Krummacher, Gottfried Daniel - Körper und Schatten
„Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewähret ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.“ So schreibt der Apostel Jakobus (Jak. 1,12) und wiederholt hier eine Wahrheit, welche oft in der Schrift ausgesprochen wird. Er redet von Anfechtung. Wir begreifen es im Natürlichen, was jemand damit sagen will, wenn er uns erzählt, daß er unterwegs angefochten worden, wenn er sich auch nicht weiter ausläßt; wir verstehen es, was damit gemeint sei, wenn wir hören, jemand werde wegen eines Eigentums, eines Worts, einer Tat angefochten, und denken dabei an Ungemach und Schaden, den man ihm zu verursachen strebe. Im Christentum gibt's etwas Ähnliches, und es ist kein Stück desselben, das nicht angefochten werden könne, es sei der Glaube, die Liebe oder Hoffnung, die Geduld, Sanftmut, Keuschheit, ja, es gibt auch Generalanfechtungen aufs Ganze. Dies alles wird vom Entgegengesetzten angefochten. Das ist nicht angenehm, sondern unangenehm, und wie Jakobus Recht hat, wenn er Vers 2 sagt: Meine lieben Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet, so hat Petrus auch Recht, wenn er sagt: Die ihr traurig seid in mancherlei Anfechtungen. Mag jemand aber auch traurig sein, der mancherlei Anfechtungen erduldet, der Heilige Geist preist ihn doch durch den Jakobus selig, wiewohl wir dieser Art Seligkeit wohl gern überhoben wären. Der Grund der Seligsprechung liegt darin, daß durch die Anfechtung eine wichtige Bewährung bewirkt wird, deren auch Paulus Römer 5 gedenkt. Diese Bewährung besteht darin, nur freilich teils, daß jemand sich dennoch behauptet gleich einem Kriegsheer, das erschrecklich angefallen wird und dennoch Stand hält, seine Tapferkeit bewährt beweiset. Wessen Geduld z.B. angefochten und bewährt wird, der beweiset eine herrliche Geduld und so fort. So erwies sich vor allen Christus in ihrem Maße, aber auch Abraham, Jakob, Josef, Hiob und Daniel bewiesen mit der Tat, was für herrliche Menschen sie waren, so daß Gott über den ersten selbst ausrief: Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest (1. Mos. 22). Aber um die Bewährung hat's auch noch eine andere Bewandtnis. Sie tut nämlich das beim Christentum, was die Goldarbeiter mit dem Golde, das sie nicht bloß prüfen, um den Grad seiner Reinheit und somit seines Werts zu bestimmen, sondern auch durch Feuer und sonstige scharfe Mittel läutern, wodurch es zwar an der Masse verliert, aber an innerem Gehalt gewinnt. Ein wenig geläutertes Gold hat noch viele fremdartige Teile beigemischt, wie die Kenner wissen und deswegen einer größeren Masse nicht den Wert beilegen, als einem vielgeläuterten Golde, das nichts oder wenig fremdartiges enthält. Eine solche Bewährung findet sich ebenfalls beim wahren Christentum, so daß Paulus 1. Kor. 3,13 festsetzt, welcherlei eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. Wie es dabei hergeht, werden diejenigen gewahr, die also hergenommen werden. Ohne Schmerzen geht es nicht her. Da werden die Zutaten verzehrt, aber das Gold bleibt. Erst nach dieser Bewährung empfängt jemand die Krone des Lebens, und sie hängt ab von dem Grade der Reinheit, den der Meister dem Golde bestimmte. Ach, nach unserer Natur gehen wir mit Lügen um, prangen, wenn wir eben können, als ob wir Wunder was wären, da wir doch nichts sind. Wohl dem, der von der Nichtigkeit alles dessen, was außer Christo ist, immer mehr überzeugt und immer gründlicher zu ihm selbst geleitet wird, in dem der Körper ist!
Welches ist der Schatten von dem, das zukünftig war, aber der Körper selbst ist in Christo.
