Magnus Friedrich Roos - Kreuzschule - Siebentes Kapitel.
Wie man sich unter dem Leiden seinen Seelenzustand aufdecken lassen soll.
Wenn GOtt dem Menschen ein empfindliches Leiden zuschickt, so hat er den guten Endzweck dabei, daß er ihn zur Buße, und durch die Buße zum ewigen Leben leite. Dieses lehrt uns das Gleichniß von dem verlornen Sohn Luc. 15.; denn nachdem derselbe all das Seinige verzehret hatte, ward eine große Theurung durch dasselbe ganze Land, und er fieng an zu darben, und gieng hin, und hängete sich an einen Bürger desselben Landes, der schickte ihn auf seinen Acker, die Saue zu hüten, und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit Trabern, die die Säue aßen, und niemand gab sie ihm. Da schlug er in sich rc. Dieser verlorne Sohn bedeutet einen Menschen, der in der heil. Taufe ein Kind GOttes geworden war, hernach aber von GOtt abgewichen, und ein Weltkind geworden ist. Ein solcher verzehrt alles das Seinige: das ist, er verliert alles Gute, das er durch die heilige Taufe bekommen hatte, die Gnade GOttes, die Kindschaft GOttes, das gute Gewissen, die Inwohnung des heiligen Geistes, und das Recht der Erbschaft des ewigen Lebens. Hernach sucht ihn GOtt mit Trübsalen heim, welche hier durch die Theurung und das Darben angedeutet werden; denn wir müssen nicht meinen, als ob der Heiland hier allein von der leiblichen Armuth oder Hungersnoth geredet habe, welche freilich auch eine von den scharfen Zuchtruthen GOttes ist, die manchen Menschen trifft, der vorhin in der Ueppigkeit gelebt hat. Weil aber doch nicht alle gottlose Christen mit der Armuth gestraft werden: so darf man sicherlich glauben, daß der Heiland, der alle Wege und Gerichte GOttes wohl verstanden hat, durch die Theurung und das Darben auch andere Trübsalen andeuten wollte. Und fürwahr, mancher darbet, oder leidet Mangel an der Ehre, wenn wegen seiner Sünden viel Schmach und Verachtung auf ihn fällt, ein Anderer an seiner Wollust und Gemächlichkeit, wenn er Schmerzen und Schwachheit an seinem Leibe ausstehen muß, oder harte Arbeit auf ihn gelegt wird, einem Andern wird das Vergnügen entzogen, das er an seinem Vater, Mutter, Geschwistern, Ehegatten, oder an seinen Kindern gehabt hatte; wenn dieselben hinweg sterben, oder seine Kinder ihm bei Leibesleben Herzeleid verursachen. Siehe, dieses alles und vieles andere von dieser Art hat der liebe Heiland vor Augen gehabt, da er von dem verlornen Sohn sagte, daß er eine Theurung erfahren, und zu darben angefangen habe. Die Theurung mag wohl eine Landplage bedeuten, da es dann die Vorsehung GOttes so einrichten kann, daß sie einen abtrünnigen Christen, den er noch herum holen will, vor Andern empfindlich trifft. Wenn nun derselbe sich an einen Bürger der Welt hängt, das ist, wenn er bei einem oder andern Weltmenschen Hülfe und Trost sucht, und sich dabei auch zu schimpflichen Mitteln, dergleichen das Hüten der Säue bei den Juden war, herabläßt: so kann die Vorsehung GOttes es wieder so fügen, daß er auch hier seines Zweckes verfehlet. Die Welt muß selber gegen einem solchen Menschen hart seyn, und ihm auch die Traber versagen, welche die Säue essen, das ist, sie muß ihm auch nicht den geringsten Trost, oder die geringste Hülfe erzeigen. In diesem Zustand hält sich der Mensch für den Unglückseligsten. Er meint, er sei von GOtt und Menschen verlassen, und doch hat GOtt ein Aufsehen auf ihn, und fängt an, ihm mit seiner vorlaufenden Gnade nahe zu werden. Und dieser Gnade ist es zuzuschreiben, daß der Mensch endlich in sich schlägt, wie der Heiland von dem verlornen Sohn sagt, das ist, daß der Mensch zu sich selber kommt. Vorher war der Mensch nicht bei sich selbst, sondern wie außer sich selbst, und wurde durch Hochmuth, Geiz, Wollust, Nahrungssorgen, Verdruß, Zorn, Unmuth und weltliche Traurigkeit umgetrieben. Er suchte Ruhe, aber fand sie nicht. Er legte bald diesem, bald jenem die Schuld bei, wenn es ihm übel gieng: sich selbst aber kannte er nicht, und sahe nicht ein, daß er sein eigener ärgster Feind, und die Quelle seines Unglücks in ihm selber sei. Nun aber fangt