Spurgeon, Charles Haddon - Ein Weib von traurigem Gemüt.
„Hanna aber antwortete und sprach: Nein, mein Herr, ich bin ein betrübtes Weib.“
1 Sam. 1, 15.
„Ich bin ein Weib von traurigem Gemüt,“ (Engl. Üb.)
Die besondere Ursache der Betrübnis Hannas entstand aus der Einrichtung der Polygamie, die, obwohl sie unter dem alten Gesetz geduldet wurde, uns doch in ihrer tatsächlichen Wirkung stets als eine sehr fruchtbare Quelle des Schmerzes und der Sünde vorgeführt wird. In keinem einzigen in der Heiligen Schrift erzählten Beispiel wird sie als bewundernswert dargestellt; und in den meisten Fällen liegen die Beweise ihrer schlimmen Wirkungen offen am Tage. Lamech führt die Reihe an, und er ist ein Menschenmörder, der aus dem mörderischen Hause Kains stammt, und der Vater von Thubalkain oder Vulkan, dem Verfertiger der Zerstörungswaffen: niemals war diese Einrichtung die Vorbotin des Friedens, sondern die Förderin des Streites. Wir sollten dankbar sein, dass unter der christlichen Religion dieser Gräuel abgetan ist; denn selbst bei solchen Männern wie Abraham, Jakob, David und Salomo förderte sie nicht das Glück oder die Gerechtigkeit. Der Mann fand, dass dieses System eine schwere, hart zu tragende Last sei; denn er erkannte bald die Wahrheit des Rates, den der weise Mann dem Sultan gab: „Lerne erst, mit zwei Tigerinnen zu leben, und dann hoffe, glücklich mit zwei Weibern zu leben.“ Das Weib muss fast in jedem Falle das Elend gefühlt haben, eine Liebe zu teilen, die ganz ihr eigen sein sollte. Was für Leiden orientalische Frauen im Harem erduldet haben, kann niemand sagen oder vielleicht sich auch nur vorstellen. In dem vorliegenden Fall hatte El-Kana Not genug durch das Tragen der doppelten Kette, aber dennoch fiel die schwerste Bürde auf seine geliebte Hanna, die bessere von seinen zwei Frauen. Je schlechter das Weib, desto besser konnte es das System der Vielweiberei ertragen, aber das gute Weib, das wahre Weib, musste immer darunter leiden. Obgleich sie von ihrem Manne sehr geliebt ward, verbitterte doch die Eifersucht der Nebenbuhlerin das Leben der Hanna und machte sie zu einem „betrübten Weibe.“ Wir danken Gott, dass vor dem Altar des Herrn nicht mehr eitel Tränen, Weinen und Seufzen ist von den „Weibern der Jugend,“ die ihrer Männer Herzen sich entfremdet und geteilt zwischen andren Weibern sehen. Um der Herzenshärtigkeit willen wurde das Übel eine Zeitlang geduldet, aber die vielen Übel, die daraus entsprangen, sollten genügen, es mit einem Bann zu belegen unter allen, welche das Wohl der Menschen erstreben. Am Anfang machte der Herr für den Mann nur ein Weib. Und warum eins? Er hatte die Fülle des Geistes und hätte ihn in so viele hineinhauchen können, wie Er gewollt. Maleachi antwortet: „Damit Er einen göttlichen Samen suchen möge.“ (Mal. 2, 15 nach der engl. Üb.) Als wenn es ganz klar wäre, dass die Kinder der Vielweiberei ungöttlich sein würden, und nur in dem Hause eines Mannes und eines Weibes Gottseligkeit zu finden sei. Dies Zeugnis ist von dem Herrn, und es ist wahr.
Aber genug Quellen des Kummers bleiben noch übrig; mehr als genug; und keinem Hause, wie fröhlich es auch sein mag, fehlt es, wie ich glaube, gänzlich an dem Kreuz. Der Weltling sagt: „Es ist ein Skelett in jedem Hause.“ Ich weiß wenig von solchen toten Dingen, aber ich weiß, dass ein Kreuz der einen oder andren Art von jedem Kinde Gottes getragen werden muss. Alle wahren Himmelserben müssen die Rute des Bundes fühlen. Wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtiget? Der rauchende Ofen (s. 1 Mose 15, 17) ist ein Teil des Wappens der himmlischen Familie, und ohne ihn mag ein Mensch wohl bezweifeln, ob er überhaupt in einem Bundesverhältnis zu Gott steht. Wahrscheinlich ist jetzt irgend eine Hanna vor mir, die unter der züchtigenden Hand Gottes leidet, ein Kind des Lichtes, das in Finsternis wandelt, eine Tochter Abrahams, die vom Satan gebunden ist, und es mag nicht überflüssig sein, sie daran zu erinnern, dass sie nicht die erste ihrer Art ist, sondern dass in vergangenen Jahren an der Tür des Gotteshauses eine stand, die ihr gleich war, und von sich sagte: „Nein, mein Herr, ich bin ein Weib von traurigem Gemüt.“ Möge der heilige Tröster, der sein Werk hauptsächlich an den Traurigen hat, unsre jetzige Betrachtung mit Trost erfüllen.
I.
Indem wir von diesem „Weibe von traurigem Gemüt“ reden, wollen wir zuerst die Bemerkung machen, dass vieles Köstliche mit einem traurigen Gemüt verbunden sein mag. An sich ist ein trauriges Gemüt nicht zu wünschen. Gebt uns das glänzende Auge, das heitere Lächeln, die lebhafte Weise, den fröhlichen Ton. Wenn wir nicht Fröhlichkeit und Munterkeit wünschen so gebt uns wenigstens jenen sanften Frieden, jene stille Gelassenheit, jenes ruhige Glück, welche das Haus glücklich machen, wo immer sie die Atmosphäre durchdringen. Es gibt Frauen, Mütter und Töchter, die mehr von dieser heiteren Anmut zeigen könnten, als sie es tun, und die Tadel verdienen, weil sie verdrießlich, unfreundlich und reizbar sind; aber es gibt andre, die, wie ich nicht zweifle, sich bemühen, so viel es in ihren Kräften steht, angenehm zu sein, und denen es doch nicht gelingt, weil sie, wie Hanna, ein trauriges Gemüt haben, und nicht den Kummer abschütteln können, der auf ihrem Herzen lastet. Nun, es ist müßig, der Nacht zu sagen, sie solle so glänzend wie der Tag sein, oder den Winter die Blumen des Sommers anlegen heißen; und ebenso vergeblich ist es, das gebrochene Herz zu schelten. Der Nachtvogel kann nicht an der Himmelspforte singen, und der zertretene Wurm kann nicht wie ein Hirsch die Hügel hinanspringen. Es nützt wenig, die Weide, deren Zweige am Flusse weinen, zu ermahnen, ihr Haupt aufzurichten wie die Palme, oder ihre Zweige auszubreiten wie die Zeder: jedes Ding muss nach seiner eignen Art handeln, jede Natur hat ihre eigentümliche Weise, und kann von den Banden ihrer Gestaltung nicht frei werden. Es gibt Dinge in der Konstitution, der Erziehung und der Umgebung, die es für einige ganz vortreffliche Menschen schwer machen, heiter zu sein: sie sind dazu bestimmt, unter solchen Namen wie „ein Weib von traurigem Gemüt“ — bekannt zu sein.
