Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 1, 1-17. Anlass und Grundriss des Briefs.
Paulus hatte in Kleinasien und Griechenland eine Reihe von christlichen Gemeinden begründet und hoffte nun, Rom, die das ganze Reich beherrschende Weltstadt, besuchen zu können, um von dort aus nach Spanien vorzudringen. Und da er der christlichen Gemeinde in Rom noch nicht persönlich bekannt war, so setzte er sich während seines letzten Aufenthalts in Korinth brieflich mit ihr in 57 Verkehr. Er wollte den römischen Christen seinen Besuch vorher anzeigen und denselben vorbereiten, dadurch dass er ihnen schon jetzt persönlich nahe trat. Aus dieser Absicht des Apostels entstand der Römerbrief.
Deshalb hat Paulus gleich mit der Nennung seines Namens in gedrängter, inhaltsreicher Kürze eine Beschreibung seines apostolischen Werkes verbunden, Vers 1-6. Er ist ausgesondert zum Evangelium Gottes, welches er durch seine Propheten in der heiligen Schrift zuvor verheißen hat. Seine Lehre ist also nicht sein, sondern Gottes Botschaft an die Welt; auch ist dieselbe nicht erst jetzt geoffenbart, sondern von Gott schon durch die Propheten in der heiligen Schrift niedergelegt, dort freilich noch als Verheißung, während nunmehr die Erfüllung der alttestamentlichen Schrift von Gott bewirkt und gegeben ist und von Paulus verkündigt werden darf.
Das, was Gott schon vorher durch die Propheten und nun durch den Apostel der Welt sagen lässt, das ist das Wort vom Sohne Gottes. Ihn predigt Paulus, nichts anderes, nicht sich selbst; zu ihm führt der Apostel jeden hin, der auf ihn hören will. Er ist der einzige, aber unerschöpflich reiche und große Inhalt und Gegenstand seines Evangeliums, Jesus Christus, der Sohn Davids, wie er von Israel erwartet wurde und die Hoffnung der Väter war, aber mehr noch: der Auferstandene. Denn ob auch seine Abkunft aus Davids Geschlecht allerdings wesentlich zu seinem Berufe gehört und Erfüllung der Verheißung ist, so ist sie doch zu dem zu rechnen, was er nach dem Fleische ist. Sie gehört zu seiner irdischen Lebensgestalt, die ihn verhüllt und seine Abkunft von oben verbirgt. Sohn Davids ist er, weil er nicht in Gottes Gestalt unter uns trat, sondern in unsrer Gestalt und uns gleich geworden ist und sich zu uns herab erniedrigt hat. In seiner Auferstehung aber ist nun Geist an ihm wirksam und offenbar geworden, Geist der Heiligkeit, der die Lebens- und Herrlichkeitsfülle Gottes in sich trägt. Schon damals, als Jesus noch im Fleische war, bildete der Geist das innere Lebensband zwischen ihm und Gott, aber damals noch unter der Hülle des Fleisches, verborgen in seiner Schwachheit und Niedrigkeit; nun aber ist er durch den Geist erhoben über das, was an ihm dem Fleische angehört hat, und auch nach seiner äußeren Natur ins geistliche Wesen verklärt und erhöht. So steht er nun vor uns nicht nur als eines Menschen, sondern als Gottes Sohn, und ist kräftiglich in die Stellung, Macht und Herrlichkeit eingesetzt, die dem Sohne Gottes eigen sind.
Der Auferstandene hat ihn zu den Heiden gesandt, dass er sie zum Glauben leite. Denn der Glaube ist das Ende ihrer Gottlosigkeit, da sie im Glauben Gott gehorsam werden, dadurch dass sie sich vor dem Sohne Gottes beugen, Jesum als ihren Herrn erkennen und eben damit dem Willen Gottes von Herzen untertan werden. Solcher Glaube der Heiden ist Jesu Verherrlichung, seines Namens Ehre und Ruhm. Dies ergibt nun auch ein lebendiges Band zwischen Paulus und den römischen Christen, die ja auch zu den Heiden gehören, für die ihm Christus Gnade und Apostelamt verliehen hat, und auch schon Christo gehören in Kraft des göttlichen Rufs, durch welchen sie innerlich zu ihm hinzugeleitet worden sind, so dass sie das Wort des Apostels mit Freuden aufnehmen und an seiner Arbeit mit lebendigem Interesse teilnehmen werden, wie er selbst ihnen als den zu Christo berufenen gerne alle geistige Gabe darreicht, die er selbst empfangen hat.
