Spurgeon, Charles Haddon - Sein Name: Wunderbar
Und er heißt Wunderbar.
Jes. 9,6
Vergangene Woche stand ich eines Abends am Meeresufer, und der Sturm tobte. Die Stimme des Herrn ging auf den Wassern (Ps. 29, 3.); und wer war ich, dass ich sollte daheim bleiben, wenn meines Meisters Stimme sich mit Macht über den Wogen vernehmen ließ? Ich erhob mich und stand, und betrachtete den blendenden Schein seiner Blitze und lauschte der Majestät seines Donners.
Das Meer und die Donnerschläge wetteiferten mit einander; das Meer suchte mit unnennbarem. Getöse den schwer rollenden Donner zu übertönen, damit seine Stimme nicht gehört werden sollte; aber über und durch das Brüllen der Fluten konnte man jene Stimme Gottes hören, da Er mit Feuerflammen redet und den strömenden Regenfluten Wege teilt. Es war eine dunkle Nacht, und der Himmel dicht mit Wolken verhüllt, und kaum ließ sich ein Stern erblicken durch die Risse der Gewitterschichten; aber siehe, einen Augenblick bemerkte ich fern am Horizont, wie meilenweit über den Wasserwogen, einen glänzenden Schimmer, gleich leuchtendem Golde. Es war der Mond, verborgen hinter Wolken, so dass er uns seine Strahlen nicht zusenden konnte; aber er leuchtete in der Ferne herab auf die wogenden Fluten, denn dort hinderte kein Gewölk sein mildes Licht. -Als ich gestern Abend das Kapitel unseres Textes las, da dachte ich, der Prophet müsse sich in einer ähnlichen Lage befunden haben, als er die Worte schrieb: „Er heißt Wunderbar“ Rings um ihn her waren Wolken düsterer Zukunft; er hörte die gewaltige Stimme des prophetischen Donners, und er sah das Wetterleuchten der Blitze des göttlichen Zorns; Wolken und Finsternis waren über viele Abschnitte der Geschichte verbreitet; aber in der Ferne sah er einen glänzenden Schimmer-einen Ort, wo heller Schein vom Himmel herniederstrahlte.
Und er setzte sich hin und schrieb diese Worte: „Das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die da wohnen im finstern Lande, scheinet es helle“ (Jes. 9, 2.); und obgleich er über weite Zeiträume hinaus schaute, wo er den Streit des Kriegers sah „mit Ungestüm, und blutiges Kleid verbrannt“ (Jes. 9, 5.): so heftete er dennoch seinen Blick auf einen hellen Schein in künftiger Zeit, und er bezeugte, dass er daselbst Hoffnung des Friedens erblicke, glückseliges Wesen und Segen; denn er sprach: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter, und er heißt Wunderbar“ (Jes. 9, 6.).
Teure Freunde, wir leben heute in den Zeiten jenes hellen Scheins. Die Welt ist durch die Wolken der Dunkelheit hindurchgegangen und das Licht leuchtet nun zu uns herüber, wie das Aufleuchten der ersten Strahlen des Morgenrots. Wir gehen einem helleren Tage entgegen, und „um den Abend wird es Licht sein“ (Sachar. 14, 7.). Die Wolken und das Dunkel werden zusammengerollt werden, wie ein Mantel, dessen Gott nicht mehr bedarf, und Er wird erscheinen in seiner Herrlichkeit, und sein Volk wird sich mit Ihm freuen.
Ihr müsst aber bedenken, dass alles Licht ausgeht von diesem Kind, das uns geboren, von diesem Sohn, der uns gegeben ist, des Name Wunderbar heißt; und wenn wir einen glänzenden Schein in unsern Herzen entdecken oder in der Weltgeschichte, so kann er nirgends anders herstammen als von dem Einen, der da heißt: „Wunderbar, Rat, starker Gott.“ Der, von dem unsre Bibelstelle spricht, ist offenbar der Herr Jesus Christus: Er ist „ein Kind geboren,“ mit Beziehung auf seine menschliche Natur; Er ist geboren von einer Jungfrau als ein Kind. Aber Er ist „ein Sohn gegeben,“ mit Beziehung auf seine göttliche Natur, denn Er ist gegeben sowohl, als geboren. Gewiss, die Gottheit kann vom Weibe nicht geboren werden. Das war so von Ewigkeit und wird in Ewigkeit so bleiben. Als ein Kind ward Er geboren, als ein Sohn ward Er gegeben. „Welches Herrschaft ist auf seinen Schultern, und Sein Name heißt Wunderbar.“ Geliebte, es gibt tausend Dinge in der Welt, die man mit Namen benennt, welche ihnen nicht gebühren; wenn wir aber zu unserm Textworte zurückkehren, so muss ich gleich von vornherein bezeugen, dass Christus Wunderbar genannt wird, weil Er es ist.
Gott der Vater gab seinem Sohn nie einen Namen, den er nicht verdiente. Da ist von keinen Lobeserhebungen, von keinen Schmeicheleien die Rede. Es ist ganz nur der einfache Name, den Er verdient, und wer Ihn recht kennt, muss sagen, dass das Wort sein Verdienst nicht übertreibt, sondern vielmehr unendlich weit hinter seinem herrlichen Verdienst zurückbleibt. Sein Name heißt Wunderbar. Und beachtet wohl, es heißt nicht bloß, dass ihm Gott den Namen Wunderbar gegeben hat -obgleich dies auch darunter mit begriffen ist-sondern „Er heißt“ so. Es ist so und bleibt so: Er wird heute von all' seinen Gläubigen so genannt und bleibt so genannt. So lange die Welt steht, wird es Menschen geben und Engel und verherrlichte Geister, die Ihn allzeit bei seinem wahren Namen nennen werden. „Sein Name heißt Wunderbar.“
Ich finde, dass dieser Name zwei oder drei Bedeutungen hat. Das Wort in der heiligen Schrift ist manchmal übersetzt durch: „Wundervoll.“ Der Herr Jesus Christus darf Wundervoll genannt werden, und ein gelehrter deutscher Ausleger sagt, dass ohne Zweifel der Sinn des Wundervollen darin eingeschlossen ist. Christus ist das Wunder aller Wunder, das Geheimnis aller Geheimnisse. „Sein Name heißt Wunder,“ denn Er ist mehr als ein Mensch, Er ist Gottes höchstes Wunder. „Kündlich groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit; Gott ist offenbart im Fleisch“ (1 Tim. 3, 16.). Es kann auch bedeuten: Sonderlich; ausgezeichnet. Und der Herr Jesus darf wohl so genannt werden; denn wie Saul sich auszeichnete vor allen Menschen, da er eines Haupts länger war denn alles Volk, so ist Christus ausgezeichnet vor allen Menschen; er ist gesalbt mit dem Freudenöl über seine Mitbrüder, und in seinem Charakter und in seinen Taten ist er unendlich entfernt von allem Vergleich mit irgend einem Menschenkind.