er an, sich selber zu erkennen, und sein geistliches Elend, ja seine große Sündenschuld mit Angst, Scham und Traurigkeit zu fühlen. So kam Petrus zu sich selber, als er JEsum verläugnet, und ihn das Hahnengeschrei, wie auch der Blick Jesu zum Besinnen gebracht hatte. Er gieng alsdann hinaus, und weinete bitterlich. David kam zu ihm selber, als der Prophet Nathan zu ihm sagte: du bist der Mann des Todes; denn von da an waren seine Sünden eine Zeit lang immer vor ihm, und drückten ihn als eine schwere Last. Er betete und weinte alsdann, bis er der Gnade GOttes versichert war. So kam auch der gottlose König Manasse, der einen frommen Vater gehabt hatte, zu sich selber, nachdem er mit Ketten gebunden, und als ein Gefangener gen Babel geführt worden war. Denn „da er in der Angst war, flehete er vor dem HErrn, seinem GOtt, und demüthigte sich sehr vor dem GOtt seiner Väter, und bat und flehete ihm“, 3 Chr. 33,11.12.13. Aus eben diese Sache deutet die heilige Schrift, wenn sie sagt, daß ein bußfertiger Sünder vom Schlaf aufwache, daß er vom geistlichen Tod erweckt werde, daß er in sein Herz gehe, und daß ihm das Gesetz zur Erkenntniß seiner Sünden verhelfe. Auch hat der Heiland in zwei Gleichnissen darauf gedeutet, da er nämlich Matth. 18,23.24.25. sagte: „das Himmelreich ist gleich einem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte, und da er anfieng zu rechnen, kam ihm einer vor, der war ihm zehntausend Pfund schuldig. Da er's nun nicht hatte zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn und sein Weib und seine Kinder und alles, was er hatte, und bezahlen“ u.s.w. Und Luc. 16,1.2.: „Es war ein reicher Mann, der hatte einen Haushalter, der war vor ihm berüchtiget, als hätte er ihm seine Güter umbracht. Und er forderte ihn, und sprach zu ihm: wie höre ich das von dir? Thue Rechnung von deinem Haushalten, denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter seyn“ u.s.w. Wer meinest du wohl, mein lieber Christ, daß der König und reiche Mann sei? ohne Zweifel der allgewaltige und reiche GOtt. Was thut nun derselbe? Er rechnet mit dem Menschen, und entdeckt ihm dadurch seine ungeheure Sündenschuld. Er fordert ihn vor sich, und spricht zu ihm: thue Rechnung von deinem Haushalten. Und zwar geschieht dieses nicht erst am jüngsten Tag, sondern in der Zeit, wo noch Gnade und Vergebung Statt hat. Es geschieht nämlich alsdann, wenn der große GOtt durch sein Wort dem Menschen das Gewissen aufweckt, das Herz rühret, die Sünden unter Augen stellt; und ihn von seinem verdammlichen Zustand kräftig überzeugt. GOtt läßt den Menschen hiebet seinen großen Ernst spüren, und stellet sich, als ob er ihn, wie er's verdient hat, verdammen und in seinem Zorn wegraffen wolle; welches dadurch angezeigt wird, daß es heißt: der Herr hieß den Knecht und sein Weib und seine Kinder, und alles was er hatte, verkaufen und bezahlen. Das wäre nämlich in einer Schuldsache nach dem strengsten Recht gehandelt, wenn man's so machte: aber dieses strenge Recht könnte GOtt auch gegen uns ausüben, und er stellet sich eine Zeit lang, als ob er's ausüben wollte, und läßt den Menschen seine schwere Hand fühlen, über deren Druck auch David geklagt hat. Ja er stellt dem Menschen auch den zeitlichen Tod vor Augen, und erinnert ihn, wie er durch denselben alle Augenblicke von seiner Haushaltung oder von seinem Amt und Stand abgesetzt werden könnte. Daraus entsteht dann Angst, Traurigkeit, Kniebeugen, Bitten, Flehen, Seufzen, Weinen, Klagen und Fragen: „was soll ich thun, daß ich selig werde?“ wiewohl freilich bei dem einen dieses alles höher steigt, und länger währt, als bei dem andern. Doch müssen alle abtrünnigen Christen, die wieder zur Gnade und zur Seligkeit gelangen wollen, aus diesem Kelch trinken. Alle müssen ringen, daß sie durch die enge Pforte eingehen. Alle müssen zerknirschte und zerschlagene Herzen bekommen, als welche die Opfer sind, die GOtt Wohlgefallen: und deßwegen müssen alle die tödtende und verdammende Kraft des Gesetzes, welches als ein göttliches Wort nicht auf die Seite gestoßen werden darf, erfahren.
