Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Wann erweist sich eine christliche Gemeinde als geleitet von dem heiligen Geist?
Predigt am zweiten Pfingsttag.
Der Geist der Wahrheit, der Liebe und der Heiligung komme über uns und leite uns! Amen.
Was einmal zum Heil des Menschengeschlechts geschehen ist, hat einen gerechten Anspruch darauf, in unserm Gedächtnis fortzuleben, sowohl um den Dank gegen Gott lebendig zu erhalten, dessen Macht und Liebe sich in allem Heilsamen betätigte, was jemals die Zeit geboren hat; um die Erinnerung an diejenigen unserer Brüder zu stärken, welche dadurch, dass sie den Willen Gottes erkannten und sich ihm hingaben, die Werkzeuge des Ewigen wurden; als auch um in uns den regen Antrieb zu erhalten, uns der empfangenen Wohltat würdig zu beweisen, und denen nachzueifern, welche durch Tugend und Frömmigkeit, durch heilige Begeisterung und aufopfernde Treue sich unsterbliche Verdienste um uns und unser Geschlecht erworben haben. Darin haben denn auch die heiligen Gedenktage der christlichen Kirche ihre ewige innere Berechtigung. Die großen Taten Gottes sollen sie preisen fort und fort; die hingebende Liebe unseres göttlichen Erlösers für unser Heil verherrlichen, und das Walten des Heiligen Geistes dartun, welches in dem Wachstum und in der Leitung der gestimmten christlichen Kirche sich immerdar kräftig erwies. - Das, geliebte Gemeinde, ist denn auch die Aufgabe der heiligen Festtage, in deren Feier wir jetzt begriffen sind. Ein zwiefaches geschichtliches Ereignis liegt ihnen zum Grunde: Das öffentliche kräftige Hervortreten der Jünger, welche bisher im Verborgenen geblieben waren; ihre von der Kraft des Heiligen Geistes durchwehte Predigt des Evangeliums, und die dadurch bewirkte Bildung der ersten christlichen Gemeinde. - An jenem ersten christlichen Pfingsttag war der rechte Geist vom Herrn über die Jünger gekommen, und sie hatten nun den rechten Sinn und Willen des Herrn erkannt, indem sie die ganze Menschheit aufriefen, zusammen zu treten zu einer großen Gemeinschaft in seinem Namen. -
Ja, die Menschheit zu einer Gemeinschaft zu verbinden, das ist der hohe Zweck des Christentums! - Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, sprach der Herr am letzten Schöpfungstag; er gab ihm das Weib und es entstand die Familie. Aber es ist auch nicht gut, dass die Familie allein sei; es ruht das Bedürfnis der Vereinigung mit Andern tief in unserm Herzen, und aus dem Zusammentritt der Familien entstand die Gemeinde, der Staat. Aber ist damit der Gipfel der menschlichen Gesellschaft erreicht, so lange noch die einzelnen Staaten, in ihnen die Gemeinden, in den Gemeinden die Familien, und in den Familien die einzelnen Personen einander kalt und fremd, wenn nicht gar feindlich gegenüber stehen? Gibt es keine andere Verwandtschaft als die des Blutes, die oft schon in den nächsten Graden nicht mehr anerkannt, oder wenigstens nicht mehr geachtet wird? Ist denn die bloß äußere Form einer Gemeinschaft genügend, um eine solche in der Tat und in der Wahrheit darzustellen? O nein; es ist ein inneres, ein allgemeines Band dazu nötig, um die gesamte Menschheit zu verbinden: eine Einigung im heiligen Geist durch den Glauben und durch die Liebe; eine Einigung, unabhängig von Zeit und Ort, von allen äußerlichen Verhältnissen; deren Bewusstsein jeden Einzelnen so durchdringe, dass alle sonstigen irdischen Unterschiede vor derselben wenn auch nicht verschwinden, so doch unkräftig werden, dass in Jedem die Pflicht gegen die Allgemeinheit lebendig genug sei, um mit Freuden, ja selbst unter Entsagung und mit Aufopferung vollbracht zu werden. Mag dann nach der Verschiedenheit der Umstände sich die Lebensgewohnheit, die Sitte und das Gesetz an verschiedenen Orten und Zeiten verschieden gestalten; mag auch der Glaube nach den mannigfachen Gaben, die der himmlische Vater ausgeteilt, nicht überall zu einer vollständigen Gleichheit sich ausbilden; mag die Gunst oder Ungunst des zeitlichen Glückes die Lose der Menschen auch sehr mischen: wird alles das empfangen und geleitet vom heiligen Geist, so ist jene höhere Einheit dennoch vorhanden, die in jedem Einzelnen die Gaben Gottes sich erweisen lässt zum gemeinsamen Nutzen. -