„Du bist der Schönste unter den Menschenkindern; Huld ist ausgegossen auf deine Lippen“ (Ps. 45, 3.). Er ist „auserkoren unter viel Lausenden, und Er ist ganz Lieblichkeit“ (Hoh. 5, 10. 16.). „Sein Name heißt der Auserwählte,“ der Ausgezeichnete, der Edle, auserkoren aus dem gewöhnlichen Menschengeschlecht.
Wir wollen uns jedoch an den bekannten alten Wortlaut halten und einfach also lesen: „Sein Name heißt Wunderbar“' Und zwar will ich zuerst zeigen, dass Jesus Christus verdient, Wunderbar genannt zu werden durch das, was Er vor Zeiten war; zweitens dass Er bei all' den Seinen Wunderbar heißt durch das, was Er gegenwärtig ist; und drittens dass Er wird Wunderbar genannt bleiben durch das, was Er in künftigen Zeiten sein wird.
I.
Christus heißt Wunderbar um des willen, was Er vor Zeiten war. Liebe Brüder, sammelt einen Augenblick eure Gedanken und richtet dieselben ganz auf Christum, so werdet ihr bald erkennen, wie wunderbar er ist. Betrachtet sein ewiges Wesen, geboren vom Vater vor Grundlegung der Welt, gleiches Wesens mit dem Vater; geboren, nicht erschaffen, gleich herrlich, gleich ewig, gleiches Wesen in Allem, wahrer Gott aus wahrem Gott. Bedenkt einen Augenblick, dass Er, der ein kleines Kindlein geworden ist, nicht geringer war als der Herr der Zeiten, der ewige Vater; Er war von Ewigkeit und wird in Ewigkeit bleiben. Die göttliche Natur Christi ist in der Tat wunderbar. Erinnert euch nur, wie viel Merkwürdiges sich an die Lebenserfahrungen eines Greises knüpft. Die Kinder an Jahren unter uns schauen mit Bewunderung und Staunen zu demselben auf, wenn er uns die mancherlei Schicksale erzählt, die er erfahren hat; aber was ist eines alten Mannes Leben-wie kurz erscheint es im Vergleich mit dem Alter des Baumes, der ihn überschattet! Er war lange, bevor jenes Alten Vater schwach und hilflos zur Welt geboren wurde. Wie viele Stürme haben um sein Haupt her getobt. Könige sind aufgekommen und wieder dahingegangen. Königreiche haben ihre Macht entfaltet und sind gefallen seit den Tagen, da jene alte Eiche noch als Keim in der Eichel schlummerte! Was ist aber selbst eine Eiche im Vergleich mit dem Boden, auf dem sie erwächst? Was könnte nicht erst dieser Fleck Erde Wunderbares erzählen? Welche Veränderungen hat er gesehen in all' den Zeitläuften, die dahinströmten seit jenem: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (1 Mose 1, 1.).
Es ist eine merkwürdige Geschichte mit jeder Handvoll schwarzer Erde verwoben, die der Eiche Nahrung gibt. Doch was ist auch die Geschichte dieses Bodens mit der noch wundervolleren Geschichte des Felsens, auf dem er lagert-der Felsenklippe, von wo ihre Krone gen Himmel aufragt. O, welche Geschichte könnte jener Fels erzählen, welche Mahnungen und Erinnerungen liegen in seinen Eingeweiden verborgen! Vielleicht wüsste er zu berichten von der Zeit, da „die Erde war wüste und leer und Finsternis war über der Tiefe“ (1 Mos. 1, 2.).
Vielleicht könnte er reden und erzählen von jenen Tagen, da aus Abend und Morgen der erste Tag ward und wiederum aus Abend und Morgen der zweite Tag, und könnte uns die Geheimnisse enthüllen, wie Gott dies wundervolle Stück Wunder-die Welt-schuf. Aber was ist die Wundergeschichte des Felsenriffs im Vergleich mit der des Meeres, das zu seinen Füßen wogt-dieser tiefen blauen Wasserflut, über welche schon tausende von Schiffen dahin fuhren, ohne eine Furche auf ihrem Schaume als Spur zu hinterlassen! Was ist aber die Geschichte des Meeres im Vergleich mit der Geschichte der Himmelsräume, die wie ein Zelttuch über dieses große Wasserbecken ausgespannt sind. Welche Geschichte gleicht der der Himmelsheere, der ewigen Bahnen der Sonne, des Monds, der Sterne! Wer kann ihren Stammbaum beschreiben, oder wer ihr Leben erzählen? Aber was ist die Geschichte der Himmelswelten im Vergleich mit der Geschichte der Engel? Sie könnten euch erzählen von dem Tage, da sie diese Welt gehüllt sahen in die Wickeltücher der Dünste, aus denen sie gleichsam als ein neugeborenes Kind, Gottes jüngste Schöpfung, hervorging,„ da die Morgensterne mit einander lobten, und jauchzten alle Kinder Gottes“ (Hiob 38, 7.).
