Molenaar, Isaak - Taufpredigt, gehalten am Palmsonntage 1828.
Ach wohin, wenn schwer belastet.
Seufzend unter hartem Joch,
Hier das Herz, das nirgends rastet,
Aengstlich klagt: o fand ich doch
Ruhe, Trost und Seelenfrieden!
Ach wohin, um für den Müden
Zu erlangen jenes Heil,
Seiner Sehnsucht besten Theil.
Kommet zu mir, ihr Geliebten,
Rufet Christus, kommt zu mir;
Alle kommt, ihr Tiefbetrübten!
Friede, Trost und Ruh ist hier,
Ruh' dem nagenden Gewissen,
Trost in bangen Kümmernissen,
Gottesfriede, der euch noth,
Heil im Leben, Heil im Tod.
Ja, so ruft Jesus Christus immer: „Kommt zu mir,“ ruft Er allen Mühseligen und Beladenen zu, so ruft Er in Seinem ganzen Wort, „ich will euch erquicken!“ das ist Sein ganzes Evangelium. So ruft Er noch deutlicher in Seinen Sakramenten, und am deutlichsten in der heiligen Taufe, in der wir zu Ihm und Er zu uns kommt.
Auch heute ruft Er, und es sind solche da, die diesen Seinen Ruf vernommen haben und ihm folgen wollen. Wie können, wie müssen sie kommen? Das ist doch wohl die Hauptfrage für sie wie für uns Alle. Laßt uns sie zu beantworten suchen aus Semem Wort. Er gebe uns die rechte Antwort.
Ja, Herr! gib du sie. Sage du es uns Allen, lehre es uns recht verstehen durch deinen Geist! Gib du es uns, daß wir es denen, die du heute rufest, sagen können. Gib ihnen es recht zu verstehen, und willig anzunehmen, um freudig zu folgen und selig zu kommen. Du willst ja nur ihre Seligkeit, darum bist du zu uns gekommen, darum hast du dein Blut vergossen, darum dein Sakrament gestiftet, worin jeder zu dir kommen, von dir aufgenommen werden kann, ja, du selbst zu jedem einzelnen kommen willst. O so laß es auch an diesen erfüllt, laß sie heute selig werden, daß sie ganz in deinem Namen als Gottes Kinder beten können: Unser Vater rc. Amen,
Text: Jerem. 31, 9.
„Sie werden weinend kommen und betend, so will ich sie leiten.“
Seht, Geliebte, hier sagt Er es, und ihr, nicht wahr, meine Theuern, ihr fühlt es selbst, euer eigenes Herz sagt es euch, daß es so recht ist und ihr nicht anders kommen dürft?
Zwar spricht Er hier durch den Mund Seines Propheten, aber Er ist es doch, der da redet und ihr seid es, die Er meint. Der Gläubige, der in dem Sohne die Stimme des Vaters wieder hat verstehen lernen, erkennt sie nun überallhin Seinem ganzen Wort, wie in der ganzen Schöpfung und in feinem eigenen Herzen hallt sie wieder; es gibt ihr ein lebendiges Zeugniß, die ganze heilige Schrift wird ihm ein Evangelium, eine freudige Botschaft Seiner ewigen Liebe, ein Ruf der Gnade.
Auch die Propheten sind Seine Gesandten, wie die Apostel; jene vor, diese nach Seiner Ankunft und sichtbaren Erscheinung. Auch das israelitische Volk war Sein Volk und Eigenthum. Zu demselben wollte Er kommen, es sollte Ihn empfangen als Seinen Herrn und Gott: darauf bereitete Er es vor. Gesetz und Verheißung, Seine ganze Führung, alle Züchtigungen und Schicksale hatten den einen Zweck, aber vergebens. Er kam in Sein Eigenthum, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf.
