Quandt, Emil - Vom Frieden - III. Der Herzensfriede.

Quandt, Emil - Vom Frieden - III. Der Herzensfriede.

Unter Allem, was auf Erden mit dem schönen Namen des Friedens genannt wird, ist der Herzensfriede der köstlichste und preisenswerteste. Kleiner als das Land, ist das Haus, und kleiner als das Haus ist das Herz; aber größer als der Landfriede ist der Hausfriede, und größer als der Hausfriede ist der Herzensfriede. Es ist aber der Herzensfriede der selige Zustand eines begnadigten Sünders, da derselbe im tiefsten persönlichen Lebensgrund versöhnt ist mit seinem Gott.

Diesen Frieden, den Frieden des Menschenherzens mit Gott, meint die heilige Schrift, besonders aber das neue Testament, an den allermeisten Stellen, wo sie vom Frieden redet. Diesen Frieden hat der hohe priesterliche Segensspruch im Sinn, wenn er schließt: Der HErr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden! Diesen Frieden meinten die Engel Gottes, da sie in der heiligen Nacht auf dem Gefilde Bethlehems fangen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden. Dieser Frieden meinte JEsus Christus, wenn er seine Jünger grüßte und sie Andere grüßen lehrte mit dem Gruß: Friede sei mit euch! und wenn er, sein Testament machend, milde und feierlich sprach: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Diesen Frieden der Seele meinten die heiligen Apostel, wenn sie von dem Heiland zeugten: hat Frieden gemacht durch sein Blut; wenn sie in Worten der Entzückung predigten von einem Frieden, welcher höher sei als alle Vernunft; wenn sie den Gemeinden, an die sie ihre Episteln schrieben, vor Allem Gnade und Frieden wünschten.

Dieser Friede, der Friede des Menschenherzens mit Gott und in Gott, ist es auch, von dem in tausend süßen Liedern die Nachtigallen der Kirche, die frommen Sänger, singen. Es sei hier nur Ein Vers genannt statt vieler: „Friede, ach Friede, ach göttlicher Friede vom Vater durch Christum im heiligen Geist, welcher der Frommen Herz, Sinn und Gemüte in Christo zum ewigen Leben aufschleußt, den sollen die gläubigen Seelen erlangen, die Alles verleugnen und JEsu anhangen.“

Es lebte einmal im fernen Süden, in Hindostan, ein vornehmer und reicher heidnischer Herr, der keinen Frieden hatte. All sein Gold und all seine Ehre ersetzten ihm den Mangel des Friedens nicht; je länger, desto unbehaglicher wurde ihm das hölzerne Leben in seinen goldenen Palästen. Er sehnte sich in glühend heißer Sehnsucht nach Frieden seiner Seele. So rief er denn seine Priester zusammen und fragte sie: Was muss ich tun, dass ich den Frieden erlange? Du musst, ward ihm zur Antwort, dir deine Sünden im Wasser des heiligen Ganges abwaschen. Er reiste mit seinen Sünden zum Ganges und tauchte sich mit seinen Sünden ins Wasser, aber er brachte seine Sünden wieder mit heraus aus dem Wasser, und der Friede war seinem Herzen ferner als je. Er rief die Priester abermals zusammen und fragte: Was muss ich tun, dass ich den Frieden erlange? Sie diktierten ihm eine Wallfahrt nach, einem entlegenen Götzentempel. Der friedelose und doch so friedenssehnsüchtige Mann wandert 150 Stunden durch brennenden Sand, er erreicht den Tempel, aber er verlässt ihn so elend als er gekommen war; er hätte den Frieden so gerne, doch der Frieden bleibt ferne. Da sammelt er zum dritten Mal die Priester um sich und frägt sie zum dritten Mal mit tiefem Seufzen: Was muss ich tun, dass ich den Frieden erlange? Da erklären sie ihn für einen ganz absonderlichen Sünder, dem eine ganz absonderliche Buße not sei, und geben ihm auf, er solle durch seine Sohlen spitze Nägel schlagen, sie anlegen, dann einen schweren Block auf seine Schultern nehmen und so 50 Stunden weit gehen; es sei das eine harte Buße, aber sie allein könne und werde ihm helfen und ihm Frieden ins Herz bringen. Der Ärmste macht sich in Nägelschuhen mit Zentnerlast auf dem Rücken auf den Weg; er geht sich müde, er geht sich, matt, er leidet unter den entsetzlichsten Qualen, doch sein Bemühen ist umsonst, kein Friede kommt in seine Brust. Zwanzig Stunden weit ist er gegangen, da kommt er in ein Dorf und sieht eine große Versammlung von Menschen, denen ein fremder Mann predigt. Es war ein Missionar. Er verkündigt seinen heidnischen Brüdern, dass Jesus Christus ist das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt, und dass Er Allen, welche an ihn glauben, Frieden für ihre Seelen erteile. Da streift der Hindu seine Nägelschuhe von den Füßen, da wirft er den schweren Block bei Seite, da ruft er wie ein Träumender jauchzend unter die Menge: Der Mann am Kreuz, der ist's, der mir helfen kann; der ist's, den ich suche; an ihn will ich glauben, Ihm will ich folgen, so hab' ich Frieden mein Lebelang. Und er ward gläubig an das Lamm Gottes, ließ sich unterweisen im Evangelio ward getauft in JEsu Namen und voll Frieden und Freude sein Lebelang.

