Müller, Heinrich - Von der Liebe Jesu gegen die Armen
Leib und Schatten lassen sich nicht trennen.
Nichts ist so fest mit einander verbunden, das man nicht trennen könnte. Mann und Weib sind ein Fleisch, doch setzt sie eine Ehescheidung von einander; Leib und Seele machen einen Menschen, doch trennt sie der Tod. Was die Liebe zusammenknüpft, kann oft ein bloßer Argwohn auflösen. Moses floh vor seinem Stab, da er zur Schlange ward: ist mein Freund mir ein Stab, halt ich mich zu ihm; zieht er die Schlangenhaut an, ergreif ich die Flucht. Nur zwei Dinge sind, die sich nicht trennen lassen, Jesus und der arme Sünder. Ein redlicher Arzt verläßt den Kranken nicht, wo ihm noch zu helfen stehet. O Liebe! Wenn ich sündige, tret ich von Christo ab, im Zorn von seiner Sanftmuth, in der Hoffart von seiner Demuth. Aber er eilt mir immer nach. Willst du wissen warum? Der Sünder ist Christi Schatten. Kannst du auch den Schatten vom Leib trennen? Der Schatten flieht vor dem Leib, der Leib verfolgt den Schatten; ich kenne Jesum nicht in seinem Heil, drum flieh ich voran. Jesus kennt mich wohl in meiner Noth, drum folgt er mir nach; die Hölle suche ich, der Himmel folgt mir. Ich lache, Jesus weint. Wenn eins sein soll, will ich lieber, daß Jesus lache, und ich weine, so wird mein Weinen endlich auch zum Lachen, als daß Jesus weint, und ich lache, denn so muß ich gewiß nach dem Lachen weinen. Bin ich doch nicht besser, als mein Jesus. Wein ich, so lacht er; lach ich, so weint er. Drum will ich lieber weinen als lachen. Weint mein Jesus, will ich ihm die Thränen abwischen mit dem Tüchlein meiner Buße; hör ich auf zu sündigen, so hört er auf zu weinen; wein ich dann über meine Sünde, so wischt er mir die Thränen ab mit dem Tüchlein seines Trostes. Ach daß meine Augen Thränenquellen wären! Wie gern wollt ich, daß Jesus Tüchlein fein naß würde! Meine Thränen sind nur Wasser, Jesus färbt sie mit seinem Blut; ein Thränlein mit Jesu Blut durchröthet, ist köstlicher als die ganze Welt. Ich will gerne weinen über meine Sünde, denn mit meinen Thränen vereinigt der heil. Geist seine Seufzer; so manch Thränlein aus den Augen, so mancher Seufzer aus dem Herzen; da gehts denn: ach Gott! ach Jesus, erbarm dich; sei gnädig, Abba, Vater! Ach, ach! Sollt das Gottes Herz nicht rühren? Jesus ist mir nie näher, als wenn ich weine über meine Sunde. Der Wein erfreut dein Herz wenns matt ist, und meine Thränen laben Jesus Herz wenns traurig ist. Hast du Jesum verloren, du Gottesseele, suche ihn nirgends als bei einem traurigen Herzen, so findest du ihn gewiß.