Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Christus der Meister in der Führung zu Jesu Christo.
Predigt am Sonntag Estomihi.
(Am Sonntage Estomihi 1855.)
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Gott der Herr hat in der Natur gar feine Ordnungen und Regeln. Welche Weisheit ruht z. B. darin, wie er die Frucht auf dem Baume eben zur Frucht macht. Aus den Säften der Erde muss der Baum mit seinen Wurzeln die herausfühlen und suchen, welche für seine Art passen. Dann werden sie in den Röhren und Gängen des Stammes und der Zweige gereinigt, und ihr grober erdiger Teil muss unten zurückbleiben. Die besten Säfte gestalten sich später zur Knospe, zur Blüte und endlich zur Frucht. Dahin hat Gott mit seiner ganzen Ordnung gewollt, dazu hat er den Saft von einem Absatze des Baumes zum andern gekeltert. Ein ähnliches Verfahren gibt es in der Seele des Menschen. Der erste, der natürliche Mensch ist von der Erde und irdisch. Seine Wurzeln stecken in der Erde, und die ganze Schwere der Erde hängt ihm an. Da erwecket denn der heilige Geist in diesem alten Stamme einen Frühlingstrieb. Ein unbestimmtes: „Hinauf! hinauf!“ arbeitet in der Seele. Aber es hängt noch viel grobes irdisches Wesen daran. Der Mensch möchte seine ganze natürliche Art behalten und mit hinaufnehmen. Aber Gott der Herr klärt ihn auch von einem Absatz, von einer Stufe des innern Lebens zum andern. Zuerst hat er den groben Stamm vor sich. Ungeteilt hängt das Herz an der Erde; was ihm die Welt beut1), das ist ihm recht. Dann folgt eine innere Unruhe. Es ist kein Friede mehr in dem ungebrochenen Sündenleben. Der Halberwachte denkt: „Ich will es besser machen, ich will die groben Übertretungen, welche mir Unruhe erregt, welche Anstoß gegeben haben, meiden.“ Er fängt an zu teilen. Das Leben spaltet sich in Äste. Aber indem dieser Halbwache anfängt, einen Teil von seinem Wandel zur Sünde zu machen, wird sein Urteil unter der Zucht des heiligen Geistes feiner. Wer da hat, dem wird ja gegeben. Er sieht nicht mehr allein auf einzelne grobe Auswüchse in seinem Wandel, sondern lernt die Krankheit in der Wurzel kennen. Er erfährt, dass das ganze Herz krank, und dass von der Sohle bis zum Scheitel an ihm nichts Gesundes ist. Es fasst ihn nicht mehr ein einzelner Schmerz über die eine oder die andere Sünde, sondern ein ganzer Schmerz über sein verderbtes Herz erfüllt dies Herz. Ist es dahin gekommen, dann rauscht der Frühlingswind schon in den Blättern, dann ist die Knospe da, welche nur auf den günstigen Sonnenschein wartet, um sich aufzuschließen. Das Herz pocht zu Jesu Christo hin. Und wenn es sich endlich in dem Bekenntnis zu ihm erschließt, wenn es sagen kann: „Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name dem Menschen gegeben, darinnen er könnte selig werden, denn allein der Name unseres Herrn Jesu Christi, und in diesem Namen will ich auch gerecht und selig werden,“ dann ist die Blüte aufgebrochen. Sie hat sich aufgeschlossen nach der Sonne hin, welche sie aufgezogen hat. Ist dies geschehen, dann wird es auch an Früchten nicht fehlen.
Liebe Gemeinde, die Seelen so zu führen, das ist die rechte Kunst der Erziehung und der Seelsorge. Ach wer es so recht könnte! Wer doch in Allem, was er der Gemeinde und dem Einzelnen gibt, in die Seelen zugleich den Hunger nach einem Mehreren und das Verständnis eines Mehreren anbahnen könnte! Einer hat es vermocht. Wir nennen den Herrn in jedem Sinne Meister, er ist auch der rechte Meister in dieser Kunst der Seelenführung, deren Ziel er selbst ist. Er legt uns in dem Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen ein unübertreffliches Beispiel davon vor. Das ganze Gespräch ist wie eine feste steinerne Stiege, auf der man Schritt für Schritt aus einem finstern Tale hinaufsteigt an das freie, helle Sonnenlicht. Wir legen unserer heutigen Andacht den zweiten Abschnitt dieses Gesprächs zu Grunde, welcher geschrieben steht
Ev. St. Johannis Kap. 4, V. 19-30.
