Luther, Martin - Predigt am 22. Sonntag nach Trinitatis
Matthäus 18,21-35
Da trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist es genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir, nicht siebenmal, siebzig mal siebenmal. Darum ist das Himmelreich gleich einem Könige, der mit seinen Knechte rechnen wollte. Und als er anfing zu rechnen, kam ihm einer vor, der war ihm 10000 Pfund schuldig. Da er es nun nicht hatte zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn und sein Weib und seine Kinder und alles, was er hatte, und bezahlen. Da fiel der Knecht nieder und betete ihnen an und sprach: Herr, habe Geduld mit mir; ich will dir alles bezahlen. Da jammerte den Herrn desselbigen Knechtes und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging derselbige Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig; und ergriff ihn an und würgete ihn und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist. Da fiel sein Mitknecht nieder rund bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir alles bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn in das Gefängnis, bis daß er bezahlte, was er schuldig war. Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten vor ihren Herrn alles, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zur ihm: Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe? Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis daß er bezahlte alles, was er ihm schuldig war. Also wird euch mein himmlischer Vater auch tun, so ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehle.
Was die Summe vom heutigen Evangelium sei, höret bald im Anfang. Petrus fragt den Herrn, wie er sich halten soll, wenn sein Bruder wieder ihn sündigt, wie oft er ihm vergeben soll, ob es genug sei siebenmal? Da antwortet ihm der Herr: «Ich sage nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal.» Das ist, Vergebung der Sünde soll unter den Christen kein Maß noch Ziel haben; immer soll einer dem anderen vergeben, und sich hüten, daß er sich nicht räche. Denn das steht Gott allein zu, dem soll man seine Majestät und Macht unangetastet lassen. Wie denn das Gleichnis nach der Länge anzeigt, und wir hernach solche Ursache nach einander zusammen ziehen und anzeigen wollen.
Aber hier müssen wir besonders merken auf das Wort allein, daß der Herr sagt: Das Himmelreich sei gleich einem König, der mit seinen Knechten rechnen wollte. Denn solch ein Gebot von Vergebung der Sündern soll man nicht in das Weltreich ziehen, da Ämter und Personen ungleich sind, und deswegen immer eins über das andere Macht und Befehl hat. Da soll man der Bosheit nicht zu sehen, noch jedermann tun lassen, was ihn gelüstet; sondern das Übel soll man strafen und die Leute zu Zucht, Ehrbarkeit und Billigkeit halten.
Darum hat es die Meinung nicht, daß ein Vater seinen Kindern alles vergeben, und ihnen zu ihrer Schalkheit zusehen sollte. Strafen soll er, und nichts vergeben. Also Herr und Frau mit dem Gesinde, weltliche Obrigkeit mit ihren Untertanen sollen nicht vergeben, was man Unrecht tut, sondern strafen. Denn die Unart steckt ohne daß in der Welt: je mehr man übersieht, je ärger und böser wird sie, daß letztlich, wo die Kinder von Vater und Mutter sich nicht wollen ziehen lassen, der Henker sie ziehen und der Bosheit wehren muß.
Darum gehört dieser Befehl nicht in das Weltreich, da ungleiche Personen und Ämter sind, wie zuvor gemeldet; sondern in das Himmelreich, da wir alle gleich sind, und nur einen Herrn über uns haben, des wir alle genießen sollen. Solches Himmelreich fängt hier unten auf Erden an, und heißt mit einem anderen Namen die christliche Kirche hier auf Erden, da Gott durch sein Wort und seinen Geist begehrt. In derselben Kirche, sofern du nicht ein sonderliches Amt hast, da Gott dich das Unrecht strafen heißt, soll es also getan sein, daß immer einer dem anderen vergeben, und keiner sich rechnen, sondern alle Barmherzigkeit und Freundlichkeit seinem Nächsten erzeigen soll, wo er es Bedarf, ob er gleich um uns wohl anderes verdient, und wir, der Welt nach zu reden, gute Ursache hätten, ihm alles Übel zuzufügen. Warum aber solches unser Herr Christus haben wolle, zeigt er mit etlichen Ursachen fein an, im Gleichnis von den zwei Knechten und dem Könige.
