Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - XV. Die Todesrüstung.

Ahlfeld, Friedrich - Das Alter des Christen - XV. Die Todesrüstung.

Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben.
(Jes. 38,1).
Darum wachet; denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird.
(Matth. 24,42).

Das Leben ist uns gegeben, um selig sterben zu lernen. Wer das kann, hat genug gelernt. Weil wir aber nicht wissen, zu welcher Stunde uns der Herr abfordern wird, sollen wir stets in Todesbereitschaft stehen. Auch der Jüngling soll sein Grab neben sich sehen, auch er soll sich vom Tode beraten lassen. Wer sich vom Tode raten lässt, der ist gut beraten. Wer seinen inneren und äußern Wandel so führt, wie wenn er jeden Augenblick zur Rechenschaft vor den Herrn treten müsste, der führt ihn gottselig. - Das erste Stück in deiner Todesrüstung - und Gott schenke es dir recht frühe im Leben! - besteht darin, dass du dich im Glauben in der ewigen Heimat recht fest anbauest. Es gibt ein uraltes Gleichnis, welches unsere Väter über ein halbes Jahrtausend zur Warnung mit sich getragen haben1). Es lautet etwa so: In einem weiten stürmischen Meere gibt es eine große schöne und reiche Insel. An ihre Ufer wird alljährlich nackt und bloß ein schiffbrüchiger Mann geworfen. Die Bewohner der Insel nehmen ihn freundlich auf, geben ihm von allen ihren Gütern und machen ihn zum Könige der ganzen Insel. Er hat es gut, er lebt in Freude und Herrlichkeit. Mitten im Jahre tritt ein Greis an ihn heran und sagt ihm leise: „Jetzt hast du es gut und lebst in Fülle; aber siehe dich vor, deine Herrlichkeit dauert nur ein Jahr. Ist das verlaufen, so setzt man dich nackt und bloß, wie du gekommen bist, in einen Kahn und lässt dich hinübertreiben an das große Festland, welches du dort von ferne siehst, wo du darben und in Elend verkommen musst. Ein Andrer tritt hier an deine Stelle. Ich will dir einen guten Rat geben, wenn du dir anders raten lassen willst. Jetzt hast du die Macht in den Händen. Säume nicht, lass Schiffe ausrüsten, lade alles Nötige hinein, baue dir drüben ein Haus und lege Vorräte dort nieder, damit du, wenn deine Zeit hier aus ist, dort eine bleibende Stätte hast.“ Etliche glauben dem Alten und tun beizeiten nach seinem Rat; sie tun wohl und sind für die Zukunft geborgen. Andere finden seinen Rat lächerlich; sie meinen, die Herrlichkeit, in welcher sie jetzt leben, kann nie zu Ende geben. Sie erklären auch die ganze Erzählung von jenem Festlande für ein Märlein. Was der Alte am Horizonte sieht, soll ein Wolkenstreifen oder ein Blendwerk seiner altersschwachen Augen sein. Noch Andere stimmen ihm bei, meinen aber, mit dem Hinüberschiffen habe es ja noch Zeit, das könne im Herbste auch noch geschehen. Und so hat es immer noch Zeit. Kommt aber der Herbst, dann stürmt es so um die Insel, dass er unter dem Brausen der Wellen an die Überfahrt kaum zu denken wagt und keinen Mut zu derselben hat. Das Jahr ist verlaufen, er weiß nicht wie, und die Weissagung des Alten wird wahr im schwersten Sinne des Wortes. Wer aber im Lenz und Sommer fleißig drüben gewesen ist und sich angebaut hat, der fährt zuletzt auch unter Sturm und Wetter getrost in seinem Kahne ab. Er weiß gewiss, dass er doch an dem Festlande und an seinem neuen Hause landet. Du verstehst das Gleichnis. Der Mann, welcher nackt und bloß an der Insel landet, bist du selbst. Die Insel ist die Erde; Gott macht dich auf eine kleine Zeit zum Herrn und König über dies Eiland in dem wüsten Meer der Zeit. Das Festland am Horizont ist die Ewigkeit, geteilt in Himmel und Hölle. In dem Alten stehen die Propheten und Apostel und alle erfahrenen Kinder Gottes vor dir. Das Schiff, auf welchem du hinüberfahren sollst, ist der Glaube. Er hat drüben seine ewige Hütte, erbaut aus Gottes Gnade und dem Verdienst des Herrn. In diese Hütte kehrt er, dieweil wir auf Erden wallen, gern ein und macht sich dort heimisch. Der Christ lebt in der Zeit für die Ewigkeit. Er macht sich Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit sie ihn, wenn er hier darbt, aufnehmen in die ewigen Hütten. Darum kann er denn auch in seiner letzten Stunde getrost die Erde verlassen und über das letzte Meer hinüber fahren in das Land der Herrlichkeit.