Beachtet wohl die köstlichen Eigenschaften, die bei Hanna mit einem traurigen Gemüt sich zusammenfanden. Die erste war wahre Gottesfurcht: sie war ein gottesfürchtiges Weib. Wenn wir das Kapitel lesen, so werden wir vergewissert, dass ihr Herz im rechten Verhältnis zu Gott stand. Wir können keine Frage über die Aufrichtigkeit ihres Gebetes oder die Kraft desselben aufwerfen. Wir zweifeln keinen Augenblick an der Wahrheit ihrer heiligen Freude, der Zuversicht ihres Glaubens, oder der Innigkeit ihrer Hingabe an Gott. Sie war eine, die mehr als viele andre Gott fürchtete, ein ausgezeichnet frommes Weib, und dennoch „ein Weib von traurigem Gemüt.“ Zieht niemals aus der Traurigkeit den Schluss, dass die derselben Anheimgefallenen nicht von Gott geliebt sind. Ihr könntet eher auf das Gegenteil schließen, obgleich auch dies nicht immer sicher wäre, denn äußere Umstände sind nur armselige Prüfsteine für den geistlichen Zustand eines Menschen. Gewiss, der reiche Mann in seinem Purpur und seiner köstlichen Leinwand war nicht von Gott geliebt, während Lazarus, dessen Schwären die Hunde leckten, ein Günstling des Himmels war: und doch wird nicht jeder reiche Mann verworfen, und nicht jeder Bettler von den Engeln emporgetragen. Die äußere Lage kann uns zu keiner Entscheidung nach der einen oder andren Seite führen. Die Herzen müssen gerichtet, das Verhalten und die Handlungen gewogen, und ein Urteilsspruch nach andren Dingen, als nach dem äußeren Schein gefällt werden. Viele Menschen fühlen sich sehr glücklich, aber sie müssen nicht daraus schließen, dass Gott sie liebt; während manche andre sehr niedergeschlagen sind, und es doch grausam sein würde, in ihnen den Gedanken anzuregen, dass Gott mit ihnen zürne. Es ist nie gesagt worden: „Wen der Herr lieb hat, den macht Er reich,“ aber es ist gesagt: „Wen der Herr lieb hat, den züchtigt Er.“ Trübsal und Leiden sind nicht Beweise der Kindschaft, denn „der Gottlose hat viele Plage;“ und dennoch, wo große Trübsale sind, da sind oft auch große Offenbarungen der göttlichen Liebe. Es gibt eine Traurigkeit der Welt, die den Tod wirket — eine Traurigkeit, die aus dem Eigenwillen entspringt, in Empörung genährt wird, und etwas Böses ist, weil sie dem göttlichen Willen sich widersetzt. Es gibt eine Traurigkeit, die wie der Krebs um sich frisst, und noch größere Traurigkeit erzeugt, so dass solche Leidtragende mit ihrem traurigen Gemüt hinuntergehen an den Ort, wo die Traurigkeit unumschränkt herrscht und die Hoffnung nimmer einkehrt. Denkt daran, aber bezweifelt es niemals, dass ein trauriges Gemüt sich mit der Liebe Gottes und dem Besitze wahrer Gottesfurcht verträgt. Es wird freimütig zugestanden, dass die Gottesfurcht manches traurige Gemüt mehr erheitern sollte, als dies der Fall ist. Es wird auch zugestanden, dass vieles von der Erfahrung eines Christen nicht christliche Erfahrung ist, sondern eine bedauerliche Abweichung von dem, was wahre Gläubige sein und fühlen sollten. Es gibt vieles, was Christen erfahren, aber nie erfahren sollten. Die Hälfte der Leiden im Leben sind zu Hause gemacht, und ganz unnötig. Wir betrüben uns selbst vielleicht zehnmal mehr, als Gott uns betrübt. Wir fügen manche Riemen zu Gottes Peitsche hinzu: wo nur einer ist, da müssen wir neun machen. Gott sendet eine Wolke durch seine Schickung, und wir beschwören zwanzig herauf durch unsren Unglauben. Aber, wenn wir auch all dieses abziehen, und noch ferner erwägen, dass das Evangelium uns befiehlt, uns allewege in dem Herrn zu freuen, und dass es uns niemals heißen würde, so zu tun, wenn nicht reichlich Gründe und Ursachen dafür da wären, dennoch, trotz alles dessen, kann jemand, der wahrhaft und tief den Herrn fürchtet, ein trauriges Gemüt besitzen. Richtet nie diejenigen, welche ihr traurig seht, und zählt sie nicht zu denen, welche unter dem göttlichen Zorne sind, denn ihr könnt sehr schwer und grausam irren, wenn ihr ein so rasches Urteil fällt. Toren verachten die Betrübten, aber Weise schätzen sie. Viele der lieblichsten Blumen im Garten der Gnade wachsen im Schatten und blühen in der Traufe. Wahr ists, es gibt Kinder der tropischen Sonne, deren Schönheit und Duft nur dadurch erzeugt werden konnte, dass sie selber in der goldenen Flut sich badeten, und diese müssen in gewisser Hinsicht immer im Vordergrund stehen, aber doch gibt es auserlesene Blümchen, für welche die unbeschattete Sonne Tod sein würde. Sie ziehen ein schattiges Ufer vor oder eine Schlucht im Wald, unter dem Schatten dichter Zweige, wo ein sanftes, mildes Licht sie zur Vollkommenheit entwickelt. Ich bin überzeugt, dass „Er, der unter den Lilien weidet,“ seltene Pflanzen in seiner Flora hat, schön und duftend, auserlesen und lieblich, die mehr im feuchten Nebel der Traurigkeit heimisch sind, als in der hellen Sonne der Freude. Ich habe solche gekannt, die eine lebendige Lehre für uns alle gewesen sind durch die Bußfertigkeit ihres gebrochenen Herzens, durch ihren tiefen Ernst, ihre eifrige Wachsamkeit, ihre sanfte Demut und ihre milde Liebe. Dies sind die Lilien des Tales, die einen Reichtum von Schönheit in sich tragen, der sogar dem Könige selbst gefällt. Schwach in ihrer Zuversicht und bemitleidenswert in ihrer Schüchternheit, sind sie doch lieblich in ihrer Verzagtheit und anmutig in ihrer heiligen Sorge. Sie sind nicht Perlen mit dem milden Glanz des Friedens, noch Rubinen mit dem roten Feuer des Eisens, noch Saphire mit dem hellen Blau der Freude, noch Smaragde mit der stillen Ruhe des Vertrauens; sondern Diamanten vom reinsten Wasser, verdichtete Tropfen des Schmerzes, klar und durchsichtig, die bald unter die glänzendsten Edelsteine ihres Erlösers Diadem gesetzt werden sollen. Hanna besaß also Gottesfurcht trotz ihrer Traurigkeit.
