Spurgeon, Charles Haddon - Christus, vorgestellt zu einem Gnadenstuhl

“Christus Jesus, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut.“
Röm. 3,25

Es ist doch etwas Herrliches, wenn Christus gepredigt wird! So oft wir auch von Ihm hören, und hörten wir es tausendmal, so werden wir nicht müde, uns daran zu erquicken und zu freuen. Und so soll denn auch heute wieder Christus uns vorleuchten. Ihr werdet mir nicht vorwerfen, dass ich Altes wiederbringe - ihr werdet nicht einander ansehen und gegen einander flüstern: „Das haben wir schon alles gehört;“ ihr werdet nicht antworten, die Geschichte Jesu sei euch so bekannt, dass sie nun anfange, euch zu ermüden; denn ich weiß, dass Person, Charakter und Werk Christi euch stets Anlass zu neuer Bewunderung bieten. Wer von uns' das Meer beobachtet hat (und hätte er es auch zum hundertsten- und tausendstenmal gesehen), der weiß, welch eine unwandelbare Majestät auf seiner dunkelgrünen Fläche ruht, aber wer möchte das Meer einförmig nennen? Fahrt hin über seine Fluten, so ist das Wogen seiner Gewässer, die schäumende Brandung an den Klippen, das Kräuseln der in regelmäßigem Tanze hüpfenden Wellen, und die muntere, neckische Jagd der hintereinander herrollenden Schar schwankender Wogenreihen stets und immer wieder neu und anziehend. Wer von uns hätte sich je darüber aufgehalten, dass die Sonne in ihrer Erscheinung so wenig Abwechslung bietet? dass sie alle Morgen das gleiche Viergespann zügelt und ihr goldener Wagen die gleiche glänzende Pracht entfaltet, mit gleicher Einförmigkeit den höchsten Punkt der himmlischen Bahn erklimmt und nachher den Wagen wieder abwärts lenkt und ihre feuerschnaubenden Renner in den Fluten des westlichen Ozean badet? Wer hätte sich je über die Einförmigkeit des Brots beklagt, das wir täglich essen? Wir essens heute, morgen, und habens seit Jahren gegessen, und ob wir gleich andere wohlschmeckende Dinge daneben genießen, so wird doch dies eine, gleichförmige Nahrungsmittel immer wieder vorgesetzt, und das Brot bleibt der Grundstock unserer Leibesnahrung. Und weil ich gewiss weiß, dass Christus die Nahrung und das Geistesbrot eurer Seelen ist, eure Sonne und himmlische Leuchte, das Meer der Liebe, in welchem eure Sehnsucht schwimmt und die Schätze eurer Freuden verborgen liegen, so ists unmöglich, dass ihr als Christen euch über die Unveränderlichkeit seines Wesens beklagen solltet. „Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.“ (Hebr. 13,8.) Ja, Er steht da in der Blüte seiner Jugend. Er ist das Manna im goldenen Gefäß, welches sich immer gleich blieb, und doch ist Er wieder das Manna, das vom Himmel kam und alle Morgen neu war. Er ist der Stab Moses, der dürre, welcher seine Gestalt nie veränderte, und doch wieder der Stab Aarons, welcher grünt und blüht und Mandeln trägt.

So will ich denn abermals predigen von Christo dem Gekreuzigten, den Gott uns vorgestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut. Wir wollen nun zuerst sehen, was das heißt: Gott hat Christum zu einem Gnadenstuhl vorgestellt. Dann wollen wir uns in die Wahrheit vertiefen, die naturgemäß aus dem Vorigen entspringt: Christus, der Gnadenstuhl, auf den der Blick einer gläubigen Seele sich richtet; und dann drittens wollen wir betrachten wie wir uns Christum zu einem Gnadenstuhl vorstellen und wie Gott darauf sieht.

I.

Zum ersten sagt unser Schriftwort von Jesu Christo: Welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut.

Das Wort „vorgestellt“ heißt in der Ursprache eigentlich soviel wie „zuvorverordnet“; aber nach dem Urteil der bedeutendsten Schriftforscher liegt der Begriff „vorgestellt“ mit darin enthalten. Bengel gibt die Bedeutung des Worts so: „Aller Welt vor Augen hingestellt;“ und ein anderer vorzüglicher Ausleger sagt: „Das Wort bedeutet: öffentlich ausgestellt, wie Waren zum Verkauf in einem Schaufenster ausgestellt sind, oder wie Siegespreise, welche bei den griechischen Kampfspielen zur Schau ausgestellt waren.“ So hat Gott der Vater ausgestellt, vor Augen gebracht und bekannt gemacht die Person des Herrn Jesu als die Versöhnung für die Sünde. Wie hat Er das getan? Zuerst dadurch, dass Er Ihn im göttlichen Ratschluss verordnet hat zum Lösegeld für die Sünde. Christus nahm das Hohepriesteramt nicht auf sich, ohne, wie Aaron, dazu verordnet zu sein. So gewiss als jedes Glied am Leib Christi nach der Vorsehung Gottes erwählt ist, so gewiss, als im ewigen Buche Gottes geschrieben stehen alle Glieder Christi, die noch werden sollten, und deren keines da war; so gewiss war das Haupt selbst verordnet als der Auserwählte Gottes; wie es der Dichter ausdrückt:

„Erst Christum. Erstling aller Auserkornen,
Danach erwählt' Er uns in Ihm, dem Haupt.“

