Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Die Christgeschichte muss sich in jedem Christenherzen wiederholen.

Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Die Christgeschichte muss sich in jedem Christenherzen wiederholen.

(Am 1. h. Christtag 1854.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Ev. St. Luca Kap. 2, V. 1-14.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und Jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein Jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land, zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und letzte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt, und in einer Krippe liegend. Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott, und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Immer wieder dies alte teure Evangelium! Zum dritten Male soll ich es euch zum Geburtstage unseres Herrn und Heilandes auslegen. Immer wieder der alte Aufruf: „Mache dich auf und werde Licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.“ Und immer wieder die Engelsbotschaft: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids.“ Ja wieder dieselbe Gnadenkunde! Sie kann uns nicht alt, und wir können ihrer nicht überdrüssig werden. Wie eine Frau, der Gott der Herr einen glücklichen Ehestand beschert hat, immer mit Freuden die Briefe wiederliest, durch welche ihr Bund zuerst eingeleitet ward, so soll jeder Christ mit Freuden die große Tat wieder hören, wo Gott der Herr anhob, unser armes Geschlecht zu erwählen zu seiner Kindschaft, zu einem Bunde, in dem er uns Freude die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten schenkt immer und ewiglich. Indem er seinen lieben Sohn in unser Fleisch gab, hat er recht eigentlich diesem unserem Geschlechte den Trauring an den Finger gesteckt und das Wort vollendet: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit; ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit; ja im Glauben will ich mich mit dir verloben, und du wirst den Herrn erkennen.“ (Hosea 2.19,20.) Unser heutiges Evangelium ist die Urkunde darüber. Die Gemeinde, die Braut und das Weib, muss es immer wieder gern hören; und die einzelne Seele, die Braut, muss es auch immer wieder gern hören. Und noch einmal: wie sich jedes rechte, treue Ehepaar mit Freuden zurückerinnert an das Lied, das an seinem Trautage gesungen wurde, und es jederzeit mit besonderer Freude wiedersingt, so kann auch die Christenheit, die Braut und das Weib, nur mit rechter Herzenslust den Engelsgesang wiederhören und wiedersingen: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Jene Botschaft und dieses Lied bleiben ewig neu und frisch. Ihr Tau ist wie der Tau des grünen Feldes, wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zion; denn daselbst verheißt der Herr Segen und Leben immer und ewiglich. - Wodurch aber bleibt diese heilige Tat Gottes samt ihrer Verkündigung so neu und so frisch? Es liegt in ihrer Größe. Es liegt in dem ewigen Segen, den sie bringt. Wenn die Tage wiederkommen, wo das ewige Wort vom Vater Fleisch ward, dann rüttelt es wie Frühlingswind an den Herzen, die noch nicht ganz erstorben sind. Wenn wir daran denken, dass die Liebe den Himmel zerrissen hat, damit wir einen Eingang in den Himmel haben, dann sollte wohl jene Gnadennacht nicht hell und neu vor uns stehen?

Aber es ist doch noch ein Anderes. Es ist die wunderbare Arbeit des heiligen Geistes. Er gießt den Morgentau über die großen Tage und Taten Gottes aus. Die großen Taten Gottes: die Geburt seines Sohnes Jesu Christi, Christi Sterben, Auferstehen und Himmelfahrt, und die Ausgießung des heiligen Geistes, sind nicht wie Menschentaten. Diese treiben, einmal getan, zwar ihren Wellenschlag noch eine Strecke in der Geschichte fort, aber die Wellen werden immer niedriger, und endlich verflachen sie sich ganz und verschwinden in dem allgemeinen Wogen der Zeit. Man fühlt Nichts mehr von der Frische und Neuheit. Gottes Gnadentaten sollen ewig neu bleiben, und was noch Mehr ist, sie sollen sich in jedem Christenherzen aufs Neue wiederholen. Dies gerade zu bewirken, ist der heilige Geist in die Kirche ausgegossen. Seine Mittel sind die heiligen Sakramente und das Wort.

