Schrenk, Elias - Andachten über das Evangelium nach Lukas
Lukas 10,2.
Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber ist wenig; bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte.
Unser Heiland denkt doch ganz anders, als wir Menschen; alle seine Worte sind voll von der Liebe, die Niemand vergisst, Niemand übersieht. Als er obige Worte zu seinen 70 Jüngern sprach, hatte er seine 12 Jünger schon ausgesandt als Evangelisten, und nun kamen noch 70 weitere hinzu. Diese 82 Männer waren nach jetzigen Begriffen eine große Schar Arbeiter für das kleine Land, in dem der Herr sich zunächst bewegte. Dazu kamen noch alle die „ordentlichen“ Arbeiter der jüdischen Kirche, so dass gewiss manche der letzteren werden gesagt haben, man brauche die 82 Evangelisten des Herrn gar nicht, sie machen nur Unordnung, das Volk habe ja ohne sie reichlich Gelegenheit, das Wort Gottes zu hören. Und doch heißt der Herr seine 70 Jünger um weitere Arbeiter bitten. Warum? Seine Liebe war nicht zufrieden, wenn die Bänke der Synagogen am Sabbat besetzt waren; er wünschte, dass jede einzelne Seele seines Volkes nicht nur das Gesetz, sondern auch das Evangelium höre und deshalb wünschte er eine große Schar Arbeiter, vom Vater selber ausgerüstet und gesandt, die von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt und von Haus zu Haus gingen, um jeder einzelnen Seele die Botschaft vom Himmelreich zu bringen, in frischer, lebendiger, volkstümlicher Weise. Welch ein Vorbild für uns! Seien wir doch keine Pharisäer, die gleich meinen das Volk sei versorgt; sondern denken wir mit dem Heiland daran, wie viele Arbeit nötig ist, bis jede einzelne Seele das Evangelium hört. Bist du bei Jesu? Bittest du um Arbeiter und arbeitest auch du?
Herr! hier bin ich; brauche mich zu Deinem Dienst und erfülle viele Herzen mit Deiner Liebe zur Mitarbeit für Dich. Amen.
Lukas 10,20.
Freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind; freut euch aber, dass eure Namen in Himmel geschrieben sind.
Der Herr sandte seine 70 Jünger aus mit der Vollmacht, die Kranken zu heilen und das Reich Gottes zu verkündigen. Unter den Kranken, die sie heilten, waren ohne Zweifel auch besessene, von denen sie die bösen Geister austrieben. Ihre Arbeit hatte Erfolg, und so kamen sie mit Freuden zurück und meldeten dem Herrn, dass ihnen auch die Dämonen in seinem Namen untertan seien. An und für sich war diese Freude berechtigt und erlaubt; allein es war doch eine Gefahr für sie in derselben. Wie leicht konnte ihnen der Erfolg die Hauptsache sein, und wohl auch ein wenig in den Kopf steigen. Daran ist ja schon mancher Arbeiter im Reich Gottes zu Grund gegangen. Deshalb sagt ihnen der Herr: Darinnen freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind; freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind. Der Sinn seiner Worte ist: nicht eure Arbeit ist die Hauptsache; ihr seid die Hauptsache; nicht euer Tun ist das Wichtigste, sondern das, was eure Person ist, was Gott aus euch machen kann, wie ihr selber im Himmel taxiert1) werdet. Dieses Wort gilt einem jeden Christen. Man kann scheinbar große Taten tun und dabei ewig verloren gehen. Der Herr selber sagt in Matthäus 7,22.23: es werden viele zu mir sagen an jenem Tag: Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt? haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben? haben wir nicht in Deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: ich habe euch noch nie erkannt, weicht alle von mir, ihr Übeltäter. Sehen wir vor Allem darauf, dass wir bei unserem Wirken in der Demut bleiben; dass wir das tun, was der Herr uns aufträgt, und geben wir allein ihm die Ehre, wenn er uns Erfolg schenkt.
Ach Herr! wie arm sind wir doch! Wie leicht kommt Selbstgefälligkeit in das beste Tun hinein. Bewahre Du mich und erhalte mich bei aller Arbeit täglich im Wachen und Beten. Amen.
Schon gestern sind diese Worte des Herrn an seine siebzig Jünger berührt worden. Sie sind aber so wichtig, dass wir noch einmal darauf eingehen wollen. Etwa acht Mal ist im alten und neuen Testament in verschiedener Weise von Menschennamen die Rede, die im Himmel angeschrieben sind. Schon Mose glaubte nach 2. Mose 32,32, dass sein Name in Gottes Buch geschrieben sei. David redet in Psalm 69,29 ebenfalls von einem Buch der Lebendigen, was aber einen etwas anderen Sinn haben kann, als bei Mose. Auch Daniel in Kap. 12,1 kennt ein Buch Gottes für sein Volk, das errettet werden wird, Paulus nennt dieses Buch in Philipper 4,3 „das Buch des Lebens“. In Offenbg. 3,5 und 17,8 heißt das Buch ebenfalls das Buch des Lebens und in Offenbg. 13,8 und 21,27 wird es „Buch des Lebens des Lammes genannt, das geschlachtet ward“. Von den in diesem Buch eingeschriebenen Namen heißt es zwei Male in Offenbg. 13,8 und 17,8: geschrieben von Grundlegung der Welt an. Alle diese Stellen sind wichtig und beleuchten einander. Von Grundlegung der Welt an hat Gott zuvor erkannt, wer seinem Gnadenruf folgen und gerettet werden wird Röm. 8,29; und von Grundlegung der Welt, ehe nur ein Mensch geschaffen war, stehen die Namen aller Geretteten im oberen Heiligtum vor Gottes Angesicht. Alle die, deren Namen im Buche des Lebens des Lammes stehen, sind durch das Lamm Gottes aus dem Tod errettet worden und haben ihr Leben durch das Lamm empfangen. Willst du zur Gewissheit kommen und dich freuen, dass dein Name im Himmel angeschrieben sei, so musst du alle deine Sünden auf das Lamm Gottes legen und glauben, dass auch du in die durchgrabene Hand des Lammes gezeichnet bist. Alle mit Jesu dem Gekreuzigten im Glauben Verbundenen stehen im Buch des Lebens Des Lammes.