Und doch wird er erreicht, denn die Absicht der ewigen Liebe kann nicht vereitelt werden. Ihre scheinbare Vereitelung wird das Mittel einer höhern und herrlichern Erfüllung. Wie viele Ihn aufnahmen, denen gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden, die an Seinen Namen glauben. Diese Gläubigen sind es, von denen der Apostel in unserm Texte redet, unter dem Bilde der aus der Gefangenschaft Zurückkehrenden. Sie sind Sein wahres Volk und Eigenthum, das Israel Gottes, Seine rechten Kinder, die Sein Vaterherz erkannt und wiedergesucht hatten und es nun auch finden sollten. „Der Herr ist mir erschienen von ferne,“ spricht der Prophet in ihrem Namen; „ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte; siehe, ich will sie aus dem Lande der Mitternacht bringen und will sie sammeln von den Enden der Erde. Sie werden weinend kommen und betend, so will ich sie leiten: ich will sie leiten an Wasserbächen, auf ebenen Wegen, daß sie sich nicht stoßen, denn ich bin Israels Vater, so ist Ephraim mein erstgeborner Sohn, mein Liebling.“ - Ephraim, der geliebte und gesegnete Sohn Josephs, ist hier das Bild aller Gläubigen, aller wahren Kinder Gottes, die nach langer Trennung, aus ferner Zerstreuung und Gefangenschaft in ihre Heimath und zu ihrem Gott und Herrn wiederkehren, und denen Er sich dann in dem Sohn als Vater offenbaren wollte, gleich seinem verlornen Sohn in dem Gleichniß, der endlich nach langer, selbstverschuldeter Trennung, das verlassene Vaterhaus, das verkannte und verschmähte Vaterherz hatte würdigen lernen. Wie dieser Sohn, so würden auch sie weinend kommen und betend, und sprechen: „ich bin nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen, mache mich nur zu einem deiner Tagelöhner.“ Aber wie dort der Vater, so würde Er ihnen entgegen, ja, zuvorkommen und sie das Wort der Erniedrigung nicht aussprechen lassen.
Unaussprechlich rührend ist der Kampf des natürlichen Erbarmens, das Ringen des bewegten Vaterherzens mit sich selbst, das Losbrechen und Ueberströmen der, gleichsam wider Seinen Willen zurückgehaltenen, Liebe geschildert. Wir sehen sie gleichsam aus den innersten Tiefen aufquellen, immer höher wachsen und endlich überwallen. „Ich habe dich je und je geliebt; laß dein Schreien und Weinen und die Thränen deiner Augen. „Ich habe wohl gehört,“ spricht das Vaterherz freudig zu sich selbst, „wie Ephraim klagte: Du hast mich gezüchtigt und ich bin auch gezüchtigt; wie er bat: bekehre du mich so werde ich bekehret, denn du, Herr, bist mein Gott. Da ich bekehret ward, that ich Buße, nun bin ich zu Schanden und stehe schamroth.“ Aber Er kann sich nicht länger halten: „Ist nicht Ephraim mein theurer Sohn,“ ruft Er aus, und mein trautes Kind? denn ich gedenke noch wohl daran, was ich ihm geredet habe; darum bricht mir mein Herz gegen ihn, daß ich mich sein erbarmen muß, spricht der Herr.“
Und nun fügt der Geist prophetisch hinzu: So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: Man wird noch dies Wort wieder reden im Lande Juda, wenn ich ihr Gefängniß wenden werde; der Herr segne dich, du Wohnung des Gerechten, du heiliger Berg! denn ich will die müden Seelen erquicken und die bekümmerten Seelen sättigen. Siehe, es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hanse Israel und Juda einen neuen Bund machen; nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern machte, da ich sie bei der Hand nahm und aus Egyptenland führete, welchen Bund sie nicht gehalten haben und ich sie zwingen mußte: sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel machen will nach der Zeit, spricht der Herr: ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben und sie sollen mein Volk sein, so will ich ihr Gott sein; und wird keiner den andern, noch ein Bruder den andern lehren und sagen: Erkenne den Herrn, sondern sie sollen mich Alle kennen, beide Klein und Groß, denn ich will ihnen ihre Missethat vergeben und ihrer Sünden nicht mehr gedenken.„
Also Vergebung der Sünden und Heiligung der Herzen sollen die Segnungen dieses Neuen Bundes sein. Sind das nicht die evangelischen Güter, die Gnadengaben des heiligen Geistes? Und zu diesem Neuen Bunde sollten sie einst kommen,“ weinend und betend sie empfangen. Und nicht nur sie, sondern aus allen Völkern der Erde alle, denen diese Seine ewige Liebesstimme zu Herzen dringen, die sich durch ihre heilige Macht ziehen lassen würden, „denn Jesus,“ sagt das Evangelium, „sollte sterben für das Volk; und nicht für das Volk allein, sondern daß Er die Kinder Gottes, die zerstreut waren zusammen brächte.“ Darum sprach Er zu den Aposteln, als Er gen Himmel fuhr: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, darum gehet hin, und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Predigt das Evangelium aller Kreatur; wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden.“
Von diesen allen also heißt es: „Sie werden weinend kommen und betend.“ Warum? das laßt uns jetzt erwägen. Wenn wir zuerst betrachten: Wer sie sind, zu Wem sie kommen und was sie empfangen sollen, dann werden wir es zweitens erkennen, daß sie nicht anders, als weinend und betend kommen können.