Diese Geschichte steht nicht geschrieben auf den Blättern der Bibel, sondern auf den Blättern der Mission; aber sie hat das gemein mit den biblischen Geschichten, dass, was sie von Einem Herzen erzählt, das innerste Wesen aller Herzen trifft. Wie jener Mann in Hindostan, so sind wir alle: wir haben alle von Natur keinen Herzensfrieden, und uns allen kann keine Freude dieser Welt den Mangel an Frieden ersetzen; wir sehnen und alle im tiefsten Grunde nach Frieden, aber kein eignes Tun und keine noch so herbe Büßung kann irgend wem von uns den Frieden geben. JEsus Christus aber hat uns allen den Frieden erworben durch, sein Blut, damit, dass er unser aller Sünde getragen und gesühnt hat, und wir alle empfangen aus seinen durchgrabenen Händen den Frieden, wenn wir alles Andere lassen und uns Ihm im Glauben ergeben.

Wie jener Mann in Hindostan, so sind wir alle, wir haben alle von Natur keinen Frieden. Denn wir sind alle Sünder von Natur, in Sünden empfangen, in Sünden geboren, mit Sünden beladen von Kindesbeinen an, als Sünder aber sind wir los von Gott, und da Gott nicht ein Gott ist, dem gottlos Wesen gefällt, so sind wir Kinder des Zorns und haben keinen Frieden mit Gott. Der Mensch kämpft gegen Gott mit Sündigen, Murren und Auflehnen, Gott kämpft gegen den Menschen mit schweren Züchtigungen und Demütigungen. Dieser Kriegszustand, in welchem sich jeder natürliche Mensch seinem Gott und Schöpfer gegenüber befindet, ist tausendmal fürchterlicher, als Krieg und Kriegsgeschrei in Land, als Fehde und Zwietracht im Haus. Was sind alle Donner der Schlachten, was ist alles Grollen in einem zwieträchtigen Haus gegen das rollende Ungewitter des Zornes des lebendigen Gottes, das fort und fort über dem Haupt der unversöhnten Sünder schwebt, das schon hier mit grellen, zuckenden Blitzen durch das dunkle Leben fährt und das am jüngsten Tage mit zerschmetternder Gewalt sich entladen wird? Und was will der verzweifeltste Kampf eines Schwächeren gegen den Stärkeren besagen gegenüber dem Murren und Auflehnen des Staubes vom Staube gegen den Gott der Majestät und der Allmacht, wie es sich bei allen natürlichen Menschen findet? Wenn irgend ein Kampf mit ungleichen Waffen geführt wird, so ist es der Kampf des Sünders gegen Gott; wenn irgend einem Kampf ein jammervoller Ausgang gewiss ist, so ist es dieser Kampf der gefallenen Kreatur gegen ihren Schöpfer.