Eine solche Einheit im Geiste soll durch den Glauben an Jesum Christum unter allen Menschen vermittelt werden, und sichtbar soll sie sich in der christlichen Kirche darstellen. Wo diese daher vom heiligen Geist geleitet wird, da darf sie keine ausschließende, spaltende, verdammende sein, sondern sie muss die Fähigkeit und das Bestreben haben, zu versöhnen, zu einigen; sie darf selbst die nicht unbedingt zurückstoßen, welche sich diesem Bestreben noch widersetzen. Sie muss die christliche Liebe pflegen, in welcher die Jünger Jesu sich und allen Menschen entgegenkommen sollen; sie muss den Trieb zur Heiligung erwecken und lebendig erhalten, in welchem ihre Bekenner der Vollkommenheit nachtrachten, die ihr Ziel ist. Wo eine christliche Kirche diese Bedingungen nicht zu erfüllen strebt, da trägt sie das Zeugnis des Heiligen Geistes nicht in sich. - Auch wir, Geliebte, gehören der christlichen Kirche an, und bilden eine Gemeinde in derselben. Es muss uns daher von der höchsten Wichtigkeit sein, zu erkennen, ob unsere Gemeinschaft das Zeugnis des Heiligen Geistes auch für sich hat, und wenn nicht: wodurch wir es gewinnen können. Die ganze große Kirche ist nicht mit einem Blick zu übersehen; wohl aber die einzelne Gemeinde, und in ihrem engeren Kreis muss ja zuvörderst der Geist vom Herrn eine Heimat finden, bevor das Ganze von ihm durchdrungen werden kann. Den Zustand unserer Gemeinde also müssen wir prüfen, und zu solcher Prüfung eignet sich wohl keine Zeit mehr, als die Festzeit, in welcher wir leben, in der wir die Sendung des Heiligen Geistes und die Gründung der ersten christlichen Gemeinde feiern. Darum wollen wir in der jetzigen Andachtsstunde uns die Frage zur Beantwortung vorlegen: Wann erweist sich eine christliche Gemeinde als geleitet von dem heiligen Geist?
(Gesang. Gebet.)
Evangelium Johannis 3,l6-2l.
Die Liebe des himmlischen Vaters war es, welche ihn bewog, Jesum auszurüsten zum Messias und Heiland dieser Welt, um seine Menschenkinder abzuleiten von dem Weg, dessen Ende das Verderben ist; um die Verlorenen zu retten für das ewige Leben. Nicht zum Gericht, sondern zur Seligkeit der Welt kam Jesus. Wer aber seine Augen geflissentlich verschließt dem Licht vom Herrn, seine Ohren dem Wort des Herrn; wer widerstrebt der Leitung des Herrn, weil er die Werke der Finsternis liebt, dem wird das angebotene Heil zum Gericht, weil er es verachtet, und in selbstgewählter Knechtschaft der Sünde verharrend, die Freiheit und Seligkeit der Kinder Gottes verschmäht. - So ist denn nun die Entscheidung in unseren freien Willen gelegt, ob wir uns von dem Geist Christi leiten lassen und dadurch unser ewiges Heil gründen, oder ob wir das Ewige dahin geben wollen in dem nichtigen Jagen nach der Welt und ihrer Lust. - Aber lehrend, mahnend, warnend tritt uns der Herr noch immer nahe, denn, nachdem er eingegangen zum Vater, spricht fort und fort aus seinem Wort sein Geist zu uns, welcher uns leite, und das Wehen und Walten dieses Geistes soll sich in der Gemeinschaft der Gläubigen, in der christlichen Kirche erkennen lassen; denn ihre Werke können nicht im Verborgenen bleiben, sie müssen offenbar werden, wenn sie in Gott getan sind; sie müssen für eine christliche Gemeinde das Zeugnis ablegen, ob sie von dem heiligen Geist geleitet werde. Wie steht es nun mit uns, meine Geliebten? Haben wir in unserer Gemeinschaft solches Zeugnis des Geistes Jesu für uns? Die Antwort auf diese Frage werden wir finden, wenn wir im Allgemeinen uns die Frage beantworten:
Wann erweist sich eine christliche Gemeinde als geleitet von dem heiligen Geiste?