Kolosser 2,17.
Wir betrachten mit der Hülfe des Herrn:
- Was unter dem Körper verstanden wird,
- Wo er anzutreffen ist.
Der heilige Apostel stellt hier den Körper dem Schatten entgegen, und das Wirkliche und Wesentliche der Abbildung.
Im engsten und eigentlichsten Sinn versteht er unter dem Schatten den alten Bund mit allem, was dazu gehört, und wovon er im 16. Vers einiges nennt, nämlich: Speise, Trank, Neumonde und Sabbate. In seinem merkwürdigen Briefe an die Hebräer erwähnt er noch mehr und gibt von verschiedenen Stücken eine treffliche Auslegung. Nicht nur die Opfer und Priester, sondern auch die Gebräuche und Feiertage und Jahre waren Abbildung und Schatten. Die Sache selbst ward Mose auf dem Berge gezeigt und ihm sodann geboten, alles genau nach diesem Urbild einzurichten. Es waren also keine wirklichen eigentlichen Priester, Opfer, Reinigungen, Sabbate und dergl., sondern nur das, was der Schatten eines Körpers ist, die wohl einige, auch viele Ähnlichkeit mit einander haben, aber doch unendlich verschieden sind. Das wahre Priestertum und Opfer, die wirkliche Reinigung von Sünden, der eigentliche Sabbat, das wahrhafte Sabbat- und Jubeljahr, ja, das wesentliche Kanaan war ganz irgend wo anders zu finden, als wo fleischliche Augen es zu sehen glaubten, welche den Schatten für die Sache selbst hielten und sich so gänzlich täuschten, wie es bei dem großen Haufen der Juden der Fall war. David aber rühmt und sagt Psalm 51,8: Du lässest mich wissen die heimliche Weisheit. Die Erläuterung verschiedener Vorbilder, welche in dem Briefe an die Hebräer anzutreffen, ist höchst merkwürdig, und die Betrachtung derselben lehrreich. Zu den Zeiten der Apostel, wo der Tempel noch stand, und der feierliche Dienst in demselben noch im Schwange war, wurde aus dem Zeremoniendienst mancherlei Bestreitung des Christentums hergeleitet, die aber seit der Zerstörung des Tempels und dem Aufhören des Dienstes in demselben von selbst weggefallen sind, so daß niemand wegen reiner oder unreiner Speise Gewissen zu machen sucht. Unser Text ist also in seiner engsten Bedeutung für unsere Zeiten nicht geschrieben. Aber dein Wort ist von sehr weitem Umfang, sagt David Ps. 119,96. Warum sollten wir also diese Worte nicht auch in ihrer weiteren, umfassenderen Bedeutung nehmen und auch auf sonstiges Schattenwerk und Scheinwesen merken? Solch' Schattenwerk ist auch noch alles dasjenige, was die Schrift des Gesetzes Werk nennt, worunter sie eine solche Ausübung von Pflichten versteht, die nicht aus Glauben, nicht aus innerem Triebe und Liebe entspringt, sondern wozu sich der Mensch aus eigenen Kräften zwingt und bequemt, weil er soll und muß, wie ein Knecht tagelöhnermäßig die Befehle der Herrschaft ausführt und tut, was er ohne dies Gebot nicht würde getan haben. Hätte Jesus den neun aussätzigen Juden, die er gesund machte, befohlen, vom Priester zu ihm zurück zu kommen und sich zu bedanken, so würden sie es ohne Zweifel getan haben, aber dann wäre es nur solch' Gesetzeswerk gewesen. Der zehnte, der ein Samariter war, bedankte sich, weil sein Herz ihn dazu drang, und so war sein Dank echt.