Paulus war damals in der Christenheit bereits ein bekannter Mann geworden, und war es auch in Rom schon vor seinem Brief. Darum enthält derselbe keinerlei Angaben aus seiner Lebensgeschichte. „Paulus, ein Knecht Jesu, zum Apostel berufen“: wer das war, das wusste man in Rom, und er musste ihnen nicht erst erzählen, wie ihm Christus erschienen ist und ihn zu seinem Boten berufen hat, wie er nun schon seit Jahren Missionsarbeit trieb und Gemeinden gründete. Aber mit dem Ruf seiner besonderen Sendung, Begabung und Arbeit war auch der Anstoß weithin gedrungen, den man an ihm nahm, und die Bedenken und Besorgnisse, die er wider sich erregte. Als er kurze Zeit, nachdem er den Römerbrief geschrieben hat, in Jerusalem war und mit den dortigen Ältesten verkehrte, sagten sie ihm: Die gläubigen Juden - und es sind deren viele Tausende - sind alle über dich berichtet, dass du den Abfall lehrst von Mose und dem Gesetz, vgl. Ap. 21, 20 f. Das war sein Ruf, wie er sich überall ausgebreitet hatte, den ihm die Unbeschränktheit und Freiheit seines Glaubens zugezogen hat. Und im Gedanken an solche Bedenken und Befürchtungen schrieb er auch seinen ersten Brief nach Rom. Er betont deshalb schon hier in der Beschreibung seines Apostelamts wie nachher im ganzen übrigen Brief, nachdrücklich und vorsichtig die Einheit seines Evangeliums mit der Schrift und der Hoffnung Israels. Er wehrt den Gedanken ab, als wäre er ein Neuerer, der ein eignes „paulinisches“ Evangelium erfunden hätte; nein, er verkündigt das, was die Schrift enthält, und dient dem Davidssohne, wie ihn Israel erwartet und wie ihn die Gemeinde von Anfang an in Jesus erkannt hat. Zugleich aber hebt er die besondere Gabe und Aufgabe hervor, die er im Unterschied von allen andern empfangen hat, seine Sendung zu den Heiden im Glauben an den Auferstandenen, um des willen ihm alles, was dem Fleische angehört, wertlos und nichtig geworden ist, so dass er im Blick auf seine Auferstehung niemand, auch Israel nicht, ja auch Jesum nicht mehr nach dem Fleische kennt, vgl. 2 Kor. 5,16, sondern nach dem Geiste wandelt, und nach jenem Leben trachtet, das im Auferstandenen erschienen ist.
Nun zeigt Paulus den römischen Christen die innige Gemeinschaft, in welcher er bereits mit ihnen steht, ob er auch persönlich ihnen noch unbekannt ist, Vers 8-12. Das ist die Gemeinschaft seines unablässigen Gebetslebens. Sie sind schon eingeschlossen in seinen priesterlichen Dienst, den er inwendig in seinem Geiste Gott am Evangelium darbringt. Hier steigen fort und fort auch für sie Dank und Bitte zu Gott empor. Und zwar ist ihnen sein Herz noch in besonderer Weise nahe; denn er wünscht, ja erbittet sich dringend einen baldigen Besuch in Rom. Nicht Furcht und Besorgnisse um sie bewegen ihn zu diesem Wunsch; auch schätzt er den Glauben, den sie haben, nicht gering. Freilich wird sie sein Besuch fördern und ihnen Mehrung ihres innern Besitzes bringen durch neue Gabe und Stärkung, doch so, dass er auch für sich selbst von seinem Besuch bei ihnen Ermunterung und Aufrichtung erwartet. „Wir werden,“ sagt er, „mit einander ermutigt werden durch unsern gemeinsamen Glauben;“ er wird sich an ihrem Glauben erfrischen, wie sie sich an dem seinigen. Der Apostel sah also mit freudiger Hoffnung auf die Gemeinde in Rom, und eben dies, dass ihn nicht besondere Verwirrungen und augenblickliche Störungen in der römischen Christenheit zu seinem Briefe nötigten, gab ihm die Freiheit, denselben zu einem großen Lehrbau zu gestalten, der in freudiger Ruhe und in wohlgeordnetem Fortgang der Gedanken die ganze Stellung der Gemeinde vor Gott überschaut von der tiefsten menschlichen Zerrüttung an bis hinauf zum jubelnden Triumph der Hoffnung, die in Christo im seligen Genuss der Liebe Gottes steht.
