Tholuck, August - Apostolikum - Predigt 1
Wir beginnen die gemeinschaftliche Betrachtung jenes Bekenntnisses des christlichen Glaubens, welches alle Jahrhunderte und alle Glieder der Kirche zu Einem großen Körper vereinigt, und das auch wir in jeglichem unserer Gottesdienste vor Gottes Angesichte wiederholen. - Evangelische Christen, indem ihr diesen Glauben bekennt, sprecht ihr aus, daß ihr denselbigen Glauben bewahrt habt, zu dem die christliche Kirche seit mehr als sechszehn Jahrhunderten sich bekennt; denn von dem dritten Jahrhundert der Kirche an haben die Christendieses Glaubensbekenntniß zu dem ihrigen gemacht, und bis auf die Apostel selbst haben sie es zurückgeführt. Evangelische Christen, indem ihr zu diesem Glauben euch bekennt, sprecht ihr eure Einheit aus mit allen Gemeinden Jesu Christi, die unter dem Himmel sind. Wir beklagen es, daß die Eine christliche Kirche in viele christliche Kirchen sich zerspalten hat, aber kraft dieses apostolischen Glaubensbekenntnisses dürfen wir sagen: es sind doch nicht verschiedene Gebäude, sondern nur verschiedene Zimmerabtheilungen in einem und demselbigen großen Gebäude, dessen Eckstein Christus ist. Ich sage, kraft dieses Glaubensbekenntnisses sprechen wir dieses aus; denn wo jemals eine christliche Confession gewesen ist, da hat sie zu diesem Glaubensbekenntnisse sich bekannt, und was auch sonst die Verschiedenheit in Lehren und Gebräuchen seyn mag, zu dem Glaubensbekenntnisse bekennt sich die Christenheit in den katholischen Domen und in den protestantischen Pfarrkirchen, vor dem Altare der Lutheraner und auf der Kanzel der Reformirten, in den Versammlungshäusern der Methodisten und in den Bethäusern der Quäker; ja selbst diejenige protestantische Kirche, welche sich unter allen am weitesten von der Reinheit der apostolischen Lehre entfernt hat, die socianiscche, aus diesem Grunde will auch sie den christlichen Glauben bekennen. Sagt, Theure, ist es nicht unaussprechlich erhebend, daß, während so viele, viele Bande des Glaubens und der Liebe zerrissen sind, welche die Bekenner des Namens Christi zusammenhalten sollten, doch Ein Bekenntniß geblieben ist, auf das sie Alle über die Mauern und Schranken ihrer Confessionen hinweg sich die Hand reichen? Werdet ihr es inne, wie viel darin liegt? Ihr werdet es fühlen, die ihr es inne geworden seid, was das sagen will, mit seinem Glauben nicht allein zu stehen; was das sagen will: die Wahrheit hat eine Kirche auf Erden! Die Christengemeinde aller Zeiten muß die Höhe und Tiefe hievon tief gefühlt haben, denn sie hat Sorge getragen, daß sie nicht bloß dann und wann sich dieser Einheit im Glauben bewußt würde, sondern in jedem ihrer Gottesdienste hat sie dasselbe Bekenntniß wiederholt. Schon etwa 150 Jahre nach der Geburt unseres Herrn finden wir Spuren davon, daß die Christen in ihren Zusammenkünften ihren Glauben an Vater, Sohn und Geist gemeinsam bekannten. Dann ward eben unser apostolisches Glaubensbekenntniß in die katholische Meßordnung aufgenommen, und fast in allen evangelischen Kirchen hat es einen Theil des Gottesdienstes ausgemacht, entweder vorangehend der Predigt, wie in der lutherischen Kirche, oder ihr nachfolgend, wie in der reformirten. Manchen von euch hat man wohl klagen hören über die beständige Wiederholung. Aber