Aber ach! wie unbekannt ist dieses alles den meisten Menschen! die Christen liegen insgemein in dem Schlaf der Sicherheit, und sagen mit dem Bischof zu Laodicea: ich bin reich und habe gar satt, und bedarf nichts; da sie doch elend, arm, jämmerlich, blind und blos sind, Offenb. Joh. 3,17. Sie gehen fast in einem beständigen Traum dahin: denn wie einem Menschen träumen kann, er sei ein König oder ein Fürst, oder ein reicher Mann, und wenn er aufwacht, ist er's nicht; also lassen sie sich dünken, sie seien im Christenthum etwas, so sie doch nichts sind, und betrugen sich also selbst, Gal. 6,3. O wie wird mancher erschrecken, wenn er in die Ewigkeit kommt, und findet alles gar anders, als er sich's vorher eingebildet hat! Von andern Menschen betrogen werden, ist kläglich: aber sich selbst betrügen ist noch kläglicher. Zu diesem Selbstbetrug gehören oft auch die Vorsätze und Versprechungen auf's Künftige, mit welchen man in gewissen Nöthen, besonders aber in Krankheiten den großen GOtt abfertigen, und sein eigenes Gewissen geschweigen will. Ach lieber Mensch versprich nicht, daß du dich bekehren und bessern wollest, wenn du aus der Noth errettet seyn würdest, sondern bessere und bekehre dich jetzt und von jetzt an, und mache etwa damit den Anfang, daß du mit dem König David betest: „erforsche mich GOtt und erfahre mein Herz: prüfe mich, und erfahre, wie ich's meine, und siehe ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“ Ps. 139, 23.
Hiezu soll nun einen jeden auch das Leiden bewegen, das ihm von GOtt zugeschickt wird. Denn gleichwie ein gerechter König keinen Unterthanen straft, wenn er nichts Böses begangen hat, und kein Vater sein Kind züchtigt, wenn es nicht gesündigt hat: also straft und züchtigt uns der große GOtt als unser König und Vater auch nicht, es sei dann, daß wir vorher gesündigt haben. Wäre solches auch nicht vorsetzlich geschehen: so wäre es doch aus Schwachheit geschehen. Man wird auch solches allezeit bei sich finden, wenn man sich selbst prüfet, und GOtt um sein Licht dazu bittet. Zu dieser Selbstprüfung aber und zur Empfahung des göttlichen Lichts geben die Leiden insgemein eine gute Anleitung und Gelegenheit, denn sie steuern der Wollust und der Zerstreuung des Gemüths, sie führen oft den Menschen von dem unnöthigen und schädlichen Umgang mit leichtsinnigen Menschen zurück in die Einsamkeit. Wer krank ist, muß gemeiniglich auch seine gewöhnliche Arbeit aufgeben, und seine Werktage in lauter Feiertage verwandeln. Hier kann nun der Mensch zu sich selber kommen. Hier kann er die Stimme GOttes in seinem Gewissen hören: thue Rechnung von deinem Hausbalten. Hier kann er sich seinen Seelenzustand aufdecken lassen, und zur Erkenntniß seiner selbst gelangen. Niemand fürchte sich davor; denn obwohl der Anblick der begangenen Sünden, und der tiefen Verderbniß, die man in sich selbst hat, Angst und Schrecken verursachen, und die Seele in einen Kampf hineintreiben kann: so ist doch dieses alles für nichts zu rechnen gegen der Qual, Angst, Schande und Verzweiflung, welche alle diejenigen am jüngsten Tag ausstehen müssen, welche sich selbst immer betrogen haben, in der Heuchelei ohne Buße und Begnadigung dahingefahren sind, und alsdann das schreckliche Wort Jesu hören müssen: „wahrlich ich sage euch, ich habe euch noch nie erkannt: weichet von mir ihr Uebelthäter.