Zunächst liegt dem Apostel daran, dass die Gemeinde seinen Vorsatz nach Rom zu kommen kenne, V. 13-15. Sie sollen wissen, dass er sich das ernstlich vorgenommen hat, und nicht überrascht sein, wenn er vielleicht schon bald in ihrer Mitte steht. Allerdings sollen sie auch das bedenken, dass er in solchen Dingen niemals ein bestimmtes Versprechen geben kann, sondern im Drang und Kampf seiner Arbeit vielfältiger Verhinderung ausgesetzt ist. Aber auch dies soll ihnen jetzt schon gegenwärtig sein, dass er nicht zu einem müßigen Besuche kommt, sondern um Frucht zu schaffen bei ihnen mit aller Energie und Emsigkeit der Missionsarbeit. Diesen raftlosen Eifer müssen sie verstehen lernen. Er ist der Schuldner aller Heiden; denn sie sind von Gott an ihn gewiesen, dass er ihnen das Evangelium bringe. Sie haben einen Anspruch an ihn, ein Anrecht darauf, dass er ihnen den Weg zu Christo zeige, und diese Schuld will er ihnen erstatten, so viel an ihm liegt, auch in Rom.
Er hat sich damit als den Wohltäter der Heiden bezeichnet, der ihnen das überbringt und einhändigt, was ihren Besitz und ihr Gut vor Gott ausmacht. Aber wie ganz anders lauteten die Urteile der Leute über ihn! Die Heiden lachten ihn aus, die Juden verfluchten ihn als einen Verführer, der Tausenden zum Verderben helfe, und in der Christenheit selbst beklagte mancher sein Werk oder verstand doch seinen Eifer nicht. Das könnte ihn jedoch nur dann irre machen, wenn er sich des Evangeliums schämen wollte. Aber er weiß, was das Evangelium in sich hat: es ist Gottes seligmachende Kraft, die ewige Hilfe für den Menschen, und zwar die einzige, ohne die er für immer hilflos bleibt. Eben darum ist er der Schuldner der Heiden und kann nicht ruhen; denn der Heide bedarf seiner, so gewiss nur das ihn errettet, was ihm der Apostel in Gottes Auftrag bringen soll und geben darf.
Das Evangelium ist das, was uns von Christo verkündigt wird. Darum ist es seligmachende Gotteskraft, weil Jesus der Heiland ist in Gottes Kraft. Das erleben wir dadurch, dass wir glauben. Nichts anderes als der Glaube öffnet und erschließt uns im Wort die Kraft. Fehlt uns der Glaube, so bleibt uns das Evangelium ein bloßes Wort, leer und ohne Kraft. Wo aber am Evangelium Glaube entsteht, da wird derselbe von Christus nicht beschämt. Jesus lässt keine Zuversicht, die an dem Wort, das von ihm zeugt, entspringt und zu ihm hin sich kehrt, unerhört und unerfüllt. Dem Glaubenden wendet er sich mit seiner Vergebung und seinen Gaben zu und dadurch wird aus dem geglaubten Evangelium eine Gotteskraft. So verhält es sich für den Juden wie für den Heiden in gleicher Weise. Allerdings sind die Güter des göttlichen Reichs zuerst für den Juden bestimmt nach dem Vorrang der Berufung, den ihm Gott zu teil werden ließ. Aber in diesem Vorzug hat er nicht die Ermächtigung zum Unglauben, vielmehr die Aufforderung, als der erste vor den Heiden gläubig zu sein. Wiederum bricht Christus auch dem Heiden gegenüber die Regel seiner Gnade nicht: nach deinem Glauben geschehe dir! Daher ist auch der Heide im Glauben in die errettende Gotteskraft hineinversetzt.