O möchte Sein heiliger Geist es uns allen so klar und lebendig machen, als wir es bedürfen?
I
Wer sind sie? Sünder. Dieses eine Wort spricht ihr ganzes Wesen aus. Also nicht mehr Kinder Gottes, nicht solche, die etwa in dem Vaterhause geblieben wären, aber in demselben nur nicht immer Seinen Willen gethan, sich manche Fehler, Uebertretungen zu Schulden hätten kommen lassen, sondern solche, die den Vater verlassen, das heilige Band der Liebe in ihren Herzen gebrochen und sich Ihm widersetzt, innerlich gegen Ihn empört haben, also in dem eigentlichsten Sinne: verlorne Kinder; aber die zurückkehren wollen, also bußfertige und erweckte Sünder, denn nur solche wollen zurückkehren, ja nicht nur erweckte und bußfertige, sondern auch gläubige, denn nur solche können getauft werden. „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, wird verdammet werden.“ Sie haben die Sünde erkannt als eine Trennung von Gott, als eine Gefangenschaft und selbstverschuldete Verbannung vom Vaterherzen. Bisher hielten sie sich für frei; ihrer Lust und Willkühr folgen zu können, schien ihnen Freiheit Und diese falsche Freiheit war ihr Stolz, denn in ihrer Blindheit hielten sie sich für sehend, wähnend, ihr Auge sei aufgethan, sie sein wie Gott und wüßten was gut und böse sei,„
Zwar war es ihnen oft dabei unheimlich; sie fühlten sich innerlich gehemmt und gebunden, aber sie. unterdrückten dieses dunkle Gefühl und täuschten sich mit dem allgemein verbreiteten Wahn, diese innern Ketten und Bauden seien nichts als die nothwendigen Schranken ihrer Natur, bis in Jesu Christo ihnen zuerst ihre wahre Unfreiheit aufging. Da wurden ihre Augen wahrhaft aufgethan und sie verstanden und erfuhren an ihrem eigenen Herzen Sein Wort: „Wer die Sünde thut, der ist der Sünde Knecht; der Knecht aber bleibet nicht ewig im Hause, sondern der Sohn bleibt ewiglich. So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“ Nun erkannten sie die List der Schlange, die sie verwundet hatte und aus innerster Herzenstiefe schrie laut die Sehnsucht nach der wahren Freiheit der Kinder im Vaterhause.
Nun sahen sie auch, daß sie in der Fremde und Verbannung seien. Bisher hatten sie die Welt für ihre Heimath gehalten, aber nun ist sie ihnen zur Fremde geworden. Sie können es so in ihr nicht mehr aushalten. Sie fühlen sich nicht mehr zu Hause. Seit sie den Ruf des Sohnes vernommen, ist ein bisher unbekanntes, aber untilgbares Heimweh in ihnen erwacht. Dahin, hinauf zum Vaterhause strecken sie ihre Arme weinend aus. Sie wollen kommen, aber sie können nicht; sie sind geschieden von Ihm, die Sünde, die in ihnen wohnt, hält sie gebunden.
Aber der Söhn will sie frei machen, sie erlösen von dieser Knechtschaft. Sie sollen zurückkehren, aber zu Wem?
Zu dem Vater, den sie verlassen, dessen heilige Vaterrechte sie verletzt, dessen Liebe sie verschmäht, verkannt, den sie durch die Sünde verleugnet, dessen Herz sie von sich gestoßen haben. Dürfen sie zu Dem zurückkehren, wird Er sie annehmen? Ach, Er hat ihnen ja selbst den Sohn gesandt, der sie rufen, der sie holen und heimführen soll. Sein Herz, Sein Vaterherz ist schon längst, ist von Ewigkeit gebrochen; da steht er schon und wartet ihrer mit ausgebreiteten Armen.
