinen möge, außer dir. Ohne dich laß mich Alles für nichts, die ganze Welt für Schaden achten. Was dir zuwider ist, soll mir eine lästige Bürde sein, und was dir wohlgefällt, soll mir unaufhörliches Verlangen erwecken; es müsse mir widerstreben, mich zu freuen ohne dich, und mich ergötzen, zu leiden für dich. Dein Name müsse mir eine süße Labe, und dein Gedächtniß mein Trost sein; meine Thränen müssen meine Speise sein Tag und Nacht, bis ich deine Gerechtigkeit erlange; das Gesetz deines Mundes sei mir lieber denn tausend Stücke Silbers und Goldes; dir zu gehorchen sei mir köstlich, und dir zu widerstreben abscheulich. Ich bitte dich, der du meine Hoffnung bist, um deines frommen Lebens willen wollest du mir vergeben all meinen gottlosen Wandel. Oeffne meine Ohren deinen Geboten, und laß mein Herz nicht abweichen auf krumme Wege, meine Sünde mit Worten zu entschuldigen, die selber wieder der Entschuldigung bedürfen; davor behüte mich um deines heiligen Namens willen. Auch bitte ich dich um deiner staunenswerthen Demuth willen, du wollest hindern, daß zu mir der Fuß des Stolzen trete, und die Hand des Sünders mich irre leite.

Allmächtiger Gott, du Vater meines Herrn, so laß nun in Gnaden mir dein Erbarmen zu Theil werden. Habe ich doch das Köstlichste vor dich gebracht, was ich erlangen konnte; habe ich doch unter flehentlichen Gebet dir das Theuerste vor Augen gestellt, was ich finden konnte; ich habe nun nichts mehr, was ich deiner hohen Majestät darbieten, es ist nichts mehr da, was ich noch hinzufügen könnte, denn es steht nun vor dir meine ganze Hoffnung. Ich ließ vor dich treten meinen Sachwalter, deinen geliebten Sohn, ich sandte dein glorreiches Kind, den Mittler zwischen mir und dir. Ja, ich habe den Fürsprecher gesendet, durch den ich, wie ich fest vertraue, Vergebung erlangen werde; durch Worte endete ich das Wort, das, wie ich weiß, um meiner Werke willen gesendet worden ist, und erinnerte dich an deines heiligen Kindes Tod, den es, wie ich gewißlich glaube, um meiner Sünden willen erlitten hat. Ich glaube, daß die von dir gesandte Gottheit unsere Menschheit an sich genommen, und in ihr nach wunderbarem Rath Bande und Schläge, Spott und Speichel ertragen, und des Kreuzes und der Nägel Marter auf sich geladen hat. Zuvor ward sie in der Kindheit Tagen vom Weinen erschüttert, in schlechte Windeln gebunden, im Mannesalter mit schwerer Arbeit belastet, durch Fasten entkräftet, durch Wachen geschwächt, durch Reisen ermattet; hernach ward sie mit Ruthen zerschlagen, von Geißeln zerrissen, unter die Todten geworfen; aber mit glorreicher Auferstehung begnadet trat sie ein in die Freuden des Himmels, und setzte sich zur Rechten der Majestät in der Höhe.