Vielleicht möchte jemand sagen, es sei von einer Erwählung nicht zu reden, weil eine andere Wahl nicht möglich gewesen wäre. Wie wissen wir denn aber, dass eine andere Wahl gar nicht mehr möglich war? Wir können kaum denken, dass Engel oder Erzengel zu einer Versöhnung für die Sünde hätten können vorgestellt werden; und dennoch - wer darf sagen, ob der Verstand des Allmächtigen nicht einen anderen Weg hätte finden können? Wer darf den Heiligen in Israel meistern (Ps. 78,41)? Jedenfalls war noch eine Auswahl zwischen Vater, Sohn und Geist: Die göttliche Weisheit und göttliche Unumschränktheit erwählte und bestimmte und verordnete, dass Christus Jesus, der Zweite in der unerforschlichen Dreifaltigkeit, sollte die Versöhnung für unsere Sünden sein. Wenn Christus in die Welt kommt, so kommt Er als einer, von welchem alle Ewigkeiten erzählen; Er ist ein Kind geboren, - geboren von der Mutter Vorsehung; Er ist das Lamm, das Gott vor Grundlegung der Welt sich ersehen hat. Lange bevor diese Erde erschaffen wurde oder Adam fiel, wurde Christus „vorgestellt“. Im Buche stand von Ihm geschrieben: „Deinen Willen, o Gott, tue ich gern“ (Ps. 40,8.9). Es kommt mir vor, jene - welche sich fürchten zurückzuschauen auf die großen Ratschlüsse Gottes, weil sie sagen, das seien unnahbare Geheimnisse - fürchten sich, wo nichts zu fürchten ist. Es ist nichts zu fürchten, teure Brüder, wenn wir uns in Geheimnisse einmischen; sind es Geheimnisse, dann ists nur zu gewiss, dass wir nie in sie eindringen werden. Wenn uns ein einziges Mal gesagt ist, dass es Geheimnisse seien, so gibts keinen einzigen, der Gottes Geheimnisse verraten könnte. Aber was geoffenbart ist, gehört uns und unseren Kindern, und das ist eines der geoffenbarten Dinge, nämlich der Ratschluss, und wir verkündigen ihn laut: Der Herr hat zu Christo gesagt: „Mein Sohn bist Du, heute habe ich Dich gezeugt“ (Ps. 2,7); und abermals hat Er zu Ihm gesagt und gesprochen: „Ja, ich will Ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten über die Könige auf Erden“ (Ps. 89,28). Und das alles, auf dass Er sei „der Gnadenstuhl“ und die „Versöhnung für unsere Sünden durch den Glauben in seinem Blut“. (Joh. 2,2; 4,10 und Röm. 3,25.)

Und dann hat Gott Christum zu einem Gnadenstuhl vorgestellt für unsere Sünden in den Verheißungen von seiner Menschwerdung. Hat Er Ihn nicht klar und deutlich verheißen und vorgestellt im Garten Eden, als unser Geschlecht fiel? Hat Er Ihn nicht nachher deutlich vorgestellt durch die Arche, in welcher Noah gerettet wurde? Hat Gott nicht beständig, nicht bloß mit verheißenden Worten, sondern in Vorbildern, davon geredet? Hat Er nicht hundert Propheten, und vielen heiligen Männern und Weibern fortwährend die Zukunft dessen geoffenbart, der der Schlange den Kopf zertreten und sein Volk von der Macht des Verderbens erlösen sollte? Es ist wunderbar, wenn man sieht, wie angelegen sichs der Heilige Geist sein ließ, durch alle Zeiten und Jahrhunderte, Vorbilder, Darstellungen und Sinnbilder zu schaffen, durch welche Christus sollte vorgestellt werden zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut. Aber die Hauptvorstellung war und bleibt die wirklich e, tatsächliche Ausführung, als der Herr Jesus aus seiner verborgenen Wohnstätte heraustrat und sich in der Krippe offenbarte, als Gott Ihn verkündigen ließ durch die Botschaft der Engel, die Er zu seinen Dienern verordnet hatte, als Gott Ihn ankündigte, durch den Stern des Morgenlandes, der die Weisen aus weiter Ferne an den Ort leitete, wo das Kindlein war; als Er später sein Leben mitten unter den unsäglichsten Gefahren bewahrte und sich das Wort der Propheten erfüllte über das Land, wo Er vor dem Wüten des Herodes sollte geborgen (Mat. 2, 15), und über den Ort, wo Er sollte erzogen werden und aufwachsen. Wie hat der Vater Christum in seinem ganzen Leben geoffenbart und vorgestellt! Gottes Stimme sprach aus dem Munde Johannes des Täufers: „Sieh, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Und am Kreuz selber, da „der Herr Ihn also wollte zerschlagen mit Krankheit“ (Jes. 53, 10), wie wurde da den Juden und Heiden, dem Fürsten und den Einwohnern, den feingebildeten Griechen und den kriegerischen Römern vor Augen gestellt, dass Christus von Gott verordnet war zur vollkommenen Versöhnung für die Sünde! Ich denke, teure Freunde, wenn uns das Kreuz stets als ein Sinnbild der Liebe Christi zu seiner erlösten Gemeinde erscheint, so müssen wir in demselben auch das Mittel erkennen, durch welches Gott dem Menschen den Weg zur Erweckung, zur Sündenvergebung, zur Gebetserhörung und zum Frieden offenbart. Aber, teure Freunde, das ist nicht alles; seitdem hat Gott Christum vorgestellt durch nachfolgende Zeichen. Welch eine Offenbarung des versöhnenden Christus war es, als der Heilige Geist am Pfingstfeste herabfuhr!

Und was waren alle seither erfolgten Bekehrungen? Waren sie nicht ebenso viele Versiegelungen des Zeugnisses, dass Christus der zuvorversehene Erlöser der Menschen sei, und dass in Ihm die Gläubigen gerechtfertigt und angenehm gemacht werden? Ich glaube fest, dass vielen unter euch Christus auf solch ganz besondere Weise im Herzen vorgestellt worden ist, und ihr unser Textwort bestätigen müsst, denn Ihn hat Gott in euch vorgestellt zu einem Gnadenstuhl. Durch die Wirkung der Gnade sind eure Augen geöffnet worden; durch die unendliche Liebe wurde euer halsstarriges Herz erweicht; ihr seid abgebracht worden von jeder anderen Hoffnung und jeder anderen Zuflucht, ihr habt erkannt, dass Christus göttliche Kraft und göttliche Weisheit ist; überwunden von einer unwiderstehlichen Macht habt ihr Ihn aufgenommen als den gottgesandten Messias und euer einziges Heil. Also hat Gott in euch gnädig erfüllt das Wort: „Ihn hat Gott vorgestellt zu einem Gnadenstuhl.“