In Verbindung mit diesem ihrem traurigen Gemüte war Hanna ein liebenswürdiges Weib. Sie war ihres Mannes Freude. Dass sie keine Kinder hatte, verringerte in seinen Augen ihren Wert nicht. Er sprach: „Bin ich dir nicht besser denn zehn Söhne?“ Er wollte augenscheinlich gern alles, was in seinen Kräften stand, tun, um die Betrübnis aus ihrem Herzen hinwegzunehmen. Diese Tatsache ist das Bemerkenswerte, denn es kommt oft vor, dass traurige Leute weit davon entfernt sind, liebenswürdige Leute zu sein. Zu oft geschieht es, dass ihr Kummer sie herbe macht. Ihr Leiden hat Säure in ihrem Herzen erzeugt, und mit dieser scharfen Säure beißen sie in alles, was sie berühren; ihr Temperament hat mehr vom Vitriolöl in sich, als vom Öl der brüderlichen Liebe. Niemand, sie selber ausgenommen, hatte je irgend welch Unglück, sie dulden keinen Nebenbuhler im Reich des Leidens, sondern verfolgen ihre Mit-Leidenden mit einer Art Eifersucht, als wenn sie allein Bräute des Leidens und alle andren bloße Eindringlinge seien. Das Unglück jedes andren ist bloße Einbildung oder bloßes Vorgeben, verglichen mit dem ihrigen. Sie sitzen allein, und beobachten Stillschweigen; oder wenn sie sprechen, so würde ihr Schweigen vorzuziehen sein. Es ist schade, dass es so ist, aber es verhält sich so, dass man häufig Männer und Frauen von traurigem Gemüt findet, die lieblos und unliebenswürdig sind. Um so mehr bewundere ich daher in wahrhaft christlichen Leuten die Gnade, welche sie so milde macht, dass sie, je mehr sie selber leiden, umso sanfter und geduldiger mit andren Leidenden werden und umso bereitwilliger, alles zu dulden, was mit dem Mitleid notwendigerweise verbunden ist. Geliebte, wenn ihr viel Not und Kümmernisse zu tragen habt, und sehr niedergeschlagenen Geistes seid, so bittet den Herrn, euch davor zu bewahren, ein Freudentöter für andre zu werden. Gedenkt an eures Meisters Gebot: „Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt, und wasche dein Angesicht, auf dass du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten.“ Ich sage nicht, dass dies Wort im Munde unsers Herrn genau dieselbe Bedeutung halte, die ich ihm jetzt gebe, aber es ist ein verwandter Sinn. Seid heiter, selbst wenn euer Herz traurig ist. Es tut nicht nötig, dass die Welt schwarz behangen ist, weil ich einen Flor um den Hut trage. Es ist nicht notwendig, dass jedes Herz schwer ist, weil ich eine Bürde trage; was würde das mir oder irgend einem andren nützen? Ich für meinen Teil bedaure es um der Kranken und Trällernden willen, wenn ich die Totenglocke vom Kirchturm Trauertöne in jedes Leidtragende Öhr läuten höre, und alles vielleicht, weil ein Erbe der Herrlichkeit zum Throne Gottes und des Lammes emporgestiegen ist. Jene Glocke mit dem feierlichen Ton hat ohne Zweifel eine Stimme für den Sorglosen, und das ist soweit gut, aber als die ernste Stimme der Schwermut ist sie eine Beleidigung für das Christentum, da sie andeutet, dass jeder Tod beklagenswert, und dass sie in den Kranken auf ihren Lagern mehr Traurigkeit erweckt, als nötig tut. Macht gute Botschaft überall kund. Läutet die Freudenglocken, so laut ihr wollt; aber es ist keine besondere Notwendigkeit da, fortwährend jedermann mit eurem Kummer zu belästigen. Nein, lasst uns versuchen, heiter zu sein, um liebenswürdig zu sein, selbst wenn wir traurigen Gemütes bleiben. Unser Ich und unsre eignen, persönlichen Leiden müssen nicht unser Lebenspsalm oder unser tägliches Gespräch sein. Wir müssen an andre denken, und an ihrer Freude teilzunehmen suchen. Die Geduld muss das Ich in den Hintergrund stellen, und die Liebe muss unsre Freude in den Vordergrund bringen. Wir haben einem Gott zu dienen, einem Zeitalter zum Segen zu werden, Kinder zu erziehen, einem Freundeskreis zu nützen; und keins von allen diesen Dingen darf vernachlässigt werden. Wenn wir so die Pflicht der Klage voranstellen und Gutestun dem Verlangen nach Teilnahme, so werden wir viel Liebe gewinnen, und unter denen, welche geschätzt und gesucht werden, wird keiner den Vorzug vor dem Manne oder Weibe von traurigem Gemüt haben.