Lamm Gottes, für mich erwürgt! Anbetung und Dank sei Dir, dass durch Dein Blut auch mein Name droben geschrieben ist. Amen.
Lukas 10,21.
In der Stunde freute sich Jesus im Geist, und sprach: ich preise Dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, dass Du solches verborgen hast den Weisen und Klugen und hast es geoffenbart den Unmündigen. Ja, Vater, also war es wohlgefällig vor Dir.
Wenn wir in den Evangelien sehen, wie der ganze Gang Jesu in so vieler Beziehung ein Leidensgang war, so muss es uns als Jünger des Herrn ganz besonders erquicken, wenn wir lesen: „Jesus freute sich im Geist.“ Als er sich freute, ruhte sein Auge auf den siebzig Jüngern. Sie waren noch recht schwache Leute, und von Gelehrsamkeit war bei ihnen keine Rede. Allein sie verstanden Jesum doch schon so weit, dass er sie als Pioniere aussenden konnte. In seinem Namen richteten sie auch etwas aus. Die Tatsache nun, dass gerade so einfache, ungebildete Leute ihn verstanden, sich von ihm brauchen ließen und ihm nachfolgten, freute den Herrn, während es ihn tief betrübte, dass unter den Weisen und Klugen sich so Wenige zu seiner Jüngerschaft herbeiließen. Unmündige nennt er seine Jünger, und Unmündige müssen alle die werden, denen der Vater Christum soll offenbaren können. Das Eigentümliche bei Unmündigen ist ihre gänzliche Abhängigkeit von der Mutter. Diese Eigentümlichkeit muss das Merkmal aller derer werden, denen Christus in seiner Herrlichkeit soll offenbar werden. Sie müssen ihre selbständige Weisheit und Klugheit aufgeben; sie müssen es verlernen, mit ihrem Kopf das Göttliche ergründen zu wollen, und betend, sich ganz von Gottes Geist abhängig fühlend, zu Jesu Füßen sitzen, um von ihm zu lernen. Die Weisen und Klugen haben uns lange genug Christi Bild verfälscht, und es ist Zeit, dass wir uns im Ernst unter die Majestät der Worte Jesu beugen: den Unmündigen offenbart der Vater Christum, sie will er zu Zeugen machen.
Herr mein Gott! Ich will unmündig, ganz von Dir und Deinem Wort abhängig werden. Ich lege Dir alle eigene Weisheit zu Füßen. Verkläre durch Deinen Geist Christum in mir. Amen.
Lukas 10, 42.
Eins ist not. Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.
Der Heiland sagt: Eins ist not! Bei uns sündigen kurzsichtigen Menschen heißt es oft: Vielerlei ist not, und vor lauter Vielerlei kommt man nicht recht zu dem Einen. Wir sehen Manches vor uns, das getan werden sollte und lassen uns schieben von den Verhältnissen; Menschen kommen und treiben uns; unsere eigenen Begierden, vielleicht auch ungeheiligte Tatkraft ziehen uns in Vieles hinein. Dann steht man da; die Kräfte sind angespannt, vielleicht über Vermögen; die Zeit ist ausgefüllt, oder reicht nicht einmal für das Vielerlei, man muss sich am Schlaf abbrechen. So tut man sehr viel, vielleicht für das Reich Gottes, wie man meint. Aber siehe da, man ist innerlich so unbefriedigt und so herzleer, dass es nicht zum Aushalten ist. Armes Menschenkind! wo fehlt es dir? Hast du etwa nicht die rechte Geschäftsordnung? Was ist denn die rechte Geschäftsordnung? Gottes Ordnung. Was ist Gottes Ordnung? dass du zuerst für dein Herz, für deine Gemeinschaft mit Gott sorgst, ehe du an deine Arbeit gehst. O, wie viel wird in diesem Punkt gesündigt! Der Herr ist kein so arger Treiber, wie die Leute meinen; er jagt sie nicht so in allerlei Rennen hinein, dass sie keine Zeit mehr finden für Sammlung, für Gebet und Gottes Wort. Er nötigt sie nicht, den Leib zu ruinieren durch unsinnige Arbeit. Der Feind ist der Treiber; er will die Leute nicht zu sich selber kommen lassen. Martha, zu Jesu Füßen
Sei still! Nimm dir Zeit zu sitzen. Lebe und arbeite so, dass dir der Erwerb für die Ewigkeit die Hauptsache ist. Suche Jesum und sein Licht! Alles Andere hilft dir nicht.