Das Weib spricht zu ihm: Herr ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei die Stätte, da man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Weib, glaube mir, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge, noch zu Jerusalem werdet den Vater anbeten. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit, und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit; denn der Vater will auch haben, die ihn also anbeten. Gott ist ein Geist; und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Spricht das Weib zu ihm: Ich weiß, dass Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbige kommen wird, so wird er es uns Alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin es, der mit dir redet. Und überdem kamen seine Jünger, und es nahm sie Wunder, dass er mit dem Weibe redete. Doch sprach Niemand: Was fragst du? oder: Was redest du mit ihr? Da ließ das Weib ihren Krug stehen, und ging hin in die Stadt, und spricht zu den Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir gesagt hat Alles, was ich getan habe, ob er nicht Christus sei? Da gingen sie aus der Stadt und kamen zu ihm.
Aus diesem teuren Texte behalten wir uns zu unserer weitern Erbauung das Wort:
Jesus Christus der Meister in der Führung zu Jesu Christo. Wir sehen
- Seine weise Führung;
- Die selige Freude derer, welche ihn finden.
Ach Herr Jesu, führe du uns. Führe uns mit deinen beiden Händen. Sei du uns das Licht und zugleich der Weg, auf welchem wir hinaufkommen zur Höhe des Heils. Öffne uns aber auch das innere Auge, damit wir das Licht und den Weg sehen. Lass uns in deinem Lichte das Licht sehen. Und so rücke uns in Gnaden vorwärts. In den Toten lass es sich regen, wie wenn es Frühling werden wollte. In den Erwachten leite das suchende Herz zu dir. Von den Suchenden lass dich finden. Die dich gefunden haben, erquicke mit der ersten Freude der Kinder Gottes, damit sie fühlen und schmecken, wie freundlich du bist, und ein Unterpfand haben deiner überschwänglichen Barmherzigkeit. Die sich deiner schon gefreut haben, bereite und stärke, dass sie auf das Wort glauben lernen, dass sie auch an dir bleiben, wenn du sie durch dürre Wüsten führest, und doch glauben, wenn sie auch nicht sehen. Alle Gewonnenen aber wollest du vollbereiten, dass sie auch vor dem Angesichte des Feindes, der sie von dir losreißen will, ein Zeugnis ablegen von der Seligkeit, welche sie schon in der Pilgerschaft bei dir haben. Amen.
I. Seine weise Führung.
In dem ganzen Gespräch mit der Samariterin, in dem Herrn geliebte Gemeinde, nimmt der Herr siebenmal das Wort. Zuerst beginnt er ganz auf dem Boden des leiblichen Lebens, er spricht zu ihr: „Gib mir zu trinken.“ Das Weib wundert sich, wie er, ein Jude, von der verachteten Samariterin zu trinken bitte. Da antwortet er: „Wenn du erkennst die Gabe Gottes, und wer der ist, der zu dir sagt: „Gib mir zu trinken,“ du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.