Ich antworte darauf: Wenn sie
- festhält an dem Grund, den Jesus ihr gegeben;
- wenn sie ihrer Gemeinschaft in der Liebe sich stets bewusst ist;
- und wenn sie von dem lebendigen Trieb stets durchdrungen wird, zu wachsen an dem, der das Haupt ist, Christus!
Dem lasst uns jetzt näher nachdenken.
Eine christliche Gemeinde, behaupte ich, erweist sich dann als geleitet von dem heiligen Geist, wenn sie
1) festhält an dem Grund, den Jesus ihr gegeben hat.
Jesus hat die Menschen berufen zu Einer Gemeinschaft in seinem Namen. Auch wir haben seinen Ruf angenommen, weil wir Ihn erkannt haben als Den, der Worte hat des ewigen Lebens, und sein Wort als einen Ruf zur Seligkeit. Das Evangelium, das er einst verkündete, ist uns von seinen Jüngern in dem Neuen Testament aufbewahrt worden, und wir erkennen aus demselben, dass er den Glauben: er sei der „Christ Gottes,“ der Welt Heiland, für den Felsen erklärt, auf welchen er seine Gemeinde bauen wolle. In diesem Glauben ist anerkannt: seine Sendung von Gott, seine Berechtigung, der Lehrer und Führer der Menschen zu Gott, ihr Mittler, zu sein; und unsere Verpflichtung, ihm zu folgen, wenn wir anders das ewige Leben gewinnen wollen. Nur wenn wir bleiben an seiner Rede, nennt er uns seine wahren Jünger, verheißt er uns die Erkenntnis der Wahrheit. Und er beruft sich zum Erweis ihres göttlichen Ursprunges nicht bloß auf seine Versicherung, sondern auch auf ihre eigene Kraft: So ihr werdet den Willen dessen tun, so werdet ihr inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede. - Aus dem Wort des Herrn erkennen wir den Geist des Herrn; aus seinem Wort kommt er über uns; und nur wenn dieser Gottesgeist uns leitet, sind wir auch wahrhaft Gottes Kinder und seines Heiles Erben.
Ja, wahrlich, meine Geliebten, lassen wir uns das Wort des Herrn entreißen, oder entreißen wir es uns selbst durch Nichtgebrauch und Nichtbeachtung, so sind wir von unserem geschichtlichen Grund losgerissen, haben fortan keine Bürgschaft mehr, dass wir noch bei Christo stehen, und sind jedem Wind der Lehre und Meinung dahingegeben, wodurch zugleich auch die Festigkeit unseres Strebens, die Zuversichtlichkeit unseres Hoffens aufs Höchste gefährdet ist, und mit ihm unsere Ruhe hier, unsere Seligkeit dort. - Aber dieses erste Zeugnis für das Walten des Heiligen Geistes in ihr hat unsere evangelische Kirche sich auch immer sorgfältig erhalten. Sie ist gebaut auf den Grundsatz der alleinigen Geltung der Heiligen Schrift als Glaubensgrund. Mit ihrem Entstehen begann der laute Kampf gegen Menschensatzung und Menschengewalt über den Glauben des Geistes, und diesen Freiheitskampf hat sie bisher siegreich bestanden. - Aber er ist noch nicht vorüber! Fort und fort hat unsere Kirche die Sache des Geistes zu führen, der aus dem Wort Gottes stammt, und so Jemand es wagen will, ein neues knechtisches Joch der Menschensatzung ihr aufzulegen, dem gilt es, fest zu widerstehen, denn Paulus warnt: Ihr seid teuer erkauft! Werdet nicht wieder der Menschen Knechte! - Wollen wir also in unserer Gemeinde uns erweisen als geleitet von dem heiligen Geist, so haben wir zweierlei Irrwege zu vermeiden. Zuerst: dass wir, festhaltend an dem Worte des Herrn, uns nicht betrügen lassen von allerlei Winde der Lehre, und menschlicher, auf Christum nicht gegründeter Weisheit, die leicht zum trostlosesten Unglauben führt. Ihm sind Viele verfallen in unserer Zeit, lieber dem eifrigen Bestreben, das Ewige, Unsichtbare und Unendliche zu begreifen, was eben so wenig