Ahlfeld, Johann Friedrich - Des Menschen Sohn ist gekommen zu suchen, was verloren ist.

Ahlfeld, Johann Friedrich - Des Menschen Sohn ist gekommen zu suchen, was verloren ist.

(3. Sonntag nach Trin. 1848.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Lukas 15, V. 1 -10.
Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, dass sie ihn hörten. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat, und so er der Eins verliert, der nicht lasse die neun und neunzig in der Wüste und hingehe nach dem verlorenen, bis dass er es finde? Und wenn er es gefunden hat, so legt er es auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heim kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über Einen Sünder, der Buße tut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Oder welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der Einen verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis dass sie ihn finde? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir. denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Gar reich und wert, in Christo Jesu geliebte Freunde, ist dieses 15. Kapitel des Evangelii Lukä. Es enthält die drei Gleichnisse vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen, und vom verlorenen Sohn. Es enthält in ihnen in tiefen Zügen den Gang der Bekehrung des Menschen. Es dürfen aber die beiden ersten nicht ohne das letzte, das letzte nicht ohne die ersten betrachtet werden. Wenn wir die beiden ersten allein hätten, dann könnte der träge Sünder denken: „Ei das ist ja vortrefflich. Der Herr sucht das verlorene Schaf und trägt es in seine Wohnung. Da lasse ich es an mich kommen. Ich lebe, wie ich will, ich laufe, wohin ich will. Endlich kommt er und sucht auch mich und trägt mich in seine Himmelswohnung, wenn ich mich auch zeitlebens um seine Hirtenstimme nicht gekümmert habe. Weiter will ich Nichts haben. Dann bin ich auch so weit wie die, welche sich mit ernster Buße das Leben sauer gemacht haben.“ So ist es aber mitnichten. Du musst hier aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn das Ergänzungsstück herübernehmen. Von ihm heißt es: „Und er schlug in sich. Er sprach bei sich selbst: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ - Hätten wir aber wiederum das dritte Gleichnis allein, so könntest du leicht auseinander kommen mit unserer evangelischen Lehre, in der es heißt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann,“ und: „und es kann Niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater.“ Und diesen Zug des Vaters merken wir auch an dem verlorenen Sohn. Im Evangelium sind zwar die geheimen Fäden der Liebe nicht bezeichnet, wir entnehmen sie aber den beiden ersten Gleichnissen. So erst wird das Kapitel ein Ganzes. Es steht in ihm neben einander, was Gott an dem Menschen tut, und was dann der Mensch, ergriffen vom Geist Gottes, vor Gott tut. Billig aber stehen unsere beiden Gleichnisse voran. Erst ruft und zieht er, dann folgen wir. Erst muss das Kind von der Mutter geboren, gehegt und gepflegt werden, ehe es ihr wieder entgegen laufen kann. So haben wir denn heute vor allen Dingen die liebe Gottesarbeit an unseren Seelen vor uns. - Wenn doch unter dieser Betrachtung der Herr recht an unseren Seelen arbeiten wollte, dass wir zugleich die ersten Gleichnisse von seinem Suchen und auch das von unserem Kommen in uns erfüllt fühlten! Wir stellen unserer weiteren Andacht als Hauptgedanken voran:

Der Menschensohn ist gekommen zu suchen, was verloren ist. Wir sehen seine Mühe, seinen Erfolg und seine Freude.

Wenn ein Schaf verloren ist.
Suchet es der treue Hirte;
Jesus, der uns nie vergisst.
Suchet treulich das Verirrte,
Das ist, was mich retten kann:
Jesus nimmt die Sünder an.

Ich Betrübter komme hier
Und bekenne meine Sünden;
Lass mein Heiland mich bei dir
Gnade und Vergebung finden,
Dass dies Wort mich trösten kann:
Jesus nimmt die Sünder an. Amen.