Solch' Gesetzeswerk wird aber teils für nichts geachtet, obschon man sich Lohn davon verspricht, teils für Heuchelei und Sünde, da man Lob erwartet. Und doch ist das meiste, was noch an Gutem getan und vom Bösen unterlassen wird, nichts als Gesetzeswerk, wie die Menschen selbst bekennen, da sie sagen: Man muß doch, denn was bloß in der Weise geschieht, gilt nicht und würde ohne dies „muß“ gern unterlassen werden. Schatten und Schein, Lügen und Betrug ist demnächst überhaupt alles, was außer Christo ist. Und gewiß ist des Dings außer Christo viel, was den Schein des Guten hat und was die meisten statt seiner wählen. Es gibt außer ihm Ehre bei der Welt, wovon Christus Joh. 5,44 selbst sagt: Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre von einander nehmet, und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht? Lucas 6,26 aber sagt er sogar: Wehe euch, wenn euch jedermann wohlredet„ Desgleichen taten ihre Väter den falschen Propheten auch, und rät uns, weiße Kleider bei ihm zu kaufen, damit nicht offenbar werde die Schande unserer Blöße, d.h. was für ehrlose Kreaturen wir sind. Die Weltehre läuft also auf leeren Dunst und Eitelkeit hinaus, und dieser Schatten ist außer Christo, der Körper aber, die wahre Ehre, ist in ihm, besteht darin, wenn unsere Namen im Himmel bekannt und angeschrieben sind. Es gibt auch irdische Güter und Vergnügungen mancherlei Art, und die Welt ist sehr sinnreich in Erfindung von allerhand belustigenden Zeitvertreiben, von den Bierschenken bis hinaus zum Schauspiel und glänzenden Bällen, und wieder herunter zu gewinngierigem Spiel. Jesus lehrt uns Lucas 8,14 diese richtig beurteilen, wenn er sie Dornen nennt, welche alles Gute ersticken. Jedoch ist dieses nicht dahin gemeint, als ob alles gottlose Vergnügungen wären, welche nicht unmittelbar aus der Gemeinschaft mit Gott herfließen, aber Dunst und Eitelkeit sind sie alle. Dies zeigt Salomi Pred. 2 sehr anschaulich an seinem eigenen Exempel. Seiner herrlichen Kleidung gedenkt Christus selbst, und in dem angeführten Kapitel tut Salomo Meldung von seinen Bauten, Gartenanlagen, seiner wohlbesetzten Musikkapelle und seiner Mühe, sich alles zu verschaffen, was das Leben annehmlich machen kann, und wer wollte sagen, daß das an sich sündlich gewesen wäre? Aber Eitelkeit und Jammer war's und nichts mehr, sagt er V. 11, und das herrliche Wesen selbst verursachte ihm Verdruß und keine Ruhe. Es ist Schatten, der Körper, das Wesen wird anderswo gefunden. Übrigens sind nicht bloß Weiber, geringe und ungelehrte Leute unter den Christen, auch vornehme, reiche und gelehrte Personen können wahre Christen sein, und es waren und sind unter ihnen immer etliche, wiewohl nicht viel.