Aber was ist die Geschichte der Engel, der starken Helden, im Vergleich mit der Geschichte des HErrn Jesu Christi? Der Engel ist nur von gestern her, und Er weiß nichts. Christus, der Ewige, findet Torheit in ihnen (Hiob 4, 18.), und sieht auf sie als seine dienstbaren Geister, die da kommen und gehen nach seinem Belieben. O, ihr Christen! schauet mit Ehrfurcht und feierlich geheimnisvoller Andacht auf zu dem Throne Dessen, der euer großer Hohepriester geworden ist; denn „Er heißt Wunderbar,“ weil Er war vor aller Kreatur, weil alle Dinge durch denselbigen geworden, und ohne denselbigen nichts ward, was geworden ist„ (Joh. 1, 3.). Betrachtet ferner die Menschwerdung Christi, so müsset ihr in Wahrheit sagen, dass sein Name verdient,“ Wunderbar„ zu heißen. O, was sehe ich? O Welt der Wunder! was sehe ich? „Der Alte der Tage“ (Dann. 7, 9.), des Haar auf seinem Haupt wie reine Wolle und des Kleid schneeweiß ist, wird ein Kindlein. Kanns möglich sein? Ihr Engel, seid ihr nicht stumm und starr vor Erstaunen? Er wird ein Kindlein, liegt an einer Jungfrau Busen, trinkt Nahrung an eines Weibes Brust. O Wunder über alle Wunder! Du bethlehemitische Krippe, ja Wunder birgst du in deiner Höhlung. Das ist ein Anblick über alle Begriffe.
Erzählet von Sonne, Mond und Sternen; betrachtet die himmlischen Welten und Unendlichkeiten, das Werk der Hände Gottes, den Mond und die Sterne, denen Er das Werde gerufen hat; aber alle Wunder des Weltalls zerrinnen in Nichts, wenn wir vor dem Wunder stehen der Menschwerdung unsers Herrn Jesu Christi. Es war ein erstaunlicher Vorgang, als Josua der Sonne gebot, stille zu stehen; aber viel erstaunlicher wars, als Gott selbst schien stille zu stehen und sich nicht weiter vorwärts zu bewegen, sondern vielmehr, wie die Sonne am Sonnenzeiger Ahas, zehn Stufen zurückging, und seine Herrlichkeit in einer unscheinbaren Wolke verhüllte (2 Mose 13, 21.). Das war ein unvergleichliches und wundervolles Anschauen, worin wir uns jahrelang vertiefen könnten, und würden uns dennoch abwenden und sagen: „Ich kann es nicht begreifen; hier ist eine Tiefe, in die ich nicht einzudringen vermag; meine Sinne und Gedanken sind darob verwirrt; das ist eine Höhe ohne Gipfel; ich kann sie nicht ersteigen; sie ist zu hoch, ich kann sie nicht erreichen!“ Aber all' das ist nichts im Vergleich mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes.
Ich glaube, dass selbst die Engel nie erstaunten, ein einziges Mal ausgenommen, und das war damals; und ihr Erstaunen hat seither immer fortgedauert. Sie können nicht aufhören, die wunderbare Geschichte zu erzählen, zu erzählen mit steigendem Erstaunen, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes, geboren ward von Maria, der Jungfrau, und Mensch wurde. Wird Er nicht mit Recht „Wunderbar“ genannt? Unendlich, und ein Kind-ewig, und doch von einem Weibe geboren-allmächtig, und doch ruhend an einer Jungfrau Brust-selbst tragend das Weltall, und doch bedürftig, in der Mutter Arme gelegt zu werden-Fürst der Engel, und doch der verachtete Sohn Josephs-Erbe über Alles, und doch des Zimmermanns geschmähter Sohn. Ja ,“Wunderbar„ bist Du, o Jesu! und das wird in Ewigkeit Dein Name sein!
Aber verfolget die Fußstapfen des Heilandes, so bleibet Er in allen seinen Wegen wunderbar. Ist es nicht überraschend, dass Er verstummete vor dem Höhnen und Schmähen seiner Feinde, dass Er sein ganzes Leben lang duldete, dass Ihn Stiere Basans umringten, dass Hunde Ihn umgaben (Ps. 22, 13. 17.)? Ist es nicht erstaunlich, dass Er seinen Schmerz überwand, da die Gotteslästerung gegen seine heilige Person tobte? Wäret ihr oder ich im Besitz seiner unvergleichlichen Macht gewesen, wir hätten unsre Feinde über den Rand des Hügels hinunter geschmettert, wenn sies gewagt hätten, uns daselbst zu greifen; nie hätten wir uns ihrem Spott und Speien gebeugt; nein, wir hätten sie angeschaut, und hätten mit einem einzigen stolzen Zornesblick ihre Geister in die ewige Qual gestoßen. Er aber hört es Alles-Er, der Löwe vom Stamm Juda, der selbstbeherrschend seinen edeln Mut zurückhält, und dennoch, gleich einem Lamme, willenlos duldet. O wie selig
“ Unverrückt auf e in en Mann zu schauen,
Der mit blut'gem Schweiß und Todesgrauen
Auf sein Antlitz niedersank,
Und den Kelch des Vaters trank.„
Ich glaube es fest: Jesus von Nazareth war der König des Himmels, und doch war Er ein armer, verachteter, verfolgter, verlästerter Mann; aber ob ich das schon glaube, so kann ichs doch nicht begreifen. Ich lobe und preise ihn dafür; ich liebe Ihn um deswillen; ich möchte so gerne seinen Namen erheben, so lange die Unsterblichkeit dauert, um seiner unendlichen Herablassung willen, womit Er für mich gelitten hat; aber es zu begreifen, das kann ich nimmermehr behaupten So lange seines Lebens Länge währet, die nicht auszureden ist (Jes. 53, 8.), so lange muss sein Name „Wunderbar“ heißen.