I. Des Herrn Mühe.

Es ist eine so köstliche Seite an den Reden Jesu, dass sie allzumal so frisch aus dem Leben quellen. Er hat nicht zu Hause auf der Studierstube gesessen und sich besonnen, was er den Leuten sagen soll. Nein, wie es das Leben fordert, so quillt sein Wort hervor. Er hat allewege das rechte Wort. Er hat es darum, weil er selbst die Wahrheit ist. Und die Wahrheit selbst kann sich nicht vergreifen.

Heute sehen wir ihn stehen oder sitzen in einem großen Kreis. Zunächst an seine Seite hatten sich die Pharisäer und Schriftgelehrten gedrängt. Die meinten, der Ehrenplatz gebühre ihnen. Sie hielten sich für die Honoratioren vor Gott und seinem lieben Sohn. Sie meinten, er solle sich ganz besonders mit ihnen beschäftigen. Aber es war ganz anders. Er ließ sie mit ihrer stolzen eigenen Gerechtigkeit sitzen; die Zöllner und Sünder aber, wie sie einzeln oder in Haufen sich herandrängten, nahm er an, predigte ihnen Buße; und wo er sah, dass der Blitz des göttlichen Wortes einschlug, und das alte harte Herz zerscheiterte, da redete er auch von Gnade und Vergebung der Sünden. Ja, da es zum Essen ging, setzte er sich unter sie. Das verdross denn die vornehmen, stolzen Herrn gar nicht wenig. Sie murrten und sprachen: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Mögen wohl mit den Köpfen dabei geschüttelt, mit den Augen gewinkt und etwas verächtlich auf die Seite gedeutet und von „sich Wegwerfen“ gesprochen haben. Wir kennen diese alte Pharisäerweise. Sie kommt ja leider in der Kirche Christi auch heut noch oft genug vor. Der Grundgedanke dieser Herzen ist: „Armer Sünder, bleib du, wie du bist, ich kümmere mich nicht um dich. Ich halte dir etwa aus der Ferne eine stolze Strafpredigt, aber dass ich dir nahe kommen sollte, das geht nicht. Ich bin ein Gerechter, ein Heiliger Gottes.“ Dabei betrügen sie zuerst sich, denn mit ihrer Gerechtigkeit ist es Nichts; und dem armen Sünder wird auch nicht geholfen. Nun legt ihnen der Herr seine Stellung gegen den armen Sünder vor. Er tut es noch wörtlich, denn tatsächlich hat er es schon getan. Er tut es in unseren beiden Gleichnissen. Er ist der Mensch, der die hundert Schafe hat, der die neun und neunzig in der Wüste lässt, und der hinzieht und das verlorene sucht. Er ist das Weib, das zehn Groschen hat, das einen verliert und nun ein Licht anzündet und das Haus kehrt um den einen verlorenen Groschen. Das verlorene Schäflein, der verlorene Groschen sind wir, Jeglicher unter uns. Oder wollen wir es nicht sein? Wer sich nicht dazu bekennen will, der gehört zu den Neunundneunzigen. Wes Geistes Kinder diese aber sind, siehst du schon aus dem einen Wort: „Er lässt die Neunundneunzig in der Wüste.“ Es ist die Wüste des Hochmuts; sie meinen, sie bedürfen keiner Buße, keiner Erneuerung des Herzens, sie brauchen von dem Heiland nicht gesucht zu werden. Dabei sind sie in der Wüste und bleiben in der Wüste. Ihr Herz hat keine Erquickung. Da rinnen keine Gnadenbäche, da weht kein Frühlingswind. Die sich voll und satt dünken, werden vor Hunger sterben. In der Demut senkt und niedrigt sich die Seele. Nur nach den Niederungen fließen die Wasser. Aus den stolzen Höhen liegt Schnee, Schnee des kalten Wissens. Zuweilen taut es unter den Wallungen des Gemütes. Aber das Wasser läuft ab. Es wächst kein Brot des Lebens.