So ziehe denn bei uns ein, du Geist der Gnade, und erfülle unsere Herzen mit lebendigem Glauben. Nimm uns mit in jene Stadt, wo die Allmacht in der Krippe ruhte. Nimm uns mit auf jenes Feld und stelle uns unter die Schar der Hirten. Lass uns die liebe Christbotschaft so fest glauben, wie wenn wir sie aus dem Munde jenes untrüglichen Zeugen gehört hätten. Mache uns in uns arm, damit wir den Reichtum deiner Gnade recht fühlen. Zeige uns die inwendige Finsternis, damit uns das Licht recht hell und fröhlich in die Augen scheine. Überall, wo dein Herold sagt euch, da gib uns Gnade, dass wir sagen mir. „Mir ist große Freude verkündigt, mir ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Die Zeichen, die du damals und weiter in der Geschichte gegeben hast, sind mir genug.“ So gieße denn aus die rechte Christfreude über die ganze Gemeinde. Lass uns fühlen unsere Kindschaft, unsere Herrlichkeit und Seligkeit, die wir vor allen Heiden und Juden voraushaben. Wer aber gestern und ehegestern und die Tage her Weihnachtsfreude gehabt hat ohne diesen seligen Glauben, den fasse heute an, wie du die toten Stämme im Frühlinge anfasst

Lass den Saft des Lebens in ihm aufsteigen, lass ihn auch einmal erfahren, dass es andere Freude gibt, als die, so man sieht und mit Händen greifet. Ziehe sie mit hinein in das teure Lied:

„Mein Herze soll dir grünen
In stetem Lob' und Preis,
Und deinem Namen dienen
So gut es kann und weiß.“

Amen.

Unserer heutigen Festandacht legen wir nach unserem Texte das Wort zu Grunde:

Die Christgeschichte muss sich in jedem Christenherzen wiederholen.

Wir ordnen uns den Satz in folgende Reihe:

  1. Armut und Druck hat sich der Herr erkoren,
  2. Der Armut klingt das Engelswort so süß: „Fürchte dich nicht, dein Heiland ist geboren,“
  3. Und Armut dankt im neuen Paradies.

I. Armut und Druck hat sich der Herr erkoren.

Schwer lag es, in dem Herrn geliebte Gemeinde, in jenen Tagen auf dem Volke Israel. Lange hatte sich sein Gott nicht mehr zu ihm bezeugt. Seit vierhundert Jahren war kein Prophet mehr unter dem Volke aufgestanden. Die Flamme der Hoffnung auf den Heiland war lange nicht angefacht worden. In gesetzlichem Dunkel ohne Morgenrot am Himmel arbeitete sich das Volk dahin. Äußerlich stand es unter doppelter Knechtschaft. Esaus Nachkomme Herodes, ein wilder, wüster Mensch, wie einst sein Stammvater, knechtete das Volk. Er selbst war aber wieder nur ein Knecht des römischen Kaisers Augustus, welcher in diesen Tagen seine Oberherrschaft dadurch geltend machte, dass er über das alte Gottesvolk eine Schatzung ausschrieb. Zu dieser musste Jeder an den Abstammungsort seiner Familie wandern. Ihr seht die Knechtschaft des Volkes erst recht klar, wenn ihr darauf achtet, wie auch Joseph und Maria, beide Nachkommen des herrlichen Königs David, des Mannes nach dem Herzen Gottes, dem Gott das Reich bestätigen wollte ewiglich, zu Fuß von Galiläa hinaufwandern nach Bethlehem. Ein Heidenkönig winkt, und die Kinder des rechten Königs machen sich auf den Weg, sich von ihm schätzen und besteuern zu lassen. - Dort können sie dann keine andere Wohnung finden, als einen Stall. Die Königskinder sind arm geworden. Dort kommt für Maria ihre Stunde, da sie gebären soll, und sie gebiert ihren ersten Sohn, wickelt ihn in Windeln und legt ihn in eine Krippe, denn sie haben sonst keinen Raum in der Herberge.