Und was sollen sie empfangen? Vergebung, ewiges Vergessen aller Schuld, erneuten, vollen Genuß aller Kindesrechte und Kindesseligkeit. Keine Bedingungen will Er ihnen vorschreiben, nichts sollen sie zuvor wieder gut machen, nichts verlangt Er von ihnen vorab, nichts sollen sie erst noch thun, um Seine Liebe wieder zu erwerben, zu verdienen oder sich ihrer wieder Werth zu machen. O wie könnten sie das? Nichts verlangt Er, als daß sie an Seine überschwengliche Liebe glauben, nichts fordert Er, als ihren Dank; nur ihre Gegenliebe, ihre Seligkeit ist Seine Seligkeit. „Gib mir dein Herz, mein Kind,“ so schlecht es ist; ich selbst will es wieder gut machen, neue Kraft, neue Liebe will ich dir geben; meine eigene Liebe, mich selbst, meinen eigenen Sohn, meinen eigenen Geist. - Das sollen sie empfangen, das soll ihnen versiegelt werden: das ist sie Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.
II.
Und wenn nun solche Kinder zu solch einem Vater kommen, um das zu empfangen: wie werden sie kommen? Können sie anders als weinend kommen und betend? Das werden wir mm auch zweitens gerne betrachten.
Weinend. O gewiß, gewiß; es wird ihnen nicht anders möglich sein. Ihr Herz muß brechen und ein gebrochenes und zerschlagenes Herz das muß ja weinen. Es kann nicht anders; seine Thränen müssen wohl fließen, aber welche? Nicht Thränen einer falschen, blos äußerlichen Rührung, nicht Thränen sinnlicher Erschütterung über das Ergreifen der Feierlichkeit; diese würden ja nur beweisen, daß sie das eigentliche Wesen, den ernsten, hohen Sinn und Zweck des heiligen Sakramentes noch nicht erkannt hätten; nicht Thränen der Furcht vor der Heiligkeit des Herrn, denn sie kennen ja Seine Gnade, die größer ist, als ihre Sünde, so groß als Seine Heiligkeit, so groß als Er selbst; nicht Thränen der Furcht vor ihrer eigenen Schwäche und Ohnmacht, denn sie kennen ja Seine Kraft, die allmächtig ist in den Schwachen; nicht Thränen des Unglaubens, denn auch den Glauben will Er ihnen schenken, sondern einzig und allein Thränen aufrichtiger Buße, d. h. Thränen heiliger Schaam und Reue, Thränen unaussprechlicher Wehmuth, aber auch unaussprechlicher und herrlicher Freude und himmlischen Friedens; Thränen ewigen Dankes, ewiger Liebe und überschwenglicher Seligkeit.
Selig seid ihr, die ihr hier weinet. Ja diese Seligkeit ist es, die sie schmecken und ewig schmecken werden. So werden sie ewig weinen, denn ewig werden sie es schauen, das gebrochene Vaterherz, das sich ewig nie wieder gegen sie schließen kann. Nun kennen sie es erst; das ist Sein ewiges Wesen, daß Er sich ihrer erbarmen muß. Sie haben ja nicht Ihn, Er hat sie gesucht. Nicht sie haben Ihn, Er hat sie zuerst, Er hat sie je und je geliebt und zu sich gezogen aus lauter reiner, freier Gnade. „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, daß Er Seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch Ihn leben sollen. Darinnen stehet die Liebe, nicht, daß wir Gott geliebet haben, sondern daß Er uns geliebet hat und gesandt Seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“ Nun haben sie diese Liebe erkannt, und sie sollten nicht weinen, daß sie sie je erkannt haben? Also hat Gott die Welt geliebt,“ das verstehen, das erfahren sie jetzt und sie sollten nicht weinen? Nein, wie Sein Herz gegen sie, so ist nun ihr Herz ans ewig gegen Ihn gebrochen. Sein Vaterherz hat ihr Kindesherz, Seine Gnade ihre Sünde, ihre Verstocktheit vermocht, und sie sollten nicht weinen? Oder sollte es möglich sein, daß dem Kinde das Herz nicht bräche, wenn es nun, nach langer Entfernung, langer Kälte und Gefühllosigkeit, ja Widersetzlichkeit und Verschmähung solcher Liebe, endlich zu ihr zurückkehrt, wenn es endlich