Er aber geht den Verlorenen nach, d. h. denen, welche sich in ihrem Herzen nicht verleugnen, dass sie von Gott abgefallen sind und sich schwer an ihm versündigt haben, welche sich die Himmelstür nicht mit selbst gehauenen Werkstücken zugemauert haben. - Da sieh denn seine Mühe. Er sucht das Verlorene. Immer geht er dir nach. Meistenteils bemerkst du es gar nicht. Plötzlich aber offenbart er sich dir. Du musst bekennen: Das war er, der mich suchte. Er hat aber bei diesem Suchen gar verschiedene Weisen. Ein Hirt bricht wohl von den Weiden am Bach einen Zweig ab und hält ihn dem verscheuchten Schäflein vor, dass es wieder zur Herde komme. Jede Gnade und Güte, die dem Sünder widerfährt - denn Gott lässt ja seine Sonne aufgehen über Gute und Böse und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte - ist ein solcher Zweig, den dir der Erzhirte Israels vorhält, dich damit zu locken. Siehe du aber ja nicht allein den Zweig, sondern auch die Hand, die ihn dir reicht. Lass dich die Güte Gottes zur Buße führen! Ein Hirt ruft dem Verirrten nach mit seiner bekannten Stimme. Der Erzhirte Israels ruft dir nach mit den Stimmen seines Worts. Er ruft auch denen nach, die lange nicht auf dieses Wort geachtet haben. Ein Kaufmann, Der im Land hin und her reiste und seine Waren anpries, hatte lange nicht an Gottes Wort gedacht. Die eine kostbare Perle war nicht in seinen Handel gekommen. Da zerbrach einst in einem Dorf ein Rad an seinem Wagen. Er konnte nicht weiter. Der Wagen musste erst ausgebessert werden. Er bat den Prediger des Dorfes, dass er ihm ein Nachtquartier gäbe. Dieser willigte ein. Als er auf sein Schlafzimmer kam und sich da umsah, fand er eine Bibel auf dem Tisch. Er blätterte darin. Ernst war es ihm nicht, denn das alte Buch war ihm im Unglauben fremd geworden. Beim Blättern blieb das Auge haften auf einem Spruch. Und welcher war es? Der: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und wes wird es sein, das du bereitet hast?“ Da schlug der Mann in sich. Dieser Spruch tat ihm einen ähnlichen Dienst, wie dem Petrus der Hahnenschrei in der Nacht vor dem Karfreitag. Der Herr hatte ihn gesucht und gefunden. Hat er dich noch nie gesucht? Hast du nie seine Hand verspürt, die dich am Zipfel des Kleides oder auch am Arme fasste, um dich aus der Sünde herauszuziehen? O ja, hast's auch schon gefühlt. Wenn du es aber nicht gefühlt hast, so ist deine Herzenshärtigkeit Schuld. Hast lieber dem Zufall oder dem Glück die Ehre geben wollen als deinem Heiland.