Aber sehet Ihn sterben. O kommt doch, meine lieben Brüder, ihr Kinder Gottes, und versammelt euch unter dem Kreuze. Seht euren Meister. Dort hängt Er. Könnt ihr dies Rätsel verstehen: Gott ward offenbart im Fleisch, und gekreuziget von Menschen? Mein Meister! Ich kann es nicht verstehen, noch begreifen, wie Du dein heiliges, ehrfurchtgebietendes Haupt zu solch' einem Tode beugen konntest, wie Du die Sternenkrone, die seit ewigen Ewigkeiten von Deiner Stirne schimmernd strahlte, weglegen konntest; -aber wie Du zugeben solltest, dass die Dornenkrone Deine Schläfe verwundend umschließe, das macht mein Erstaunen noch viel größer. Dass Du das Kleid Deiner Ehre wegwerfen konntest, den Purpur Deines ewigen Reiches, kann ich nicht fassen; wie Du aber für eine Weile durftest umhüllt werden mit dem Scharlach der Schmach, und wie die Gottlosen vor Dir niederfielen und Dich als einen falschen König höhnten, und dass man Dich bis auf die nackte Haut entkleidete und Dir keine Decke für Deine Blöße gewährte, das ist noch viel unbegreiflicher.
Wahrhaftig heißt Dein Name „Wunderbar“. Ach! Deine Liebe zu mir ist wunderbar, weit über einer Mutter Liebe. Gabs je einen Schmerz wie Deinen Schmerz? Gabs je eine Liebe wie Deine Liebe, welche die Schleusen solchen Schmerzes zu öffnen vermochte? Dein Schmerz ist einem Strome gleich; aber wo hat je eine Quelle solch' einen Strom ausgegossen? Wo war je eine Liebe so mächtig, dass sie zu einem Brunnen wurde, aus dem solch' ein Meer der Schmerzen herniederquoll? Hier ist unvergleichliche Liebe-unvergleichliche Liebe, die Ihn zum Leiden trieb; unvergleichliche Macht, die Ihn beschäftigte, die ganze schwere Last von seines Vaters Zorn zu tragen.
Hier ist unvergleichliche Gerechtigkeit, dass Er sich selbst dahingab in seines Vaters Willen, und nicht wollte, dass Menschen ohne sein Leiden selig würden; und hier ist unvergleichliche Gnade für die vornehmsten Sünder, dass Christus gerade für sie leiden sollte. „Sein Name heißt Wunderbar“'
Aber Er starb. Er starb! Sieh, Salems Töchter weinen um ihn. Joseph von Arimathia hebt den leblosen Leib auf, nachdem er vom Kreuz herunter genommen ist. Sie tragen ihn hinweg zum Grabe. Er wird in einen Garten gebracht. Heißt ihr Ihn jetzt Wunderbar?
“ Wer senkt Dich ein nach vieler Pein,
Du meines Lebens Leben,
Dich hat jetzt ein Felsengrab,
Fels des Heils, umgeben.„
Und ist Er tot? Greift seine Hände! Sie hängen bewegungslos zum Boden nieder. Seine Füße klaffen noch von den tiefen, blutigen Nägelmalen, aber-kein Zeichen des Lebens ist da. „Ah so?“ ruft der Jude ,“ist dies der Messias? Er ist tot, Er wird in kurzer Zeit die Verwesung sehen. Habt acht, ihr Wächter, habt wohl Acht, dass nicht seine Jünger kommen und stehlen seinen Leichnam. Sein Leib kann nimmermehr fort, wenn man ihn nicht stiehlt; denn er ist tot. Ist dies der „Wunderbar,“ der „Rat“?
Aber Gott ließ seine Seele nicht im Reich der Todesschatten, noch gab Er zu, dass dieser Leib-„sein Heiliger“ -die Verwesung sehe. Ja Er ist wunderbar, sogar im Tode noch: Dieser eiskalte Leichnam ist wunderbar. Vielleicht ist dies das größte aller Wunder, dass Er, der „dem Tode ein Gift und der Hölle eine Pestilenz“ (Hosea 13, 14.) ist, eine Zeit lang musste die Bande des Todes leiden. Aber hier ist das Wunderbar. Er konnte von den Stricken des Todes nicht festgehalten werden. Diese Ketten, die Zehntausende von Adams Söhnen und Töchtern gebunden haben, und die noch nie von einem menschlichen Fleisch gesprengt worden sind, ausgenommen durch ein Wunder, waren für Ihn wie neue Weidenbande. Der Tod band unsern Simson fest, und sprach: „Ich habe ihn nun; ich habe die Locken seiner Kraft abgeschnitten; sein Ruhm ist vernichtet und nun ist er mein.“ Aber die Hände, die das Menschengeschlecht in Ketten gefangen hielten, waren für den Herrn wie nichts. Den dritten Tag zerbrach Er sie und auferstand wieder vom Tode, um hinfort nimmermehr zu sterben. O! Du auferstandener Heiland, der Du die Verwesung nicht sehen durftest-Du bist wunderbar in Deiner Auferstehung. Und wunderbar bist Du wieder in Deiner Himmelfahrt, wo ich Dich sehe das Gefängnis gefangen führen und empfangen die Throngaben für uns Menschen. „Sein Name heißt Wunderbar.“
Stehen wir hier einen Augenblick stille, und erwägen wir es bewundernd: Christus ist über Alles wunderbar. Die kurze Geschichte, die ich euch so eben erzählte-nicht kurz an sich, sondern kurz in meinen Worten-hat etwas über alles Wunderbares in sich. Alles Wundervolle, was ihr je gesehen habt, ist nichts gegen dies Wunder. Wenn wir durch die und jene Gegend gereist sind, so haben wir Wunder gesehen, und ein älterer Reisender als wir hat dazu gesagt: „Ja, das scheint Ihnen wunderbar, aber ich könnte Ihnen etwas zeigen, das dies Alles bei weitem hinter sich lässt.“ Und wenn wir schon prächtige Landschaften mit herrlichen Hügeln sahen, wenn wir Höhen bestiegen, wo der Adler die Gebirge und den Himmel zugleich zu berühren schien mit seinen Schwingen, wenn er mit Sturmeseile die Wogen des Luftmeeres schwebend durchschnitt, und wenn wir von dort oben herniederschauten und sprechen: „Wie wunderschön!“ so sagt jener: „Ich habe schönere Länder gesehen denn diese, und viel herrlichere und weitere Aussichten.“
Aber wenn wir von Jesu reden, dann kann Niemand mehr sagen, er habe je ein größeres Wunder gesehen. Da seid ihr nun auf den höchsten Gipfel von Allem gelangt, was man je bewundern kann. Kein Wunder kommt diesem Wunder gleich; kein staunendes Preisen erreicht seinen Preis; kein Entzücken, keine Bewunderung gleicht der Bewunderung und dem Entzücken, die wir empfinden, wenn wir Christum in der Herrlichkeit seiner vergangenen Tage betrachten. Er übertrifft Alles. Und was wollen wir weiter sagen? Ein Wunder erregt eine schnell vorüberrauschende Aufregung. Ihr kennt ja das Sprichwort, dass ein Wunder in neun Tagen altert. Die längste Zeit, die ein Wunder angestaunt wird, ist wirklich ungefähr so viel; so schnell rauschts vorüber. Aber Christus ist und bleibt ewig „Wunderbar“. Ihr könnt sechzig und siebzig Jahre über ihn nachdenken, und ihr werdet euch zuletzt mehr ob ihm verwundern als anfangs.