Die Botschaft von dem neugebornen Heilande wird auch zuerst armen Leuten, armen schlichten Hirten gebracht, welche des Nachts auf dem Felde ihrer Herde hüten. Der neugeborene König wird bald nach seiner Geburt in die Listen eines fremden Gewaltherrn eingezeichnet. Also Armut ringsum. Armut im geistlichen Leben, Armut und Niedrigkeit im Volksleben, Armut bei den Eltern des Herrn, Druck und Armut bei dem Kinde, und Armut bei denen, welche die erste weitere Botschaft von ihm empfangen. Haben wir nun heute mit dem Gedanken begonnen, dass sich die Christgeschichte in jedem Christenherzen wiederholen muss, so fragst du wohl: „Muss denn diese Armut und dieser Druck, unter dem der Herr geboren ist, auch bei uns wiederkehren, wenn wir zum rechten Leben geboren und erweckt werden sollen?“ Ja, die Geburt des Herrn ins Fleisch ist und bleibt das Vorbild auch unserer neuen Geburt. Nun ist zwar der Herr in uns geboren, und wir sind von Neuem geboren, denn es ist die heilige Taufe, welche einst an dem schwachen und hilflosen Kinde geschah, das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im heiligen Geist. Aber in wem steht er denn im vollen frischen Leben? In wem ist er denn erwachsen zu dem Maße des vollkommenen Alters Christi? Müssen wir nicht bekennen, dass er durch unsere Schuld in uns noch gar schwach ist? dass es bei uns Allen zwar nicht eines neuen Geburtstages denn wir können nur einmal geboren werden aber neuer Tage der Erweckung bedarf? Erwecken sollen wir die Gaben, die in uns gelegt sind. Und solche Tage, wo der Herr in uns lebendig wird, können wir auch Christtage nennen. Wann fallen diese? In die Zeiten der innern Armut, die jener äußern Lage des Volkes Israel ähnlich sehen. Es kommen Tage, wo du in deiner Nacht aufwachst. Deine Propheten, die dir vorher auf deinem Sündenwege Glück und gute Tage geweissagt hatten, schweigen. Sie haben nicht mehr den Mut, dir ihre Lüge ins Angesicht zu sagen. Die schon gemachte Erfahrung streitet zu heftig dagegen. Es ist Nacht. Kein Stern steht am Himmel, denn die, welche sich vorher die falsche Klugheit und Rechnung hingemalt hatte, sind zu öden Nebelflecken geworden. Du fühlst, wie du in schwere Knechtschaft geraten bist. Es knechtet dich ein fremder Herr, dem du nicht gehörst, der sich dich zum Eigentum erlogen und ertrogen hat. Derselbe schreibt täglich seine Schatzungen aus. Er will aber nicht allein Geld und Gut haben, wie der Kaiser Augustus. Er nimmt Alles, was du hast: Leib und Seele, Frieden und Freude, Hoffnung und Trost, mit einem Worte, er nimmt dich. Er legt dir eine Schatzung auf, unter der du je länger je bitterer seufzen wirst. Du wanderst in der Fremde, jeder Schritt ist dir ungewiss; die liebe Heimat ist verloren, das selige Heimatbewusstsein ist erstorben, du weißt keinen Ausgang aus der innern Not. In solcher Not bringt dir der heilige Geist deine Sünde und Schuld zum Bewusstsein. Du merkst, wie groß deine Armut ist. Dein Herz wird zur Krippe, in welcher Nichts ist. Nur das arme leere Gehäuse steht da. Die Weltlust und was dich sonst vergnügt und betrogen hat, kann die Dede nicht mehr zudecken. Die Klugheit dieser Welt, mit welcher du sonst die innere Leerheit umblümtest und zudecktest, kann es nicht mehr ausrichten. Ihre Hüllen und Decken sind dem bangen Herzen geworden wie Spinnengewebe. Sie zerreißen bei jeder Bewegung, und der kalte Hauch des Gesetzes und der göttlichen Strafe geht hindurch.