wie? solltet ihr es nicht vielmehr als eine Gnade empfinden, wenn euch gestattet wird, mit eurem Glauben euch immer wieder an eine so weite und so heilige Gemeinschaft anzuschließen? Ist es doch mit dem Glauben wie mit dem Singen: wohl mag eine einzelne Stimme lieblich klingen, aber wie ganz anders tönt es, wenn sie mit daherrauscht im vollen Chorus! Ach Viele, Viele sehnen sich wieder in unserer Zeit, Mitglieder einer Kirche zu seyn, die in Gemeinschaft glaubt. Brüder, wollen wir uns nicht gedrängt um das Panier sammeln, um das seit der apostolischen Zeit die ganze Christenheit sich gesammelt hat? Ihr, die ihr es bisher nur als ein Wort des Priesters vernommen habt, vernehmt es von jetzt an als ein Bekenntniß der Gemeinde, das ihr selbst ablegt; ihr, deren Amen bisher nur von den Lippen erklungen ist, rufet Amen aus eurem Herzen! Und könnt ihr es nicht, o so betet, daß Gott selbst euch lehre, was es heißt, wenn eine ganze Gemeinde als Ein Mann bekennen kann: „Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Herr, Ein Gott und Vater Aller, der über uns Alle, und durch uns Alle, und in uns Allen.“
Wir werfen zuerst im Allgemeinen einen Blick darauf. Es giebt einen geheimnißvollen Dreiklang, welcher durch alles christliche Glauben hindurchgeht, und der auch aus dem Gebete des Herrn uns entgegengeklungen ist: die Lehre von Gott dem Vater, von dem wir geschaffen, von Gott dem Sohne, durch den wir erlöst, von Gott dem heiligen Geiste, in dem wir geheiligt werden. Auch hier findet ihr diesen Dreiklang wieder. Mit dem Vater, der Himmel und Erde geschaffen, beginnt der Christen Bekenntniß, mit dem eingebornen Sohne, der vom Himmel auf die Erde herabgestiegen, fährt es fort, und mit dem Geiste, der eine Gemeinschaft der Heiligen bildet, die ins ewige Leben dauert, schließt es. Und zwar habt ihr zu bemerken, daß der zweite Artikel nur von den Thatsachen der Erlösung redet, nicht von ihren Würkungen; nur von dem, was der Herr uns zu Liebe gethan und gelitten, ist darin die Rede. Dieweil nämlich alle Würkung der Erlösung nur würklich zu uns kommt, und an uns lebendig wird im Geiste, so ist von allen Würkungen jener Thatsachen erst im dritten Artikel die Rede, der vom heiligen Geiste handelt; indem derselbige von der heiligen Kirche spricht, welche der Geist gegründet, spricht er auch zugleich von allen Segnungen, welche durch Christi Gnade in dieser Gemeinschaft genossen werden, als da sind Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Ja, darin ist in der That unser christlicher Glaube zusammengefaßt, daß wir an einen Gott und Vater glauben, aus dessen Herzen unser Aller Heil entsprungen ist, und an Gott den Sohn, durch den es vermittelt worden, und an Gott den heiligen Geist, in dem es in uns Allen vollendet wird in Ewigkeit. Es ist ein Gott und Vater, welcher, wie die Schrift sagt, uns erwählet hat durch Christum, ehe der Welt Grund gelegt ward, und ein eingeborner Sohn des ewigen Vaters, „welcher, als die Zeit erfüllet war, geboren worden ist von einem Weibe, und unter das Gesetz gethan, auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete, daß wir die Kindschaft empfingen“, und ein Heiliger Geist, durch den der Vater und der Sohn in uns Wohnung macht und bei uns bleibt je mehr und mehr bis in Ewigkeit.