Wie jener Mann von Hindostan, so sind wir alle: keine Freude dieser Welt kann uns den Mangel an Frieden ersetzen. Der Sünder kann versuchen, sich, über das grenzenlose Elend des Kriegszustandes, in welchem sich seine Seele Gott gegenüber befindet, zu trösten durch Jagen und Haschen nach den Genüssen dieser Erde. Er kann sich zu betäuben suchen durch die gemeinen Genüsse des Essens und des Trinkens, des Freiens und Sichfreienlassens, er kann dem Jammer seiner Seele zu entfliehen suchen durchs Hingabe an die edleren Genüsse der Kunst und Wissenschaft. Er kann in wahnsinnigem Trotz leugnen, dass es einen Gott gibt, und leugnen, dass es eine Seele gibt, und leugnen, dass es eine Feindschaft gibt zwischen Gott und der Seele, kann sich ganz in das leibliche Leben zurückziehen und kann mit seinem leiblichen Leben sich in alle Wonne dieser Welt bis auf den tiefsten Grund untertauchen. Vergebliche Mühe! Es geht früher oder später Jedem, wie dem Mann von Hindostan. Aller Glanz dieser Welt schließt die klaffenden Wunden nicht, die der Kriegszustand wider Gott mit sich bringt. Und wär's auch erst in der Sterbestunde, einmal wenigstens erwacht jede Seele im Leben und zittert unter dem Fluch des Gesetzes und bebt unter den Anklagen des Gewissens und schreit laut auf unter der Furcht des zeitlichen und des ewigen Todes.

Und wie kein Menschenherz den Albdruck des Unfriedens los wird, so wird auch kein Menschenherz die Sehnsucht los, die Sehnsucht nach Frieden. Alles Hämmern und Klopfen des lautesten Lebens kann das Hämmern und Klopfen des Herzens nicht übertäuben, das in allertiefstem Wehe nach Versöhnung mit seinem Gott sich sehnt. „Es klopft dein Herz den ganzen Tag, was es nur meinen und sagen mag? Es pocht dein Herz die ganze Nacht; Mensch, hast du das schon bedacht? Und pocht's so lang, oft laut, oft still, hast du gefragt, was es doch will?“ Den Frieden will es, den verscherzten, verlorenen Frieden mit Gott will es wieder haben. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit jede Seele, Gott, zu dir; jede Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott; wann wird sie dahin kommen, dass sie Gottes Angesicht in Frieden schaut? Das größte deutsche Weltkind, das einmal im Übermut erklärte, es müsse nach seiner ganzen Natur die Hilfe eines gekreuzigten Heilandes ablehnen, ein Mann, reich an Geld und Ehre, an Geist und Gemüt; ein Mann, mit allen Lorbeeren dieser Welt überschüttet Wolfgang Goethe - hat doch in einsamer Nacht voll Wehmut zum Himmel hinauf geklagt:

Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde,
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!