“ Und warum willst du dich vor der Aufdeckung deines Seelenzustandes und der Vorstellung deiner Sünden fürchten? Ist doch der Tröster der heilige Geist treu und stark genug, dich dabei zu unterstützen, und zur rechten Zeit wieder zu erfreuen. „Die göttliche Traurigkeit“, das ist, die Traurigkeit, die in der Absicht auf GOtt oder bei dem Anblick der begangenen Sünden entsteht, „wirket eine Reue zur Seligkeit, die niemand gereuet“, 2 Cor. 7,10. „Selig sind die Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“, Matth. 5, 4. „Der HErr sicher an den Elenden, und der zerbrochenes Geistes ist, und der sich furchtet vor seinem Wort“, Jes. 66,2. „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten. Sie gehen hin und weinen, und tragen edeln Samen, und kommen mit Freuden, und bringen ihre Garben“, Ps. 126,5.6. Diese und dergleichen Verheißungen machen einem jeden, der unter dem äußerlichen Leiden über seinen Sünden betrübt ist, die gewisse Hoffnung, daß ihn GOtt nicht nur nicht werde vertagen lassen, sondern auch seine Traurigkeit in Freude verwandeln.
Zugabe.
J. A. Bengels sechzig erbauliche Reden über die Offenbarung Johannis, 10te Rede über Offenb. Joh. 3, 14-22.
Der Vorsteher der Gemeine zu Laodicea hat bei sich selbst in großer Einbildung gesprochen: ich bin reich, und habe mich bereichert und bedarf nichts rc. - Es mag seyn, daß dieser Mann im Leiblichen wohl gestanden ist, und ein großes Vermögen gehabt hat, und deßwegen sicher gewesen, und sich, dabei beredet, es stünde im Geistlichen auch also um ihn, da es doch in der That viel anders war, und er es nur, welches desto kläglicher gewesen, nicht wußte. Daran liegt es nicht, was einer von sich selbst hält, sondern was er in der That ist. - Dieß ist insonderheit etwas klägliches, wenn andere sich bessern, und es bleibt doch einer zurück, oder verliert sich gar noch weiter. Du bist der Elende (sagt der Heiland) für dich selbst, ob du dich schon für glücklich hältst, und bist der Jämmerliche; wer dich kennet in deinem Zustand, der muß dich bejammern, und mich allermeist jammert dein. So ist mancher elend, und jammert nicht über sich selbst, sondern ist wie einer, der in der hitzigen Krankheit phantasirt, und sich einbildet, es fehle ihm nichts, da die Umstehenden sich um ihn desto mehr bekümmern. - Christus sagt hier: alle, die ich liebe, überweise und züchtige ich: so sei nun eifrig und thue Buße. Durch die Ueberweisung bringt er uns zur Erkenntniß unsers bisherigen Uebelstands, und durch die Züchtigung bringt er uns zu einem besseren Stand auf das Künftige. Alles beides zusammen ist eine große Wohlthat, und ein wichtiges Liebeswerk. Ist es doch in dem Leiblichen also: wenn einer in einem süßen Schlaf liegt, und es ist Feuer im Haus oder gar in dem Zimmer, und er wäre in der Gefahr umzukommen, ohne zu wissen, wie es ihm gienge, es wollte ein anderer ihn wecken und mit Gewalt aus dem Feuer reißen: und ein dritter wollte sagen: ei er schlaft so sanft, du mußt ihn nicht aufwecken und erschrecken, er dauert mich: wäre das ein Werk der Barmherzigkeit und Liebe? Doch wollen die sicheren Sünder immer haben, daß man ihnen ihre Ruhe und eingebildetes Wesen nicht stören solle. Wir aber wollen vielmehr den Heiland bitten, er möchte unser nur nicht schonen, und wenn wir uns auch seiner Ueberweisung und Züchtigung entziehen wollten, dennoch fortfahren. Zur Zeit, wenn unsere Seele wohl gefaßt ist, ist es gut, den HErrn JEsum zum voraus um solches Liebeswerk zu ersuchen, daß wenn wir ihm etwa aus der Cur und Pflege laufen wollten, Er uns darum nicht wolle laufen lassen.
