Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten - Röm. 14,1; Tit. 1,15 und Röm. 9,1

Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten - Röm. 14,1; Tit. 1,15 und Röm. 9,1

Gemeinde der Erlösten! Das Wort Gottes hat in unserm letzten Gottesdienst uns an das Herz gelegt, was ein unverletztes Gewissen sei. es soll heute uns vor Augen stellen, das irrende und das erleuchtete Gewissen. es soll in unserem nächsten Gottesdienste uns an das Herz legen, das unruhige und das gestillte Gewissen. „ Nun wohlan denn, so vernehmt einen dreifachen Ausspruch des Apostels, welcher uns über das irrende und das erleuchtete Gewissen belehrt. Es sind die Worte, welche im 14. Kapitel des Briefes an die Römer, und im ersten Kapitel des Briefes an Titus und im 9. Kapitel an die Römer, wo sie also lauten:

Röm. 14, 1.
Den Schwachen im Glauben nehmet auf, und verwirret die Gewissen nicht,“ -
Tit. 1, 15.
Den Reinen ist alles rein, den Unreinen aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern unrein. Beides ihr Sinn und Gewissen,
und endlich: Röm. 9, 1.
Ich rede die Wahrheit in Christo, und lüge nicht, deß mir Zeugniß giebt mein Gewissen in dem heiligen Geist.“ -

Daß es ein irrendes Gewissen giebt, das bezeugt uns namentlich das Erste dieser drei Worte, warum es ein irrendes Gewissen giebt das andere dieser drei Worte, und endlich, wie ein irrendes Gewissen erleuchtet wird, das dritte dieser drei Worte.

Täusch' keiner sich, es giebt ein irrendes Gewissen;
Drum prüft recht, woher die Irrungen dir stießen.
Willst ein Gewissen du in ungetrübtem Lichte,
Such Christum und den Geist von seinem Angesichte!

Täusch' keiner sich, es giebt ein irrendes Gewissen. Daß es ein irrendes Gewissen giebt, spricht das erste dieser drei Worte aus: Nehmt die im Glauben Schwachen auf und verwirret die Gewissen nicht. Es kann also das Gewissen verwirret d. h. irre geführt werden, und diese Verirrungen des Gewissens sind zwiefacher Art. Es giebt ein Gewissen, das anklagt wo es lossprechen könnte - in noch viel mehr Fällen giebt's ein Gewissen das losspricht wo es anklagen sollte. Das zeigt die Schrift in ihren Aussprüchen, das zeigt in Beispielen die Geschichte, das zeigt Jedem die eigene Erfahrung. Zunächst spricht unser Text: Nehmt die Schwachen im Glauben auf und verwirret die Gewissen nicht. - Hier ist die Rede von einem solchen Gewissen, das dich anklagt wo es dich lossprechen könnte, und das sind die schwachen Gewissen, die verwirret werden, wenn man ihnen Bedenklichkeiten in die Seele wirft, die sie nicht ertragen, fassen und würdigen können; das sind Leute, von denen man zu sagen pflegt, „sie machen sich ein böses Gewissen. nämlich: während Gott ihnen keines gemacht hat, machen sie sich selbst eines. Das sind die, welche Paulus die Schwachen im Glauben nennt. Warum? Das waren Leute zweierlei Art. Das waren die ehemaligen Heiden, die im Dienste ihrer Götter allen Lastern gestöhnt, in diesem Dienste eine grauenvolle Macht der Finsterniß über sich empfunden hatten, und die sich nun nicht vorstellen konnten, daß diese Götter, vor denen sie ehemals die Kniee gebeugt hatten, ein Nichts wären, die also noch jetzt eine böse Macht in ihnen fürchteten, und in diesem ängstlichen Gewissen auch jedwede Berührung mit ihnen zu vermeiden suchten - wenn auch nur durch ein Stück ihnen geweihtes Opferfleisch. Der andere Theil, das waren die, die im Gesetz Mosts gestanden hatten, und es verehrten als das von Gottes Finger geschriebene Gesetz und sich nicht darein finden konnten, daß sie sollten frei seyn von Neumonden und Fastenspeisen; von den Ersteren spricht nun der Apostel: Etliche sind unter euch, die machen sich ein Gewissen um die Götzen'. Von den Andern sagt er: „Lasset euch kein Gewissen machen um Fasten und Neumonde, um Speise und Trank!“ - Andererseits giebt es leichte Gewissen, die sich freisprechen, wo sie sich anklagen sollten. Wie weit die Gewissen verbreitet sind, das mögt ihr schon aus dem sehen, wenn selbst gottesfürchtige Männer nicht umhin können zu beten wie der Psalmist: „Herr lehre mich meine verborgnen Fehler, denn wer kann merken wie oft er fehlet!“ und wenn wir einen Paulus bekennen hören: „Ich bin mir zwar nichts bewußt, aber darum bin ich nicht gerechtfertiget, der Herr aber ist es, der mich richtet. „