Herr, vergib mir alles verkehrte Arbeiten! decke zu die Jahre in denen ich oft die Nacht zum Tag machte! Lehre mich leben nach Deiner Gottesordnung! Amen.
Lukas 12,48.
Denn welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und welchem viel befohlen ist, von dem wird man viel fordern.
Auch Leute, denen der Herr schon viel gegeben hat, können sich so stellen, als hätten sie nichts, oder wenig. Es kommt vor, dass der Herr ein solches Gefühl in uns aufsteigen lässt zur Vorbereitung für den Empfang neuer Gnade, wie wir ja immer wieder erfahren, dass neuen Segnungen Demütigungen vorausgehen. Es kann aber auch Zweifel, Unglaube und Undank sein, der uns erfahrene Gnade aus den Augen rückt, und das ist gefährlich. Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, ist ein wichtiges Wort. Wenn wir nicht mit Dankbarkeit anerkennen, was der Herr uns gegeben, wie soll er uns weiter geben? Sagt der Herr uns: welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen, so denkt er nicht nur an das, was der Einzelne und was die Gemeinde sich angeeignet hat, was persönlicher Besitz geworden ist, sondern auch an das, was uns im Evangelium angeboten ist, was wir also haben könnten, wenn wir so im Glauben und in der Liebe zum Herrn ständen, wie es sein sollte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass wir immer wieder zur apostolischen Gemeinde, zur ersten Kirche zurückgehen und fragen: hat sie nicht mehr Geist, mehr Glauben, mehr Liebe gehabt, als wir? Wir müssen unseren gegenwärtigen Zustand an den Verheißungen Gottes messen, und wir werden beständig finden, dass wir ärmer und schwächer sind, als der Herr uns haben möchte. Es ist also unsere Aufgabe und Vorrecht, dass wir das von uns unbesetzte, verheißene Land in Besitz nehmen im Glauben. Nur dann können wir dem nachkommen, was uns befohlen ist. Wie viel ist uns befohlen! In alle Welt sollen wir das Evangelium tragen; bis an das Ende der Erde sollen wir Jesu Zeugen sein und wie sieht es aus mit der Ausführung dieses Befehls? Groß ist unsere Verantwortung; denn Großes ist uns gegeben und befohlen.
Ach Herr! wie klein stehen wir da, solchen Worten gegenüber! Vergib alle Untreue, und führe Du uns in den vollen Besitz der uns angebotenen Gnade. Amen.
Lukas 14,33.
Ein Jeglicher unter euch, der nicht absagt Allen, das er hat, kann nicht mein Jünger sein.
Der Apostel Paulus sagt in 1. Korinth. 7,30: die da kaufen, sollen sein, als besäßen sie es nicht. Besitz ist also nicht unerlaubt; aber wir sollen nicht am Besitz hängen, der Besitz soll nicht über uns herrschen. Wir sind Verwalter dessen, was der Herr uns anvertraut hat und wenn der Herr es zurückzieht, so müssen wir innerlich damit einverstanden sein. Ähnlich meint es der Herr mit dem „Absagen“ in obigen Worten, die er für Alle redet, die seine Jünger sein wollen. Sie sollen absagen Allem, was sie haben. Wir können uns das in etwas klar machen, wenn wir Christen, die ihrem Ende entgegen gehen, beobachten: wie oft hören wir: der Herr macht mich von Allem los; er hat mich von Allem losgemacht, vom Mann, von den Kindern, von Hab und Gut, von Allem, so dass nur noch Jesus und das ewige Leben vor der Seele steht. Es versteht sich von selbst, dass wir zu unserer Familie und unserem Besitz in gesunden Tagen anders stehen dürfen und müssen, als beim Sterben. So lange wir unsere Aufgaben hienieden haben, stehen wir in anderer Beziehung zu unserer Umgebung, als in den Stunden, in welchen unsere Aufgaben in dieser Welt abgeschlossen sind. Trotzdem muss gesagt werden, dass wir Gesunde dennoch von den Sterbenden lernen können, innerlich los zu sein von Allem, was wir haben. Je mehr wir unser Leben in Christo finden, desto mehr muss Christus auch unserem irdischen Leben und Beruf das Gepräge geben. Alles, was wir hienieden haben, soll doch nur Mittel sein zur Übung für unseren himmlischen Beruf, und wenn wir unsere Stellung so verstehen, so dient alles, was wir haben, dem Reich Gottes.
Herr, ich weiß, ich habe nichts, das ich nicht empfangen habe; Alles ist Deine Gabe. So sei Dir denn alles übergeben; Du bist der Herr. Amen.
Lukas 16,10.
Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht.