Von diesem Seufzer der Sehnsucht ist nur ein kleiner Schritt noch bis zu der Frage des Mannes von Hindostan: Was muss ich tun, dass ich den Frieden erlange? Nicht alle dringen vor bis zu dieser Frage; die Meisten bleiben im Seufzen stecken und kommen nicht zum Siegen und den Frieden. Aber auch nicht alle, die da fragen: Was muss ich tun, dass ich den Frieden erlange? auch sie kommen nicht alle zum Frieden. Viele werden, so sagt der Sohn Gottes, viele werden darnach trachten, wie sie hinein kommen und werden es nicht tun können. So lange ein Mensch den Frieden des Herzens zu erlangen trachtet durch eigene Tat und Büßung, wie jener Mann von Hindostan, so lange erlangt er ihn nicht. Oder was erlangen diejenigen denn, die durch äußerliche Ehrbarkeit ein gutes Gewissen zu erjagen suchen und durch das gute Gewissen ein sanftes Ruhekissen? Können sie durch alle ihre menschliche Liebenswürdigkeit, durch alle ihre löbliche Redlichkeit, durch Gutmütigkeit und Barmherzigkeit auch den Wurm töten, der in ihrem Gewissen nagt? Dessen unausgesetztes, unheimliches Bohren jedem Sünder eine fieberhafte Unruhe ins Gebein gießt? Nein, und wenn man sich wie jener Pharisäer in den Tempel stellen könnte und könnte seine Tugenden mit der Elle messen und könnte Gott danken, dass man nicht wäre, wie andre Leute ist nicht ein solches Gebaren selber wieder ein offener Akt der Feindschaft wider Gott, der den hoffärtigen in Ewigkeit widersteht? Und wenn man's besser und anders macht, als der Pharisäer, wenn man nicht bloß äußerlich, wenn man auch innerlich und in aller Demut danach ringt, abzutun, was den heiligen Augen des Allerhöchsten an uns ein Gräuel ist, dann, ja dann gerade wird man sich nur tiefer und immer tiefer in den Unfrieden hinein arbeiten, wie der Maulwurf in die Erde, denn man wird, je länger man redlich ringt, desto mehr mit Schrecken inne werden, wie ungeheuer der Abstand ist zwischen dem, was Gott in seinem Gesetz fordert, und dem, was ein sündiger Mensch in der Tat und Wahrheit leistet. Es hat Niemand unter uns Deutschen dies heiße Ringen und Arbeiten nach Frieden mit Gott in so gewaltiger Weise durchgemacht und durchgelebt, als Dr. Luther. „Ist je ein Mönch gen Himmel kommen durch Möncherei, so konnte er später von sich selber sagen, so wollte ich auch hineinkommen sein. Das werden mir zeugen alle meine Klostergesellen, die mich gekannt haben; denn ich hätte mich, wo es länger gewährt hätte, zu Tode gemartert, mit Wachen, mit Beten, Lesen und anderer Arbeit.“ Er mattete seinen Leib, nur um Frieden mit Gott zu erlangen, durch Fasten und Wachen in grausamer Art ab und beobachtete die Gelübde, die er gelobt hatte, mit dem höchsten Fleiß bei Tag und Nacht, und meinte, er würde auf diese Weise dem Gesetz ein Genüge tun und sein Gewissen vor dem Stecken des Treibers befriedigen. Es hatte denn auch wirklich sein Leben vor der Leute Augen einen großen Schein, nur nicht vor seinen eigenen Augen, noch weniger vor Gottes Augen. Mit allem, noch so ernstlichem Kasteien und Zermartern konnte er doch nicht den Frieden gewinnen, sondern fiel aus einer Melancholie und Betrübnis in die andere.

Nur Einer ist, der dem Kriegszustand zwischen Mensch und Gott ein Ende macht und dem Herzen den Frieden schenkt, nach dem es sich sehnt: das ist der, der jenem Mann von Hindostan gepredigt ward als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde getragen, das ist JEsus Christus. von ihm hatten die Propheten geweissagt: Er heißt Friedefürst! Von ihm haben die Apostel gezeugt: Er ist unser Friede! von ihm singt die Kirche : O HErr JEsu, dein Nahesein bringt süßen Frieden in's Herz hinein!