In seiner Mühe und Arbeit müssen wir aber noch einmal beide Gleichnisse scharf ins Auge fassen. Beim verlorenen Schaf heißt es bloß: „Er geht hin nach dem verlorenen, bis dass er es finde.“ Bei dem Weib mit dem verlorenen Groschen heißt es: „Sie zündet ein Licht an, sie kehrt das Haus, sie sucht mit Fleiß, bis dass sie ihn finde.“ Der Herr ist das Weib, sein Haus ist die ganze weite Kirche. Der verlorene Groschen sind verirrte Seelen. Es kommen in der Kirche Zeiten, wo er mit dem Besen der Trübsal das Haus fegt. Der verlorene Groschen, der mit Staub bedeckt im Winkel lag, soll zu Tage kommen, soll blank hervorschimmern. Hoch fliegt der Staub bei dieser Arbeit auf, aber das reine Silber leuchtet durch den Staub hindurch. Merkst du es nicht, wie der Herr jetzt das Haus fegt? Der alte Staub, der in der Zeit auf deinen Glauben gefallen war, soll herunter. Der Glaube, der in ein einsames Herzenswinkelchen zurückgeschoben war, soll hervor. Staub sehen wir genug, wenn nur erst auch recht viele verlorene Groschen, verirrte und zurückgekehrte Seelen, aus ihm herausleuchteten! Dass das Weib in solchen Zeiten das Licht anzündet, kann dich nicht befremden. Gerade wenn solche Trübsale einbrechen, wird das Wort Gottes unter dem Scheffel wieder hervorgezogen und auf den Leuchter gestellt. Not lehrt glauben und beten. Wenn Trübsal da ist, so suchen sie den Herrn, und wenn er sie züchtigt, rufen sie ängstlich. Hat der Herr mit den Nöten dieser Tage auch bei dir das Licht wieder angezündet, oder wenn es düster brannte, die Schnuppe abgestoßen? Er will es tun, er will auch dich in dieser Zeit suchen und finden.

Und die er gefunden hat, wie behandelt er die? Der Mensch, der hundert Schafe hatte, nimmt sein verlorenes und wiedergefundenes auf die Achsel mit Freuden und trägt es nach Hause. Hat er dich gesucht, hast du dich finden lassen, so trägt er dich auf den Armen seiner Barmherzigkeit. Ruhst du wieder in seinen Armen, dann wird dir das Kreuz so leicht, der Kampf gegen den Versucher ist auch leichter, dein ganzes Leben wird ein anderes. Er trägt dich, er hält dich mit der rechten Hand seiner Gerechtigkeit. Seine Mühe geht mit in deine Sünde, seine Treue begleitet dich in deiner Buße.

Der Platz, der Ort des Herrn ist mitten unter den Sündern. Der Arzt hat seine Stätte zumeist am Krankenbett. Der Heiland hat seinen Ort da, wo das Unheil ist. Der Erlöser gehört dahin, wo die Gebundenen sind, die los sein wollen. Wer Fische fangen will, muss aufs Meer; wer Erze zu Tage bringen will, muss in den Schacht. Wer Sünder zu Gott führen will, muss unter die Sünder. Jeder Christ, der es ernstlich meint mit seinem und dem Heil seiner Brüder, soll es darin seinem Herrn nachtun. Wie er soll er den Seelen nachgehen, soll die Person nicht ansehen. In einer verlorenen Seele ist so viel verloren, wie in der anderen; in einer gewonnenen Seele ist so viel gewonnen, wie in der anderen. Wenn wir doch aber auch mit solcher Sicherheit unter die Sünder treten könnten wie er! Er ward unter ihnen nicht verunreinigt. Die Sonne geht hin über Sümpfe und Moraste, und ihre Strahlen bleiben so rein, wie sie waren. Der Lehrer hat alle Tage zu tun mit Kindern und wird doch nicht kindisch. Wenn wir aber viel stehen unter den Sündern, so läuft unsere Seele Gefahr, dass sie in dieselbe Schuld und Verdammnis falle. Wie soll ich es nun hier halten in der Nachfolge Christi? Du, der du noch nicht fest geworden bist in dem Dienst des Herrn, bleibe weg. Man bringt ja nicht Flachs oder Werg ans Feuer, es brennt sonst gar leicht an. Du aber, der du meinst: „Ich bin fest, ich kann schon hingehen, ich kann das Werk Christi da treiben,“ geh nicht allein, geh in seinem Namen, geh im Gebet, halte dich auch unter ihnen in seiner Gegenwart, so kann dir sein Werk an ihnen gelingen, so kannst du sein Rüstzeug werden Seelen zu retten. Aber deine eigne Kraft bricht gleich wie ein morscher Schaft. Wolltest fremde Seelen fangen und bist selbst verloren gegangen. Nur die Mühe in ihm ist treu - nur die Mühe in ihm siegt. -