Es hat sowohl gottselige Fürsten, Minister und Generale gegeben, als Prediger, Bauern und Handwerker. Ja, ist das ganze Weltwesen nicht lauter Eitelkeit und Schattenwerk, wenn wir's bei Lichte besehen? wie kurz dauert unser Aufenthalt hienieden, und wie hängt unser wahres Wohl zuletzt von ganz etwas anderem ab, als was der natürliche Sinn faßt! Wie lange wird's dauern, so hat der Tod uns alle gleich gemacht und in eine Welt gesandt, wo nichts gilt, als eine neue Kreatur! Gibt's wohl eine größere Narrheit, als dem Schatten statt der Sache selbst nachrennen, und sind wir nicht von Natur alle solche Narren, bis die Gnade einen Unterschied macht? Außer Christo gibt's auch allerhand Schattenübel, die in ihm lauter Wohltat sind. Dahin gehört die Unehre und Verachtung, womit die armselige Welt zuerst das Haupt, Christum belegt hat und sodann auch die Glieder damit belegt, wovon er aber sagt: Selig seid ihr, so euch die Menschen hassen, und euch absondern und schelten euch und verwerfen euren Namen als einen boshaftigen, um des Menschensohns willen. Freuet euch alsdann und hüpfet, denn siehe, euer Lohn ist groß im Himmel! Zu den Schattenübeln gehören die mancherlei Leiden, welche sich in der Nachfolge Jesu finden, die er selbst als ein Kreuz angekündigt hat, und wovon sein Apostel sagt: Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes gehen, und von sich selbst 1. Kor. 4 schreibt: Gott hat uns Apostel als die allergeringsten dargestellt, als dem Tode übergeben, als einen Fluch der Welt und Hefen des Volks, so daß man mit ihm aus 1. Kor. 15,9 sagen möchte: Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die Elendsten unter allen Menschen. Jedoch in Christo sind dies alles lauter Segnungen und Gnadenmittel, außer ihm aber wird alles zum Fluch und Unsegen, Armut und Reichtum, Geburt und Tod. Die Naturgaben des Menschen sind auch nur ein Schattenwerk. Körperliche Schönheit und Stärke, wie vergänglich sind sie samt denjenigen Gaben, welche mehr den Geist betreffen! Die klügsten Leute haben oft sehr töricht gehandelt, und die Begabtesten sind oft unmündigen Kindern gleich geworden; die das stärkste Gedächtnis hatten, sind so heruntergekommen, daß sie nichts Zusammenhängendes reden, ja, sich ihres eigenen Namens nicht erinnern konnten, wie andere vom höchsten Gipfel irdischer Größe ins tiefste Elend gerieten und aus reichen Leuten Bettler wurden. Es gibt auch solche Naturgaben, welche den Tugenden ähnlich sehen und doch nur Schattenwerk sind. Es gibt eine natürliche Geduld und Treuherzigkeit, eine natürliche Sanftmut, Personen, welche man nie aufgebracht gesehen hat, eine natürliche Mildtätigkeit, die gern und wohl sogar einmal zu viel gibt, einen natürlichen Mut und Tapferkeit, es gibt reiche Jünglinge, welche der Mensch Jesus lieb hat, und denen es doch an einem fehlt, und wo es leichter ist, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß solche ins Reich Gottes kommen. Es gibt auch eine Schattengottseligkeit, -Gerechtigkeit, -Weisheit und -Kraft, die zunichte gemacht wird, weil sie nicht vom Körper, der in Christo ist, herrührt. Und genau nimmt's hier die Schrift, da sie erklärt, daß man möglicherweise alle Erkenntnis, alles Wissen, allen Glauben haben, sogar Wunder verrichten und dennoch nichts sein könne. Sie erklärt, daß der, der sich dünken lasse, etwas zu wissen, der wisse noch nichts, wie er wissen soll. So aber jemand Gott liebe, der sei von ihm erkannt (1. Kor. 8). Wer meine, er sei etwas, der betrüge sich selbst, wer da meine, zu stehen, der möge wohl zusehen, daß er nicht falle; wer da baue, zusehen, wie er baut, welchem nach derjenige, welcher meint zu wissen, zu haben, zu sein, zu können, mit Schatten und Lügen umgeht, weil er in sich selbst reich zu sein glaubt, und nicht in Gott. Selbst die Gnadengaben machen die Sache selbst nicht aus, wie unschätzbar sie auch sind. So hoch z.B. auch die Tröstungen zu achten sind, so sind doch Gott diejenigen seiner Kinder