Dieser JEsus Christus, da er, Gott geoffenbart im Fleisch, in den Tagen seines Fleisches auf Erden wandelte, trug den Frieden mit sich, wo er auch immer ging und stand. Wo wir ihn auch finden, in der Krippe oder am Kreuz, unter Fischern oder Zöllnern oder unter Pharisäern und Sadduzäern, in der Stille Betaniens oder auf dem von Stürmen bewegten See Genezareth, im Gespräch mit der Ehebrecherin oder im Gespräch mit Pontius Pilatus - immer zeigt er dieselbe erhabene Ruhe, immer denselben unerschütterlichen Frieden. Denn immer wusste er sich als der Sohn des göttlichen Wohlgefallens eins mit dem Vater im Himmel, immer ruhte sein Herz in der ungetrübten Liebe Gottes, immer war sein Wille dem Willen Gottes ergeben. Friede leuchtete aus seinem Auge, Friede sprach sich aus in seinen Worten, Friede bekundete sich in allem seinem Tun und Lassen. Und diesen seinen Frieden hat er auch uns vermittelt durch den Sühnetod, den er für uns gestorben ist. Auf Golgatha hat er durch sein eignes Blut die große Sühne für die sündige Menschheit geleistet; da hat er für uns genug getan und durch seinen stellvertretenden Tod eine ewige Gerechtigkeit für alle Sünder erworben, dass nun unsere Schuld bezahlt, unsere Sünde vergeben ist, dass nun auch unser Herz, durch ihn gerecht geworden, ruhen kann in der Liebe Gottes ohne Furcht und Scheu.

Nämlich, wenn wir im Glauben das Verdienst Christi ergreifen, wie jener Mann von Hindostan getan hat. Der Glaube umfasst die von Christo uns erworbene Gerechtigkeit, und sind wir gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern HErrn JEsum Christum. Denn der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Gerechtigkeit Nutzen wird ewige Stille und Sicherheit sein. In demselben Augenblick, da der Sünder im Glauben Christum ergreift, wird ihm die Gerechtigkeit Christi zugerechnet und er damit aus dem Kriegszustand in den Zustand des Friedens mit Gott versetzt. Dr. Luther hat diesen durch katholische Irrlehre Jahrhunderte lang verschüttet gewesenen Weg zum Frieden wieder gefunden und ist im Glauben an die Vergebung der Sünden in JEsu Blut und Wunden ein friedevoller, fröhlicher Mensch geworden. Er hat aber seinen seligen Fund nicht für sich behalten, sondern hat die Lehre von der Rechtfertigung und Friedeerfüllung des Sünders allein durch den Glauben an JEsum mit lautem Schall in die Welt hineingepredigt, und ist also durch Gottes Barmherzigkeit unsere teure evangelische Kirche erwachsen als die von Gott verordnete Wegweiserin der Menschheit zum Frieden in JEsu Christo. Tausend und aber tausend Zeugnisse aus der evangelischen Christenheit bekunden, dass die evangelische Lehre die rechte, heilsame Lehre vom Herzensfrieden ist. Darum lasst uns denn festhalten an dem Bekenntnis unserer Väter, nämlich, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben und durch die Glaubensgerechtigkeit zum Frieden komme; lasst uns aber auch vor Allem selber tun, was wir bekennen, nämlich von ganzem Herzen glauben an den HErrn JEsum Christum, so werden wir Ruhe finden für unsere Seelen.

Wenn wir nun aber in JEsu Christo den Frieden mit Gott gefunden haben, nach dem unser Herz verlangt; wenn der Staub unserer Sünden, den das Gesetz aufwirbelte, durch die Besprengung des Blutes Christi niedergeschlagen ist; wenn wir fröhlich und selig sind im tiefsten Herzen, wie der gläubig gewordene Mann von Hindostan; wenn wir im Glauben singen können: „Ich hatte nichts als Zorn verdient und soll bei Gott in Gnaden sein, Gott hat mich mit sich selbst versühnt und macht durchs Blut des Sohns mich rein, wo kam dies her, warum geschiehts? Erbarmung ist's und weiter nichts“: so dürfen wir doch nicht meinen, dass alle Fehde nun ein Ende habe; nein, erst in der seligen Ewigkeit wohnt Friede ohne Kampf - unter dieser Sonne muss der Mensch immer im Kampf sein. Ist die Fehde mit Gott zum fröhlichen, seligen Ende geführt, beginnt eine neue Fehde, die Fehde mit Gottes und der Seele Feinden.