“ So ist er mit dem zweiten Worte schon bei dem lebendigen Wasser. Aber der Ausdruck „lebendiges Wasser“ ist noch zweideutig, Es kann auch quellendes, fließendes Wasser darunter verstanden werden. Darum macht ihm das Weib den Einwurf, er könne ja, da er kein Gefäß habe, nicht einmal aus diesem Brunnen schöpfen; dies stehende Wasser stehe ihm nicht einmal zu Gebote, viel weniger könne er Jemand Quellwasser anbieten. Indem sie ihn so aus Missverstand der eitlen Ruhmredigkeit bezichtigen will, geht er daran, das ihr angebotene Wasser näher zu beschreiben. Seine dritte Rede lautet: „Wer dieses Wasser trinkt, den wird wieder dürsten. Wer aber das Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewig nicht dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ So sind wir denn hier schon bei dem Wasser, das von ihm ausströmt, einen neuen Quell im Menschenherzen bildet und hinüberfließt in das ewige Leben. Da fällt ihm das Weib in die Rede: „Herr gib mir dasselbige Wasser, auf dass mich nicht dürste, dass ich nicht herkommen müsse zu schöpfen.“ Sie ist noch in ihrem alten Missverständnis, oder will wohl gar einen leichten Spott mit Christo treiben. Aber indem sie vom „Herkommen“ redet, geht sie mit ihren Gedanken in ihr Haus, und der Herr geht mit. Er macht sich auf den Weg, Scherz und Spott in ihr bis auf die Wurzel auszureuten. Er spricht zum Vierten zu ihr: „Gehe hin, und rufe deinen Mann, und komm her.“ Sie muss antworten: „Ich habe keinen Mann.“ Der Herr hebt zum fünften Male an: „Du hast recht gesagt: „Ich habe keinen Mann.“ Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann. Da hast du recht gesagt.“ Siehe da, nun ist er drinnen in ihrem Hause, in der Geschichte ihres Lebens und in ihrem Herzen. Er ist hinuntergestiegen in die ganze Tiefe ihrer Sünde, und sie hat mitgemusst. Wenn dieser Fremdling so Viel weiß, dann weiß er auch noch viel Mehr. Wie Viel liegt zwischen diesen Zahlen Eins bis Fünf oder Eins bis Sechs dazwischen! Und das Alles ist dem wunderbaren Fremdling klar. Und du, der du dich von einer oder von zwei oder gar drei Frauen hast scheiden lassen, der du eine zweite oder dritte oder gar vierte genommen hast: derselbe Herr weiß auch bei dir Alles, was zwischen diesen Zahlen liegt, wenn du es auch deiner neuen Frau samt dem Geistlichen und dem Gerichte verhehlt und verdeckt hast. Und du, die du einen Mann hast, der doch nicht dein Mann ist: der Herr weiß es von dir so gut wie von jener Samariterin. Tritt heute nur mit hin vor ihn und lass seine Augen auf dir ruhen, wie sie auf jener geruht haben Ja sie ruhen auf dir wie Feuerflammen. Möchten sie dich doch auch mit hinunternehmen in deine Tiefe, möchte dir unter ihnen deine Schuld zum Bewusstsein kommen wie jener! Und noch mehr möchten sie dich auch aus dem spöttelnden Leichtsinn auf den Heilsweg hinüberziehen wie jene. - Denn diesen betritt sie nun mit ihrem nächsten Wort: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei die Stätte, da man anbeten soll.“ Sie hat in ihm einen Propheten kennen gelernt, denn er hat ihr die Geheimnisse ihres Herzens aufgeschlossen. Sie hat Recht, der Herr ist ein Prophet. Derselbe soll ihr nun Auskunft geben, wie sie aus ihrer Sünde heraus und zu Gnaden komme. Sie will wissen, wo das Heil zu finden sei, ob auf dem Berge Garizim bei Sichem oder auf dem Berge Zion zu Jerusalem. Bisher hat der Herr das Gespräch geleitet, er hat sie gedrängt, er hat sie nur mühsam mit fortgezogen.