Oft braucht Gott der Herr auch noch andere Mittel zur Demütigung. Will dein Herz unter seinem Worte nicht zu einer Krippe werden, so braucht er das Schwert. Er schlägt mit Verlusten, mit Krankheit, mit weltlicher Strafe, mit Verachtung der Leute, mit getäuschten Hoffnungen und gescheiterten Plänen. Nimmer wird in dem üppigen Wohlleben des Leibes, nimmer in dem üppigen Wohlleben der Seele, in der stolzen Selbstzufriedenheit, Jesus Christus geboren. Da ist keine Krippe. Nicht in eines Pharisäers Hause, auch nicht in dem Hause reicherer Nachkommen Davids, die in Bethlehem eine gute Wohnung gefunden hatten, nein, im Stall ist der Herr geboren. Als die Familie Davids alle ihre weltliche Herrlichkeit verloren hatte, da erst konnte ihr Gott das große, lange verheißene geistliche Erbe schenken. Ein armes Herz, eine Krippe wollte er erst haben. Wenn dein Herz eine solche ist, wenn deine eigene Gerechtigkeit von dem Hauch der göttlichen Heiligkeit weggeweht ist wie der Nebel vom Morgenwinde, wenn du deine Armut und deine Hilflosigkeit siehst: dann-breite die Windeln in die Krippe, nämlich das demütige Bekenntnis der Sünden und den einfältigen Glauben an deinen Heiland. Sage ihm: „Du bist mein einiger Helfer, zu dir komme ich hungrig, durstig, mühselig und beladen. Ich weiß außer dir keinen Erbarmer. Alle, die mir sonst Hilfe zugesagt haben, haben mich betrogen. Erbarme dich meiner.“ wird der Herr geboren, da wird er zu einem neuen Leben erweckt, da wird Weihnachten gefeiert. -

Wer den Lobgesang der Maria im ersten Kapitel des Lukas nur einmal mit Aufmerksamkeit gelesen hat, der wird finden, dass er fast ganz aus Worten der Psalmen und Propheten zusammengereiht ist. Sie musste ihr Leben zum guten Teil in diesen heiligen Urkunden verlebt haben. Der geistliche Nachlass ihres Vaters David war in ihrem Besitze. Sie hat den Herrn geboren. Und du Christ und Christin lebe dich großen Urkunden recht hinein. In keinem Buche wird uns die Verderbtheit, die Tücke unseres Herzens und unsere Hilflosigkeit so aufgedeckt, wie in den Psalmen, und in keinem wird so laut nach dem Erbarmer geschrien. Und wiederum leuchtet die Hoffnung auf den Erbarmer aus keinem Buche heller heraus, als aus den Propheten. Sie sind der Chor, der dem Herrn die Fackeln zu seinem Einzuge in die Welt vorgetragen hat. In welcher Seele nun diese Not und Hoffnung die beiden Grundtöne sind, in der wird der Herr geboren, in der gedeihet er zu einem frischen Leben. Doch ist auch hier die heilige Urgeschichte das wahre Vorbild. Dort ist er empfangen vom heiligen Geist. Was in ihr geboren war, das war vom heiligen Geist. Auch in dir kann der neue Mensch nicht geboren werden als von dir selber. Von Neuem, von oben musst du geboren werden. Du musst es fühlen, dass diese Erneuung nicht aus eigenem Willen und aus eigener Kraft, noch auch aus der Weisheit und Ermahnung. eines andern Menschen hervorgegangen ist. Ermahnung und Strafe, gehen sie nun von uns selbst oder von Andern aus, können das wilde natürliche Feuer im Herzen zusammenhalten und etwas dämpfen. Aber sie können es nicht einmal auslöschen, geschweige noch ein neues heiliges dafür anzünden. Wo es in dir in demütiger, heller Wärme zu Gott emporscheinet und zu deinen Brüdern hin wärmet, da hat es der Herr geschaffen, da ist neues Leben empfangen und geboren vom heiligen Geist, da kannst du ein wirkliches Christfest feiern, da kannst du fortfahren:

II.