Gerade die Kinder des Friedens, die durch JEsum Christ mit Gott versöhnten Menschen, werden von der Schrift in unzähligen Stellen aufgefordert, einen guten Kampf zu kämpfen, durch Geduld zu laufen in dem Kampf, der ihnen verordnet ist, gute Streiter Christi zu sein und bis auf's Blut zu widerstehen über dem Kämpfen. Aber dieser neue Kampf nach dem Frieden Gottes ist ein gar anderer, edlerer, als der Kampf des ungläubigen Sünders mit Gott im Himmel vor dem Frieden mit Gott. Der alte Kampf des Sünders wider Gott ist ein ebenso frevelhafter als verzweifelter Angriffskrieg, der Kampf des friedeerfüllten Glaubensmenschen wider die Feinde Gottes ist ein ehrenvoller Verteidigungskrieg; dazu ein Krieg, dem der Sieg vorher gewiss ist.

Der Teufel, die Welt und das Fleisch, das sind die drei mächtigen Feinde Gottes, die sobald eine Seele in der Friedensbund Gottes aufgenommen ist, alsbald auch gegen die Seele streiten. So lange die Seele selber im Kriegszustand gegen Gott war, waren Teufel, Welt und Fleisch der Seele willige und ergebene Bundesgenossen. Aber diese alte Bundesgenossenschaft verwandelt sich in die bitterste Feindschaft, wenn die Seele im Glauben an JEsum Christ Gottes Freundin geworden ist.

Dann tritt der Teufel an sie heran als ein brüllender Löwe mit großer Macht, als eine Schlange mit vieler List, um sie zu betören, zu verblenden und zu bezaubern, dass er sie in sein Netz zurücklocke. Das hat St. Paulus, der Apostel, der am köstlichsten vom Frieden des Herzens mit Gott durch JEsum Christum gezeugt hat, am empfindlichsten erfahren und aus seiner Erfahrung heraus bekannt: Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Desgleichen Dr. Martin Luther, nachdem er im Glauben an Christi Blut und Wunden Versöhnung und Frieden gefunden hatte und eine Friedens-Posaune Gottes für die ganze Welt geworden war, wie ist er angefochten worden von dem bösen Feind! „Der Bösewicht will mir Alles verkehren, schreibt er einmal; wenn er mich müßig findet, macht er mir ein Gewissen, als habe ich Unrecht gelehrt. Nun ich will nicht leugnen, mir wird oft angst und bange darüber; sobald ich aber das Wort ergreife, habe ich gewonnen.“ Und ähnlich ist es allen Heiligen Gottes ergangen und geht noch heute also; alle Schwermut und Traurigkeit bei gläubigen Leuten rührt vom bösen Feind her, sonderlich, wenn ihnen, sei es mitten im Leben, sei es im letzten Stündlein, die schweren Gedanken kommen, als wolle sich Gott ihrer nicht erbarmen, sondern sie in ihren Sünden sterben lassen.

Nicht minder stürmisch erhebt sich die Welt gegen die Seele, wenn sie den Frieden mit Gott im Glauben an die rechtfertigende Gnade Gottes in JEsu Christi erlangt hat. Der ganze Haufe der Menschen, die JEsum nicht kennen, nicht lieben, nicht ehren, braust ebenso feindlich gegen die gläubige Seele auf, als er zuvor freundlich gegen die ungläubige Seele war.

In vergangenen Jahrhunderten verfolgte die Welt die Kinder des Friedens mit Feuer und Schwert, tausende von Märtyrern sind dessen Zeugnis; heutzutage, wo die Welt feiner, aber nicht reiner geworden ist, begnügt sie sich auf Alles, was gläubig ist, das schmutzige Wasser ihres Spottes, Witzes und Hohnes auszugießen. Aber diese moderne Kriegführung der Welt gegen den Glauben ist fast gefährlicher, als die alte, und hat schon manches unbefestigte Herz niedergeschlagen.