So sei denn der Text, den wir der Betrachtung der drei Artikel unseres Glaubens zu Grunde legen, jenes unermeßliche Wort des Apostels am Schlusse des 11ten Cap. des Briefes an die Römer: „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“
Von ihm sind alle Dinge. Das ist das Wort der Schrift, an welches wir die Betrachtung des ersten Artikels unseres Glaubens anknüpfen. O unermeßlich reiches Wort! Das ist eines von jenen Worten, wobei der Prediger, anstatt zu belehren, nichts anderes thun möchte, als sein Herz euch öffnen und ausströmen lassen in den Worten der heiligen Psalmisten: „Lobe den Herrn, meine Seele; Herr mein Gott, du bist sehr herrlich - du breitest aus den Himmel wie einen Teppich - der du das Erdreich gründest auf seinen Boden, daß es bleibet immerdar und ewiglich!“ - Ja, nur zu einem einfachen Lobgesange möchte sich und euch der Prediger bei dem Gedanken auffordern. Er möchte euch zurufen:
Danket dem Herrn,
Dem Schöpfer aller Dinge!
Der Brunn des Lebens thut aus ihm entspringen,
Gar hoch vom Himmel her aus seinem Herzen;
Lobet den Herrn!
Ja, unsere Seele lobe den Herrn! sie lobe ihn, wenn sie zuerst bedenkt: er ist der Schöpfer, und zwar er allein, denn er ist der allmächtige Schöpfer, der alle Macht allein in sich beschließt. Habt ihr bis jetzt noch nicht geahnet, wie viel hierin liegt, so habt ihr euch wohl noch nicht vorgestellt, wie das Herz eines Menschen zerrissen werden muß, der nicht glaubt, daß alle Macht in Einer Hand beschlossen ist? Stellt euch einmal lebhaft die armen Heiden vor, die da glaubten, wenn ihre Seele sie quälte, müßten sie zu einem andern Gott beten, und wenn ihr Leib Qual hätte, wieder zu einem andern, und für jedes Glied ihres Leibes wieder zu einem andern, und am Ende wußten sie nicht einmal, ob sie die rechten getroffen hätten! O die noch ärmeren Heiden, welche, wie das arme Perservolk, glaubten daß die Allmacht in zwei Hände vertheilt wäre, in die Hand eines Gottes, der im Lichte wohnt und seine Lust hat an seiner Kinder Leben, und in die Hand eines Gottes, dessen Wohnung die Nacht ist und der Lust hat an der Menschen Tod und Verderben! - Und wenn ihr nun in einem solchen Glauben geboren wäret, würdet nicht auch ihr dahin ziehen nach der Väter Weise? Christen, darin besteht das erste Stück unseres heiligen Glaubens, daß unser Bekenntniß rühmt: wir glauben an eine einzige Hand im Himmel, in welche alle Macht gelegt ist, wir glauben an einen Gott, der da sagen kann: „Wer misset die Wasser mit der Faust und fasset den Himmel mit der Spanne? Wer begreift den Staub der Erde mit einem Dreiling und wäget die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Wage? Wer unterrichtet den Geist des Herrn, und welcher Rathgeber unterweiset ihn? - Ich bin allein der Herr, und will meine Ehre keinem Andern geben.“ Werdet ihr es inne, welche Kluft die Genossen des alten Bundes trennt von aller Heiden Religionen? Werdet ihr es inne, wie dieser eine Glaubensartikel die Gläubigen Israels hoch über die Völker der Erde stellte? wie nur dieser Glaube hat Psalmen erzeugen können, und wie Israel mit Recht gerühmt hat: „Er zeigt Jacob sein Wort, Israel seine Sitten und Rechte; so thut er keinen Heiden, noch läßt er sie wissen seine Rechte! Hallelujah!“