Und was hat denn Gott so offen vorgestellt? Wir haben gesehen, wie Er es getan hat - jetzt fragen wir was? Sünder, merke darauf, und wenn du das, was der Vater offenbarte, schon angenommen hast, so lass deine Freude vollkommen werden. Gott hat Christum vorgestellt zu einem Gnadenstuhl. Gott sprach zum Sünder: „Wünschst du zu mir zu kommen? Willst du nicht mehr feindlich gegen mich gesinnt sein? Willst du mir deinen Kummer und deine Sorge anvertrauen? Willst du Segen von mir empfangen? Willst du deine Seele mit deinem Schöpfer Umgang haben lassen? Sieh, ich setze dir Christum zu einem Gnadenstuhl, daselbst will ich dir begegnen, und du sollst mich finden.“ Oder wenn du das Wort nach dem Sinne, der ebenfalls in der Ursprache sich findet, mit Sühn-Deckel übersetzt, so erinnere dich, dass der Gnadenstuhl die Gesetztafeln in der Bundeslade bedeckte, und damit die Ursache des göttlichen Zornes verbarg, denn wir haben die Gesetze übertreten. Möchtest du deine Sünde bedecken? Verbirg sie vor mir, deinem Gott, auf dass ich nicht in Zorn ausbreche; bedecke sie vor dir selber, auf dass du nicht geängstigt werdest mit großer Furcht und zitterst, mir zu nahen, wie damals, als ich in Donner und Blitzen auf dem Sinai erschien. Möchtest du gern eine Decke haben, um alle deine Sünden und Missetaten zu verhüllen? Ich stelle das alles vor dich hin in der Person meines blutenden Sohnes. Vertraue auf sein Blut, so ist deine Sünde verborgen vor meinen Augen; ja, auch deinen eigenen Augen wird sie verborgen sein; und bist du „gerecht geworden durch den Glauben, so hast du Frieden mit Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn“ (Röm. 5, 1). Ach, wäre uns doch in Gnaden geschenkt, anzunehmen, was Gott der Vater vor uns gestellt hat! unsere selbstgerechten Herzen stellen dies und jenes vor sich, Gott aber stellt Christum vor. Ein lehrhafter Prediger stellt einen Glaubenssatz vor, der Erfahrungsprediger ein Gefühl; der Prediger der Frömmigkeit gar oft einen ernsten Vorsatz; Gott aber stellt euch Christum vor. „Daselbst will ich mich euch erzeigen“ (2 Mose 25, 22). Das ist der Ort meiner Ruhe: herrlich für mich, herrlich und heilsam für euch. Kommt zu Christo! „Kommt zu Christo, so kommt ihr zu mir.“ Der Herr, der Allmächtige kommt zu Christo und dort begegnet Er euch. Darum hat Gott Christum vorgestellt und gesetzt zu einem Gnadenstuhl und Sühndeckel der Sünde.

Was hat Er vorgestellt? Er hat Christum hingestellt vor einen jeden unter euch, in der täglichen Verkündigung des Worts und in diesem vom Heiligen Geist eingegebenen Buch, als seinen Gesalbten, auf dass Er vollbringe sein Wort, und als Stellvertreter leide für die, welche an Ihn glauben. Er hat denselben vorgestellt als Den, der ans Fluchholz Golgathas geheftet wurde, auf dass eure Sünden in Ihm gekreuzigt würden. Er hat Ihn vor euch gestellt als den Sterbenden, auf dass euch eure Sünden möchten sterben, ja, als den Begrabenen, damit eure Missetaten begraben würden; als den Auferstandenen, durch den ihr auferstehen sollt zu einem neuen Wandel; als den Aufgefahrenen, damit auch ihr auffahrt zu Gott; als aufgenommen in die Herrlichkeit, auf dass auch ihr die Herrlichkeit ererbt; als den, dem das Reich gegeben ist, auf dass auch ihr mit Ihm und in Ihm herrscht; als den ewig Geliebten, als den Träger unvergänglicher Kronen, damit auch ihr in Ihm ewig geliebt und gekrönt seid. Denselben hat Gott der Vater vorgestellt, damit durch den Glauben in seinem Blut eure Sünden hinweggenommen werden und ihr der herrlichen Freude einer vollkommenen Rechtfertigung teilhaftig werdet. „Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja, vielmehr, der auferweckt ist, ja, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?“ (Röm. 8,34.33). So also hat Gott der Vater Christum vorgestellt.

II.

Und nun zum folgenden. Gott der Heilige Geist wolle nun recht sichtbar mitten unter uns walten, wenn wir jetzt reden von einer Pflicht, oder vielmehr von einem Vorrecht, welches notwendig daraus erfolgt, dass Gott seinen Sohn vorgestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut. Dies Vorrecht besteht darin, dass wir aufsehen sollen auf Christum, und zwar auf Christum allein als die Versöhnung und den Gnadenstuhl für unsere Sünden und darauf achten, dass unser Glaube einfältig und einzig und allein auf sein teures Blut gerichtet sei.

Ein sehr häufiges Missverständnis findet darin statt, dass wir unser Heilandsverlangen wenigstens einigermaßen als eine Versöhnung für unsere Sünden betrachten. Reue ist eine unerlässliche Pflicht und eine Gnade, ohne welche keine Seligkeit möglich ist. Aber es ist von jeher eine starke Versuchung für viele Gemüter gewesen, die Reue zu einer Vorbereitung für Christum zu machen, und das Heilandsverlangen gleichsam als ein Hochzeitskleid zu betrachten, in welchem sie dem Herrn entgegengehen dürfen. Wie viele lesen die Verheißung: „Kommt her zu mir - alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ (Mat. 11, 28) und bilden sich in allem Ernst ein, wenn sie mühseliger und beladener wären, würden sie Erquickung finden. Aber mühselig und beladen sein, gibt niemand Erquickung; Erquickung empfangen wir nur dadurch, dass wir zu Christo kommen. Ich kenne auch viele Diener am Evangelium, welche eine sogenannte tiefe Erfahrung und Gesetzesarbeit predigen, und das nicht ohne Grund, weil viele Kinder Gottes solches nötig haben; aber ich fürchte, sie machen damit viele irre, denn das Volk bildet sich ein, solche Gesetzesarbeit und tiefe Erfahrung stehe im Zusammenhang mit der Versöhnung für ihre Sünden. Nun aber, teure Zuhörer, werden die Sünden der Kinder Gottes hinweggenommen durch das Blut Jesu Christi, und nicht durch Reue. Ich habe schon angedeutet, was ich sagen will, und wills jetzt möglichst klar und entschieden betonen. Ich sage, dass das Bereuen der Sünde keinen Anspruch und keinen Einfluss hat auf die Hinwegnahme dieser Sünde. Ich sage, dass unser Heilandsverlangen unsere Schuld nicht tilgt noch tilgen hilft; sondern das Blut, das Blut, das Blut allein, rein und unvermischt, hat auf ewig das Volk Gottes abgewaschen und weiß gemacht wie Schnee. Ja, arme Seele, wenn dein Herz härter ist als ein Mühlstein; wenn dein Gewissen dir von langer Sündengewohnheit verstockt zu sein scheint, wenn du deinem Auge keine Tränen mehr ablockst, so seufzt du doch heute darüber, dass du nicht seufzen kannst, weinst, dass du nicht weinen kannst, kümmerst dich, dass du nicht bekümmert bist. So höre denn diese evangelische Botschaft: Gott der Vater hat Christum dir vorgestellt zu einem Gnadenstuhl; nicht ein zartes Gewissen, nicht Seufzer, nicht dein Heilandsverlangen, nicht deine Gesetzesarbeit, nicht innere Erfahrung, sondern allein Christum. Er genügt ohne das alles; habe Glauben an sein Blut, so wirst du selig.

