Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Sapher).
Vier und dreißigste Predigt.
Neunzehnte Lagerstätte: Sapher.
4. Buch Mosis 33,23.
Noch weiter von Kanaan, noch weiter auf Ägypten zu, wenn gleich nur zwo Stunden! Nur zwo Stunden? Und all die Umstände? Ja wohl. Werden Tränen gezählt, gewiss auch unsere Stationen.
Nur Liebe ist’s, die uns regiert,
Und uns bald so, bald anders führt;
Von ihr kommt’s, was uns je begegnet.
Kein Härlein wird uns je gekränkt,
Nur Liebe ist es, die es lenkt.
Es muss uns sein zum Ziel gesegnet.
Petrus nennt die Gläubigen lebendige Steine zu einem geistlichen Hause, zu einem Tempel Gottes. Steine müssen zuvor behauen, und wenn sie zu einem so prachtvollen Bau sollen angewandt werden, sehr sorgfältig behauen werden, vor allen Dingen, wenn sie mit allerhand Blumenwerk und Figuren sollen geschmückt werden. Die ersten Schläge, die ihnen gegeben werden, sind wohl die härtesten, aber auch die noch am wenigsten bildenden, und es gehören keine feingeübten Hände dazu, sie zu geben, und dem rohen Block einige Gestalt mitzuteilen. Sie sind so zu einem gemeinen Bau schon geeignet genug, nicht aber wenn sie bei Prachtgebäuden angewandt werden sollen. Und Gottes Kirche ist ein Prachtgebäude einzig in seiner Art. Alsdann folgt auf die rohe Bearbeitung eine feinere, von geübteren Händen, und so eine noch feinere von noch geschickteren, und endlich die feinste von den künstlichsten Meistern. Die Werkzeuge werden immer subtiler, die Schläge schwächer, unmerklicher ihre Wirkung. Dies leidet seine Anwendung aufs Geistliche, die euch selbst überlassen bleibt. Der Stein – mag er auch ein lebendiger sein, und also fühlen; ein vernünftiger, und also überlegen – der Stein selbst kennt doch die Figur und Bildhauerei nicht, die auf ihm gemeißelt werden soll, weiß nicht, ob da oder dort noch ein Flicken angebracht werden muss, und wo er am Palast seine Stelle angewiesen bekommt, aber der Meister, derjenige, welcher alles bereitet, das ist Gott, Hebr. 3, weiß es, und tut also. Die lebendigen Steine täten also am besten, wenn sie den toten nachahmten, ließen sich so und anders kehren und wenden, flicken und bearbeiten, und sprächen: Herr, wir sind Ton, sei Du Töpfer, statt dass sie so leicht widerbellen, jammern und fragen: wozu dies, wozu das? obschon ihnen dies übel ansteht. Wenn man so immer fragen und darauf antworten sollte: so möchte man – um aus tausend nur eins zu nehmen – auch fragen und antworten: warum brachte man Paulo zu Lystra, nach Apost. Gesch. 14, bekränzte Ochsen, sie ihm als einem Gott Jupiter zu opfern, und gleich darauf steinigten sie ihn, schleiften ihn sodann wie ein totes Vieh zur Stadt hinaus, und ließen ihn da für tot liegen? Gehörte auch dies in seinen Weg? Und wenn es das tat, wer ist im Stande, genau nachzuweisen, warum und wozu es geschah? Wer wird aber nicht einräumen müssen, dass auch dies so gut seinen heilsamen Zweck hatte, als später die Faustschläge Satans? –
Manche Christen sind wohl geneigt zu fragen: warum begegnet mir so vielerlei, wovon Andere nichts erfahren? Allein, was soll man anders darauf erwidern, als dies: darum begegnet es dir, weil es deine Berufung und Erwählung, weil es deine Bestimmung so erfordert, weil du der Stein sein, die Stelle einnehmen, das Gebilde an dir tragen sollst. – Wer sich damit nicht begnügen kann, muss sehen, dass er eine anderen Antwort bekommt! Gewiss ordnete die göttliche Weisheit es so, dass die Kinder Israel sich nun hier so und solange, dann eine Meile, ein anderes Mal 6, 8, zweimal sogar 12 Meilen weiter lagern mussten. Kann uns jemand genau die Absicht der göttlichen Weisheit nachweisen, so werden wir ihn mit Vergnügen hören, erwarten es aber nicht.