In dem vorliegenden Falle war das Weib von traurigem Gemüt ein sehr sanftes Weib. Peninna mit ihrer harten, hochmütigen und anmaßenden Rede betrübte sie und trotzte ihr sehr, aber wir finden nicht, dass sie ihr antwortete. Bei dem jährlichen Feste, als Peninna sie am meisten gereizt hatte, schlich sie sich weg zum Heiligtum, um allein zu weinen, denn sie war sehr weich und unterwürfig. Als Eli sprach: „Wie lange willst du trunken sein? Lass den Wein von dir kommen, den du bei dir hast,“ antwortete sie ihm nicht scharf, wie sie wohl hätte tun können. Ihre Antwort an den alten Priester ist ein Muster von Sanftmut. Sie rechtfertigte sich durchaus und widerlegte die harte Beschuldigung, aber sie gab dieselbe nicht zurück und murrte nicht über die Ungerechtigkeit. Sie sagte ihm nicht, dass es unfreundlich sei, so hart zu urteilen, und es war kein Zorn in ihrer Betrübnis. Sie entschuldigte seinen Irrtum. Er war ein alter Mann. Es war seine Pflicht, darauf zu sehen, dass die Gottesverehrung in angemessener Weise geschah, und wenn er meinte, dass sie in einem dafür unfähigen Zustande sei, so war es nur Treue von seiner Seite, die Bemerkung zu machen; und sie nahm sie daher in dem Sinne auf, in dem er, wie sie glaubte, dieselbe gemacht hatte. Jedenfalls trug sie den Vorwurf, ohne beleidigt oder verdrießlich zu sein. Nun, manche traurige Leute sind sehr spitz, sehr scharf, sehr strenge, und wenn ihr sie einmal falsch beurteilt, so schelten sie aufs bitterste eure Grausamkeit. Ihr seid die unfreundlichsten der Menschen, wenn ihr sie für weniger als vollkommen haltet. Mit welcher Miene und welchem Ton beleidigter Unschuld rechtfertigen sie sich! Ihr habt etwas Schlimmeres als Lästerung begangen, wenn ihr gewagt habt, auf einen Fehler hinzudeuten. Ich will sie nicht tadeln, denn wir möchten ebenso unfreundlich wie sie sein, wenn wir zu strenge in unserer Kritik der Schärfe, die aus dem Leiden entspringt, wären; aber es ist sehr schön, wenn die Betrübten voll Milde und Licht sind, und wie die Feigen der Sykamore durch ihr Zerschlagenwerden reifen. Wenn ihre eigne blutende Wunde ihnen Scheu davor gibt, andre zu verwunden, und ihre eigne Verletzung sie bereitwilliger macht, die Verletzungen zu tragen, die aus den Irrtümern andrer entstehen, dann haben wir einen lieblichen Beweis, dass „süß der Nutzen des Unglücks“ ist. Lieben Freunde, wenn ihr Männer oder Frauen von traurigem Gemüt seid, wollt ihr euch freundlich daran erinnern, dass eure Schwäche wahrscheinlich die Verdrießlichkeit sein wird, und dass eure Versuchung wahrscheinlich nach der Seite der Bitterkeit und Schärfe hin liegen wird? Seid deshalb hiervor auf eurer Hut, und bittet Gott besonders, euch einen sanften Geist und eine ruhige Zunge zu geben. Blickt auf euren Herrn. O, dass wir alle auf Ihn blickten, der nicht wieder schalt, als Er gescholten ward, und der, als sie Ihn verspotteten, kein Wort des Verweises hatte, sondern durch seine Gebete antwortete, indem Er sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Seht ihr nicht, dass sich viel Köstliches mit einem traurigen Gemüt verbinden kann?
Es war indessen mehr da, als ich euch gezeigt habe, denn Hanna war ein nachdenkendes Weib, ihr Schmerz führte sie zuerst in ihr eigenes Innere, und dann in viel Gemeinschaft mit Gott hinein. Dass sie ein sehr nachdenkendes Weib war, erhellt aus allem, was sie sagt. Sie schüttet nicht das aus, was ihr zuerst in die Hand kommt. Das Erzeugnis ihres Geistes ist augenscheinlich eins, was nur ein wohl kultivierter Boden hervorbringen konnte. Ich will nicht eben jetzt weiter über ihren Lobgesang sprechen, nur sagen, dass er an erhabener Majestät und an Fülle wahrer Poesie allem gleichkommt, das nur je aus der Feder des lieblichen Sängers Israels, Davids selber, geflossen ist. Die Jungfrau Maria folgte offenbar den Fußstapfen dieser großen Dichterin, dieser Meisterin der lyrischen Kunst.
Gedenkt auch daran, dass sie, obwohl ein Weib von traurigem Gemüte, doch ein gesegnetes Weib war. Ich könnte passend von ihr sagen: „Heil dir, die du hochbegnadigt bist! Der Herr ist mit dir. Gesegnet bist du unter den Weibern.“ Die Töchter Belials konnten lachen und lustig sein und sie als den Staub unter den Füßen betrachten, aber doch hatte sie mit ihrem traurigen Gemüt Gnade vor den Augen des Herrn gefunden. Da war Peninna, ihren Köcher voll Kinder, die sich über die unfruchtbare Leidtragende erhob, dennoch war Peninna nicht gesegnet, während Hanna mit all ihrem Kummer dem Herrn teuer war. Sie scheint etwas jenem Jabez in einem andren Zeitalter zu gleichen, von dem wir lesen, dass er herrlicher war denn seine Brüder, weil seine Mutter ihn mit Kummer geboren hatte. Kummer bringt einen Reichtum von Segen mit sich, wenn der Herr ihn weihet; und wenn jemand seinen Platz zu wählen hätte unter den Fröhlichen oder unter den Traurigen, so täte er gut, den Rat Salomos anzunehmen, der sagt: „Es ist besser, in das Klaghaus gehen, denn in das Trinkhaus.“ Man sieht ein rasches Aufflackern in der Fröhlichkeit der Welt, aber es ist weit mehr wahres Licht in dem Leiden der Christen zu finden. Wenn ihr seht, wie der Herr die Seinen in den Trübsalen aufrechthält und heiligt, so erhellt sich die Finsternis zum Mittag.