Es muss uns Gerechtigkeit kommen, wenn uns geholfen werden soll. Der Sünder wird sterben, der Gerechte wird leben; ohne Gerechtigkeit keine Seligkeit! Das ist Gottes unzerstörbares Grundgesetz, denn Gott hat Gerechtigkeit lieb. Die Frage, wie uns Menschen zu helfen sei, ist mit der andern Frage völlig eins, wie wir zur Gerechtigkeit erhoben werden. Fänden wir die Gerechtigkeit vor dem Evangelium und ohne dasselbe, so bedürften wir desselben nicht mehr. Nun aber offenbart sich im Evangelium, und nur in ihm und nicht durch das Gesetz, für uns die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. So hat Luther das reiche und tiefe Wort des Apostels erläutert, dass sich im Evangelium Gottes Gerechtigkeit offenbare, und diese Erläuterung führt nicht irre, sowie sie tief genug gefasst wird. Die vor Gott gültige Gerechtigkeit ist zu allererst Gott selber eigen; sie ist ihm selbst nicht fremd; nein, er übt und betätigt sie in seinem Handeln und Wirken. Von ihm geht sie aus und besteht eben darum auch vor ihm. Was wir Menschen an Gerechtigkeit haben, das ist alles Gabe und Wirkung der göttlichen Gerechtigkeit. Nun verweist uns das Evangelium nicht auf eine eigene Gerechtigkeit, die wir aus uns selbst durch unsere Güte herstellen würden, sondern es offenbart uns dies, dass Gott Gerechtigkeit hat, übt und gibt, und darin die leuchtende Herrlichkeit und Größe seiner Gerechtigkeit erwiesen hat, dass er auch uns in die Gerechtigkeit erhebt. Wir machen uns nicht selbst gerecht, wir werden gerecht gemacht; gerecht machen kann uns aber nichts als Gerechtigkeit, nichts als ein Wunder der göttlichen Gerechtigkeit. Das hat Gott für uns getan und tuts im Evangelium.
Aus Glauben heraus wird Gottes Gerechtigkeit offenbar, weil der Glaube alle Gaben Gottes empfängt. Darum ist es der Glaube, der die Gerechtigkeit auf uns herabzieht uns zum Eigentum. Und in Glauben wird sie offenbar, dazu, damit wir glauben können, zum Glauben erweckt und in ihm bewahrt und gehalten seien. Sie ist und bleibt nach ihrem Grunde und nach ihrer Wirkung ein Glaubensgut. Sie wird uns gegeben, weil wir glauben, doch nicht dazu, damit wir nun durch sie über den Glauben hinausgehoben seien, nein, vielmehr damit wir in ihn hineingestellt seien und in ihm bleiben. Das ist wie ihre Wurzel so auch die Frucht, die sie in uns sucht und wirkt. Sie bewegt sich also völlig um den Glauben; durch ihn wird sie uns zu teil und in ihm erhält sie sich als unser Eigentum. Da wo wir aus dem Glauben heraustreten, fallen wir aus der Gerechtigkeit heraus. Dagegen wo Glaube ist, da ist sie; er ist das Kennzeichen unserer Gerechtigkeit. Darum lässt sich alles, was uns im Evangelium verliehen ist, in das kurze Wort der Schrift zusammenfassen: der Gerechte wird aus Glauben leben. Da sind Gerechtigkeit und Leben aneinander gebunden, und beidem in ihrer untrennbaren Einheit ist der Glaube zur Wurzel gegeben. Der Gerechte wird dem Glauben das Leben verdanken, weil er im Glauben allein die Gerechtigkeit empfangen hat; darum sind ihm nun auch Tod und Gericht verschlungen in den Sieg und das Leben ist sein Teil, deshalb weil er glaubt.
Paulus wollte der Gemeinde zunächst sagen, was ihn bewege nach Rom zu ziehen, und ihn überhaupt in seine unermüdliche Arbeit treibe. Das kommt vom Evangelium her, von seinem unendlichen, unvergleichlichen Wert. Indem uns der Apostel zeigt, was seine eigene Kraft ausmacht und den Beweggrund bildet, der sein Herz füllt und regiert, leitet er unsern Blick eben dadurch zur Herrlichkeit der Gabe Gottes empor, die uns widerfahren ist. Uns ist geholfen in Gottes Kraft; wir sind gerecht in Gottes Gerechtigkeit; wir werden leben, wir, die Glaubenden! Diese Gabe Gottes will er uns nun zeigen. So dient der übrige Brief dem, was uns in V. 16 und 17 in mächtiger, inhaltsreicher Zusammenfassung vorgehalten ist, zur weiteren Darstellung, Erklärung und Beweisführung.