Abraham mochte wohl staunend ihn bewundern, als er seinen Tag in ferner Zukunft erkannte; aber ich glaube nicht, dass selbst Abraham Christumso sehr bewundern konnte, wie der Letzte im Himmelreich Ihn heutzutage bewundert; denn wir wissen mehr als Abraham, und darum bewundern wir auch mehr. Denkt wieder einen Augenblick nach, so werdet ihr sagen, Christus verdiene wahrlich „Wunderbar“ genannt zu werden, nicht nur weil Er allezeit wunderbar ist, und weil Er überschwänglich wunderbar ist, sondern auch weil Er allüberall und immer wunderbar ist. Es hat hie und da auf dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft außerordentliche Erscheinungen gegeben; wenn wir z. B. nur ein bekanntes Wunder unserer Zeit ins Auge fassen, den Telegraphen-wie viel Wunderbares ist nicht daran! aber es gibt dabei Einiges, was wir begreifen. Obgleich viele Geheimnisse damit verwoben sind, so gibt es dabei doch einzelne Stücke, die gleichsam der Schlüssel zu diesen Geheimnissen sind, so dass, wenn wir auch den Schleier nicht vom Ganzen heben können, wir doch einige untergeordnete Beiwerke seiner Geheimnisse erschauen. Aber wenn ihr nun zu Christo aufschaut, wenn, wo, oder wie es auch sei, siehe, so ist Er ganz Geheimnis, Er ist ganz und gar wunderbar, ohn' Ende anzustaunen, ohn' Ende zu bewundern.
Und wiederum, Er wird ohne Ausnahme bewundert. Man sagt uns, die Religion des Herrn Jesu sei recht gut für alte Weiber. Es wollte mich einst Jemand anreden und sagte zu mir, er glaube, meine Predigtweise wäre ganz besonders für Schwarze, für Neger, geeignet. Er dachte nicht daran, mir damit eine Schmeichelei zu sagen, aber ich erwiderte: „Ja Herr, wenn sie für Schwarze geeignet ist, so denke ich, müsste sie für Weiße sehr geeignet sein; denn es ist ja nur ein unbedeutender Unterschied in der Haut zwischen beiden, und ich predige ja nicht den Häuten, sondern den Herzen.“
Von Christo können wir nun sagen, Er sei allüberall ein Wunder, auch die größten Gelehrten haben ihn bewundert. Locke und Newton sind sich wie unmündige Kinder vorgekommen, wenn sie sich unter das Kreuz gestellt haben. Die Bewunderung hat sich nicht auf das weibliche Geschlecht, auf Kinder, Altersschwache und Sterbende beschränkt; die größten Geister und die erhabensten Seelen haben Christum angestaunt. Ich bin überzeugt, dass es eine schwere Aufgabe ist, Jemanden zur Bewunderung zu veranlassen. Scharfen Denkern und strengen Mathematikern ist nicht leicht beizukommen. Aber Männer dieser Art haben das Gesicht mit den Händen verhüllt und sich in den Staub niedergeworfen und bekannt, dass sie vor Staunen und Bewunderung außer sich gewesen seien. Ja, da mag Christus wohl „Wunderbar“ heißen.
II.
„Sein Name heißt Wunderbar.“ Er ist wunderbar in der Gegenwart. Und hier will ich nichts verhalten, sondern euch geradezu fragen: Ist Er euch wunderbar? Ich will euch die Geschichte meiner eigenen Bewunderung für Christum erzählen, so werde ich damit die Erfahrung aller Gotteskinder schildern. Es gab eine Zeit, wo ich Christum nicht bewunderte. Ich hörte von seiner Herrlichkeit, aber ich gewahrte nichts davon und hatte sie nie erblickt; ich hörte von seiner Macht, aber sie galt mir nichts; es war mir Alles mehr nicht, als eine Geschichte ferner Länder und Zeiten-es ging mich nichts an, und darum achtete ich nicht darauf. Da kam einst Einer, schwarz und fürchterlich anzusehen, vor mein Haus.
Er schlug gegen die Türe; ich suchte sie zu verrammeln und zu befestigen. Er schlug heftiger und heftiger, bis er den Eintritt erzwang und mich mit rauer Stimme vor sich forderte; und er sprach: „Ich habe einen Auftrag von Gott an dich; du bist verdammt um deiner Sünde willen.“ Ich schaute ihn erstaunt an; ich fragte ihn nach seinem Namen.