nicht weniger lieb, die ihrer ermangeln, ja diejenigen, welche in der Züchtigung stecken, die, so lange sie da ist, nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein dünkt, haben eine besondere Zusicherung der göttlichen Liebe. Welche Trübsale schlugen über dem Haupt Hiobs zusammen, was ist der 88. Psalm für ein tiefes Klagelied, das der geplagte Heman anstimmte, und klagte nicht der geliebte Sohn selbst, an welchem der Vater alles Wohlgefallen hatte, er sei von Gott verlassen? Die lieblichen Mitteilungen der Gnade sind freilich angenehmer, aber die Entbehrung derselben, ja entgegengesetzte Empfindung und Leiden sind oft nützlicher. Die Heiligen haben daher auch für diese gedankt und Gott ebensowohl dafür gelobt, daß er sie gedemütigt als getröstet habe. Der Herr bleibt derselbe in Ewigkeit, aber seine Mitteilungen an der Seele wechseln. Daher stieg Assaph so hoch, daß er erklärt: Dennoch bleibe ich stets bei dir, denn du hältst mich bei deiner rechten Hand. Es können allerlei Berge weichen und Hügel hinfallen, aber die Gnade bleibt und der Bund des Friedens. Wird jemand mit den Jüngern auf Tabor geführt, wo gut sein ist, er kann auch in Gethsemane geführt werden, wo Christus zittert und zagt. Es ist daher eine sehr richtige Anweisung, nicht so sehr die Gaben, als den Geber zu suchen, bei jenen nicht stehen zu bleiben, bei den Mitteilungen nicht sicher, bei den Entbehrungen nicht mutlos zu werden. Aber wer ist hierzu tüchtig? Kurz, außer mir ist nichts, spricht der Herr Jes. 45, auf daß man erfahre beide von der Sonnen Aufgang und der Sonnen Niedergang, daß außer mir nichts sei. ich bin Jehova, und keiner mehr. Der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Übel. ich bin der Herr, der solches alles tut. Und im vorhergehenden Kapitel spricht der Herr, dein Erlöser, der dich im Mutterleibe zubereitet: Ich bin der Herr, der alles tut. Denn von ihm und durch ihn und in ihm sind alle Dinge, ihm sei Ehre in Ewigkeit, Amen. Er wirket alle Dinge nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke. Außer ihm ist alles unbeständig und der Veränderung unterworfen. Die Sonne selbst geht auf und unter, nähert und entfernt sich. Alles ist nur Schatten, aber sein Wort bleibet in Ewigkeit. Wir alle sind nur Staub und Asche, ja, der Staub war noch eher wie wir selbst, und was dieser Staub vor anderem Staube vorzügliches hat, das hat er nicht aus sich selbst, sondern anders woher, und nur so lange, als es ihm erhalten wird, welches er selbst auch nicht vermag, weswegen es mit Recht heißt: Was hast du aber, das du nicht empfangen hast, (!. Kor. 4,7); und dennoch, wie nahe liegt es uns, uns des Empfangenen zu rühmen. Welche unaussprechliche Demut ziemt sich für uns, um Paulo 1. Kor. 12,11 nachsagen zu lernen: Ich bin nichts! Aber wie gern, halten wir uns für etwas, meinen, was zu wissen, zu können, zu sein! Welche Mühe hat Gott mit uns, uns klein zu machen und klein zu halten, und wer kann merken, wie oft er fehle? So hold er den Demütigen ist, so sehr eifert er auch gegen alle, die sich irgend weise, fromm, stark und dergleichen dünken, und behauptet den ausschließlichen Ruhm für sich, daß er allein weise, stark, mächtig, heilig sei.
Unter dem Körper versteht nun der Apostel die wirkliche Sache selber, oder wie er sich Heb. 10,1 ausdrückt, das Wesen der Güter selbst, und im Vorhergehenden nennt er die alttestamentlichen Gebräuche Vorbilder der himmlischen Dinge, denen er die himmlischen Dinge selbst und das Rechtschaffene gegenüberstellt, du Christum nennt er den Pfleger der heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte. Hier öffnet sich nun ein weites und lehrreiches Feld der Vergleichung der alttestamentlichen Vorbilder mit ihrer Erfüllung durch Christum, wodurch erst ihre Absicht klar wird, welche Vergleichung von mehreren gelehrten und gottseligen Männern angestellt worden ist, namentlich von Fr. Ad. Lampe, von Hiller, und mit Nutzen nachgelesen werden kann.