Was den Namen dieser 19ten Lagerstätte betrifft, so hieß sie Har Sapher, auf Deutsch: schöner Berg. Das Wort steht auch 1 Mose 49: Naphthali gibt schöne Rede; Hiob 26: der Himmel wird schön durch seinen Geist; Ps. 16: mir ist ein schön Erbteil geworden. Dies Sapher folgt sehr natürlich auf die anderen Lagerstätten. Ist jemand zu Libna weiß geworden, hat er in Rissa die Besprengung empfangen, ist er so ein echtes Glied der Kehelatha, der Gemeine Gottes: so ist er auch in den Augen Gottes und aller seiner Heiligen sapher, schön, lieblich. Was ist auch das Erbteil des Sohnes Gottes, das er Ps. 16 schön nennt, anders, als seine Gemeine? Haben wir nicht gern gehört, dass von Naphtali, wo sich Jesus am meisten aufhielt, schöne, liebliche Rede ausgeht, und nicht zugestimmt, wenn Hiob sagt: durch seinen Geist wird’s schön? –
Ich denke, diese Lagerstätte war, was sie hieß: schön, lieblich, wie wir deren schon etliche gehabt haben. Geht’s nicht allezeit gleich herrlich zu, so ist es auch nicht an einem fort kümmerlich und elend. Es gibt auch, wo nicht Monate, doch Wochen, wo nicht Wochen, doch Tage oder Stunden, oder Augenblicke, wo es heiter, fröhlich, wenigstens leidlich ist. Die Jünger hungert nicht jederzeit, dass sie des Sabbats ungeachtet Ähren ausraufen, zwischen den Händen zerreiben und essen; sie brauchen doch nicht immer auf die Frage: Kinder, habt ihr nichts zu essen? mit Nein zu antworten. Bisweilen wenigstens haben sie ein Lamm auf der Tafel und Wein dazu, oder werden gar zu einer Hochzeit eingeladen. So geht’s noch im Geistlichen. Auch in der Wüste gibt es hie und da grüne Oasen. Wer könnte es auch sonst darin aushalten! Davids Seele weigerte sich einmal, sich trösten zu lassen, aber der Herr zog ihm sein Trauerkleid doch wieder aus. Die Seele meint das eine mal wohl, nun werde sie sich nie mehr bekümmern, und nie mehr ängsten, und nie mehr zagen oder zweifeln, und es macht sich anders; aber es macht sich auch anders, wenn sie denkt, nun werde es nie wieder an sie kommen, sich zu freuen, ganz getrost zu sein, nicht mehr zu zweifeln, fest zu glauben. Du hast meine Klage verwandelt in einen Reigen, sagt David. Fest darf sich Israel nicht setzen, es geht immer anders und anders. Ach! seht doch! Von Sapher ziehts, weil es muss, nach Harada, und d.h. Schrecken. Gib deinen eigenen Willen, gib deine eigene Wahl ganz in den Tod, so hast du Ruhe. Am guten Tage sei guter Dinge, den bösen nimm auch vorlieb. Verkündige des Morgen seine Gnade, des Nachts seine Wahrheit. Ps. 92.