unseren Sinnen wahrnehmbar wird, als unserm Verstand je begrifflich werden kann, - weil er selbst endlich und unvollkommen, für das Unendliche und Vollkommene unbedingt kein Maß haben kann, - haben sie den Glauben verloren und verachten das Wort, welches ihnen die Kunde des Ewigen im Bild gibt, darum, weil sie schon hier verlangen zu schauen von Angesicht zu Angesicht. - Die Zeit des Schauens wird auch für uns kommen, wenn wir in dieser Zeit gereift sein werden für die Ewigkeit; hier ist es aber uns noch eben so wenig zugänglich, wie dem Kind die Wahrheit der männlichen Erkenntnis. Hier kann es nur der Glaube sein, in dem unsere Seele lebt, und darum haben wir Gott umso mehr zu danken, dass er uns durch Jesum Christum einen unserer Vernunft in keiner Art widersprechenden, sondern sie befriedigenden und weiter fortbildenden Glauben verkünden ließ, denn nur einem solchen konnten wir mit ganzer Seele uns hingeben; einen Glauben, der mit dem Licht, das er dem Geist verleiht, zugleich unser Herz erhebt, unseren Willen heiligt und unsere Hoffnung zu einer festen und seligen macht. Darum haben wir die Heilige Schrift umso höher zu ehren, um so heiliger zu halten, als durch sie allein diese Verkündigung der Offenbarung Jesu zu uns gekommen ist.
Weil aber der menschliche Geist in dem Trachten nach der Erkenntnis des Übersinnlichen so leicht die ihm hier gesteckte Grenze zu überschreiten versucht, und dadurch sich entweder in den Unglauben oder in den Aberglauben verliert, so suchen manche ängstlichen Gemüter eine Sicherung dagegen dadurch, dass sie das, was nach ihrer Meinung der notwendige Glaubensinhalt ist, in ihre Worte, in Formeln und Bekenntnisse fassen, wie denn auch der Glaubenshochmut, ja nicht selten sogar unberechtigte, die freie Bewegung des Geistes scheuende oder in Vorurteilen befangene, weltliche Gewalt in älterer und neuerer Zeit ein Gleiches taten. Dann drangen sie darauf, dass diese Formeln und Bekenntnisse allgemein angenommen, gebraucht und bekannt würden; beseufzten die als Ungläubige, welche um des Gewissens willen ihnen widerstrebten, verfolgten und verdammten sie sogar, und erklärten sie der ewigen Seligkeit für verlustig. - Das ist der zweite Irrweg, Geliebte, den auch in unseren Tagen noch Viele wandeln. Indem sie ihr Menschenwort dem Wort Gottes an die Seite, wenn nicht gar über dasselbe stellen, geben sie sich dem Hochmut hin, als hätten sie allein die Wahrheit, oder als bedürfte Gottes Wort ihrer schwachen Kraft zu seinem Schutz; ein Hochmut, der dawider zeugt, dass der Geist des Herrn sie regiert. - Lasst uns denn, Geliebte, diese Irrwege als solche erkennen und vermeiden. Der Eifer für die Wahrheit religiöser Erkenntnis soll uns beleben, und in dem Evangelio wollen wir sie suchen; aber mit der Demut, die uns Jesu Christo gegenüber gebührt, als dem, welchen der Vater ausgerüstet hat, uns die Wahrheit zu bezeugen; welche auch an dem, was unser Wissen übersteigt, nicht zweifelt, weil Er's gesagt. - Stützen wir uns so auf den Herrn, und nur auf ihn allein, dann bleiben wir an seiner Rede, und der Geist der Wahrheit, der von ihm und vom Vater ausgeht, wird uns erleuchten und regieren, und unsere Gemeinschaft wird durch ihre Früchte von seinem Leben in ihr zeugen. - Denn nicht bloß ein Geist der Wahrheit ist es, sondern auch ein Geist der Liebe, und eine christliche Gemeinde bedarf, um sich als von ihm geleitet zu erweisen, auch ferner dessen:
2)dass sie sich ihrer Gemeinschaft in der Liebe stets innig bewusst sei.