Die erste Ursache ist, daß unser lieber Herr Christus will, daß seine Christen daran gedenken sollen, was für Gnade ihnen Gott bewiesen hat, der auch, wo er hätte gewollt, sehr viel und große Ursachen gehabt hätte, daß er uns strafen und alles Unglück hätte anlegen sollen. Weil aber uns Gnade unverdienter Sache widerfahren ist, sollen wir dergleichen gegen unseren Nächsten auch tun.
Solches ist deswegen auch desto fleißiger zu merken, denn der Herr zeigt hier mit an, was die rechte Weise sei, daß wir zu Vergebung der Sünden kommen, und stellt uns das allerwichtigste vor Augen, wer wir sind und wer Gott sei, was wir gegen Gott verdienen, und was Gott uns tut.
Denn daß er das Gleichnis vom Knecht, der 10000 Pfund schuldig ist, uns vorhält, in selben will der Herr uns alle lehren, was es für eine Meinung mit uns vor Gottes Gericht habe. 10000 Pfund sind eine unermeßlich er große Summe, die wir mit Millionen DM ausdrücken würden. Eine solch große Summe Geldes gleicht der Herr unsere Sünde, damit anzuzeigen, daß wir nimmer sie ablegen, oder dafür können genug tun. Denn es ist die Sünde auf uns geerbt, daß wir sie mit uns aus Mutterleibe bringen. Je mehr wir danach wachsen und am Alter zunehmen, je mehr beweisen sich die Sünden auch, daß wir zu fremden angeerbten Sünden auch unsere eigenen Sünden mit großen Haufen dazu tun, und so tief in die Schuld gegen Gott wachsen, daß wir eben stecken, wie dieser Knecht hier.
Was ist aber das Urteil über diesen Knecht, von wegen seiner großen Schuld? Dieses, daß der Herr heißt ihn, sein Weib, sein Kind und alles verkaufen. Dadurch will der Herr anzeigen, daß wir arme Sünder nicht allein nicht bezahlen können, sondern wir müssen den Tod um der Sünde Willen leiden. Wie Paulus sagt: «Der Sünde Sold ist der Tod»; und der Herr im Paradies Adam und Eva drohe: «Welches Tages ihr von diesem Baum esset, sollt ihr des Todes sterben.» Da ist es mit uns armen Menschen allen hingekommen, daß um unserer Sünde Willen das Gesetz Gottes so ein hartes Wort gegen uns fällt und uns dem Tode überantwort. Wo sollen wir nun hin? Die Schuld ist vor Augen, wir können sie nicht leugnen; so will der Herr bezahlt sein, wir aber können nicht bezahlen, daß ist uns unmöglich.
Das ist nun das trefflicher, edle und tröstliche Stück, dagegen wir unsere Ohren neigen und unsere Herzen weit auftun sollten, ob wir diese Kunst auch lernen könnten, daß wir aus der großen Schuld möchten kommen und dem Tod entfliehen. Es geschieht aber solches allein damit, daß wir tun, wie der Herr hier sagt, daß dieser Knecht getan habe. Er sieht beides wohl, seine große Schuld, danach sein Unvermögen und die Strafe. Darum fällt er vor dem Herrn wieder, betet ihn an und spricht: «habe Geduld mit mir.» Das heißen wir auf deutsch zum Kreuze kriechen und Gnade begehren.
Das will der Herr, daß wir es lernen sollen, so wir anders von der Schuld frei werden wollen. Denn wer die Schuld nicht bekennen, sondern leugnen wollte (wie die Pharisäer tun, die sich für Fromm und gerecht halten), der würde seine Sache nur schlimmer machen. So wir es aber bekennen, so sind wir gefangen, denn wir können es ja nicht bezahlen. Darum ist es ein gefährlicher, greulicher Irrtum, daß man im Papsttum die Leute auf eigene Werke und Genugtuung weiset, Sünde damit abzulegen. Der einzige Weg ist, daß du solche Sünde und Schuld bekennst, und mit dem Knechte niederfällst und um Gnade bittest, und sprechest wieder Zöllner Lukas 18,13: «Ach, Herr, sei mir gnädig.»