Dies Har Sapher fügt sich ganz rechts auf die Straße durch der Philister Land, welche, wie es 2 Mose 13,17 heißt, die nächste war, und auf welchen sie nicht die Hälfte von Tagen gebraucht hätten, um nach Kanaan zu kommen, die sie jetzt Jahre darauf zubringen mussten. Der Grund, welcher von der Handlungsweise Gottes, da Er sie so weit herumführte, angegeben wird, ist eben so seltsam, wie diese Handlungsweise selbst. Denn, heißt es, Gott dachte, es möchte dem Volk gereuen, wenn es den Streit sähe, und wieder umkehren in Ägyptenland. O, wie wunderbar! Und nun scheint Er sie selbst dahin zurückzuführen? In wenig Tagen können sie wieder in Gosen sein! Wer hat doch des Herrn Sinn erkannt, und wer ist sein Ratgeber gewesen! Kannst du, o Seele! deine Führungen nicht mehr begreifen, so tue die Augen zu und folge. Geht’s mit dir dem Ansehen nach, statt vorwärts, wie du sonst gewohnt warst, wie du es begehrst, wie du danach strebst, wider deinen Wunsch und Willen rückwärts: stecke mit Jeremia deinen Mund in den Staub, und warte der Hoffnung in Geduld. O! ihr heiligen Gebeine Josephs, der du dir bei deinem Leben mit einem Eide versichern ließest, dass sie deine Gebeine aus Ägypten mitnehmen sollten, wenn Gott sie herausführen werde, wie er versprochen, wie Moses auch treulich tat, wie lange müsst ihr harren, und auch noch all diese Kreuz- und Quergänge durch die Wüste mitmachen, bis ihr endlich von Josua zu Sichem, 180 Jahre nachdem der Geist euch verlassen, bei Salem, d.i. Friede, begraben werdet. Welch eine Predigt von der unzerreißbaren Zähigkeit, die dem Glauben Not tut, weshalb auch so oft Glauben und Geduld zusammen geboten wird; welch eine Predigt von der Treue Gottes in Erfüllung seiner Verheißungen, und sollte es noch so lange dauern, und noch so verworren hergehen, halten uns auch diese Gebeine, und zu welcher Aufmunterung konnten sie, obschon sie schwiegen, bekümmerten Israeliten dienen! Abraham verstand es, er glaubte auf Hoffnung, wider Hoffnung, wo nichts zu hoffen war. –
Seht den Gehorsam Israels. Obschon der gebahnten Heerstraße ganz nahe, sind sie doch weit entfernt, sie aus eigenem Gutdünken einzuschlagen, um so auf die kürzeste und bequemste Weise aus der Wüste heraus, sei es nach Kanaan, sei es nach Ägypten zu kommen. Wie heilsam ist ihnen die scharfe Zucht unter den Wacholdersträuchen zu Ritma gewesen. Wie zahm, wie biegsam sind sie geworden! Ihr Verhalten ist Davids Wort gemäß, wo er sagt: ich weiß, Herr, dass deine Gerichte gerecht sind, und hast mich treulich gedemütigt. Denn des Vaters Liebes-Rut, tut uns allewege gut. Geduld, Bewährung und Hoffnung sind uns nötig, und diese schönen Früchte wachsen nach Röm. 5. auf dem Kreuzbaume. –
Ich bin der Meinung, dass diese Lagerstätte nicht nur von ihrer anmutigen Lage, sondern auch von der Einschicklichkeit und Schmiegsamkeit der daselbst Gelagerten, den Namen Sapher, schön und lieblich bekam. Denn wie gebrechlich es auch freilich hie und da zu Zeiten unter Christen hergehen, und einem Apostel Ursache geben mag, von ihnen zu sagen: euer Ruhm ist nicht fein; ich fürchte, dass ich euch nicht finde, wie ich wünschte, dass nicht Hader, Neid, Zorn, Zank, Afterreden, Ohrenblasen, Aufblähen da sei, und drohend zu fragen: soll ich mit der Rute kommen? so geben ihn doch manche Anlass zu gestehen, dass er sich veranlasst sehe, ihretwegen Gott durch Jesum Christum Dank zu sagen, dass man von ihrem Glauben und ihrer Liebe in aller Welt rühme. Es ist doch auch wahr, dass es Häuflein gibt, die