Es ist ja nach der Lehre unsers Evangeliums die ewige Vaterliebe Gottes, die sich durch die Sendung Jesu verherrlicht hat; sie will uns sammeln zu einem Volk des Eigentums, dass wir durch Christum unter einander und mit Gott Eins werden sollen, verbunden durch heilige Liebe. Sie ist das höchste, das einzige Gebot des Christentums; an ihrer Übung, will Jesus, sollen seine Jünger als solche erkannt werden. Sie muss daher auch alle Glieder einer christlichen Gemeinde, falls diese vom Geist des Herrn geleitet ist, so verbinden, dass sie einander helfen und fördern zum zeitlichen Wohl, zum ewigen Heil. Aber ach, meine Geliebten, steht es schon um das Zeugnis des Glaubens für uns übel, müssen wir dann nicht noch mehr besorgen, dass auch das Zeugnis der Liebe nicht in der Fülle bei uns gefunden werde, wie es seinem Willen entspricht, und rührt dies dann nicht von einem Mangel an Hingebung an seinen Geist her? Der Geist der Welt ist es, der die Menschen und ihre Verbindungen meistens durchweht, und dieses ist nicht ein Geist der Liebe, sondern der Selbstsucht! Er will der Welt Ehre, und führt der Weg zu ihr auch über der Brüder Glück hinfort, er scheut sich nicht, ihn zu betreten. Er will der Welt Lust, und die von ihm erweckte Leidenschaft bedenkt sich nicht, der Nächsten Frieden, Unschuld und Heil zu zertreten! Er will der Welt Gut, und steht seinem Streben danach der Brüder Recht entgegen, er steht nicht an, es zu beugen und zu brechen. Er hat für des Nächsten Glück keine Freude, für sein Leid keine Träne, für des Unglücklichen Bitte kein Ohr, für das allgemeine Beste keine Tatkraft, und für die eigene Sünde keine Reue und Buße, bis ihm die Erkenntnis kommt, dass die Welt vergeht mit ihrer Lust, bis der Herr das Gewissen anrührt, der Schein wie Nebel fällt, und dann der Rückblick nur eine Sündensaat, der Hinblick nur eine ihr entsprechende Ernte zeigt. - O sagt es euch selbst, Geliebte, ob nicht dieser Geist sehr Viele regiert, ihre Ohren verstopft und ihre Herzen verhärtet, dass sie den freundlichen Ruf des Herrn nicht hören und sich nicht bemühen, ihm zu folgen auf seinem Weg und zu tun nach seinem Willen? Wo er die Übermacht hat in einer Gemeinde, da ist der Geist des Herrn nicht wirksam, da sind die Werke böse und hassen das Licht; da ist auch solche Gemeinde nicht des Herrn, denn: wer des Herrn Geist nicht hat, der ist nicht sein. - Darum, liebe Brüder, lasst uns ankämpfen wider jenen bösen Geist und erhalten unter uns den Geist der Liebe. Bei ihm findet Glück und Unglück Mitgefühl, die Schwäche Schonung, die Not Hilfe, das gemeinnützige Streben Unterstützung; von ihm wird Alles gefördert, was wohllautet, was irgend ein Lob, irgend eine Tugend ist, und seine Werke kommen an das Licht, denn sie sind in Gott getan. Wenn solches unter uns geschieht, dann erweisen wir uns als geleitet von dem heiligen Geist, und haben eine Gemeinschaft unter einander geknüpft durch christliche Liebe.