Wer aber der Erde gelebt hat, muss doch fort von der Erde. In den Himmel kann er nicht kommen, denn er hat den Himmel nicht in sich kommen lassen; an Gottes Herz kann er nicht kommen, denn er hat Gott nicht in sein Herz kommen lassen. In den Himmel geht man nur ein mit einem für den Himmel bereiteten Herzen. Er geht in das öde Festland - fest ist es, denn er bleibt dort für alle Ewigkeit - in dem er Gott nicht schaut, über dem keine Gnadensonne scheint. Also rüste dich von Jugend auf zu einer seligen Heimfahrt, denn du weißt nicht, wie lange dein Jahr hier dauert!

Wenn du aber alt geworden bist, siehe die hohen Jahre noch in besonderem Sinne als Rüstzeit an. Schließe ab in deinem Herzen, brich ernstlich mit der Welt. Halte täglich über dich ein scharfes Gericht. Haben sich alte Lieblingssünden durch das ganze Leben mit hindurchgeschlichen, so brich über sie jetzt recht ernstlich den Stab. Richte sie im Sündenbekenntnis in deinem Kämmerlein und in der Beichte, und kämpfe einen redlichen Kampf gegen sie. Verschiebe Nichts von deiner Buße auf das Jenseits. Die Schrift weiß von keinem Zwischenzustand, in dem sich die, welche den Herrn gekannt, aber verachtet haben, noch zu ihm bekehren könnten. Wir müssen Alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse (2 Kor. 5,10). - Geh mit deinen Gedanken fleißig hinauf in den Himmel. Stelle dich hin vor deinen Heiland und siehe ihn, wie er ist. Tritt ein in den Chor der Seligen; lass alle vor deiner Seele hindurchgehen, auf deren Wiedersehen oder erstes Sehen du dich freuest. Denke dich hinein in die Herrlichkeit, die dort an dir wird geoffenbart werden. Da hinkt kein Äneas mehr, da sitzt kein Lahmer mehr am Teiche Bethesda, da wird kein Gichtbrüchiger mehr auf dem Bett getragen, da liegt kein Lazarus mehr mit seinen Schwären vor der Tür. Alle die Seinen hat der Herr erneuert zu einem unvergänglichen und unverwelklichen Leben. Die alte Not steht dahinten wie die Wolke, welche vorübergegangen ist und nur noch dazu dient, den Glanz und die Klarheit der Sonne recht hervorzuheben, wie der lange harte Winter, nach dem der freundliche Lenz um so wohler tut. Lies und singe fleißig die Lieder von der Seligkeit und Herrlichkeit bei dem Herrn, als:

Es ist noch eine Ruh' vorhanden:
Auf, müdes Herz, und werde Licht! etc.

oder:

Unter Lilien jener Freuden
Sollst du weiden:
Seele, schwinge dich empor! etc.

oder aus dem Liede: „Alle Menschen müssen sterben,“ die Verse:

Da wird sein ein Freudenleben,
Da viel tausend Seelen schon
mit Himmelsglanz umgeben,
Dienen Gott vor seinem Thron;
Da die Seraphinen prangen
Und das hohe Lied anfangen:
„Heilig, heilig, heilig heißt
Gott der Vater, Sohn und Geist.“

Da die Patriarchen wohnen,
Die Propheten allzumal;
Da auf ihren Ehrenthronen
Sitzet die gezwölfte Zahl;
Wo seit so viel tausend Jahren
Alle Frommen hingefahren;
Da wir unserm Gott zu Ehren
Ewig Halleluja hören.