II. Welches ist der Erfolg der Mühe Christi.

„Und wenn er das verlorene Schaf gefunden hat,“ heißt es von dem Menschen, der hundert Schafe hatte, „und wenn sie den verlorenen Groschen gefunden hat,“ heißt es von dem Weib, das zehn Groschen hatte. Muss denn der Herr die Seelen nicht finden? Nein, es steht hier wenn. Er kennt doch alle, er sieht doch alle, er sieht alle ihre Wege, er geht doch allen nach - und doch heißt es: „wenn er sie gefunden hat.“ Wo fehlt es nun? Nicht an ihm. An uns liegt es, dass das Wenn dastehet. Es ist jedem Menschen diese Freiheit gegeben: er kann sein Ohr verschließen vor der Stimme seines guten Hirten. Gott hat von Ewigkeit her keinen Ratschluss gefasst, dass du selig werden musst. Er zwingt Niemand zur Buße, er zwingt Niemand zum Glauben. Sein Gnadenreich ist kein Gefängnis, in das er die Seelen mit Gewalt führte. Wer nicht selig werden will, wer sich verhärtet vor dem Suchen Gottes von Jahr zu Jahr, der hat die Freiheit, verloren zu gehen und verdammt zu werden. Es ist wahr, Christus wendet allen Ernst an das Suchen. Ergreifend ist es oft, wie er dem Sünder nachgeht. Wir haben Beispiele, wie ein Mensch in eine Kirche kommt. Da wird ihm sein Herz gezeigt, wie es ist. Seine Sünden werden ihm aufgedeckt. Er kann nicht leugnen. Da denkt er wohl: „Da gehe ich nicht wieder hin, was soll ich mich denn aus meiner Ruhe rütteln lassen.“ Er geht in eine andere. Da geht es ihm ebenso. Er hört es gar mit denselben Worten, wie wenn sich beide Prediger verabredet hätten, wie wenn es beide auf seine Person gemünzt hätten. Er kommt an einen dritten Ort, vielleicht in weiter Ferne. Da wird ihm dasselbe Wort entgegengedonnert. Wenn nun sein Herz nicht geworden ist wie kalter, nackter Fels, dann muss es durchbrochen und weich gemacht werden, dann muss er zur Buße kommen. Aber es gibt auch Felsenherzen, die härter sind, denn die alten Granit- und Porphyrhäupter unserer Gebirge. In diesen sammelt sich doch wohl in den Spalten etwas Erde, und in die Erde fällt das Samenkorn einer Tanne oder Fichte. Das Korn wächst, und die starken Wurzeln treiben den Riss weiter auseinander. Spalt und Erde und Wurzeln gehen immer tiefer. Selbst auf den Lavaschichten an feuerspeienden Bergen wachsen nach langen Jahren Gräser und Blumen. Aber Menschenherzen gibt es, auf die ganz vergebens gesät ist, die der Herr ganz vergebens gesucht hat. Der Mensch hat in seiner Freiheit das Vorrecht, härter und unfruchtbarer zu sein als Stein und Lava. Auf großer Freiheit liegt auch großer Fluch. Ist etwa dein Herz ein solches? Du kannst es erkennen. Wenn er dich sucht, versteckst du dich dann? Er ruft dir zu: „Tue Buße, ziehe den alten Menschen aus, ziehe den neuen Menschen an! Du Ungläubiger lerne glauben! Du Liebloser lerne von deinem Gotte lieben! Du Lügner lerne Wahrheit reden! Du Unzüchtiger werde keusch!“ Versteckst du dich dann in den Busch der guten Werke und Entschuldigungen: „Ich habe ja doch so manches Gute getan; es ist ja so gar arg nicht mit mir; es sind Andere da, die dieselben Sünden viel ärger treiben“ - dann sucht er dich, und du lässt dich nicht finden. - Er sucht dich in Freude und Kreuz. Wenn er dich krönt mit seinem Gut, wenn er deinen Beruf und dein Haus und deine Familie segnet über Bitten und Verstehen, dann sucht er dich. Wenn er dich schlägt, dass seine Züchtigungen auf deine Sünde fallen, wie die Schläge auf den Amboss dann sucht er dich. Versteckst du dich dann in das Gebüsch des Zufalls und des Ungefährs? Er sucht dich oft in den Kreisen deines Umgangs, in deiner Gesellschaft. Wird es dir da unbehaglich, wenn von Gottes Wort, von Buße und Glauben und gerade von deiner Sünde die Rede ist? Suchst du dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, oder, wenn dies nicht geht, selbst wegzukommen? Ist es so, so entläufst du ihm, indem er dich sucht. Denn dich, ja dich hat er gerade gesucht. -

