unbekannt - Auf dem Wege.

Sie waren auf dem Wege, hinaufgehend nach Jerusalem, und Jesus ging vor ihnen her; und sie entsetzten sich und, indem sie nachfolgten, fürchteten sie sich.“ (Mark. 10,32.)

Gott hat uns berufen zu Seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu (1. Petr. 5,10), und wir befinden uns auf dem Wege dahin. Dieses köstliche Bewusstsein hält uns abgeschieden von der Welt und macht diese zu einer Fremde für uns; es lässt uns, wie der Apostel sagt, vergessen was dahinten ist, und uns ausstrecken nach dem, was vorn ist. (Phil. 3,14.) Es stellt uns betreffs unseres Verhaltens in unmittelbaren Gegensatz zu denen, die „auf der Erde wohnen“ (Offbg. 3,10; 13,8.14; 17,2.8 rc.), die hienieden ihre Heimat haben, deren Interessen und Hoffnungen auf das Sichtbare beschränkt sind. Wir sind auf dem Wege zu unserer himmlischen Heimat, dem Orte der ewigen Ruhe; zu der Stadt des ewigen Lichtes mit ihren Straßen von Gold und Toren von Perlen, wo die Macht und Fülle des ewigen Lebens alles durchdringen wird. (Offbg. 21.22.) Je lebendiger dieses Bewusstsein in uns ist, um so glücklicher sind unsere Herzen, um so lebhafter ist das Gefühl unserer Fremdlingsschaft hienieden und die Sehnsucht nach der Heimat droben; aber auch um so schärfer tritt der Gegensatz zwischen uns und den Kindern dieser Welt hervor.

Allein so herrlich das Ziel unseres Weges ist, so schwer, ja geradezu unmöglich ist der Weg für die menschliche Natur. Der reiche Jüngling ging betrübt von dannen, als der Herr ihm den Weg zur Erlangung des ewigen Lebens und eines Schatzes im Himmel mit den Worten bezeichnete: „Verkaufe was irgend du hast, und gib den Armen, und komm und folge mir nach, das Kreuz aufnehmend.“ Ja, selbst die Jünger entsetzten sich über diese Worte. (Mark. 10,21.24.) Und in der Tat, der Weg ist so enge und schmal, dass nach dem eigenen Ausspruch des Herrn ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr gehen kann, als ein Reicher in das Reich Gottes. Infolge dessen erstaunten die Jünger über die Maßen; sie entsetzten und fürchteten sich, indem sie dem Herrn nachfolgten.

Aber selbst auf die Gefahr hin, sie gänzlich zu entmutigen, verhehlte der Herr ihnen nicht, was Ihm begegnen würde, und was auch sie in Seiner Nachfolge zu erwarten hätten. Er sagte ihnen frei heraus, dass sie mit der Taufe getauft werden würden, mit welcher Er getauft werden sollte. (Vers 39.) Gerade so verhehlten auch die Apostel den Gläubigen nicht, dass sie durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssten; ihr selbst wisst“, schreibt Paulus an die Thessalonicher, dass wir dazu gesetzt sind“, und dem Timotheus ruft er wiederholt zu: „Leide Trübsal … du aber leide Trübsal“. (Apstgsch. 14,22; 1. Thess. 3,3; 2. Tim. 1,8; 4,5).

Trotzdem will der Herr nicht, dass die Seinigen entmutigt und furchtsam, oder gar bestürzt und entsetzt sein sollten. Vielmehr ruft Er ihnen zu: „Euer Herz werde nicht bestürzt“; und wiederum: „Euer Herz werde nicht bestürzt, sei auch nicht furchtsam!“ (Joh. 14,1.27.) Zugleich gibt Er ihnen die Gründe an, kraft deren sie fähig sein würden, den Weg trotz aller Gefahren und Widerwärtigkeiten furchtlos und mit glücklichem Herzen zu gehen: Er verheißt Ihnen Seine Gegenwart und Seine Wiederkunft. Wie Er hienieden mit Seinen Jüngern gewandelt und sie auf Schritt und Tritt geschützt und geschirmt hatte, so wollte Er ihnen auch nach Seinem Abschiede auf dem ganzen Wege nahe sein; wenn auch nicht sichtbar, doch ebenso wirklich. „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters.“ (Matth. 28,20.)

Welch einen mächtigen Trost gewährt diese Gegenwart einem jeden, der sie in allen Lagen und Umständen durch den Glauben verwirklicht! Die Gegenwart des Herrn genügt für alle unsere Bedürfnisse auf dem Wege in geistlicher und leiblicher Beziehung. Sie genügt für die Einzelnen sowohl wie auch für jede Versammlung, mag sie klein oder groß, viel oder wenig begabt sein. Überall da, wo man in Einfalt und Treue in dem kostbaren Namen Jesu zusammenkommt, da ist Er in der Mitte, der die Fülle des Segens ist. Mochten Tausende von hungrigen Menschen in der Wüste versammelt sein und nur wenige Brote ihnen zu Gebote stehen, dennoch brauchte niemand wegzugehen und Speise zu holen Er war da und sättigte Alle. Ob auch Sturm und Wellen das Schiff bedrohten, es konnte nicht versinken; denn Er war da, und auf Sein Wort legte sich der Wind und glätteten sich die Wellen. (Mark. 4,35-41.) Seine Gegenwart brachte Kranken Heilung, gab Blinden das Gesicht, machte Lahme gehen, erquickte Müde und Schwache und befreite von der Macht des Todes und der Teufel. Und so wie Er damals war, so ist Er heute noch; gleich reich an Liebe, Macht und Erbarmen: „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.“ (Hebr. 13,8.)