Nun wird sie der drängende und treibende Teil. Es ist überall so. Hinunter in die Erkenntnis der Sünde muss der Herr uns mühsam drängen und ziehen. Wenn wir aber die Not und den Tod und das Gericht in uns gefühlt haben, dann möchten wir ihn drängen, dass wir ja schnell genug zum Heile kämen. Leider hören wir später zu leicht wieder damit auf. Sie will wissen, wo man recht anbetet. Sie will, wenn das Heil daran hängt, auf Befehl dieses Propheten auch hinaufgehen nach Jerusalem und dort anbeten. Da bricht dem Herrn das Herz ihr gegenüber. Er geht auf sie ein und beantwortet und berichtigt ihr ihre Rede Wort für Wort. Teure Gemeinde, erinnert euch jetzt noch einmal ihres Wortes. Sie hat von dem Propheten wissen wollen, ob man auf dem Berge Garizim oder zu Jerusalem anbeten müsse. So nimmt nun der Herr zuerst das Äußere und Örtliche in dieser Frage auf. In seinem sechsten Worte, welches, an den Pforten des Heiligtumes gesprochen, so mächtig wie jener Strom unter der Schwelle des Tempels hervorquillt, heißt es: „Weib, glaube mir, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem den Vater anbetet.“ Er deutet zuerst darauf hin, dass der Tempel zu Jerusalem auch in Trümmern liegen werde, wie der zu Samaria, und dass an keiner der beiden Stätten ein Tempel des neuen heiligen Dienstes gegründet werde. Sodann löst er die Anbetung damit ab von den herkömmlichen geschichtlichen Orten. Er macht sie frei. In aller Welt sollen Tempel zur Ehre des lebendigen Gottes gegründet werden. Auch das Haus, die Werkstatt, Weg und Steg, Feld und Wald sollen Tempel Gottes werden. Es soll nicht mehr heißen: „Ein Tempel zu Jerusalem,“ sondern die ganze Kirche soll ein Tempel sein. Auch dem Weibe sagt er damit: „Du brauchst nicht hinaufzuwandern nach Jerusalem, sondern hier an dem Brunnen und daheim, oder wo du sonst bist, kannst du anbeten.“ Und nun frage ich euch, liebe Gemeinde: Seit ihr denn schon recht frei geworden zur Anbetung des lebendigen Gottes an allen Stätten? Es fehlt noch gar Viel. Für Viele wohnt Gott der Herr noch allein in der Kirche, und außer ihr schläft das Bekenntnis und Gebt. Für Andere ist er allerdings mit in das Haus gezogen, aber bloß in ein Kämmerlein und in ein Viertelstündchen oder in etliche Minuten der Abend- oder Morgenzeit; aber in das Getreibe des Tages und des äußeren Berufes darf er wenig hinein. Da will denn der Herr frei werden und ausgehen in alle deine Zeit und in alle Gebiete deines Lebens. Ist es dir damit nicht Ernst, so gehörst du auch noch zu den Juden, welche für die Ehre Gottes nur eine Stätte hatten, so bist du auch noch nicht frei geworden zur Kindschaft Gottes. Nachdem Jesus mit dem Weibe fertig geworden ist über den Ort, geht er über auf das, was sie anbetet. Sie hat Gott nicht genannt. Sie hat bloß gesagt: „Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet.“ Auf diesen Höhen hatten die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob ihre Altäre erbaut. Auf diese Höhen hatte auch der abgöttische König Jerobeam seine goldenen Kälber gestellt. Und noch einmal hatte nach der babylonischen Gefangenschaft Manasse, der Sohn des Hohenpriesters Jojada, welchen Nehemias wegen seines zuchtlosen Wandels aus Jerusalem, vertrieben, auf diesem Berge dem Tempel zu Jerusalem zum Trotz einen neuen Tempel erbaut. Dieser war zwar längst durch den tapferen Maccabäer Johannes Hyrcanus zerstört worden, aber das samaritische Volk betete noch immer an der öden Stätte. Es hatte sich abgetrennt von dem Strom der heiligen Offenbarung. Nur die fünf Bücher Mose galten ihm als göttliche Offenbarung. Die Geschichtsbücher Israels, die Psalmen und die Propheten verwarf es. Seit den Tagen Mosis hatten sie keinen Propheten, keine Offenbarung Gottes anerkannt. Von diesem heiligen Anfange lagen, wie von ihren Tempeln auf dem Berge, in ihren Herzen nur Trümmer. Da kann denn der Herr mit Recht sagen: „Ihr wisst nicht, was ihr anbetet.