So lange du es so treibst, ist freilich das Wenn, „Wenn er es findet,“ noch eine ungewisse Sache. O höre auf vor ihm dich zu verstecken, fliehe nicht länger in deine Entschuldigungen, in um so größere Sünden, mit denen du seine Stimme übertäuben willst. Fliehe und fliege lieber an sein Herz. Da bist du sicher. Vor Gott ist keine Flucht, denn nur zu ihm. Als der Mensch das verlorene Schaf wieder gefunden hatte, als es wieder in seiner Herde unter seiner Hut ging, da war es sicher vor den Wölfen, die das einsame erhaschen und zerreißen. Als das Weib seinen verlorenen Groschen wieder gefunden hatte, da war er sicher, dass ihn der Rost nicht verderbte. Und wenn deine Seele sich wieder hingegeben hat in Gottes heilige Hut, in die Zucht des Glaubens und des Gesetzes, dann ist sie sicher, dass sie der Rost der Welt nicht zerfresse. Lässt du dich aber nicht finden, so lässt dieser Rost nicht nach, so frisst er weiter, bis auch das letzte Restchen von Silbergehalt verdorben ist. -

Und nun frage dich, ob er dich schon gefunden hat, ob du dich schon hast herausrufen lassen aus dem Getriebe der Welt in die stille Hütte der Gnade? Kannst du schon aus eigener Erfahrung singen: „Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, Wenn ich in deiner Liebe ruh?“ Wohl dir, wenn du es in Demut kannst. Aber leider ist es wahr, dass an Vielen seine Arbeit vergebens gewesen, ist. Viele hat er gesucht, aber Wenige haben sich finden lassen. Wo Christus aber eine Seele gefunden hat, da hat er die

III. größte Freude darüber.

Jener Mensch, der hundert Schafe hatte, ruft, als er das verlorene wiedergefunden, seine Freunde und Nachbarn und spricht: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.“ Und das Weib, das zehn Groschen hatte, rief, als es den verlorenen gefunden hatte, seine Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sprach: „Freut euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte.“ Jener Mensch und dieses Weib ist Christus. Er spricht nach dem ersten Gleichnis: „Also wird auch Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.“ Wären diese Gerechten solche, die in wahrhaftiger Gerechtigkeit ständen, die sich nie an ihrem Gott versündigt hätten und also der Buße wirklich nicht bedürften, so müsste um sie die höchste Freude sein. Sie wären volle Heilige Gottes und den Engeln gleich. Aber es sind nur solche, die da glauben, sie bedürfen der Buße nicht. Stolze Heilige sind sie, die sich selbst betrogen haben. Dass Christus sie erwähnt, geschieht zur Strafe gegen die Pharisäer. Er straft aber nur einmal. Sie haben ihr Teil. Er freut sich aber zweimal. Darum heißt es nach dem zweiten Gleichnis: „Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“ Hier spricht er allein seine Freude aus. -