Übersehen wir zunächst den Brief in seinem einfachen, großen Gang. Paulus fängt mit dem an, was wir ohne Christus sind in uns selbst; an unserm Bedürfnis stellt er den Wert der göttlichen Gabe ins Licht. Da steht der Heide, der Wahrheit Gottes abgewandt, ihn missachtend und gegen seine Güte undankbar. So ziehen die Wahngebilde in sein Herz und die schändenden Triebe erwachen, deren Gewalt er anheimgegeben ist. Da ist nicht Gerechtigkeit, sondern hier ist Gottes Zorn wirksam und offenbar, Kap. 1, 18-32.
Daneben steht der Mensch mit dem Gesetz in der moralischen Bildung, welche das Gesetz verleiht. Er richtet das Laster, kennt und studiert Gottes Gebot, und rühmt sich dessen. Aber ob er auch wohl weiß, was gut ist, und es andern predigt, tut er es doch selber nicht. Das ist dasselbe Verhalten wie beim Heiden und es stellt den Juden mit dem Heiden unter dasselbe göttliche Gericht, Kap. 2.
Allerdings steht Israels Vorzug unerschütterlich fest, weil er in Gottes Treue beruht. Aber er besteht nicht in dem, was der Jude selber ist und tut. Und wenn dieser die Festigkeit der Verheißung Gottes zur Entschuldigung seiner Sünde und seines Unglaubens braucht, dann wehe ihm, Kap. 3, 1-8.
Übrigens macht schon das Zeugnis der Schrift den Ruhm des Juden zunichte, und es zeigt sich somit, dass es für uns keine Gerechtigkeit gibt, die unser eigenes Werk wäre, da das Gesetz uns nicht Hilfe und Erlösung von der Sünde, vielmehr die Erkenntnis derselben bringt, Kap. 3, 9-20.
So schaut nun Paulus hin auf das, was Gott in Christo tat. In ihm offenbart Gott seine Gerechtigkeit, die Sünde richtend, den Sünder begnadigend und zum Glauben aufrichtend an die Rechtfertigung, die er uns als seine Gabe in Christi Tod entgegenbringt, und solcher Glaube ist unsre Gerechtigkeit, Kap. 3, 21-31.
Damit treten wir auf Abrahams Weg und die Verheißung, dass Gottes Gabe dem Samen Abrahams zufalle, erfüllt sich an uns, den Glaubenden, Kap. 4.
Und sehen wir empor zu Gott, so ist, da wir im Glauben die Rechtfertigung haben, alle Trübung und Hemmung in unsrem Verhältnis zu Gott überwunden; Frieden und Hoffnung sind gewonnen und der Ruhm in Gott entsteht, Kap. 5, 1-11.
Die ganze göttliche Weltregierung zielt auf dieses Resultat. Was von Adam und was von Christo ausgeht, die Obmacht der Sünde und des Todes, unter der wir durch Adam stehen, und die ebenso kräftige und sieghafte Wirksamkeit der Gerechtigkeit und des Lebens, die von Christus, ausgeht, weisen uns auf Glauben hin, Kap. 5, 12-21.
Dieser große Überblick über den ganzen Gang der menschlichen Geschichte bringt das bisher gesagte zu einem gewissen Abschluss. Wir sehen, dass wir Christum bedürfen, Christum haben und in ihm alles haben, was uns not ist. Wir sehen, dass wir glauben dürfen, glauben können, nichts anderes als glauben können. Doch nun kommt noch eine ernste Hauptfrage: reicht das aus für unser praktisches Leben? oder bleiben wir mit dem Glauben doch der Sünde verknechtet und untertan?
Der Glaube greift nach dem, was Jesus ist, nach Jesu Tod und Jesu Leben. Er zieht sein Sterben auf sich und sein Leben auf sich. Darin ist Lösung von der Sünde enthalten, Scheidung vom Leibe mit seiner sündlichen Begier, und Leben für Gott. Also besteht unsre Aufgabe nur darin, dass wir festhalten, was uns in Christo gegeben ist, Kap. 6, 1-14.
