Tauler, Johannes - Auf Mittwoch vor dem Palmtag.

Von dem innerlichen Tempel und seiner Kirchweihe. Von dem geistlichen Winter, deren zweyerley beschrieben werden, und was leidenhaftige Gelassenheit bringen möge; was die bösen, neidigen, oder die frommen Juden uns geistlich bedeuten. Warum die Freunde Christi seine Schäflein genennet sind, auch von unterschiedlicher Weise und Uebung der Heiden und Juden. Joh. X. v. 16. und besonders auf die Worte Christi: Oves meae vocem meam audiunt etc. Meine Schafe hören meine Stimme.

Zu einer Zeit war Kirchweihe zu Jerusalem, und es war Winter, und der Herr Jesus wanderte auf Salomons Bethaus, und die Juden gingen um ihn, und sprachen: Wie lange willst du unsere Seele aufhalten? Bist du Christus, so sage uns das offenbar. Und unter vielen Worten (die unser Herr sprach), so sprach er auch: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und Niemand nimmt sie aus meiner Hand. Und das geschah auf Salomons Bethause, denn David spricht: Er hat seine Stadt in dem Frieden gemacht. Salomon ist so viel, als (pacificus) friedsam. Dieß ist der ewige Salomon, dessen Stadt anders nirgend seyn mag, denn in dem Frieden, in inwendigem Frieden.

Jesus ging in den Tempel, und es war Kirchweihe. Dieser Tempel, da Jesus eingehet, das ist die lautere Seele mit ihrer lautern Inwendigkeit, an die Gott mehr Fleiß gelegt hat, denn an alle Creatur, und mehr Wirkens damit gehabt hat. In diesem Tempel war Kirchweihe, das ist: eine Verneuung. Nun wie geschieht diese Verneuung in diesem Tempel, da Gott so gerne inwohnet, ja viel eigentlicher, denn in allen Tempeln, die je gebauet oder geweihet wurden? Das ist und heißt neu, was nahe ist bey seinem Aufgang oder Anfang. Da sich der Mensch mit allen seinen Kräften, und mit seiner Seele einkehret, und in diesen Tempel eingehet, da er Gott in der Ewigkeit und Wahrheit innen findet, wohnen und wirken, und er ihn hier in befindlicher Weise findet, nicht in sinnlicher, noch in vernünftiger Weise (wie man gelesen hat, oder gehört, oder durch die Sinne eingekommen ist), sondern in befindender, schmeckender Weise, wie es aus dem Grunde herausquellend ist, als aus seinem eigenen Brunnen, und nicht eingetragen, denn ein Brunnen ist besser, denn eine Cisterne. Die Cisternen faulen und trocknen, aber der Brunnen läuft, und quillt und wachst, er ist wahr, eigen und süß. Dann ist in diesem Tempel in der Wahrheit Kirchweihe, und so oft diese Einkehr des Tages geschieht, ob es möglich wäre, daß sie zu tausendmal des Tages geschähe, so oft wird da eine Verneuerung, und es werden allewege mit dieser Einkehr neue Lauterkeit, neues Licht und Gnade und neue Tugend geboren. Es ist um diese Einkehr ein wonnigliches Ding, und dazu dienen alle auswendigen Uebungen und Werke, und sie meinen ihre Vollkommenheit darin, und ausser diesem haben sie nicht viele oder große Macht; und wiewohl man sich allezeit in allen guten Weisen und Werken üben soll, doch vor allen Dingen soll man diese Einkehr wahrnehmen, so wird diese Kirchweihe wahr und ganz.

Dieß war in dem Winter. Nun, wann ist der Winter? Dann ist in der Wahrheit Winter, wenn das Herz erkaltet und erhärtet ist, also daß weder Gnade, noch Gott, noch göttliche Dinge in dem Herzen sind; denn der kalte Schnee und Reif, das sind die leidigen, verdorrten und verderbten Creaturen, die mit Liebe und mit Lust das Herz besessen haben, die verlöschen zumal das Feuer der Liebe des heiligen Geistes und machen eine wunderliche Kälte von aller Gnade, und allem Trost, und aller Heimlichkeit, die sie ganz erlöschen. Es ist auch ein anderer Winter, da ein guter, göttlicher Mensch, der Gott liebet und meinet, und sich mit Fleiß vor Sünden hütet, und doch von Gott gelassen wird, in befindlicher Weise, dürr, und finster, und kalt wird, von allem göttlichen Trost und Süßigkeit.