Matth. Meade in dem Beinahe-Christen S. 81-83.
Anfechtung und Widerwärtigkeit kann den Menschen bewegen, zu verheißen und sich vorzusetzen, nicht mehr zu sündigen. Was ist gemeiner, als geloben und nicht halten? Gelübde thun in den Tagen der Trübsal, und doch sich kein Gewissen machen, zur Zeit des Friedens und der Ruhe dieselben nicht zu leisten und zu zahlen? Mancher macht einen Bund wider die Sünde, weil die Widerwärtigkeit ihn drücket. Wenn die aber hinweg ist, so sündiget er wider den Bund. Eine stattliche Regel gab Plinius in einem Sendschreiben seinem Freunde1), daß wir beständig solche Leute bleiben sollen, wenn wir gesund sind, als wir versprechen hinkünftig zu seyn, wenn wir krank sind. Wie versprechen wir so viel, wenn wir danieder liegen! So bald wir genesen und aufstehen, so legen sich die Versprechungen und werden krank. - Der Vorsaß auf's Künftige ist (oft) ein Aufschub für das Gegenwärtige. Es ist ein verborgenes nicht Wollen bei gegenwärtiger Gelegenheit, oder eine Versuchung, die Buße für die gegenwärtige Zeit aufzuschieben. Denkwürdig ist, was wir lesen Luc. 9, 59., da der HErr Christus zu einem Menschen sprach: Folge mir nach. Merket doch, was er dem HErrn für eine Antwort gibt: erlaube mir zuvor, daß ich hingehe, und meinen Vater begrabe. Der Mensch hatte den Vorsatz, Christo zu folgen, er wollte aber so lange warten, bis er seinen Vater begraben hätte. Ein anderer sprach: HErr ich will dir nachfolgen, aber erlaube mir zuvor, daß ich einen Abschied mache mit denen, die in meinem Hause sind. V. 61. Ich will dir nachfolgen, aber ich wollte zuvor hingehen, um Abschied zu nehmen von meinen Freunden, oder mein Haus zu bestellen. Und gleichwohl finden wir nicht, daß sie jemals Christo gefolgt seien, ob sie wohl so einen stattlichen Vorsaß gehabt.
Dav. Hollaz in der evangel. Gnadenordnung. S. 57 u. ff.
Bitte GOtt vor allen Dingen um Augensalbe (Offenb. 3.), hernach wende einige Zeit daran, deinen Zustand reiflich zu erwägen, denn es ist die allerwichtigste Sache. Dabei suche das Gemüth von der Ausschweifung der Sinnen und fremden Gedanken in die Stille zu bringen; denn durch das Geräusch der Gedanken und Eitelkeit der Sinnen wird man an rechter Erforschung seines Elends gehindert. Dieß ist eine Hauptsache, daß die Menschen ihr Elend und Seelengefahr nicht einsehen lernen. Sie haben sonst so viel zu thun, und machen sich noch immer mehr zu thun. - Brauche die Mittel. Lies gern. Höre gern GOttes Wort: darin ist Augensalbe für dich. Siehe erstlich in die zehen Gebote hinein. Da bist du der Abgötter mit der Creaturliebe, ja dein eigener Götze. - Du hast des HErrn Wort und Namen oft zum Deckmantel deines Gleißens, ja greulicher Sünden und Lügen mißbrauchet. Du hast des HErrn Wort verachtet, indem du das, was deinem verkehrten Sinn angestanden, ausgeklaubet, es selbst, wie der Teufel (Matth. 