Tholuck, August – Drei Predigten - II. Predigt - Das Lamm und das Buch

Tholuck, August – Drei Predigten - II. Predigt - Das Lamm und das Buch

Geliebte in Christo! Die Zukunft unseres Vaterlandes liegt wolkenumhüllt vor uns: das schließt in sich, daß mehr, als es zu andern Zeiten der Fall gewesen wäre, auch die Zukunft der Einzelnen eine wolkenumhüllte ist; wie ungewiß ist es, wie es mit so manchen Berufsarten in der nächsten Zukunft werden wird, mit Handel und Gewerbe, Schule und Kirche. Früher ließ sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade das Alles berechnen, jetzt ganz und gar nicht. Ob die Umgestaltung der alten Verhältnisse schon am Ziele angelangt sei, ob sie etliche Schritte wieder zurückthun werde oder nur immer mehr vorwärts, ob der Sturm, der um uns sauste, bloß für einige Zeit seine Flügel hat sinken lassen oder ob wir von nun an einer ruhigen und befriedigenden Entwicklung entgegengehen, das Alles ist ungewiß. Es ist das natürliche Privilegium der Jugend, so in den Augenblick aufzugehen, daß sie nur wenig um die Zukunft sich ängstigt. Euch Jungen daher mag diese Unsicherheit schon natürlicher Weise wenige trübe Stunden bereiten. Aber wißt ihr wohl, daß an Dem, der ein Christ ist, nichts bloß natürlich sein darf? - nicht sein Lachen, nicht sein Weinen, nicht seine Heiterkeit, nicht seine Aengste; es muß Alles getauft werden durch das Wort und den heiligen Geist, also auch diese Eure natürliche Sorglosigkeit. Was blos natürlich ist, ohne die Geistestaufe, hält auch nicht lange Stich. Nur was aus Gottes Geist geboren, hat unverwelkliche Jugend. Euch Jungen möchte ich nun die natürliche Sorglosigkeit nehmen beim Blick auf die Geschichte unserer Zukunft und die vom heiligen Geiste getaufte an die Stelle setzen. Euch Alten möchte ich eure natürliche Sorge und Angst rauben und jene Ruhe in Gott an die Stelle setzen, die allen Lärm in der Welt nur wie draußen auf der Straße anhört.

Wir wollen den Gedanken vor unsere Seele treten lassen: Wie kein Geschick der Welt den Christen in seiner Geistesruhe erschüttern kann, da Christus es ist, der die Weltgeschicke in seiner Hand hat.

Hört an das Gesicht, welches der göttliche Seher uns vorführt: Offenb. Joh. Cap. 5.

Und ich sah in der rechten Hand deß, der auf dem Stuhl saß, ein Buch, geschrieben inwendig und auswendig, versiegelt mit sieben Siegeln. Und ich sahe einen starken Engel predigen mit großer Stimme: Wer ist würdig, das Buch aufzuthun, und seine Siegel zu brechen? Und niemand im Himmel, noch auf Erden, noch unter der Erde, konnte das Buch aufthun und darein sehen. Und Ich weinete sehr, daß niemand würdig erfunden ward, das Buch aufzuthun, und zu lesen, noch darein zu sehen. Und einer von den Aeltesten spricht zu mir: Weine nicht; siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda, die Wurzel Davids; aufzuthun das Buch, und zu brechen seine sieben Siegel. Und ich saht, und siehe, mitten im Stuhl und den vier Thieren, und mitten unter den Aeltesten stand ein Lamm, wie es erwürget wäre; und hatte sieben Hörner, und sieben Augen, welches sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande. Und es kam, und nahm das Buch aus der rechten Hand deß, der aus dem Stuhle saß. Und da es das Buch nahm, da fielen die vier Thiere, und die vier und zwanzig Aeltesten vor das Lamm; und hatten ein jeglicher Harfen, und goldene Schalen voll Räucherwerk, welche sind die Gebete der Heiligen. Und sangen ein neues Lied, und sprachen: Du bist würdig, zu nehmen das Buch, und aufzuthun seine Siegel; denn du bist erwürget, und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen und Volk und Heiden, Und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden. Und ich sahe, und hörete eine Stimme vieler Engel um den Stuhl, und um die Thiere, und um die Aeltesten her; und ihrer Zahl war viel tausend mal tausend, Und sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichthum, und Weisheit und Stärke und Ehre, und Preis und Lob und alle Creatur, die im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und im Meer, und alles, was darinnen ist, hörete ich sagen zu dem, der auf dem Stuhl saß, und zu dem Lamm: Lob, und Ehre, und Preis, und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und die vier Thiere sprachen: Amen, Und die vier und zwanzig Aeltesten fielen nieder, und beteten an den, der da lebet von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Daß Christus die Weltgeschicke in seiner Hand bat, laßt uns nach diesem Texte zuerst beherzigen, zum zweiten: inwiefern er sie in seiner Hand hat, und zum dritten: wie dieser Glaube dem Christen, auch wenn er vor noch so umwölkter Zukunft steht, unerschütterliche Geistesruhe gibt.