Er sprach: „Mein Name ist Gesetz;“ da fiel ich zu seinen Füßen, als wäre ich tot. „Ich lebte aber etwa ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde lebendig; ich aber starb (Röm. 7,9.10.). Als ich so da lag, schlug er mich. Er schlug mich, bis dass ich meinte, jede Rippe müsse mir brechen und mein Eingeweide bersten. Mein Herz war mir wie Wachs, im Busen zerschmolzen. Es schien mir, als würde ich auf eine Folterbank gespannt-als würde ich mit feurigen Eisen gebrannt-als geißelte man mich mit Ruten von glühendem Draht.
Ein namenloses Elend wohnte und regierte in meinem Herzen. Ich durfte meine Augen nicht aufheben, aber ich dachte bei mir selbst: „Es gibt vielleicht noch eine Hoffnung, noch eine Gnade für mich. Vielleicht kann der Gott, den ich gekränkt habe, meine Tränen und meine Versprechungen, mich zu bessern, annehmen, und ich darf leben.“ Aber als dieser Gedanke mich durchfuhr, wurden die Schläge schwerer und meine Schmerzen schneidender als zuvor, bis mir alle Hoffnung ausging, und mir nichts mehr blieb, worauf ich mich verlassen konnte. Schwarze und dicke Finsternis umgab mich; ich hörte ein Geräusch, wie ein schnelles Hin- und Herrennen, wie ein Fletschen und Knirschen von Zähnen.
Ich sprach in meinem Herzen: „Ich bin verstoßen von seinem Angesichte, ich bin sehr verachtet von Gott, Er hat mich in seinem Zorn in den Kot getreten.“ Und siehe, da kam Einer, des Anblick war bekümmert, aber lieblich, und Er beugte sich über mich und sprach: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ (Eph. 5, 14.). Ich erhob mich voll Erstaunen, und Er nahm mich und führte mich an einen Ort, wo ein Kreuz stand und schien vor meinen Augen zu verschwinden. Aber ich sah Ihn wieder, wie Er an jenem Kreuze hing. Ich schaute Ihn an und sah Ihn am Holze bluten. Seine Augen warfen einen Blick voll unaussprechlicher Liebe in meinen Geist, und wie ich so auf Ihn schaute, waren in einem Augenblick die Qualen, die meine Seele litt, gestillt; die klaffenden Wunden waren geheilt; die zerbrochenen Gebeine gekräftigt! Die Lumpen, die meine Blöße gedeckt hatten, waren beseitigt; mein Geist war weiß wie der reine Schnee des fernen Nordens; ich jubelte in meinem Herzen, denn ich war erlöst, abgewaschen, rein geworden, ich hatte Vergebung gefunden, alles durch Den, der dort am Kreuze hing. Ach wie wunderte ich mich, dass mir sollte vergeben sein! Es war nicht sowohl die Vergebung, die mich so sehr in Erstaunen setzte, als vielmehr, dass dieselbe gerade mir widerfuhr. Ich wunderte mich, dass Er sollte solche Sünden, wie die meinigen, vergeben, solche Verbrechen, so zahlreich und so schwarz, und dass Er trotz einem so schwer verklagenden Gewissen sollte Macht haben, jede Woge in meinem Innern zu stillen, und meine Seele zu glätten wie die Wasserspiegel eines ungetrübten, ruhigen und lieblichen Flusses.
Sein Name war daher meinem Geiste „Wunderbar“. Aber, liebe Brüder und Schwestern, wenn ihr das je gefühlt habt, so könnt ihr sagen, ihr habet damals Ihn als wunderbar erkannt-wenn ihr es jetzt fühlt, so entzückt ein Gefühl staunender Bewunderung gerade jetzt eure Herzen. Und ist Er euch nicht wunderbar gewesen seit jener denkwürdigen Stunde, als ihr zum erstenmal die Stimme der Gnade zu eurem Herzen sprechen hörtet. Wie oft seid ihr matt, krank und traurig gewesen! Aber euer Leiden war leicht, denn Jesus Christus ist euch auf eurem Krankenbette nahe gewesen; eure Sorge ist gar keine Sorge gewesen, denn ihr durftet eure Last auf Ihn werfen.
Die Anfechtung, die euch zu zermalmen drohte, hat euch eher gen Himmel erhoben, und ihr habt gesprochen: „Wie wunderbar, dass der Name Jesu Christi mir solchen Trost verleihen kann, solche Freude, solchen Frieden, solche Zuversicht.“ Verschiedene Umstände erinnern mich jetzt an eine Erfahrung, die ich vor etwa zwei Jahren machte. Geliebte, wir werden die Gerichte des Herrn nie vergessen können, da Er durch eine schreckliche Heimsuchung in Gerechtigkeit unser Gebet erhörte, dass Er uns in diesem Hause wolle guten Erfolg schenken.*) Wir können nicht vergessen, wie die Leute erschüttert waren-wie einige Schafe erschlagen wurden, und der Hirte selbst getroffen ward.
Ich möchte vor euren Ohren die Geschichte meines eigenen Leidens nicht erzählen. Vielleicht war nie eine Seele dem glühenden Ofen des Wahnsinns so nahe, und kam doch unverletzt davon. Ich bin durch dies Feuer gegangen, bis dass diese Haare von der Hitze ganz versengt schienen. Mein Gehirn war erschüttert. Ich durfte nicht zu Gott aufblicken, und das Gebet, das einst mein Trost war, jagte mir Furcht und Schrecken ein, wenn ich es versuchte. Ich werde den Zeitpunkt nie vergessen, wo ich wieder zu mir selber kam. Es war im Garten eines Freundes. Ich wandelte einsam und allein, nachsinnend über mein Elend; so sehr dies auch durch die Güte meines liebenden Freundes gemildert ward, so war es doch zu schwer für meine Seele, als plötzlich der Name Jesu mir durch den Sinn blitzte.