Ehe der Vorhang auf dem Theater aufgeht, stimmen die Musiker vor demselben ihre Instrumente, damit sie, wenn er aufgegangen ist, gleich in reinem Tone anstimmen können. Lieber Alter, dein Vorhang geht auch bald auf, stimme fleißig, damit du dann in den Chor der himmlischen Gemeinde mit reinem Ton einfallen kannst.

Wenn du in der Kirche bist, - und auch die Alten sollen wie Simeon und Hanna fleißig dort sein! - so siehe aus der Gemeinde in der Kirche fleißig auf die, welche um die Kirche herum schläft, und von ihr auf die, welche droben am Throne des Herrn lebt und wacht. Halte dir in deinen Gedanken den Himmelsweg recht gebahnt.

Auf der andern Seite gehe fleißig mit dem Tode um. Gehe ihm nicht aus dem Weg, es hilft dir doch nichts. Er kommt zu dir, wenn du auch nicht zu ihm kommen willst. Unsere Väter ließen sich schon bei Lebzeiten ihren Sarg und ihr Totenhemd machen. Der Sarg stand in einer Kammer und das Hemd lag darin. Sie besahen sich von Zeit zu Zeit ihr letztes Kleid und ihre letzte Bettsponde. Schaden würde es uns gewiss nicht, wenn wir ihnen dies nachtäten. Indessen geh nur fleißig auf den Gottesacker. Hast du da eine Familiengruft, so stelle dich an sie hin und denke an deinen Platz da unten und an die Nachbarn, die deiner dort schon warten. Hast du keine, so wähle und kaufe, wenn du kannst, dir dein Plätzchen schon bei Lebzeiten. Es ist gewiss gut, zuweilen an dem Orte zu stehen, wo uns unser letztes Kämmerchen gebaut wird. Auf dem neuen Leipziger Gottesacker scharf an einer Ecke liegt ein großer viereckiger Grabstein mit zwei starken eisernen Klingen. Ich blieb einst an diesem Steine stehen und las darauf: „Hier ruhet in Gott Johann Gottfried H., geboren den -“ Weiter las ich nicht. Etliche Jahre später geleitete ich einen schlichten frommen Bürger zu Grabe. Als wir auf den Gottesader kamen, hielt der Leichenwagen an jener Ecke. Jener mächtige Stein war abgehoben, und nun stand ein sauber ausgemauertes Grab, in dem noch Niemand ruhte, vor mir offen. Verwundert blickte ich auf den Stein; ich las jetzt die Inschrift fertig. Nach dem Datum der Geburt folgte „gestorben“, und dann folgte ein leerer Raum in der Zeile. Der Vollendete hatte sich auch seinen Grabstein bei Lebzeiten fertigen lassen. Die Witwe hatte nur noch dafür zu sorgen, dass hinter dem „gestorben“ der Todestag eingehauen wurde. Das ist auch ein Stück Todesrüstung, wenn es auch nicht Jeder so einrichten kann oder will. Dem alten Manne ist solches Umgehen mit seinem Tode und Grabe gewiss zum Segen gewesen.

Tritt im Geist zum Grab oft hin,
Siehe dein Gebein versenken.
Sprich: Herr, dass ich Erde bin,
Lehre du michs selbst bedenken!
Lehre du michs jeden Tag,
Dass ich weiser werden mag!„