Ja, sprichst du, es sagte gleichwohl der Knecht hier, er wolle alles bezahlen. Er sage, was er wolle, so müssen wir bekennen, wenn es sein Ernst ist, daß es nicht wahr, sondern ihm ganz und gar unmöglich sei. Deswegen läßt es sich ansehen, Christus habe damit anzeigen wollen, wie es um unsere Herzen getan sei in solchem Fall, nämlich, daß wir solche Gnade, die so reichlich und überschwenglich ist, nicht fassen können. Wir denken immer, es sei zuviel, Gott werde nicht so gnädig sein, daß er uns alles sollte nachlassen, es müsse dennoch auch etwas bezahlt werden, es sei zuviel, daß man uns alles ganz und gar nachlassen und schenken sollte. Solche unsere Gedanken hat der Herr hier anzeigen wollen, daß der Knecht, ob er wohl um Gnade bittet, dennoch sich erbietet, als wolle er bezahlen, was er schuldig sei. Obwohl das auch wahr ist, wer Vergebung seiner Sünden mit Herzen begehrt, der muß am wenigsten den Vorsatz haben, er wolle der Schuld nicht mehr machen, daß ist, er wolle von Sünden ablassen und sich bessern und hinfort frömmer werden. Denn in Sünden fortfahren und davon nicht wollen ablassen, und dennoch um Vergebung der Sünden bitten, daß heißt unseres Herrn Gottes spotten.
Wer nun sich also an Gottes Barmherzigkeit begibt und um Gnade betet, wie findet er Gott? Auf das allerwilligste und gnädigste. Denn höre, was sagt der Sohn Gottes, der im Schoß des Vaters ist? «Es jammerte den Herrn desselbigen Knechts,» spricht er, «und er ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch.» Das ist die rechte und eigentliche Farbe, da man Gott und sein Herz auf das Beste mit malen kann und soll. Wer in ihm aber eine andere Farbe gibt, der malt ihn nicht richtig, und anders, denn er an sich selbst ist.
Denn das unsere Herzen dafür halten, Gott sei ein ernster Richter, da die Sünder keine Gnade bei finden, sondern sich aller Ungnade besorgen müssen, das ist ganz und gar ein falscher Gedanke; und es nicht nichts dran, obgleich das Gesetz selbst von unserem Herrn Gott nicht anders Predigt. Denn das Gesetz redet von den Sündern, die keine Gnade hoffen noch begehren. Die Sünder aber, die ihre Sünde bekennen, lassen sie sich leid sein, und wollten gern, daß sie Gott nicht also erzürnt hätten, und ist all ihr Anliegen und Kummer, daß sie wieder Gott so gelebt und seinen Geboten nicht gefolgt haben, und bitten deswegen um Gnade: die sollen Gnade finden, wie hier steht. Ursache, Gott ist ein gnädiger Gott, und hat ein väterliches Herz. Darum jammerte ihn unser Unglück und geht ihm zu Herzen; und wie der Prophet sagt (Hesekiel 18,23), hat er nicht Lust an des Sünders Tod; das aber ist seine Lust, daß der Sünder sich bekehre und lebe. Darum, wo er bei dir ein solches Herz findet, daß der Gnade begehrt, und ein Mißfallen ob der Sünde hat und davon abläßt, da will er gerne alle Schuld fallen lassen und dir Gnade beweisen. Wie wir hier sehen an dem Knechte, der seine Schuld bekennt und um Gnade bittet.
Was aber das Mittel sei, dadurch uns Gott will gnädig sein, zeigt das Evangelium an anderen Orten an, nämlich, daß der Sohn Gottes, unser lieber Herr Christus Jesus sich der Sünder angenommen, ihre Sünde auf sich geladen, und mit seinem Tod dafür bezahlt hat. Wo nun solches Vertrauen an den Herrn Christum und seinen Tod ist, da hat man Gott das Herz abgewonnen, daß er nicht zürnen noch strafen kann. Denn er ohne das ein mitleidig Herz hat, und tut ihm unser Jammer und Elend weh. Deswegen er von sich selbst, sobald Adam und Eva in die Sünde und den Tod gefallen waren, sich erboten hat, dem Teufel soll seine Macht durch des Weibessamen genommen werden.
Das ist nun unsere Lehre, die wir, Gott Lob! Recht und rein haben in unseren Kirchen, daß wir Vergebung der Sünden und ewige Gerechtigkeit und ewiges Leben haben, allein durch den Glauben an Jesum Christum, das ist, durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Wie wir hier an dem Knechte sehen, der eine so große Summe schuldig ist; aber aus Gnaden, ohne Verdienst, ohne alle Werke wird sie ihm erlassen: allein darum, daß er sich an die Gnade hält und darum bittet.