dieses gebrochene und ewig brechende Vaterherz in dem geöffneten, blutenden Herzen des Sohnes, das für ihn durchstochen ist, erblickt, hineinschaut mit dem neugeöffneten Auge des Glaubens in diese Höhe und Tiefe, Länge und Breite, und erkennet die Liebe, die alle Erkenntniß übersteigt und höher ist denn alle Vernunft; wenn es in das offne Liebesherz Gottes, wie in einen neuen offnen Himmel, hineinschaut; wenn es sieht, wie der Vater von diesem Himmel herab in dem Sohne Seine ewigen Arme verlangend nach ihm ausstreckt; wenn es im Geiste dort seine ewige Erwählung und Berufung zur Seligkeit erblickt und die Trostesworte vernimmt, die nie wieder verstummen werden: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöset; ich habe dich mit Namen gerufen, du bist mein!“ Und wenn es nun zu Ihm kommen und das Siegel solcher ewigen Liebe empfangen soll, wenn der Sohn selbst wie mit eigener Hand dieses heilige Siegel mit Seinem Blut auf sein Herz, sein gebrochenes Herz, drücken will und der heilige Geist die Liebe des Vaters in sein Herz ausgießen will, um es dadurch zu erneuen, zu heiligen, zu stärken und wie mit einem lebendigen Band, das nicht brechen kann, auf ewig Sich zu binden - noch einmal, Geliebte, sagt, sollte da das Kind nicht weinen? Ja, es muß, es wird weinen, wenn auch nicht laut und öffentlich vor den Augen der Welt, doch in tiefer, innerer Seele vor den Augen des Vaters; wenn auch nicht Thränen leidenschaftlicher Erschütterung, doch gewiß stille, heilige, selige Thränen des Herzens. Ja, weinend werden sie kommen, die bußfertigen und gläubigen, die erweckten und bekehrten Sünder zu dem heiligen Sakramente der Wiedervereinigung und Versöhnung mit Gott; weinend, aber auch betend.
Betend kam Er selbst, der heilige Sohn zu dem heiligen Bade. Er brauchte nicht zu weinen, denn Er brauchte nicht Buße zu thun, Er wußte von keiner Sünde. Er ließ sich ja nur taufen für uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen und die Taufe zu heiligen. Aber betend kam auch Er, und als Er betete, siehe, da that sich der Himmel auf und der heilige Geist kam auf Ihn und der Vater selbst rief vom offnen Himmel herab: „Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Betend kam Er, und wir, Seine Kinder, sollten nicht betend kommen? O gewiß, die also weinend, bußfertig und gläubig kommen, die kommen auch betend.
Und nun was beten sie? Um ein noch mehr gebrochenes, noch weiter geöffnetes Herz, um mehr Sündenerkenntniß und mehr Gnadenerkenntniß, um ein volles Maaß der Buße und des Glaubens, aber auch ein volles Maaß des Dankes und der Liebe, um eine neue Kraft, nehmen zu können aus der geöffneten Fülle des Vaterherzens Gnade um Gnade. O nun fühlen, nun erkennen sie es, wie sie es noch nie erkannt haben, daß alles, alles Gnade ist, wie sie nichts sind und Er, der Herr, Alles ist und alles geben muß, erkennen, was sie bedürfen, nur um Seine Gnade empfangen zu können und was sie ewig bedürfen werden, um in dieser Gnade zu verharren und ihr treu zu bleiben bis in den Tod, aber auch, wie Seine Gnade ewig ist, wie Er selbst, und sie ewig nicht verlassen kann, weil sie mit sich selbst verbunden hat.
Aber diese Gnade haben sie „ja nur im Glauben, und ihr Glaube ist noch so schwach, darum haben sie nur ein Gebet: „Herr, ich glaube,“ betet ihre Seele, „hilf meinem Unglauben.“ Sie beten um den heiligen Geist. Und indem sie beten, siehe, da öffnet sich auch ihnen der Himmel im Herzen, sie empfangen den heiligen Geist, der ihrem Geiste Zeugniß giebt, daß sie Kinder Gottes sind und es ist ihnen, als hörten sie die Stimme des Vaters auch zu ihnen sagen: Du bist mein geliebtes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe in dem Geliebten!