Der Armut klingt das Engelswort so süß: „Fürchte dich nicht, dein Heiland ist geboren.“

Es war eine wunderbare Nacht, jene erste Christnacht. Die Engel als Prediger, die Klarheit des Herrn die Erleuchtung dieses freien Tempels, in welchem schon tatsächlich das Wort des Herrn ausgeführt war, dass man hinfort nicht mehr allein anbeten werde zu Jerusalem oder zu Samaria, sondern die wahrhaftigen Anbeter würden den Herrn anbeten im Geist und in der Wahrheit. Nicht in dem geschlossenen Tempel, sondern unter freiem Himmel ist die erste christliche Predigt gehalten. Und welche Predigt! Es hat wohl große Reden in der Welt gegeben. Aber was ist ihr Inhalt? Eine der größten Reden im alten Heidentum handelt davon, dass Einer einen goldenen Kranz, den man ihm streitig machen wollte, doch verdient habe. Andere decken mit aller Kunst und Gewandtheit die gottlosen Wege eines verstockten Empörers im römischen Staate auf und helfen diesen Staat retten. Mit einer gewaltigen Rede hat ein christlicher Mönch die Völker des westlichen Europas aufgerüttelt, und sie bewogen, das Schwert zu ergreifen und gegen die Muhamedaner, die Verstörer der heiligen Stätten, ins Feld zu ziehen. Aber was ist das gegen diese Engelsrede: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids.“ Wenig Worte, aber eine Welt und ein Himmel voll Inhalt. In wenig Sekunden gesprochen, aber eine Ewigkeit voll Gnade ist darin eingeschlossen. Überschwänglich war die Freude der Hirten, wenn sie sich auch nicht in Worten äußert. Die größte Freude ist stumm. Sie findet die Sprache erst nach und nach. Jene sind dann auch hingegangen und haben das Wort mit Freuden ausgebreitet. Nun sage, hast du solche Christfreude, wo das Herz vor Freude zittert, aber nicht reden kann, auch schon erfahren? In den Tagen des alten Kirchenlehrers Hieronymus stand an jener Stätte, wo der Engel zu den Hirten geredet hatte, eine Kapelle, genannt „Angelus ad Pastores,“ d. h. „der Engel an die Hirten.“ Wenn es recht mit dir ist, muss in deinem Leben irgendwo eine heilige Stätte sein es braucht keine Kapelle zu sein, es soll nur eine heilige Zeit in deinem innern Leben und ewigen Gedächtnis sein wo es nicht mehr heißt: „Der Engel an die Hirten,“ sondern: „Der Engel an mich.“ Und wenn diese Zeit noch nicht dagewesen ist, dass sie doch heute anhübe und heute die Klarheit des Herrn vor dir aufginge! Möchte doch unsere Kirche die Kapelle werden, wo es für uns Alle heißt: „Der Engel an mich!“ Ja der Engel an dich mit seiner gewaltigen Rede, an dich, der du mit deinem Herrn in die innere Armut und in den Druck hinuntergegangen bist.

In deine innere Not und Sehnsucht hinein ruft der Engel: „Fürchte dich nicht, siehe, ich verkündige dir große Freude.“ Der Engel kann sie nur verkündigen, der Herr erwirbt sie und schenkt sie und bereitet auch dein Herz, dass du sie ganz nehmen kannst. Der Engel kann sie aber nicht größer verkündigen, als sie der Herr gibt; doch kann auch eine größere weder gegeben noch verkündigt werden. Groß ist die Christfreude durch den Notstand, in den sie gegeben wird. Überall kommt sie als Sonne in die Mitternacht und als Quell in die Wüste. Groß ist sie nach ihrem seligen Inhalte. Dein ganzes Heil ist darin beschlossen. Groß ist sie nach ihrem Umfange, denn sie soll allen Völkern zu Teil werden und soll ewiglich währen. Eure Freude soll Niemand von euch nehmen. So ergreife sie nach ihrer ganzen Tiefe. Nimm die Christfreude und das Christgeschenk nicht bloß mit den Augen und Händen. Nimm sie auch nicht allein mit dem Gemüte, wo du mit den Deinen ein liebliches Familienfest feierst. Nimm sie nicht allein mit dem Verstande, wo du sagst: „Ja, es ist wahr, durch diesen Jesus Christus ist ein neues Leben, ein neuer sittlicher Grund in das Völkerleben gekommen.“ Nimm sie mit dem ganzen Menschen, nimm sie mit der Seele, die über ihre Sünden trauert und sich um ihr Heil ängstet; mit der Seele, die vor dem ewigen Abgründe zittert. Nimm nicht allein den Mann mit dem freundlichen Angesichte und den offenen Händen, nimm den ganzen Christus, deinen Mittler, von dem wir singen:

„Gott ward Mensch dir, Mensch, zu Gute,
Gottes Kind,
Das verbind
Sich mit unserm Blute;“

deinen Mittler, von dem geschrieben steht: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber.“ Nimm in ihm die Vergebung deiner Sünden, den Sieg über den Teufel und den Tod, die Auferstehung und das ewige Leben. Dann frage, ob es außer dieser noch eine große Freude geben kann. Alles Andere, was wir Freude nennen, steht daneben wie ein armes verwelkliches Kräutlein neben der Palme. Hast du diese Freude ergriffen, dann leuchtet auch die Klarheit des Herrn um dich. Sie bricht hervor aus deinem Angesichte. Wenn du niedergebeugt bist, und der Druck noch so schwer auf dir liegt, und du kannst mit Wahrheit bekennen: „Ich habe einen Herrn, der Sünden vergibt, und einen Herrn Herrn, der vom Tode errettet,“ dann wird es doch auf dem von den Furchen der Trübsal durchzogenen Angesichte so helle, als ob ein Sonnenstrahl aus dem Reiche der Herrlichkeit daran hinge. Es ist die Klarheit des Herrn. Sie geht dann auch mit in deinen Wandel. Alles neue Leben, alle Demut, Wahrheit, Treue, Keuschheit ist ein Schein von der Klarheit des Herrn. Sie steigt mit hinein in alle Nacht des Lebens. Sie leuchtet in der Armut, im Gefängnis, in der Schmach, auf dem Krankenbette und verlischt auch im Tode nicht. Gott hat uns in Christo sein Angesicht wieder zugekehrt, er hat uns in Gnaden angesehen. Was von diesem Gnadenblick von Freude auf unserem Angesichte hangen bleibt, das ist ächte, unvergängliche Freude. Was sich bei dem Lächeln und der Freundschaft der Welt von Freude in uns entzündet, das ist Schein und Feuer zum Tode. An jedem Tage, wo in dir der Sieger über Sünde, Angst und Hölle die alten Fesseln zerbricht, wo du auffliegest mit Flügeln wie ein Adler, wo die Freude über dein Heil die Seele erfüllt, da ist dir dein Heiland geboren und zu neuem Leben gediehen. Und so soll die Botschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren“ von Tage zu Tage ihre Wahrheit in uns behalten. Heute und wiederum heute soll das Herz die Krippe werden, und wiederum heute sollen wir uns freuen an der seligen Tat Gottes, deren Frucht wir in uns erfahren haben. Steht es so in euch, teure Gemeinde, dann ist auch das Wort euer: „Fürchtet euch nicht.“ Die Geburt Jesu Christi ist das rechte Gegenmittel gegen alle Furcht. Will dich deine Sünde kränken, will dich das Gesetz anklagen, so halte ihm als Schild und Schwert das Wort entgegen: Gott hat seines eingebornen Sohnes um meinetwillen nicht verschonet, wie sollte er mir mit ihm nicht Alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes verdammen? Christus ist hier, der gerecht macht.“ Geht es hinunter in Angst und Trübsal, liegt die Zukunft vor dir dunkel und verschlossen, so denke daran, dass der Stern aufgegangen ist aus Jacob, und dass vor ihm doch alle Nacht helle werden muss. Glaube nur, wandle nur in seinem Lichte. Endlich wird die letzte Furcht an euch kommen. Ihr werdet stehen müssen vor Gottes Gerichte. An jenem Tage werden aller Menschen Herzen beben wie die Blätter des Baumes im Herbstwinde. Dann halte dich an den Saum seines Kleides und bekenne vor deinem Vater im Himmel: „Er ist mein und ich bin sein.“ Dann wird auch die letzte Furcht in dir sterben. Seht, liebe Christen, alle diese Gnade ruht mit dem Kindlein in der Krippe. Wer sollte da dem Herrn nicht danken, der das neue Paradies aufgeschlossen hat?