Des Gesetzes bedürfen wir dabei nicht; denn im Glauben an Christum sind wir der Gerechtigkeit untertan worden und innerlich gebunden an sie, Kap. 6, 15-23.9
Und wir dürfen uns frei halten vom Gesetz, denn es erstreckt sich nicht über den Tod hinaus, nicht über Christi Tod, der scheidend in die Zeiten tritt und ein neues für uns beginnt, sowie wir Teil haben an ihm, Kap. 7, 1-6.
Und wir müssen frei werden vom Gesetz; denn wenn auch das Gebot selbst gut und heilig ist, so hilft es uns doch nichts, sondern reizt nur das, was in uns selber ist, das heißt die lüsterne fleischliche Begier, an der wir sterben, Kap. 7, 7-13.
Allerdings ist unsere Vernunft innerlich dem Gesetz untertan, aber unser Wollen und Wirken folgt unserer vernünftigen Einsicht nicht, sondern widerstrebt ihr. Das ist das Elend des Menschen, dass er in sich zerspalten ist und es nur zum Wünschen, nicht aber zum Vollbringen des Guten bringt, Kap. 7, 14-25.
Also ist Christus unsre Hilfe, denn in ihm wird uns Geist zu teil, in welchem die Befreiung von der Herrschaft des Fleisches uns gegeben ist. Und wenn auch unser Zustand unvollkommen bleibt, weil wir erst im Geiste Christo verbunden sind und unser Leib noch nicht verklärt ist, weshalb wir noch dem Leiden unterworfen sind und im Hoffen stehen, so ist doch unsre Hoffnung nun eine vollendete und sichere, eine Heilsgewissheit, die sich für immer in die Liebe Gottes eingeschlossen weiß, Kap. 8.
Ein wunderbarer Lehrgang! Zuerst lässt er sich wie der Weg zur Verzweiflung an. In die tiefste sündige Zerrüttung lenkt er unsern Blick hinab, und Israel sinkt mit den Heiden in dasselbe Grab. Doch dann erscheint Christi Kreuz und von ihm aus strahlt uns Gerechtigkeit entgegen und Glaube kann an ihm erstehen. Abraham tritt zu uns als auf demselben Wege wandelnd; der Blick zu Gott wird in Hoffnung hell und Gottes Weltregierung enthüllt sich vor uns. Aber nun kommen die ernsten Aufgaben des Lebens: bewährt sich hier die Gerechtigkeit, die im Glauben steht? Wiederum erscheint Jesu Sterben und Auferstehen als Hilfe und Weisung. Halte seinen Tod, sein Leben fest als dir gegeben! das ist Sieg. So sieht sich der Glaubende erhoben über das Gesetz in den Geist, und der Ruhm und Jubel der Hoffnung erklingt.
Aber noch einmal steigt der Weg des Briefs in die Tiefe, denn das Auge richtet sich auf den Fall der Judenschaft, um welche der Apostel mit der ganzen Gemeinde aufs tiefste trauert. Israels Fall scheint ein finsteres Rätsel, eine Trübung und Hinderung der gläubigen Zuversicht, Kap. 9, 1-5.
Israels Stellung ruht auf Gottes Berufung und diese ist eine freie Wahl und gibt sich nicht gebunden in den natürlichen Zusammenhang von Fleisch und Blut, Kap. 9, 6-13.
Darum steht Gott auch dem Juden in seiner vollen, königlichen Obmacht gegenüber und er liegt in seiner Hand, wie der Ton in derjenigen des Töpfers, dass Gott aus ihm bilde ein Gefäß zur Ehre oder zur Unehre nach seinem Wohlgefallen, Kap. 9, 14-29.
Und warum erfährt Israel Gottes Zorn, trotzdem es mit frommem Eifer ihm zu dienen strebt? Es fehlt ihm gerade das, woran aller Empfang der Gabe Gottes hängt, der Glaube. Sein Unglaube macht, dass ihm das Heil entgeht, so nahe es ihm Gott entgegenbringt und so laut er es ihm verkündigen lässt, Kap. 9, 30-10, 21.