Die Person Christi erschien mir wie sichtbar. Ich stand still. Der brennende Feuerstrom meiner Stirne ward abgekühlt. Meine Todesängsten waren vorüber. Ich beugte mich dort in den Staub, und der Garten, der mir ein Gethsemane geschienen hatte, ward mir zum Paradiese. Und dann kam es mir so sonderbar vor, dass gar nichts als der bloße Name Jesu mich sollte zurückgebracht haben. Ich dachte damals wahrlich, dass ich Ihn mein Leben lang inniger lieben würde. Aber zweierlei bewunderte ich. Ich bewunderte, wie Er gegen mich so gütig war, und verwunderte mich noch mehr, wie ich so undankbar gegen Ihn hatte sein können.
Aber von der Zeit an ist mir sein Name „Wunderbar“ gewesen, und ich muss preisen, was Er an mir getan hat. Und nun, liebe Brüder und Schwestern, werdet ihr alle täglich in eurem Leben und trotz all' eurer Leiden und Trübsale finden, dass Er durch letztere gerade stets wunderbarer wird. Er sendet euch Trübsale, gleichsam zum dunkeln Grunde, auf welchem der Diamant seines Namens nur umso strahlender glänzt. Ihr würdet die Wunder Gottes nie kennen lernen, wenn ihr sie nicht im Ofen der Trübsal erführt. „Die mit Schiffen aufs Meer fahren und treiben Handel in großen Wassern, die sehen die Werke des Herrn und seine Wunder in der Tiefe (Ps. 107, 23. 24.); und wir werden nur in dieser Tiefe die Wunder Gottes erblicken; wir müssen uns in die Tiefen hinabbegeben, ehe wir erkennen, wie wunderbar seine Gewalt ist und seine Macht, selig zu machen.
Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne noch eine Bemerkung beizufügen. Es hat Zeiten gegeben, wo ihr und ich von Christo sagtet: „Wahrlich, sein Name ist wunderbar, denn wir sind dadurch gänzlich über die Welt emporgehoben und aufwärts getragen worden bis an die Pforten des Himmels.“ Ich bedaure euch nun, wenn ihr die folgende Schilderung nicht verstehen solltet. Es gibt im Leben Augenblicke, wo der Christ fühlt, dass die Reize der Erde für ihn zertrümmert sind, und seine Flügel entfalten sich, und er beginnt zu fliegen; und hinauf schwingt er sich, bis er der Erde Sorgen vergisst und weit hinter sich lässt; und höher steigt er, bis dass er vergisst der Erde Freuden, und sie wie die Gipfel der Berge tief unten versinken sieht, wie wenn ein Adler der Sonne entgegen schwebt; und hinauf und höher und immer höher erhebt er sich, von seinem Heiland erfüllt, den er wie in entzückender Erscheinung vor sich sieht. Sein Herz ist voll von Christo; seine Seele schaut ihren Heiland, und die Wolke, welche das Anschauen des Angesichts des Heilands verdunkelte, scheint zerflossen zu sein. In einem solchen Augenblick kann der Christ mitempfinden, was einst Paulus empfand. Er sagt: „Ob im Leibe, so weiß ich es nicht; oder ob außer dem Leibe, so weiß ich es auch nicht-Gott weiß es;“ aber ich „ward entzückt bis in den dritten Himmel“ (2 Kor. 12, 2.). Und wie kommt diese Entzückung?
Durch die Töne der Flöte, der Harfe, der Posaune, des Psalters und allerlei Instrumente? Nein. Wie denn? durch Reichtum? durch Ehre? durch Ansehen? Ach nein. Durch eine strenge Richtung? durch eine gesteigerte Lebenskraft? Nein. Durch den Namen Jesu. Dieser eine Name ist allgenugsam, den Christen zu den Höhen der Entzückung zu führen, noch höher als wo die Engel fliegen, im reinen Lichte.
III.
Wir dürfen uns hierbei nicht länger aufhalten, obschon der Gegenstand unerschöpflich ist, und man ohn' Ende darüber sprechen könnte. Ich will nur noch zeigen, dass sein Name auch in der Zukunft Wunderbar heißt.
Es ist gekommen der Tag, der Tag des Zornes, der Tag der Rache. Die Zeiten sind zu Ende; das letzte Jahrhundert ist, gleich der letzten Säule eines zerfallenen Tempels, verwittert und hingestürzt. Die Zeitenglocke warnt die letzte Stunde. Sie beginnt schon zu schlagen. Die Zeit ist gekommen, wo die gewordenen Dinge verschwinden müssen. Sieh, ich sehe die Eingeweide der Erde sich bewegen. Tausende von Grabhügeln geben die schlummernden Toten wieder. Die Schlachtfelder sind nicht mehr mit der reichen Ernte bekleidet, die vom Blute gedüngt war; aber eine neue Ernte ist erstand en. Die Gefilde stehen dicht gedrängt voll Menschen. Das Meer selbst ist zur fruchtbaren Mutter geworden, und wenn es gleich die Menschen lebendig verschlungen hat, bringt es sie doch wieder herauf; und sie stehen vor Gott, ein unabsehbares Heer. Sünder! ihr seid aus euern Gräbern erstanden; die Pfeiler des Himmels schwanken; der Himmel wankt hin und her; die Sonne, das Auge dieser großen Welt, rollt wie eines Wahnsinnigen Auge, und starrt mit Schrecken.