III. Die Armut dankt dem Herrn im neuen Paradies.

Dort singen die Engel. Die Menschen konnten noch nicht singen. Die Hirten hatten Mühe genug, nur die große Tat Gottes erst zu fassen und ihre Gedanken hineinzuordnen. So lange der Geist noch damit zu tun hat, kann er nicht singen. Der Gesang ist die Blume des inwendigen Lebens. Ehe sie aufbrechen kann, muss die Pflanze, muss die Gnade Wurzel geschlagen haben und in unserem Herzen heimisch geworden sein. Bei den Engeln war dies geschehen. Sie hatten sich lange auf diesen Tag gefreut. Es hatte sie lange gelüstet, das Evangelium, unsre Erlösung zu schauen. Sie wussten, wen sie in die Welt hereingeleiteten. Jetzt aber ist das Loben und Danken Sache der Christen. Wir haben Zeit genug gehabt, uns die Gnade anzueignen und sie zu unserem lebendigen Eigentum zu machen. Die Blume kann nun auch in dir aufbrechen. So brich du denn hervor mit deinem Lobliede: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Gott hat seine Ehre wohl verdient. Sein ist die Liebe, welche auch unser verlorenes Geschlecht nicht vergessen konnte. Wie ein Vater seinem verlornen Sohne mit Liebe nachtrauert und nachgeht, so ist Gott dem sündigen Menschengeschlechte nachgegangen. Aus seiner Liebe ist der Vorsatz unserer Erlösung geboren. Seine Weisheit aber hat Weg und Steg zu unserem Heile gesucht. Wo kein Mensch für sich selbst Rat wusste, da hat ihn die Weisheit Gottes für uns gewusst. Und was sie geraten hat, das hat die Allmacht ausgeführt. Groß ist die Schöpfung der Welt; aber sie sieht gleich auf den ersten Anblick aus, wie eine Tat des allmächtigen Gottes. Groß wird einst der Gerichtstag sein, wenn Gott die Erde an ihren vier Enden fasset, die Lebenden zusammenschüttelt und die Toten auferweckt. Aber auch diese Tat sieht dem Wesen des allmächtigen Gottes ähnlich. Größer und mächtiger ist die Tat, dass er so klein wird und seinen eingebornen Sohn herniedergibt in die Gestalt unseres sündigen Fleisches. Da heißt es: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Ehre sei ihm auch für die Treue und Wahrhaftigkeit, mit der er zu seiner Zeit seine Verheißungen erfüllet hat. So singe ihm denn ein Lied im höheren Chor für seine Christgnade. Lobe ihn mit einem Leben, das aus dem neugebornen Heilande geboren ist. Das ist die schönste Harmonie, und der lieblichste Klang in den Ohren Gottes. Und weiter singen die Engel, und du singest es ihnen nach: „Friede auf Erden.“ Das ist ein lieblicher Engelsgruß. Wir sehen darin ihr Herz und ihre Liebe für uns. „Friede sei mit dir,“ war schon der alltägliche Gruß des Volkes Israel. Hast du schon daran gedacht, dass auch dieser Gruß eine Weissagung auf den Herrn war? Es mögen auch Tausende in Israel nicht daran gedacht haben. Sie mögen das Wort auch so gedankenlos als leere Formel hingesprochen haben, wie wir unsere Grüße. Aber wenn sie den Gruß gesprochen hatten und sich dann fragten: „Woher soll der Friede kommen?“ so mussten sie antworten: „Das Gesetz kann ihn nicht geben, das weiß von keinem Frieden, das schafft nur Angst. Es kann ihn nur der Friedefürst bringen, der des Gesetzes Erfüllung ist. Nun der hat ihn auch dir gebracht. Und welchen Frieden? Erst den Frieden mit Gott. Er ist der Mittler worden zwischen uns und ihm. Er hat die Versöhnung unserer Sünden vollbracht durch sein Blut. Das ist der erste Sinn des Engelsgrußes, das erste: „Friede sei mit euch.“