Wir hatten zuerst nach dem Zeugniß der Schrift gefragt. Wenn wir nun auf die Geschichte blicken, wie viele wehmüthige Exempel zunächst von solchen Gewissen, welche sich anklagen, wo sie sich lossprechen könnten, ich meine von gottesfürchtigen aber ängstlichen und unerleuchteten Gewissen - von den Fasten und Geißelschlägen der katholischen Heiligen an bis auf die Selbstquälereien eines Gott fürchtenden aber doch nicht erleuchteten Pietismus unter den Protestanten. Was wir von solchen, beziehungsweise so edeln Seelen sagen sollen? Zum Theil, daß sie unter der Blindheit eines verfinsterten Zeitalters und Geschlechts mitgelitten, zum Theil, daß sie sich doch zu sehr mit der Wärme in der Religion begnügt und zu wenig nach dem Lichte getrachtet. Andererseits, welche grauenvollen Erscheinungen leichtsinniger Christengewissen von jenen Schwärmern an, nach deren Lehre der Leib der Völlerei und Unzucht dienen konnte, wofern nur der Geist mit seinen Gedanken bei Gott stehen bliebe - bis herab zu den modernen Weltfrommen unserer Tage, die nach durchschwärmten Nächten ein Blättlein etwa im „ Thomas a Kempis“ lesen - wie man sie versichern hört, mit unverletztem Gewissen. Welche grauenvollen Erscheinungen von fanatischen Christengewissen, von jener sancta simplicitas von jener alten Frau an, die in frommem Eifer zum Scheiterhaufen eines Huß auch ein Scheitlein herzutragen sich beeilt, bis herab zu den lutherischen fanatisirten Gewissen, die weil geschrieben steht: wer zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht mit, den sollt ihr auch nicht grüßen. d. i. auch den christlichen Brudergruß nicht bieten - den Reformirten den Gruß verweigern zu müssen meinten, und das Alles nicht nur ohne Anklage des Gewissens, sondern, wie es einem bedünken möchte, selbst nach dem Gebote und auf Antrieb des Gewissens. - Und der Abgeordnete Gottes, den wir in unserer ersten Gewissenspredigt kennen lernten, den Gott in unser Inneres gestellt als Richter, der soll ein Richter seyn mit so verbundenen und verblendeten Augen? und der göttliche Zeuge, den wir in unserer zweiten Gewissenspredigt kennen gelernt haben, der sich nicht zum Schweigen bringen läßt und wenn alle menschlichen Zeugen dazu gebracht sind, der sollte solche Lügenreden in seinem Munde führen? - Freunde, es ist eine Frage, an der keiner gleichgültig vorübergehen kann: woher in der Welt das irrende Gewissen? Darum frage denn jeder recht: „Woher das irrende Gewissen?“