Aber nicht auf den engen Kreis unserer Gemeinde darf diese Liebe sich beschränken, die ganze weite Christenheit muss sie umfassen. Wer mit uns verbunden ist durch den Glauben an Jesum Christum, der hat ein Recht auf unsere Liebe, welches durch nichts aufgehoben werden kann, und wer diesen Glauben nicht hat - nun, der wird von der Vorsehung noch zu demselben erzogen. Wie Jesus aber mit Liebe selbst auf die hinblickt, welche noch nicht zu seiner Herde gehören, wie er versichert, auch sie holen zu müssen, so gibt er auch diesen schon ein Anrecht auf unsere Liebe. Denn Er ist der eine Hirt, um den sich endlich Alle sammeln sollen. Wie ihn der Vater gesandt hat, so sendet er uns, und seine Freunde nennt er uns nur dann, wenn wir tun, was er uns gebietet. Darum müssen wir mitwirken dazu, dass die Zeit komme, wo Alle ihn erkennen und in ihm ihr Heil suchen und finden. Ja, der Heilige Geist ist auch Gemeingeist; er einigt und verbindet; er findet sein Genügen nicht in eigenem Wohl, nur in dem Wohl der Welt, auf dass allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. - Noch gibts Gemeinschaften, die sich christlich nennen, und die dennoch um des Glaubens willen Brüder hassen, verdammen, ausstoßen; welche von hochmütiger Leidenschaft getrieben, das Gotteshaus, dass ein Haus des Friedens und ein Bethaus sein soll, zu einer Stätte unchristlichen Eiferns erniedrigen, in der der Fluch und der Bann ertönt. Wo solches in einer Gemeinde geschieht und nicht allgemeine Entrüstung hervorbringt, sondern wohl gar die Zustimmung der Menge findet - da ist Jesus fern, da wird ein Zeugnis wider den heiligen Geist abgelegt. - Ist dem so, dann, meine Geliebten, erkennen wir wohl in unserer Zeit grade recht deutlich, wie viel unfruchtbarer Boden im Reich Gottes noch ist, wo das Evangelium von der Liebe noch nicht Wurzel geschlagen, wo der Geist vom Herrn noch ein Fremdling. - Möge es bei uns nimmer so sein, aber mögen wir auch nie verkennen, dass wenn wir auch hierin nicht wider den Herrn fehlen, wenn wir auch in mancher andern Art ihm nachtrachten, doch die Herrschaft seines Geistes über uns und unsere Gemeinschaft noch keineswegs eine völlige ist, daher wir uns nimmer der Meinung hingeben dürfen, das Rechte schon ganz ergriffen zu haben. Nein, wo der Geist des Herrn eine Gemeinde leitet, da muss sie sich endlich auch
3) von dem lebendigen Trieb durchdrungen zeigen, zu wachsen an Dem, der das Haupt ist, Christus.
Der Geist, der von Christo ausgeht, führt auch wieder zu ihm hin, und durch ihn zu Gott. Der Weg dahin, den er führt, ist kein zeitlicher, hier bald zu endender; nur in der Ewigkeit, in der Vollkommenheit findet er sein Ziel. Der Geist vom Herrn ist daher ein Geist des Fortschrittes in der Wahrheit, in der Freiheit, in der Ordnung, in der Heiligung. Auf die Bahn des Fortschrittes in religiöser und überhaupt geistiger Erkenntnis, bürgerlicher Ordnung, edler Gesittung hat der Geist Jesu die Menschheit geführt, und wir stehen noch lange nicht am Ende dieser Bahn. Das Leben des Geistes, das durch das Evangelium neuen Trieb bekommen hat, findet noch immer neue Wege in allen Zweigen menschlicher Erkenntnis, und wir begrüßen mit Freuden jede Entdeckung neuer Wahrheiten und neuer Anwendung älterer bereits erkannter. Sie sind groß gewesen in dem letzten halben Jahrhundert, sie haben uns insbesondere die Offenbarung Gottes in der sichtbaren Welt in einem früher nie geahnten Licht erscheinen lassen, und haben dem ganzen Leben der Menschen einen bedeutenden Umschwung gegeben. Soll denn die religiöse Erkenntnis von solchem Fortschritte ausgeschlossen bleiben? Nein, jede Eroberung des menschlichen Geistes, in welchem Gebiet sie auch gemacht sei, soll dem Reich Gottes auf Erden dienen. Freilich sehen wir hier immer nur durch einen Spiegel in einem dunklen Wort. Aber sollte es denn nicht möglich sein, dieses dunkle Wort durch tieferes Eindringen in dasselbe noch mehr zu erhellen, als solches bisher schon geschehen? Auch aus Gottes Werken lernen wir ihn erkennen. Wenn wir nun das Walten Gottes in seinen Werken immer deutlicher durchschauen, sollen wir das nicht anwenden zur Berichtigung unserer religiösen Erkenntnis, zur Erläuterung dessen, was uns in dem Wort Jesu noch dunkel war? Nicht durch starres Festhalten an dem Alten, Hergebrachten, vielleicht durch Jahrhunderte unangefochten Bestehenden erfüllen wir unseren christlichen Beruf, sondern durch den Trieb, in der Erkenntnis der Wahrheit von Christo zu wachsen. Wir können nichts gegen die Wahrheit, Alles aber für die Wahrheit, und so sich uns eine Wahrheit erweist, die wider das Hergebrachte streitet, so muss dies fallen, so haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht es fallen zu lassen! So fielen vor der Wahrheit von Christo die Satzungen der Pharisäer; so fielen vor der Wahrheit, die Luther aus dem Wort des Herrn entwickelte, die Satzungen der römischen Priesterschaft; so fiel vor den Fortschritten der Wissenschaft bereits mancher Lehrsatz, von dem selbst Luther sich noch nicht los machen konnte, und so wird es fort und fort gehen, denn der Heilige Geist soll nach Jesu Verheißung uns ja in alle Wahrheit leiten. Was die Zeit als Wahrheit preist, was aber seinen Ursprung oder seine Berechtigung nicht aus dem Geist Jesu Christi nachweisen kann, das verwerfen wir, denn Christus ist uns die Wahrheit und das Leben! Wo sich aber das Neue als ein Wachstum in der Erkenntnis des Wortes Christi erweist, da stimmen wir ihm bei, denn dadurch wachsen wir an dem, der unser Haupt ist: Christus!