Der Mond, der die Nächte so lange lieblich erleuchtet hatte, macht die Finsternis nur fürchterlicher, denn er ist in einen Blutklotz verwandelt. Zeichen und Wunder, die alle Vorstellung übersteigen, machen, dass die Himmel erbeben und der Menschen Herzen verschmachten. Plötzlich kommt Einer auf einer Wolke gleich des Menschen Sohn. Ihr Sünder! malt euch euer Staunen und eure Verwunderung aus, wenn ihr Ihn schauet. Wo bist du, Voltaire? Du sprachst: „Ich will den Elenden zertreten.“ Komm und zertritt Ihn nun! „Nein,“ sagt Voltaire,“ das ist der Mann nicht, den ich meinte, dass er es wäre.“ O wie wird er sich verwundern, wenn er entdeckt, was Christus ist! Nun, Judas, komm und gib Ihm einen Verräterkuß! „Ach nein, spricht er, ich wusste nicht, wen ich küsste, ich meinte, ich küsse nur den Sohn der Maria; doch siehe, Er ist der Ewige Gott.“ Nun, ihr Könige und Fürsten, die ihr euch auflehntet und ratschlagtet mit einander wider den Herrn und seinen Gesalbten und sprachet:
„Lasset uns zerreißen seine Bande und von uns werfen seine Seile!“ (Ps. 2,2.3.) Kommt nun und ratschlagt noch einmal; erhebt euch nun wider Ihn! O, könnt ihr euch das Erstaunen malen, die Verwunderung, den Schrecken, wenn gleichgültige, gottlose Ungläubige und Socinianer sehen, wer Christus ist? „Ach,“ werden sie sagen ,„das ist wunderbar; ich glaubte nicht, dass Er ein Solcher sei;“ denn Christus wird zu ihnen sprechen: „Du meintest, ich sei ganz und gar als euer Einer, aber das bin ich nicht; ich bin in meines Vaters Herrlichkeit gekommen, zu richten die Lebendigen und die Toten.“
Pharao führte seine Heere mitten ins Rote Meer. Der Weg war trocken und steinigt, und auf jeder Seite stand wie eine alabasterne Mauer das helle klare Wasser, fest wie vom Frost erstarrt, wie zu Marmor verdichtet. Da stand es, könnt ihr das Erstaunen und den Schrecken der Heere Pharaos begreifen, als sie diese Mauern von Wasser im Begriff sahen, sich über ihnen zu schließen? „Seht, ihr Verächter, und verwundert euch und werdet zu nichte“ (Apg. 13, 41.). Das wird euer Erstaunen sein, wenn Christus, den ihr heute verachtet habt, den ihr nicht zu eurem Heiland haben wolltet-wenn Christus, dessen heiliges Wort ihr im Staube liegen ließet, dessen Sabbat ihr geschändet habt-wenn Christus, dessen Evangelium ihr verworfen habt, kommt in der Herrlichkeit seines Vaters und alle seine heiligen Engel mit Ihm (Mat. 25, 31.). Ja, dann„sehet ihr Verächter und verwundert euch und werdet zu nichte“ (Apg.13,41.), und sprecht: „Sein Name ist Wunderbar.“
Aber was ist vielleicht der wunderbarste Teil des Gerichtstages? Seht ihr alle jene Schrecken dort? -die schwarze Finsternis, die schreckliche Nacht, die zusammenprallenden Kometen, die erbleichenden Sterne, die auf die Erde fallen, gleichwie ein Feigenbaum seine unreifen Feigen abwirft (Off. 6,13.). Hört ihr den Schrei: „Ihr Berge, fallet über uns, ihr Hügel, decket uns!“ (Luk.23, 30.) „Alle Schlacht der Kampfgerüsteten ist verwirrtes Getümmel“ (Engl. Übers. v. Jes. 9, 5.); aber keine Schlacht gleicht dieser. Ja wahrlich, bei dieser ist Feuer und Rauch. Aber seht ihr dort drüben? Alles ist friedvoll, Alles heiter und ruhig.
Die Myriaden der Erlösten, lärmen, schreien, heulen sie etwa? Nein; schaut sie an! Sie sind versammelt-versammelt um seinen Thron. Dieser Thron sogar, der wie mit tausend Händen Tod und Vernichtung über die Verdammten auszustreuen scheint, wird zur Sonne des Lichts und der Glückseligkeit für alle Gläubigen. Seht ihr sie kommen, gekleidet in weiße reine Leinwand, mit ihren glänzenden Flügeln? Während sie um Ihn versammelt sind, verhüllen sie ihr Antlitz. Hört ihr sie rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth (Jes. 6, 3.), denn Du bist geschlachtet (Offenb. 5, 9.) und bist erstanden von den Toten; Du bist würdig zu leben und zu herrschen, denn der Tod ist verschlungen in den Sieg.“ Hört ihr sie? Es ist nur ein Lobgesang, und keine Klage. Seht ihr sie? Es ist nur eine Freude, und kein Schrecken. Sein Name ist ihnen Wunderbar; aber es ist die Bewunderung der Anbetung, die Bewunderung des Entzückens, die Bewunderung der Liebe, und nicht die Verwunderung des Schreckens und der Verzweiflung.
Ihr Heiligen des Herrn! ihr werdet erkennen die Wunder seines Namens, wenn ihr Ihn sehen werdet, wie Er ist, und ihr werdet Ihm gleich sein am Tage seiner Erscheinung. Ja, mein entzückter Geist, du sollst in deinem Teil deinen Heiland verherrlichen helfen, ob dus schon nicht würdig bist, vornehmster unter den Sündern, und geringer denn der allergeringste unter den Heiligen. Dein Auge wird schauen und kein Fremder (Hiob 19, 27.). „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt; und Er wird wie der Letzte überm Staube stehen, und wenn die Würmer diese meine Haut zerfressen haben, werde ich aus meinem Fleische Gott sehen“ (Hiob 19, 25. 26.).
Ja, macht euch bereit, ihr Jungfrauen! Sieh, der Bräutigam kommt. Stehet auf und schmücket eure Lampen, und geht aus, ihm entgegen. Er kommt, Er kommt, Er kommt, und wenn Er kommt, so werdet ihr Ihm voll Jubel entgegenrufen: „Dein Name heißt Wunderbar! Heil! Heil! Heil!“ Amen.