Nun lieben Brüder in Christo, das wissen wir von vorn herein, die wir einen christlichen Gott haben - von dem Vater des Lichts, von dem alle gute und vollkommene Gabe kommt, bei dem kein Wechsel des Lichtes und der Finsterniß ist, von dem kann der Irrthum ebenso wenig stammen als die Sünde. Davon giebt die heilige Schrift uns Zeugniß, insofern unsere zweite Gewissens-Predigt nach der Schrift uns zeigte, daß es ein und derselbe Finger Gottes ist, der die Tafeln Mosis mit dem Gesetze geschrieben und der das Gesetz geschrieben hat in die menschlichen Herzen. Das zeigt uns, möchten wir dazu setzen, auch die Stimme der Völker, in der Einstimmigkeit, mit der sie das Gewissen nennen „die Stimme Gottes,- . das Mitwissen (conscientia) Gottes mit deinem eigenen Geist. Von dem Vater des Lichts also, von dem eitel Gutes und vollkommene Gaben kommen, von dem kommt das irrende Gewissen nicht. Und woher kommt es denn? Darauf giebt unser zweiter Text die Antwort, wenn Paulus schreibt: Den Reinen ist alles rein, aber den Unreinen und Ungläubigen ist beides unrein, ihr Sinn und ihr Gewissen. Der Apostel betrachtet hier - nicht sowohl das Gewissen als vielmehr den reinen Sinn des Herzens als einen Lichtquell, der auf alle menschlichen Wege und Werke sein Licht wirft bis zu dem Grade, daß bei denen die reines Sinnes und Herzens sind, Wege und Werke rein und heilig seyn können, die für alle Anderen unrein, unheilig und sündig sind; - und wiederum bis zu dem Grade, daß wo das Herz und das innerste Trachten unlauter ist, daß da auch Sinn und Gewissen unrein und besteckt sind.“ - Was also der Apostel antwortet auf die Frage: woher das irrende Gewissen? - Dies ist's: Aus der Unreinigkeit und aus dem Unglauben des menschlichen Herzens.

Nun müssen wir das jedoch nicht also verstehen als ob damit gesagt wäre, daß alle Irrthümer in Glauben und Leben gerade aus der Unreinigkeit und dem Unglauben kommen müssen, den jeder Einzelne in seinem eigenen Herzen trägt. Das will vielmehr unser Text sagen, daß aller Irrthum in Glauben und Leben, daran der Einzelne leidet, seinen Grund habe in der Gottentfremdung unseres Geschlechts überhaupt, daran denn von den Einzelnen der eine mehr leidend theilnimmt, der andere mehr thätig. Ein Leib nämlich ist die Menschheit, und wo ein Glied krank oder gesund ist, da müssen alle Last und Lust mit theilen. Auch die Gewissensirrthümer, daran wir leiden, haben wir zum größten Theil durch Vererbung oder Ansteckung von Aeltern, Lehrern, Freunden, von Familie und Volk. Wer hat. den Ephesern, die auf die Boten des Evangeliums in wilder Leidenschaft einstürmen, ihr . groß ist die Diana von Ephesus!“ zur Gewissenssache gemacht? wer dem Saulus das Zornesschnauben gegen Jesus von Nazareth? ist es nicht ihr Volk, ihre Familie gewesen? Wie Mancher ist unter euch Aelteren, der zum Glauben zurückgekehrt ist und der, wenn er zu Christo betende Hände erheben will, noch jetzt den zweifelnden Gedanken nicht los werden kann, den der Unterricht einer frühen Jugend in seine Seele geworfen! Wie Mancher von euch akademischen Jünglingen, der vielleicht aus dem Vaterhause ein zartes Gewissen mitgebracht, das jetzt abgestumpft ist, und der, wenn er zum Bewußtseyn erwacht, nur das Standesvorurtheil anklagen wird, das ihn mit hingerissen! Was meint ihr indeß, wenn wir die Last unserer Schuld auf die Schultern unserer Aeltern und Lehrer wälzen, was meint ihr, wird unsere aufwachsende Jugend sie nicht ebenso auf uns wälzen und sprechen: unsere Väter haben Härlinge gegessen und uns den Kindern sind die Zähne stumpf geworden? - In der That, nur bedingterweise kann Erziehung und Beispiel, Volk und Familie der Grund unserer Gewissensverblendung genannt werden; denn das Maaß wenigstens, in dem wir von Sünde und Irrthum einer Gemeinschaft mit angesteckt werden, wird es nicht immer abhängig seyn von dem Maaße der Wachsamkeit und Selbstzucht, des Ernstes und der Gewissenstreue, mit der wir den ansteckenden Mächten entgegenwürken oder nicht. Volksvorurtheile mögt ihr es nennen, die dem hohen Rathe in Jerusalem das Todesurtheil über den Heiligen Gottes eingegeben, und doch - wäre keine eigene Schuld mit dabei gewesen, wie hätte der Heiland beten können: Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun?“ Volksvorurtheil mögt ihr's nennen, wenn Paulus die Christenheit verfolgt bis aufs Blut, eine Sünde der Unwissenheit“ nennt er es selbst; und doch, wie hätte er sagen können, der ich der geringste unter den Aposteln bin, als der ich die Gemeinde des Herrn verfolgt habe. wenn er nicht auch seine eigene Schuld darin empfunden hätte. Unreinheit des Herzens und Unglauben nennt unser Text als Quelle des befleckten und verdüsterten Gewissens - Saulus! noch mehr Reinheit des Herzens, noch geistlicher gesinnt im Glauben an die Verheißungen der Väter, und du wärest so wenig ein Verfolger geworden als ein Nikodemus und Joseph von Arimathia. Ihr vom älteren Geschlecht, die ihr noch jetzt im Unglauben und der sittlichen Leichtfertigkeit eurer Väter dahingeht und auf diese die ganze Schuld werfet, habt ihr denn schon die Mittel gebraucht, die ihr kennt, den Glauben zu erringen, und ihr Jünglinge, die ihr vom Vaterhause ein zartes Gewissen mitbrachtet, das jetzt stumpf geworden, ihr werdet selbst am besten wissen, wie oft, wenn ihr von den versuchenden Stimmen eurer Standesgenossen euch überwältigen ließet, die Stimme des innern Mahners von euch in den Wind geschlagen worden! O nur mehr Wachsamkeit, mehr Selbstprüfung, mehr Glaube und mehr Gebet, und auch die Nebeldecke des ererbten Irrthums würde leichter verschwinden.