In diesem Winter war unser Herr, der also gar verlassen ward von seinem himmlischen Vater in helfender Weise, und von der Gottheit (mit der er doch natürlich vereiniget war), daß ein einiger Tropfen seiner Gottheit der kranken, durchleidenden Menschheit nie einen Augenblick zu Hülfe kam, in allen seinen Nöthen und in seinem unaussprechlichen Leiden. Er war vor allen Menschen der leidendste und der allerverlassenste, ohne alle Hülfe. Also sollen sich seine auserwählten Freunde freuen, mit vollen Freuden ihres freyen Willens, wenn sie finden, daß sie ihrem Hirten (dessen Schafe sie seyn wollen) in gelassener Verlassenheit nachfolgen mögen, von innen und von aussen. Wie wären sie so gar überselig, daß sie ihrem Hirten also in seinen Winter dieser Verlassenheit, von Gott und allen Creaturen, folgten, da wäre Gott wahrlicher und ihnen nützlicher gegenwärtig, denn in allen Sommern eigener Gebrauchlichkeit, die sie vielleicht je gewönnen; und keine Vernunft mag das begreifen, was in dieser wahren harten Verlassenheit verborgen liegt, wenn es zumal Winter ist, dürr und finster, ob man sich in gleicher Geduld darin hielte.

Nun spricht das Evangelium: Die Juden standen um ihn. Es waren zweyerley Juden, gute und böse, also sind auch unter uns. Ein Jude heißt so viel: der Gott verjahet (bekennet). Wenn die Kräfte, davon wir geredet haben, sich in der Wahrheit mit der Natur einkehren, und über die Natur, und in den inwendigen Grund, in die Wurzel kehren, da bekennen sie Gott in befindlicher Weise, und wie sie Gott da finden, so bekennen sie ihn in der Wahrheit in gebrauchlicher Weise. Dieß alles ist in dem wahren, lebendigen Glauben, und von allem, was hievon geboren wird inwendig in der Vernunft und in dem Willen, und auswendig in den äußern Kräften, es sey mit Wirken oder mit Leiden, in Worten, in Werken, in Thun und Lassen, empfindet man nichts, weder in wirkender, noch in schauender Weise, denn ein Bekennen Gottes in der Wahrheit. Dieses mochte Christus meinen, da er sprach: Die mich vor den Menschen bekennen, die werde ich vor meinem himmlischen Vater bekennen. Wisse, welches Werk du thust, dem du ein anderes Ende setzest, denn Gott, in dem vergissest du Gottes, denn Gott soll von Natur ein Ende aller Dinge und aller Meinung seyn, und wo du ein anderes Ende setzest, da thust du, als ob du ihn verläugnest. Denn du gibst der Creatur das, was Gottes von Natur eigen ist.

Es waren auch böse Juden, die um Jesus unsern Herrn standen, denen war ihr Herz voll Bitterkeit, also daß sie ihn nicht ansehen noch leiden mochten; sie waren, als ob sie steinerne Herzen wider ihn hätten. Ach, was findet man noch Christen-Menschen, wenn sie Gottes Freunde in guten Weisen sehen, in guten Werken, so haben sie einen Widerwillen wider sie, und verbittern recht ihre Herzen wider sie, und vernichten ihre Werke, was sie thun, und ihre Weise und ihr Leben; sie finden so viele Glossen über sie oder wider sie, daß sie recht wie die bösen Juden sind. Es ist sonderlich ein sorgliches Ding, und der wahresten Zeichen eins unter allen Zeichen, daß sie mit Gott und allen seinen Freunden nimmer Theil haben sollen ewiglich, die nicht in sich eine Gunst und eine Liebe finden, doch mindestens zu allem dem, was gut und göttlich ist. Denn Christus sprach: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich. Und hinwiederum sind die guten Juden, die in sich unberathen einen bereiten Willen finden, eine Liebe und Gunst, und eine Meinung zu allem Guten, das ist je ein Wahrzeichen, daß Gott in ihrem Grunde ist, und sie des wesentlichen Guts ewiglich gebrauchen sollen; aber die es nicht sind, zu denen sprach er: Ihr seyd nicht von meinen Schafen, denn meine Schafe hören meine Stimme, das ist diese Stimme.