Nun fasse dir dieses zu Herzen, du Mensch. Groß ist die Freude, wenn der Bergmann, der in der Erde gräbt, eine Goldader findet, wenn er in den Gruben und Bergen einen kostbaren Diamant findet. Groß war für Jakob die Freude, als er seinen verlorenen Sohn wiederfand. Größer aber ist Christi Freude um eine gefundene Seele. Ja, sie muss auch größer sein. Gold und Diamanten sind glänzender Staub. Jakobs Sohn war nur äußerlich verloren gewesen. Eine Seele aber, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, ist ein ewiges Gut. Die Freunde und Nachbarn, die sich mit Christo über diesen Fund freuen, sind die Engel Gottes. Ja, sie sind seine Nachbarn und Anwohner in der himmlischen Herrlichkeit. Sie freuen sich und haben doch für sich Nichts davon. Sie freuen sich für dich, in deine Seele und auf deiner Seele. Die gefundenen Seelen sind die Perlenschnüre, mit denen sich dein Heiland schmückt. Willst du ihm die Freude machen? Er hat nicht Lust an Opfern. Alle Tiere auf dem Feld und im Wald, da sie bei Tausenden gehen, sind ja sein. Nichts, Nichts kann ihm verloren gehen, denn allein die Seelen. Darum ist es seine größte Freude, wenn du ihm die deine zum Eigentum bringst. Er, hat nicht Lust an Gelübden. Und wenn du ihm gelobst, eine Kirche zu bauen, so groß, dass sieben Prediger darin predigen könnten, ohne dass einer den anderen hörte und störte, was hat er daran? Alles Gestein der Erde ist sein und alle ihre Herrlichkeit. Aber wenn dein Herz aus einem Tempel der Welt eine Kirche seiner Ehre wird, in der Tag und Nacht sein Name gepredigt wird, dann hat er Etwas. Denn diese Seele kann verloren gehen, sie war auf dem Weg verloren zu gehen. Es ist die einzige Freude, die du deinem Herrn machen kannst, wenn du deine Seele rettest. -

Wem aber machest du dadurch die größte, die dauerndste Freude? Dir selbst. Der, über den sich Andere mit aufrichtigem Herzen freuen, der muss sich selbst freuen. Nun, wenn sich denn der Herr freut, wenn sich die Engel Gottes freuen über einen Sünder, der Buße tut, dann muss sich auch der Sünder selbst freuen. Es freut sich der, der den Verirrten findet und auf den rechten Weg bringt, es freut sich noch mehr der Verirrte. Es freut sich der Kämpfer, der die Gefangenen aus der Knechtschaft befreit, es freuen sich auch die Gefangenen und nun Befreiten selbst. Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Heiden: „Der Herr hat Großes an ihnen getan.“ Sie selbst sagen: „Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich.“ -

Darum, wenn der Herr bittet: „Kehrt wieder, abtrünnige Kinder!“ so antwortet: „Herr, wir kommen.“ Lasst es aber nicht bei der Antwort. Geht auch. Wenn er sucht, so geht hervor aus eurem Versteck. Schämt euch nicht, dass ihr so arm seid, so nackt an Schmuck; er wird euch herrlich zieren nach seiner Barmherzigkeit. Wenn er anpocht, so tut ihm auf, so gewiss ihr wollt, dass er euch die Tür auftun soll, wenn ihr in eurem letzten Stündlein bei ihm anpochet. Gern lässt der Kranke den Arzt ein. Der Gefangene freut sich, wenn sein Befreier die Kette vom Leib losbricht. - O wenn es ihm doch gelänge, uns Alle zu finden! Wenn wir doch bald rühmen könnten: Der da ausgegangen ist zu suchen, was verloren ist, hat in seiner treuen Arbeit auch mich gefunden - ich bin wieder sein! Lasst uns allen Fleiß dazu tun, lasst uns Herz, Auge und Ohr offen haben, dass wir seine Führung sehen und seine Stimme hören. Lasst uns allen Fleiß dazu tun, dass er sich freuen könne und wir in ihm. Amen.

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