“ Kein Heide weiß es. Auch du weißt es nicht, der du dir deinen Gott nach den beliebigen Gedanken deines Herzens gestaltest. Er gewinnt nie eine Gestalt, er wandelt sich unter deinen eigenen Händen wie eine Wolke. Nach deinen Schicksalen oder nach den Stimmungen deines Herzens ist er heute so und morgen so. Nur wer demütig steht auf dem Grunde der Offenbarung weiß, was er anbetet. Sein Gott hat Wesen, Wahrheit und Gestalt. Sein Gott ist wirklich Gott; denn was ich mir selbst gestalte aus Holz oder Stein oder Gold oder meinen eigenen Ideen, das wird doch nimmermehr ein Gott. Sein Gott ist der wahre Gott, denn über unsern Gott können wir keine Kunde haben, als aus ihm selber und durch ihn selber. Jedes andere Gebilde des menschlichen Geistes ist nur ein Raten nach Gott. Nun wird aber der Unreine nie den Reinen erraten und ergreifen können. Er hat gar kein Auge für ihn. Darum wussten auch die Samariter nicht, was sie anbeteten. „Wir aber“ die Juden „wissen es,“ sagt der Herr, „denn das Heil kommt von den Juden.“
So tief auch das alte Bundesvolk gefallen, so fest auch das Gesetz in pharisäisches Eis gefroren war, dennoch hatte der Herr in Jerusalem. seinen Herd und in Zion sein Feuer. Dort kannte man den offenbarten Gott. Dort stand sein Tempel, dort ward das Gesetz noch verlesen, dort wohnte der Hohepriester, das Vorbild auf den zukünftigen Hohenpriester, dort waren viele Fromme, welche, getragen von den Weissagungen der Propheten, auf den Trost Israels gewartet hatten. Mit einem Worte: dort waren die Gefäße, in welche das Heil eingegossen werden konnte. Von daher musste es denn zu den andern Völkern dringen. Es kommt auch jetzt noch zu keinem Volke und zu keinem Menschen, welcher den alten Bund verachten und bei Seite legen will. Wo Moses nicht vorangegangen ist, da kehrt Christus nicht ein. Nachdem nun der Herr von den Stätten der Anbetung geredet und nachdem er hingedeutet hat auf den lebendigen Gott, welcher angebetet werden soll, kommt er auf die Art der rechten Anbetung. „Es kommt die Zeit, und ist schon jetzt, wo die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit; denn der Vater will auch haben, die ihn also anbeten. Gott ist ein Geist; und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“. Da stehen wir denn bei dem gewaltigen Worte, das ja wohl Jeder von den in dieser Kirche Versammelten, auch jedes Kind, das etwa hier ist, auswendig weiß. Wir stehen auch vor dem Worte, mit dem vielleicht unter allen Schriftworten der meiste Missbrauch getrieben ist. Auf dies Wort haben sich alle Stürmer berufen, welche das Bild des Gekreuzigten samt allen andern Bildern, welche die Altäre, Orgeln und überhaupt jede Kunst aus dem Gottesdienst verbannen, welche unsere Gottesdienste so kahl machen wollten, dass fast Nichts übrig blieb, denn ein großes Haus, in welchem man vor Wind und Wetter sicher wäre. Wie wenn das Heilige nicht einer äußeren Darstellung, und unsere trägen Herzen nicht der Unterstützung bedürften, damit sie wirklich im Geist beten! Sie sinken ihrer Natur nach schnell genug an die Erde und in die Trägheit herunter. Wiederum haben sich die an dasselbe angeklammert, welche den schönen Bau christlicher Heilslehre zerstören wollten. Sie sprachen: „Wir brauchen keine Formeln, wir wollen Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Welches war aber der Geist? Ihr eigener. Welches war die Wahrheit? Ihre jeweilige Meinung, heute diese, und über das Jahr, oder vielleicht noch eher, eine andere. Flugs auch gar keine. Denn wenn Alle, die dies Wort gebraucht haben, hätten Rede stehen sollen über das, was sie dabei dachten, so würde es oft heißen: „Nichts.