sich durch ihre Eintracht, Liebe und andere Tugenden als recht christlich erweisen. Muss auch der einzelne Christ zuweilen sich anklagen, wegen Dürre, Ungeduld und allerlei Unarten, so hat er doch auch wieder solche heilige und selige Zeiten, wo der Bräutigam aus dem Hohenlied sagen kann: wie schön ist dein Gang in deinen Schuhen, du Fürstentochter; und die Seele selbst, David aus dem 101. Psalm nachzusprechen: ich handle vorsichtig und redlich bei denen, die mir zugehören, und wandle treulich in meinem Haus. So sollte es bei allen sein, und wer den Namen Christi nennt, trete ab von aller Ungerechtigkeit, und lasse sich finden im Stande guter Werke, wodurch er die Lehre Christi ziere. Israel lagert auf einem Berg, und ist eine Stadt auf demselben. Lasst deswegen euer Licht leuchten, nicht bloß in guten Worten, sondern in guten Werken, damit der Vater im Himmel gepriesen werde. Gib, o Vater, dass wir alle unsere Gedanken, Worte und Werke dahin richten, dass Dein Name um unsertwillen nicht gelästert, sondern geehrt und gepriesen werde! –
Wir haben auch manchen Har Sapher, manchen schönen Berg, nämlich den Berg Golgatha und den Ölberg, diese Berge, von wo aus Hilfe kommt; sind wir Christen, so sind wir schön, und haben Schönes, was uns dort erworben ist. Ist es nicht merkwürdig, das hohe Berge eben der Schauplatz der besondersten Offenbarungen Gottes waren, wie auch die antichristischen Hure auf sieben Berge sitzt? Da ist der Berg Horeb und Sinai, wo Gott seine Heiligkeit, Moriah und Zion, wo Er seine Gnade und Barmherzigkeit offenbart. Von Nebo aus sah der sterbende Moses Kanaan. Tabor war’s, wo er und Elias mit Christo redeten. Er selbst, Jesus, wählte oft einen hohen Berg, um daselbst eine Nacht im Gebet Gottes zuzubringen. Auf dem Ölberg weilte er besonders oft, begann daselbst seine Leiden und seine Herrlichkeit, und segnete daselbst seine Jünger, als die Erstlinge seiner neuen Gemeine. Auf dem Hügel Golgatha vollendete Er sein Opfer, und hatte in der Nähe desselben sein Grab. Zur Zeit des großen Streits wird man nach Sach. 14. seine Füße wieder stehen sehen auf dem Ölberg. Wohl mögen wir deswegen mit David sagen, Ps. 121: ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.
Auf Bergen ist uns das Heil erworben, und nur in und aus der Höhe wird es gefunden. Trachtet deswegen nicht nach dem, was auf Erden ist, sondern nach dem, was droben ist. Seid ihr Christen, so seid ihr von Oben her, und könnt euch an niedrigen Dingen nicht sättigen. Hebt eure Augen in die Höhe! heißt es. Von dannen erwarten wir Hilfe und unseres Leibes Erlösung. Wir richten unseren Blick aufwärts, wenn das Angenehme dieser Erde uns reizen, und unsere Herzen bestricken will, denn droben ist unser Schatz. Diese Belohnung sah Moses an, und wollte deswegen lieber mit dem Volk Gottes Ungemach leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde genießen. Gegen das Gewinnen Christi war dem Apostel alles Schaden und Auskehricht. Will das Gewirre dieser Erde und ihre Mühe uns ermatten – der Blick hinauf nach dem jenseits des Jordans gelegenen Lande der Ruhe stillt und stärkt. Bin ich bin Not, so hebe ich mit David Ps. 123 meine Augen auf zu Dir, der du im Himmel sitzt. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren sehen, und die Augen der Mägde auf die Hände ihrer Frauen, also sehen unsere Augen auf den Herrn, unseren Gott, bis er uns gnädig werde. Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig, denn unsere Seele ist sehr voll Verachtung.