Die kleinen Aufgaben sind oft die beschwerlichsten und erfordern viel Demut und Selbstverleugnung; sie sind aber meistens auch die ersten und nächsten Aufgaben, die Gott uns gegeben hat, und liegen selbstverständlich im engsten Lebensgebiet, in das wir von dem Herrn gestellt sind; das wird tausendfach verkannt und hat die verderblichsten Folgen. Verstehen wir nicht, dass unsere erste und wichtigste Aufgabe in der Familie liegt, in der Verwirklichung des Wortes: ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen, so ist all unser Tun verkehrt. Wir mögen dann schöne und große Dinge tun; allein sie können Gott nicht gefallen, weil wir das Nächste und Wichtigste nicht tun, was der Herr von uns verlangt. Das Familienleben ist in unseren Tagen durch allerlei gottwidrige Einflüsse zerrüttet, und darum wanken alle göttliche Ordnungen. Diese eine Tatsache beweist, dass der Mensch seine nächste Pflicht nicht tut, nicht treu ist im kleinen, engeren Kreis. Solche traurigen Verhältnisse rufen dann Andere in die Arbeit; sie sollen in den Riss treten, hier helfen, dort helfen. Das hat dann wieder zur Folge, dass Viele durch lauter „Reichsgottesarbeit“ in der größten Gefahr sind, in ihrem eigenen, vom Herrn ihnen gegebenen Kreis selber wieder untreu zu sein, das Fremde besorgen zu wollen und das Eigene zu vernachlässigen. So leben wir in einer völligen Verwirrung und die Sünden gegen obige Ermahnungen des Herrn schreien gen Himmel.
Herr, Du weißt, wie viele Gefahr auch ich habe, im Geringsten untreu zu sein. Nimm Dich meiner an und hilf mir erkennen, was Dein Wille sei, damit ich tue, was Dir wohlgefällt. Amen.
Lukas 22,15.
Mich hat herzlich verlangt, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide.
Fünfzehn Hundert Jahre lang aßen die gläubigen Israeliten das Passahlamm, zum Andenken an das Verschonen Gottes in jener Nacht, in der die Erstgeburt der Ägypter starb, und zur Erinnerung an den Auszug aus Ägyptenland. Es war eine heilige, vom Herrn verordnete Feier. Mochten die meisten Israeliten bei der Passahfeier nur rückwärts schauen und sich dankbar erinnern an das, was Jehovah an den Vätern in der Vergangenheit getan, so wissen wir Kinder des neuen Bundes, dass das Passahlamm auch eine weissagende Bedeutung auf Christum, als das Lamm Gottes hatte. In diesem Bewusstsein, dass er durch seinen Kreuzestod die Erfüllung des Passahlammes sei, sitzt der Heiland zum letzten Mal im Kreise seiner Jünger, um das letzte Passahlamm als Vorbild zu genießen. An jenem Abend wurde jene heilige, fünfzehnhundertjährige Feier abgeschlossen; was Israel heute noch davon hat ist nur ein Zeichen der Verblendung dem gegenüber, der das wahre Osterlamm ist. Es verlangte den Herrn herzlich nach jenem letzten Passahmahl. Noch einmal vor seinem Leiden wollte er seine Jünger die Fülle seiner heiligen Liebe recht genießen lassen. Nicht sein bevorstehendes Leiden und Sterben bewegte seine Seele am meisten an jenem feierlichen Abend, sondern die stille Freude seiner Liebe, das nun die Vorbereitungszeit des alten Bundes ein Ende habe, und durch sein Blutvergießen der neue Bund anbreche, der nicht mehr auf Israel beschränkt ist, sondern auf alle Völker sich ausdehnt. So stand an jenem Abend vor seinem priesterlichen Auge nicht nur die Erstgeburt seines Brudervolkes, die in Ägypten durch des Lammes Blut verschont wurde; er dachte nicht nur an Israel, das in jener denkwürdigen Nacht aus Ägypten auszog; sondern er sah bei seiner letzten Feier des Passahmahls jene unzählbare Schar, die ihre Kleider gewaschen und helle gemacht hat im Blut des Lammes Gottes. Er schaute in selbstvergessender Liebe hinaus auf die Zeit, da die durch sein Blut errettete Gemeinde das Ägypten der jetzigen Welt hinter sich haben, und auf dem Boden des himmlischen Kanaans ewig um ihn vereinigt sein werde.
Herr Jesu! Dank sei Dir für Deine Liebe. Mich verlangt herzlich nach der Zeit, in der Deine streitende Gemeinde triumphierend um Dich versammelt sein wird. Amen.
Lukas 22,27.
Ich aber bin unter euch, wie ein Diener.
Die Jünger des Herrn hatten Rangstreit unter einander; Jeder wollte der Größte sein. Das war ein Schmerz für unsern Heiland und so stellte er sich ihrer hochmütigen, selbstsüchtigen Art gegenüber, als Diener, als der von Herzen, Demütige. Besonders in der Fußwaschung zeigte er ihnen, wie sie in Demut einander dienen sollten. Auch die Welt kann „galant“ sein und dienen, sie hat es aber gern, wenn man es sieht und anerkennt, das heißt: sie sucht sich selber im Dienen. Wollen wir dienen lernen, wie der Heiland diente, so gehören drei Stücke dazu: Selbstverleugnung, Demut und Liebe. Es gibt manchen unangenehmen Dienst, den man ohne Selbstverleugnung gar nicht tun kann. Wie sehr galt dies vom Herrn selber! Wie musste er sich erniedrigen und sich selbst entäußern, um uns zu erlösen! Der Jünger ist nicht über seinen Meister; willst du Christo an deinen Brüdern dienen, so verleugne dich selbst. Tue es auch dann, die Welt vielleicht sagt, es sei unter deiner Würde, oder gar meint, du machst dich gemein. Nur die Sünde macht gemein, dienen macht nicht gemein, dienen ist Ehre. - Diene in Demut! danke, dass du dienen darfst, denn dienen ist Nachfolge Jesu. Trachte nicht nach Lohn und Anerkennung bei Menschen, sondern diene für deinen Meister und mit deinem Meister. Sein Wohlgefallen ist dein Lohn. - Diene in Liebe. Die Liebe macht das Dienen leicht, sie macht es zur Luft, sie gibt die nötige Kraft und Freudigkeit und erhebt über bloßen Frondienst.