Warum heißt unser Herr seine Freunde also oft Schafe? Das ist um zweyer Dinge, die die Schafe an sich haben, die unser Herr zumal und sonderlich liebt. Das ist Unschuld und Sanftmuth; die Lauterkeit der Unschuld folgt dem Lämmlein, wo es hingehet; die Sanftmuth ist Gott nahe, beyde hören Gottes Stimme, die der ungestüme und zornige Mensch nimmer hört; denn so der Wind stürmet, und die Fenster und die Thüren klappern, so mag man nicht wohl hören. Sollst du nun das väterliche, verborgene, heimliche Wort in dir hören, das in dem heiligen, innersten Grunde gesprochen wird, so muß in dir und aus dir alles Ungestüm darnieder liegen. Du sollst und mußt ein sanftmüthiges Schäflein seyn, und dich lassen, und deine großen Gebrechen erkennen, und auf diese Stimme hören, mit stiller Sanftmuth. Dieß ist allen denen verborgen, die nicht Schafe sind. Aber zu seinen Schafen sprach er, wie man heut zu Nacht in der Lektion las: Ich will dir ein begierliches (wünschenswerthes) Erdreich geben, und ein verkläretes Erbe, und die Uebungen der Heiden, und du sollst nicht aufhören nach mir zu gehen. Welches ist nun dieß begierliche Erdreich, das er seinen lieben Freunden und Schafen gelobte? Das ist das Erdreich ihres Leichnams, der von Natur widerspenstig war, daß er also begierlich und unterthänig wird, wie sie wollen; und wo sie ihn hin haben wollen, dazu wird er bereit, und hat große Wonne und Lust darin; was zuvor dürr war, das wird nun wie ein wohlgebautes Erdreich, das weich ist, und das man säet und egget. Also wird dieser lautere Leichnam zu allem Guten begierig.

Nun welches ist denn das verklärte Erbe? Das ist nichts anders, denn unser Herr Jesus Christus, denn er ist ein Erbe seines Vaters, und wir sind seine Miterben, wie davon St. Paulus spricht: Der Sohn hat von dem Vater alles das genommen, was er ist und hat und vermag, und der Vater hat ihm alle Dinge in seine Hand gegeben, dieß trug der Sohn dem Vater alles gründlich wieder auf, in allen Weisen, und in allem dem, was er von dem Vater empfangen hatte, also daß er ihm nicht ein Haar verhielt, noch sich annahm, denn er suchte allein die Glorie seines Vaters. Also in dieser Weise sollen wir dem Sohn nachfolgen; soll er unser verklärtes Erbe seyn, so sollen wir dem Vater alles dieß wieder auftragen, alles was wir sind und haben, und vermögen. Und alles, was wir von ihm empfingen, dessen sollen wir uns nicht eines Härlein breit annehmen, weder inwendig, noch auewendig. Es komme mit oder ohne Mittel, lasse es dem, dessen es ist, und nimm dich dessen nicht an, und suche ihn. Es sind die leidigen Sinne, und die Natur also kleberig, und suchen das Ihre in allen Dingen, damit wird das verklärte Erbe gar sehr verfinstert; denn wo du dich des Göttlichen annimmst, da machst du das Göttliche creatürlich, und verfinsterst es.

Und er wird dir die Uebung der Heiden geben; die hatten keine Weise, noch Heiligkeit, noch Ewigkeit, denn sie nahmen Gnade um Gnade, ohne alles ihr Verdienen; aber die Juden verließen sich auf ihre Werke, und auf ihr Thun, die hatten ihre Ceremonien und Gebote und viele Dinge. Die Heiden hatten keinen Enthalt, darauf sie baueten, denn allein auf Gottes Gnade, in seiner Barmherzigkeit. In der Weise soll deine Uebung seyn, daß du dich auf nichts anderes enthaltest, denn auf die große Gnade und Barmherzigkeit Gottes, und begehrest und nehmest Gnade von Gottes Güte allein, und nicht groß achtest, weder deine Bereitung, noch Würdigkeit. Die jüdische Weise haben viele Menschen, und sie stehen auf ihren eignen Weisen und Werken, die wollen sie je zu einem Unterstand (Stütze) haben, und glauben, es sey alles verloren, wenn sie nicht ihr Werk gethan haben, und bedürfen weder an Gott, noch an Jemand zu glauben, sie bauen verborgen auf ihre Werke und auf ihr eignes Thun. Ich meine nicht, daß man gute Uebung unterwegen lassen soll, man soll sich allezeit üben, man soll aber nicht darauf bauen, noch sich darauf halten. So halten solche mehr darauf, daß sie härenes Hemd und Halsband getragen, und gefastet, gewachet und gebetet haben, und 40 Jahre ein armer Mensch gewesen seyen, und alle diese Weisen halten sie recht, wie einen Zugang zu Gott, ohne welche sie nicht sicher, noch kühn Zuversichtlich sind. Aber wenn man aller Menschen Werke gethan hätte, die je gethan wurden, so soll man dessen alles so bloß und ledig in dem Grunde seyn, wie die, die kein gutes Werk je thaten, weder klein noch groß, sondern Gnade um Gnade von der großen Barmherzigkeit Gottes, ohne allen Enthalt eigener Zuversicht der Bereitung empfangen. Dieß ist die Uebung der Heiden. Was aber Jeremias sagt: Du sollst mich Vater heißen, und sollst nicht aufhören nach mir einzugehen, dazu helfe uns Gott. Amen.

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