Ich sage, wir Christen sind selige Menschen, darum daß wir wissen und glauben, daß alle Macht in Eine Hand gegeben ist; ich sage aber noch mehr: diese Hand ist die Hand eines Vaters: „Ich glaube an Gott den Vater!“ Schon damals haben wir entwickelt, wie viel in dem einen großen Gottesnamen Vater liegt, als wir das Gebet des Herrn betrachteten und lernten, wie viel uns damit gegeben sei, daß wir beten dürfen: „Vater unser, der du bist im Himmel!“ Es wird daher nicht bedürfen, daß ich nochmals dabei verweile; doch stellt euch dies vor: wir wissen nun, daß alle Macht in Einer Hand liegt, aber - wem gehört diese Hand? - Wehe, wem gehört die allmächtige Hand, und welches ist das Herz, das sie regiert? Und wie, wenn es eine Hand wäre, die von keinem Herzen regiert wird? wie, wenn es nur eine allmächtige Riesenhand wäre, die sich ausstreckt über Himmel und Erde und deren Finger hier einen Stern auslöscht und dort eine Menschenseele, ohne daß ein ewiges Herz darum weiß? Ach, ich spreche nicht Träume! Giebt es nicht unter uns Menschen, welche nur von einer solchen Riesenhand wissen die sich um den Himmel und um die Erde gelegt hat - ohne ein Gottesherz, das sie bewegt, welche keinen andern Gott kennen, als das Schicksal? Seid ihr ihnen niemals im Leben begegnet, diesen Unglücklichen mit dem marmornen Antlitze und dem eisigen Herzen? Wie der Mensch ist, so ist sein Gott, aber wie sein Gott ist, so wird auch der Mensch. O liebe Christen, seid ihr denn auch recht dankbar dem, der euch die Gewißheit gegeben hat, daß jener allmächtige Arm, der sich um den Himmel und um die Erde gelegt hat, der Arm eines Vaters ist?
„Aus ihm sind alle Dinge“: er ist der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden. Er ist der Schöpfer der Erde! O nicht weiter brauchen wir mit unsern Gedanken zu gehen, um staunend anzubeten. Nur eines gesunden Auges und eines gesunden Ohres bedarf es, um hineinzuschauen und hineinzuhorchen in der Erde Herrlichkeit, und Lobpsalmen müssen erschallen, denn „wo mein Auge ringsum blickt, sieht‘s Wunder Seiner Gnade“. Aber Gott ist größer, als unsere Sinne sind. Wir bewaffnen unser Auge, und siehe! jedes Staubkorn wird eine eigene Erde, und schon hier auf dieser kleinen Erde geht der Blick ins Unermeßliche. Ja wenn Gott allein der Erde Schöpfer wäre, so könnte der Menschen Staunen vor seiner Größe kein Ende finden! Und doch heißt diese mit allem Schmucke seiner Herrlichkeit bekleidete Erde nur der Schemel seiner Füße, und der Lobgesang seiner Engel ruft mit lauter Stimme: „Himmel und Erde sind seiner Ehre voll!“ Ja dieser Erde Herrlichkeit wird für den kindlichen Sinn nur ein Bild und Gleichniß der Herrlichkeit, die an Gottes Herzen seyn muß, und wohl mancher hat an einem fröhlichen Tage, wenn ihm hier unten auf dem Fußschemel des Thrones Gottes schon so wohl geworden war, mit dem christlichen Dichter in Einfalt des Herzens gesungen:
Wenn am Schemel seiner Füße
Und am Thron schon solcher Schein:
O was muß an seinem Herzen
Erst für Glanz und Wonne seyn!