Wir lassen uns jetzt nicht darauf ein, sondern bemerken nur, daß der Apostel hier die wichtige Frage: Was ist Wahrheit? mit wenigen, aber erschöpfenden Worten beantwortet. Der Satan hat ein Lügenreich eingeführt, und es ist ihm so gut gelungen, daß es von allen Menschen nach ihrem natürlichen Bestehen heißt: Sie sind Lügner und gehen mit Lügen um und tun Lügen, womit nicht bloß die Lügen im engsten Sinne verstanden werden, sondern all' das Schattenwerk und Scheinwesen, dessen wir schon gedacht haben. Es ist aber auch ein König der Wahrheit dazu in die lügenerfüllte Welt gesandt, daß er die Wahrheit erzeugen und ein Reich der Wahrheit errichten soll. Unter Wahrheit versteht man zunächst eine richtige Vorstellung von einer Sache, und setzt ihr den Irrtum entgegen, der in unrichtigen Vorstellungen von derselben besteht. In dieser Beziehung hat die Wahrheit ihren vornehmsten Sitz im Verstande und reinigt denselben von irrigen Vorstellungen. Mehrenteils begrenzt man auch darauf ihren ganzen Wirkungskreis, und wenn man fragt: Was ist Wahrheit? so meint man damit meistens nichts mehr, als wie man sich eine Sache vorstellen, was man davon denken soll. Und da die Meinungen von jeher in der Welt verschieden, ja, einander entgegengesetzt sind, so ist man mehrenteils mit dem Pilatus einverstanden, welcher dafür hielt, jene Frage sei schwerlich oder gar nicht zu beantworten, auch so nötig nicht, da es nicht so wichtig sei, was man für Wahrheit halte, als wie man lebe und handle, und mancher ein rechtschaffener Mensch sein könne, der doch in einem und andern oder auch in vielen Stücken irrt, wie Katholiken oder gar Heiden und Juden, demnach mißbilligt man auch den Meinungsstreit und das Kämpfen für die Wahrheit als unnütz, ja als schädlich, und empfiehlt große Nachgiebigkeit, nach welcher man nicht zu hart auf seiner Meinung bestehen solle. Darin hat man aber sehr Unrecht, denn es kann unmöglich gleichgültig sein, was wir, um nur eins zu nennen, von uns selbst, unserer guten oder verderbten Beschaffenheit, von unseren Kräften und von den Heilmitteln halten. Der kleinste Irrtum darf nicht gleichgültig sein, weil er an sich eine Finsternis und ein Fehler ist und nie allein ist, und weil wir einen haben, der uns nicht in etliche, sondern in alle Wahrheit leiten will, wo wir uns also auch von allem Irrtum ab und in alle Wahrheit leiten lassen sollen. Allein die Wahrheit hat einen weit größeren Umfang als den, daß sie nur richtige Vorstellungen gibt, sondern sie ist überhaupt das Gegenteil von allem, was bloß Schein, Einbildung und Täuschung ist, und gibt so erst den Dingen und Gütern ihren wahren Wert, ihre eigentliche Vortrefflichkeit und ihre ewige Dauer. Man denke doch nur, welch' ein herrliches Gut ist wahre, wirkliche Ehre, wenn man da geehrt wird, wo es gilt, und von solchen, die da gelten; was will das bedeuten, von Gott selbst geehrt werden, und wer ihn ehrt, den will er wieder ehren. Welche Ehre, von Jesus Christus, dem Richter über die Lebendigen und die Toten, Freund, ein