Der dritte Feind Gottes und der Seele ist das eigene Fleisch und Blut im Menschen, ein Verräter innerhalb der Festung des Herzens. Ein geheimer Artikel bei dem Friedensschluss zwischen Gott und Mensch lautet: das Fleisch muss täglich gekreuzigt werden. Gegen solche tägliche Kreuzigung aber bäumt sich das Fleisch wild auf und will's nicht leiden. Es geht der Natur gar sauer ein, sich immerdar in Christi Tod zu geben; und ist hier gleich ein Kampf wohl ausgericht't, das macht's noch nicht, das macht's noch nicht. Die heilige Schrift ist voll von ergreifenden Bekenntnissen gläubiger Menschen über den Widerstreit zwischen Fleisch und Geist in ihrem Innern; am unvergleichlichsten sind die Erfahrungen des Kampfes einer gläubigen Menschenseele, die das Gute will, gegen das Fleisch, das das Böse will, im siebenten Kapitel des Römerbriefes ausgesprochen.

So lange die Kinder des Friedens, die Leute mit versöhntem Gott und versöhntem Herzen, auf Erden wallen, müssen sie den Kampf mit den drei großen Feinden aufnehmen. Aber man muss deswegen nicht einen fürchterlichen Eindruck von der Schwierigkeit des Christentums bekommen, als ob der erlangte Friede mit Gott erst recht in den Unfrieden und in endlosen Streit hinein führe. Denn einmal steht uns in dem Kampf gegen die mächtigen Feinde unserer Seele als treuer Alliierter der allmächtige Gott zur Seite und mit unserem Gott können wir über Mauern springen. „Ist Gott für mich, so trete gleich Alles wider mich; so oft ich sing' und bete, weicht Alles hinter sich; hab' ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott, was kann mir tun der Feinde und Widersacher Spott?“ Auch umgeben uns große Scharen heiliger Engel in dem Kampf, als die da ausgesandt sind zum Dienst um derer willen, die da ererben sollen die ewige Seligkeit. Auch stehen wir zusammen mit allen Gläubigen der streitenden Kirche; so sind derer, die mit uns sind, viel mehr, als derer, die wider uns sind; Gemeinschaft aber macht stark. Sodann haben wir einen gewaltigen Schild, an dem alle feurige Pfeile der Feinde abprallen, so oft mir ihn nur erheben; das ist der Glaube. Man muss nur nicht den Frieden des Herzens auf Rührungen und flüchtige Empfindungen von der Gnade Gottes - das sind keine Schilde, die halten nichts ab -, sondern allein auf den Glauben: der feste Glaubensblick in das Herz Gottes, mit dem ich durch JEsu Blut versöhnt bin, schlägt alle Angriffe des Teufels, der Welt, des Fleisches nieder. Sodann sind selbst Niederlagen in diesem Kampf nur zeitweilige, man hat eben den Schild des Glaubens einmal nicht rechtzeitig benutzt, aber man steht im Glauben wieder auf und wird in Zukunft desto vorsichtiger; dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen. Ferner hat der Kampf mit den Widersachern der begnadigten Seele auch seine Unterbrechungen, da die Seele einfach und still im Frieden Gottes ruht und sich sammelt; das sind die Stunden der Erquickung vom HErrn, sonderlich an den Feiertagen, da man mit anderen erlösten Seelen oder auch einsam vor seinem Gott anbetend und gesegnet feiert. Endlich der letzte Ausgang des Kampfes entschädigt in überschwänglicher Weise für alle Mühen und Unruhen; denn wer bis an's Ende im Glauben beharrt und im Glauben kämpft, wird gekrönt mit dem ewigen Frieden des Sabbats Gottes.