Dennoch ist auch in dieser Offenbarung des gerechten göttlichen Zürnens Güte das Ziel und Ende. Einen Rest des Volkes hat Gott schon jetzt zu sich gerufen, und durch ihren Fall den Heiden die Türe aufgetan, und durch die Heiden ruft und lockt er auch den Juden, und endlich wird auch noch Israel zu Christo hinzugeführt, Kap. 11.
Dieser zweite Gedankengang ist ähnlich gebaut wie der erste. Er steigt auch zuerst hinab und dann hinauf. Er beginnt, als wolle er alle Hoffnung Israels zerstören und es fesseln in die Gewalt des Zorns. Das ist der Weg zur Hilfe für Israel, dass es sein Fordern und Pochen fahren lässt und die falsche Hoffnung begräbt. Dann tritt als die Ursache, welche ihm die Hoffnung nimmt, der Unglaube hervor, wie im ersten Teil der Glaube die Wendung ergibt, aus der Verurteilung unter dem Gesetz in die Gerechtigkeit hinein. Aber nun enthüllt sich auch im Zorn die Gnade und wandelt alles in Leben und Licht, so dass der Apostel auch hier am Schlusse seiner Darstellung auf einer Höhe steht, auf der er die Tiefe des Reichtums und der Weisheit Gottes anbetend preisen kann.
Und nun, nachdem er uns die Werke Gottes aufgeschlossen und beleuchtet hat, führt er uns noch zum christlichen Wandel hin.
Dass wir unser Leben im Leibe Gott dargeben als Werkzeug zur Ausrichtung seines Willens, das ist nun unser Gottesdienst, Kap. 12, 1-2.
Dabei weist das Maß des Glaubens, das wir empfangen, jedem seine besondere Aufgabe im Ganzen der Gemeinde an, in die wir uns bescheiden fügen und die wir treu zu erfüllen haben, Kap. 12, 3-8.
Und die Seele unsres ganzen Wandels ist die Liebe gegen alle in ihrer fleißigen, hilfreichen Tätigkeit, Kap. 12, 9-21.
Der Obrigkeit hat sich die Gemeinde willig unterzuordnen und auch in ihr Diener Gottes zu ehren, Kap. 13, 1-7; wie denn überhaupt in der Liebe für alle Verbindlichkeiten und Verpflichtungen des Menschen, für das ganze Gesetz, die Erfüllung liegt, Kap. 13, 8-10.
Und als kräftiger Antrieb zum reinen Wandel kommt uns die Hoffnung zu Hilfe, welche nach dem Anbruch des Tages und dem Kommen des Lichtes in Christi Reich begehrt und uns darum im Lichte wandeln heißt, Kap. 13, 11-14.
In der Gemeinde müssen auch die Schwachen, die an äußere Heiligungsregeln und gottesdienstliche Ordnungen gebunden sind, Raum haben, ohne dass sie verwirrt oder verachtet werden, aber auch ohne dass sie die zur Freiheit Erstarkten richten. Die Hauptsache ist, dass keiner sich selber lebe, und jeder seinem Gewissen gehorsam handle in sorgfältiger Rücksicht auf die Förderung der andern, wie sie die Liebe gibt, Kap. 14.
So folgen wir dem Beispiel Christi, der nicht sich selber lebte, und entsprechen der Barmherzigkeit, mit der Gott selbst uns alle, Juden wie Heiden, aufgenommen hat, damit wir ihn einträchtig preisen, Kap. 15, 1-13.
Und nun schließt er den Brief mit den persönlichen Anliegen, mit seinen Missionsplänen, die den Anlass zu demselben gaben, Kap. 15, 14-33, und in einer Art Nachschrift mit Grüßen, vermischt mit Worten der Warnung und segnender Fürbitte, Kap. 16. die persönlichen Angelegenheiten Der Apostel hat also über drei Dinge mit der römischen Gemeinde geredet. In den ersten acht Kapiteln, die einen zusammenhängenden Gedankengang bilden, zeigt er, dass der Glaube unsere Gerechtigkeit ist, und zwar jener unbegrenzte, ganze Glaube, der nichts anderes weder begehrt und sucht, noch hat und besitzt als Christus und seine Gabe, und eben darum vom Gesetz sich völlig abgelöst hat, der Glaube allein. Sodann erläutert Paulus in den drei folgenden Kapiteln, 9-11, die Verstockung der Judenschaft, die Christum nicht erkannt und seine Gemeinde von sich gestoßen hat, nach dem Recht, das Gott zu solchen Gerichten hat kraft seiner freien Obmacht über alle Kreatur, nach ihrem Grunde, der im Unglauben Israels besteht, und nach ihrem Ziel und Ausgang, der in der Berufung Israels durch die Bekehrung der Heiden liegt. Und endlich gibt er in einfacher, aber reicher Übersicht ein Bild des christlichen Wandels in bescheidener, dienstwilliger Liebe. Warum Paulus zur demütigen Liebe mahnt, das bedarf keiner Erklärung; das tat er im Verkehr mit allen Christen, weil sie es alle bedurften. Dass er jedoch sein erstes Wort an die Römer dazu benutzte, um ihnen die Freiheit vom Gesetz im Glauben und die Verstockung Israels zu erläutern, das hat seinen Grund in den großen und schweren Aufgaben, welche die erste Christenheit zu lösen hatte.
