Moser, Friedrich Carl - An einen Freund.

Moser, Friedrich Carl - An einen Freund.

Was ist eine Gemeine oder Kirche Jesu Christi? Das Wort, womit dieselbe in der Mundart des Neuen Testaments benennet wird, heißt nach dem gemeinen Sprachgebrauch überhaupt eine Versammlung gewisser Menschen. So wird die Rotte Korah, Dothan und Abiram (4. Mos. 16, 21) und das zusammengelaufene Volk zu Ephesus eine Gemeine genannt (Apg. 19, 14.) In juristischem Verstande ist eine Gemeine überhaupt eine Anzahl Menschen, die auf Befehl oder mit Einwilligung ihrer Obrigkeit in eine Gesellschaft treten, darin sie gewisse Rechte und Güter mit einander gemein haben, nach gewissen Ordnungen leben und dadurch auf gewisse Art ihren eigenen Nutzen und das Beste des gemeinen Wesens befördern wollen. Urtheilen Sie selbst, ob diese Begriffe nicht mit einander viel zu wenig sind, das Wesentliche einer Gemeine Christi (Gal. 1, 22) auszudrücken. Gefällt es Ihnen, so wollen wir den schriftmäßigen Begriff einer Gemeine Jesu Christi aus ihren ersten Ursprüngen aussuchen. Der Sohn Gottes kam ins Fleisch und wohnete unter uns (Joh. 1, 14), trug unsre Sünden (V. 29) und gab sein Leben in den Tod. Diese Genugthuung, welche er Gott erstattete, war nun zwar hinlänglich und gültig, die ganze Welt zu versöhnen. Weil aber Gott vorhersah, daß vielen Menschen nicht damit gedient, sondern ihnen lieber sein würde, entweder schlechterdings im Dienst der Sünden zu bleiben oder allerlei Versuche einer eigenen Genugthuung zu machen, so sollten nur die, welche die durch Jesum so theuer erworbene Gnade mit gläubigem Herzen annehmen, kraft seiner vollgültigen Erlösung von der Schuld, Strafe und Herrschaft der Sünde und ihrem Sold, dem Tode, frei werden (Joh. 3, 16. Röm. 6, 23.) Die Menge dieser erlöseten Seelen nun sollte die Belohnung unsers theuersten Erlösers für seine blutsaure Arbeit, und die Leute, die er aus seinem blutigen Kampf davonbringen würde (Jes. 53, 11. 12.), sein Kleinod, Leibgedinge, sein eignes Volk (Tit. 2, 14) sein. Er sollte sie nach allem Wohlgefallen seines Herzens bereiten und ausschmücken (Eph. 5, 27), und die mannigfaltige Weisheit Gottes zur Verwunderung der himmlischen Fürstenthümer und Herrschaften an ihnen offenbaren (Eph. 3, 10): er sollte ihr Haupt sein (Eph. 1, 22. 15, 23.), sie nähren und pflegen (Eph. 5, 29); sie hingegen zusammen sollten als Glieder einen Leib ausmachen (Col. 1, 18 rc.). Es sollte aber diese Gottesfamilie nicht durch leibliche Geburt und Abstammung fortgepflanzt werden, sondern die Vermehrung derselben sollte blos durch eine geistliche und göttliche Geburt geschehen (Joh. 1, 12. 13.) So lange nun der Sohn Gottes auf der Welt in Knechtsgestalt herumging, die Menschen zur wahren Sinnesänderung, Aufmerksamkeit auf die neu angehende Haushaltung Gottes und gläubige Annahme der guten Botschaft von ihrer Seligkeit aufzurufen und sich eine Anzahl von Dienern und Arbeitern zuzubereiten, so lange war die eigentliche Periode der Pflanzung der Kirche. Als er sein bitteres Leiden antreten wollte, ging sein einziges Bitten und Flehen bei seinem himmlischen Vater dahin, daß der gesammelte Anfang der künftigen Gemeine und alle die, welche durch ihr Wort glauben würden, eins sein möchten, und zwar auf eine so vollkommene, unzertrennliche, geheimnißvolle und zärtliche Weise, als er und der Vater (Joh. 17). Die Erhörung dieses hohepriesterlichen Gebets sollte nun in Erfüllung gehen, wenn Jesus erst gestorben sein würde. Da sollte die gepflanzte Kirche eine Hauptfrucht seines Sterbens werden. Denn Jesus sollte sterben für das Volk und nicht für das Volk allein, sondern daß er die Kinder Gottes, die zerstreuet waren, zusammen in Eins brächte (Joh. 11, 51. 52). Bei seiner Himmelfahrt befahl er seinen Jüngern in Jerusalem beisammen zu bleiben, bis der hl. Geist über sie ausgegossen werden würde (Apg. 1, 15). Sie blieben auch sammt den übrigen Gläubigen einmüthig bei einander mit Beten und Flehen (V. 14), bis die wundervolle Ausgießung des hl. Geistes erfolgte, c. 2. Diejenigen Seelen also, welche derselben theilhaftig wurden, waren der Anfang der gepflanzten Kirche, der Gemeine, welche Jesus durch sein eigen Blut erworben hatte (Apg. 20, 28.) Durch die kräftige Schutzrede des Petrus wurden selbigen Tages noch 3000 Seelen c 2, 41. und dann durch die mit vielen Wundern begleiteten Predigten der Apostel täglich mehrere solcher Seelen hinzugethan, welche wahrhaftig bekehrt und selig wurden (e. 2, 47; 5, 14). Diese Menge der Gläubigen nun war ein Herz und eine Seele, c. 4, 32. Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brodbrechen und im Gebet, c. 2, 42, und war große Gnade bei ihnen, c. 4, 33. Die Gemeinde baute sich und wandelte in der Furcht des Herrn und ward erfüllet mit Trost des hl. Geistes, c. 9, 31. mitten unter allen Trübsalen, deren willige Uebernahme unter die Grundartikel der Gemeine gehörte, c. 14, 22: wie denn durch die ganze Apostelgeschichte hindurch mit vielem Vergnügen anzumerken ist, daß nie einer Verfolgung und anderer Trübsal gedacht wird, wo nicht gleich darauf ein besonderer Segen in der Gemeine angeführt würde. In der Erkenntniß aller neutestamentlichen Wahrheiten waren die Gemeinden nicht gleich auf einmal vollkommen, sondern mußten darinnen wachsen, wie denn Petrus schon acht Jahre das Evangelium gepredigt hatte, als weder er noch die Gemeine einen völligen Aufschluß über den höchst wichtigen Artikel hatte, daß auch die Heiden Theil am Gnadenreich Jesu haben sogen, ohne daß sie erst zur jüdischen Kirche treten dürfen (Apg. 10, 11), auch die Gemeine zu Jerusalem wohl noch acht Jahre darnach lange unter sich nicht einig werden konnte, ob man die Brüder aus dem Heidenthum beschneiden und aus das Gesetz Mosis weisen sollte oder nicht (Apg. I5). Durch entstehende Unordnungen wurden sie darauf geführt, daß in einer Gemeinde hauptsächlich zweierlei Aemter nöthig, nehmlich erstlich solche, die mit dem Wort Gottes und Gebet, dann auch andere, die auf Besorgung leiblicher Angelegenheiten in der Gemeine gingen. Sie erachteten aber auch zur Almosenpflege nur Männer eines guten Gerüchts, voll hl. Geistes und Weisheit für erforderlich (Apg. 6).