So hängt denn also der Herzensfriede, seine Erlangung, seine Bewahrung für den Menschen ganz und gar am Glauben. Im Glauben an JEsu Blut und Wunden treten wir ein in den Frieden mit Gott; in demselben Glauben bewahren wir uns den Frieden, da Gott mit uns zufrieden ist um Christi willen, bewahren ihn uns auch dann, wenn dunkle Zeiten kommen, in denen wir angefochten werden, als wären wir mit unserm Gott nicht zufrieden. Wer des Friedens mit Gott in Zeit und Ewigkeit unter allen Umständen teilhaftig werden und bleiben will, der übe sich im Glauben; der Glaube aber kommt aus der Predigt. Darum ist das tägliche Versenken in Gottes Wort und Evangelium, das fleißige Hören und Bewegen der Predigt vom Kreuz das einfachste und beste Mittel, den Herzensfrieden zu erlangen und zu bewahren. Und der Glaube wird gestärkt durch die Sakramente. Darum ist ein fleißiger und andächtiger Genuss des hochwürdigen Nachtmahls das beste Mittel, des Herzensfriedens gewiss zu bleiben, allen Feinden Trotz zu bieten und ohne Kümmernis zu sterben.

Ein treuer Zeuge JEsu Christi hatte, um sich den Frieden des Herzens mit seinem Gott zu erhalten, für den Glauben an JEsum Christum Alles, auch seine Pfarrstelle, eingesetzt. Um seines Glaubens willen war er von Amt und Heimat verjagt und irrte am Abend seines Lebens im Auslande umher. „Und wurde es dir nicht schwer,“ ward einst der Greis gefragt, „so in's Ungewisse hinauszuwandern?“ „Nein,“ war die Antwort, „ich dachte an den Vogel, der auf einem Zweig sitzt und singt, und nach dem die Buben werfen, er fliegt auf einen anderen Baum und singt sein Lied auf einem anderen Zweig weiter.“ Wohl dem Menschen, der in solchem Glauben steht, er hat den Frieden JEsu im Herzen, und behält ihn, dass nicht Not, nicht Tod ihm denselben rauben können. Gott schenke auch uns solchen Glauben und bewahre uns denselben bis an's Ende, so wollen auch wir, wenn ein Baum dieses Lebens nach dem anderen uns genommen wird, gelassen von einem Zweig zum anderen fliegen und unsere Lieder singen, bis endlich auch der letzte Baum sinkt und das letzte Zweiglein bricht, auf dem wir sitzen: dann tut der große Gott des Friedens das Fenster seines Himmels auf und zieht das auf Erden müde gejagte Vöglein mit seiner Hand in seinen goldenen Saal, da singt es dann weiter in Ewigkeit, und Cherubim und Seraphim schlagen dazu ihre Harfen: „Ein Wohlgefall'n Gott an uns hat; nun ist groß Fried' ohn' Unterlass, all' Fehd' hat nun ein Ende.“

Friede, Friede beide denen
In der Fern' und in der Näh',
Friede jedem bangen Sehnen,
Friede auch dem tiefsten Weh',
Friede, Friede strömt aus deinen
Heil'gen Wunden, o HErr Christ:
Selig, wer in dir, dem Einen,
Friedereich geworden ist!

Aber ohne Frieden wandern
Abgefallne durch die Welt;
Einer zieht in Streit den Andern
Rastlos, bis die Hülle fällt.
Friede, Friede, wann umfassen
Dich die Irrenden im Geist?
Selig, wer trotz Hohn und Hassen
Feinden JEsu Frieden preist!

Ohne Frieden schweift seit Alters
Israel von Ort zu Ort,
Ohne Klingen heil'gen Psalters,
Ohne HErrn und ohne Hort!
Friede, Friede, wann umarmen
Dich die Kinder Israels?
Selig ist, wer aus Erbarmen
Juda lockt zum JEsusfels!

Ohne Frieden in der Wüste
Leben Heiden ohne Zahl,
Leben in dem Traum der Lüste,
Sterben in der Not der Qual.
Friede, Friede, wann erglänzen
Deine Sterne nah und fern?
Selig, wer in Heidengrenzen
Zeugt vom Frieden unsers HErrn!

Amen.

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