Aber manche sind wieder in andere Irrtümer gefallen. Sie machen ihre Versöhnung abhängig von ihrer Überzeugung. Ich wäre gewiss der Letzte, der sagen würde: „Weg mit allen Beweisen, weg mit aller Überzeugung,“ denn am rechten Orte sind sie ganz trefflich; aber es gibt so viele Personen, welche ihre frühere Bekehrung und völlige Errettung nach den dafür vorliegenden Beweisen beurteilen. Hätte ich euch vor vier Wochen hinausgeführt ins Freie, so hättet ihr gesagt, die Bäume seien verdorrt. Welche Lebenszeichen hättet ihr in der Pflanzenwelt entdecken können? Die Keime waren noch in der Erde verborgen; ihr hättet hoch und teuer geschworen, die Blumen seien ausgestorben und hättet euch vorgestellt, weils damals keine gab, es werde nie wieder welche geben. Aber was für einen Wert hätte eure Überzeugung von dem damaligen Zustande der Welt gehabt? Seht sie jetzt wieder an, da die Knospen an den Bäumen ausschlagen und die Blumen der Wiese sich entfalten und alles dem Frühling und dem Sommer entgegentreibt. Ja, so töricht und lächerlich es von uns wäre, den Zustand der Welt nach einer heutigen Wolke oder einem gestrigen Regenguss zu beurteilen, und zu meinen, jetzt hätte die Sonne ihren Schein und ihre Kraft verloren und werde nie mehr am Himmel glänzen, ebenso unverständig wäre es von uns, wenn wir unser Verhältnis zu Gott nach unserem heutigen Zustande, oder nach der Stimmung eines Tages beurteilen wollten. Die rechte Art, Beweise zu würdigen, ist die: Vor allem, meine Seele, siehe als ein armer, schuldbeladener Sünder auf zu Christo, gleichviel ob du nun selig seiest oder nicht. Wenn du das getan hast, dann siehe nach den Beweisen, dann, erst dann. Dann ist der Beweis eine selige Bestätigung; das Zeugnis des Geistes wird deinen Glauben versiegeln. Wenn du aber zuerst dich nach deinen Beweisen umsiehst, handelst du in Wahrheit recht töricht. Es ist damit, wie mit einem Hohlspiegel; nur bei vorhandenem Licht nützt derselbe etwas, und kann man mittelst desselben das Licht verstärken und zurückwerfen; wollten wir aber den Hohlspiegel im Dunklen brauchen und hineinschauen, so würden wir nichts sehen können. Erst muss ich mich nach dem Lichte selber umsehen und erst nachher nach seinem Spiegelbild. Unsere Gnadengaben sind der Widerschein der Liebe Christi; sie sind ein Zeichen dieser Liebe; aber wir tun besser, wenn wir zuerst zu Christo kommen und nachher erst nach dem Zeichen fragen. Ich weiß, wenn unter euch ein Ehegemahl das andere beleidigt hätte, so würde es euch schrecklich wenig Trost gewähren, an alle die kleinen Liebesbeweise vergangener Zeiten zurückzudenken, die ihr einst von ihm empfangen habt. Ihr würdet zuerst zu ihm gehen, es fragen, ob seine Liebe noch unerschüttert sei, ob es auch den Fehltritt verziehen habe, und nachdem ihr die Versicherung seiner reinen, ungetrübten Zuneigung empfangen hättet, dann könntet ihr in eure Kammer gehen und aus dem geheimen Fach die Briefe und Geschenke aus eurer Brautzeit hervorholen und euch daran erquicken; aber vorher hättet ihr gar wenig Trost aus denselben zu hoffen. Und wenn ein Kind von seinem Vater gezüchtigt wird, und denkt, sein Vater zürne mit ihm, so geht es nicht zu seiner Wärterin, um die Geschenke, die es von seinem Vater erhalten hat, zu betrachten, sondern, wenn es ein verständiges und gutgeartetes Kind' ist, so geht es zu seinem Vater, schaut mit tränenvollem Auge zu ihm auf und spricht: „Lieber Vater, hast du mich lieb? Kannst du deinem Kinde verzeihen?“ Und wenn es dann den Kuss der Liebe und Vergebung empfangen hat, dann kanns hingehen und es wird in jedem Bissen, den es zum Munde führt, und in jedem Kleidchen, das es trägt, das gewisse Zeichen der unveränderlichen Liebe seines Vaters erblicken Beweise sind gut, wenn sie nachfolgen; drängen sie sich aber in den Vordergrund, so sind sie vom Übel und Widerchristen. Was auch immer solche Zeugnisse beweisen mögen; wenn ich nur an das teure Blut glaube, so zeugt im Buche Gottes keine einzige Sünde gegen mich, sie sind alle ausgetilgt, und freudig und unerschrocken.