Darum ist es eine irrige, falscher, ja, gotteslästerlichen Lehre, daß die Katholiken, wenn sie von Vergebung der Sünden predigen, die Leute, so in solcher Schuld stecken, die ihnen zu bezahlen unmöglich ist, dahin beweisen, sie sollen und müssen für sich selbst mit eigenen Werken bezahlen. Daß wir aber die Leute bloß und allein auf Gottes Gnade durch Christum weisen, das heißen sie Ketzerei und Irrtum. Aber nimm du dies Evangelium vor dich, und besiehe, welche mehr hinzu kommen: wir, die wir von der Gnade predigen, oder sie, die von eigenen Werken und Genugtuung predigen. In Summe, die ganze Predigt geht dahin, daß wir lernen sollen, Gott will uns vergeben, und frei lauter umsonst zu Gnaden annehmen, und alle Schuld uns erlassen. Solcher Gnade erinnert uns der Herr hier, daß wir auch also tun, und untereinander alle Gnade und Freundlichkeit brauchen und mit unserem Nächsten nicht genau rechnen sollen; als dann halten wir uns wie Christen, denen Gnade widerfahren ist, und deswegen auch gegen jedermann Gnade beweisen. Das ist die erste Ursache, die der Herr hier führt, und daneben auch lehrt, welches der rechte Weg zur Seligkeit sei, daß wir zu Gnaden und Vergebung der Sünden kommen.
Die andere Ursache ist, daß der Herr will, wir sollen doch den Schaden und Unbilligkeit, so uns von anderen widerfahren, recht ansehen und wohl bewegen; so werden wir gewißlich befinden, wenn wir es auf die Goldwaage legen, daß die Schuld, so wir gegen unseren Herrn Gott haben, wird sein, wie 10000 Pfund gegen hundert Pfennige, die uns unser Nächster schuldig ist. Das wird denn uns auch bewegen, weil Gott so eine große Summe uns hat nachgelassen, daß wir mit dem kleinen nicht so genau rechnen, sondern auch zu Unrecht uns gutwillig halten sollen.
Einen Pfennig gegen 10000 Pfund, wobei ein jegliches Pfund sechshundert Kronen macht, ist eine sehr geringe Summe. So will nun der Herr so sagen: wenn ihr gleich euren Schaden wollten hoch machen, darum ihr denkt, ihr hättet Ursache zu zürnen: was ist es denn? Es ist kaum ein Gulden gegen hundert mal tausend Gulden, die ihr unserem Herrn Gott schuldig seid. So denn Gott auch die Augen zutut gegen euch, er will solche große Schuld nicht rechnen noch sehen: wie könnt ihr denn so unbarmherzige, harte Leute sein, daß ihr nichts nachlassen, und alles so genau rechnen wollt? Tut es nicht, um Gottes willen. Legt eure Sünde auf eine Waage und eures Nächsten auch, und tut nicht mehr, denn heuer himmlischer Vater mit euren vielen und großen Sünden getan hat, so seid ihr rechte Christen.
Die dritte Ursache ist diese, daß der Herr im Gleichnis uns alle miteinander Knechte heißt. «Derselbe Knecht,» spricht er, ging hinaus, und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig.» Solches sollte uns auch zur Gnade bewegen und von der Rache abschrecken. Denn wir sind nur Mitknecht, und haben aller einen Herrn über uns, der kann und wird uns strafen, was jedermann Böses tut; dem sollen wir seine Gewalt und Macht lassen, und ihm nicht dazwischen fallen. Denn er will es nicht leiden, daß du ihm in sein Amt greifen, und das tun wolltest, daß ihm allein zu tun gebühret. Wie der Herr am anderen Ort sagt: «Die Rache ist mein, ich will vergelten.» Denn Gottes Ordnung ist es, daß er die Sünde strafen will; und hat zu solchem Werk nicht allein den bösen Feind, der Leib und gut an greifen und auf mancherlei Weise beschädigen kann, wenn Gott ihm solches verhängt; sondern er hat auch auf Erden Vater und Mutter, Herr und Frau, und weltliche Obrigkeit. Diese alle haben Befehl von Gott, daß sie das Böse strafen sollen.