“ Endlich ist dies Wort eine häufige Zuflucht der trägen Kirchenbesucher, der toten Leute. Sie pflegen zu sagen: „Was brauche ich in die Kirche zu gehen? Wir sollen Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten, dazu brauche ich keine Kirche, das kann ich zu Hause oder in der Natur auch.“ Das Zurückziehen in dich selbst, das Hingehen in deine eigenen Gedanken, nennst du da Geist und Wahrheit. Bist du so stolz, dass du dein Herz für den Born des Geistes hältst, und dass du sagen willst: „Ich bin die Wahrheit?“ Meist aber ruht hinter solcher Rede gar Nichts, als der kahle Unglaube und die alte Trägheit, die sich doch schämt und dies Wort des Herrn als ein schimmerndes Mäntelchen umhängt. Was will denn aber der Herr mit dem Worte sagen? Teure Gemeinde, gar Viel. Dies Wort ist ein Born von unerschöpflicher Tiefe. ersten Sinn fühlt ihr aus dem Zusammenhange. beteten auf ihrem Berge an, weil ihre Väter da angebetet hatten. Sie taten es aus Gewohnheit. Dieser Gewohnheit stellt der Herr den Geist entgegen, den Geist, wo das Gebt aus dem innern Bedürfnis quillt, wo ich reden muss mit dem Herrn meinem Gott. -
Die Juden brachten ihre Gebete dar unter der Hülle der Opfer. Auch bei diesen Gebeten lag die Decke Mosis über ihrem Angesichte. Die Stunde war da, wo die Zeremonien und die Opfer, in welche die Sprache des Herzens zu Gott verhüllt war, abgetan werden sollten, wo das Volk mit aufgedecktem Angesichte zu seinem Vater im Himmel reden sollte. Die Stunde war nahe, wo der Vorhang im Tempel zerrissen werden sollte. Aber das ist nimmer der ganze Sinn des Wortes. Du musst selbst ein Tempel Gottes und dein Herz ein Heiligtum werden. Der Geist ist der Priester darin. Dieser hat täglich darzubringen Sündopfer, Schuldopfer, Brandopfer und Dankopfer. Diese Gebet müssen in Wahrheit geschehen. Dein Gott muss dir als die wirkliche, unzweifelhafte Person vor der Seele stehen. Und wiederum musst du wahr sein über dich selber. Du musst den ganzen Grund deines Herzens aussprechen; du musst vor ihm reden als vor dem, dem Alles bloß und entdeckt vor seinen Augen liegt. In dem ganzen Gebet muss dein Herz klopfen. Es darf keine Formel sein. Unter dem Sündenbekenntnis musst du deine Sünde fühlen, nach deinen Bitten muss dein Herz wirklich verlangen, bei deinem Danke muss es innerlich warm sein, und hinter dem Allem muss der Glaube stehen, dass dir dein Gott dies Alles aus Gnaden wirklich geben will: Durch wen werde ich endlich ein solcher Tempel? Durch wen wird mein Geist ein solcher Priester? Lediglich und allein durch den heiligen Geist. Gott ist ein Geist, und nur von diesem Geiste aus kann der arme gefallene Mensch geistlich werden und im Geist beten. Durch Gott allein kann ich in Gottes Bild verklärt werden. In seinem Lichte sehen wir das Licht, und werden wir ein Licht. In ihm allein, als in der heiligen Wahrheit, werden wir wahr über uns selbst und lernen wir auch in Wahrheit beten. Wenn dich dein eigener Geist regiert, was werden es dann für Gebet? Solche, an denen Nichts recht ist. Es ist nicht der rechte Gott, zu dem du rufest, denn er ist ein Gebilde deiner Gedanken. Es sind nicht die rechten Dinge, um welche du bittest, denn Fleisch und Blut wissen nicht, was uns nütze ist. Es ist auch nicht die rechte Art, wie du bittest; denn wir wissen nicht, wie wir bitten sollen. Erst der heilige Geist erbaut in dir die neue Person, den Geist vom Geiste, welcher recht bitten kann, er gibt dir den rechten Gott, und deinem Gebet die rechte Art. Bei jedem Gebet, soll es heißen: „Aus Gott, zu Gott, in Gott.“ Es sind auch nicht einzelne Stunden, wo du so betest, sondern weil der heilige Geist dein Geist geworden ist, ist dein Leben ein solches Gebt. Solche Anbeter will der Vater haben. Das sind die rechten Anbeter.