1.

Daß Christus die Weltgeschicke in seiner Hand hat, lehrt uns das feierliche Gesicht. Laßt uns blicken erstens auf das Buch mit den sieben Siegeln, zweitens auf das Lamm, welches diese Siegel löst, drittens auf das neue Lied, das die Heiligen im Himmel ihm dafür singen. - Ein Buch hält jener Alte der Tage, unter dessen Throne der Strom der Zeiten entspringt, in seiner Hand, beschrieben inwendig und auswendig mit der Geschichte der Welt und verschlossen mit sieben Siegeln. Inwendig und auswendig beschrieben - lautet das nicht, als ob er selbst es beschrieben hätte, und doch, sind's Menschen nicht, die das Buch der Geschichte mit den Schriftzügen ihrer Thaten füllen? Ja, und doch hat Gottes Hand das Buch geschrieben; denn des Menschen ist zwar der Wille und das einzelne Werk, die Verknüpfung aber - und durch diese werden doch eigentlich erst die Thaten zur Geschichte - ist Gottes. Siebenfach versiegelt ist dieses Buch der Geschichte; kein Mensch konnte es aufthun und darein sehn, und der göttliche Prophet begann zu weinen. Gewiß, es ist ein siebenfach versiegeltes Buch, das Buch der Menschengeschichte im Großen, dieser Strom, der immer fluthet und nimmer aufhört. Was für ein unerklärliches Räthsel diese vielen Völker, die über die Erde gehen, dem Anscheine nach - ohne je einen Zweck ihres Daseins erfüllt zu haben! Diese Reihe von Kriegen, Revolutionen, Schlachten, Friedensschlüssen, unter denen die Menschheit immer nach Besserung schreit und niemals Besserung bekommt! - Was für ein unerklärliches Räthsel das einzelne kleine Menschenleben, das doch auch ein Stück Weltgeschichte ist, wieder an seinem Theile mit seinen gescheiterten Plänen, seinen zerknickten Knospen, seinen Hochzeits- und Sterbekränzen, seinem Sehnen und Streben! Und wenn man nun vor seiner eigenen kleinen Geschichte steht mit ihren unaufgelösten Räthseln und vor jenem großen Räthsel der Welt und ist Keiner, der auf die Frage: warum und wozu? Antwort ertheilt!

Aber, es war Einer, der würdig befunden wurde, zu lösen die sieben Siegel - o Einer, von dem Keiner es erwartet hätte, ein unschuldiges Lamm, das erwürget war!