Es ist nun klar, dass vieles Köstliche mit einem traurigen Gemüte verbunden sein kann. Möge keiner von euch die Niedergeschlagenen verachten, und nie hart von denen denken, welche traurig sind. Wenn wir selber betrübt sind, lasst uns nicht bittere Dinge wider uns selbst anschreiben (Hiob 13, 26), sondern auf Gott unter allen Entmutigungen hoffen; denn wir werden Ihm noch danken, dass Er unsres Angesichtes Hilfe und unser Gott ist.
II.
Wir kommen nun zu einer zweiten Bemerkung, welche die ist, dass vieles Köstliche aus einem traurigen Gemüt kommen mag: es findet sich nicht nur mit demselben, sondern es mag sogar daraus hervorwachsen.
Bemerkt zuerst, dass Hanna durch ihr trauriges Gemüt gelernt hatte, zu beten. Ich will nicht sagen, dass sie nicht früher gebetet, ehe dies große Leid über sie kam, aber dies weiß ich, sie betete mit mehr Inbrunst, als vorher, nun sie ihre Nebenbuhlerin so ungemein stolz reden hörte, und sich selber so ganz verachtet sah. O! Brüder und Schwestern, wenn ihr einen geheimen Kummer habt, lernt, wohin ihr ihn tragen müsst, und zögert nicht, ihn dorthin zu bringen. Lernt von Hanna. Ihre Zuflucht war der Herr. Sie schüttete nicht das Geheimnis ihrer Seele in ein menschliches Ohr aus, sondern sie breitete ihren Kummer vor Gott aus in seinem eignen Hause, und in der von Ihm bestimmten Weise. Sie war in „Bitterkeit der Seele“ und betete zum Herrn. Bitterkeit der Seele sollte stets so verficht werden. Viele sind in Bitterkeit der Seele, aber sie beten nicht, und deshalb bleibt der Geschmack des Wermuts: o, dass sie weise wären, und ihre Leiden als den göttlichen Ruf zum Gebet ansähen, die Wolke, welche einen Regen von Bitten und Flehen bringt! Unsre Kümmernisse sollten Rosse sein, auf denen wir zu Gott fliehen; raue Winde, die unsre Barke in den Hafen des Gebetes treiben. Wenn das Herz fröhlich ist, mögen wir Psalmen singen, aber von dem Leidenden steht geschrieben: „der bete.“ So mag die Bitterkeit des Gemüts ein Anzeichen sein, dass wir des Gebetes bedürfen, und ein Antrieb zu der heiligen Übung. Wenn eine feurige Kohle vom Altar unsre Lippen berührt, so sollten wir predigen, aber wenn ein Tropfen Galle auf die Lippen fällt, sollten wir auch beten. Ich fürchte, meine Brüder, dass unsre besten Gebete im Trauerhause geboren werden. In zu vielen Fällen bringen Behaglichkeit und Gesundheit eine Kälte über unsre Gebete, und es ist eine Notwendigkeit da, das Feuer mit dem rauen Eisen der Trübsal zu schüren. Manche Blume hält ihren Duft zurück, bis der raue Wind sie hin- und herweht, und ihren Wohlgeruch herausschüttelt. In der Regel ist der angefochtene Mann der betende Mann: der Engel muss mit uns ringen in der Nacht, ehe wir lernen, Ihn zu halten und zu rufen: „Ich lasse Dich nicht.“
O Tochter der Traurigkeit, wenn du in deiner dunklen Kammer die Kunst lernest, obzusiegen, so mögen jene Mädchen mit den hellen Augen, von deren Wangen noch keine Tränen herabgeströmt sind, dich wohl beneiden, denn die Kunst und das Geheimnis des Gebetes recht verstehen, das heißt ein Fürst vor Gott sein. Möge Gott geben, dass wir, wenn wir traurigen Geistes sind, in demselben Maße betenden Geistes seien; dann brauchen wir kaum eine Änderung zu wünschen.
Ferner, Hanna hatte Selbstverleugnung gelernt. Das ist klar, da sogar das Gebet, durch welches sie aus ihrem großen Leid befreit zu werden hoffte, ein selbstverleugnendes war. Sie wünschte einen Sohn, damit ihre Schmach von ihr genommen würde; aber wenn ihre Augen durch einen solchen Anblick erfreut würden, so wollte sie gern auf ihren Liebling verzichten, damit er des Herrn wäre, so lange er lebte. Mütter wünschen ihre Kinder bei sich zu behalten. Es ist natürlich, dass sie wünschen, sie oft zu sehen. Aber Hanna, wenn sie noch so sehr nach einem Sohne verlangt, und nur um einen bittet, und diesen einen als eine besondere Gabe Gottes, sucht ihn doch nicht für sich selbst, sondern für ihren Gott. Sie hat es auf ihrem Herzen, dass sie ihn, sobald sie ihn entwöhnt hat, hinaufbringen will zum Hause Gottes, und ihn da als ein dem Herrn geweihtes Kind lassen, das sie nur zu gewissen Festzeiten sehen kann. Leset ihre eignen Worte: „Herr Zebaoth, wirst Du Deiner Magd Elend ansehen, und an mich gedenken, und Deiner Magd nicht vergessen, und wirst Deiner Magd einen Sohn geben, so will ich ihn dem Herrn geben sein lebenlang, und soll kein Schermesser auf sein Haupt kommen.“ Ihr Herz sehnt sich nicht danach, ihren Sohn daheim zu sehen, seines Vaters täglicher Stolz und ihr eigner stündlicher Trost, sondern ihn in dem Hause des Herrn als Leviten dienen zu sehen. Sie bewies also, dass sie Selbstverleugnung gelernt hatte. Brüder und Schwestern, dies ist eine unserer schwersten Aufgaben: es lernen, das, was wir am meisten schätzen, auf Gottes Geheiß aufzugeben, und es freudig zu tun. Dies ist wirkliche Selbstverleugnung, wenn wir selber den Vorschlag machen, und das Opfer freiwillig darbieten, wie sie es tat. Ein Gut wünschen, um die Gelegenheit zu haben, es hinzugeben, das ist Selbstüberwindung: haben wir sie erreicht? O du von traurigem Gemüt, wenn du gelernt hast, das Fleisch zu kreuzigen, wenn du gelernt hast, den Leib in Unterwerfung zu halten, wenn du gelernt hast, alle deine Wünsche und deinen Willen zu seinen Füßen zu werfen, so hast du gewonnen, was dich tausendmal belohnt für alles Leid und Kreuz, was du erduldet hast. Ich persönlich danke Gott für Freude, ich denke, ich könnte zuweilen ein wenig mehr davon haben; aber ich fürchte, wenn ich einen Überschlag über mein ganzes Leben mache, dass ich sehr selten wirklich in der Gnade gewachsen bin, ausgenommen, wenn ich umgegraben und bedüngt ward durch die ernste Bearbeitung des Schmerzes. Mein Blatt grünt am besten in regnerischen Wetter: meine Frucht ist am süßesten, wenn sie den Frost einer Winternacht erlitten hat. Wehe mir, dass ich ein so demütigendes Bekenntnis abzulegen habe, aber die Wahrheit zwingt mich, so unter denen zu stehen, welche sich schämen müssen. Ich hoffe, dass viele von euch mehr Gnade im Herzen tragen, als ich, und bessern Gebrauch von ihren Gütern gemacht haben, und dennoch fürchte ich, dass viele meiner Brüder bekennen müssen, dass sie beim geistlichen Segeln weiter vorwärts gekommen sind auf der stürmischen See, als in ruhigeren Zeiten. Eine frische Brise bringt manchem von uns mehr Hilfe als Gefahr, und selbst ein Sturm ist nicht ohne seinen Segen. Wenn Selbstverleugnung in uns gewirkt wird, wie teuer auch erkauft, so belohnt uns das Resultat doch reichlich.