„So wie ich bin und ohne Grund,
Als dass sein Blut mich macht gesund,
Und Er mich ruft,“

komme ich zu Ihm, komme vertrauensvoll zu Ihm, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl und zu einer Versöhnung für unsere Sünde. Freunde, vielleicht wird euch überraschen, was ich jetzt zu sagen habe; es gibt nämlich noch einen anderen Fehler, in den wir zuweilen fallen, nämlich den, dass wir auf die Verheißung Christi sehen, statt auf Ihn selbst, als den Gnadenstuhl für unsere Sünden. Unser Schriftwort weiß nichts davon, dass Gott Verheißungen uns vorgestellt hat. Es ist wahr, Er hat uns außerordentlich große und köstliche Verheißungen gegeben, und sie sind wahrhaftig in Christo. Aber wir irren oft darin, dass wir uns an die Verheißungen halten, statt an den Herrn Jesum. Ich kenne viele Christen, welche in Anfechtungen zum Wort Gottes ihre Zuflucht nehmen, um darin eine Verheißung zu finden. Das ist gut und sehr löblich, wenn, merke wohl, etwas anderes vorausgeht. Wenn sie zuerst zu Christo kommen, dann dürfen sie nachher sich getrost an die Verheißungen halten. „Ja,“ spricht einer „,aber gesetzt, eine Verheißung passe gerade auf meine Verhältnisse?“ Wohl, so kannst du Trost daraus schöpfen; aber wenn sie nicht passt, wie dann? Sie ist ja ebenso wahr, ob sie für dich passt oder nicht. Auf eine passende Verheißung bin ich nicht angewiesen; meine Aufgabe ists, Christum zu ergreifen, welchen Gott der Vater mir zu einer Versöhnung für meine Sünden vor die Augen gestellt hat, und wenn ich beim Durchforschen der Schrift mir keine einzige Verheißung aneignen darf, wenn ich auch nicht einen einzigen Becher voll köstlichen Trostweins finde, wenn ich auch keine einzige Traube von Eskol (4 Mose 13, 24) schneiden kann, so hat doch der himmlische Vater Christum vorgestellt, wenn auch sonst gar nichts anderes, und ich hebe meine Augen auf zu Christo, und zu Ihm allein. - Ein Mensch hat ein großes Verlangen nach dem Besitz eines Landguts, während sein Herz zugleich von der Schönheit einer liebenswürdigen Erbin gerührt wird. Er verschafft sich die Urkunden über alle Rechte an ihrer Besitzung. Wohl, die Urkunden sind gut, aber damit gehört ihm das Gut noch nicht, wenn er schon jene Rechtsbriefe besitzt. Nach einiger Zeit erhält er die Hand der Erbin, und nun gehört alles sein eigen. So ists mit dem Herrn Jesus; Verheißungen sind die Rechtsbriefe seiner Güter. Ein Mensch kann diese Verheißungen sich aneignen, und doch Christum nicht erlangen, und dann hätten sie für ihn eben so wenig Wert, als die Rechts- und Besitzurkunden eines fremden Besitztums für mich, wenn ich nicht auch rechtmäßiger Eigentümer desselben bin; aber wenn meine Seele vermählt ist mit Christo, dann bin ich durch Ihn und mit Ihm ein Erbe aller seiner Güter. Sieh nun, lieber Christ, mit welchem Recht du sagen darfst: „Diese Verheißung gehört nicht mir zu, weil sie nicht für mich passt?“ Dein Recht an die Verheißung liegt nicht darin, dass sie auf dich passt, noch in deiner Kraft, sie dir anzueignen. Eine jede Verheißung in der Bibel gehört einem jeden Menschen zu, der in Christo Jesu ist, und gehört ihm den einen Tag ebensogut zu, wie den anderen, weil Christus ihm jederzeit angehört, Christus, derselbe in Ewigkeit. Ach! ich weiß nicht, ob ich dies gerade so ausdrücken kann, wie ichs meine; aber das meine ich, dass mich der Teufel oft damit versucht hat: „Seit Monaten ist keine Verheißung an dir in Erfüllung gegangen; du bist kein Kind Gottes; es quillt dir aus dieser und jener herrlichen Stelle gar kein solcher Trost, wie anderen.“ Aber ich fertige den Satan so ab: Gott hat nirgends gesagt, dass Er die Verheißung zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben vorgestellt hat, und wenn auch keine Verheißung auf mich passt, so ist die Verheißung darum nicht weniger mein eigen, und im Glauben halte ich mich daran fest, dir zum Trotz, und du kannst mir sie nicht rauben, wenn meine Seele Christum ergriffen hat. - Ach, dass wir doch mehr nach Christo verlangten und weniger nach anderen Dingen; dass wir näher bei Ihm lebten, uns gewisser auf sein Blut verließen, Ihn einfältiger annähmen als Den, der uns alles in allem ist.

Wir sind mit diesem zweiten Gegenstand noch nicht zu Ende, und es bieten sich uns noch mehr Gesichtspunkte dar. Gott hat Christum vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, und wir sollten Christum als allgenugsamen Gnadenstuhl und Versöhner annehmen. Ich glaube heute an Christum. Wenn aber irgend eine Sünde mir auf dem Gewissen lastet und ich darüber verzagt und niedergeschlagen bin, sollte mich das nicht sogleich überzeugen, dass ich Christum nicht als eine allgenugsame Versöhnung ergriffen habe? Sei meine Sünde groß oder gering, sei sie frisch oder alt, so bleibts die gleiche Sünde, und sie ist, Gott sei Dank dafür, völlig versöhnt durch Christum, den Gnadenstuhl. Wir sollten Christum ergreifen als den Tod aller und jeder Sünde, denn Er hat die große Schuld ebensogut ausgetilgt und hinweggetan, wie die geringe, die zehntausend Pfunde so gut wie die hundert Groschen. Wir haben noch nicht die rechte Vorstellung von Christo, bis wir gewiss sind, dass jede Sünde in Gedanken, Worten oder Werken, deren sich der Gläubige je schuldig gemacht hat, ihren Tod, ihre Austilgung, ihre gänzliche Vernichtung findet, in dem Gnadenstuhl, welchen Gott vorgestellt hat.