Wohl dem Israel, das auf dem Gebirge Sapher, dem Gebirge der Schönheit lagert, denn daselbst wird man schön. Wir sind’s von Natur nicht, und mögen wohl Jakob heißen. Die Herrlichkeit des Herrn ist dahin. Mein Vater, müssen wir mit Israel sagen, war ein Amoriter und meine Mutter aus den Hethitern Ezech. 16,45., also verachtet ist deine Seele da du geboren wurdest. Der Mensch aber fängt an schön zu werden, wenn er anfängt, seine Hässlichkeit zu sehen. So lange er fragt: bin ich auch blind, um dies von sich zurückzuweisen; so lange er meint, nicht zu sein, wie andere Leute, und sonderlich, wie dieser Zöllner; so lange er sagt: ich habe keinen Mangel, stehts sehr übel um ihn. Aber erkennt er erst seine Missetat, so sieht der Herr schon etwas Schönes an ihm, das Ihm gefällt, wie es Jeremias 3,13 heißt: ich bin barmherzig, spricht der Herr, und will nicht ewiglich zürnen, allein erkenne deine Missetat. Der erste Schritt, den der verlorene Sohn tat, um aufs schönste geziert zu werden, bestand darin, dass er einsah, wie elend der Zustand war, in welchem er sich befand. Ich verderbe im Hunger, sprach er. –
Was offenbar wird, ist Licht, sagt Paulus Eph. 5,18. Es kommt also alsdann schon ein göttliches Keimlein in die Seele, weswegen der Herr ihr wohl will, denn bei ihm ist lauter Licht. Es kommt ein Fünklein Wahrheit in die Seele, dass sie Gott damit nicht mehr Lügen straft, dass sie sagt: Sünde habe ich nicht, ein Fünklein, das sich schon durchglimmen und die Seele freimachen wird. Dies ist also der erste Schritt aus dem Tal der Finsternis auf das Gebirge Sapher, wo man schön wird. –
Darauf folgt der zweite Schritt: wo der Mensch seine Sünde bereut. Solchen Tränen kann der barmherzige Herr nicht widerstehen. Der Erzvater Jakob bekämpfte und besiegte ihn mit diesen Waffen. – Hiskia weinte sehr, und so kam das Wort des Herrn zu Jesaja, der noch nicht halb aus der Stadt war, und musste ihm sagen: der Herr hat diene Tränen gesehen. Siehe, ich will dich gesund machen, erretten und beschirmen. – Als um Jesum her alles an Lazarus Grabe weinte, da konnte Er’s auch nicht mehr aushalten, Er musste selbst weinen und rief: wo habt ihr ihn hingelegt? Mit diesen unwiderstehlichen Waffen bestritt ihn jene große Sünderin, die an seinen Füßen lag und sie nass weinte, und wieder mit ihren Haaren trocknete, mit so glücklichem Erfolg, dass Er zu ihr sprach: deine Sünden sind dir vergeben. Gehe hin mit Frieden. Luk. 7. Als Maria, welche wahrscheinlich die nämliche war, wovon Lukas redet, an seinem Grabe weinte, konnte er sie nicht lange weinen lassen, sondern offenbarte sich ihr so, dass ihre Tränen sich sich in einen Freudenruf umwandelten. Und als gar sein Liebling weinte, musste alsbald einer von den himmlischen Ältesten eilen und ihm sagen: weine nicht, denn siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda. –
Nichts schöneres, als ein weinender Sünder. Solchen Anblicks freuen sich selbst die Engel. Wie süß ist es auch, sich an den Füßen des Heilandes auszuweinen, süßer oft, als ein eigentlicher Trost. Die Beugung, die Zerknirschung, die Wehmut, deren Frucht diese Tränen, sind was gar liebliches. Und wie gern weinte sie manche Seele, deren geängsteter Geist keine Luft schöpfen, keinen Atem holen kann, die sich hart, dürr und verstockt fühlt und aus deren Brust sich nur beklemmte Seufzer loswinden. Aber auch diese Seufzer sind dem Herrn eine liebliche Musik. Er hört das Seufzen der Elenden; und schaut das Elend und den Jammer, Ps. 10. Das geängstete und zerschlagene Herz will Er nicht verachten, vielmehr ist’s ein Opfer, das ihm gefällt. – Es geht bergauf. Die Tritte sind sauer. Mancher Schweißtropfen rinnt. Das Herz klopft mächtig. Aber es geht den Berg Sapher hinan, und oben ist die Schönheit. –