Darum, du bist Kind oder Knecht im Hause, so dir Unrecht geschieht von anderen Kindern oder Knechten, so hüte dich; laß dich den Zorn nicht überkommen, daß du dich rächen und nicht vergeben wolltest. Denke, es ist mein Mitknecht, ich habe keine Macht über ihn; ich will den strafen lassen, der Herr über uns beide ist. Will der es nicht tun und seines Amtes nicht warten, so ist noch ein Art oben über uns alle, der wird es nicht ungestraft lassen. Also sollen Bürger, Bauern, in der Summe ein jeder gegen den anderen sich halten, und vor der Rache sich hüten. Das meint der Herr mit dem Wort, daß er sagte im Gleichnis: «Dieser Knecht fand einen seiner Mitknechte.»
Die vierte Ursache ist, werde solcher Lehre nicht folgen, und weder Gottes große Gnade gegen sich, noch seines Nächsten kleine Schuld bedenken wollte, der doch sein Mitknecht ist, über den er keine Macht hat, und wollte seines Kopfes hinaus und nichts nachgeben, sondern zürnen und strafen: was würde er damit ausrichten? Anderes nicht, denn das solche große Unbilligkeit und Unbarmherzigkeit nicht wird heimlich bleiben. Andere Christen werden es sehen, und sich sehr darüber betrüben, und vor den Herrn kommen und ihm alles erzählen. Das heißt auf deutsch so viel: Durch solche Unbarmherzigkeit wird der Heilige Geist in den Christen betrübt; denen tut es wehe, seufzen deswegen zu Gott. Da darf niemand denken, daß solch Seufzen sollte vergebens und umsonst sein. Denn wo sonst der Herr sich so würde stellen, als sehe und wüßte er es nicht, und würde die Strafe verziehen und aufhalten: so wird er doch durch solch der anderen Christen Klagen und Seufzen gedrungen, daß er der Sache sich annehmen und zur Strafe eilen muß.
Also, gleich wie frommer Leute Fürbitte nicht vergebens noch umsonst ist, so ist der gemeine Fluch, das gemeine Klagen über die Bösen auch nicht vergebens noch umsonst. Darum will der Herr uns hiermit warmen, daß wir solchen gemeinen Fluch nicht verachten, sondern gegen unsere Mitknechte freundlich und barmherzig sein sollen: so werden wir Christen finden, die für solche Barmherzigkeit Gott danken, und wünschen werden, daß Gott uns bezahlen und dergleichen auch tun soll.
Darum sind diese unglückselige, heillose Leute, die beide, den gemeinen Segen und Fluch, verachten, die doch beide treffen: der Segen die Frommen, der Fluch die Bösen. Wie man denn erfährt, wenn eine teure Zeit kommt. Wer dann das Korn inne hält, wie die Geizhälse pflegen, und wartet, bis es mehr Geld dafür gibt, dem fluchen, wie Salomon sagt, die Leute, Sprüche 11,21; aber Segen kommt über den, der es verkauft. Solches verachten die Gottlosen beides. Aber man sehe, ob solcher Fluch vergebens sei, und sie nicht alles Unglück anstoße, die ihn auf sich laden. Denn, wie wir hier sehen, weiset uns der Herr dahin, daß wir uns davor hüten sollen, und nicht Ursache geben, daß die Mitknechte betrübt werden, vor den Herrn kommen und sagen, was sie gesehen haben. Denn da höre, was folgt.
Der Herr fordert den Knecht vor sich. Das ist die fünfte Ursache: daß, wo du keine Barmherzigkeit deinem Nächsten beweisen, sondern dich rächen und ihn strafen willst, Gott dazu nicht will bestehe schweigen, sondern dich zur Rede stellen. Das wird am jüngsten Tage geschehen. Da wird dann das schreckliche Urteil gehen, daß du den Peinigern überantwortet werdest, bist du alles bezahlest.
Was hast du denn an deinem Zorn gewonnen, du armer Mensch? Da du sonst einen gnädigen Gott haben und aller deiner Schuld hättest können frei und los werden, so du deinem Nächsten Barmherzigkeit bewiesen und ihm seine Missetat hättest für gut gehabt; da will Gott dir auch nicht vergeben, und ebenso genau gegen dich rechnen, als du genau gegen deinen Nächsten rechnest. Das ist ein armer, elender Handel, der du um eines Pfennigs willen, den du nicht lassen willst, über hunderttausend DM verlierst. Wie wohl dies Gleichnis viel zu gering zu dieser Sache ist, da ein Mensch zu Vergebung der Sünden nicht kommen und in Ewigkeit in Zorn und der Ungnade Gottes bleiben muß.