„Ich habe Ruh' und Heil gefunden
In meines Jesu Todeswunden;
Los von der Sünde wandl' ich frei;
Des Heilands Blut macht alles neu;“

so sollten wir singen können aus voller Brust. Aber wenn wir auch dahin gelangt sind, so muss noch ein zweites dazu kommen. Gott hat Christum vorgestellt nicht nur zu einem allgenugsamen, sondern auch zu einem unwandelbaren Gnadenstuhl für die Sünde. Christus ist meiner Seele Gnadenstuhl ebensogut dann, wenn mein Herz in Sünde gefallen ist, wie wenn ich der Versuchung fest widerstanden habe; wenn ich nur glaube. „Das ist eine kühne Rede,“ sprichst du „,dann ists ganz ans mit der Zucht des Gesetzes.“ Ich kanns nicht helfen; es ist nun einmal so - es bleibt dabei, dass die Versöhnung Christi nie größer und nie geringer ist. Größer kann sie nicht sein, denn sie ist völlig und vollkommen; geringer kann sie auch nicht sein, denn sie ist dieselbe gestern und heute und in alle Ewigkeit. Der mit seinem Blut abgewaschene Mensch ist ganz rein; seine Zweifel und Ängsten haben diese Reinheit nicht verletzt; dass er gestern nicht zu beten imstande war, dass er vor acht Tagen verzweifeln wollte, dass vor vier Wochen sein Glaube nur noch an einem Faden hing, das alles tut der Vollkommenheit der Gerechtigkeit Jesu nicht den geringsten Abbruch, verkümmert nicht im mindesten die völlige Vergebung seiner Sünde durch das teure Blut. Ich glaube und ergreife und genieße mit voller Freude diese köstliche Wahrheit, dass, wenn wir einmal gläubig geworden sind, unsere Gotteskindschaft ebensowenig mehr von unseren Gefühlen und von unserem Benehmen abhängt, als die Sonne in ihrem reinen Glanze von den Wolken und Schatten hienieden. Die Gerechtigkeit und Versöhnung Christi in seinem Blut bleibt unwandelbar, unverändert in all ihrer Herrlichkeit, ungetrübt die nämliche, in gleich herrlicher Pracht, in gleicher Fülle der Majestät; und wir, die wir in Ihm vor Gott stehen, und nicht im eigenen Namen, sind ewig vollendet in Ihm, auf ewig angenehm gemacht in dem Geliebten: nichts mehr und nichts weniger. „Das ist starke Speise,“ spricht einer. Und wenn auch; nichts Geringeres vermag den geprüften Christen in solchen Stunden aufrecht zu erhalten, wo die Flutwellen der Sünde über seinem Haupt zusammenschlagen. Ist jemand imstande, die Lehre von der wirklichen Stellvertretung Christi und von der täglichen Rechtfertigung seines Volkes in Ihm zu missbrauchen, ist jemand fähig, diese Wahrheit leichtfertig zu missachten, des Verdammnis ist ganz recht; er hat keinen Teil noch Erbe in dieser Sache. Aber das weiß ich, dass ich mich nicht darf zurückschrecken lassen vom seligen Trost einer Lehre, weil irgend ein gottloser Bösewicht seine Seele geflissentlich damit zu Grunde richtet. Die herrliche Wahrheit steht immer noch unerschüttert; und nichts Geringeres gehört zur völligen Herrlichkeit der Versöhnung Christi als das: dass, wenn Er einmal sein Blut vergossen hat, und wenn wir einmal mit diesem Blut besprengt sind, wir durch dieses Blut, und einzig und allein durch dieses Blut völlig rein dastehen, und einen Tag so rein sind wie den anderen; vollkommen, vollendet, angenehm gemacht, unverletzlich und wohlbewahrt in Christo Jesu unserem Herrn. „Gott hat Ihn vorgestellt zu einem Gnadenstuhl für unsere Sünde.“ Meine Seele nimmt Ihn heute ebenso an, wie gestern, und weiß, dass die Sünde auf ewig getilgt ist.

III.

Nun kommen wir zum dritten und letzten Punkt unserer Betrachtung. Kehrt den Gedanken um. Wir haben gesagt, Gott stellt Christum vor, und wir schauen Ihn an. So sollen und dürfen wir dagegen auch Christum voran stellen, so wird Gott Ihn ansehen.

Der Prediger, der heute vor euch steht, weiß, wie all sein Predigen fruchtlos und umsonst ist, wenn Gott nicht solches Amt in Gnaden ansieht. Wie können wir uns des göttlichen Gnadenblicks versichern? Wie können wir uns seiner Gegenwart vergewissern? Wenn Christus als Gnadenstuhl vorgestellt wird. Dann sieht Gott diesen vorgestellten Christus an und segnet und ehrt das verkündigte Wort. Teure Brüder, ich könnte die rechte und reine Lehre verkündigen, und doch hätte Gott keinen Gefallen daran, wenn nicht Christus, nicht bloß dem Inhalte nach, sondern dem demütigen, gläubigen Verlangen nach, verkündigt würde. Es gibt Gemeinden, wo in zehn bis zwölf Jahren keine einzige bekehrte Seele hinzugetan wird zur Gemeinschaft der Gläubigen. Der Grund ist leicht einzusehen: Christus wird eben nicht vorgestellt als Stern und Kern der Lehre, sondern vielleicht christliche Tugenden. In poetisch ausgeschmückten Reden, in zierlicher, beredter Sprache wird alles andere eindringlich verkündigt - nur Christus nicht. Gebt Christum auf und predigt sogenannte christliche Philosophie, so bedarfs keiner Orgel und keines gewandten Redners, um die Leute neugierig zu machen, die draußen stehen; aber die heilsbegierigen Seelen treibt ihr damit aus dem Gotteshause hinaus, denn solches brauchen sie nicht; da kommen sie nicht. Es ist nun einmal so. Jene saft- und kraftlosen Lehren können sich nie Geltung und Ansehen verschaffen, weil niemand darauf hört; sie haben keine Anziehungskraft; sie sehen aus, wie wenn ihnen alles zufallen sollte; aber niemand kann sie in sich aufnehmen. Das Geheimnis ruht eben darin, dass Gott keines Menschen Predigt und Dienst ansieht, es sei denn, dieser Mensch stelle voran, was Gott voranstellt, nämlich Jesum Christum, als den Gnadenstuhl und Sühndeckel für unsere Sünden. Es ist gar keine Frage: wenn Christus zum Gnadenstuhl vorgestellt wird, so werden Seelen bekehrt.