Doch dieses Lamm heißt ein Löwe, und Stärke und Majestät muß ja wahrlich in dem vereinigt sein, der an dem verschlossenen Buche der Weltgeschichte das Siegel brechen kann. Er hat sie gebrochen, und wie die folgenden Kapitel es uns erzählen, so ist mit dem Bruche eines jeden neuen Siegels eine Reihe neuer Verhängnisse und Geschicke über die Welt ausgegangen, die eines nach dem andern dazu dienen, die letzten Zeiten vorzubereiten, das Reich des Herrn, den Sieg seiner Frommen, die Vollendung der in Gott verklärten Menschheit. Wir erkennen daraus, was das heißt, daß Christus die Siegel der Geschichte gebrochen hat, daß Er es ist, der die Geschicke der Welt in der Zeit herbeiführt und zu einem ewigen Ziele hinausführt. Und nachdem die Siegel gebrochen sind, liegt das Buch offen vor ihm da, und Er kann es lesen, und Andere können es auch lesen. Und wie das vom Buche der Menschheit gilt, Brüder, so auch von deinem und meinem Lebensbuche. Er ist's, der die Siegel daran gelöset hat, der die Geschicke in der Zeit herbeiführt, der sie zur Ewigkeit hinausführt. Nun stehen wir nicht mehr und weinen, daß wir das räthselhafte Buch des Menschenlebens nicht lesen können. Wir lesen es und wie eine Seite nach der andern sich umschlägt, wird unser Herz immer mehr voll Jubels und Frohlockens. So jubeln in diesem Gesichte die vier und zwanzig Aeltesten vor dem Throne, das sind in der Sprache dieser Gesichte Vertreter der gesammten in Christo geheiligten Menschheit, sie schlagen an die goldenen Harfen in ihrer Hand und schwingen die goldnen Rauchschalen voll Räuchwerk, welches sind die Gebete der Heiligen, und singen ein neues Lied, d. h. ein unerhörtes, wie es noch nicht da gewesen, zum Lobe des Lammes, das die Erlöseten Gott erkauft hat mit seinem Blute aus allerlei Geschlecht und Volk und Zunge und Heiden. Sie lobsingen Ihm und ihr Gesang ist ein Gebet; denn sie wissen nun die Geschicke der Welt in einer starken Hand, und ihre eigenen in einer gnädigen; sie schauen nämlich, wohin Alles seinen Ausgang nimmt, wozu Alles, auch die Jammer- und Thränentage, seinen Erlöseten dienen müsse, nämlich zu jenem letzten Ende, das sie in den Worten besingen: „Du hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf der Erde“. Und der Seher sah und hörete, und siehe, das neue Lied fand droben einen Wiederhall bei den Engeln um den Stuhl, deren Zahl war viel Tausend mal Tausend, und drunten bei aller Creatur, die im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde, und Alle sangen aus Einer Stimme Dem, der auf dem Stuhle saß, und dem Lamme Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit.

2.