Wo die Apostel Gemeinen pflanzten, setzten sie ihnen Aeltesten (c. 14, 23). Eine Gemeine nahm sich der andern durch milde Beisteuer an, wenn sie Noth litt (c 11, 29.). Wohingegen die Gemeinschaft aller Güter, welche die Gemeinde zu Jerusalem freiwillig eingeführet (c. 4, 32), ohne eines ihrer Mitglieder dazu zu nöthigen (c. 5, 4) keine allgemeine Gemein-Einrichtung war, wie auch aus vielen Stellen der apostolischen Briefe zu ersehen. Es schlichen sich zwar auch Heuchler und unlautere Seelen mit in die Gemeinen ein, wurden aber gar bald offenbar und mit großem Ernst aus dem Wege geschafft, c. 5, 8. Weil viele Brüder geborne Juden waren und unter den Juden wohnten, die jüdische Kirchen- und Religionsverfassung aber anfänglich noch eine Zeit lang unter göttlicher Geduld stund, so warteten auch die Apostel und übrigen Brüder aus der Beschneidung nach dem Exempel ihres Herrn und Meisters die öffentlichen Gebetsübungen im Tempel und in den Schulen fleißig ab (c. 3, 1; 16, 16; 2, 46), und unterwarfen sich manchen gottesdienstlichen Ceremonien, um Aergerniß zu vermeiden (c. 16, 1-3; 18, 18; 21, 26.), bezeugten überhaupt ernstlich, den öffentlichen Gottesdienst nie stören oder etwas dawider unternehmen zu wollen. Bei dem Allem aber hatten sie ihre besonderen Versammlungen in den Häusern (c. 2, 46. 47.) und legten denen, so aus dem Heidenthum zu Christo bekehrt wurden, die Beobachtung des Gesetzes Mosis keineswegs auf c. 15. c. 21,25.

So entstunden und gründeten sich die ersten Gemeinen. Alle Gemeinen, die durch die Verkündigung des Evangeliums an verschiedenen Orten der ganzen Welt entstunden, machten zusammen nur eine einige allgemeine Kirche aus, welche in allen Stücken wuchs an dem, der das Haupt ist, Christus, aus welchen der ganze Leib zusammengefüget war, und ein Glied am andern hing, durch alle Gelenke, dadurch eines dem andern Handreichung that, nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seiner Maße, und machte, daß der Leib wuchs, zu seiner selbst Besserung, und das alles in der Liebe, Eph. 4, 16, wozu dann auch die mancherlei Aemter und Wirkungen des Geistes Gottes in den Gemeinden beförderlich waren, 1. Cor. 12. Hienach war die erste Christengemeinde eine Menge solcher Menschen, welche der hl. Geist durch das Evangelium berufen, erleuchtet und zu einer solchen Gemeinschaft des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung gebracht, daß sie ein Herz und eine Seele werden und als Glieder Eines Leibes an Christo als ihrem einigen Haupte hiengen, dessen Wort, Einsetzungen und Exempel die einige Richtschnur ihrer Lehre, ihres Lebens und ihrer Einrichtungen sein ließen, und zu Beförderung eines gesegneten Wachsthums in dieser geistlichen Gemeinschaft unter sich verschiedene Aemter und Ordnungen hatten.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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