4.) zerzerret, das übrige verachtet. Du bist der ungerathene Sohn, der sich gegen deinen Heiland und Erlöser nicht wie ein armer Sünder beugen wollte, auch nicht unter menschliche Ordnung. Du bist eigensinnig, eigenwillig gewesen. Du bist Kam, der Brudermörder - du bist ein wilder Ismael, deine Hand ist wider jedermann, voll Zanks, Haß und Unversöhnlichkeit. Du bist der Ehebrecher, der Unreine, auswendig übertünchet, inwendig voller Greuel und Schande. Du bist der Dieb, der in Eigenheit, ohne bußfertiges Flehen, GOtt das Seinige geraubt, und dir angemaßet, auch des Nächsten Habe zu dir zu reißen, dir kein Gewissen gemacht. Du bist dein eigener falscher Zeuge, falscher Prophet, da du dich für fromm und heilig außer Christo gehalten, und vor andern gerühmet. Du bist das Kind des Todes, ein verlorner und verdammter Sünder. - Ferner siehe in's Evangelium hinein - betrachte das Leiden und Sterben, auch das heilige Leben Jesu. Du bist der, welcher ihn gegeißelt, du hast ihm die Nägel durch seine Hände geschlagen, in's Angesicht gespieen u. s. w. Ach siehe dieß GOttesbild! Welche Demuth, Niedrigkeit, Stille, Sanftmuth, Liebe gegen die Feinde; gegen dieß bist du mit aller deiner Frömmigkeit ein häßlicher Teufel, stolz, aufgeblasen, frech, ruhmredig. - Siehe der Allerheiligste hängt da, als der allergrößte Sünder - und du willst dich rechtfertigen! Er ist unter die Uebelthäter gerechnet, und du willst dich nicht drunter rechnen! - Wie leichtsinnig hast du dir aus dieser und jener Sünde nichts gemacht, die doch JEsum an's Kreuz gebracht! - Wie undankbar bist du dem leidenden Heiland für sein Sterben gewesen, wie gering hast du es geschätzet! Bedenke deine Hurtigkeit, Unglauben, Heuchelei gegen ihn. Du lassest JEsum sterben, umsonst für dich sterben: und hast ohne ihn so hin gelebt, und seine Gnade nicht ernstlich gesucht.
Eben derselbe in der Verherrlichung Christi in seinem theuern und unschätzbaren Blut. 2. Abth. l. Kap.
Aus dem Leiden Jesu kann uns die Größe unsers Sünden-Elends recht in's Herz leuchten; denn, weil der HErr JEsus den Sündern, welchen alles fehlt (Rom. 3, 23.), sein theures Blut zu ihrem Schatz gegeben, daß sie darin alles, ihre (geistliche) Kleidung, Nahrung, Freistadt, Kraft, Trost, Ruhe und Seligkeit haben sollen, so müssen sie es ja nöthig und an ihnen selbst sonst nichts haben. Soll's ihnen zum Kleid dienen, so müssen sie sich an ihrer Seele nackend und blos vor GOtt erkennen. Soll's ihre Gerechtigkeit seyn, so müssen sie keine eigene haben, damit sie vor GOtt auszukommen gedenken - denn die eigene Gerechtigkeit ist wider die Gerechtigkeit Christi Rom. 10,3. und wider den lebendigen Glauben, und bestehet eben darin, daß man im Unglauben auf andere Dinge, äußerliche und an sich löbliche Werke, besonders eigene Frömmigkeit und Heiligkeit (daß man wenig Böses und viel Gutes thue Luc. 18,11.), im Herzen rechnet und bauet, darin seine Ruhe suchet, darauf vertrauet, daraus einen Grund macht, warum uns GOtt werde gnädig seyn, und warum man dort einmal durchzukommen und selig zu werden hoffe; welches dann ein offenbares Merkmal ist, daß einem JEsus und sein blutiger Tod nicht wahrhaftig über alles nöthig, unentbehrlich und wichtig worden, in solchem Zustand auch, und wenn man so bleibt, nicht unentbehrlich und über alles wichtig seyn kann.
Gebet.