Es sind also die Weltgeschicke in Christi Hand und über sie waltet er so, daß, wer das Ende schaut, bei dem geht alles Schauen und alle Gedanken unter in einem nie aushallenden neuen Liebe. Inwiefern sind sie in seiner Hand? Das war unsere andere Frage. Sie sind in feiner Hand, insofern Er es ist, der durch alle Geschicke hindurch die Menschheit und den Menschen, da sich ihm ergibt, zu dem führt, was sein wahres, ewiges Endziel ist. Hört ihr das Thema, worüber die Seligen in solchen Jubel ausbrechen: „Du hast uns unserm Gotte zu Königen und Priestern gemacht und wir werden Könige auf Erden!“ Fängt bei dem Gedanken eines solchen Zieles euer Herz höher zu schlagen an. Könige, Priester Gottes, oder liegt er euch zu fern? Knechte sind wir allesammt von Vater und Mutter her, Knechte, denn es herrscht in uns, was da dienen sollte, Knechte unter unserm eignen Fleischeswillen, Knechte unter einem siechen und zerbrechlichen Leibe, Knechte unter allen Elementen, so daß Sonnenschein und Schatten und jeder veränderte Windzug unserer Stimmung eine andere Richtung gibt. Könige sollen wir werden, in denen der aus Gott geborne Geist wieder das angestammte Scepter führt und keine Schranke, keine Fessel, weder in uns noch außer uns seiner Herrschaft Eintrag thut. Dann ist's Gott allein, der in uns Alles wird in Allem sein, und darum werden wir auch priesterliche Menschen sein, jeder Gedanke ein Gebet, jedes Werk ein Gottesdienst. Das ist das Ziel des nach Gottes Ebenbild geschaffnen Menschen, und wer dafür noch kein Herz hat, der soll es bekommen; es ist aber auch das Ziel, das als Ahnung in jedem Menschengeiste liegt, das nur nicht zum Ausdrucke gelangt, als bis das Wort der Offenbarung es löst, und der soll noch auftreten, der der Menschheit ein erhabeneres Ziel zeigte, als dieses. Die Geschicke aber der Welt und eures eigenen Lebens, ihr Erlöseten Christi, sind darum und insofern in eures Heilands Hand gegeben, weil er durch Alles hindurch, was geschieht, die Seinigen zu diesem Ziele führt. Und das kann Er allein, der die Seinigen Gott erkauft hat mit seinem Blute. Und nur Er kann es. Seht, es war nicht eine königliche Gestalt, in welcher Christus, als er die sieben Siegel löste, dem göttlichen Seher gezeigt wurde. Seine Knechtsgestalt war es, in der er erschien, es war ein Lamm, das erwürget ist und durch sein Blut die Völker der Erde ihrem Gotte erkauft hatte. Das Blut der Versöhnung mußte auf die zitternden Gewissen gesprengt werden, die ihrem Gotte sich wieder nahen sollten; denn es kann kein Mensch mit fröhlichem Muthe daran denken, besser zu machen, was vor ihm liegt, so lange noch nicht gut gemacht ist, was hinter ihm liegt. Aber ein unschuldig Lamm, das durch seine dienende Liebe uns losgekauft hat von unserer Schuld, hat den Bann von unsern Gewissen hinweggenommen. Kein Engel und kein Erzengel hat es gethan, darum das Lamm allein auch würdig befunden ist, zu lösen die sieben Siegel des Buchs der Geschichte, zu lösen die sieben Siegel, mit denen dein eigenes Lebensbuch verschlossen war. Ihr, die ihr den Erlöser gefunden habt in seinem Blute, o sagt doch, ob nun euch nicht wenigstens die Hauptfragen des Räthsels eures Lebens gelöst sind, ob ihr nun nicht es wisset, woher ihr gekommen seid und wohin ihr gehet, warum ihr so viel Thränen weinen müsset und was alle eure Thränen trocknen kann? O ihr Jungen, die ihr bis jetzt nur noch den Pfeilen und Spießen des Lebens eure natürliche Sorglosigkeit als Schild entgegen gehalten habt: bald werden doch Pfeil und Spieß mit solcher Gewalt an diesen Schild anrennen, daß dieser Schild zerberstet. Seht da einen andern Schild, ihr Jungen und ihr Alten, der nicht zerberstet, den Glauben an das Lamm, das euch erlöset hat und euch zum Ziele führen will, den Glauben, daß, wie auch die Geschicke eurer Zukunft sich gestalten mögen, sie ruhen in der starken, in der gnädigen Hand, die dieses Gnadenziel euch gesteckt hat. O Christen, möchten wir mit neu erleuchteten Augen die Lebensverhältnisse, in denen wir stehen, die Lebensgeschicke, denen wir entgegensehen, betrachten. Wir sehen sie immer nicht genugsam unter dem Gesichtspunkte des Zieles an, zu dem Christus durch dieselben hin uns führen will. Nichts, nichts begegnet uns, kein Liebesblick des Freundes, kein Fußtritt des Feindes, kein Braut- und kein Sterbekranz, wobei Gott nicht das Absehen hätte, für unsere ewige Aufgabe uns vorzubereiten. Aber da sind sie wie die Kinder, die die ihnen zugeworfenen Goldstücke als Rechenpfennige zu gebrauchen wissen, wie der Wahnsinnige, der das Brot, das ihn nähren könnte, als Brotkugeln verschießt, und aus dem Stricke, der ihm zur Rettung zugeworfen wird, sich die Schlinge dreht, an der er sich erdrosselt. Aus Gnadenführungen und Gaben, aus denen das Leben uns erwachsen könnte, erwächst so Manchem nur Verderben.