Darum beschließt der Herr und spricht: «also wird euch mein himmlischer Vater auch tun, so ihr nicht von Herzen vergebet, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.» Er heißt uns untereinander Brüder; da will sich je keine Feindschaft noch Unfreundlichkeit leiden. Nun sind wir aber so gebrechlich alle, daß wir nie durchaus unter einander so leben werden, es wird immer einer den anderen mit Worten, Werken und anderem beleidigen.
Wie soll es denn sein? Sollen wir wie Hunde und Katzen unter einander uns beißen und kratzen? O nein, sondern so soll es sein, daß wir von Herzen vergeben, und bedenken: Was wollte ich meinen Bruder strafen? Ist mir Gott gnädig, und hat mir so eine große Summe frei, umsonst, um Jesu Christi seines Sohnes, willen, nachgelassen: was wollte ich mich um einen Pfennig oder zwei ärgern. Ich will eines gegen das andere abrechnen, vergessen und vergeben, und Gott danken, daß er mir auch vergeben und mich zu Gnaden angenommen hat, da er doch tausend und aber tausend Mal mehr Ursache hätte gehabt, mit mir zu zürnen und mich zu strafen, denn ich wieder meinen Nächsten habe.
Das ist die Lehre, welche unser lieber Herr Christus seinen lieben Christen heute predigen läßt, daß wir uns brechen, dem Zorn den Zaum nicht lassen, sondern unsere Schuld gegen des Nächsten abrechnen, und froh sollen sein, daß wir dazu kommen und beides aufgehoben werde.
Aber da sieht man leider, wie wir so gar nicht folgen, und uns den Teufel reiten und treiben lassen zu Zorn, Rache und allem Unglück, mit unserem großen Schaden und Nachteil. Denn beschlossen ist es: Willst du nicht vergeben, so will dir Gott auch nicht vergeben; willst du rächen, zürnen, strafen, so will Gott auch rächen, zürnen und strafen. Aber ein ungleicher Zorn und Strafe ist es. Denn Gottes Zorn und Strafe ist ein ewiger Zorn und Strafe: da steckts du dich ein durch einen kleinen Zorn, der so einer geringen Schuld wegen entsteht, gegen den, da du kein Recht zu hast; sondern Gott allein hat Recht dazu, und ist gewiß, wo du nur nicht strafest und ihm zuvor kommst, er werde weit härter und schrecklicher die Sünde an deinem Mitknecht strafen, denn du immer gedenken kannst.
Darum sieht man auch, wie immer eine Sünde mit der anderen gestraft wird. Was so rachgierige, zornige, unerträgliche Leute sind, die treibt er Teufels so weit in den Zorn, daß sie nicht können noch wollen das Vater Unser beten. Denn sie sehen einen Stachel darin, den sie nicht können über die zugelassen, daß ein Christ beten soll: Vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben. Da fühlen sie sehr wohl, so ihnen Gott nicht anders vergeben wolle, denn sie anderen vergeben, so werden ihnen ihre Sünden wohl unvergeben bleiben. Solch ein Urteil wollen sie selbst wieder und über sich nicht sprechen, lassen eher Vater Unser ungebetet. Denkst du nicht, der Teufel habe solche Leute schon gebunden, daß sie um des Zornes willen auch das Gebet verlieren? Was hat aber ein Christ, wenn er das Gebet verloren hat? Gar nichts hatte er, ja, steckt in einem doppelten Ungehorsam gegen Gott!
Also geschieht es auch, daß solche Leute sich vom Heiligen Abendmahl des Leibes und Blutes Christi enthalten, und um eines kleinen, geringen, und ewigen Zornes willen gegen ihren Nächsten sich des höchsten Trostes wieder die Sünde und das Gewissen berauben. Wäre es nicht tausend und aber tausend Mal besser, allen Zorn fahren lassen, alle Unbilligkeit leiden und vertragen, denn mutwillig und vorsätzlich sich Gottes Gnade berauben und ihm seinen Zorn fallen?
Darum, wer sein Herz dermaßen mit Zorn und Haß verhärtet findet, der nehme dies Evangelium vor sich und besinne sich wohl, und bitte Gott um Vergebung, daß er so lange den Zorn gegen seinen Nächsten behalten und so unchristlich gelebt habe; und fahre bald zu und vergebe von Herzen, auf das Gottes Urteil und Gericht ihn nicht übereile, sondern er auch zu Vergebung der Sünden und ewigem Leben komme durch Christum, unser aller Erlöser und Seligmacher.