Die eifrigsten Anstrengungen führen nicht zum Ziel, und regen das Verderben nur noch mehr auf; die Vorsätze lassen ohne Kraft und ermatten; im Gesetz ist keine Rast noch Ruhe mit allen seinen Werken. Endlich vernimmt die abgemattete Seele, dass bei keinem anderen Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben ist, darinnen sie können selig werden, als Jesus, dass derselbe für alle Schäden Rat weiß, und alle Krankheit heilt. Nun weint sie nach ihm. Ach! dass du den Himmel zerrissest, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Wachs. –
O! du Arm des Herrn, zeuch Macht an, wie vor Alters. – Habt ihr den nicht gesehen, den meine Seele liegt? O sagt ihm, ich sei krank vor Verlangen. – Nach dir, Herr, verlangt mich! wann werde ich dahin kommen, dass ich dein Angesicht schaue in Gerechtigkeit? Wenn ich nur dich habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde. Du, du bist ja der Geringen Stärke, der Armen Stärke in Trübsal. Herr, zu dir schreie ich, und sage mit Ps. 142: Du bist meine Zuversicht, mein Teil im Lande der Lebendigen. Merke auf meine Klage, denn ich werde sehr geplagt. Errette mich von meinen Verfolgern, denn sie sind mir zu mächtig. Führe meine Seele aus dem Kerker, dass sie Dich lobe. –
Der Herr Jesus lässt die Seele hier nicht stecken, sondern offenbart sich ihr, als voll Gnade und Wahrheit. Sie wird gläubig – ein noch mehreres Hinaufklimmen auf das schöne Gebirge, ein vierter Schritt. Es wird ihr göttlich gewiss, dass Jesus Sünder selig macht, und so findet auch sie Ruhe. Ihre Sünderschaft quält sie nun nicht mehr, obschon sie beugt, zugleich aber fühlt sie sich dadurch umso mehr zu Jesu hingedrängt. Und was kann man Schöneres sehen, als ein so recht gläubiges und zuversichtliches Herz, das gänzlich durch Christum auf Gott vertraut, wie ein liebes Kind auf seinen lieben Vater, und nichts mehr sorgt: nicht wegen der in der Unwissenheit begangenen Sünden, weil Christi Blut sie abgewaschen hat; nicht wegen der anklebenden Verdorbenheit, welche mit dem Leiden und Sterben Christi bedecket ist, bis sie ganz hinweggenommen werde, nicht wegen der geistlichen Feinde, sintemal sie alles vermag, durch den, der sie mächtig macht; nicht wegen allerlei Trübsal, denn derjenige, der die Last auflegt, hilft sie auch tragen; nicht wegen des Durchkommens, denn getreu ist der, der uns gerufen, der wird es auch tun; nicht wegen der Seligkeit, denn aus Gnaden seid ihr selig geworden, durch den Glauben, durch denselben ist sie gewiss, dass nichts sie scheiden wird von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu. Jetzt kommt die Frucht wie von selbst hervor, die sonst alles Grämen und Quälen nicht hervorzutreiben vermochte. Jetzt ist alles schön, und die Seele lagert zu Har-Sapher. –