Was hilft aber alle Wahrheit des Erkennens, alles Licht des Geistes, wenn es nicht dahin wirkt, dass auch unsere Sittlichkeit wachse und solche Werke erzeuge, die im Licht, die in Gott getan sind! Was soll man denn von denen sagen, die sich ihres Glaubens rühmen und Jesu Gebot nicht halten? die auf ihre Erkenntnis der Wahrheit stolz sind, und deren Wandel doch durch Lüge, Trug und heimliche Sünde befleckt ist? Nur dann ist unser Glaube eine Wahrheit, wenn er auch den Trieb der Heiligung in uns wirkt; das ist die Frucht, nach der der Herr ihn beurteilen wird. Und in dieser Beziehung können wir, geliebte Mitchristen, mit dem Zustand unserer Zeit und unserer Gemeinde durchaus nicht zufrieden sein. Unleugbar ists, dass ein regerer Sinn für Wahrheit durch unsere Zeit geht; aber es ist auch unleugbar, dass noch nicht in gleichem Maß der Trieb der Heiligung sich bemerklich macht. Und das ist nicht nur in mancher Beziehung, in manchen Kreisen der Fall, im Allgemeinen trifft unsere Zeit der Vorwurf sittlicher Leichtfertigkeit, ja der Gleichgültigkeit gegen manche Sünden nicht mit Unrecht. Beweise dafür gibt es leider genug auch in unsrer Gemeinde!
Liebe Brüder! das darf nicht so bleiben, denn sonst verlieren wir den schönsten Ruhm einer christlichen Gemeinde, das Zeugnis, dass der Heilige Geist auch uns regiert; sonst verachten wir die Liebe Gottes,, die auch uns Jesum gab, dass wir nicht verloren gingen, sondern das ewige Leben hätten; sonst richten wir uns selbst, da uns ja das Licht gegeben ist, die Werke der Finsternis also von uns weichen müssen! - Es gibt keinen schöneren Vergleich für das Verhältnis der einzelnen Christen, der einzelnen christlichen Gemeinde zu ihrem Heiland, als das: Jesus das Haupt, wir die Glieder! Nie aber das Glied in dem Maße vollkommen ist, als es den Willen des Hauptes auszuführen vermag, so sind auch wir in dem Maße als Christen tüchtig, in welchem wir dem Willen Jesu Christi untergeben, in welchen wir geschickt und eifrig sind ihn auszuführen. Da er aber das Haupt ist, so müssen wir immerdar uns in der Treue wider ihn üben, und zu der sittlichen Erhabenheit, in welcher er vor unseres Geistes Augen dasteht, hinan zu wachsen suchen. Der Einzelne, die Gemeinde, Alle sollen zu ihm hinan streben, um zu beweisen, dass sie wahrhaft an ihn glauben, den erstgeborenen Gottessohn, dessen Geist uns Alle umwandeln soll zu Gotteskindern.
Wohlan denn, liebe Gemeinde, dazu wollen wir uns heute von Neuem verbinden. Festhalten wollen wir an dem Grund, den Jesus gelegt; eng verbunden durch christliche Liebe und wachsen an ihm, der das Haupt ist. Nicht vergeblich ist dann Wort und Geist vom Herrn auch zu uns gekommen, und mit heiligem Lobgesang können wir dann die evangelische Verheißung preisen: Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde! Amen.