Heiliger Vater! Mein gegenwärtiges Leiden kommt von dir. Decke mir bei demselben das tiefe Verderben meiner Seele auf. Ich weiß überhaupt wohl, daß ich ein armer Sünder sei, und habe solches in der Beicht oft gesagt, fühle aber doch in mir die Traurigkeit, Schaam und Reue noch nicht, die ich fühlen sollte. Ja ich kenne mich selbst noch nicht genug. So sende denn dein Licht in meine Seele, und decke mir durch dasselbe meinen Zustand noch weiter auf. Lasse dein heiliges Gesetz seine Wirkung bei mir haben, und mir zur Erkenntniß meiner Sünden helfen. Ach es strafe stets dein Geist, was er an mir Sündliches weiß, daß ich auch aus diesem Werke deine Lieb' und Gunst vermerke. Bewahre mich vor Leichtsinn, Sicherheit und falschem Trost. Hilf mir, daß ich recht und gründlich bekehrt werde, ja hilf mir, daß ich in der Buße tief grabe, und als ein kluger Mensch mein Christenthum nicht auf den Sand der eiteln Einbildung, sondern auf Christum als den Fels baue; damit es in den bevorstehenden Versuchungen, ja in der letzten Todesnoth fest stehe und nicht falle. Bewahre mich, daß ich nicht unter denjenigen erfunden werde, die sich dünken lassen, sie seien etwas, wo sie doch nichts sind, und sich also selbst betrügen. Ach du bist treu, und meinest es gut mit allen Menschen. Ich übergebe mich nun in deine treue Vorsorge. Wirke in mir, was zum Heil meiner Seligkeit nöthig ist. Bearbeite mich nach deinem Wohlgefallen, daß ich ein Gefäß der Herrlichkeit dir zur Ehre werde. Ersetze mir den leiblichen Schmerz und Schaden durch geistliche Gaben, und da ich bisher dein geistlich todter und verlorner Sohn (Tochter) gewesen bin: so hilf mir von nun an durch den Reichthum deiner Gnade dazu, daß es von mir heißen könne: dieser mein Sohn (Tochter) war todt, und ist wieder lebendig worden: Er (Sie) war verloren, und ist gefunden worden. Thue dieses um deines Namens willen. Amen.
1. HErr ich fühle deine Schläge,
Deinen Zorn empfinde ich.
Ich betrachte meine Wege,
Und verklage selber mich.
Thörlich habe ich gehandelt,
Uebels habe ich gethan,
Ohne Licht Hab ich gewandelt,
Wie ich Dir nicht läugnen kann.
2. Dir Hab' ich mein Herz entzogen,
Dich geflohen und gehaßt,
Gift und Koth dir vorgezogen,
Und mein bestes Gut verpraßt.
Ich, den dein Gesetz verfluchet,
Und der eig'ne Gram geplagt,
Habe, da ich Glück gesuchet,
Einem Schatten nachgejagt.
3. Nun du willst den Tod der Sünder
Guter GOtt und Vater nicht,
Hältst jetzt über Adams Kinder
Noch ein gnädiges Gericht.
Schiltest sie zu ihrem Segen,
Strafst sie mit Gelindigkeit.
Auf die Hitze folgt ein Regen,
Fried und Freude auf das Leid.
4. Komm, durchsuche und durchscheine
Großes Licht mein ganzes Herz.
Prüf, erfahre, wie ich's meine,
Lüste seien jetzt mein Schmerz,
Zorn und Hochmuth meine Schande,
Geiz und Rachgier Meine Last.
Ach wie schwer sind meine Bande!
Nirgends find ich eine Rast.
5. Jahre Hab' ich seit der Kindheit
Außer Christo zugebracht,
Und dabei in meiner Blindheit
Dennoch Guts von mir gedacht.
Fließet nun ihr meine Thränen
(Freunde stört und scheltet nicht),
Denn nach Gnade mich zu sehnen
Ist jetzt meine große Pflicht.
6. Gnade kann allein mich retten
(Und sie ist auch mein Gesuch),
Gnade löset meine Ketten,
Und befreiet mich vom Fluch.
Gnade kann mir neues Leben,
Ruhe, Freude, Kraft und Licht,
Freiheit, Sieg und alles geben.
HErr versag mir Gnade nicht!
7. Ja weil du der Menschen Plagen
Und der Sünden schwere Last
Als das GOttes-Lamm getragen,
Und dich selbst geopfert hast:
So vergib mir meine Sünden,
Denk an mich auf deinem Thron,
Laß in dir mich Frieden finden,
Sage: sei getrost mein Sohn.
8. Sei mein Licht, mein Weg, mein Leben,
Herrsche königlich in mir.
Weil du dich für mich gegeben,
So ergebe ich mich dir,
Führe mich auf deinem Pfade,
Bilde mich nach deinem Sinn,
Bis ich einst zum Ruhm der Gnade
Ganz vergnügt und herrlich bin.