Unser Auge hebt sich empor, und wiederum bedarf es nur eines gesunden Auges, um anzubeten vor der Unermeßlichkeit, die dort oben ausgebreitet ist. Aber auch hier ist Gott größer als unsere Sinne sind; wir bewaffnen das Auge, und siehe! jede Sonne wird zum Mond und jeder Nebelfleck zu einer Sonnenwelt. Das alles nun, Geliebte, was mein Auge auf Erden und im Himmel sieht, und was mein Herz auf Erden und im Himmel ahnet, das steht vor meinem Auge, wenn ich anbetend mit der christlichen Gemeinde bekenne: „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde.“
Aber in dem Maaße, als vor meinem Blicke seine Schöpfung größer und unermeßlicher wird, werde ich selbst so unaussprechlich klein, und allen Sonnenwelten gegenüber frage ich wehmüthig: was ist der Mensch? Und aus dem Worte Gottes selbst tönt die Antwort wieder: „Der Schatten der Wolke, die über die Wiese fährt, der Halm, den der Wind dahinreißt!“ Und doch hat er unser gedacht; er hat mich gedacht, denn er hat mich geschaffen, und bin ich ein Gedanke seines Herzens gewesen, der Ihn wieder denken kann, so kann ich nicht etwas so ganz Geringes seyn, so kann er mich zu nichts Geringem bestimmt haben. - Er hat dich zu nichts Geringem bestimmt, o Mensch, denn „aus ihm bist du geschaffen, und zu ihm bist du geschaffen.“ Siehe, Mensch, zu Gott, zu dem Urquell aller Herrlichkeit bist tu geschaffen, und in ihm sollst du deine Ruhe und deine Genüge finden, und bei ihm und in ihm bleiben ewiglich. Auf welche Weise und durch wen wir an dieses Ziel würklich kommen, das wird die Betrachtung des dritten Artikels uns lehren; nur das Ziel selbst vergegenwärtigen wir uns heut, welches die ewige Liebe sich schon vor Augen gestellt, da sie uns schuf. O daß der Gedanke in dieser Stunde in seiner ganzen Größe unsere Seele treffen möchte: Ich bin ein Gedanke Gottes, vor der Weltgrundlegung gedacht: ich bin ein Gedanke Gottes, der den denken kann, von dem er ausging! Er hat mich gedacht, ehe das Meer und die Erde und alle Berge geworden sind, hat mich gedacht gerade an der Stelle des Universums, wo ich stehe, damit ich auf dieser Stelle ihn finden und zu ihm kommen sollte; denn - er hat mich geschaffen zu sich, und gerade die Stelle und gerade die Verhältnisse, worin du stehst, die sind zugleich die Pforten, durch die hindurch du zu deinem Gotte kommen sollst. Sehet, das wäre eine rechte Geburtstagsbetrachtung! Aber weil jeder Tag des Menschen Sterbetag seyn kann, so soll auch der Mensch an jedem Tage eine Geburtstagsbetrachtung anstellen; aus Gott und zu Gott, das ist der Gedanke, der in jeder stillen Morgenstunde vor uns aufgehen soll; aus Gott und zu Gott, das ist der Zuruf, mit dem jedes Tagewerk beginnen soll. Ihr habt manchmal das Evangelium schmähen hören, daß es den Menschen recht erbärmlich darstelle nach seiner Beschaffenheit; aber warum stellt es ihn so bar? Warum anders, als weil es ihn so herrlich dargestellt hat nach seiner Bestimmung? Nehmt euch hier die zwei getrennten Seiten der Wahrheit zusammen, und ihr werdet ihren vollen Klang haben. So wissen wir denn das Ziel, und unser Blick richtet sich hinaus auf die Heerstraße des Lebens und fragt: Ihr Menschen, seid ihr auf dem Wege nach dem Ziele? Rastlos sehe ich Menschen streben, sie rennen und eilen! Wanderer, wohin so schleunig auf deinem Wege? Zu Gott, zu Gott hin, zu meinem Ursprunge, wo ich mein Ziel und meine Ruhe finde. Ach, daß sie alle diese Antwort geben könnten! Aber sie können sie nicht geben. Was ihr Ziel ist, ihr wißt es: Ehre, Reichthum und gute Tage. Aber daß wir hier nur nicht blos, wie es oft geschieht, diejenigen anklagen, die draußen vor der Gottesstätte ihr Wesen haben! in unsere eigene Mitte muß die Anklage einziehn, denn ihr Hunderte, die ihr hier versammelt seid: wem von euch giebt sein Gewissen Zeugniß, daß nicht Ehre, nicht Reichthum und gute