Aber obgleich Jesus vor den Jüngern auf dem Wege herging, waren sie dennoch entsetzt und fürchteten sich. Sie hatten die wunderbare Speisung der Tausende gesehen; aber trotzdem waren sie in Sorge, als sie einmal keine Brote mitgenommen hatten. (Matth. 16, 8.) Sie wussten, dass ihr Herr und Meister der Schöpfer des Himmels und der Erde war, und doch meinten sie, sie würden umkommen, als die ungestümen Wellen ihr Schifflein umtobten. Und was war die Ursache ihrer Befürchtungen und Sorgen? Nichts als Mangel an Glauben!

„Was seid ihr so furchtsam?“ sprach der Herr tadelnd zu ihnen, „wie, habt ihr keinen Glauben?“ (Mark. 4,40.) Und was anders ist heute die Ursache unserer Sorgen, Unruhen und Verlegenheiten? Ist der Herr nicht bei uns? Oder fehlt es Ihm etwa an Liebe, Macht und Erbarmen? Ach, wenn wir nur mehr von jenem einfältigen, kindlichen Glauben besäßen, der Seine Gegenwart verwirklicht, als sähe er den Unsichtbaren! (Hebr. 11,27.)

Wenn der Glaube an Christum das Gewissen eines verlorenen Sünders vollkommen beruhigt und ihn von der Angst und den Schrecken eines ewigen Gerichts befreit, indem er sich auf Christum und Sein Werk stützt, sollte dann nicht der Glaube an Christum auch sein Herz vollkommen beruhigen können betreffs der geringeren Dinge dieses Lebens? Wenn Christus dem Glauben für die Zukunft genügt, warum dann nicht für die Gegenwart, welcherlei Art die Umstände auch sein mögen? O möchten wir mehr Seine Gegenwart durch den Glauben verwirklichen nach Seinen Worten: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubt an Gott, glaubt auch an mich!“ (Joh. 14,1.)

Als zweiten Grund für uns, nicht zu verzagen, sondern mutig und geduldig auf dem Wege auszuharren, haben wir weiter oben die Verheißung der Wiederkunft des Herrn genannt. An jenem denkwürdigen Abend vor Seinem Leiden richtete der Herr die bekannten Worte an Seine Jünger: „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seid.“ (Joh. 14,2.3.) Diese Verheißung kann jeden Tag, ja jede Stunde in Erfüllung gehen; und dann werden die gegenwärtigen Prüfungen, Schwierigkeiten, Leiden und Trübsale noch weit rascher verschwinden, als der Morgennebel vor der Sonne, die Finsternis vor dem Lichte. In einem Nu wird dieses Verwesliche Unverweslichkeit und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen; in einem Augenblick werden wir mit all den auferstandenen Heiligen vereinigt sein und, das Tal der Tränen und des Todesschattens weit hinter uns zurücklassend, dem Herrn entgegengehen und Ihn sehen von Angesicht zu Angesicht. Heute noch kann der Herr kommen und mit Ihm der herrliche Augenblick, wo das Ziel erreicht sein wird und wir durch die Tore in die Stadt eingehen werden (Offbg. 22,14), ja eingehen in die Wohnungen des Vaterhauses, um dann für immer da zu sein, wo Er ist.

Wenn David unter dem Druck der Verfolgung einst ausrief: „Nur ein Schritt ist zwischen mir und dem Tode“ (1. Sam. 20,3), so können auch wir sagen, dass nur ein Schritt zwischen dem Glauben und dem Schauen liegt, weil der Herr jeden Augenblick kommen kann. „Denn noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.“ (Hebr. 10,37.) Noch über ein gar Kleines, und jedes Sehnen wird gestillt, jeder Wunsch erfüllt werden; jede Trennung und Verwirrung wird für immer verschwinden, die Gläubigen werden ein Herz und eine Seele sein, und Christus allein wird den Gegenstand und Mittelpunkt Aller bilden. Noch über ein gar Kleines, und alle Klagen und Seufzer werden verstummen; Schmerzen, Not, Kummer, Krankheit und Tod werden hinter uns liegen für immer. Welch ein Wechsel in einem Augenblick, in einem Nu! Wie könnten wir mutlos und verzagt werden, wenn die Erwartung dieser kostbaren Dinge in unserm Herzen lebt? Darum aufgeschaut, geliebter Mitpilger! Fasse Mut, du leidendes, trauerndes, niedergebeugtes Gotteskind! Bald ist das Ziel erreicht, der Kampf beendet und der Sieg erstritten.