Sodann kennst du einen andern Zwiespalt, nämlich den in dir selbst. Du kennst die zwei Parteien in dir. Auf der einen Seite steht das Gewissen. Das klagt und nagt und will nicht schweigen. Auf der andern Seite stehest du wie du bist, mit allen deinen Sünden. Niemand kann helfen. Kein Sündenbekenntnis wirkt Vergebung, und das Gewissen glaubt keinem Schuldopfer. Da ist er gekommen, er ist auch hier ins Mittel getreten. Wie vor der erhöhten Schlange in der Wüste die Wunden von den Schlangenstichen aufhörten zu schmerzen, so hören sie auch in dir auf, wenn der ans Kreuz Erhöhte vor sie tritt. Das ist die zweite Bedeutung von dem Engelsgruße: „Friede sei mit euch.“ Du musst dann aber auch alles Ernstes wachen, dass du mit deiner Übertretung den Krieg mit Gott nicht wieder anfängst. Wo du ihn wieder beginnst, da ist er auch stark genug, dir neue tiefe Wunden in das Herz zu schlagen.

Und noch eine dritte Bedeutung hat das Wort. Paulus schreibt im Briefe an die Epheser: „Er,“ nämlich Christus, „ist unser Friede, der aus Beiden Eins hat gemacht, der hat abgebrochen den Zaun, der dazwischen war, in dem, dass er durch sein Fleisch wegnahm die Feindschaft, nämlich das Gesetz, so in Geboten gestellt war.“ Israel hatte das Gesetz, die Heiden hatten es nicht. Dem Volke Israel waren die Heiden unrein, den Heiden war Israel ein Volk von Toren. Sie können es ohne Spott fast nicht erwähnen. Die Feindschaft hörte nicht auf. Von den Tagen Mosis bis zu der Zerstörung Jerusalems hat der Kampf zwischen Juden und Heiden nur auf kurze Zeit geruht. Der Herr hat den Zaun, das Gesetz, welches beide trennte, weggenommen, er hat in der Wiedergeburt beide zu Gliedern eines Leibes, ja zu einem Leibe gemacht. Das ist der dritte Sinn des Engelswortes: „Friede sei mit dir.“ Wie mag es jenen Völkern vor der lange belagerten und bestrittenen Stadt heute zu Mute sein, wenn sie, wie es doch wohl von manchem treuen Kriegsknecht in den Heeren geschieht, das Weihnachtsevangelium lesen und an das Wort kommen: „Und Friede auf Erden?“ Der Herr und Friedefürst wolle durch seine heilige Geburt, durch sein Friedensamt und durch dies große Friedenslied helfen, dass das neue Jahr auch bald die Friedensbotschaft bringe. Wir aber, damit wir nicht in die Fremde hinausreden und das eigne Herz vergessen, wollen den heutigen Tag benutzen, in alle Bitterkeit des Herzens, in alle Entzweiung in und außer unserem Hause hinein zu rufen: „Friede sei mit dir.“ Jage nach dem Frieden gegen Jedermann und der Heiligung, ohne welche wird Niemand den Herren schauen. Endlich singen die Engel: „Den Menschen ein Wohlgefallen.“ Was gäb es wohl in der Welt, was uns, wenn wir anders klare Augen haben, so wohlgefallen könnte, wie unser himmlisches Christgeschenk? Und wenn dir Jemand gestern Abend oder heute früh die reichste Verschreibung auf den Tisch gelegt hätte, sie wäre doch nur Staub und Asche gegen die göttliche Christgabe. Sie bleibt denen, die im Glauben bleiben. Sie leuchtet durch alle Nacht hindurch. Wir haben eine Gnade, deren wir uns ewig freuen können. Wache du nur, dass du sie durch deine Sünden nicht verscherzest. So fasse denn dein Leben zusammen zu einem lebendigen Liede, welches aus den drei Strophen unseres Liedes besteht. Die erste mag lauten: „Meines Lebens höchstes Ziel ist die Ehre Gottes.“ Die zweite mag lauten: „Meines Lebens größter Schatz ist der Friede mit Gott in Christo Jesu.“ Und die dritte mag lauten: „Meine innigste Freude habe ich an dem Sohne Gottes, der Mensch ward. Mein Herz freut sich Gottes meines Heilandes.“ Amen.

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