Etwas andres Köstliches war diesem Weib zu teil geworden, und dies war, sie hatte Glauben gelernt. Sie verstand es, den Verheißungen zu trauen. Es ist sehr schon, zu beachten, wie sie in dem einen Augenblick in Bitterkeit war, aber sobald Eli gesagt hatte: „Gehe hin mit Frieden; der Gott Israels wird dir geben deine Bitte, die du von Ihm gebeten hast,“ da „ging das Weib hin ihres Weges, und aß, und sahe nicht mehr so traurig.“ Sie hatte noch das Gut nicht erhalten, aber sie traute fest der Verheißung und nahm sie an und nach jener Christenart, die unser Herr uns lehrte, als Er sprach: „Alles, was ihr bittet im Gebet, glaubet nur, dass ihr es empfangen werdet, so werdet ihr es empfangen,“ wischte sie ihre Tränen ab, glättete die Runzeln von ihrer Stirn, und wusste, dass sie erhört war. Im Glauben hielt sie den Sohn in ihren Armen und brachte ihn dem Herrn dar. Es ist keine geringe Tugend, wenn wir dahin kommen. Wenn ein trauriges Gemüt gelernt hat, Gott zu glauben, seine Bürde auf Ihn zu werfen und mutig Hilfe und Beistand von Ihm zu erwarten, so hat es durch seine Verluste gelernt, seine besten Gewinne zu machen — durch seine Leiden, seine reichsten Freuden zu entfalten. Hanna ist eine von der begnadigten Schar, welche durch den Glauben „Verheißungen empfangen.“ Darum ihr, die ihr traurigen Gemütes seid, es ist kein Grund da, weshalb ihr nicht auch gläubigen Gemütes sein solltet, wie sie es war.
Noch andre köstliche Dinge wuchsen bei diesem Weibe von traurigem Gemüte aus ihrer Traurigkeit hervor, aber mit einer unschätzbaren Sache will ich die Aufzählung schließen: sie hatte augenscheinlich vieles über Gott gelernt. Von gewöhnlichen Familienfreuden hinweggetrieben, war sie nahe zu Gott gezogen, und in dieser himmlischen Gemeinschaft hatte sie demütig geharrt und gewacht. In Zeiten heiliger Gottesnähe hatte sie manche himmlische Wahrnehmung über seinen Namen und sein Wesen gemacht, wie ihr Lobgesang es uns zeigt.
Zuerst, sie wusste jetzt, dass des Herzens wahrste Freude nicht in Kindern ist, nicht einmal in Gütern, die als Erhörung des Gebetes gegeben sind, denn sie begann zu singen: „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn“ — nicht „in Samuel,“ sondern in Jehovah fand sie ihre höchste Wonne. „Mein Horn ist erhöht in dem Herrn;“ nicht „in dem Kleinen, den ich so fröhlich zum Heiligtum gebracht habe.“ Nein. Sie sagt im ersten Verse: „Ich freue mich Deines Heils,“ und so war es. Gott war ihre Freude, und sein Heil ihre Wonne. O, es ist etwas Großes, wenn wir gelernt haben, irdische Dinge an ihren rechten Platz zu stellen, und wenn sie uns fröhlich machen, dennoch zu fühlen: „Meine Freude ist im Herrn; nicht in Korn und Wein und Öl, sondern in dem Herrn selber; alle meine frischen Quellen sind in Ihm.“
Ferner, sie hatte auch des Herrn glorreiche Heiligkeit wahrgenommen, denn sie sang: „Es ist niemand heilig wie der Herr.“ Die Heiligkeit seines vollkommenen Wesens hatte sie tief empfunden und bewundert und sie sang davon, dass Er an Güte weit über alle andren erhaben sei.
Sie hatte seine Allgenugsamkeit gefühlt, sie sah, dass Er alles in allem ist, denn sie sang: „Außer Dir ist keiner, und ist kein Hort, wie unser Gott ist.“
Sie hatte Gottes Weise in der Weltregierung erkannt, denn wie lieblich singt sie: „Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.“ Sie wusste, dass dies immer Gottes Weise ist, diejenigen zu stürzen, die in sich selber stark sind, und die aufzurichten, die schwach sind. Es ist Gottes Weise, die hohen und grünen Bäume umzuhauen und verdorren zu lassen und die niedrigen und verdorrten Bäume grünen zu machen. Es ist Gottes Weise, die Starken mit Schwäche zu schlagen und die Schwachen mit Stärke zu segnen. Wie ihre große Nachfolgerin in späteren Tagen sang: „Er stoßet die Gewaltigen vom Stuhl, und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllet Er mit Gütern und lässt die Reichen leer.“ Es ist Gottes besondere Weise, und Er bleibt dabei. Die Vollen macht Er leer und die Leeren füllt Er. Die, welche sich ihrer Lebenskraft rühmen, tötet Er, und die, welche vor Ihm wie tot hinsinken, macht Er lebendig. Freund, weißt du hiervon etwas? denn merke dir, dies ist ein Geheimnis, welches die Heiligen aus persönlicher Erfahrung kennen.