Manche liebe Brüder berufen sich auf das Wort des Apostels Paulus: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben“ (1 Kor. 3,6), und legen ein großes Gewicht auf das aber und entstellen damit das Wort ein wenig. „Denn es heißt: Paulus hat gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott hat das Gedeihen gegeben.“ Es ist alles miteinander verbunden. „Wir sind Gottes Mitarbeiter“ (1 Kor. 3,9). Paulus pflanzt nicht vergeblich, Apollos begießt nicht umsonst; Gott gibt das Gedeihen und fehlt seiner Absicht nicht. Wenn daher keine Seelen bekehrt werden, so hats allerdings ein Häklein, und da kanns freilich an Gottes Gedeihen nicht liegen, sondern dann fehlts eben an der Predigt - da wird Christus entweder gar nicht gepredigt, oder nicht in der rechten Weise, herzlos, ohne allen Eifer, ohne alles Gefühl. Wenn Christus nur ernstlich gepredigt wird - und fehlte es auch an aller Beredsamkeit, wäre die Gabe der Darstellung noch so mangelhaft; wenn nur Christus vorangestellt wird, so bleibt auch der Heilige Geist nicht aus, und das Wort wird und muss im Segen wirken. „Mein Wort soll nicht wieder leer zu mir kehren, sondern tun, das mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich es sende“ (Jes. 55,11).

Und wie der Prediger in seinem Amt Christum voranstellen muss, wenn ihm Gott soll seinen Beifall schenken, so müsst auch ihr, teure Brüder und Schwestern, in eurer Fürbitte für die Seelen der Menschen Christum vorstellen zu einem Gnadenstuhl. Welch eine Gottlosigkeit umgibt uns auf allen Seiten. Zehntausende um uns her wissen nichts von Gott. Wir wohnen unter einem großen Volk; was sollen wir tun, wenn wir im Gebet auf unsren Knien liegen? Ich gestehe, ich habe mich oft äußerst unfähig gefühlt, meine Wünsche im Gebet für alle diese Unwissenden vor Gott zu bringen. Wenn ihr einen Blick werfen könntet in ihre Sünde, ihr Verderben, ihre Lasterhöhlen, die weit ausgebreiteten Netze ihrer Satanslehre, womit sie andere verführen, ihre Heere von Männern und Weibern, die sichs zur Lebensaufgabe gemacht haben, die Einfältigen zu berücken und irre zu leiten, dann könntet ihr nur mit Tränen und Seufzen für sie flehen. O! so schrecklich schwer ist diese Last, die wir vor Gott zu bringen haben! Ein eigentümlicher, aber teurer Mann Gottes, der viele Jahre lang treu auf seinem Posten als Straßenprediger in Edinburgh ausharrte und deshalb verhöhnt und verlacht wurde, pflegte im Winter des Abends eine kleine Laterne auf eine Stange zu stecken und stellte sich damit an eine Straßenecke, um den Vorübergehenden mit großer Eindringlichkeit zu predigen. Aber nichts glich seinen Gebeten in der Einsamkeit. Ein Herr erzählte mir, er hätte eines Abends diesen lieben Robert Flockhart, der sehr arm war, besuchen wollen. Die Flurlampe war schon ausgelöscht, und er musste im Finstern drei Treppen hinauf tappen, bis er zuletzt an Roberts Zimmer kam; er öffnete leise die Tür und konnte zwar den lieben Alten nicht sehen, aber er hörte ihn sagen: „O Herr, vergiss doch Edinburgh nicht, o Herr, vergiss doch Edinburgh nicht, wende Dich nicht ab von Deinem alten Robert; o, vergiss der großen Stadt nicht, o Herr; Dein Knecht lässt Dir keine Ruhe mehr, o Herr, bis Du Deinen Geist ausgießt über Edinburgh.“ Mein Freund blieb ruhig, und der Alte blieb allein mit seinem Gott; mein Freund hatte noch nie solches Seufzen und Schreien gehört; es war ihm fast, als hörte er die Tropfen seiner Tränen zu Boden fallen, während er zu Gott flehte, Er wolle Edinburgh segnen und seinen Geist über diese Stadt ausgießen. Er machte ein kleines Geräusch, worauf der Alte sprach: „Es scheint, es ist jemand hier.“ Er zündete ein Licht an, und da zeigte sichs, dass er ein Kissen von seinem Bett genommen hatte, um darauf zu knien und sich dabei auf einen alten Lehnstuhl zu stützen, welcher außer dem Bette das einzige Zimmergerät war. Er wollte erst eine Stunde lang für Edinburgh beten und dann hinausgehen, um wieder trotz alles Spottens und Lachens zu predigen. So muss man für seine Mitmenschen fühlen, so für sie beten, bis die Knie müde geworden sind, und rufen: „O Herr, vergiss Deiner Elenden nicht; wende Dein Angesicht nicht von ihnen ab, sondern offenbare Deinen heiligen Arm (Jes. 52, 10) an dieser großen Schar.“ Aber wie können wir unsrem Gebet bei Gott Nachdruck verschaffen? Teure Brüder, wir müssen Christum im Gebet voranstellen, so wird Gott unser Flehen in Gnaden ansehen. Der Ruf, der einst in einer Gebetsversammlung gehört wurde, als ein schüchterner Bruder mitten in seinen Worten stecken blieb, und aus der entlegensten Ecke ein anderer ihm zurief: „Bitte durchs Blut, Bruder, bitte durchs Blut,“ - jener alte Ruf hat Kraft und Saft in sich: „Bitte durchs Blut,“ Gott kann nicht, kann nicht, Er kann nicht dem Schrei des Blutes Christi, das da Besseres redet denn Abels (Hebr. 12, 24) zuwider sein. Abels Blut schrie um Rache und erhielt sie; Christi Blut schreit um Barmherzigkeit und erlangt sie auch und muss sie erlangen; unser Gott kann nicht taub sein gegen den Schrei des Blutes seines Sohnes; und wenn ihr und ich und wir alle miteinander für die unermessliche Schar unserer elenden Nächsten rufen können durch das teure Blut Jesu Christi, so muss eine Erweckung über sie kommen, und sie wird und soll kommen, und dann werden die Zeiten sich ändern. Gottes heiliger Arm wird offenbar werden „,und alles Fleisch miteinander wird sehen, dass des Herrn Mund redet“ (Jes. 40, 5).