Tage seines Tagewerkes innerster Antrieb sind, sondern der lebendige Gott? , Wer etwa im Gewühl einer reichen und handeltreibenden Stadt als ein stiller Beobachter eine Zeitlang dagestanden an einer Ecke der Straßen und den Wellen des immer ablaufenden und wieder anschwellenden Stromes der Thätigkeit zugeschaut hat - o ein unbeschreiblich wehmüthiges Gefühl ergreift den bei der Frage: Und wozu nun das alles? was ist die innerste Seele von dem Allen? Wenn er sich dann sagen muß: der Gewinn und die vergängliche Lust - nichts anderes, als der elende Gewinn und die elende Lust! Da kann es einen ergreifen, daß man wie einer der alten Propheten laut seine Stimme erheben möchte, und hineinschreien, wie jene Propheten Israels damals hineinschrieen in das götzendienerische Volk: Zurück, zurück von den Götzen zu dem lebendigen Gotte! daß man in das Gewühl hineintreten und hineinrufen möchte: Unsterbliche Menschen, ist Gott nicht euer Ursprung, ist Gott nicht euer Ziel?! Ihr mißversteht nicht, Geliebte, wie es wohl oftmals geschieht: nicht daß ich sagen wollte, statt ihrer Geschäfte sollten sie beten und singen; nein, oftmals habe ich mich hierüber gegen euch ausgesprochen, die Seele ihres Treibens soll eine andere seyn, sie sollen bei allem ihren Treiben dem lebendigen Gotte dienen und nicht dem Mammon! - Es hängt mit jenem Irrthum noch ein anderer zusammen, der sich vornehmlich bei euch findet, die ihr den Wissenschaften obliegt: als ob nämlich ihr schon durch die Beschäftigung mit dem Reiche des Wissens erhaben wäret über den Handwerker, der den Ambos hämmert, und den Ackermann, der hinter der Pflugschaar einhergeht. Ich sage euch: worauf es auch bei euch ankommt, das ist, was die Seele sei eures Treibens, ob die Seele auch eures Berufes Gott sei. Ist die Seele und das Ziel des täglichen Strebens nicht Gott und seine heilige Ehre, so sage ich: euer Werk ist fleischlich, das Werk aber des Ackermanns hinter der Pflugschaar ist geistlich!
Ja, mit heiligem Zorn möchte derjenige, der seinen Ursprung nicht vergessen hat, in das Gewühl der götzendienerischen Menge treten; aber bei näherer Erwägung löst dieser heilige Zorn sich in Wehmuth auf, wenn wir nämlich bedenken, daß, was sie in allem ihren verkehrten Treiben eigentlich meinen, doch Gott ist, und daß, was sie suchen, sie nur bei Gott finden können. Sie suchen Wissen, Gott ist Weisheit; sie suchen Lust, bei dem Urquell alles Lebens ist der Urquell aller Lust; sie suchen Ruhe, bei Gott ist Ruhe. Gleichwie daher Paulus in Athen gepredigt hat: „Ich predige euch den unbekannten Gott, den ihr anbetet, ohne ihn zu kennen“, so möchte man in die Welt hineinrufen: „Ihr Menschen, suchet, was ihr suchet, aber es ist nicht da, wo ihr es suchet!“ O meine Brüder, daß oftmals, wenn ihr nach Freude, Frieden und Ruhe jagt und sie nicht findet, weil ihr sie nicht in Gott suchet, o daß es wieder und wieder in euer Ohr töne: „Suchet, was ihr suchet, aber es ist nicht da, wo ihr es suchet!“
Nun denn, ihr Christen, die ihr euch zu dem Glauben an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden bekennet als zu eurem Ziele: werdet ihr es inne, welche Würde dieser Glaube euch selber mittheilt? und sieht man es euch an, daß ihr eines so hohen und himmlischen Glaubens Genossen seid? O von diesem Augenblicke an, wenn ihr wieder hinaustretet aus diese n Hallen, so sehe man euch an: das sind Menschen, die da glauben, daß alle Dinge in der Hand einer väterlichen Allmacht liegen, und die daher alle Zeit getrost sind! - so sehe man euch an: das sind Menschen, die da glauben, daß sie von Gott ihren Ursprung haben, und denen daher nimmer an der Brust der ganzen geschaffenen Natur wohl wird! - das sind Menschen, die da glauben, daß sie in Gott ihr Ziel haben, und deren Auge daher, während sie auf Erden wandeln, nach dem Himmel gerichtet bleibt! -