Du bist meine Versöhnung und meine Erlösung. Siehe, du frommer Gott, siehe hier steht der Sohn, den du gezeugt, und der Knecht, den du erkauft hat; hier erblickst du den Schöpfer, ach blicke nicht weg vom Geschöpfe; umfasse freundlich den Hirten, und nimm in Gnaden an das Schaf, das er auf seinen Achseln herzuträgt. Fürwahr, er ist der allertreueste Hirt: schon längst hatte er auf schroffen Bergen, in klüftereichen Thälern, unter vieler und mancherlei Mühe ein irres Schäflein gesucht; und als er schon im Tode lag, und ihm auf langem Irrwege schon alle Kraft entgangen war, hat ers endlich gefunden, mit Freuden seine Hand nach ihm ausgestreckt, und mit Aufbietung aller seiner Liebeskraft aus dem tiefen Abgrunde herausgezogen, in den es sich verirrt, und aus dem es herauswollte; er hat es mit seinen treuen Armen fest umfaßt, und das Eine Schäflein, das verloren war, zu den Neunundneunzig zurückgetragen. Siehe, mein Herr und König, allmächtiger Gott, siehe der gute Hirt bringt dir wieder, was du ihm anvertraut hat. Er nimmt sich des Menschen an, des Rettung du ihm befohlen; er stellt ihn vor dich gereinigt von jeglichem Flecken. Siehe, wie dein liebster Sohn wieder zu dir sammelt dein Geschöpf, das sich weit von dir verirrt hatte. Siehe der mildherzige Hirt führt wieder zu deiner Heerde zurück, was der gewaltthätige Räuber hinweggetrieben; er bringt den Knecht wieder vor dein Antlitz, den ein böses Gewissen vor dir fliehen hieß. Er hatte Strafe verdient, nun soll er durch das Verdienst des Weltenschöpfers die Gnade erlangen; um seiner Verschuldungen willen wartete die Hölle auf ihn, aber da du ein starker Helfer bist, darf er nun fest hoffen auf Heimberufung ins Vaterhaus. Dich, Heiliger Vater, beleidigen, das konnte ich aus eigener Kraft, aber ich konnte nicht aus eigener Kraft dich wieder versöhnen. So ist, mein Gott, dein lieber Sohn mein Beistand worden, und hat meine Menschheit an sich genommen, um meine Schwachheit zu heilen. Weil aus ihr die Sünde und Schuld hervorstoß, die dich beleidigt, bat er aus ihr dir ein Brandopfer bereitet, das dich ehret. Durch denselbigen Opferleib wollte er mich mit dir, dem Heiligen, versöhnen, in welchem er zu deiner Rechten sitzt, um täglich zu erweisen, daß er meiner Natur, meines Wesens theilhaftig worden ist. Siehe, er ist meine Hoffnung, siehe, er ist meine ganze Zuversicht. Wenn du mit Recht mich verachtest um meiner Uebertretung willen, so blicke mich doch mit Erbarmen an, um der Liebe deines geliebten Sohnes willen; siehe der Sohn hat, was versöhnet den Knecht. Siehe an das heilige Geheimniß seines Fleisches, und vergib die Schuld meines Fleisches. So oft du die offenen Wunden deines seligen Kindes anschaut, laß, ich bitte dich, meine Missethaten zugedeckt sein, so oft du das Roth seines kostbaren Blutes an seiner heiligen Seite ansieht, laß, ich beschwöre dich, hinweggewischt ein alle Befleckung meiner Unreinigkeit. Und weil Fleisch dich zum Zorn reizte, müsse dich Fleisch, ach gib das doch, zur Barmherzigkeit bewegen, auf daß, wie Fleisch der Verführer zur Sünde war, gleich also Fleisch der Führer zur Gnade werde.

So viel es auch ist, was meine Gottlosigkeit zu leiden verdiente, so ists doch noch bei weitem mehr, was dem gegenüber meines Erlösers Frömmigkeit mit vollem Rechte fordern darf; und ist auch meine Ungerechtigkeit gar groß, so ist fürwahr viel größer meines Erlösers Gerechtigkeit. Denn um wie viel höher Gott über dem Menschen steht, um so viel tiefer steht mein Böse sein unter einem Gutsein, sowohl nach Beschaffenheit als Fülle. Denn was auch für Sünde der Mensch begehen könnte, hat sie nicht bezahlet der Sohn Gottes, der Mensch ward? Wie hoch auch Hochmuth sich erheben möge, hat ihn nicht eben so tiefe Demuth zu Boden geschlagen? Wie stark auch des Todes Gewalt sei, hat nicht die Kreuzespein des Sohnes Gottes sie zerbrochen? Gewiß, mein Gott, es ist kein Zweifel, wenn die Missethaten der sündigen Menschheit, und die Gnade des Erlösers, der sie versöhnt hat, auf gerechter Wage gewogen werden sollten, so würde ein größerer Zwischen raum sie trennen, als zwischen Morgen und Abend, zwischen unterster Hölle und oberstem Himmel ist. So vergib, erhabener Schöpfer des Lichtes, so vergib meine Sünden und der unsäglich schweren Heilsarbeit deines geliebten Sohnes willen, so verzeihe doch meine Gottlosigkeit um seiner Frömmigkeit, meine Ungebühr um seiner Bescheidenheit, mein jaches Wesen um seiner Sanftmuth willen. So laß ungestraft meinen Stolz um seine Demuth, Ungeduld um Geduld, Härte um Güte, Ungehorsam um Gehorsam, Bitterkeit um Freundlichkeit, Zorn um Milde, Grausamkeit um Liebe. Das Alles um des willen, der mit dir lebet und regieret in Ewigkeit. Amen.

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