Gesegneter des Herrn genannt zu werden, und wie geringfügig ist dagegen alle Schmach der Welt! Welche Ehre, von ihm gekannt und von Engeln bedient zu werden; was mag dagegen die Armseligkeit der höchsten Weltehre gelten! Welch ein herrliches Gut ist wirklicher, eigentlicher Reichtum an unvergänglichen Gütern, die uns durch keine Begebenheit entrissen werden können. Gewährt zeitliches Vermögen unleugbar große Vorrechte, und kann man es niemand verdenken, der auf ordentlichem Wege darnach strebt, wer ist imstande, alle die Vorteile des wahrhaften Reichtums auseinander zu setzen! Wer im Besitz desselben ist, kann sich durch denselben alles nötige, nützliche und angenehme verschaffen, und dieser Besitz ihm nie entrissen werden, und wer nach demselben strebt, verdient sicher, ein vernünftiger Mensch genannt zu werden, gewiß aber der nicht, der es versäumt. Welch ein herrliches Gut ist wahre Freude! Wie jagen die Menschen der Freude nach, und wie sehr verdient sie das! Wer ist, der sich nicht gern freute und immerdar fröhlich wäre, und wie ganz recht ist das. Aber was ist alle Freude, die es nur zu sein scheint und es doch nicht ist! Welch einen unaussprechlichen Wert aber hat eine wahrhafte, eine solche Freude, die ewig währt, die an einem fort genossen und nie entzogen werden kann! Wie kostbar ist eine wahre Gerechtigkeit, die von der höchsten Majestät dafür anerkannt wird, und den Besitzer wirklich eben so vollkommen gegen alle Anklage und Verdammung sicherstellt, als ihm rechtmäßige Ansprüche an alle Herrlichkeit des Himmelreichs verschafft; wie jämmerlich ist dagegen alle Gerechtigkeit, die nicht echt und wahr ist, die nicht von Gott dafür anerkannt, sondern vielmehr verworfen wird; und welch eine wichtige Frage ist die Frage: Wie bist du gerecht vor Gott? Vor diesem erschrecklichen Richter, der Augen hat wie Feuerflammen, müssen wir doch alle in kurzem erscheinen. Und da hilft kein Schein, sondern nur Wahrheit. Welch einen Wert hat eine wahrhafte Weisheit und Kraft! Was kann's nützen, ja wie schädlich ist vielmehr, wenn man sich weise dünkt, und ist es nicht, oder hat nur die Weisheit, welche bei Gott Torheit ist! Aber wie köstlich ist die wahre Weisheit, welche uns den eigentlichen Weg und die wahren Mittel lehrt, zum erwünschten Ziel zu gelangen! Was kann eine vermeintliche Kraft nutzen, welche uns verwegen genug macht, mit Petrus große Versprechungen zu tun, aber wenn's darauf ankommt, uns das Gegenteil davon ausüben läßt? Aber wie vortrefflich ist dagegen eine Kraft, die uns wirklich zu allem guten Werk geschickt macht! Billig ermahnt uns derhalben Christus, echtes Gold bei ihm zukaufen, das mit Feuer durchläutert ist und also die Probe hält. Was kann uns sonst unser Beten helfen, wenn's kein echtes Gebet ist, und es heißt, ihr bittet und krieget nicht, darum, weil ihr übel bittet? Was kann unser Glauben helfen, wenn es von der Art ist, wie der Teufel es auch kann; unser Kämpfen und Streiten, wenn's nicht recht geschieht; unser ganzer Gottesdienst, wenn er eitel ist?