Es kann mir nichts geschehen.
Als was Gott hat versehen,
Und was mir heilsam ist.

Das sollten wir nicht blos singen, ja nicht einmal blos glauben, sondern es wirklich wahr machen helfen, indem wir frisch und getrost auch die herbsten Geschicke zu unserm Seelenheile benutzen und auskaufen. O daß ich denen, die sie noch nicht haben, die Ahnung mittheilen könnte von dem Segen, der wie ein lindes, stilles Oel in die Wunden des Herzens einfließt, reinigend und heilend zugleich, wenn ein Mensch an dem Glauben festhält, daß alle Geschicke, auch die schwersten, aus Christi Hand kommen, und in diesem Glauben kindlich und ernstlich an seinen Heiland die Frage stellt: Mein Herr, was sagst du mir? - Das ist's, ihr Christen, wodurch wir selbst machen können, daß, was Gott hat versehen, uns wirklich heilsam wird. Habt ihr's beachtet, was selbst von unseres Heilands Leiden geschrieben steht, daß, obwohl er Sohn war, er doch durch das, was er gelitten, Gehorsam gelernt hat? Wie vielmehr muß Alles, was geschieht, uns Geringsten dazu geordnet sein, daß wir daraus lernen? Was haben wir aber bisher, was haben wir auch wieder aus der Erfahrung dieser letzten Zeiten für unser ewiges Heil gelernt? Er zwar hat den Gehorsam unter Gottes Willen nicht als etwas gelernt, das er noch nicht besessen hätte, aber muß nicht auch die Kraft, die wir ererbt, durch Uebung erst noch einmal erworben werden, um sie wahrhaft zu besitzen? So sollen denn alle Geschicke unseres eigenen kleinen Lebens vor allem dazu uns dienen, daß, ob wir den Glauben auch schon besäßen, - daß, ob wir diesen Glauben auch schon hätten, wir ihn doch immer aufs Neue erlernen müssen; daß wir ein Lamm zum Heiland haben, das als Löwe überwunden hat und uns durch Alles hindurch an das Ziel führen will, wo das neue Lied gesungen wird: „ Du hast uns zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden“. Und wie von den Geschicken, von Leid und Freude im Leben des Einzelnen, so müssen wir auch jenen Glauben haben von den Geschicken ganzer Zeiten. Ein neues Siegel am Buche der Weltgeschichte ist nun gegenwärtig in unserer Zeit gebrochen, und wie geschrieben steht von dem sechsten Siegel: der Himmel entwich wie ein zusammengerolltes Buch und alle Berge und Inseln wurden bewegt von ihren Oertern und die Könige und Obersten der Erde verbargen sich in die Klüfte und Felsen an den Bergen: so geschieht es. Aber auch das Siegel hat Christus gebrochen, auch die Geschicke hat er in seiner Hand und nur ein neuer Akt ist es darum in seiner Siegesgeschichte, wodurch die, die er erlöset hat, ihrem ewigen Ziele und Lobliede entgegengeführt werden sollen.

3.