Lieber Heiland! Du bist unser aller Diener geworden; habe Dank dafür! Lehre mich dienen, so lange Du mich hier unten brauchen willst, und nach dem Feierabend lass mich droben dienen, vor Deinem Angesicht. Amen.
Lukas 22,28.29.
Ihr aber seid es, die ihr beharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen. Und ich will euch das Reich bescheiden, wie mirs mein Vater beschieden hat.
Wenn wir die letzten Reden des Herrn unmittelbar vor seinem Leidens- und Todesgang betrachten, so atmen sie lauter Liebe zu seinen Jüngern. Das Gemüt des Herrn, wie er am letzten Abend vor uns steht, erscheint uns, wie ein stilles, klares Meer heiliger Liebe. Zart weist er die Jünger zurecht, wegen ihres Rangstreites, und unmittelbar nach dieser ihnen erteilten Zurechtweisung redet er obige Worte. Was unser Gemüt beim Betrachten dieser Worte so tief erfasst, ist das geheiligt Menschliche, das uns in denselben entgegen tritt. Innerlich willig und vorbereitet nach Gethsemane und Golgatha zu gehen, schaut der Heiland noch einmal zurück, auf alle Anfechtungen und Versuchungen, durch die er gehen musste, so lange die Jünger mit ihm wandelten. Wir haben keine Ahnung von den Tiefen, durch die Er sich durchzukämpfen hatte; wir fühlen es aber seinen Worten ab, dass es schwere Proben waren, durch die sein Glaube gehen musste. Da tat es ihm, dem Menschensohn wohl, auf seine, wenn auch noch so schwachen Jünger schauen, und ihnen in liebevoller Anerkennung sagen zu können: ihr habt beharrt bei mir in meinen Anfechtungen. Der Herr fühlte wie wir; Teilnahme und Treue tat ihm wohl. Darum weiß er, als der barmherzige Hohepriester, was wir brauchen in all unseren Nöten und Versuchungen, in denen er uns zur Seite steht. Er schenkt auch uns Menschen, die mit uns fühlen und mit uns tragen, und ständen wir je alleine, so hilft er uns durch mit seiner Treue, wie ihm der Vater in den Tagen seines Fleisches durchgeholfen hat, bis wir, wie er, überwunden haben werden. Ehe uns das Reich der Herrlichkeit beschieden wird, geht es bei uns, wie bei ihm, dem Anfänger und Vollender des Glaubens durch viele Glaubensproben; aber er hat das Reich eingenommen und wird nicht ruhen, bis der letzte Reichsgenosse seine Palme in der Hand, und die Überwinderkrone auf seinem Haupt haben wird.
Barmherziger Hoherpriester! Habe Dank, dass Du allenthalben versucht bist, wie wir, nur ohne Sünde. Gelobet seist Du, dass Du auch mir bisher durchgeholfen hast in meinen Anfechtungen. Bewahre mich auch ferner, bis ich Dein Reich ererbt haben werde. Amen.
Lukas 22,31.32.
Der Herr aber sprach: Simon, Simon, siehe, der Satanas hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.
Wie klar lässt uns der Heiland in obigen Worten in die uns umgebende unsichtbare Welt hinein schauen! Gar zu leicht vergessen wir, dass wir viel mehr von der unsichtbaren, als von der sichtbaren Welt abhängig sind. Diese Tatsache lernt der Glaube aus Gottes Wort und aus Gottes Führungen mit uns und richtet sich täglich danach ein mit Wachen und Beten. Petrus hatte keine Ahnung von der Gefahr, in der er stand. Der Feind, der umher geht, wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge, hatte ihn beobachtet und sein Selbstvertrauen gesehen; alle Schwachheiten der übrigen Jünger, ihr Hochmut und ihre Äußerlichkeit waren ihm wohlbekannt. Es verdross ihn, dass Jesu Auge so treu über ihnen wachte; denn er wollte sie verstören. Die kleine Schar künftiger Zeugen war ihm ein Dorn im Auge. Darum trat er als Verkläger vor Gott und hielt ihm Petri Selbstvertrauen, und der andern Jünger Schwachheit und Ehrgeiz vor. Er sagte: es ist nichts mit diesen Leuten; gib sie in meine Macht und Du wirst sehen, dass sie alle untreu sind. Wir dürfen heilsam erschrecken bei dem Wort: „Satanas hat euch herausverlangt, dass er euch möchte sichten, wie den Weizen,“ um zu beweisen, dass ihr zu leicht seid. Unsere Sünden geben dem Verkläger ein Recht, gegen uns aufzutreten; darum lasst uns vor Gott wandeln und nie vergessen, dass wir nur unter Gottes Schutz geborgen sind. Für alle aufrichtige Seelen ist es überaus tröstlich zu sehen, wie Jesu Auge wacht, wenn wir gar keine Gefahr sehen, und wie treu er bei dem Vater für uns eintritt, damit wir in unserer Schwachheit nicht erliegen. Seine fürbittenden, priesterlichen Arme trugen den Petrus über den Abgrund der Verleugnung hinüber und wenn du heute in der Gnade stehst, so hast du es derselben hohenpriesterlichen Treue Jesu zu verdanken, die dich gehalten und bewahrt hat. O, wie muss doch unsere Losung sein: „rein ab, und Christo an!“ damit wir auch am bösen Tage nicht zu Schanden werden. Die durchgebeteten Leute braucht der treue Hohepriester zum Stärken der schwachen Brüder. Wie beschämend und beugend ist seine Liebe.