Als der Herr diese seine sechste Rede vollendet hatte, da waren dem armen samaritischen Weiblein die Flügel gesunken. Sie fühlte, dass sie eine solche Beterin nicht sei, ingleichen auch, dass sie nun und nimmermehr aus eignen Kräften eine solche werden könnte. Sie sieht sich im eigenen Herzen um, sie durchsucht den ganzen innern Hausrat, ob sie keinen Rest der alten Offenbarung finde, der sie trösten könne. Und da lag denn unter den armen Trümmern ein Diamant, welchen sie dem Herrn entgegenhielt. Sie spricht: „Ich weiß, dass Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbige kommen wird, so wird er es uns Alles verkündigen.“ Damit ist sie bis an die Tür des Allerheiligsten gekommen. Jesus hat sich in seiner Führung selber von ihr suchen lassen. Und du nun, lieber Christ, der du heute gefühlt hast, dass du so noch nicht anbetest, lass dich mit der Samariterin hindrängen zu dem rechten Manne. Sage. „Ich weiß, dass Messias gekommen ist, welcher Christus heißt, der will mir das Alles verkündigen.“ Dann stehst du auch vor der Tür und schmeckst auch
II. Die selige Freude derer, welche ihn finden.
Das siebente Wort des Herrn lautet: „Ich bin es, der mit dir redet.“ Er ist es, der diesen Geist sendet und dies neue Leben schafft. Damit schließt er das ganze Gespräch; damit ist auch die Geschichte der ganzen suchenden Menschheit geschlossen. Teure Freunde, groß wird nach diesem langen und harten Winter die Freude für die Armen sein, wenn der Mittagswind über die Berge weht, wenn das Eis von den Fenstern schmilzt, und der Frühling seine ersten Zeugen aus der Erde hervorruft. Aber was ist dieser Frühling gegen den Seelen- und Völkerfrühling, der dort anbrach! Er war da, auf den die Väter gehofft hatten! Nun siehe die Freude des Weibes! Es steigt in ihrer Seele keine Spur von Zweifel auf. Durch den ganzen Lauf des Gespräches, namentlich durch den Gang desselben in ihr Haus und Herz, hatte der Herr demselben vorgebeugt. Übrigens haben. auch gerade die, welche hungern und dürsten nach Gnade, am Wenigsten Lust zum Zweifel. Sodann lässt sie ihren Krug stehen und eilt ohne denselben in die Stadt zurück. Köstlich schließt sich hier die Geschichte in sich zusammen. Ist sie doch wie ein Ring aus verschiedenen Stücken, der Glied für Glied aus edlerem Metalle geschmiedet wird, bis der prächtige Diamant am Schlusse an den eisernen Anfang wieder anstößt. Das Weib war gekommen, um Wasser zu schöpfen. Sie hatte nicht einmal sonderlich Lust, dem bittenden Fremdling von ihrem Wasser zu trinken zu geben. Nun lässt sie den Krug stehen, und eilt mit dem Wasser, welches er ihr gegeben hat, zurück in ihre Stadt. Sie hat allen Durst über der Gnadenbotschaft vergessen. Teure Gemeinde, Viele suchen jetzt Abhilfe für allerlei Not. Einer sucht Brot, Einer Feuerung, ein Anderer eine Wohnung, ein Anderer ein Kleid, und noch Einer einen Arzt oder Arznei oder einen Freund, welcher sich seiner in der schweren Zeit annehmen soll. So gut wie am Jakobsbrunnen, wo jene Durstige schöpfen wollte, weilt der Herr auch an allen jenen Wegen. Hört ihn nur! Lasst euch doch nur von ihm führen wie die Samariterin. Wie vom Wasser, so führt auch vom Brote der Weg hin zu ihm. Er ist das Brot des Lebens. Ebenso auch vom Kleide, denn er ist der Rock der Gerechtigkeit. Und wiederum vom Holz, denn er ist der Baum des Lebens, dessen Blätter dienen zur Gesundheit der Heiden. Und wiederum vom Obdach, denn in Christo sitzen wir unter dem Schein des Höchsten und bleiben unter dem Schatten seiner Gerechtigkeit. Und noch einmal, auch der Freund leitet hin zu dem, von welchem wir singen:
Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen,
Wenn ich in deiner Liebe ruh;
Ich steige aus der Schwermutshöhlen
Und eile deinen Armen zu.
Da muss die Nacht des Trauerns scheiden,
Wenn mit so angenehmen Freuden
Die Liebe strahlt aus deiner Brust.
Hier ist mein Himmel schon auf Erden.
Wer sollte nicht vergnüget werden,
Der in dir sucht Ruh' und Lust?