Bei aller dieser Verblendung indeß, dürfen wir nicht doch sagen, daß das was Gottes Finger ursprünglich in das Herz geschrieben, eigentlich nicht untergeht? nur bleicher und bleicher wird die Gottesschrift vor dem blöde gewordenen Auge, wird aber dieses wieder von dem Geiste Gottes erleuchtet, wie bekommen nicht die verblichenen Buchstaben Farbe und Gestalt, so daß du das Wort auch in deinem eigenen Herzen liesest. Und was der Sünder vor seiner bösen That ein zuversichtliches Gewissen nennt, ist das nicht gar manchmal bloß ein eingeredetes, hinter dem der Grund des Gewissens doch eigentlich ein anderes Zeugniß giebt? Das ist's, was der Apostel nennt „ein Brandmal haben im Gewissen;“ eben diese Brandmale, sie werden im letzten Gerichte Gottes die Zeugen gegen dich seyn, daß dein Gewissen bei deinem Irrthume nicht geschwiegen hat. Dieser Zustand nun, wo der Christ sich sein Gewissen nur selbst beschwichtigt durch Gleißnerei der Lüge, dafür aber auch die Brandmale nicht los werden kann, das ist ein überaus verhängnißvoller; denn jeder Schritt darin vorwärts ist ein Schritt vorwärts zu dem Seelenzustande, der weder in dieser noch in jener Welt vergeben, d. i. aufgehoben werden kann.

O darf ich denn annehmen, daß ich hier lauter solche Christen vor mir sehe, welche die Befleckung ihres Gewissens durch eigene und durch fremde Schuld empfinden und mit ganzem Ernste fragen: woher bekomme ich ein erleuchtetes Gewissen? Ich antworte mit unserem dritten Text: Das reine Licht wird dir der Glaube schenken müssen. - . Ich sage die Wahrheit in Christo und lüge nicht!“ spricht der Apostel in unserm dritten Texte, und fährt fort, deß mir mein Gewissen Zeugniß giebt im heiligen Geiste. Sein Gewissenszeugniß gilt ihm also erst dann als untrüglich, wenn er es im heiligen Geiste weiß. Fragt demnach einer mit Ernst, wodurch bekomme ich ein erleuchtetes Gewissen?“ so lautet die Antwort: Christus ist's, der bei Christen das Gewissen erleuchtet und erweckt- der heilige Geist ist es, der es belebt und treibt. Ein Irrthum ist es, wenn so manche einer Offenbarung nur zu bedürfen meinen, wenn sich's darum handele, was der Mensch zu glauben hat und nicht auch bei der Frage: was ist die Wahrheit für mein Wollen und mein Handeln? Nicht bloß über die Wahrheiten Gottes hat die Sünde den Schleier gedeckt, sondern in nicht geringerem Maaße auch über die Forderungen Gottes an uns. Da hört man wohl: aber stimmen nicht in Fragen der Moral ohnedies alle Menschen überein? Wenn sich's freilich nur um Diebstahl, Meineid, Ehebruch und Todschlag handelt, lauter Fragen über das Mein und Dein, wo schon der Eigennutz das Urtheil spricht - da allerdings; aber laß die Fragen tiefer gehn über die rechten Beweggründe des Handelns, über die Pflichten des Menschen gegen Gott, da zeigt sich's wohl, wie für unser Sollen und Wollen wir nicht weniger des göttlichen Wortes bedürfen als für unsern Glauben. Es giebt nur Ein untrügliches Licht für das Gewissen: Christum und sein Wort. Und nicht bloß als den, der es erleuchtet, brauchen wir ihn, sondern auch als den, der es erweckt. Als dem Mahnherr und Warner, als das lebendige Gewissen der Menschheit tritt er in den Stunden der Versuchung vor dich hin und ruft dein schlummerndes Gewissen wach; ihr, die ihr ihn kennt, ihr wißt, wie wenn er in der Versuchungsstunde vor euch trat, die unkeusche Rede im Munde stockte, das Wort der Lüge auf der Lippe erstarb, die Hand erstarrte, die sich im Zorn gegen den Bruder erheben wollte. Wir haben die Crucifixe abgeschafft: es mag sein Gutes gehabt haben in der Zeit, wo man aus dem Stücke Holz einen Gott machte, aber giebt es nicht Stunden, wo man sich recht sehr einen hölzernen Mahner vor das äußere Auge wünschen möchte, den Gottessohn voll Majestät und Milde vor unser inneres zu rufen?