Ja, zum Dritten, der Glaube ist es, der dem Christen, auch vor noch so umwölkter Zukunft unerschütterliche Geistesruhe gibt. Die am Ziele der Wallfahrt angekommen sind, die seligen Geister, die schwingen beim Bruche jedes neuen Siegels die Rauchschale ihrer Gebete und singen ihr neues Loblied, denn vor ihrem Auge liegt's klar, was uns verhüllt ist, das, was das Ende ist, in welches Alles ausgeht. Wir, die wir noch nicht daheim sind bei dem Herrn, sondern in der Fremde wallen, sehen können wir es noch nicht, aber darum ist das, was ihr verklärtes Auge sieht, uns geschrieben, damit wir's glauben sollen. Zu diesem Zwecke ist eben das himmlische Gemälde vor uns aufgerollt, und ist der Glaube, wie die Schrift sagt, dies, daß man nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht und an das Unsichtbare sich hält, als sähe man es, so kann, so muß auch, wo rechter Glaube ist, die Gewißheit sein, als sähe man es. Aber das, was die Meisten von uns ihren Glauben nennen, was ist das anders, als ein gebrochener Glaube, ein kleinlautes „Ja“ im Streit mit einem rebellischen „Nein“ oder - im besten Falle - ein lautes „Ja“, aber hinterher noch ein leise schüchternes „Nein“. Ach, wo in einem ganzen Volke der Glaube untergraben ist, wo er nicht mehr die ganze Luft erfüllt, die man von Jugend auf athmet, ach, wo es kein schon mit der Muttermilch eingesogener, dann aber in der Leidensschule geübter und festgewurzelter Glaube ist, wie wird's so erstaunend schwer, mit ungebrochnem Glauben zu glauben! Ist's nicht so bei euch Kindern dieser Zeit und namentlich bei denen, deren Glauben noch nicht in der Trübsalshitze gestählt worden, daß, so wie die Geschicke der Welt und eures eigenen Lebens einmal anders gehen, als ihr meint, daß es recht sei. sowie das Schifflein einmal schwankt und neigt, auch jedesmal ein Fragezeichen hinter eurem Glauben sich erhebt - ein Fragezeichen, das wie die Trübsalshitze wächst, größer und größer wird, bis es mit seinem schwarzen Riesenschatten das ganze credo überdeckt? Ja und selbst bei guten Tagen einen ungebrochenen Glauben, wie jene Wolke von Zeugen ihn hatte, welche der Brief an die Hebräer uns vorführt, wie ein Luther, Paulus, ein Paul Gerhard ihn hatten, ein Glauben, der am Unsichtbaren so festhält, als sähe er ihn, wie Wenige haben den! Wie die Gläubigen dieser Zeit meistens sind - wenn auch nur in Klammern geschlossen, aber ein Fragezeichen steht hinter allem ihrem Bekennen und Glauben das seine Kraft bricht, manchmal aber auch aus seinem Verschlusse hervortritt, und das gläubige Ja zu Boden wirft. Glauben jedoch, das ist kein Ja und Nein, auch kein Ja mit dem Fragezeichen, das ist jenes klare, helle und zweifellose Ja, welches jauchzend in den Himmel hineinschallt und aus Erden die Tritte fest und gewiß macht. Und von solchem Glauben sage ich, wie's dort vom Sohne Gottes heißt, daß er durch das, was er litte, Gehorsam gelernt - den müssen wir lernen. O heiliger Gottesgeist, der du den Jünger der Liebe hineingerückt hast in das Gesicht der Zeit, wo alles Glauben in Schauen verklärt sein wird, o rücke auch uns hinein in das himmlische Gesicht! O auch wir haben heiße Thränen geweint, als das Buch unseres eigenen räthselvollen Lebens vor uns lag und wir's nicht verstehen und lesen konnten und uns nicht sagen konnten: wozu dies Alles? - Aber das Buch der Weltgeschichte, wie das unseres eigenen Lebens, es ist nicht mehr ein Buch verschlossen mit sieben Siegeln. Christus hat's uns aufgethan. Er hat uns Antwort gegeben auf die traurige Frage: wozu das Alles? Wir wissen unsern Eingang, wir wissen unsern Durchgang, wir wissen unsern Ausgang, das Ziel, wo das Alles hinführt. O daß es unablässig in unser Ohr klänge das neue Lied, was die singen, welche schon jetzt schauen, was wir nur glauben. Ja, mitten in den Bewegungen einer Ungewissen Gegenwart und einer noch ungewisseren Zukunft wollen auch wir die goldenen Harfen nehmen und die goldenen Schaalen mit dem Räuchwerk der Gebete der Heiligen und in das neue Lied mit einstimmen: „ Du bist würdig zu nehmen das Buch und aufzuthun feine Siegel, denn du bist erwürget und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen, und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht. Dafür sei Ehre dem, der auf dem Stuhle sitzt und dem Lamme und Lob und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Amen.

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