Seht, Geliebte, so will der Vater die empfangen, die in dem Sohne bußfertig und gläubig, weinend und betend, zu Ihm kommen. Er selbst will sie bei der Hand nehmen und leiten zu dem heiligen Quell, auf ebenem Wege, daß sie sich nicht stoßen. Er selbst will ihr Führer, ihr Hirte, ihr Helfer und Tröster, ihr Alles sein.
Aber die nicht so kommen, sollen wir auch von denen reden? Sollen wir ihnen noch sagen, was für sie, die ohne Buße, ohne Glauben kommen, das heilige Sakrament ist? Nein, sie wissen es: ein Gericht? „denn der Vater hat den Sohn lieb, und Ihm alles in Seine Hand gegeben.“ Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben, wer dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
Ihr Theuern, die ihr das heilige Sakrament empfangen wollt, zu euch dürfen wir nicht so sprechen. Ihr kommt, wie der Herr es begehrt, bußfertig und gläubig, weinend und betend; ihr wünscht wenigstens also zu kommen, nicht wahr, Geliebte? O das gebe Gott. Und ist es so, o dann ist es genug, das giebt auch Muth und Freudigkeit; denn schon diesen Wunsch habt ihr nicht aus euch. Ach, unser sündiges, die Sünde liebendes Herz begehrt nicht einmal davon erlös't zu sein. Es begehrt keine Gnade, wie könnte es sie empfangen? wie darum bitten? Ist dieser Wunsch in euch, so hat Er ihn durch Seinen Geist erweckt und Er wird ihn auch erfüllen, denn getreu ist, der euch rufet, und wird es auch thun. Wohlan, wenn ihr wollt, so kommt, Er ist bereit, Er steht und wartet eurer. In Seinem heiligen Sakramente will Er euch empfangen, will es einem jeden von euch versiegeln; den Aufrichtigen läßt Er's gelingen, darum fürchtet euch nicht. Glaubet nur und ihr werdet schauen und selig sein. Amen.
Anrede an die Täuflinge.
Da stehet ihr, Geliebte, durch Gottes Gnade, wie schon so manche vor euch standen und wohl noch viele nach euch stehen werden. Nun ist eure Stunde gekommen, o möchte sie euch, möchte sie euern Liebenden und Geliebten, möchte sie uns Allen, möchte sie auch mir ewig theuer und gesegnet sein! euer Eingang in das ewige Leben, in das unbewegliche Reich der Gnade und Seligkeit!
Der Herr kennet die Seinen. Er, der Augen hat wie Feuerflammen, der in aller Herzen schaut und aller Nieren prüft, Er kennt auch euch. Er allein weiß, wie ihr's meint. Wir wissen es nicht, denn wir sind keine Herzenskündiger; doch wir wünschen, wir hoffen, wir glauben und vertrauen.
Aber als Stellvertreter Seiner Gemeinde, als Ausspender Seiner Gnadenmittel müssen wir euch fragen; als künftige Mitglieder der Gemeinde müßt ihr uns antworten, ob ihr so kommen wollt, als es erforderlich ist.
Ihr wißt, worauf es ankommt; allein um der Heiligkeit der Sache willen müssen wir es euch noch einmal vorhalten.
Zwei Bedingungen sind es, die von einem jeden, der die heilige Taufe empfangen soll, gefordert werden müssen, weil er sie ohne dieselben nicht empfangen kann, nämlich: Buße und Glaube. Beide sind gleich wesentlich, sind unzertrennbar, ja im innersten Grunde nur ein Ganzes; aber eben darum müssen wir beide fordern. Buße, das ist das innigste Bedürfniß, das aufrichtigste und herzlichste Verlangen nach Gnade; Glaube, daß ist die Möglichkeit und Willigkeit sie zu empfangen.
Und nun, Geliebte, wie steht es mit euch, in Absicht auf diese beiden Bedingungen? Sagt es uns, habt ihr eure Herzen vor Gott geprüft und findet ihr sie darin? Ihr wißt es, Geliebte, nicht ein gewisses Maaß der Zerknirschung, nicht einen gewissen Grad der Glaubensfreudigkeit und Klarheit meinen wir.