Wie schön sind die Seelen, die da leiden. Was kann schöner sein, als um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden? Der Mund der Wahrheit preist sie selig, und erkennt ihnen das Himmelreich, so wie überhaupt den Leidtragenden Trost zu. Was können wir Schöneres sehen, als die Schar heiliger Märtyrer, die ihr Leben nicht geliebt haben bis in den Tod, und wie ehrwürdig muss es uns dünken, dass auch unsere Kirche, sonderlich auch Frankreich und Holland gewürdigt worden ist, einen bedeutenden Beitrag dazu liefern zu dürfen, und sollten wir nicht mit Ehrerbietung des ersten statt aller anderer dieser Märtyrer, des Annas von Burg in Paris gedenken, der getrost dem brennenden Scheiterhaufen entgegen ging, jedoch betend: verlass mich nicht, mein Gott, damit ich dich nicht verlasse. – Mochten sie gesteinigt, zerhackt, zersägt, mit dem Schwert und mit Feuer getötet, und auf unmenschliche Weise gequält werden, der Apostel nennt sie Ebr. 11. Leute, derer die Welt nicht wert war. – Und selig ist überhaupt der Mann, welcher die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen. Wir rühmen uns auch der Trübsale. –
Wie schön ist die betende Seele. Gott nimmt einen Titel davon an, wenn er sich Ps. 65,3 den Erhörer des Gebets nennen lässt, und Ps. 109,4. sagt der Messias: Ich bin das Gebet. Siehe, er betet, sagt er von Saulo. Darauf achtet der Herr, da sonst, was groß vor der Welt erscheint, Ihm ein Gräuel ist. Jenes aber zieht seine gnädige Aufmerksamkeit auf sich. Das Gebet tut Wunder, denn alles, was ihr bittet, in eurem Gebet, glaubt nur, so werdet ihr’s empfangen. Wie wohlgefällig ist ihm seiner Kinder Dank, und wer Dank opfert, preist ihn, und das ist der Weg, dass er ihm zeige sein Heil. – Welch ein Gewicht legt Eliphas von Theman, Hiob 22,9. auf die Fürbitte, wie er’s auch hernach selber erfahren musste, wenn er zum Hiob sagt: wird jemand erniedrigt, und du wirst sagen: er werde erhöht, so wird Gott den Niedrigen erhalten; Er wird auch den erhalten, der nicht unschuldig ist, um der Reinigkeit deiner Hände, d.i. deiner Fürbitte willen. Lass mich hören deine Stimme, spricht der Bräutigam Hohel. 2, denn deine Stimme ist süße und deine Rede lieblich. Deine Lippen sind wie ein triefender Honigseim.
Man ist zu Sapher, wenn man sich selbst verleugnet, und das ist schön. Wie hässlich ist der, welcher seinen Verstand überall will hervorleuchten lassen, der seinen Willen durchsetzen, seine Plane will geltend machen, seine Ehre zu seinem Ziele macht. Aber wie schön erscheint ein Moses, wenn er der Schmach Christi einen höheren Wert beilegt, als allen ägyptischen Schätzen; ein David, wenn er sich ganz in den göttlichen Willen ergibt, mag er ihn auf dem königlichen Thron erhalten, oder davon verstoßen wollen; ein Abraham, wenn er Vaterland und Freundschaft verlässt, und folgt, wohin der Herr ihn führt. Zu Sapher liegt man. Und die Liebe gibt die höchste Zierde, weil sie Gott ähnlich macht. Zu Sapher streitet man wider Teufel, Welt und Sünde, und gesellt sich so in die Reihe der guten Streiter Jesu Christi, und kämpft den guten Kampf des Glaubens. –
Zu Sapher wird man schön, denn diejenigen, die daselbst lagern, werden von Gott selbst angezogen mit den Kleidern des Heils, und mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleidet, wie ein Bräutigam mit priesterlichem Schmuck geziert, und wie eine Braut in ihrem Geschmeide prangt, dass sie sich freuen in dem Herrn, und fröhlich sind in ihrem Gott. Da stirbt’s sich denn auch schön, weil es nur der steile Überschritt auf den Gipfel des Berges Sapher ist, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen ist zu seiner Rechten immer und ewiglich.
So lagere der Herr uns auch zu Sapher, und geleite uns durch die Wolken- und Feuersäule glücklich dahin! Amen.