Der heilige Geist ist es, der bei Christen das Gewissen belebt und treibt. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit, nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht und wir werden verklärt in desselbigen Bild von einer Klarheit zur andern durch den Herrn, der der Geist ist.

So spricht der Apostel in einem der herrlichsten seiner Aussprüche. Von einem Geheimniß spricht er in diesem Worte, dem Geheimnisse des Verkehrs der Seele mit dem verklärten Gottes- und Menschensohne. Christengemeinde! keinen vergangenen Christus hast du, der vor Jahrtausenden über die Erde gegangen und dann abgetreten ist: einen gegenwärtigen Christus hast du, der sich noch jetzt einer jeden gläubigen Seele zu erkennen giebt und mit ihr umgeht wie ein Freund mit dem andern. Ihr Theologen, mit dem vergangenen Christus in Palästina habt ihr Bekanntschaft gemacht, wie viele aber sind unter euch, welche den Christus kennen, der zur Rechten des Vaters sitzt und von dessen verklärtem Antlitz noch bis zu dieser Stunde in alle Herzen, die im Glauben mit ihm verkehren, der heilige Geist ausgeht? „Es spiegelt sich in uns des Herrn Klarheit,“ lesen wir in unserer Uebersetzung - genauer noch: wir schauen in sein Angesicht als in einen Spiegel, von welchem ein verklärendes Licht zurückstrahlt. Dieses Strahlen von seinem Angesicht, das ist der heilige Geist, der von ihm ausgeht. Ja du heiliger Gottessohn voll Majestät und Milde, noch niemals bin ich vom Anschau'n deines Angesichts zurückgekommen ohne einen neuen belebenden Antrieb in meinem Gewissen. Dein Geist ist der Geist der Freiheit: er befreit die Gebundenen, er erweckt die Schlafenden, er belebt die todten Gewissen. Ja, ich werde es inne: je mehr von den Strahlen dieses Antriebes, desto mehr . Zeugnisse des heiligen Geistes im Gewissen. desto mehr wird der heilige Geist ein stetiges und antreibendes Licht in den Herzen, desto mehr erfährt man etwas von dem, was dort der Herr seinen Jüngern bezeugt: an dem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen. O Herr, wann wird er für uns kommen, dieser selige Tag, wo wir dich nichts mehr zu fragen brauchen werden, wo dein Geist wird unser stetiges Licht seyn? Hilf dazu, daß uns Allen, die wir dich lieb haben, unser oft noch so zweifelndes und irrendes Gewissen recht zur Qual werde; das gehört ja zum Vorrechte deiner Kinder, daß sie Menschen werden, die überall sichere Tritte thun. Stelle dich vor uns, du Menschensohn, in deiner Gnade und Wahrheit, sende von deinem heiligen Angesichte wärmend und erleuchtend die Strahlen des heiligen Geistes in unsere schlaftrunkenen Gewissen und mache so Menschen aus uns, die alle Zeit und in allen Stücken wissen, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille an uns! Amen.

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