Aber wie bei den Jüngern damals, so wird auch jetzt bei uns der Zustand des Herzens auf dem Wege offenbar. Der Herr hatte den Jüngern kurz vorher gesagt: „Wahrlich, ich sage euch: „Wer irgend das Reich Gottes nicht aufnehmen wird wie ein Kindlein, wird nicht in dasselbe eingehen.“ (Mark. 10,15.) Aber gerade dieser demütige Kindessinn mangelte ihnen; denn wir hören gleich nachher, dass sie an ihre eigene Größe dachten, so dass der Herr sie belehren musste: „Wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein“. (Vers 35-45.) Ach! sie hatten noch nicht von dem Sanftmütigen und von Herzen. Demütigen gelernt. Er war gekommen, nicht um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für Viele. Sie aber trachteten nach einem möglichst hohen Platze und waren eifersüchtig auf einander.

In diesem Mangel der demütigen Gesinnung eines Kindes liegt sicher auch für uns das große Hindernis, wenn wir auf dem Wege nicht die Wirkung der oben angeführten Gründe an unseren Herzen erfahren. Wir sind nicht klein in unseren Augen und denken mehr an uns selbst und an unsere Bequemlichkeit und unsere Größe, als an Christum, an Seine Verherrlichung und Seine Ankunft.

Sehr oft lenkte daher der Herr die Aufmerksamkeit Seiner Jünger auf die Kindlein, um ihnen zu zeigen, wer wirklich groß ist in Seinen Augen. Auch ließ Er sie erkennen, dass die Kindlein in ganz besonderer Weise die Gegenstände Seiner Liebe und Sorgfalt sind. „Und als Jesus ein Kindlein herzugerufen hatte, stellte Er es in ihre Mitte und sprach: Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kindlein, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen. Darum, wer irgend sich selbst erniedrigen wird, wie dieses Kindlein, dieser ist der Größte im Reiche der Himmel; und wer irgend ein solches Kindlein aufnehmen wird in meinem Namen, nimmt mich auf.“ (Matth. 18,2-5.) Und in unserem Kapitel wird uns erzählt, dass Er sie in Seine Arme nahm und segnete. (Vers. 16.) Wie ein Kindlein keine Befürchtungen und Gefahren kennt, weil es sich sicher und geborgen weiß in den starken Armen eines treuen Vaters, an der Brust einer liebenden Mutter, so und noch weit sicherer und geborgener weiß sich der Gläubige in den mächtigen Armen Jesu, seines zärtlich liebenden Heilandes, vorausgesetzt dass er in seinen eigenen Augen nichts anderes ist als ein Kindlein. Im Bewusstsein seiner Schwachheit und Hilflosigkeit stützt er sich auf Ihn, der alle Gewalt besitzt im Himmel und auf Erden. (Matth. 28,18.) Welch eine Ruhe und Zuversicht gewährt es, uns in den Armen Jesu zu wissen, wenngleich unser Weg zur himmlischen Heimat durch eine gottlose Welt, ja durch das Tal des Todesschattens führt! Wir können dann mit dem Psalmisten sagen: „Auch wenn ich wandelte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts übles, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.“ (Ps. 23,4.) Möchten wir deshalb in Wahrheit wandeln wie Kindlein, damit sich auch an uns das Wort des Apostels bestätige: „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“. (2. Kor. 12,10.).

Die Geschichte Israels liefert uns einen treffenden Beleg für die Wahrheit des eben Gesagten. Während das ganze Volk, das aus Ägypten gezogen war, seines Unglaubens wegen nicht in das herrliche Land eingehen konnte, nahmen ihre unmündigen Kinder Besitz von demselben. „Und eure Kinder, von denen ihr sagtet: sie werden zur Beute werden, und eure Söhne, die heute weder Gutes noch Böses kennen, sie sollen hineinkommen, und ihnen werde ich es geben, und sie sollen es in Besitz nehmen. Ihr aber wendet euch und brechet auf nach der Wüste, des Weges zum Schilfmeer.“ Das Volk schreckte zurück vor den Kanaanitern, den bis an den Himmel befestigten Städten des Landes und vor den Söhnen der Enakim. Es blickte auf sich und die Umstände, anstatt auf Jehova, seinen starken Gott. Trotz des ermutigenden Zurufs Jehovas: „Erschreckt nicht und fürchtet euch nicht vor ihnen“, und trog Seiner Versicherungen, dass Er vor ihnen herziehen und für sie streiten würde, waren sie ungläubig und verzagt und widersetzten sich Seinem Gebot. Ihre Kinder hingegen, von denen sie gemeint hatten, dass sie zur Beute werden würden, gingen ungeachtet der mächtigen Feinde und Hindernisse ins Land ein, zum Ruhme und Preise der Macht, Liebe und Gnade Gottes. (Siehe 5. Mose 1, 28-40.)

Lasst uns daher allezeit in der Gesinnung von Kindlein erfunden werden, damit wir so dem Herrn Gelegenheit geben zur Entfaltung Seiner mächtigen Gnade und Kraft, während wir auf dem Wege zur Herrlichkeit sind!

Botschafter des Heils in Christo, 1897

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