Mache beizeiten dein Testament. Hast du Mittel, so vergiss die Armen und die Anstalten, welche am Bau des Reiches Gottes unter Christen und Heiden arbeiten, nicht. Unter deine Kinder verteile dein Gut so, dass hinter deinem Grabe keine Zwietracht aufwachsen und keins klagen kann: „Mein Vater hat mich weniger lieb gehabt als die andern Geschwister; er hat mich ihnen gegenüber im Erbe verkürzt.“ In dein Testament schreibe auch die Ehre Gottes mit hinein. Er, der dich von Kindheit an auf Adlersflügeln der Liebe getragen und auch nicht verlassen hat, da du schwach wurdest, hat es wohl um dich verdient, dass das erste Wort deines letzten Schriftstückes ein Dank für ihn und ein Preis seiner Gnade sei. Singt der Schwan, wenn er sterben soll, so solltest du wohl deinem Gott nicht singen. Moses scheidet mit einem Lobliede von der Erde; du hast viel mehr zu loben als er. Deine Kinder befiehl auch in deinem letzten Willen der Gnade des Herrn. Schreibe die Bitte mit hinein, dass er sie im Glauben erhalten wolle bis an ihr Ende. Lass dir nicht einreden, dass so hohe Dinge nicht in dieses Aktenstück, das wesentlich von irdischen Gütern handle, gehören. Die irdischen Güter werden durch die himmlischen geheiligt. Solcher Eingang im Testamente bauet den Frieden unter den Kindern und steuert dem Murren, welches trotz deines besten Willens in einem derselben aufkommen könnte. Der Ton der Ehre Gottes, in diesem Schriftstück angeschlagen, klingt fort durch das Leben Aller, welche als Erben darin stehen; klingt noch fort, wenn das andere Gut vielleicht längst verloren gegangen ist. Und das muss ja dein liebster Wunsch sein. Siehst du dein Ende nahen, so segne deine Kinder. Segnend haben Noah, Isaak, Jacob, Tobias und tausend andere Fromme die Ihrigen verlassen, und segnend ist der Herr von den Jüngern geschieden. Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser. Segne auch das Kind, das dir hier schweren Kummer gemacht hat, mit brünstigem Gebete recht von Herzen, auf dass ihm hier und dort doch noch ein Haus gebaut werden möge.

Dann wolle es dir der Herr schenken, dass du noch einmal in einer rechten Beichte dein Herz ausschütten und die Vergebung der Sünden in dem heiligen Sakrament empfangen kannst. Und konnte Elias, nachdem er sich mit seinem gerösteten Brote und seiner Kanne Wasser erquickt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Horeb gehen, so kannst du in Kraft dieser Speise auch durch das dunkle Todestal gehen. Und wem wollen wir nun einen Alten, der so rings herum Alles fertig gemacht hat, vergleichen?.

Einem Schiffer, der seine Ladung und seine Leute an Bord genommen, der seine Papiere geordnet, Schiff und Ladung wohl versichert und von seinen Freunden Abschied genommen hat. Nur ein kleiner Kahn schwimmt zwischen ihm und dem Festlande noch hin und her. Der Schiffer wartet nur noch auf günstigen Wind, um die Anker zu lichten und die Segel auszuspannen.

Oder einem Reisenden, der seine Rechnung bezahlt, das Billet gelöst, und sein weniges Gepäck im Arm hat und wartet, dass der Eisenbahnzug abgehen soll.

Ein Wartezimmer ist die ganze Welt.
Wir warten, bis der Hammer auf die Glocke fällt,
Wir warten, bis der Zug vor unsrer Türe hält,
Wir warten, bis zum Abgang die Trompete geht.
Wir warten, ob wir weinen oder lachen,
Wir warten, ob wir schlafen oder wachen;
Wir warten in der hohlen Langeweile,
Wir warten in der fieberhaften Eile ;
Wir warten, wenn uns nach dem Ziel verlanget,
Wir warten, wenn uns vor ihm graut und banget.

Und wenn wir ausgewartet wo dann hin?
Auf Gottes Gleis, und nicht nach deinem Sinn!
Dicht vor der Pforte teilet sich die Bahn:
Rechts geht es im Eliasfluge himmelan,
Lints geht's hinab in sonnenlose Nacht,
In Gottes-Ferne und eiskalten Schacht.
Da gilt kein Rufen und kein menschlich Lenken,
Aus ist es mit der Wahl nach eignem Denken.
Drum nimm dir ja bei Zeiten ein Billet,
Auf dem „aus Gnaden“ und „nach Zion“ steht!

1)
Das älteste Buch, in dem ich es, wenn auch in etwas anderer Gestalt, gefunden habe, ist Barlaam und Josaphat von Rudolph von Montfort aus dem 13ten Jahrhundert. Ausgabe von Köpke, Seite 127.
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