Herr! Ich bin nicht wert aller Bewahrung, aller Stärkung, aller Fürbitte, die auch ich schon erfahren habe. Dir übergebe ich mich aufs Neue in Deine Bewahrung für meine ganze Lebenszeit. Amen.
Lukas 22, 58-63.
Da verleugnete Petrus abermals, hub an sich zu verfluchen und zu schwören und sprach: ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr sagt! Und alsbald krähte der Hahn zum andern Mal. Und der Herr wandte sich und sah Petrum an. Da gedachte Petrus an die Worte Jesu, da er zu ihm sagte: ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich drei Mal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.
Wenn wir das schöne Bekenntnis, das Petrus in Johannes 6,68.69 vor dem Herrn ablegte, vergleichen mit seiner Verleugnung, welcher Gegensatz! War jenes herrliche Bekenntnis nicht aufrichtig? Ja, es war aufrichtig. Und es war ebenfalls aufrichtig, wenn Petrus unmittelbar vor dem Gang nach Gethsemane erklärte: ich bin bereit mit Dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er liebte den Herrn; er hatte den guten Willen, Alles für den Herrn zu tun; aber er überschätzte sein Vermögen. Der Herr belehrte ihn über seine Schwachheit; allein er ließ es sich nicht sagen, und so blieb nur der schwere Weg für seine Kur, er musste fallen. Der Fall war tief; er fluchte und schwur, als er den Herrn das dritte Mal verleugnete, so dass die Art des Falles es bewies: Petrus war im Sieb des Satans. Ach, wie viele Brüder und Schwestern hat der Petrus, die den Heiland verleugnen! Ich rede nicht von denen, die dem Herrn den Rücken kehren, sondern von den Gläubigen, die wie der Petrus, den Herrn nicht verlassen wollen. Stehen denn nicht viele Gläubige unserer Tage so, dass sie viel guten Willen, aber wenig Kraft haben? Sie wissen bei diesem und jenem, dass es durchaus nicht zu Jesu Jüngerschaft taugt; aber immer wieder geschieht es; sie haben keine Kraft zum Überwinden, und verleugnen Jesu Jüngerschaft mit ihren Sünden, in denen sie gefangen bleiben. Der Heiland schaut sie auch an, mit demselben Erbarmen wie Petrus. Er, der vor dem hohen Rat noch Zeit hatte, beim zweiten Hahnenschrei an Petrus zu denken, hat auch für sie Zeit und es gibt, wenn auch nicht bitterliches Weinen, so doch tiefe Scham und man verwünscht die Sünde, wenn der Heiland Einen angeschaut hat; aber es kommt zu keinem vollen Bruch mit der Vergangenheit, man bleibt gebunden. Warum? Dem weinenden Petrus erschien der Auferstandene, und nachher feierte er Pfingsten und stand in Christi Kraft da, so dass zum früheren Wollen auch das Können kam. Da fehlt es jetzt. Man nimmt sich nicht Zeit zum Kraftanziehen aus dem auferstandenen und erhöhten Heiland, und so wird Fallen und Aufstehen zur Gewohnheit und weil es bei vielen so ist, so kommt die Meinung auf, es dürfe so sein.
Herr erbarme Dich unser und schaffe Dir ein Volk, das fest steht in Deiner Kraft und Deinen Namen nicht verleugnet. Offenbare Dich Deiner Gemeinde als den Auferstandenen. Amen.
Lukas 23,9.
Und er fragte ihn mancherlei; er antwortete ihm aber nichts.