Auch fordern wir nicht, daß ihr bestimmte, einzelne Sünden, die ihr gethan, oder einige sündliche Neigungen, deren ihr euch bewußt seid, nennen sollt; nur das ist die Frage: ob es euch durch die innere und äußere Erfahrung eures Lebens klar geworden ist, daß auch in eurem Herzen, wie die Schrift von uns allen versichert, die Sünde wohnt und dadurch auch euer Herz von Gott geschieden, entfremdet, abgesondert ist. Darauf kommt es an, ob auch durch diese Erfahrung das Wesen der Sünde als das größte, ja einzige Uebel, als das Verderben unserer Natur, ja, was mehr ist als alles, als eine Feindschaft wider Gott, in ihrer ganzen Schrecklichkeit und Strafbarkeit aufgegangen ist. Das ist die Frage: ob diese Erkenntniß in euch Druck und Schmerz, tiefe Schaam und Reue, ein heiliges Mißfallen an euch selbst erzeugt hat, woraus das Verlangen nach Gnade entspringt, nicht blos nach Vergebung einzelner Sünden, sondern nach Wiederversöhnung eures ganzen Herzens, nach Wiederherstellung eurer ursprünglichen Gemeinschaft mit Gott. Wünscht ihr nicht nur, von den Folgen und Strafen der Sünde, sondern vielmehr noch, von der Sünde selbst erlöset zu werden. Sehnet ihr auch nach Reinigung und Heiligung, hungert und dürstet ihr nach Gerechtigkeit aus Gott? Nun, dann seid ihr bußfertig und die erste Bedingung ist erfüllt.
Aber seid ihr nun auch eben so überzeugt, daß in Christo Jesu, und namentlich in Seinem Tode, gerade das zu finden ist, was ihr bedürft und sucht, nämlich: die ganze, wiedergeöffnete Fülle der ewigen Gnade, eine Fülle, worin für alle Sünder ohne Unterschied, und für alle Sünden eines jedem vollkommne Versöhnung und Genugthuung, vollkommne Ruhe und Heil liegt; erkennt ihr in Ihm den von Gott selbst der sündigen Menschheit gegebenen Mittler und Heiland, in dem Er war und versöhnte die Welt mit sich selber, in welchem Er sich mit allen und jedem einzelnen wieder vereinigen will; endlich, seid ihr überzeugt, daß die heilige Taufe das von Ihm selbst gestiftete Mittel ist, wodurch Er einem jeden einzelnen seinen ewig unverlierbaren Antheil an dieser allgemeinen, ewigen und vollkommnen Gnade versichert, mittheilt und versiegelt? Dann ist auch die andere Bedingung erfüllt; ihr glaubt und könnt getauft werden.
Wohlan, Geliebte, wenn es also bei euch ist, so sprecht es vor Gott und diesen versammelten Zeugen aus. Findet ihr diese Buße und diesen Glauben in euern Herzen? Wünscht ihr wenigstens, sie zu finden? Erkennt ihr euch als Sünder vor Gott? glaubt ihr an Jesum Christum Seinen Sohn, der Welt Heiland, und wollt ihr Ihn annehmen als euern Erlöser, euern Herrn und Meister, dem ihr nachfolgen wollt bis in den Tod? und begehrt ihr darum das Sakrament der heiligen Taufe zu empfangen? Was antwortet ihr? -
Nun, ihr wollt also kommen, weinend und auch betend; so knieet nieder.
Gebet.
Wir sinken nieder vor den Thron deiner Gnade. O, daß unsere ganze Seele niedersinken möchte, um von deiner Hand wieder aufgerichtet zu werden. O laß uns diese Wonne schauen! O Herr, vollende, ersetze, was noch fehlt! Ja, wenn noch eins dieser Herzen nicht gebrochen ist in wahrhafter, rechtschaffener Buße, o so zerbrich, so zerschlage du es durch die Allmacht deiner Gnade. Wenn einem noch das Auge nicht geöffnet sein sollte in lebendigem Glauben für die Seligkeit deiner ewigen Liebe, o so öffne du selbst es in diesem Augenblick, und laß, o laß das heilige Sakrament in deiner Hand das gesegnete Mittel sein, dazu du selbst es ja verordnet; o so segne es auch dazu, nach deinem heiligen Wort. Herr Jesu, erhöre uns! Amen.
(Taufhandlung.)