Die Verwerfung Israels lastete als Druck auf den Gemeinden. Wie war es auch nur möglich, dass Israel Jesum nicht nur während seiner irdischen Erscheinung verworfen hatte, sondern fort und fort bleibend sich wider ihn verstockte, während es doch die Verheißung Gottes empfangen hatte und zum Volk und Erbe Christi berufen war? Und nun war das Reich Gottes gekommen, aber nicht für die Kinder des Reichs. Das war ein Glaubenshindernis, von dem viel Zweifel, Klage und Erschütterung ausging und das nur in schwerem Kampf und großer Glaubensanstrengung überwunden ward. Aber noch tiefer griff die andre Frage ins Christenleben ein und noch zarter und innerlicher waren die Kämpfe, welche sie verursachte: dürfen wir uns vom Gesetz Gottes lösen und die göttlichen Ordnungen, die Israel gegeben sind, bei Seite legen? Im Blick auf die geheiligte Majestät des Gesetzes und unter den Nachwirkungen der langen und ernsten Gesetzeszucht, unter der Israel bisher stund, brauchte es eine große Kraft und Anspannung des Glaubens, um ohne Zweifel und Schwankung in der Freiheit vom Gesetz zu stehen, und dabei zu bleiben, dass uns im Glauben an Christus alles, was wir zur Gemeinschaft mit ihm und zur Teilnahme an seinem Reiche bedürfen, gegeben ist, weil der Glaube wahrhaftig uns zur Gerechtigkeit wird vor Gott.
Paulus hatte durch seine Lebensführung und Berufung gerade in diesen Fragen eine besondere Gabe und auch einen besonderen Auftrag vom Herrn empfangen, den niemand in derselben Weise besaß wie er. Er wusste nach seinen bisherigen Erfahrungen, dass einer Gemeinde wie Sie in Rom, die noch nicht von ihm unterwiesen war, Belehrung über die Stellung des Glaubens über dem Gesetz und über das Verhältnis der neuen Gemeinde Jesu zum alten Israel nötig und förderlich war. Zudem waren gerade dies die Punkte, welche den Hass der Judenschaft gegen ihn erregten und auch in der Gemeinde manchen Mann bewogen, gegen ihn zu eifern oder doch seine Arbeit mit Misstrauen zu betrachten. Darum enthüllt er ihnen gleich in seinem ersten Briefe seine Glaubensstellung in ihrer ganzen Höhe, nach dem Grunde, auf dem sie steht, und nach dem Ziel, zu dem sie führt, in ihrer Freiheit und Kraft. Sie sollen ihn von Anfang an kennen als den, der den Glauben für seine und ihre Gerechtigkeit hält und sonst nichts, als den, der vor dem Pochen und Murren Israels sich nicht beugt, weil er von keinem andern Anrecht an Gottes Reich etwas weiß als von dem, welches die frei berufende Gnade Gottes selber gibt. So will er auch die römische Gemeinde emporleiten in die Gewissheit und Völligkeit des Glaubens, der sich nicht halb an Christum und halb an das Gesetz, sondern ganz an Christum hält, und die Verstockung der Judenschaft, so traurig sie ist, trägt, weil auch sie der Erfüllung der Schrift und dem Kommen des göttlichen Reiches dient. So stellt er auch uns die Herrlichkeit dessen vor Augen, was uns in Christo bereitet und gegeben ist.