Unser Heiland steht vor dem Vierfürsten Herodes. Dieser hatte schon viel von ihm gehört, hatte doch der Herr sehr viel gewirkt in seinem Regierungsbezirk Galiläa. Dieser ehebrecherische Mann hatte zu einer gewissen Zeit Angst vor Jesu, indem er meinte, der Herr sei der auferstandene Johannes der Täufer Mark. 6,14. Er muss auch durch das, was er von Jesu gehört hatte, Gewissensregungen gehabt haben, denn er hatte nach Lukas 13,31 Mordgedanken gegen den Herrn, die nur aus bösem Gewissen kommen konnten. Insofern könnte man sich wundern, zu lesen: Herodes ward sehr froh, da er Jesum sah, denn er hätte ihn längst gerne gesehen. Es ist aber nicht zu verwundern: solche leichtfertige Leute vergessen Gewissensbewegungen bald wieder, und jetzt brauchte er ohnedies keine Angst vor dem Herrn zu haben, da er ihm als Gefangener vorgeführt wurde, so dass er in seiner Hand war. Der Heiland kannte diesen leichtfertigen Mann, den er selber in Lukas 13,32 Fuchs genannt hatte. Er wusste, dass Herodes jedes tiefere Verständnis von seiner Person und seinem Wirken abging, da er, als Mörder des Johannes, seine Wahrheit suchte. Dagegen hätte er doch gerne ein Zeichen vom Herrn gesehen, aus Neugierde, zu seiner Unterhaltung. Soweit haben leichtfertige Menschen am Ende Interesse für sogenannte religiöse Persönlichkeiten, als Letztere sich zum Zeitvertreib herbeilassen. Dazu gab sich der Heiland nicht her. Er erscheint diesem Fürsten gegenüber in seiner ganzen Würde: er fürchtet ihn nicht, buhlt nicht um seine Gunst und sein Mitleiden, und würdigt ihn keiner Antwort. Wie vor Pilatus, so steht er auch vor Herodes als König. Das war kein Trotz, kein Hochmut, keine Angst und Verlegenheit, sondern der Ausdruck seiner heiligen Persönlichkeit einem gottlosen Menschen gegenüber. Herodes bekam also keine Spur von Befriedigung seiner Neugierde, und dieses beredte Schweigen des Heilandes verstand er nicht; deshalb entließ er den Herrn mit Spott und Verachtung. Das ertrug der Heiland gerne. Wir müssen es uns gefallen lassen, wenn uns die Gottlosen verachten; wir müssen darauf verzichten, bei ihnen etwas zu gelten. Lernen wir Schweigen vom Herrn, wo es am Platz ist, und freimütiges Zeugen, wo des Herrn Ehre es erfordert.
Dir sei Dank! Herr Jesu, dass Du willig den Spott und die Verachtung für mich ertragen hast. Hilf mir, Dir nachzufolgen auch durch die Schmach. Amen.
Lukas 23,28.
Weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder.
Welch wunderbares Gewirre von Menschen muss es gewesen sein, das den Heiland auf dem Wege nach Golgatha umgab! Da waren Feinde, die triumphierten, Neugierige, die sich erkundigten über die drei Verurteilten, und auch einige Weiber, die klagten und weinten. Unter den letzteren mögen auch welche gewesen sein, die vom Heiland Liebe erfahren hatten, sei es durch Heilung, sei es durch Belehrung oder durch eine Gabe. Sie weinen über ihren Verlust und über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit. Der Heiland sagt ihnen: weint nicht über mich, weint über euch und eure Kinder. Wenn wir den Heiland nach Golgatha begleiten und er, der heilige Kreuzträger unsere Herzen bewegt, so haben wir mehr zu beweinen, als Alle, die ihn damals begleiteten. Wir sehen mehr in ihm, als einen Wohltäter, oder einen ungerecht Verurteilten, wir sehen unsere Sünden in ihm und verstehen des Heilandes Wort: weint über euch selbst. Es ist meine Last, unter der er unterwegs zusammenbricht; es ist meine Ungerechtigkeit, die er trägt. Was er an mir getan, ist mehr als Heilung des Leibes, obschon ich ihm auch dafür zu danken habe, mehr als Speisung. Unter Allen, die ihn nach Golgatha begleiteten, war Niemand, der so viel Liebe von ihm erfahren hätte, als ich. Mir hat er meine Schuld bezahlt, seinen Frieden geschenkt, mich zu Gottes Kind gemacht, mich versiegelt mit seinem Geist, mir die Hoffnung auf ein ewiges Erbe erworben. Und wenn ich mit ihm gehe nach Golgatha, so rufen mir die Tränen der weinenden Frauen zu: dein Herz muss noch mehr zerfließen in Liebe zu deinem Heiland; du musst noch viel dankbarer werden; du hast ihn noch zu oft betrübt, nachdem du seine unendliche Liebe erfahren hattest. Und wenn ich Jesu Wort höre: weint über eure Kinder, und ich denke an meine Kinder und an mein Volk, und sehe so manches Herz ohne Liebe zum Heiland, so manches Auge, das noch nie über seine Sünde geweint hat, so treibt es mich zu der Bitte:
Ach Herr Jesu! Du saßt einst auf dem Ölberg und weintest über Jerusalem. Gib mir doch ein Herz, wie Dein Herz, und Augen, wie Deine Augen und nimm alles Unempfindliche weg von mir, um Deines Leidens und Sterbens willen. Amen.
Lukas 23,34.
Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.