Noch einmal, und jetzt mit herzlichem Ernst und inniger Liebe wende ich mich an jeden einzelnen unter euch. Seele, bist du heute deiner Selbstsucht müde und verlangst du, selig zu werden? verdammen dich deine Sünden? klagen deine Begierden dich an? straft dich dein Gewissen? hast du dich mit Gebet und Flehen zu Gott gewandt? hast du Gnade gesucht und keine Gnade gefunden? hast du Gottes Wort nach einer Verheißung durchsucht und hat keine Verheißung ihren Honigtau auf dich triefen lassen? So komm, ich bitte dich, und gehorche dem Worte Gottes, das ich vor deinen Ohren rede; komm und nimm Christum und zeige Gott das Blut Christi, so muss und wird Er dir gnädig lächeln. Kannst du die Verheißung nicht ergreifen, so ergreife das Blut; kannst du mit keiner guten Empfindung vor Gott treten, so bringe Christum herzu. „Darf ich mich auf Christum verlassen?“ spricht einer. Darf! wie du nur so fragen magst? Es ist dir ja befohlen. Wer nicht glaubt, macht Gott zu einem Lügner, weil er nicht glaubt. Wer glaubt, hat Gottes Treue zum Siegel. Sünder, Gott genügt es an Christo. Christus hat Gott genügt und sollte dir nicht genügen? Der ewige Richter hat Jesum angenommen, und du willst Ihn zurückweisen? Der Herr hat die Tür aufgetan und steht dabei; ist das Tor gut genug für den König, und für dich, den Empörer, sollte es nicht gut genug sein? „Aber“. Weg mit deinem „Aber“. Du möchtest noch ein übriges tun, um Christi Verdienst und Opfer zu ergänzen; sollte Er genug sein, Gott zu versöhnen und nicht genug zur Versöhnung für dich? „Aber“ und abermals „aber“. So hält denn Gott das teure Blut für ein genügendes Lösegeld, du aber nicht? O du Tor und trägen Herzens, wie darfst du dich unterstehen, zu meinen, Gott habe keinen genügenden Gnadenstuhl vorgestellt, sondern du müssest erst noch daran flicken. O, lasst doch das, ich bitte euch an Christi Statt, und glaubt an Jesum Christum so, wie ihr seid. Wer ihr auch sein mögt, wie auch euer vergangenes Leben beschaffen war, und was ihr auch jetzt empfindet: vertraut eure Seelen nur Christo, so bezeugt Gott, dass eure Sünden hinweggenommen sind. Heftet eure Seele, gerade wie sie ist, und sei sie noch so schwarz und sei sie noch so verderbt, heftet eure Seele an jenen Gnadenstuhl, welchen Gott vorgestellt hat, so habt ihr sie an den rechten Ort gebracht, wo Gott euch sie hinbringen hieß, und ihre Seligkeit hängt dann nicht mehr von euch ab, noch bleibt sie dem Zufall überlassen; ihr habt eure Seligkeit in des Heilands Hand gelegt, seine Sorge ists, euch selig zu machen, und Er tut es auch.

„Ich weiß, wie sicher Er bewacht,
Wie gut Er schützt durch seine Macht
Was ich in seine Hand gelegt
Bis dass die rechte Stunde schlägt.“

Ich weiß nicht, woran es liegt; aber diese Wahrheit ist am schwersten klar zu machen. Sie scheint so einfach, und doch wolle n viele zweifeln und grübeln. „Was, keine guten Werke, keine Gefühle?“ heißts da. - Alles das sind Früchte der Gnade, aber die Seligkeit hängt nicht davon ab. Die Seligkeit ist allein in Christo, in Christo allein, und im gleichen Augenblick, wo einer von euch rückhaltslos auf Ihn vertraut, und glaubt, dass Er euer einziger und alleiniger Heiland ist, habt ihr das göttliche Heil ergriffen und Gott hat euch angenommen.. Es ist unmöglich, dass der Herr jemand unter der Sonne, der an Christum glaubt, und Ihn zu seinem höchsten Gut und Schatz erwählt, von sich weisen könne, Er müsste denn sich selbst verändern, seine Ehre schänden, seinen Sinn verleugnen, sein Wort zum Gespötte und die Versöhnung Christi zu einem Betrug machen. Vielleicht hat schon mancher unter euch seit Jahren das Evangelium vernommen und ist bis zur Stunde noch unbekehrt geblieben. Aber wenn ihr auch nichts vernommen hättet, als diese heutige Predigt, so wäre ich unschuldig an eurem Blut; denn Gott weiß, dass ich den Heilsplan Gottes nicht einfacher und deutlicher darlegen kann, als ichs getan habe. „Gott hat Christum vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut.“

Ich beschwöre euch, schaut den blutenden Heiland an, Christum, der Blutstropfen schwitzt, den gegeißelten Christus, den gekreuzigten Christus, und wenn ihr an Christi Blut glauben könnt, so ist Er die Versöhnung für eure Sünden. Aber mehr als das vermag ich nicht; ich muss predigen, ich muss darbringen Gebet und Fürbitte. O, dass doch Gott der Heilige Geist euch wolle Gnade verleihen, zu empfangen, euch anzueignen und zu genießen diese herrliche Verkündigung von der freien Gnade. Eine andere Seligkeit gibt es nicht; ihr mögt eure Seele sich abmühen lassen bis zur Erschöpfung, und eure Füße müde und matt laufen, aber ihr werdet nirgends anders Ruhe finden als hier: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig.“ „So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und so man mit dem Munde bekennt, so wird man selig“ (Röm. 10, 10). „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mk. 16, 16). Was soll ich weiter sagen? Statt weiter in euch zu dringen, möchte ich lieber mit Gebet in Gott dringen, dass es doch viele von euch probieren möchten, ob sie der Herr Jesus nicht könne selig machen. O, verlasset euch auf Ihn, vertraut ganz auf Ihn, Er wird sich ebenso finden lassen wie sein Wort, und wird euch jetzt selig machen, ja, selig machen bis ans Ende. Amen.

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