Sie hatte auch die Art und Weise seiner Gnade gelernt, ebensogut wie die seiner Vorsehung, denn niemals zeigte ein Weib mehr Kenntnis von den Wundern göttlicher Gnade, als sie es tat, da sie sang: „Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staube, und erhöht, den Armen aus dem Kot, dass Er ihn setze unter die Fürsten, und den Stuhl der Ehren erben lasse.“ Dies ist ein andrer der Wege des Herrn, die nur von den Seinen verstanden werden. Niemand als sie wird je von dieser merkwürdigen unumschränkten Macht seiner Gnade singen: was die Weltlinge betrifft, so verabscheuen sie diese Lehre aufs äußerste.
Sie hatte auch des Herrn Treue gegen die Seinen gesehen. Einige Christen, selbst in diesen Tagen des Evangeliums, glauben nicht an die Lehre von der Bewahrung der Heiligen bis ans Ende, aber sie tat es. Sie sang: „Er wird behüten die Füße seiner Heiligen,“ und, Geliebte, das wird Er, sonst wird keiner von ihnen je stehen. Aber hier ist mein Trost und der eurige auch: „Er wird behüten die Füße seiner Heiligen.“
Sie hatte auch etwas von seinem Reiche im voraus geschaut, und von dessen Herrlichkeit. Ihr prophetisches Auge, heller und klarer gemacht durch ihre heiligen Tränen, befähigte sie, in die Zukunft zu schauen, und beim Schauen sang ihr freudiges Herz: „Er wird Macht geben seinem Könige, und erhöhen das Horn seines Gesalbten.“
Habe ich euch nicht genügend gezeigt, dass vieles Köstliche aus einem traurigen Gemüte kommt?
III.
Und nun zuletzt, vieles Köstliche wird nach denen gegeben werden, die wahrhaft des Herrn sind, selbst wenn sie ein trauriges Gemüt haben.
Denn zuerst, Hannas Gebete wurden erhört. An wenig konnte sie denken, als Eli sie wegen Trunkenheit schalt, dass sie in kurzer Zeit wiederum dort sein, und derselbe Priester sie mit tiefer Achtung und Freude anblicken würde, weil der Herr sie begnadigt halte. Und du, meine liebe Schwester mit traurigem Gemüt, würdest heute abend nicht so viel weinen, wenn du wüsstest, was dir noch aufbehalten ist. Du würdest gar nicht weinen, wenn du ahntest, wie bald alles sich ändern, und du, wie Sara, vor Freude lachen wirst. Du bist sehr arm; du weißt kaum, wo du heute abend dein Haupt hinlegen sollst; aber wenn du wüsstest, wie bald du unter den Engeln sein wirst, so würde dein Mangel dir nicht viel Kummer verursachen. Du bist kränklich und siechst dahin, und wirst bald in deine lange Heimat gehen. Du würdest nicht so niedergeschlagen sein, wenn du daran gedächtest, wie hell um dein Haupt das Sternendiadem glänzen wird, und wie lieblich von deinen Lippen himmlische Lieder tönen werden, solche, die niemand singen kann, als die, welche gleich dir die bitteren Wasser des Kummers geschmeckt haben. Es ist Besseres in Aussicht! Es ist Besseres in Aussicht! Um ein kleines wird der Weg enden oder sich wenden. Heute ists stürmisches Segeln; aber ehe die Sonne untergeht, oder wenigstens, wenn sie untergeht, wird alles ruhig sein und deine Barke bewegungslos vom Schnabel bis zum Stern. Das Rote Meer vor dir wogt unruhig, seine Wellen drohen, aber alles wird still wie ein Stein sein, während des Herrn Volk hinübergeht; oder wenn ein Ton gehört wird, so wird es der sein, wenn über die Wasser hinüber die Klänge der Harfenspieler kommen, die ihre Harfen ertönen lassen, und bald wirst du deine Schmerzen und Befürchtungen vergessen, denn du wirst bei dem Herrn sein allezeit. Lasst dieses euch aufheitern, die ihr traurigen Gemütes seid. Was Gott euch verheißen hat, soll erfüllt werden. Das Auge hat es nicht gesehen, das Ohr hat es nicht gehört, was Er für euch bereitet hat, aber sein Geist offenbart es euch zu dieser Stunde. Seid guten Mutes und glaubt, dass die Ausgänge des Lebens und des Todes bestimmt und sicher sind; die ewige Liebe hat sie verordnet.
Nicht nur ward der Hanna nach ihrer Traurigkeit eine Erhörung des Gebetes zu teil, sondern Gnade, diese Erhörung zu gebrauchen. Ich glaube nicht, dass Hanna eine passende Mutter für Samuel gewesen wäre, wenn sie nicht zuerst traurigen Gemütes gewesen. Nicht jeder kann es anvertraut werden, einen jungen Propheten zu erziehen. Manches närrische Weib hat ihr Kind närrisch gemacht. Es war so sehr ihr „Engel,“ dass es ein Bengel ward. Es gehört ein weises Weib dazu, einen weisen Sohn zu erziehen, und deshalb betrachte ich Samuels ausgezeichneten Charakter und Lebenslauf zum großen Teil als die Frucht der Trauer seiner Mutter, und als einen Lohn für ihr Leid. Hanna war ein nachdenkendes Weib, das ist etwas, und ihr Nachdenken führte sie zum Fleiß. Sie hatte wenig Zeit, ihren Sohn zu erziehen, denn er verließ sie frühe, um jenen kleinen Rock zu tragen und dem Herrn zu dienen; aber in diesem Zeitraum ward ihr Wert mit Erfolg getan, denn das Kind Samuel betete an demselben Tag, da sie ihn zum Tempel brachte. In vielen unserer Häuser haben wir ein gut gezeichnetes Bild eines betenden Kindes, und das war ohne Zweifel das rechte Bild des jugendlichen Samuel. Ich denke ihn mir gern in seinem kleinen Rock — dem leinenen Leibrock — wie er feierlich hervortritt als kindlicher Diener Gottes, um beim Gottesdienst im Tempel zu helfen. Ich meine, ich sehe den kleinen Mann, mit seinem langen Haar, das die Schultern herabfällt, denn nach dem Gelübde seiner Mutter sollte kein Schermesser auf sein Haupt kommen; seht ihn selber und beachtet, wie er die römischen Glatzen straft. Er gehörte nicht zu jener modernen Priesterschaft, die durch Scheren ihres Hauptes ihr eigenes Fieber oder ihren Wahnsinn andeutet, aber ihr Recht, Gott anzugehören, leugnet. Lasst die Priester Roms fortscheren, und sich so vom wahren Tempel abschneiden. Ich sage, es ist hübsch, zu sehen, wie selbst in Sachen des Haars seine Mutter ihn auf den rechten Weg geleitet, so dass er nie davon abwich: dies war eine große Gabe, und sie war einem Weibe von traurigem Gemüt gewährt.