O dass seine Gnade auf unsern Notwegen über uns Alle käme! Hast du ihm einmal ins Angesicht gesehen, hat er einmal zu dir gesprochen: „Ich bin es, der mit dir redet,“ dann lässt du auch den Krug stehen, und wenn es der Tränenkrug wäre. Du hast Hilfe und Freude gefunden, welche weit über die alte Not und Trauer geht. Du wirst deine Not anders tragen, und der, welcher spricht: „Trachtet am Ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen,“ der wird dann auch Rat wissen, wie er deinem äußeren Mangel und Leiden abhelfe. Doch wir begleiten das Weib noch in die Stadt. Sie kann nicht schweigen. Sie muss die Ehre des Herrn verkündigen. Die Freude ist mitteilsam. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Die falsche Scham fliehet. Das Weib spricht: „Kommt, seht einen Menschen, der mir gesagt hat Alles, was ich getan habe, ob er nicht Christus ist.“ Ihr Leben war nicht so, dass sie gern davon geredet hätte oder gern hätte davon reden lassen. Aber damit sie ihre Bürger bewege, an dem erschienenen Heile Teil zu nehmen, zeugt sie selber von ihrer Sünde. „Da gingen sie aus der Stadt und kamen zu ihm.“ Wer kann sich in diese Freude hineindenken, als die Botschaft von Haus zu Haus lief? Wer kann sich hineinfühlen in das Harren und Hoffen der Leute unterwegs? Es kann nichts Öderes geben, denn das Heidentum oder überhaupt das Leben ohne Christus. Diese Öde beschrieb einmal ein Heide selbst n einem überaus treffenden Bilde. Als im Anfange des siebenten Jahrhunderts nach Christo der römische Missionar Paulinus in England das Evangelium lebendig und kräftig gepredigt und das Herz des Königs Edwin von Northumberland für den Herrn gewonnen hatte, berief dieser eine Versammlung seiner Großen, um sich mit ihnen über die Annahme des Christentums zu beraten. Paulinus trug zuerst die großen Heilslehren des Evangeliums vor. Der Herr trat hier im Wort vor das Volk, wie vor die Samariterin in Person. Nachdem der Missionar ausgeredet, stand unter Andern ein königlicher Rat auf und sprach: „Das Leben des Menschen auf der Erde erscheint mir in Vergleich mit der ungewissen Zeit, welcher wir entgegengehen, in folgender Gestalt. Wenn du hier, o König, im kalten Winter, während draußen die Stürme toben, mit deinen Dienern neben dem Feuerherde an königlicher Tafel sitzt, dann fliegt wohl ein Vogel durch das geheizte Zimmer. Aber kaum ist er zu einem Fenster hereingeflogen, so muss er zum andern schon wieder hinaus. Hier im Saale trifft ihn allerdings der Sturm nicht, aber die Freude dauert nur einen Augenblick. Vom Winter wird er in den Winter hinausgestoßen, und bald ist er aus deinen Augen verschwunden. So kurz ist das Menschenleben; was ihm vorangeht, und was ihm nachfolgt, das wissen wir Alle nicht. Bringt uns dieser neue Glaube etwas Gewisses hierüber, so muss er billig angenommen werden.“ Er bringt etwas Gewisses, er bringt einen Frieden, gegen den das Leben in dem reichsten Königssaale doch nur Sturm ist. Ihr habt ihn angenommen. Eilt hin zu eurem Herrn. Er wartet auf euch. Lasst sein mühsames Suchen nicht vergeblich sein. Ach Herr, dass du doch bald von uns Allen sagen könntest: „Ich habe sie gefunden!“ und wir von dir: „Ich habe dich gefunden.“ gib uns zu trinken, wie's dein Wort verheißt; Lass gänzlich versinken den sehnenden Geist Im Meer deiner Liebe.
Amen.
Lass heilige Triebe
Mich immerfort treiben zum Himmlischen hin;
Es werde das Herze ganz trunken darin;
O lass mich, mein Jesu, auch werden erquickt
Da, wo deine Herde kein Leiden mehr drückt;
Wo Freude die Fülle,
Wo liebliche Stille,
Wo Wonne, wo Jauchzen, wo Herrlichkeit wohnt,
Wo heiliges Leben wird ewig belohnt.