Niemand kann und wird's in Abrede stellen, daß die Wahrheit und Wirklichkeit dasjenige ist, worauf es eben bei allen unseren Dingen ankommt. Nun ist aber die Frage, wo wir dieses Echte und Wahre antreffen mögen. Es gibt ein Reich der Lügen, des Scheins und der Unwahrheit, an dessen Spitze der Satan steht mit seinen Engeln. Es gibt aber auch, Gott sei Lob und Preis! ein Reich der Wahrheit und Wirklichkeit, das alle Güter in der Wirklichkeit und im Wesen besetzt, enthält und gewährt, in welchem wirklich Könige und Priester sind und wirkliche Schätze, durch deren Besitz die Inhaber derselben wahrhaftig reich und glückselig werden, und an der Spitze dieses Reichs steht der Sohn Gottes, er, der die Wahrheit selbst ist. In diesem Reiche sind die wirklichen Güter da, da ist der wahre Reichtum die wahre Ehre, die wahre Freude. Dies ist auch, was die apostolischen Worte lehren: Der Körper ist in Christo. Es war nicht einmal unter dem Alten Testament anzutreffen in allen seinen von Gott selbst angeordneten Satzungen. Sie alle waren nur Schatten und wiesen auf etwas anderes, auf dieses Reich und dessen König hin. Willst du also das Echte und Wahre finden, so suche es bei der rechten Quelle, das ist bei Christo! Traue dir ja nicht zu, als hättest du es in dir selbst, und glaube ja nicht, als werdest du das Rechte treffen können, bleibe ja nicht bei deinen Übungen stehen; beruhige dich ja nicht mit deinem Lesen, Hören und Beten! Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt, zu dem mußt du kommen, wie Johannes Jünger sich von diesem ihrem Meister weg- und zu Christo wenden sollten.
Such's wo du willst am andern Ort, du find'st es nicht, und wenn's geschieht, auch dein Gefund'nes ist es nicht. Und hast's du ja, so ist's kaum da; was du gefunden, ist schon verschwunden, Gott bleibt allein.
Hab' was du willst, wär's noch so viel, dein nagend Hungern hat kein Ziel. Hab', was es sei, es hießt aufs neu: Ach hätt' ich jenes noch dabei! Und hast du's auch, so ist's nur Rauch. Wer nichts begehrt, dem wird's gewährt in Gott allein.
Der Körper ist in Christo. Wer ihn findet, der findet das Leben und volle Genüge. O wohl dem, der so arm und ausgeleert wird, daß er sich das eine wie das andere von ihm schenken lassen muß und eben deswegen das Echte bekommt. Weg mit allem eigenen Wissen!
Hier ist der Körper, der rechte Baum des Lebens, dessen Frucht der Kehle süß ist, die rettende Arche, der wahre Same Abrahams, durch den alle Völker auf Erden gesegnet werden sollen; die wahre Himmelsleiter, die Jakob im Träume sah. Hier ist das echte Manna, das Lebensbrot und Lebenswasser, der eigentliche Fels, welcher mitfolgt, und woraus das Wasser des Lebens fließt: Die hocherhöhte eherne Schlagen, genesend für alle Anschauende. Hier ist das echte Osterlamm für uns geschlachtet, mit Salz und bittern Kräutern; das wahre einmalige Opfer, das ewig gilt, und der echte goldne Gnadenstuhl, in seinem Blute.
Hier ist des Herrn Tempel, hier ist der goldne Leuchter, der durch seine lieblichen Strahlen unsere Finsternis erleuchtet, das köstliche Rauchfaß, das mit seinem wohlriechenden Weihrauch uns stinkende Sündenbilder angenehm macht, und der Altar, auf welchem wir alles, vom himmlischen Feuer entzündet, opfern, und wovon wir essen.
Hier ist Kanaan, ein Land, wo Milch und Honig fließt, und Jesus, der uns hinein führt. Hier ist der König David, der mächtige Held, und Salomo, der weise Friedenskönig, und Melchisedech, der Priester, Noah, der Tröster.
Hier ist der andere Adam und das Paradies und die neubeschriebenen Tafeln, welche Moses zerbrochen hat, und die wahrhaften, lustigen Sabbate, Neumonde und Jubeljahre.
Der Körper ist in Christo. Hier ist der Glaube, die Liebe, die Hoffnung; hier die echte Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung; hier das heilige A und O. Herr, in dem der Körper ist, du Pfleger der heiligen Güter, du Ausspender des Wesens der Güter selbst, leite uns vom Schatten zum Körper, vom Schien zum Wesen, von uns selbst zu dir! Amen.