Hanna hatte ein andres Gut erworben, und das war die Kraft, den Herrn zu erheben. Jene lieblichen Gesänge, besonders der, den wir gelesen haben — woher nahm sie dieselben? Ich will es euch sagen. Ihr habt eine Muschel gesammelt am Meeresufer, nicht wahr, und habt sie an euer Ohr gehalten, und sie von den wilden Wellen singen hören? Wo lernte sie diese Musik? In der Tiefe. Sie ist in dem rauen Meer hin- und hergeworfen worden, bis sie lernte, mit tiefer, sanfter Bedeutung von geheimnisvollen Dingen zu reden, welche nur die Höhlen der salzigen See mitteilen können. Hannas Poesie war aus ihrer Trauer geboren; und wenn ein jeder hier, der traurigen Gemütes ist, nur lernen kann, seine Harfe so lieblich zu stimmen, wie sie die ihrige stimmte, so mag er sich freuen, durch solche Leiden gegangen zu sein, wie sie erduldete. Wir mögen Dichter und Psalmensinger in unserer bescheidenen Art sein. Leiden werden uns Takt und Melodie lehren, Stanzen und Verse werden wie Wein aus den zertretenen Trauben fließen, und Gedichte in den Furchen unsres Unglücks wachsen. Oder, wenn nicht, so soll doch der Herr gepriesen werden, und seine Liebe erheben in den besten Ausdrücken, die unsre Rede erreichen kann, und dies ist eine Welt von Leiden wert.
Überdies, ihre Trauer bereitete sie, fernere Segnungen zu empfangen, denn nach Samuels Geburt hatte sie noch drei Söhne und zwei Töchter; Gott gab ihr so fünf für den einen, den sie Ihm geweiht hatte. Dies waren große Zinsen für ihr Darlehen: fünfhundert Prozent. Sich von Samuel trennen war die notwendige Einleitung zum Erlangen der andren. Gott kann einige von uns nicht segnen, bis Er uns zuerst geprüft hat. Viele von uns sind nicht geeignet, einen großen Segen zu empfangen, ehe wir durch das Feuer gegangen sind. Die Hälfte der Männer, die durch Volksgunst ruiniert sind, wurden dies, weil sie nicht einen Vorbereitungs-Kursus von Schmach und Schande durchmachten. Die Hälfte der Menschen, die durch ihren Reichtum zu Grunde gehen, tun dies, weil sie nicht schwer gearbeitet haben, ihn zu erwerben, sondern einen glücklichen Griff taten und in einer Stunde wohlhabend wurden. Das Feuer glüht die Waffe aus, die nachher im Kampfe gebraucht wird; und Hanna gewann Gnade, große Gunst zu erlangen durch großes Leiden. Ihr Name steht unter den hochbegünstigten Frauen, weil sie tief trauerte. Sie leuchtet als ein heller, eigentümlicher Stern unter den Gläubigen, und dies wäre nicht der Fall, wäre sie nicht zuerst ein Weib von traurigem Gemüt gewesen. Nehmt eure Last auf euch, Geliebte. Werdet nicht Murrende sowohl als Trauernde. Tragt euer Kreuz, denn es ist in Wahrheit ein goldenes. Tragt die innere Bürde sowohl wie die äußere, denn jetzt ist es für eine Zeitlang ein „Muss,“ dass ihr angefochten werdet durch mannigfaltige Versuchungen, aber nachher kommt die tröstliche Frucht. Erwartet gute Resultate, und tragt mittlerweile, was der Herr bestimmt, ohne Murren.
Zuletzt, das Leiden mit Geduld war es, wodurch sie eine so mutige Zeugin für den Herrn ward, und so lieblich singen konnte: „Es ist niemand heilig wie der Herr, und ist kein Hort, wie unser Gott ist.“ Wir können kein Zeugnis ablegen, wenn wir nicht die Verheißungen erproben, und deshalb ist der Mensch glücklich, den Gott erprobt und befähigt, der Welt ein Zeugnis zu hinterlassen, dass Gott wahrhaftig ist. Zu diesem Zeugnis möchte ich mein eigenes persönliches Siegel setzen. O, dass ich am Ende meines Lebens in schlichter Prosa tun könnte, was jene fromme Dichterin in Poesie tat, ehe sie in die ewige Ruhe einging. Hier sind einige ihrer letzten Zeilen, und damit schließe ich:
„O Herr, bezeugen will ichs, Du bist treu, Nicht eins, was Du verheißen, hat gefehlt! Auffordern möcht' ich alle rings umher, die Deinen Namen kennen, kund zu tun, Wie treu Du bist in jedem Wort der Schrift, Wie Du mit Wohltun krönest jeden Tag — Mit mir zu singen: „Freundlich ist der Herr, Und seine Güte währet ewiglich, Und seine Wahrheit folget meiner Lebensbahn!“ Ja, Trübsal sendest Du, doch Deine Macht Verbindet Freud' mit ihr; wohl Dornen gibts, Doch halten sie uns auf dem engen Pfad, Dem Weg des Friedens und der Heiligkeit. Und Züchtigung ist da, doch sie durchfließt Des Vaters Lieb' ; und wollt' ein gläubig Herz entbehr' der Liebe und der Züchtigung? Und jeder Schritt bringt immer weiter uns. Von Kraft zu Kraft geh'n Deine Pilger stets Und preisen Ihn, der gnädiglich sie führt Von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, schon hier!“