Was hat denn der Herr gesehen von Gethsemane bis nach Golgatha? Er hat den Judas gesehen, wie er ihm seinen verräterischen Kuss gab, seine Feinde, wie sie ihn banden, den hohen Rat voll tödlichem Hasses und Heuchelei, den Pöbel mit seiner Rohheit, Pilatus mit seiner Ungerechtigkeit, Feigheit und Menschenfurcht, Herodes, den mit Blut befleckten Spötter, Petrus, der ihn verleugnete, die übrigen Jünger, wie sie flohen. Das Alles kam über ihn in wenigen Stunden. Und doch, schaue ihn an am Kreuz und höre seine Bitte: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Die Sünde, Schlechtigkeit, Untreue und der Hass der Menschen konnte ihn nicht erbittern; sein Herz ist noch ebenso voll Liebe, wie bei der Fußwaschung und dem Mahl am Abend vorher. Unter seinem Kreuz muss ich immer wieder knien; vor seiner Liebe, mit der er seine Feinde liebt, muss ich mich immer wieder beugen und anbeten, wenn ich daran denke, dass ich ihn an das Kreuz gebracht. Hatte denn Israel, das ihn verwarf, Entschuldigung? menschlich geredet, nein! Sein Erbarmen aber spricht: sie wissen nicht, was sie tun; darum vergib ihnen, Vater! O, wie tröstet mich dieses Wort, wenn ich bekennen muss: lange ging ich in der Irre, liebte meinen Jesum nicht. Ich weiß, Du, Herr Jesu! hast auch für mich gebeten; denn Du hast mich ja nicht aufgegeben; Du hast mich gesucht und gefunden. Und wenn ich bekennen muss, dass ich Dich sehr oft betrübt habe, nachdem ich so viel von Dir gehört und so manche Gnadenerweisungen erfahren hatte, so tröstet mich dennoch Deine Bitte, denn ich weiß, auch Petrus war in derselben eingeschlossen, und der Vater hat ihm vergeben. Ja, diese Liebe zu den Feinden im Herzen unseres gekreuzigten Heilandes soll alle Lieblosigkeit in unseren Herzen verzehren; sie will auch unsere Herzen füllen, damit wir unserer Umgebung gegenüber nicht gleich verzagen, sondern Pauli Regel lernen: die Liebe hofft Alles, sie duldet Alles, die Liebe hört nimmer auf, 1. Korinth. 13, 7. 8.
Du gekreuzigte Liebe! Ich kann Dir in Ewigkeit nicht genug danken, dass Du auch mich geliebt hast bis in den Tod. Hülle mich ein in Deine Liebe; erfülle mich mit Deiner heiligen Liebe, damit ich nicht müde werde, zu lieben und zu vergeben. Amen.
Lukas 23,46.
Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.
Wie lieblich klingt dieses letzte Wort des Heilandes am Kreuz! Vater, kann er nun wieder sagen in derselben herzlichen, innigen, vertrauensvollen Weise, wie er es vor seiner Gottverlassenheit immer getan. Wir haben in diesem Wort das Siegel des völligen Glaubenssieges über alle Versuchungen, durch die der Herr sich durchzukämpfen hatte. Sein Leben blieb ein Leben im Glauben bis zum letzten Atemzug; vom Vater war er immer abhängig im völligen Gehorsam und im Vertrauen; in demselben Vertrauen, in dem er beständig wandelte, will er bleiben auf dem Gang durch das Todestal und deshalb übergibt er seinen Geist in des Vaters Hände. Für seinen Leib ist er nicht bekümmert; er war in seinem ganzen Leben ein Werkzeug des heiligen Geistes gewesen, und von diesem Geist durchheiligt, und so weiß er, dass sein Pilgerkleid die Verwesung nicht sehen kann, sondern durch den Geist der Herrlichkeit auferweckt werden wird, wie er es seinen Jüngern vorausgesagt hatte. Für uns, die wir wissen, dass wir hier keine bleibende Stätte haben, ist es beherzigenswert, zu sehen, in welcher Glaubenseinfalt der Herr seinen Geist in die Hände des Vaters befiehlt: wir sehen ebenso wenig Ängstlichkeit, als Vorwitz über den Ort, an den er kommen möchte. Es genügt ihm vollkommen, seinen Geist in des Vaters Händen zu wissen; in seiner Macht, Liebe und Treue weiß er sich vollkommen geborgen, so dass der Feind ihn nicht antasten kann. So liegt in dem letzten Worte des Herrn am Kreuz seine letzte Glaubenstat, die gekrönt wurde durch seine Auferstehung. Nie wollen wir vergessen, dass Alles, was er getan, er für uns getan hat, als unser Stellvertreter, unser Haupt und Vorgänger, der für uns Weg gemacht hat. Stephanus beweist es uns mit derselben Glaubenseinfalt, die wir bei unserem sterbenden Heiland sehen, übergibt der erste Blutzeuge seinen Geist in Jesu Hand. Für Jesum hatte er gezeugt, sein Eigentum war er, und in seiner Hand will er bleiben. Wohl Allen, die im Glauben wissen, dass sie Jesu angehören, und sich ihm übergeben haben! Mit seliger Ruhe können sie ihrem Abschied entgegen sehen, denn er ändert in der Hauptsache nichts: leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn; darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Da brauchen wir auch nicht zu grübeln, wo wir hinkommen werden; es genügt uns, bei Jesu zu sein.
Herr! Wir können Dir nicht genug danken, dass Du dem Tode den Schrecken genommen hast und wir nun unser Haupt getrost hinlegen dürfen in kindlicher Gewissheit: selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Amen.